ADRIAN DOYLE

&

TIMOTHY STAHL

 

 

BLUTVOLK, Band 4:

Der Pfad der Wölfin

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Die Autoren 

 

Was bisher geschah... 

 

DER PFAD DER WÖLFIN 

 

Vorschau auf BLUTVOLK, Band 5: PARA-TRÄUME von Adrian Doyle & Timothy Stahl 

 

Glossar 

 

Das Buch

 

Sie ist ein Geschöpf des Vollmonds. In seinem Silberlicht wird sie zur Jägerin, zum Leitwolf des Rudels. Der Mond beherrscht ihr Leben, ihre Triebe, ihre Lust zu töten.

Bis sie ihn trifft. Auch Landrus Volk lebt seit Urzeiten neben dem Menschengeschlecht und macht es sich untertan, und auch er besitzt die Gabe der Metamorphose.

Als die Werwölfin und der Vampir sich begegnen, ändert sich Nonas Leben. Fortan beherrscht nicht länger nur der Mond ihr Dasein...

 

BLUTVOLK – die Vampir-Horror-Serie von Adrian Doyle und Timothy Stahl: jetzt exklusiv als E-Books im Apex-Verlag.

Die Autoren

 

 

Manfred Weinland, Jahrgang 1960.

Adrian Doyle ist das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Lektors Manfred Weinland.

Weinland veröffentlichte seit 1977 rund 300 Titel in den Genres Horror, Science Fiction, Fantasy, Krimi und anderen. Seine diesbezügliche Laufbahn begann er bereits im Alter von 14 Jahren mit Veröffentlichungen in diversen Fanzines. Seine erste semi-professionelle Veröffentlichung war eine SF-Story in der von Perry-Rhodan-Autor William Voltz herausgegebenen Anthologie Das zweite Ich.

Über die Roman-Agentur Grasmück fing er Ende der 1970er Jahre an, bei verschiedenen Heftroman-Reihen und -Serien der Verlage Zauberkreis, Bastei und Pabel-Moewig mitzuwirken. Neben Romanen für Perry-Rhodan-Taschenbuch und Jerry Cotton schrieb er u. a. für Gespenster-Krimi, Damona King, Vampir-Horror-Roman, Dämonen-Land, Dino-Land, Mitternachts-Roman, Irrlicht, Professor Zamorra, Maddrax, Mission Mars und 2012.

Für den Bastei-Verlag hat er außerdem zwei umfangreiche Serien entwickelt, diese als Exposé-Autor betreut und über weite Strecken auch allein verfasst: Bad Earth und Vampira.

Weinland arbeitet außerdem als Übersetzer und Lektor, u. a. für diverse deutschsprachige Romane zu Star Wars sowie für Roman-Adaptionen von Computerspielen.

Aktuell schreibt er – neben Maddrax – auch an der bei Bastei-Lübbe erscheinenden Serie Professor Zamorra mit.

 

 

 

Timothy Stahl, Jahrgang 1964.

Timothy Stahl ist ein deutschsprachiger Schriftsteller und Übersetzer. Geboren in den USA, wuchs er in Deutschland auf, wo er hauptberuflich als Redakteur für Tageszeitungen sowie als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Szene-Zeitschrift für junge Leser tätig war.

In den 1980ern erfolgten seine ersten Veröffentlichungen im semi-professionellen Bereich, thematisch alle im fantastischen Genre angesiedelt, das es ihm bis heute sehr angetan hat. 1990 erschien seine erste professionelle – sprich: bezahlte - Arbeit in der Reihe Gaslicht. Es folgten in den weiteren Jahren viele Romane für Heftserien und -reihen, darunter Jerry Cotton, Trucker-King, Mitternachts-Roman, Perry Rhodan, Maddrax, Horror-Factory, Jack Slade, Cotton Reloaded, Professor Zamorra, John Sinclair u. a.

Besonders gern blickt er zurück auf die Mitarbeit an der legendären Serie Vampira, die später im Hardcover-Format unter dem Titel Das Volk der Nacht fortgesetzt wurde, und seine eigene sechsbändige Mystery-Serie Wölfe, mit der er 2003 zu den Gewinnern im crossmedialen Autorenwettbewerb des Bastei-Verlags gehörte.

In die Vereinigten Staaten kehrte er 1999 zurück, seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf; außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt er in Las Vegas, Nevada.

  Was bisher geschah...

 

 

  Fast drei Jahrhunderte lang hat Landru, einer der ältesten Vampire, nach dem Lilienkelch gesucht, dem Unheiligtum der Alten Rasse. Nur mit ihm können die Vampire Nachwuchs zeugen: indem sie Menschenkinder rauben, ihnen das Blut eines Sippenoberhaupts zu trinken geben und sie damit zu Vampiren machen.

  Der Lilienkelch spielte eine wichtige Rolle im Plan der Ur-Lilith, der ersten Frau Adams. Aus ihr ging das Vampirgeschlecht hervor, nachdem sie von Gott aus dem Garten Eden verstoßen wurde. Doch im Laufe der Jahrtausende überkam sie der Wunsch, sich mit dem Schöpfer zu versöhnen. Ein Kind beider Welten – halb Mensch, halb Vampir – sollte Werkzeug und Mittler sein: So wurde Lilith Eden geboren.

  Das Vorhaben gelingt. Gott vergibt der Ur-Lilith und »impft« den Lilienkelch mit einer Seuche, die, als Landru ihn benutzt, alle Sippenoberhäupter rund um den Globus infiziert. Deren »Kinder« werden von unbändigem Durst nach Blut befallen, den sie nicht zu löschen vermögen und rapide altern. Allein die Oberhäupter sind gegen die Seuche immun. Und dies ist Liliths künftige Bestimmung: die letzten überlebenden Vampire zu vernichten.

  Doch es gibt eine zweite große Gefahr: einen künstlichen, genmanipulierten Vampir, der unempfindlich gegen christliche Symbole ist und das Überleben der Blutsauger sichern soll. Von den Vampiren in New York erweckt, gerät der Homunkulus außer Kontrolle und flieht auf einen Tanker Richtung Alaska. Auf dem Schiff zeugt er Nachwuchs – aus sich selbst, denn er ist geschlechtslos. Die Besatzung fällt ihm nach und nach zum Opfer, bis der Kapitän das Schiff in eine Feuerhölle verwandelt. Der Blutsauger entkommt ins Eismeer, während seine »Kinder« in den Flammen sterben...

  In einem Nonnenstift in Maine, USA, zeigt die junge Ordensschwester Mariah plötzlich Spuren einer Schwangerschaft, obwohl sie nie mit einem Mann zusammen war. Nur 666 Stunden später gebiert sie einen Knaben – und das Verhalten der anderen Nonnen ändert sich abrupt. Hatte man bisher vor, das Kind in ein Waisenhaus zu geben, soll es nun im Kloster aufwachsen. Mehr noch: Als der Monsignore, der von Zeit zu Zeit die Orden besucht, von dem Kind erfährt, wird er von den Schwestern aufgehalten und von Schatten zerfleischt.

Kurz darauf kommt ein von der Seuche infizierter Vampir zum Kloster – und wird von dem Kind geheilt! Freudig verbreitet er die Kunde, doch die Vampire, die daraufhin zum Nonnenstift pilgern, werden brutal getäuscht. Der Knabe entzieht ihnen alle Kraft und Erfahrung und wächst dabei um gut drei Jahre.

Lilith, die dem Pilgerzug der Blutsauger gefolgt ist, zieht die falschen Schlüsse und will das Kind retten. Die Schwestern stellen sich gegen sie, und Mariah flieht mit dem Kind. Dieses aber hat in Lilith seine Gegnerin erkannt.

Abseits dieses Geschehens kehrt eine alte Verbündete Landrus aus den Schatten der Zeiten zurück. Eine ganz besondere Freundin, obwohl keine Vampirin, sondern... aber lesen Sie selbst.

DER PFAD DER WÖLFIN

 

 

     Rom, 3. Juni 1527 

  Auch diese Nacht war erfüllt von den Schreien der Sterbenden und Gefolterten. Manchmal glaubte Ludwig, es nicht länger ertragen zu können.

  Seit die kaiserliche Armee in die Stadt eingefallen war, wurde diese vom Atem eines grässlichen Tieres durchströmt. Es thronte unsichtbar auf den Hügeln, und sein Blick reichte bis in die verborgensten Räume eines Hauses hinein, sodass es immer neue Opfer fand. Menschliche Bosheit ballte sich zu etwas, gegen das weder Schwert noch Speer, nicht einmal die reinigende Kraft des Feuers zu helfen schien.

  Für dieses Untier, so wusste der Landsknecht, gab es nur einen Namen: DAS BÖSE.

  Voll, rund und schwer hing der Mond am sternfunkelnden Himmel. Ein bleicher Geselle, der sich auf dem nobelsten Rang eines Stadt umspannenden Amphitheaters eingerichtet hatte. Ganz Rom lag ihm zu Füßen; die Ewige Stadt, die zur Bühne für ein blutiges Spektakel verkommen war.

Vor einem knappen Monat, am 6. Mai dieses Jahres, waren die Truppen von Kaiser Karl V. in die Mauern der Stadt eingefallen – auf dem Höhepunkt eines Krieges, den der Habsburger Kaiser gegen seinen französischen Rivalen König Franz I. um die Herrschaft über Italien führte.

Ludwig war mit einer gewaltigen Armee, in der Hauptsache deutsche Landsknechte, ins Armeleuteviertel Trastevere auf der rechten Tiberseite eingefallen und hatte den Fluss von dort aus überquert. Tausende Bewohner Roms, nicht nur Soldaten, waren seither gestorben. Ihr Blut hatte die Straßen und Rinnsteine mit einer dunklen Patina überzogen, die in der Frühsommerhitze erbärmlich stank. In manchen Vierteln loderten die Scheiterhaufen Tag und Nacht, um die Leichen der Gefallenen zu beseitigen.

Ludwig blickte kurz zur Engelsburg, in der sich der Papst feige eingeschlossen hatte. Das Kastell wurde seit Wochen belagert und mit denselben Kanonen bedroht, die bereits weite Teile der geschichtsträchtigen Stadt in Schutt und Asche gelegt hatten.

Das Ultimatum war gestellt. Wenn der Papst sich nicht bald ergab, würde auch die Engelsburg fallen, wie einst die für uneinnehmbar gehaltenen Mauern Jerichos, und dann...

Ludwig wurde speiübel, während er, gegen ein Wagenrad gelehnt, zu dem aufwendig gestalteten, in die Nacht gebetteten, festungsähnlichen Rundbau spähte, hinter dessen Fenstern und Zinnen kaum ein Lichtschein glomm.

Hölzern stand der Deutsche auf. Wie jede Nacht trieb es ihn zu einem der Höfe hinter den annektierten Häusern, wo obdachlos gewordene Frauen, Kinder, Alte und Kranke eingepfercht gehalten wurden.

Einer der beiden Lagerwächter stammte aus demselben Dorf wie Ludwig und war sein Freund. Der andere würde für ein paar Münzen wegsehen. Als Bewacher eines solchen Zugangs konnte man mit etwas Geschäftssinn reich werden. Niemanden interessierte wirklich, was in den Elendslagern geschah, und ganz bestimmt nicht den Herzog von Bourbon, der die kaiserliche Armee gegen Rom geführt hatte und der seines Mangels an menschlichen Gefühls wegen berüchtigt war.

Menschlichen Gefühls...

Ludwigs mageres Gesicht verzog sich zur Grimasse.

»Was für eine Nacht«, stöhnte auch Clemens, der seinen federgeschmückten Hut aufsitzen hatte, während an der Hüfte Schwert und Dolch baumelten. Das Wams war mit aufgenähten Lederflicken gepanzert, und die dürren Beine steckten in Bundhosen, die, eng geschnürt, dicht unter den Knien endeten. Sein besorgter Blick sog sich wie ein Blutegel an Ludwigs Gesicht fest, das vage in den Mondschatten zu erkennen war. »Du siehst schlecht aus, Kamerad. Noch übler als gestern. Warum gehst du nicht endlich zum Bader? Er sollte sich deine Wunden ansehen...«

»Ich bin in Ordnung«, log Ludwig. Sein Blick irrte zu dem anderen Landsknecht, der bereits in Erwartung des Schweigegelds nervös von einem Fuß auf den anderen trat. Sein Name war Eberhard. Zwischen ihm und Clemens stand eine windgeschützte Kerze auf dem Pflaster. Nachdem Ludwig die Münzen in Eberhards Hand hatte gleiten lassen, bückte sich dieser und zählte im Kerzenschein nach.

Sein Brummen klang unzufrieden, aber es hinderte ihn nicht, zur Seite zu treten.

»Wie du in solchen Nächten an so etwas denken kannst...«, hörte Ludwig die verständnislose Stimme seines Freundes, der – welche Ironie! – ebenso hieß wie der in die Engelsburg geflüchtete Papst. »Ich begreife dich nicht! Aber sei auf der Hut. Wenn herauskommt, dass wir dich –«

»Keine Sorge«, versicherte Ludwig, ehe er, ohne sich noch einmal umzudrehen, in den Innenhof trat, wo die Finsternis schwärzer war als draußen vor dem Tor.

Und wo er die Angst der Menschen riechen konnte, deren Nähe und Ohnmacht die letzte Hemmschwelle in ihm niederriss.

Er war nicht gekommen, um den niederen Trieb zu bedienen, an den Clemens dachte.

Er war hier, um jene Begierde zu stillen, von der seine Existenz abhing.

Seit er in Trastevere gestorben war...

 

 

Die Finsternis, durch die er sich schlafwandlerisch sicher bewegte, übte einen bizarren Zauber auf Ludwig aus. Die Dunkelheit hatte sich verwandelt – seit er sich gewandelt hatte. An jenem Abend in Trastevere, unmittelbar vor der Überquerung des Tibers.

Ludwig hatte einen Mann, der ihm den Zutritt zu seinem Haus verwehren wollte, erschlagen, und später, beim Durchwühlen der Schränke, war er plötzlich von hinten von einer festen, völlig angstfreien Stimme angesprochen worden. Im Umdrehen hatte er einen in rötlich gefärbte Seide gekleideten Mann erblickt, dessen Augen ihn streng gemustert hatten. Er musste den Enthaupteten draußen im Gang gesehen haben. Aber offenbar erschütterte ihn dies nicht sonderlich, obwohl er sagte:

»Welche Verschwendung. Ich hatte ihn noch nicht lange. Er war ein treuer Diener...«

Ludwig hatte sich gewundert, dass er den Fremden verstand, denn dieser benutzte die italienische Sprache, und die Laute, die dieser Kälte verbreitende Mann von sich gab, waren ebenso abstoßend wie faszinierend. Ihre morbide Melodie transportierte das, was sie bedeuteten, tief in Ludwigs Hirn und löste dort ein gespenstisches Bedürfnis nach devotem Gehorsam aus...

Die Hand des Landsknechts lag auf dem Schaft seines Schwertes. Aber er war nicht in der Lage, die Klinge zu ziehen.

»Wer – seid Ihr?«

»Sein Herr. Und nun bald der deine...«

Das Verhängnis – falls man es als solches bezeichnen konnte – war nicht aufzuhalten gewesen.

Der Mann war nicht aufzuhalten gewesen.

Er war über Ludwig gekommen. Das Edle seiner Züge war verschwommen wie eine Maske aus Wachs, die greller Hitze ausgesetzt wurde. Und darunter...

Ludwig erinnerte sich nicht mehr an den Schmerz, als der Vampir die Zähne in seine Halsschlagader gestoßen hatte. Aber er wusste noch genau, wie das Sterben gewesen war.

SCHRECKLICH.

Anfangs, mit dem Verlust des Blutes und der lähmenden Schwäche, die sich in ihm ausgebreitet hatte, war das Bewusstsein des Landsknechts von trügerischer Wärme und einschläfernder Gleichgültigkeit betäubt worden.

Doch dann hatte sein Herz ausgesetzt – und der Tod hatte sein wahres Gesicht gezeigt. Hatte seine Klauen in Ludwigs Seele geschlagen und sie durch einen lichtlosen, von Dämonen bewohnten Tunnel fortzureißen versucht...

... bis etwas einen Gegensog geschaffen und das schwindende Ich des Deutschen zurückgeholt hatte.

Ludwig war erwacht, wo er zuvor gestorben war.

Und von da an hatte er sein Schattendasein geführt. Eingekerkert in einen toten Körper, als Diener eines Wesens, das sich Kraft und Jugend mit dem Blut seines Opfers erhalten hatte.

Fortan hatte auch Ludwig auf die Jagd nach diesem Elixier gehen müssen. Um den Verfall seines Leichnams aufzuhalten, der nun von finsterster Magie bewegt wurde, als steckte immer noch das ursprüngliche Leben darin. Aber dieses Leben war neu, war verdorben. Eine grausame Farce, in Gang gesetzt von etwas, was der Vampir in Ludwig gepflanzt hatte. Eine magische Signatur, ein Keim, der die schwindende Seele zurückgeholt, eingekerkert und domestiziert – zum blinden Gehorsam erzogen – hatte...

 

 

Durch die helle dunkle Nacht schlich sich der durstige Landsknecht zwischen den in Decken gehüllten Menschen hindurch. Nicht alle schliefen. Manch altes, gramgefurchtes Weib kauerte aufrecht in der Nacht, brütete allein vor sich hin oder streichelte den Kopf eines Kindes, der in seinen Schoss gebettet war. Nirgends brannte ein Licht.

Es war verboten.

Auch wer Ludwigs Schritte hörte, konnte den Verursacher nicht erkennen.

Höchstens erahnen.

Augen von Sterblichen waren nicht sehend in der Grabesschwärze...

»He, du! Komm her zu mir! Ich hatte lange keinen Kerl!«

Die Stimme, obwohl nur ein rauchiges Flüstern, elektrisierte den Untoten. Sein Kopf ruckte dorthin, woher zu ihm gesprochen worden war.

Die tür- und fensterlose Mauer eines Hauses türmte sich vor ihm in den Himmel. So hoch wie die anderen Fassaden, die das Geviert des Innenhofs bildeten.

Bis hierher drang der Lärm der Gräuel.

Geräusche, die abstumpften.

Besonders, wenn man tot war.

Ludwig entdeckte ein Tuch, das sich schräg von der Steinfassade weg zum Boden spannte und heftig flatterte – obwohl kein noch so schwacher Hauch die Luft bewegte.

Es sah aus, als hätte sich jemand ein schlichtes Zelt gebaut.

Von jenseits der Stoffwand war die Stimme erklungen, die jetzt erneut ertönte: »Was ist? Hast du Angst? Oder Sorge, ich könnte dir nicht gefallen?« Leises Kichern kam auf. Als es endete, prahlte die Stimme: »Ich wüsste keinen, der sich je beschwert hätte! Schlüpf zu mir unter das Tuch. Es ist magisch. Darunter werden deine geheimsten Wünsche wahr...«

Mein geheimster Wunsch, dachte Ludwig, wäre es, wieder zu sein, wie vor dem Tod in Trastevere. Wieder zu wissen, was für ein Glück ein verführerisches Weib wie du einem Manne schenken kann... außer seinem warmen Blute... 

»Wieso kannst du – mich sehen?« fragte er stockend. Langsam ging er auf die Wand zu.

»Sehen? Ich erkenne ein gestandenes Mannsbild an seinen Schritten. Du musst sehr stark sein – ich hoffe, in jeder Beziehung...«

»Was erwartest du von mir?«

Das Kichern wurde koketter. »Was erwartest du von mir

Ruhe, dachte Ludwig. Ein paar Stunden der Ruhe. Die Stimme in meinem toten Fleisch und Gedärm soll verstummen. Soll sich satt und zufrieden geben... Will mich irgendwo verkriechen. Bis zur nächsten Nacht. Zum nächsten Erwachen der unstillbaren Gier... 

Und das über Monate, Jahre, vielleicht – wie sein Herr es versprochen hatte – Jahrhunderte! Er würde immer dort sein, wo auch sein Meister war. Dies war das Los des Dieners. Und wenn der Krieg – dieser Krieg – zu Ende ging, würden sie zum nächsten weiterziehen. Oder hier den nächsten entfachen. Im Krieg fiel es nicht auf, wenn Menschen starben oder verschwanden.

Ludwig erreichte das wie eine Plane gespannte Tuch.

Einen Moment glaubte er, die Konturen einer Frau zu erkennen, die sich scherenschnittartig darauf abzeichneten, als hätte sie eine Kerze dahinter entzündet.

Doch da brannte kein Licht.

Nur in seinen Augen brannte es.

In seinen Eingeweiden.