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DIE KUGEL VON KANDRA

 

 

(OLIVER BLUE UND DIE SCHULE FÜR SEHER—BUCH ZWEI)

 

 

 

 

MORGAN RICE

 

 

 

Morgan Rice

 

Morgan Rice, Nummer 1 der USA Today Bestsellerautoren, schrieb die epische Fantasy-Reihe THE SORCERER’S RING, bestehend aus siebzehn Büchern; die Bestsellerserie THE VAMPIRE JOURNALS, bestehend aus zwölf Büchern; die Bestsellerserie THE SURVIVAL TRILOGY, ein post-apokalyptischer Thriller in drei Teilen; die epische Fantasy-Reihe KINGS AND SORCERERS, bestehend aus sechs Büchern; die epische Fantasy-Reihe OF CROWNS AND GLORY, bestehend aus acht Büchern; die epische Fantasy-Reihe A THRONE FOR SISTERS, bestehend aus acht Büchern (Fortsetzung folgt); die neue Science-Fiction Reihe THE INVASION CHRONICLES, bestehend aus vier Büchern; und die brandneue Fantasy-Reihe OLIVER BLUE UND DIE SCHULE FÜR SEHER, bestehend aus drei Büchern (Fortsetzung folgt). Morgans Bücher sind als Audio- und Printedition verfügbar und wurden in über 25 Sprachen übersetzt.

Morgan freut sich, von Ihnen zu hören. Gehen Sie zu www.morganricebooks.com und setzen Sie Ihren Namen auf die E- Mail Liste. Sie bekommen ein kostenloses Buch als Werbegeschenk und Sie können sich die kostenfreie App herunterladen, um immer die exklusivsten News zu erhalten. Folgen Sie uns auch bei Facebook und Twitter!

 

Resonanz auf Morgan Rice

 

„Wenn Sie dachten, dass es nach dem letzten Teil von THE SORCERER’S RING keinen Grund mehr gibt weiterzuleben, dann haben Sie falsch gedacht. Mit RISE OF THE DRAGONS hat Morgan Rice den Auftakt zu einer vielversprechenden neuen Romanreihe geschaffen, in der er uns in eine Fantasy-Welt voller Trolle und Drachen, Heldenmut, Ehre, Tapferkeit, Magie und Vertrauen versetzt. Wieder hat Morgan es geschafft, ein starkes Set von Protagonisten zu erschaffen, das den Leser mit jeder Seite aufs Neue überzeugt... Diese Romanreihe ist für jede Büchersammlung überzeugter Fantasy-Leser absolut empfehlenswert.“

--Buch- und Filmrezensionen

Roberto Mattos

 

„Action-geladene Fantasy, die allen Fans von Morgan Rice Geschichten definitiv gefällt, aber auch Fans von Werken wie THE INHERITANCE CYCLE von Christopher Paolini… und Fans von Young Adult Fiction werden dieses neueste Werk von Rice verschlingen und um mehr betteln.“

--The Wanderer, Ein Literaturjournal (über Rise of the Dragons)

 

„Fantasy mit Geist, bei der auch Elemente von Mystery und Intrigen in die Storyline verwoben sind. In  A Quest of Heroes geht es um Courage und um die Erkenntnis, dass der Sinn des Lebens in persönlicher Entfaltung, Reife und Vortrefflichkeit besteht… Für alle, die gehaltvolle Fantasy-Abenteuer lieben, bieten die Protagonisten, die einzelnen Elemente und die Action eine lebhafte Mischung von Begegnungen, die sich um Thors Entwicklung von einem verträumten Kind zu einem jungen Erwachsenen drehen, dessen Überleben schier unmöglich scheint… Der Beginn einer vielversprechenden, epischen Reihe für junge Erwachsene.“

--Midwest Book Review (D. Donovan, eBook Reviewer)

 

„THE SORCERER’S RING besitzt alle Zutaten für einen unmittelbaren Erfolg: Plots und Gegenplots, Mystery, tapfere Ritter, aufblühende Beziehungen und gebrochene Herzen, Täuschung und Betrug. Dieses Buch unterhält den Leser über Stunden hinweg und findet Anklang bei allen Altersgruppen. Für jede Fantasy-Sammlung nur zu empfehlen.“

--Buch- und Filmrezensionen, Roberto Mattos

 

„In diesem Action-geladenen ersten Buch der epischen Fantasy-Reihe THE SORCERER’S RING (derzeit bestehend aus vierzehn Teilen) stellt Rice dem Leser den vierzehnjährigen Thorgrin „Thor“ McLeod vor, der davon träumt, der Silbernen Legion beizutreten – eine elitäre Gruppe von Rittern, die dem König dienen… Rices Schreibstil ist solide, die Ausgangssituation fesselnd.“

--Publishers Weekly

Bücher von Morgan Rice

 

OLIVER BLUE UND DIE SCHULE FÜR SEHER

DIE ZAUBERFABRIK (Buch #1)

DIE KUGEL VON KANDRA (Buch #2)

DIE OBSIDIANE (Buch #3)

 

DIE INVASION CHRONIKEN

ÜBERMITTLUNG (Buch #1)

ANKUNFT (Buch #2)

AUFSTIEG (Buch #3)

RÜCKKEHR (Buch #4)

 

EIN THRON FÜR SCHWESTERN

EIN THRON FÜR SCHWESTERN (Buch #1)

EIN GERICHT FÜR DIEBE (Buch #2)

EIN LIED FÜR WAISEN (Buch #3)

EIN KLAGELIED FÜR PRINZEN (Buch #4)

EIN JUWEL FÜR KÖNIGE (Buch #5)

EIN KUSS FÜR KÖNIGINNEN (Buch #6)

EINE KRONE FÜR MÖDERINNEN (Buch# 7)

EIN HÄNDEDRUCK FÜR THRONERBINNEN (Buch #8)

 

FÜR RUHM UND KRONE

SLAVIN, KRIEGERIN, KÖNIGIN (Buch 1)

SCHURKIN, GEFANGENE, PRINZESSIN (Buch 2)

RITTER, THRONFOLGER, PRINZ (Buch 3)

REBELL, SCHACHFIGUR, KÖNIG (Buch 4)

SOLDAT, BRUDER, ZAUBERER (Buch 5)

HELD, VERRÄTER, TOCHTER (Buch 6)

HERRSCHER, RIVALE, VERBANNTE (Buch 7)

SIEGER, BESIEGTER, SOHN (Buch 8)

 

VON KÖNIGEN UND ZAUBERERN

DER AUFSTAND DER DRACHEN (Buch 1)

DER AUFSTAND DER TAPFEREN (Buch 2)

DAS GEWICHT DER EHRE (Buch 3)

DIE SCHMIEDE DES MUTS (Buch 4)

EIN REICH DER SCHATTEN (Buch 5)

DIE NACHT DER VERWEGENEN (Buch 6)

 

DER RING DER ZAUBEREI

QUESTE DER HELDEN (Buch 1)

MARSCH DER KÖNIGE (Buch 2)

FESTMAHL DER DRACHEN (Buch 3)

KAMPF DER EHRE (Buch 4)

SCHWUR DES RUHMS (Buch 5)

ANGRIFF DER TAPFERKEIT (Buch 6)

RITUS DER SCHWERTER (Buch 7)

GEWÄHR DER WAFFEN (Buch 8)

HIMMEL DER ZAUBER (Buch 9)

MEER DER SCHILDE (Buch 10)

REGENTSCHAFT DES STAHLS (Buch 11)

LAND DES FEUERS (Buch 12)

DIE HERRSCHAFT DER KÖNIGINNEN (Buch 13)

DER EID DER BRÜDER (Buch 14)

DER TRAUM DER STERBLICHEN (Buch 15)

DAS TOURNIER DER RITTER (Buch 16)

DAS GESCHENK DER SCHLACHT (Buch 17)

 

DIE TRILOGIE DES ÜBERLEBENS

ARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (Buch 1)

ARENA ZWEI (Buch 2)

ARENA DREI (Buch 3)

 

GEFALLENE VAMPIRE

VOR DEM MORGENGRAUEN (Buch 1)

 

DER WEG DER VAMPIRE

GEWANDELT (Buch 1)

VERGÖTTERT (Buch 2)

VERRATEN (Buch 3)

BESTIMMT (Buch 4)

BEGEHRT (Buch 5)

VERMÄHLT (Buch 6)

GELOBT (Buch 7)

GEFUNDEN (Buch 8)

ERWECKT (Buch 9)

ERSEHNT (Buch 10)

BERUFEN (Buch 11)

BESESSEN (Buch 12)

 

 

 

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Copyright © 2018 by Morgan Rice. Alle Rechte vorbehalten. Außer mit Genehmigung unter dem U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Veröffentlichung vervielfältigt, weitergegeben oder in jedweder Form durch jegliche Mittel übertragen oder in einer Datenbank oder einem Speichersystem gespeichert werden, ohne ausdrückliche Genehmigung des Autors. Dieses eBook ist rein für Ihre persönliche Unterhaltung lizenziert.  Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Leser weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch gerne mit anderen Personen teilen möchten, erwerben Sie bitte eine weitere Kopie für jeden weiteren Leser. Wenn Sie dieses eBook lesen ohne eine eigene Kopie erworben zu haben, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Dieses Buch beruht auf Fiktion. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Gegebenheiten sind entweder vom Autor ausgedacht oder fiktional verwendet. Jede Ähnlichkeit zu real existierenden Personen, lebend oder verstorben, ist absolut zufällig. Coverbild Copyright  DreamcatcherDiana, lizenziert durch Shutterstock.com.

 

 

INHALT

 

KAPITEL EINS

KAPITEL ZWEI

KAPITEL DREI

KAPITEL VIER

KAPITEL FÜNF

KAPITEL SECHS

KAPITEL SIEBEN

KAPITEL ACHT

KAPITEL NEUN

KAPITEL ZEHN

KAPITEL ELF

KAPITEL ZWÖLF

KAPITEL DREIZEHN

KAPITEL VIERZEHN

KAPITEL FÜNFZEHN

KAPITEL SECHZEHN

KAPITEL SIEBZEHN

KAPITEL ACHTZEHN

KAPITEL NEUNZEHN

KAPITEL ZWANZIG

KAPITEL EINUNDZWANZIG

KAPITEL ZWEIUNDZWANZIG

KAPITEL DREIUNDZWANZIG

KAPTEL VIERUNDZWANZIG

KAPITEL FÜNFUNDZWANZIG

KAPITEL SECHSUNDZWANZIG

KAPITEL SIEBENUNDZWANZIG

KAPITEL ACHTUNDZWANZIG

KAPITEL NEUNUNDZWANZIG

KAPITEL DREISSIG

KAPITEL EINUNDDREISSIG

KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

KAPITEL DREIUNDDREISSIG

KAPITEL VIERUNDDREISSIG

KAPITEL FÜNFUNDDREISSIG

KAPITEL SECHSUNDDREISSIG

KAPITEL SIEBENUNDDREISSIG

KAPITEL ACHTUNDDREISSIG

KAPITEL NEUNUNDDREISSIG

KAPITEL VIERZIG

KAPITEL EINUNDVIERZIG

KAPITEL ZWEIUNDVIERZIG

KAPITEL DREIUNDVIERZIG

KAPITEL VIERUNDVIERZIG

KAPITEL FÜNFUNDVIERZIG

KAPITEL SECHSUNDVIERZIG

KAPITEL SIEBENUNDVIERZIG

KAPITEL ACHTUNDVIERZIG

KAPITEL NEUNUNDVIERZIG

KAPITEL FÜNFZIG

KAPITEL ZWEIUNDFÜNFZIG

KAPITEL DREIUNDFÜNFZIG

KAPITEL VIERUNDFÜNFZIG

 

 

 

KAPITEL EINS

 

Oliver Blue stand in einer Besenkammer und wusste nicht, warum. Ein seltsames Gefühl durchdrang seinen ganzen Körper. Es hämmerte laut in seinem Kopf.

Er blickte sich desorientiert um und versuchte, seine bruchstückhafte Erinnerung wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Er war durch einen wirbelnden Strudel hierhergekommen. Ein Wurmloch. Ja! Jetzt erinnerte er sich! Professor Amethyst hatte für ihn ein Portal geschaffen und Oliver war hindurch gereist. Aber warum?

Das Wurmloch war jetzt nirgends mehr zu sehen. Oliver hatte gehofft, dass es ihm einen Hinweis darauf geben könnte, warum er hier war. Aber es war nicht mehr da.

Plötzlich spürte er kaltes Metall auf seiner Brust und zog ein Amulett heraus. Professor Amethyst hatte es ihm gegeben, so viel wusste er noch. Was hatte er ihm dazu erklärt? Oliver brauchte eine Weile, bis er sich erinnerte. Es hatte etwas mit seiner Rückkehr in die Schule für Seher zu tun. Nur wenn es heiß wurde und leuchtete, gab es für Oliver eine Chance zurückzukehren.

Im Moment war es jedoch eiskalt. Das bedeutete, dass jetzt und hier kein Portal zurück zur Schule existierte.

Oliver fühlte sich wahnsinnig traurig. Er dachte an die Schule und seine Freunde, die er zurückgelassen hatte. Aber warum er sie überhaupt verlassen hatte, wusste Oliver einfach nicht mehr. Er wurde immer unruhiger und versuchte verzweifelt, sich daran zu erinnern, wo er gelandet war. Und warum? Und in welcher Zeit?

Langsam, ganz langsam, kam es zurück.

Armando!

Er war zurück in seine Zeitebene gereist, um seinen Mentor Armando Illstrom zu retten.

Er durfte keine Zeit verlieren! Armando sollte bald umgebracht werden und jede Sekunde konnte entscheidend sein.

Oliver stürmte aus der Besenkammer und stand in den Gängen der Fabrik. Er erkannte sie sofort.

Es war wirklich Armandos Fabrik! Dort hing sogar ein Schild: Illstroms Erfindungen.

Er rannte zu den Werkräumen. Als er das Ende des Ganges erreichte, blieb er stehen und steckte vorsichtig seinen Kopf um die Ecke. Anstelle von Armandos geheimer Drehwand und den verschlungenen Gängen, war die Fabrik wieder offen angelegt wie in ihrer Anfangszeit. Überall waren Arbeiter und alle trugen die blauen Overalls der 40er Jahre. Auch Oliver trug einen dieser Overalls.

Alles war sauber und gepflegt. Fliegende Tiere aus Metall huschten durch die Luft. Hier und da flogen Funken von Schweißarbeiten in die Höhe. Sie waren dabei, riesige Maschinen zu reparieren. Metallische Vögel flogen unter der Decke umher, die Fenster waren nicht mehr vernagelt.

Alles hatte sich verändert. Oliver staunte. War das sein Werk? Hatten seine Handlungen im Jahr 1944 die heutige Situation verändert? War Illstroms Erfindungen dank Oliver in Betrieb?

Selbst wenn, wäre es nicht mehr lange der Fall, wenn er Armando nicht rechtzeitig rettete.

Durch eines der Dachfenster sah Oliver dunkle Gewitterwolken. Schon fielen die ersten Tropfen auf das Glas. Dann zuckte plötzlich ein Blitz über den Himmel, kurz bevor ein mächtiger Donnerschlag dröhnte.

Die Lichter der Fabrik begannen zu flackern. Dann wurde es dunkel. Surrend fuhren sämtliche Maschinen herunter.

Ein paar Generatoren sprangen an und die Notbeleuchtung tauchte die Fabrik in ein unheilvolles Rot.

Oliver wurde sofort klar, in welcher Zeit er gelandet war. Es war der Tag des großen Sturms. Der Tag, an dem der Bürgermeister alle Schulen und Geschäfte der Stadt geschlossen hatte. Der Tag, an dem Oliver sich in einer Mülltonne versteckt hatte, um Chris und seinen furchtbaren Freunden zu entkommen. Es war der Tag, an dem er Armando zum ersten Mal begegnet war.

Im schummrigen, roten Lichtern erblickte Oliver Armando – seinen Armando – nicht den jungen Mann von 1944, sondern seinen wahren Helden, den alten Mann.

Sein Herz schlug schneller. Doch dann traf es ihn. Armando würde sich nicht an ihn erinnern. Sie hatten sich nicht einmal kennengelernt. All diese wertvollen Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit würden in Armandos Kopf einfach fehlen.

„Ich denke, wir sollten Schluss machen für heute!“, rief Armando seinen Arbeitern zu. „Sieht aus, als würde dieser Sturm uns früher treffen, als sie vorhergesagt haben! Die Busse stehen bereit, geht nach Hause, Männer.“

Als die Arbeiter die Fabrik verließen, fiel Oliver ein seltsames, blaues Schimmern auf.

Er erkannte es sofort. Dieses eisige, blaue Leuchten waren die Augen eines bösartigen Sehers. Das konnte nur eines bedeuten: Lucas war hier, Olivers schlimmster Feind.

Oliver versuchte, ihn in der Dunkelheit auszumachen. Ein plötzlicher Blitzschlag erhellte die ganze Halle. Er sah eine Silhouette, die durch den Schatten der Fabrik streifte.

Oliver erstarrte. Ein eisiger Schauer lief ihm über den Rücken. Es war wirklich Lucas. Und er verfolgte Armando.

Ein Donner dröhnte. Entschlossen ging Oliver hinter ihnen her. Er näherte sich dem bösartigen Seher immer weiter, bis er ihn fast eingeholt hatte.

Beim nächsten Blitz wandte der alte Mann sein Gesicht zur Seite. Oliver sah das verzerrte Gesicht in allen Facetten. Sein starrer blauer Blick war auf Oliver gerichtet. Seine Augen funkelten unheimlich.

„Oliver Blue“, zischte er.

Oliver schluckte. Sein Hals war wie zugeschnürt. Jetzt stand er dem Mann gegenüber, der ihn am liebsten tot sehen wollte. Es war erschütternd. Lähmend.

Genau in diesem Moment trat Horatio, der alte Hund aus dem Schatten. Er lief direkt vor die Füße des fiesen Alten und Lucas stolperte.

„Verfluchter Köter!“, rief Lucas, der nur mit Mühe das Gleichgewicht wiederfand.

Oliver war noch nie so glücklich gewesen, den alten Bluthund zu sehen. Schnell nutzte er den Moment und lief Armando hinterher. Er erreichte den Flur gerade noch rechtzeitig, um Armando in seinem Büro verschwinden zu sehen.

Hinter ihm kamen die schweren Schritte immer näher. Oliver blickte über die Schulter. Ein weiterer Blitz erleuchtete den Raum, sodass Oliver den verrückten Gesichtsausdruck von Lucas sehen konnte. Erschrocken sprang er zu Armandos Bürotür und platzte in den Raum.

Armandos Büro war chaotisch wie immer. Mehrere Schreibtische waren mit Stapeln von einzelnen Blättern Papier bedeckten, Computer aus verschiedenen Epochen standen herum. Regale drohten unter der Last unzähliger Bücher zusammenzubrechen.

Und inmitten dieses Durcheinanders stand Armando selbst.

Überrascht sah er Oliver an. „Kann ich dir helfen, mein Junge?“

Oliver starrte seinen Helden erwartungsvoll an. Ob er sich doch an ihn erinnerte? Er konnte in seinem Blick keinen Hinweis finden und er hatte jetzt auch keine Zeit, dieser Frage nachzugehen. Er musste schnell herausfinden, ob Armando in unmittelbarer Gefahr war.

Oliver suchte hastig den Raum ab. Er konnte nichts feststellen, keine offensichtliche Falle. Augenscheinlich war alles ganz normal. Hatte Oliver sich getäuscht? Vielleicht war Armando gar nicht in Gefahr. Hatte er am Ende die Schule für Seher ohne jeden Grund verlassen?

Doch schon stürzte Lucas in das Büro. „Die Wachen kommen um dich zu holen, du kleiner Quälgeist!“

Er sprang auf Oliver zu, doch der war schneller. Er hüpfte zur Seite und suchte weiter nach der Bedrohung. Er hatte nicht mehr viel Zeit, um Armandos Leben zu retten. Was führte Lucas im Schilde?

„Komm sofort zurück!“, schnappte Lucas.

Armando machte einen Satz rückwärts, als Oliver an ihm vorbeischoss und auf seinen Knien unter Armandos Schreibtisch hindurchschnellte.

Lucas war sofort zur Stelle, aber jetzt trennte der große Schreibtisch Oliver von seinem Feind. Immer wieder versuchte er Oliver zu packen, aber er bekam ihn nicht zu fassen.

Da sah Oliver einen Kaffeebecher, der von dem Gerangel fast überschwappte. Armando streckte die Hand danach aus, damit er nicht umfiel.

Ein seltsamer Schimmer bedeckte die Oberfläche.

Gift!

Oliver sprang auf den Tisch und trat den Becher weg. Er flog vor Armandos Händen davon und landete scheppernd auf dem Boden. Der Kaffee spritzte durch den Raum.

„Was geht hier vor?“, rief Armando.

Lucas bekam Olivers Beine zu fassen und zog. Oliver landete mit einem lauten Krachen auf dem Schreibtisch.

„Das ist GIFT!“, wollte er rufen, aber Lucas drückte ihm bereits seine große Hand auf den Mund.

Wild schlug und trat er um sich, um sich aus dem Griff des Alten zu befreien.

Da kamen die Wachen.

„Werft diesen Jungen raus!“, befahl Lucas.

Oliver biss ihm in die Hand.

Lucas ließ schimpfend von ihm ab. Oliver sprang über den Tisch und rannte im Zickzack durch den Raum, um den Wachen zu entkommen.

Es hatte keinen Zweck. Sie schnappten ihn und drehten seinen Arm auf den Rücken. Dann schoben sie ihn unsanft zur Tür.

„Armando! Bitte! Hör mich an!“, schrie Oliver und versuchte sich zu wehren. „Lucas will dich umbringen!“

Lucas hielt sich die verletzte Hand. Mit schmalen Augen beobachtete er, wie Oliver aus dem Raum gezerrt wurde.

„Lächerlich“, knurrte er.

Da sah Oliver, wie eine kleine Maus an dem verschütteten Kaffee schnüffelte.

„Sieh doch!“, rief Oliver.

Armando folgte seinem Blick und beobachtete, wie die Maus den Kaffee aufleckte.

Keine zwei Sekunden später brach sie zuckend zusammen.

Sie war tot.

Die Wachen erstarrten. Dann sahen sie zu Armando.

Armando starrte Lucas an. Fassungslos. Erschrocken. Dann verzerrte sich sein Blick.

„Lucas?“, flüsterte er. Armando konnte den Betrug kaum glauben.

Lucas lief rot an vor Wut – oder war es Scham?

Armandos Augen wurden schmal. Er erhob die Hand und zeigte auf Lucas.

„Nehmt ihn fest“, sagte er kühl.

Sofort ließen die Wachen Oliver los und umstellten Lucas.

„Das ist doch wahnsinnig!“, protestierte Lucas, als sie seine Arme auf den Rücken drehten. „Armando! Du wirst doch dieser kleinen Ratte nicht mehr Glauben schenken als mir!“

Doch Armando sagte nichts, als die Wachen ihn abführten.

Lucas kochte vor Wut. Sein Gesicht war ebenso verrückt wie das von Hitler, als Oliver seine Bombe zerstört hatte.

„Es ist noch nicht vorbei, Oliver Blue! Eines Tages kriege ich dich!“, schrie er.

Doch er wurde bereits aus der Tür geschoben und verschwand im dunklen Gang.

Oliver atmete erleichtert durch. Er hatte es wirklich geschafft. Er hatte Armando das Leben gerettet.

Langsam blickte er zu dem alten Erfinder auf, der im Chaos seines Büros stand und immer noch fassungslos aussah. Sie sahen sich lange an. Dann lächelte Armando endlich.

„Ich habe sehr lange gewartet, dich wieder zu sehen.“

 

 

 

KAPITEL ZWEI

 

Malcolm Malice hob die Armbrust und zielte. Er stemmte die Beine fest in den Boden. Dann drückte er ab.

Der Pfeil zischte los und durchschnitt die Luft, bevor er mitten ins Schwarze traf. Ein perfekter Schuss.

Malcolm grinste zufrieden.

„Großartig, Malcolm“, sagte Coach Royce. „Von meinem besten Schüler habe ich nichts anderes erwartet.“

Stolz gab Malcolm ihm die Armbrust zurück und stellte sich wieder zu seinen Klassenkameraden. Ein paar Kinder warfen ihm neidische Blicke zu.

„Bester Schüler“, murmelte einer genervt.

Leises Gelächter machte sich breit.

Malcolm ignorierte es. Er hatte wichtigere Dinge im Kopf. Er war zwar erst seit ein paar Monaten an der Obsidian-Schule, aber er hatte jetzt schon ein paar Kinder überholt, die seit Jahren hier lernten. Er war ein mächtiger Seher. Seine atomische Begabung war die Stärkste von allen und dazu war er eine seltene Mischung aus Kobalt und Brom.

Wenn die anderen Kinder nicht mit ihm befreundet sein wollten, war das ihr Problem. Bevor er an die Obsidian-Schule gekommen war, hatte er schließlich auch keine Freunde gehabt. Warum sollte er jetzt also Wert darauf legen? Malcolm war schließlich nicht hierhergekommen, um  Freundschaften zu schließen. Er war hier, um der Beste zu werden, um alle anderen Seher zu übertreffen, besonders diese Loser von der Amethyst-Schule.

Plötzlich spürte er, wie etwas in seinen Hinterkopf stach. Instinktiv ließ er seine Hand an die brennende Stelle wandern und als er sie wegnahm, lag eine tote Biene in seiner Handfläche.

Das war kein Zufall. Jemand hatte seine Kräfte gegen ihn eingesetzt. Er drehte sich wütend um und suchte nach dem Täter. Sein Blick fiel auf Candice, die ihr dämliches Grinsen kaum verbergen konnte.

Aus schmalen Augen sah Malcolm sie an. „Das warst du.“

„Das war eine Biene“, entgegnete sie unschuldig.

„Wer soll es sonst gewesen sein? Du glaubst wohl, deine biologische Begabung wäre etwas ganz Besonderes!“

Candice hob die Schultern.

Coach Royce klatschte laut in die Hände. „Malcolm Malice, hier spielt die Musik! Nur weil du es schon kannst, heißt das nicht, dass der Unterricht für dich beendet ist. Etwas mehr Respekt für deine Mitschüler, die sollen es wenigstens probieren.“

Malcolm biss sich auf die Zunge. Jetzt bekam er auch noch Ärger wegen dieser kleinen Zicke! Die Ungerechtigkeit brannte ebenso wie der Bienenstich.

Malcolm versuchte, sich auf seine Klassenkameraden zu konzentrieren, die abwechselnd mit der Armbrust übten. Es war ein gewöhnlicher Tag bei Obsidian, der Himmel war trüb, ein leichter Nebel lag in der Luft. Das große Spielfeld erstreckte sich bis zum imposanten Herrenhaus, in dem die Schule für Seher von Madame Obsidian untergebracht war.

Jetzt war Candice an der Reihe. Ihr Pfeil flog weit am Ziel vorbei und Malcolm konnte nicht anders, als über ihre Unfähigkeit zu schmunzeln.

„Dies ist eine Disziplin, die ihr absolut perfekt beherrschen müsst“, rief Coach Royce. „Wenn es zu einem Kampf gegen Amethyst-Seher kommt, sind es genau solche Fertigkeiten, auf die sie nicht vorbereitet sind. Sie sind so starr auf ihre Begabung fixiert, dass sie die guten alten Kampfkünste vollkommen vernachlässigen.“

Malcolms Mundwinkel wanderten noch weiter nach oben. Alleine der Gedanke, diesen albernen Sehern von Professor Amethysts Schule in den Hintern zu treten, ließ ihn innerlich feiern. Er konnte es kaum erwarten, endlich einem dieser Verlierer gegenüberzustehen. Dann würde er ihnen zeigen, wer der Boss ist und warum Obsidian die bessere Schule war. Obsidian hatte es verdient, die einzig wahre Schule für Seher zu sein!

In diesem Moment bemerkte Malcolm, dass einige Kinder aus dem zweiten Jahr mit Hockeyschlägern in der Hand auf den Sportplatz kamen. Natasha Armstrong war auch unter ihnen. So wie er besuchte auch sie die Privatstunden in der Bibliothek für begabte Schüler. Obwohl er mit zwölf Jahren der jüngste war, waren die anderen immer nett zu ihm. Besonders Natasha. Sie würde sich nie über ihn lustig machen, weil er klug war. Und sie teilte seinen Hass auf die Amethyst-Schule.

Natasha winkte ihm zu. Hübsche Grübchen erschienen in ihren Wangen. Malcolm winkte zurück und spürte, wie seine eigenen Wangen warm wurden.

Doch da hörte Malcolm Candice zuckersüß in sein Ohr flüstern. „Ach ist das putzig, Malcolm ist verknallt!“

Malcolm blickte weiter geradeaus und versuchte ihre Sticheleien zu ignorieren. Candice war nur eifersüchtig. Schließlich hatte er sie zurückgewiesen und jetzt interessierte sich ein älteres, hübscheres Mädchen für ihn.

Als die andere Klasse ihr Hockey-Match begann, blickte Malcolm zu dem riesigen, imposanten viktorianischen Herrenhaus der Obsidian-Schule mitsamt ihrem Turm auf. Ganz oben im höchsten Zimmer konnte er die dunkle Gestalt von Madame Obsidian am Fenster stehen sehen. Sie blickte auf ihre Schüler herab. Es kam ihm vor, als würde sie ihn direkt ansehen. 

Er lächelte still. Malcolm wusste, dass sie ihn im Auge behielt. Sie hatte ihn für eine besondere Mission auserwählt. Morgen würde er Madame Obsidian treffen und dann würde sie ihm alles genau erklären. Bis dahin musste er die Neckereien der anderen Kinder noch ertragen. Aber bald würden sie zu ihm aufblicken und ihn anhimmeln! Der Name Malcolm Malice würde jedem Seher in jeder Zeitlinie bekannt sein. Er würde in allen Geschichtsbüchern stehen.

Als der Junge, der Professor Amethyst und seine Schule für Seher ein für alle Mal zerstörte.

 

 

 

KAPITEL DREI

 

Oliver fiel ein Stein vom Herzen. Armando erinnerte sich wirklich an ihn! Obwohl er die Ereignisse der Vergangenheit verändert hatte, hatte sein Held ihn nicht vergessen.

„Du… du weißt, wer ich bin?“, stotterte Oliver.

Armando ging zu ihm. Sein Gang war ein wenig aufrechter und seine Haltung ein wenig erhabener als bei ihrem letzten Zusammentreffen in dieser Zeitachse. Er trug auch bessere Kleidung, dunkle Stoffhosen und ein Hemd, das seinem Status als Wissenschaftler entsprach. Es war nicht derselbe Armando, der ihm am Tag des großen Sturms Zuflucht gewährt hatte. Er war nicht mehr der gebeugte, etwas heruntergekommene Geheimniskrämer, der jahrelang als Verrückter Erfinder in Einsamkeit gelebt hatte. Dies war ein Mann, der stolz auf sich und sein Lebenswerk sein konnte.

Er tätschelte Olivers Schulter. „Ich weiß noch, wie du mir vor vielen Jahren – ich glaube es war 1944 – gesagt hast, dass in siebzig Jahren alles Sinn ergeben würde. Und jetzt ist es wahr geworden. Lucas hat jahrelang hinter meinem Rücken gegen mich gearbeitet.“ Er schüttelte betreten den Kopf. „Ich hätte aber nicht gedacht, dass er versuchen würde, mich umzubringen.“

Oliver fühlte einen Stich im Herzen. Armando hatte Lucas vertraut und zum Dank hat er ihn auf die schrecklichste Art und Weise hintergangen.

„Aber das ist jetzt vorbei. Dank dir!“, sagte Armando.  

Oliver war stolz auf sich. Dann musste er wieder an die Unterhaltung mit Professor Amethyst denken. Es war eben nicht vorbei. Er hatte noch einiges zu tun. Die Arbeit eines Sehers war nie zu Ende und sein Schicksal war mit Armandos Schicksal eng verwoben. Er wusste nur noch nicht genau, auf welche Art.

Der Gedanke an Professor Amethyst versetzte Oliver einen weiteren Stich. Sanft berührte er das Amulett. Es war kalt. Es gab also momentan keinen Weg zurück in die Schule für Seher. Vielleicht würde es ihn nie geben. Er dachte an seine Freunde Walter, Simon, Ralph, Hazel und vor allem Esther. Würde er sie je wiedersehen? Würde er je wieder mit ihnen Switchit spielen? Unter dem riesigen Kapokbaum sitzen?

Armando lächelte ihn gütig an. „Da wir uns nie richtig kennengelernt haben, möchte ich mich dir in aller Förmlichkeit vorstellen. Ich bin Armando Illstrom von Illstroms Erfindungen.“

Oliver nahm seine ausgestreckte Hand und spürte, wie sich ein warmes Gefühl in seinem Körper ausbreitete.

„Ich bin Oliver Blue von …“

Er hielt inne. Von was eigentlich? Gab es irgendeinen Ort, zu dem er gehörte? Weder die Schule für Seher, noch die Fabrik in dieser neuen Realität oder der neue Armando, den er nie wirklich kennen gelernt hatte. Und ganz sicher nicht das kaputte Haus seiner alten Familie in New Jersey – die gar nicht seine richtige Familie war.

„Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht genau, wohin ich gehöre“, sagte er traurig.

Armando sah ihn lange an.

„Vielleicht ist das deine wahre Mission, Oliver Blue?“, sagte Armando leise. „Vielleicht bist du hier, um deinen Platz in der Welt zu finden.“

Oliver dachte über seine Worte nach. Er dachte an seine leiblichen Eltern, die Frau und den Mann aus seinen Visionen. Er wollte sie finden.

Aber er war verwirrt.

„Ich dachte, meine Mission war es, dich zu retten“, sagte er.

Armando lächelte.

„Missionen können komplizierter sein, als sie auf den ersten Blick scheinen“, erwiderte er. „Mich zu retten und dich selbst zu finden schließt sich nicht gegenseitig aus. Schließlich hat deine Identität dich zu mir gebracht.“

Oliver schwieg. Vielleicht hatte er recht, vielleicht war er nicht nur aus einem Grund zurückgekehrt, vielleicht gab es eine ganze Reihe von Aufgaben, aus denen seine Mission bestand.

„Aber ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu suchen“, gestand Oliver.

Armando tippte sich ans Kinn. Dann erhellte sich seine Miene plötzlich.

Er eilte zu seinem Schreibtisch und schnippte mit den Fingern. „Aber natürlich!“

Oliver stutzte. Er beobachtete neugierig, wie Armando in einer Schublade wühlte. Dann zog er etwas heraus und kam damit zurück zu Oliver.

„Hier!“

Er legte Oliver ein rundes Objekt aus Bronze in die Hand. Oliver sah es lange an. Es sah sehr alt aus.

„Ist das ein Kompass?“, fragte er und hob eine Augenbraue.

Armando schüttelte den Kopf. „Es sieht ein wenig so aus, aber ich glaube, dass mehr dahinter steckt! Leider habe ich nie ganz herausgefunden, was es wirklich ist.“

Oliver starrte es fasziniert an. Unzählige Ziffern und Symbole waren in die Oberfläche eingraviert. „Woher kommt es her?“

„Es lag eines Tages vor dem Eingang meiner Fabrik“, sagte Armando. „Ich weiß nicht, wer es dorthin gelegt hat, oder wozu es gut ist, aber ich bin sicher, dass es nicht für mich bestimmt war. Dreh es um.“

Als Oliver Armandos Aufforderung folgte, wurden seine Augen groß. Auf der Unterseite des Objekts waren zwei Buchstaben eingraviert.

O.B.

Vor Schreck hätte er den Kompass beinahe fallen lassen. Sein Blick schoss hoch zu Armando.

„Das sind ja meine Initialen!“, sagte er atemlos. „Aber wie? Warum? Wer sollte etwas für mich hier hinterlassen haben?“

Armando holte tief Luft. „Ich war dazu bestimmt, einem Seher die Richtung zu weisen. Dir, Oliver. Zuerst hatte ich gedacht, es wäre Lucas, aber das war falsch. Als du 1944 erschienen bist und mir deine Kräfte offenbart hast, habe ich den Irrtum bemerkt. Danach habe ich immer darauf gewartet, dem wahren Seher zu begegnen. Dieser Kompass lag vor elf Jahren, am zweiten Dezember, vor meiner Tür.“

„An meinem Geburtstag“, flüsterte Oliver.

„Ich glaube, dass deine Eltern diesen Kompass zu mir gebracht haben“, sagte Armando.

Oliver wurde schwindelig. Er konnte es nicht glauben. Hielt er wirklich ein Geschenk von seinen leiblichen Eltern in den Händen? Etwas, das sie Armando anvertraut hatten, damit er es an ihn weitergeben konnte?

„Meine Eltern?“, flüsterte er.

Das musste ein Zeichen des Universums sein.

„Warum glaubst du, dass es von ihnen kommt?“, fragte Oliver.

„Sieh dir die Symbole genauer an“, sagte Armando.

Oliver hob den Kompass ins Licht und untersuchte die Zahlen und Zeichen. Sie waren in einer Art Drehscheibe angeordnet und kleine Pfeile zeigten auf bestimmte Symbole. Es erinnerte Oliver an die Hieroglyphen der alten Ägypter. Schlichte Striche und Kreise, aber ihre Bedeutung lag auf der Hand. Menschen, Tiere, Ziffern, Elemente wie Wasser und Luft. Ein Pfeil zeigte ganz deutlich auf einen Mann und eine Frau.

Jetzt war sich Oliver sicher, was es zu bedeuten hatte. Seine Eltern!

„Was wissen Sie über sie?“, fragte er aufgeregt. „Haben Sie sie gesehen? Haben sie eine Nachricht hinterlassen? An mich vielleicht?“

Zögerlich schüttelte Armando den Kopf. „Leider weiß ich nichts, mein Junge. Aber vielleicht wird dir dieser Kompass helfen herauszufinden, wer du wirklich bist.“

Oliver sah wieder den Kompass an. Es sah merkwürdig aus mit der Drehscheibe und den Symbolen. Er wusste zwar nicht, was genau er bewirken sollte, aber er war sich ganz sicher, dass es von Bedeutung war. Und er wusste, dass er seine Eltern suchen würde. Er musste herausfinden, wer er war und woher er kam. Dass er jetzt etwas von ihnen in der Hand halten konnte, gab ihm Kraft.

Plötzlich bemerkte er, wie sich die winzige Scheibe bewegte. Sie bewegte sich zu einem Symbol, das drei Wellenlinien zeigte. Oliver dachte sofort an Wasser. Er rieb mit dem Daumen über das Symbol. Dabei löste sich eine Staubschicht und überrascht stellte er fest, dass das Symbol bunt war. Die Linien leuchteten jetzt in tiefem Blau.

„Ich weiß, wo ich suchen muss“, sagte er entschlossen.

Blau. Die Blues, die Familie, in der er aufgewachsen war. Wenn jemand wissen musste, woher er kam, dann sie.

Außerdem hatte er mit ihnen noch eine Rechnung zu begleichen.

Es war Zeit, seinen Bruder Chris zur Rechenschaft zu ziehen für all die Quälereien, die er Oliver angetan hatte.

 

 

 

 KAPITEL VIER

 

Am diesem dunklen und stürmischen Abend machte sich Oliver auf den Weg. Er verließ die  Fabrik und ging durch die Straßen von New Jersey. Gegenstände, die der Sturm durch die Luft gewirbelt hatte, lagen in Trümmern über die Bürgersteige verstreut. Der Wind wehte immer noch stark.

Schnell bemerkte Oliver, dass die Gebäude, Straßen und Gehwege nicht mehr aussahen wie früher, obwohl es dieselbe Gegend war. Alles war anders, neuer, sauberer und wohlhabender. In den Vorgärten waren Sträucher und Blumenbeete anstatt kaputter Waschmaschinen und Autos. Im Asphalt waren keine Schlaglöcher und an den Laternen lehnten keine verrosteten, verlassenen Fahrräder.

Oliver wurde klar, dass alleine durch die Tatsache, dass Armandos Fabrik nicht vor vielen Jahren geschlossen hatte, viele Leute ihre Arbeitsplätze behalten hatten und nicht weggegangen waren. Die Veränderungen, die er in dieser Stadt bewirkt hatte, schienen weitreichendere Auswirkungen nach sich zu ziehen, als Oliver für möglich gehalten hätte. Er war plötzlich überwältigt von der enormen Verantwortung, die ein Seher den Menschen gegenüber trug. Jede einzelne Veränderung in der Vergangenheit konnte für immer die Geschichte beeinflussen. Aber gleichzeitig war er auch stolz, denn die Dinge hatten sich eindeutig zum Besseren verändert.

Oliver wartete an der Bushaltestelle. Das Schild war nicht mehr verrostet. Im Gegenteil! Es glänzte. Der Bus kam und Oliver stieg ein. Im Bus roch es diesmal nicht nach Zwiebeln und fettigem Essen wie damals, sondern nach Reinigungsmittel und Aftershave.

„Bist du nicht etwas zu jung, um zu dieser Uhrzeit noch alleine unterwegs zu sein?“, fragte der Fahrer.

„Ich bin auf dem Heimweg“, entgegnete er und gab dem Fahrer etwas Geld.

Der sah ihm besorgt hinterher, als Oliver sich einen Platz aussuchte.

Selbst der Busfahrer ist netter als damals!, dachte er.

Als der Bus losfuhr, überlegte Oliver, wie er seine Familie zuletzt erlebt hatte. Er war am Tag des Sturmes nicht nach Hause gekommen und Mr. und Mrs. Blue machten sich wahrscheinlich Sorgen. Für Oliver war schwer zu glauben, wie viel er seit jenem Tag erlebt hatte. Er ist durch die Zeit gereist – mehr als einmal. Er ist Hitler begegnet und ist auf einem fantastischen Tier aus dem vierten Jahrtausend hinter einem Ball hergeflogen. Er hatte Kinder aus allen möglichen Zeitachsen kennen gelernt und vor allem hatte er herausgefunden, dass die Blues nicht seine richtigen Eltern waren. Nur hatten sie keine Ahnung von alldem. Für sie hatte sich Oliver sich auf dem Heimweg von der Schule verspätet. Oliver bezweifelte, dass sie sich über seine Rückkehr freuen würden. Wahrscheinlich würden sie sich nur darüber beklagen, dass er ihnen Sorgen bereitet hatte.

Gedankenversunken griff er nach dem Kompass in seiner Tasche. Er konnte sich daran nicht satt sehen. Das Kupfer war etwas verfärbt, so alt war es. Oliver freute sich darauf, es richtig zu polieren. Abgesehen davon war es in einwandfreiem Zustand. Er hätte stundenlang die unzähligen winzigen Symbole und Pfeile untersuchen können. Dann stellte er sich vor, wie seine wahren Eltern ihn in der Hand hielten. Wofür hatten sie den Kompass benutzt? Und warum hatten sie ihn Armando gegeben?

Oliver war so in Gedanken versunken, dass er beinahe seine Haltestelle verpasst hätte. Er sprang auf, drückte auf die Klingel und eilte nach vorne. Der Fahrer hielt an und ließ ihn aussteigen.

„Pass gut auf dich auf, Junge. Der Sturm ist noch nicht vorbei“, warnte der Fahrer ihn.

„Das werde ich, danke!“, rief Oliver und sprang hinaus auf den Gehsteig.

Als er aufblickte, konnte er seinen Augen kaum trauen. Das hatte er wirklich nicht erwartet. Die damals so heruntergekommene Gegend sah auf einmal gepflegt und freundlich aus. Er bezweifelte, dass die Blues sich ein Haus in dieser Straße leisten konnten. Oliver zögerte. Vielleicht wohnten sie gar nicht hier?

Er warf einen verstohlenen Blick auf den Kompass. Er zeigte noch immer auf einen Mann und eine Frau und die gewellten, blauen Linien. Wenn er die Zeichen richtig deutete, war das hier der Ort, an dem seine Familie wohnte.

Sein Herz klopfte wild, als er durch den Garten zur Haustür ging. Er steckte seinen Schlüssel in das Schloss. Er passte! Dann sperrte er auf und ging hinein.

Im Haus war alles dunkel und still. Er hörte nur das leise Ticken einer Uhr und ein Schnarchen in einem der oberen Räume. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie spät es sein musste.