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Wyatt Earp
– 197 –

Der Doc kommt nicht mehr

William Mark

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-878-8

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Es war in der Nacht zum zweiten September 1895.

Vor der Mankiller-Bar in der kleinen Stadt Lime, nahe bei Pueblo, Colorado, hielten drei Reiter. Nach einem forschenden Blick auf die drei erleuchteten Fenster wandte sich der vorderste von ihnen nach den beiden anderen um.

»Ich glaube, wir werden da einen Drink nehmen.«

Die beiden anderen nickten stumm und stiegen mit ihm von den Pferden. Nachdem sie die Tiere an den Zügelholm festgemacht hatten, betraten sie den Vorbau, stießen die schweren hölzernen Schwingarme der Schankhaus­tür auseinander und traten ein.

Obgleich es schon zwölf Uhr vor­über war, lehnten noch etwa sieben Männer an der Theke, und einige Ti­sche waren noch besetzt.

Die Männer, die an der Theke gestanden hatten, wandten sich auf das Knarren der Schwingarme der Pendeltür um und sahen die drei Fremden forschend an.

Und der Anblick der drei lohnte sich wirklich.

Der eine von ihnen war ein untersetzter, vierschrötiger Bursche mit kantigem Schädel, eingedrückter Nase, breitem Mund, vorspringendem Kinn und Blumenkohlohren. Es war der Kentuckymann Joe Shannon. Das Leben, das hinter ihm lag, schien sich in seiner Kleidung ausdrücken zu wollen. Er trug einen grauen fleckenbesäten Hut, ein graues Kattunhemd und ein Halstuch, das sicher einmal eine andere Farbe gehabt haben mochte, jetzt aber auch grau war. Ebenfalls grau war seine ärmellose Weste, deren Aufschläge zerfetzt waren. Grau gestreift war auch seine Hose. Nur sein Waffengurt hatte eine andere Farbe. Der nämlich war aus schwarzem Büffelleder, patronengespickt, und hielt tief über dem rechten Oberschenkel einen schweren Revolver vom Kaliber 45 des Fabrikates Remington. Der Kentuckymann war einunddreißig Jahre alt, hatte sieben Jahre in den Gefängnissen von Kentucky und Indiana gesessen, war dann hinüber nach Nebraska gezogen, wo er ein Jahr in einem Straflager verbracht hatte. Aber dieses eine Jahr war nur ein fünftel der Zeit, die er dort hätte zubringen müssen. Es war Shannon gelungen, zu entkommen. Seitdem wurde er in vier Staaten steckbrieflich gesucht. Wegen Mordes.

Der Mann neben ihm war größer, schlanker, drahtiger, hatte ein ausdrucksloses Gesicht, das wenig angenehm wirkte und in dem ganz zweifellos der markanteste Punkt eine flammend rote Narbe war, die sich von der rechten Stirnseite quer über den Nasenrücken zum linken Mundwinkel zog. Es sah so aus, als sei sein Gesicht von einem furchtbaren Säbelhieb getroffen worden, der es in zwei Hälften hatte teilen wollen. Dieser Mann war der ehemalige Bahnarbeiter Edward Fuller aus Wyoming. Er kam aus der Stadt Moorcroft und hatte jahrelang in Sheridan und später unten in Rock Springs an der Bahn gearbeitet, bis er mit dem Vorarbeiter Gene Portland zusammenstieß – und zwar wegen einer Frau – und den Kameraden mit einem unfairen Schuß auslöschte. Seitdem wurde auch er gesucht. Wegen Mordes.

Der dritte Fremde hatte ein etwas anderes Aussehen. Er war schlank, mittelgroß, wirkte sehnig und hatte ein Gesicht, das die Farbe einer gekalkten Wand angenommen zu haben schien. Seine Augen waren schiefergrau und stechend. Seine Nase war spitz und scharf, der Mund winzig klein und schien von der hängenden Nase verdeckt zu werden. Das Kinn war ebenfalls spitz; spitz und scharf, der Mund winzig klein und schien von der hängenden Nase verdeckt zu werden. Das Kinn war ebenfalls spitz; spitz war auch der Adamsapfel, der in dem dünnen Hals auf und nieder rutschte. Überhaupt schien alles an diesem Mann spitz zu sein. Sogar sein ungekniffener Hut, den er sehr gerade auf dem Schädel trug, wirkte so. Sein Hemd mochte ehemals weiß gewesen sein, hatte jetzt aber eine gelblich-graue Färbung angenommen. Sein schwarzer Anzug wirkte ebenfalls grau, da er höchstwahrscheinlich seit vielen Monaten keine Bürste mehr gesehen hatte. Was sein Aussehen besonders unangenehm machte, war die Tatsache, daß er seinen Waffengurt über seiner Jacke trug. Er hatte große spitze schwarze Stiefeletten an, und die Sporen hatten große silberne Sternräder. Dieser Mann stammte aus Alabama und zwar aus der Stadt Decatur. Sein Name war Prince King. Das Leben, das hinter diesem Mann lag, war nicht weniger abenteuerlich als das der beiden anderen; es muß sogar hinzugefügt werden, daß es noch weitaus düsterer war.

Der Salooner, ein untersetzter Mensch mit schwerem Leib und kahlem Schädel, kleinen Schweinsäuglein und bösartigem Schnauzbart, karierter Weste und großer weinroter Halsschleife, blickte unwillig zu den drei Tramps hinüber.

Er hatte solche Leute nicht gern in seiner Bar, obgleich das Publikum, das bei ihm verkehrte, nicht eben das beste war.

Hanc Russel betrieb seine Schenke schon seit sieben Jahren hier in Lime und hatte in dieser Zeit zwar keine Reichtümer angesammelt, aber doch immerhin ein ganz schönes Stück Geld auf die Seite gebracht, genauer gesagt, gegenüber auf die Union Western-Colorado Bank.

Jetzt zog er mehrere Gläser heran, führte die Whiskyflasche darüber und schob den Drink einigen Männern zu, die vor der Theke standen.

Shannon, Fuller und King kamen langsam durch den Mittelgang auf die Theke zu.

Prince King blieb vor einem der letzten Tische stehen, an dem vier Männer beim Round-Poker saßen. Interessiert blickte er aus seinen stechenden Augen auf die Hände der Männer, die die Kartenblätter mit leise klatschendem Geräusch auf die grüne Filzdecke warfen.

Fuller hatte inzwischen die Theke erreicht. Und zwar war neben dem Sattelmacher Nad Parcer und dem langaufgeschossenen Samuel Pogg, der als zweiter Sheriff in der Stadt fungierte, noch ein anderer Platz frei.

Joe Shannon fand indessen keinen Platz mehr, packte deshalb kurzerhand einen Mann, der vor ihm stand, am Arm und schob ihn zur Seite. Das ging nicht so gut, wie es sich der Kentuckymann gedacht hatte, denn Sterling Craig, der seit einem guten Jahrzehnt die Huf- und Nagelschmiede in der Stadt mit mehr oder weniger großem Erfolg führte, hatte zwar nicht allzuviel Geld auf die Seite bringen können, aber verfügte dafür über kräftige Muskeln, was in diesem Lande ja immerhin ein nicht zu verachtender Besitz war. Postwendend wandte er sich um und stieß den Kentuckymann derb vor die Brust. Das war offenbar für Shannon Grund genug, blitzschnell den Revolver zu ziehen und ihm dem Schmied über den Schädel zu hauen.

Craig brach betäubt an der Thekenwand nieder. Und Shannon schob sich über seinen Platz, ohne sich um den Bewußtlosen zu kümmern.

Da hatte sich King von dem Pokertisch gelöst und trat ebenfalls auf die Theke zu, wo ihm ein kleiner bösartiger Mensch Platz machte. Es war der Hosenschneider Griffith.

Pogg, der Hilfssheriff, beobachtete die drei Männer aus schmalen Augen. Er war zwar kein streitsüchtiger Mensch und hatte auch keineswegs die Angewohnheit, sich in die Angelegenheiten anderer zu mischen, aber wenn er irgend etwas nicht leiden konnte, dann waren es Leute, die sich in der Weise benahmen, wie es die drei Tramps hier vorführten.

Shannon hatte sehr wohl bemerkt, daß Pogg ihn beobachtete, und wandte jetzt den Kopf mit einem Ruck zur Seite.

»Na, Brother, paßt dir irgend etwas nicht?«

Pogg war ein ruhiger Mann, der sich durch nichts so leicht aus der Fassung bringen ließ und auch jetzt nicht gewillt war, einen Streit zu beginnen.

»Oh, kümmern Sie sich nicht um mich, Mister. Ich trinke hier meinen Whisky.«

»Das möchte ich dir auch geraten haben«, entgegnete Shannon.

Pogg machte einen Zug an seinem Zigarrenstummel und nahm sein Whiskyglas auf.

Da wurde er plötzlich von der anderen Seite angestoßen und verschüttete dadurch den ganzen Drink.

Es war Fuller gewesen, der ihm diesen Schubs versetzte. Er wandte sich jetzt nach ihm um und meinte:

»He, was machst du denn da? Das Zeug sollst du trinken und nicht durch die Gegend spritzen.«

Das war nun dem Hilfssheriff doch zu viel. Er war ein Mann von sieben­undvierzig Jahren, sehr kräftig gebaut, und hatte es sicherlich nicht nötig, in dieser Weise mit sich umspringen zu lassen. Er wischte sich mit dem Hemdsärmel übers Gesicht und blickte Fuller prüfend an.

»Mir scheint, Junge, daß du bereits einen über den Durst genommen hast.«

Auf solch eine Antwort schien der Wyomingmann gewartet zu haben. Er riß sofort seinen Revolver hoch und hantierte in gleicher Weise wie vor wenigen Sekunden sein Kumpan aus Kentucky.

Aber der Hilfssheriff war solchen Angriffen wahrscheinlich nicht allzu selten ausgesetzt, denn er wußte ihnen zu begegnen. Rasch hatte er den rechten Arm gehoben und den Schlag damit abgefangen. Seinerseits wuchtete er dem Wyomingmann einen Faustschlag entgegen, der den empfindlich auf dem Brustbein traf.

Aber Fuller war doch der härtere Schläger. Er riß den Revolver von unten hoch und traf damit genau die Kinnkante Poggs.

Der Hilfssheriff torkelte zurück, hielt sich an der Theke fest, versuchte die ihn anspringende Ohnmacht abzuschütteln, wurde aber in diesem Augenblick von einem neuen Hieb getroffen, der ihn niederstreckte.

In der Schenke herrschte jetzt betretenes Schweigen.

An der Theke war Platz geworden – auch für King, der inzwischen herangekommen war.

Das Gesicht des Wirtes war einen Ton bleicher geworden, denn er kannte derartige Dinge, wußte wie sie sich zu entwickeln pflegten und hatte einen Heidenrespekt vor so etwas.

Ohne darum gefragt worden zu sein, nahm er drei Gläser heran, schob sie vor die Tramps und nahm die Whiskyflasche auf.

Da aber hatte Shannon mit einem schnellen Griff seinen Arm gepackt, riß ihn herum und verdrehte ihn, so daß die Whiskyflasche zurückgeschleudert wurde und auf den Steinfliesen hinter der Theke zerschellte.

Der Wirt war ein Feigling. Er war kein Mann, der jetzt den Mut gehabt hätte, sich zur Wehr zu setzen. Höchstwahrscheinlich hatte er in dieser Beziehung sehr schlechte Erfahrungen gemacht, denn er trat nur einen Schritt zurück und blickte Shannon schweigend an.

Der warf den Kopf zurück und stieß eine blecherne Lache aus.

»Na, Jimmy. Das hattest du auch nicht erwartet, daß du heute noch so lieben Besuch bekommst?«

In diesem Augenblick geschah etwas, womit wahrscheinlich Shannon und auch Fuller nicht gerechnet hatten.

Der Hilfssheriff Samuel Pogg hatte sich von dem Niederschlag erholt, sprang hoch und griff nach seinem Revolver.

Das aber hätte er lieber nicht tun sollen; er hatte dabei nicht mit Prince King gerechnet. Denn der hatte die Waffe schneller in der Hand und drückte ab.

Ein röhrender Schrei brach durch den Schankraum, und der Sheriffshelfer Samuel Pogg knickte zum zweiten Mal zusammen.

Diesmal allerdings schwer von einer Revolverkugel in der rechten Hüfte getroffen.

Das Schweigen in der Mankiller-Bar – die ihren Namen ganz offenbar zu Recht zu tragen schien – war schwer wie Blei geworden und lastete auf den Menschen.

Der Wirt hatte rasch eine andere Flasche unter der Theke hervorgeholt und entkorkte sie.

Die drei Tramps beobachteten ihn dabei. Und als er sie jetzt über die Gläser führte, griff Shannon nach seinem Glas, hob es unter die Nase, schüttelte den Kopf und kippte den Drink dem Wirt mitten ins Gesicht.

Nicht schnell genug hatte der seine Hand hochbringen können, so daß ihm der beißende Whisky in die Augen drang.

Die drei Rowdies standen da, als wenn nichts geschehen wäre.

Fuller blickte den Wirt ruhig an und meinte:

»Vielleicht holst du jetzt den richtigen Scotch. Oder hast du den Wunsch, ein paar Zähne zu verlieren?«

Der Wirt bückte sich unter die Theke und brachte eine dunkle Flasche zum Vorschein, deren Etikett abgerissen war. Er entkorkte sie und stellte sie vor Fuller hin.

Der nahm sie hoch, roch daran, und nahm dann sofort einen tiefen Schluck.

King, der ihn dabei beobachtete, schluckte mit. Und Shannon, dessen Durst offensichtlich am größten war, schnappte sich plötzlich die Flasche, entriß sie dem Gefährten und nahm selbst einen tiefen Schluck.

Man war in Lime so einiges gewöhnt, denn die vergangenen Jahre waren nicht spurlos an der Stadt vor­übergegangen. Dafür hatte schon das nahe Pueblo gesorgt – wie ja überhaupt dieser Landstrich Colorados recht bewegt war. Aber was die drei Männer sich da geleistet hatten, war doch lange, lange Zeit nicht mehr in der Stadt vorgekommen. Und die Männer waren tatsächlich darüber schockiert. Drüben an den Spieltischen hatten sie sich jetzt erhoben und wollten auf die Tür zugehen.

Da wandte sich King auf dem Absatz um und rief:

»Wir bleiben hier!«

Die Männer verhielten den Schritt, bis einer von ihnen, ein schnauzbärtiger Mensch in den Fünfzigern meinte:

»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Mister. Wir haben uns bereits zu lange hier aufgehalten.«

Das entscheidest du nicht, Junge. Setz dich auf deinen Platz, sonst gibt’s Ärger.«

»Das ist doch die Höhe«, meinte der Alte, »sind Sie denn wahnsinnig geworden? Sie können sich prügeln, wo Sie wollen. Aber nicht hier bei uns. Sehen Sie zu, daß Sie weiterkommen.«

Da schob sich Joe Shannon an King vorbei und stampfte auf den schnauzbärtigen Mann zu.

»Wer bist du denn, Kleiner?«

»Das kann Sie nicht interessieren. Sehen Sie zu, daß Sie weiterkommen«, wiederholte der Mann. Es war Jeffrey Jameson, der Mayor von Lime.

Da schlug Shannon zu, und zwar mit der rechten Faust. Der Schlag traf den einundfünfzigjährigen Mann am rechten Jochbein.

Aber mit der Reaktion des Mayors hatte Shannon ganz sicher nicht gerechnet, denn der drosch ihm einen knallharten Faustschlag mitten ins Gesicht.

Der Tramp sah nur Wasser. Und dann schlug er zurück. Aber nicht mit den Fäusten, sondern auf seine Manier mit dem Revolver.

Der Mayor von Lime war auch bewaffnet und griff nun auch nach seiner Waffe. Aber da hatte ihn Shannon bereits von den Beinen gerissen.

Die Männer standen vor den Tischen und auf dem Gang zur Tür. Aber niemand wagte es, sich von der Stelle zu rühren.

Shannon ging zur Theke zurück. Er stand neben Fuller.

Beide hatten den Thekenspiel im Auge, das heißt, die Männer die hinter ihnen standen.

In diesem Augenblick war draußen der Hufschlag eines Pferdes zu hören und gleich darauf der federnde Schritt eines Mannes auf den Vorbaubohlen.

Die klobigen Schwingarme der Tür wurden aufgestoßen, und in ihrem Rahmen stand ein hochgewachsener Mann mit dunklem, mahagonifarbenem Gesicht. Er hatte eine sehr muskulöse Gestalt, trug ein dunkles Hemd, einen hellen Hut und eine dunkle Weste. Auch seine Hose war dunkel. In den tief hängenden Halftern trug er schwere fünfundvierziger Revolver. Mit der Linken hatte er sich auf den Schaft eines kurzläufigen Winchestergewehres gestützt. Den Hut hatte er tief in die Stirn gezogen, und sein Gesicht lag fast ganz im Schatten.

Die beiden Männer an der Theke sahen ihn ebenso wie all die anderen, die im Schankraum standen – aber niemand kannte ihn.

Einer der Männer, die an den Spieltischen standen, wollte dem Fremden zuwinken, draußen zu bleiben. Da aber hatte King das schon bemerkt und blaffte:

»He, was ist denn mit dir los. Vielleicht hältst du die Leute nicht davon ab, hier hereinzukommen. Sonst geht’s dir schlecht. Komm nur rein, Junge. Hier geht’s rund!«

Der Fremde an der Tür verharrte auf der Stelle und beobachtete die Männer an der Theke.

Dann ging er vorwärts und blieb in der Mitte des Schankraums stehen.

King ließ ihn nicht aus dem Auge.

»Was ist mir dir los? Komm gefälligst an die Theke«, fletschte er ihn an.