Hermann Hesse

»Mit dem Vertrauen, daß wir einander nicht verloren gehen können«

Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner

Herausgegeben von Michael Limberg in Zusammenarbeit mit Silver und Simon Hesse

Suhrkamp

Vorwort

Seit Jahren wächst das Interesse, den im Suhrkamp Verlag veröffentlichten Ausgaben der gesammelten Briefe Hermann Hesses einen Briefwechsel zur Seite zu stellen, der das Verhältnis zu seinen Söhnen in den Mittelpunkt stellt. Diesem Wunsch sind die Enkel gefolgt und haben in den letzten Jahren die Briefe ihrer Väter mit dem Großvater gesichtet und transkribiert. In dieser Edition kommen also neben Hermann Hesse auch die Söhne Bruno und Heiner zu Wort. Der vorliegende Briefwechsel zeichnet die Entwicklung nach, die sich aufgrund der Lebensumstände und der Trennung des Vaters von der Familie über die Jahre ergab, und legt zugleich Zeugnis ihrer lebenslangen Bindung ab.

Nach dem Tod Hermann Hesses im August 1962 nahmen die Söhne ihre eigenen Briefe an den Vater wieder an sich. Dabei zeigte sich folgendes Bild: Von Bruno an seinen Vater existieren 680 Briefe, von seinem Vater an ihn 500. Bei Heiner sind es 567 Briefe an den Vater, von seinem Vater an ihn 363. Nicht eingerechnet sind weitere 80 Briefe von Hesse und Ninon an Heiner und dessen zweite Frau Isa. Leider stand uns für diese Ausgabe der Briefwechsel mit Hesses jüngstem Sohn Martin nicht zur Verfügung.

Angesichts der großen Zahl der Briefe kann nur ein kleiner Teil wiedergegeben werden. Wenn möglich, werden den Briefen die Gegenbriefe gegenübergestellt. Dabei sollen auch angespannte oder konfliktgeladene Situationen nicht verschwiegen werden. Zu berücksichtigen ist, dass eine Reihe von Briefen und Gegenbriefen nicht mehr aufgefunden werden konnte, was einige größere zeitliche Abstände ihres Austausches erklärt.

Die Briefe Hermann Hesses aus den frühen Jahren sind meist in Sütterlinschrift, ab 1920 auch als Typoskript an die Söhne gegangen. Häufig finden sich bis in die späten Jahre im Briefkopf kleine Aquarelle. Auch die Söhne haben sich immer wieder mit Illustrationen und Skizzen revanchiert, waren doch beide künstlerisch tätig.

Die Eigenheiten in der Orthographie und Kommasetzung der Briefe werden in der vorliegenden Ausgabe unverändert abgedruckt. Hesse hat häufig und bewusst ein Komma vor einem ›und‹ verwendet. Anredepronomen (sowohl Personalpronomen als auch die Possessivpronomen) hat er im Gegensatz zu seinen Söhnen in Briefen an die Familie immer kleingeschrieben. Da die Söhne ihre schulische Ausbildung in der Schweiz erhielten, wurden in ihren Briefen die Besonderheiten des Schweizerhochdeutsch, ›ss‹ statt ›ß‹, beibehalten.

Dass Bruno und sein knapp dreieinhalb Jahre jüngerer Bruder Heiner ihrem Vater schon in ihren Jugendjahren zahlreiche Briefe schrieben, lag an der damaligen schwierigen Familiensituation. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 lebten Hermann Hesse, seine Frau Mia und die drei Kinder Bruno (*1905), Heiner (*1909) und Martin (*1911) schon zwei Jahre in Ostermundigen bei Bern. Hesse, der sich gleich nach Ausbruch des Krieges freiwillig gemeldet hatte, wurde zwar wegen hochgradiger Kurzsichtigkeit nicht zum Wehrdienst eingezogen, stellte sich aber ab 1915 der Deutschen Kriegsgefangenenfürsorge zur Verfügung. Seine Aufgabe war es, die Soldaten in den Internierungslagern mit Lektüre zu versorgen. Diese Tätigkeit kostete ihn viel Zeit, Kraft und Nerven, so dass für die Familie und eigene literarische Arbeiten wenig Raum blieb. Erschwerend kam hinzu, dass er als Reaktion auf seinen Appell »O Freunde nicht diese Töne!«, der im November 1914 in der »Neuen Zürcher Zeitung« erschien und in dem er seine Schriftstellerkollegen zur Mäßigung aufrief, von allen Seiten angefeindet und als Vaterlandsverräter bezichtigt wurde. Als Anfang März 1916 sein Vater starb, zu dem Hesse immer ein schwieriges Verhältnis hatte, durchlebte er eine so schwere Krisis, dass er psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen musste. Auch in seiner Ehe kriselte es: Das Leben an der Seite von Mia empfand er nur noch als freudloses Nebeneinander. Seine Frau litt nicht weniger darunter. Als sie Anfang Oktober 1918 mit ihrem jüngsten Sohn Martin drei Wochen Urlaub im Tessin machte, erlitt sie bei der Rückreise einen Nervenzusammenbruch, so dass sie in großer Verwirrtheit in ein Sanatorium gebracht werden musste. Das veranlasste Hesse, seinen Sohn Bruno bei einem Pfarrer in Langnau im Emmental unterzubringen, etwas später auch Heiner. Diese Zeit gehörte für Hesse »zu den schwersten und hoffnungslosesten in [s]einem Leben« (Brief 130). Ende April 1919 holte Mia, die inzwischen entlassen worden war, die beiden Söhne aus Langnau nach Hause zurück, nach Ostermundigen.

Als im Frühjahr 1919 Hesses Tätigkeit bei der Deutschen Kriegsgefangenenfürsorge beendet war, trennte er sich endgültig von seiner Familie, brach seine Zelte in Bern ab, zog ins Tessin und mietete in der Casa Camuzzi in Montagnola vier möblierte Zimmer. Der Plan Mias, das große Haus in Bern zu halten und Zimmer zu vermieten, zerschlug sich. Es drängte sie ebenfalls ins Tessin. Während des Umzugs von Bern nach Ascona erlitt sie erneut einen Zusammenbruch und wurde wieder in eine Heilanstalt eingeliefert.

Hesses größte Sorge betraf die Unterbringung der beiden älteren Söhne. Martin, der Jüngste, lebte ohnehin überwiegend in der Familie des befreundeten Arztes Ringier in Kirchdorf bei Bern. Bruno und Heiner wurden vorerst in einem Ferienlager für deutsche Kinder in Hergiswil bei Luzern untergebracht. Am 23. Dezember 1919 mussten sie allein zu dem Erzieher Friedrich Ambühl in Rütte (Hochschwarzwald) reisen, der Hermann Hesse empfohlen worden war. Dass es den Kindern dort schlecht erging, zeigt der Auszug aus Brunos Tagebuch (Nr. 2). Mia, die mit Zustimmung Hesses die gemeinsamen Söhne nach Ascona holen wollte, musste den Belastungen erneut Tribut zollen und die Nervenheilanstalt von Mendrisio aufsuchen. Den elfjährigen Heiner nahm sie (zu Hesses Entsetzen) dorthin mit.

Da sie sich infolgedessen nicht um Bruno kümmern konnte, beschloss Hesse, seinen ältesten Sohn dem befreundeten Maler Cuno Amiet und dessen Frau anzuvertrauen. Die beiden lebten auf der Oschwand (bei Herzogenbuchsee) und hatten bereits zwei Adoptivtöchter und eine Pflegetochter. Bruno fiel es anfangs nicht leicht, sich an die geänderte Situation anzupassen, was er aber seinem Vater verschwieg. Nach einiger Zeit fühlte er sich jedoch auf der Oschwand sehr wohl. Amiet war Mitglied der international bekannten expressionistischen Künstlergruppe »Die Brücke«. Bei ihm lernte Bruno nicht nur, Bilderrahmen herzustellen und zu vergolden, Leim zu kochen oder Meißel zu schmieden und zu härten. Zu seinem 15. Geburtstag schenkte ihm Amiet vielmehr einen Papierblock und Farben, und Bruno begann zu aquarellieren. Wenn Bruno alljährlich seinen Vater im Tessin besuchte, gehörten gemeinsame Malausflüge von nun an zum festen Programm, was beide sehr genossen.

Abgesehen von seinen Studienaufenthalten an der École des Beaux Arts in Genf und an der Académie Julian in Paris, an der schon Amiet studiert hatte, blieb Bruno der Gegend um die Oschwand sein Leben lang verbunden. 1936, nach der Heirat mit Kläri Friedli, zog er nach Juchten, drei Jahre später bezogen die Eheleute ein eigenes Haus in Spych unterhalb Oschwand.

In vielen Briefen an seinen Vater, vor allem aus der Pariser Zeit, wirkt Bruno niedergeschlagen und bedrückt. Er zweifelt an sich, seiner Arbeit und seinem Können. Hesse reagiert auf solche Selbstzweifel immer sofort voller Empathie. Er zeigt einerseits Verständnis für Brunos Mutlosigkeit und versucht andererseits aber auch, ihn mit dem Gedanken zu ermutigen, dass das Leben für Künstler oft schwierig sei, es aber keinen Sinn habe, Vorbildern und Idealen zu folgen, die man nicht erreichen könne. Sinnvoller sei es, die eigenen Anlagen weiterzuentwickeln, die man in sich trage (Brief 226). Bruno fühlte sich durch den Zuspruch seines Vaters gestärkt und getröstet. Hesse half jedoch nicht nur mit guten Ratschlägen, sondern unterstützte ihn auch finanziell, wie in späteren Jahren beim Bau seines Hauses in Spych bei Oschwand.

War das Verhältnis zwischen Bruno und seinem Vater unproblematisch und getragen von liebevoller Nähe und Zuneigung, so war die Beziehung zu Heiner in seinen Jugendjahren mitunter konfliktreicher. Er war rebellischer und kritischer, mit Lust am Widerspruch. Während Bruno behütet in einer Pflegefamilie auf dem Land aufwuchs, hatte Heiner keinen festen Ankerpunkt, sondern kam zunächst von einem Heim ins nächste. Nach Internatsjahren in Kefikon und dem Abitur in Frauenfeld absolvierte er ein Semester an der Kunstgewerbeschule der Stadt Zürich und durchlief dann auf Vermittlung seines Vaters in einem Zürcher Kaufhaus eine Lehre als Schaufenstergestalter. Nach Beendigung der Lehre im September 1930 machte er sich nach kurzer Angestelltenzeit selbständig. Ein Jahr zuvor wurde seine Tochter Hellen, genannt Bimba, geboren, und Heiner lebte nun mit seiner Freundin Hellen Guggenbühl zusammen.

Als selbständiger Schaufensterdekorateur hatte Heiner kein regelmäßiges Einkommen und war von Aufträgen abhängig. Hesse hatte seinen Sohn schon während der Lehrzeit finanziell unterstützt, und auch in späteren Jahren steckte er ihm immer wieder Geld zu. Da Hesse sich finanziell selbst einschränken musste, führte Heiners etwas sorgloser Umgang mit Geld zu Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn (Brief 119). Nachdem Heiner 1941 ein zweites Mal geheiratet hatte und bald für eine mehrköpfige Familie sorgen musste, war die Unterstützung des Vaters besonders gern gesehen. Heiners Frau, Isa Rabinovitch, war Graphikerin und arbeitete als Illustratorin für Zeitschriften und Tageszeitungen. Wenn Hesse finanziell nicht helfen konnte – während der Nazizeit lebte er fast nur von Erspartem und gelegentlichen Hilfen seiner Mäzene –, verschaffte er Heiner und seiner Frau Aufträge für Illustrationen bei der Büchergilde Gutenberg in Zürich.

In Konflikt gerieten die beiden auch wegen unterschiedlicher politischer Einstellungen. In Zürich hatte Heiner Anschluss an politisch engagierte Kreise gefunden. Wenn er auch nie Mitglied der kommunistischen Partei war, sympathisierte er mit linkem Gedankengut. Bei kommunistischen Versammlungen dekorierte er die Säle, und während des Dritten Reichs engagierte er sich für die Rote Hilfe, die sich für politisch Verfolgte und Emigranten einsetzte. Er nahm selber Emigranten auf, die ihn gelegentlich bei Arbeitsaufträgen unterstützten. Hesse hat nicht versucht, Heiner von seinen Überzeugungen abzubringen – sympathisierte er doch selbst mit den Idealen des Sozialismus –, gab aber zu bedenken, ob Heiner es verantworten wolle, »daß Menschen totgeschlagen werden, damit andre Menschen es dann vielleicht etwas besser haben« (Brief 106).

Heiner wiederum versuchte ab Mitte der 1930er Jahre, seinen Vater dazu zu bewegen, öffentliche Proteste gegen das NS-Regime zu lancieren. Das war diesem aber von der neutralen Schweiz aus ebenso unmöglich wie Thomas Mann, nachdem dieser in die Schweiz emigriert war. Und selbst wenn sich Hesse über die behördlichen Vorgaben hinweggesetzt hätte, glaubte er, damit das Leben seiner in Deutschland verbliebenen Schwestern in Gefahr zu bringen. Außerdem lehnte er es ab, sich einer Partei oder einem Programm anzuschließen, hatte er doch während des Ersten Weltkriegs erfahren müssen, dass sein Engagement und seine Aufrufe ohne Wirkung geblieben waren. Ein Künstler, der sich einer Partei verschreibe, werde als Künstler nicht besser (Brief 141). Er, Hesse, wolle nicht wie Karl Marx die Welt ändern, sondern den Widerstand der vielen Einzelnen stärken, denen er gerade im Dritten Reich mit seinen Schriften Halt und Kraft geben könne.

1931 hatte er Ninon Dolbin geheiratet, und im gleichen Jahr ließ sein Mäzen, H. ‌C. Bodmer, ihm ein Haus errichten, das, verglichen mit den vier Stuben, die der Dichter bis dahin in der Casa Camuzzi bewohnt hatte, eine beachtliche Veränderung seiner Lebensumstände darstellte. Der neue großbürgerliche Lebensstil brachte Heiner in Rage, er passe »so maßlos schlecht« zu seinem Vater (Brief 107). Der gab ihm recht, räumte aber ein, dass dies eine Konzession an Ninon sei, die aus großbürgerlichen Verhältnissen stamme (Brief 111).

Die Briefe zwischen Heiner und seinem Vater zeigen, dass es ab Ende der 1930er Jahre (Heiner ist 30) kaum mehr zu Auseinandersetzungen kam, und wenn, reagierte Hesse darauf zumeist nachsichtig und verständnisvoll, nicht ohne seinen Sohn auf Widersprüche in seiner Argumentation hinzuweisen.

Ab Mitte der 1930er Jahre verbrachte Ninon meist jährlich einige Wochen im Jahr in Süditalien, Griechenland, Paris und London, um sich vor Ort und in Museen mit griechischer Mythologie zu befassen. Während ihrer Abwesenheit kümmerten sich die Söhne abwechselnd um den Vater. Sie halfen im Garten und lasen ihm vor, denn Hesse hatte schon seit vielen Jahren unter oft unerträglichen Augenschmerzen zu leiden, die ihm das Lesen erschwerten. Bei solchen Besuchen entstanden auch die reizvollen Fotos von Hesse, die sein jüngster Sohn Martin aufnahm.

Auch während seiner Kuraufenthalte in Baden freute sich Hesse, wenn seine Söhne ihn besuchten, legte aber Wert darauf, dass sie nicht gemeinsam kamen, sondern einzeln, so dass er auf jeden von ihnen persönlich eingehen konnte.

Wenn sie in der Jugend auch unter der Trennung der Eltern zu leiden hatten, so haben doch Hermann und Mia ihren Söhnen die Konflikte erspart, die ihrem Vater Kindheit und Jugend erschwert hatten. Weder wurden sie religiös indoktriniert, noch wurden sie in Berufe gedrängt, zu denen sie keine Neigung verspürten. Auch blieben die Eltern schon im Interesse ihrer Söhne immer in Kontakt zueinander. Bereits 1920 ließ sich Mia in Ascona nieder und nahm sie in den Ferien zu sich. Das Verhältnis der Eltern zueinander normalisierte sich in den Folgejahren, und ihre Briefe sind frei von Vorwürfen und zeugen von Empathie und gegenseitigem Respekt.

Zusätzlich zum eigentlichen Briefwechsel wurden daher auch einige inhaltlich oder familiär aussagekräftige Briefe von Hesses erster Ehefrau Mia sowie seiner Schwiegertochter Isa aufgenommen.

Der Briefwechsel zeigt deutlich, wie sehr sich Hesse seiner Verantwortung als Vater bewusst ist. Voller Verständnis geht er auf die Probleme und Lebensentwürfe seiner heranwachsenden Söhne ein, immer individuell und auf deren Temperament und Charakter zugeschnitten.

Die Söhne wiederum verband lebenslänglich ein gutes Einvernehmen sowohl mit dem Vater als auch zueinander. Im Übrigen zeigen die Briefe beider Söhne das Gegenteil von Auseinandersetzung und Konflikten, nämlich gegenseitiges Verständnis für die Sorgen des anderen bis ans Lebensende des Vaters. Nach Ninon Hesses Tod 1966 übernahm Heiner nach Absprache mit seinen Brüdern die Nachlassverwaltung, und bis zu seinem Tod im Jahr 2003 hat er zusammen mit Volker Michels, dem Herausgeber der Werke Hesses im Suhrkamp Verlag, unter anderem die Zehntausende der in aller Welt verstreuten Briefe seines Vaters gesammelt und dafür gesorgt, dass eine Gesamtausgabe der Werke Hesses erscheinen konnte.

Michael Limberg