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Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Copyright der Originalausgabe 2019:

Copyright der deutschen Ausgabe 2019:

Übersetzung: Matthias Schulz

ISBN 978-3-86470-662-2

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Postfach 1449 image 95305 Kulmbach

Für Ann, die mich jeden Tag inspiriert.

Technik ist weder gut noch böse; sie ist auch nicht neutral.

– Das Erste Kranzbergsche Gesetz

Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.

– Albert Einstein

Letztlich geht es der Technologiebranche darum, die Zukunft einzuläuten. Dabei verbindet sie allerdings technologischen Fortschritt mit gesellschaftlichem Fortschritt.

– Jenna Wortham

INHALT

Prolog

1Das seltsamste Meeting aller Zeiten

2Das Silicon Valley vor Facebook

3Move Fast and Break Things

4Foggs Kinder

5Mr. Harris und Mr. McNamee gehen nach Washington

6Der Kongress macht ernst

7Die Facebook-Methode

8Facebook stellt sich stur

9Der Meinungsforscher

10Cambridge Analytica verändert alles

11Tage der Abrechnung

12Erfolg?

13Die Zukunft der Gesellschaft

14Die Zukunft des Einzelnen

Epilog

Danksagung

Anhang 1: Memo an Zuck und Sheryl: Entwurf Gastbeitrag für Recode

Anhang 2: „Zum jetzigen Zeitpunkt in der Geschichte“, Rede von George Soros

Bibliografischer Essay

PROLOG

„Technologie ist ein nützlicher Diener, aber ein gefährlicher Herr“ – Christian Lous Lange

9. November 2016

„Die Russen haben mithilfe von Facebook die Wahlen gekippt!“

Das war am Tag nach den Präsidentschaftswahlen mein erstes Gesprächsthema. Ich unterhielt mich mit Dan Rose, der bei Facebook die Abteilung für Medienpartnerschaften leitete. Sollte Rose über das Ausmaß meiner Empörung verwundert gewesen sein, hat er es gut verbergen können. Aber treten wir noch einmal einen Schritt zurück. Ich bin seit vielen Jahren Technologieinvestor und Evangelist. Die Technologiebranche war mein Beruf und meine Leidenschaft gewesen, aber 2016 dachte ich darüber nach, das Investieren als Vollzeitbeschäftigung aufzugeben und mich zur Ruhe zu setzen. In Facebooks Frühphase habe ich den Gründer Mark Zuckerberg beraten – „Zuck“, wie ihn viele Kollegen und Freunde nennen – und war einer der ersten Investoren bei Facebook. Ein Jahrzehnt lang war ich ein wahrer Gläubiger gewesen. Selbst jetzt besitze ich weiterhin Facebook-Aktien. Was meine eng gesteckten Eigeninteressen anging, hatte ich keinen Anlass, den Facebook-Ast abzusägen, auf dem ich saß. Ich – ein Anti-Facebook-Aktivist? Das wäre mir niemals in den Sinn gekommen. Mir erging es eher so wie Jimmy Stewart in Fenster zum Hof: Er kümmert sich um seine Angelegenheiten, genießt den Ausblick aus seinem Wohnzimmerfenster, beobachtet, wie scheinbar gerade ein Verbrechen begangen wird, und steht dann vor der Frage: „Was soll ich jetzt tun?“ In meinem Fall war es so, dass ich praktisch einen Beruf daraus gemacht hatte, aus bruchstückhaften Informationen kluge Schlussfolgerungen abzuleiten, und Anfang 2016 beobachtete ich eines Tages erstmals Vorgänge bei Facebook, die mir nicht richtig erschienen. Ich begann, Nachforschungen anzustellen und stieß dabei auf eine Katastrophe. Anfangs war Facebook bei dieser Sache für mich das Opfer und ich wollte bloß meine Freunde warnen, doch was ich in den folgenden Monaten herausfand, schockierte und enttäuschte mich. Wie ich erfahren musste, war das Vertrauen, das ich in Facebook gesetzt hatte, nicht gerechtfertigt gewesen.

In diesem Buch schildere ich, wie ich zu der Überzeugung gelangte, dass Facebook zwar dem Großteil seiner Nutzer eine faszinierende Erfahrung bietet, das soziale Netzwerk aber für Amerika dennoch furchtbar ist und daher geändert werden muss oder sich ändern sollte. Außerdem erkläre ich, was ich deswegen unternommen habe. Ich hoffe, die Geschichte, wie ich zu meiner neuen Haltung gefunden habe, hilft anderen zu erkennen, mit was für einer Bedrohung wir es zu tun haben. Parallel dazu erläutere ich, mithilfe welcher Technologien Internetplattformen wie Facebook die Aufmerksamkeit manipulieren. Ich werde darlegen, wie negative Elemente Facebook und andere Plattformen dazu nutzen, Unschuldigen Schaden zuzufügen oder sie sogar zu töten. Wie die Demokratie untergraben wurde durch Designentscheidungen und wirtschaftliche Beschlüsse der Internetfirmen, die jegliche Verantwortung für die Folgen ihres Handelns ablehnen. Wie die Kultur dieser Unternehmen Mitarbeiter dazu verleitet, gleichgültig über die negativen Nebenwirkungen ihres Erfolgs hinwegzusehen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es nichts, was dieser Entwicklung einen Riegel vorschieben könnte.

Bei dieser Geschichte geht es um Vertrauen. Technologieplattformen wie Facebook und Google sind die Nutznießer des Vertrauens und des guten Willens, den frühere Generationen von Technologiefirmen über 50 Jahre hinweg angesammelt haben. Sie haben unser Vertrauen ausgenutzt und mithilfe ausgeklügelter Technologie die Schwächen der menschlichen Psyche manipuliert, damit sie persönliche Informationen sammeln, mit diesen Daten arbeiten und damit sie Geschäftsmodelle entwickeln konnten, die ihre Nutzer nicht vor Schaden bewahren. Die Nutzer müssen lernen, den Produkten, die sie lieben, mit Skepsis entgegenzutreten, sie müssen ihr Onlineverhalten ändern und sie müssen darauf beharren, dass die Plattformen für die Folgen ihrer Entscheidungen einstehen. Und sie müssen die politischen Entscheider dazu drängen, zum Schutz des öffentlichen Interesses die Plattformen zu regulieren.

Bei dieser Geschichte geht es um Privilegien. Sie zeigt, dass hypererfolgreiche Personen so sehr auf ihre eigenen Ziele fokussiert sein können, dass sie darüber vergessen, dass auch andere Menschen Rechte und Privilegien haben. Welche Erklärung gibt es sonst dafür, dass ansonsten so brillante Menschen die Tatsache aus den Augen verlieren, dass ihre Nutzer das Recht auf eigenständige Entscheidungen besitzen? Dass Erfolg zu einer derartigen Vermessenheit führt, dass man sich sogar gegen konstruktives Feedback der eigenen Freunde sperrt und komplett immun gegen Kritik ist. Dass einige der am härtesten arbeitenden und produktivsten Menschen auf diesem Planeten so blind sein können, wenn es um die Folgen ihrer Handlungen geht, dass sie zum Schutz ihrer Privilegien bereit sind, die Demokratie zu gefährden.

Bei dieser Geschichte geht es auch um Macht. Sie zeigt, wie etwas furchtbar schiefgehen kann, obwohl es sich um die besten Ideen in den Händen von Menschen mit guten Absichten handelt. Stellen Sie sich eine Gemengelage aus unreguliertem Kapitalismus, süchtig machender Technologie und autoritären Werten vor, gepaart mit der Unerbittlichkeit und dem Größenwahn des Silicon Valleys. Und dieses Gemisch wird auf Milliarden Nutzer losgelassen, die nichts Böses ahnen. Ich glaube, der Tag wird kommen – und zwar früher, als ich es vor gerade einmal zwei Jahren geahnt hätte –, an dem die Welt erkennt, welchen Wert die Nutzer von der von Facebook dominierten Soziale-Medien-und-Aufmerksamkeits-Wirtschaft haben … dass dahinter nämlich eine absolute Katastrophe für unsere Demokratie lauert, für die öffentliche Gesundheit, für die Privatsphäre und für die Wirtschaft. So weit hätte es nicht kommen müssen. Jetzt wird eine umfassende Anstrengung erforderlich sein, um die Dinge wieder ins Lot zu bekommen.

Wenn die Historiker ihre Betrachtungen zu diesem Abschnitt der Geschichte abschließen, werden sie Facebook vermutlich einige schlechte Entscheidungen nachsehen, die Zuck, Sheryl Sandberg und ihr gemeinsames Team während der Wachstumsphase des Unternehmens getroffen haben. Mir jedenfalls ergeht es so. Fehler zu begehen gehört zum Leben dazu und es ist eine unfassbar große Herausforderung, ein Start-up-Unternehmen in ein globales Schwergewicht zu verwandeln. Wo ich Facebook einen Vorwurf mache – und wo ich glaube, dass es auch die Geschichte tun wird –, ist bei der Art und Weise, wie das Unternehmen mit Kritik und Beweisen umging. Die Facebook-Leute hätten in ihrer eigenen Geschichte zu Helden werden können, indem sie Verantwortung für ihre Entscheidungen und für die katastrophalen Folgen dieser Entscheidungen übernehmen. Doch Zuck und Sheryl entschieden sich für einen anderen Weg.

Diese Geschichte ist noch immer in vollem Gang. Ich habe dieses Buch als Warnung geschrieben. Ich möchte die Leserschaft auf eine Krise hinweisen, ich möchte ihr begreifen helfen, wie und warum es zu dieser Krise kam, und ich möchte einen Lösungsvorschlag für diese Krise unterbreiten. Wenn ich mit diesem Buch nur eine einzige Sache erreiche, dann hoffentlich die, dass Sie erkennen, wie Sie zur Lösung beitragen können. Ich hoffe, Sie alle werden diese Möglichkeit beim Schopfe packen.

Möglicherweise liegt der Höhepunkt dessen, was Facebook und die anderen Internetplattformen an Schäden anrichten, bereits hinter uns, aber ich würde darauf kein Geld verwetten. Am wahrscheinlichsten ist es, dass das Technologiemodell und das Geschäftsmodell von Facebook und anderen auch weiterhin die Demokratie untergraben, die öffentliche Gesundheit, die Privatsphäre und die Innovation, und zwar so lange, bis eine Gegenbewegung einen Wandel erzwingt, sei es durch die Intervention der Regierung oder durch den Protest der Nutzer.

ZEHN TAGE VOR DER Wahl im November 2016 wandte ich mich formell an Mark Zuckerberg und Facebooks Chief Operating Officer Sheryl Sandberg, zwei Menschen, die ich als Freunde erachtete. Ich wandte mich an sie, um meine Sorge mit ihnen zu teilen, dass negative Elemente die Architektur und das Geschäftsmodell von Facebook dafür nutzen, Unschuldigen Schaden zuzufügen, und dass das Unternehmen sein Potenzial, Gutes für die Gesellschaft zu bewirken, nicht ausschöpft. In einem zweiseitigen Memo führte ich Fälle auf, in denen jemand zu Schaden gekommen war. Keiner der Fälle war von Facebook-Mitarbeitern begangen worden, aber sie alle wurden durch die Algorithmen, das Werbemodell, die Automatisierung, die Kultur und das Wertesystem des Unternehmens begünstigt. Weiter führte ich Beispiele dafür an, wie Kultur und Prioritäten des Unternehmens Mitarbeitern und Nutzern Schaden zugefügt hatten. Sie können dieses Memo im Anhang nachlesen.

Zuck hatte Facebook erschaffen, um die Welt zusammenzubringen. Eines wusste ich nicht, als ich ihn kennenlernte, sollte es aber im Laufe der Zeit herausfinden: Sein Idealismus wurde nicht durch Begriffe wie Realismus oder Empathie eingeschränkt. Er scheint angenommen zu haben, dass jeder Facebook so sehen und nutzen würde wie er, und er konnte sich nicht vorstellen, wie leicht die Plattform ausgenutzt werden konnte, um Schaden anzurichten. Er glaubte nicht an Datenschutz und tat alles in seiner Macht Stehende, um die Offenlegung und das Teilen von Daten zu maximieren. Er führte das Unternehmen, als ob sich jedes Problem durch noch mehr oder noch besseren Softwarecode lösen ließe. Er war für umfassende Überwachung, das uneingeschränkte Teilen privater Daten und für Verhaltensanpassung zum Erreichen beispielloser Größe und beispiellosen Einflusses. Überwachung, das Teilen von Nutzerdaten und Verhaltensanpassung sind die Grundsteine des Erfolgs von Facebook. Nutzer sind Treibstoff für Facebooks Wachstum und in einigen Fällen die Opfer.

Als ich Zuck und Sheryl kontaktierte, hatte ich nichts außer einer Theorie, wonach negative Elemente Facebook nutzten, um Schaden zu verursachen. Die von mir beobachteten Beispiele sprachen aus meiner Sicht für Schwachstellen im Design der Plattform und der Unternehmenskultur. Die Gefahr für die Präsidentschaftswahlen habe ich nicht betont, denn damals hätte ich mir nicht vorstellen können, dass ein Missbrauch Facebooks Einfluss auf das Ergebnis haben würde, außerdem wollte ich nicht, dass das Unternehmen, wenn Hillary Clinton wie allgemein erwartet gewonnen hatte, meine Sorgen einfach abtun konnte. Facebook müsse die Fehler aus der Welt schaffen, ansonsten gefährde das Unternehmen seine Marke und laufe Gefahr, das Vertrauen der Nutzer zu verlieren, warnte ich. Direkt hatte Facebook hatte keine Schäden verursacht, aber es wurde als Waffe missbraucht und die Nutzer hatten das Recht, vom Unternehmen zu erwarten, dass es sie schützt.

Das Memo war der Entwurf eines Kommentars, den ich auf Einladung des Technologieblogs Recode geschrieben hatte. Im Verlauf des Jahres 2016 hatte meine Besorgnis zugenommen, ihren Höhepunkt erreichte sie mit der Meldung, die Russen würden versuchen, sich in die Präsidentschaftswahlen einzumischen. Was ich gesehen hatte, beunruhigte mich mehr und mehr, und das schlug sich auch im Tonfall der Kolumne nieder. Meine Frau Ann gab mir den guten Ratschlag, vor der Veröffentlichung des Artikels Zuck und Sheryl noch einmal drüberschauen zu lassen. In der Frühzeit von Facebook hatte ich zu Zucks großer Beraterschar gehört und ich hatte dazu beigetragen, dass Sheryl als Chief Operating Officer zum Unternehmen kam. Seit 2009 hatte ich nichts mehr direkt mit dem Unternehmen zu tun, war aber noch immer ein großer Fan. Das Wenige, das ich zum Erfolg eines der größten Silicon-Valley-Unternehmens aller Zeiten beigetragen habe, war eines der absoluten Highlights meiner 34-jährigen Karriere. Mittels eines Gastkommentars zu kommunizieren, könne eine unerwünschte Reaktion der Presse nach sich ziehen, sagte Ann, und das würde es Facebook erschweren, meine Bedenken zu akzeptieren. Mir ging es nicht darum, jemanden bloßzustellen, ich wollte die Probleme bei Facebook aus der Welt schaffen. Dass Zuck und Sheryl vorsätzlich irgendetwas falsch gemacht haben könnten, konnte ich mir nicht vorstellen. Es war vermutlich eher so, dass gut gemeinte Strategien zu unbeabsichtigten Folgen geführt hatten. Während der vergangenen sieben Jahre hatte ich bis auf eine Handvoll E-Mail-Konversationen keinen Kontakt zu Zuck gehabt, mich aber gelegentlich mit Sheryl ausgetauscht. Früher einmal war ich ihnen sehr von Nutzen gewesen, insofern war es nicht absurd zu erwarten, dass sie meine Bedenken ernst nehmen würden. Mein Ziel bestand darin, Zuck und Sheryl dazu zu bewegen, der Sache auf den Grund zu gehen und angemessen zu reagieren. Die Veröffentlichung meines Kommentars konnte gut und gerne noch ein paar Tage warten.

Zuck und Sheryl reagierten beide innerhalb weniger Stunden auf meine E-Mail. Ihre Antworten waren höflich, aber wenig ermutigend. Bei den von mir angesprochenen Problemen handele es sich um Anomalien, mit denen sich das Unternehmen bereits befasst habe, schrieben sie und boten mir an, mich in Kontakt mit einem ranghohen Manager zu bringen, damit wir weiter über das Thema sprechen könnten. Als Ansprechpartner wählten sie Dan Rose aus, der zum inneren Kreis gehörte und mit dem ich befreundet war. Mit Dan habe ich vor der Wahl mindestens zwei Mal gesprochen. Jedes Mal hörte er mir geduldig zu und wiederholte, was Zuck und Sheryl gesagt hatten, ergänzt um einen wichtigen Zusatz: Er unterstrich, dass es sich bei Facebook rein technisch betrachtet um eine Plattform handele, nicht um ein Medienunternehmen, insofern sei man für das Handeln Dritter also nicht verantwortlich. Bei ihm klang es, als würde das ausreichen, das Thema abzuschließen.

Dan Rose ist ein sehr cleverer Mann, aber er ist bei Facebook nicht für die Politik zuständig. Das ist Zucks Aufgabe. Dans Aufgabe ist es, Zucks Anweisungen umzusetzen. Es wäre besser gewesen, mit Zuck zu sprechen, aber das stand nicht zur Debatte, also nahm ich, was ich kriegen konnte. Natürlich wollte Facebook nicht, dass ich mit meinen Bedenken an die Öffentlichkeit ging, und ich dachte, indem ich die Gespräche in einem privaten Rahmen führe, würde ich viel eher mein Ziel erreichen und sie davon überzeugen können, den Themen, die mir Sorge bereiteten, nachzugehen. Als ich am Tag nach der Wahl mit Dan sprach, war es ganz offensichtlich, dass er meiner Perspektive nicht wirklich objektiv gegenüberstand. Er schien das ganze Thema vielmehr als ein PR-Problem anzugehen. Seine Aufgabe war es, mich zu beruhigen und meine Bedenken zu zerstreuen. Das gelang ihm nicht, allerdings konnte er einen Erfolg für sich verbuchen – ich habe den Kommentar niemals veröffentlicht. In meiner optimistischen Art setzte ich darauf, dass ich nur weiterhin private Gespräche würde führen müssen, dann würde Facebook das Thema früher oder später schon ernst nehmen.

Ich rief Dan weiterhin an und schickte ihm noch weitere E-Mails, weil ich hoffte, Facebook dazu zu bewegen, eine interne Untersuchung in die Wege zu leiten. Damals verfügte Facebook über 1,7 Milliarden aktive Nutzer. Der Erfolg des Unternehmens hing vom Vertrauen seiner Nutzer ab. Sollten die Nutzer der Meinung sein, Facebook sei für die von Dritten verursachten Schäden verantwortlich, dann würde die Marke Schaden nehmen, da würde dem Unternehmen auch kein Verweis auf juristische Aspekte helfen. Das Unternehmen setzte alles auf Spiel. Ich sagte, Facebook habe noch Handlungsspielraum. Man könne es wie Johnson & Johnson machen. Als 1982 in Chicago jemand vergiftete Tylenol-Tabletten in Umlauf brachte, rief das Unternehmen sofort sämtliche Tylenol-Packungen aus jedem Geschäft im Land zurück und brachte das Schmerzmittel erst wieder auf den Markt, als die Verpackung nicht mehr unbemerkt manipuliert werden konnte. Der Konzerngewinn litt kurzfristig, aber dafür stieg das Vertrauen der Verbraucher immens an. Es war nicht Johnson & Johnson gewesen, das Gift in die Verpackungen geschmuggelt hatte, insofern hätte das Unternehmen das Problem auch als die Tat eines Verrückten abtun können. Stattdessen übernahm es die Verantwortung für den Schutz seiner Kunden und entschied sich für den Weg, der das größtmögliche Maß an Sicherheit bot. Facebook würde eine mögliche Katastrophe in einen Sieg umwandeln können, indem es dieselbe Strategie verfolgte, daran glaubte ich.

Damals stand ich vor einem Problem: Ich hatte keine Daten, mit denen ich meinen Standpunkt unterfüttern konnte. Was ich hatte, war ein ganz besonders feines Gespür, das ich während einer langen Laufbahn als professioneller Investor im IT-Sektor trainiert hatte.

Erstmals ernsthaft besorgt wegen Facebook war ich im Februar 2016 geworden. Damals waren gerade die Vorwahlen im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf im Gange und als Politik-Junkie las ich jeden Tag ein paar Stunden lang die Nachrichten und verbrachte außerdem nicht wenig Zeit auf Facebook. Dabei fiel mir auf, dass meine Freunde auf Facebook deutlich mehr beunruhigende Bilder teilten, die aus Facebook-Gruppen kamen, die scheinbar hinter Bernie Sanders standen. Bei den Bildern handelte es sich um zutiefst frauenfeindliche Darstellungen Hillary Clintons und ich konnte mir um nichts in der Welt vorstellen, dass Bernies Wahlkampfteam derartige Bilder durchgehen lassen würde. Noch beunruhigender war, dass sich diese Bilder viral verbreiteten. Viele meiner Freunde teilten sie. Und jeden Tag kamen neue Bilder dazu.

Ich weiß sehr viel darüber, wie sich Nachrichten auf Facebook ausbreiten. Zum einen bin ich in meinem zweiten Leben Musiker in einer Band namens Moonalice und habe lange die bei den Fans sehr beliebte Facebook-Seite der Band betreut. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Bilder von diesen Seiten aus dem Sanders-Umfeld ausbreiteten, erschien mir unnatürlich. Wie fanden diese Seiten meine Freunde? Wie fanden meine Freunde diese Seiten? Auf Facebook entstehen nicht über Nacht ausgewachsene Gruppen. Ich stellte die These auf, dass jemand Geld in die Hand nahm und Werbung betrieb, um die Menschen, die ich kannte, dazu zu bringen, den Facebook-Gruppen beizutreten, die diese Bilder weiterverbreiteten. Wer würde so etwas tun? Ich wusste es nicht. Die Flut unangemessener Bilder setzte sich fort und das Thema nagte weiter an mir.

Weitere beunruhigende Phänomene weckten mein Interesse. Im März 2016 zum Beispiel sah ich in den Nachrichten einen Bericht über eine Gruppe, die mithilfe eines Programmiertools auf Facebook Daten über Nutzer sammelte, die ein Interesse an Black Lives Matter zeigten. Diese Daten wurden dann an Polizeibehörden verkauft, was mir als absolut falsch vorkam. Facebook verbannte die Gruppe, aber zu diesem Zeitpunkt war bereits irreparabler Schaden angerichtet. Auch hier hatten negative Elemente Facebooks Möglichkeiten dazu genutzt, Unschuldigen Schaden zuzufügen.

Im Juni 2016 stimmte das Vereinigte Königreich dafür, die Europäische Union zu verlassen. Das Ergebnis der Brexit-Abstimmung war ein riesiger Schock. Den Meinungsforschern zufolge hätte das „Remain“-Lager mit ungefähr vier Punkten Vorsprung gewinnen sollen, aber es trat genau das Gegenteil ein. Niemand konnte erklären, woher dieser gewaltige Umschwung kam. Mir kam eine mögliche Erklärung in den Sinn: Was, wenn das „Leave“-Lager von Facebooks Architektur profitiert hatte? Das „Remain“-Lager galt als ausgemachter Sieger, weil Großbritannien eine hübsche Abmachung mit der Europäischen Union getroffen hatte: Die Briten genossen alle Annehmlichkeiten der Mitgliedschaft, bewahrten sich aber ihre eigene Währung. London war die unangefochtene Finanzhauptstadt Europas und die britischen Bürger konnten die offenen Grenzen des Kontinents uneingeschränkt zum Handeln und Reisen nutzen. „Weiter wie bisher“ war die Botschaft des „Remain“-Lagers und die wirtschaftlichen Überlegungen dahinter waren durchdacht, aber emotionsarm. Die „Leave“-Befürworter dagegen setzten auf zwei intensive emotionale Appelle: Der ethnische Nationalismus wurde angesprochen, indem man den Zuwanderern die Schuld an den Problemen des Landes gab, echten wie auch eingebildeten. Außerdem wurde versprochen, dass ein Brexit gewaltige Einsparungen bringen würde – Geld, das dazu dienen würde, den Nationalen Gesundheitsdienst zu verbessern. Diese Idee erlaubte es den Wählern, einem ansonsten eindeutig fremdenfeindlichen Vorschlag einen Hauch von Selbstlosigkeit abzugewinnen.

Das verblüffende Ergebnis der Brexit-Abstimmung war Ursprung einer Hypothese: Bei Wahlen war Facebook für die Kampagnen, die auf Furcht oder Wut setzten, möglicherweise im Vorteil gegenüber solchen, die mit neutralen oder positiven Emotionen arbeiteten. Der Grund dafür ist der, dass Facebooks Anzeigengeschäft auf Nutzeraktivität basiert und die lässt sich am besten ankurbeln, indem man an unsere niedrigsten Emotionen appelliert. Was ich damals nicht wusste: Freude funktioniert zwar auch – deshalb sind Videos von Welpen und Katzenbabys und Babybilder auch so beliebt –, aber nicht alle Menschen reagieren auf fröhliche Inhalte gleich. So werden manche Menschen eifersüchtig. Bei Emotionen des „Reptilienhirns“, Gefühlen wie Furcht und Wut, sind die Reaktionen der Menschen einheitlicher und verbreiten sich bei einem Massenpublikum viraler. Aufgebrachte Nutzer konsumieren und teilen mehr Inhalte. Leidenschaftslose Nutzer dagegen sind von vergleichsweise geringem Nutzen für Facebook, das alles in seiner Macht Stehende tut, um das Reptilienhirn zu aktivieren. Facebook hat per Überwachung für jeden Nutzer ein riesiges Profil angelegt und liefert jedem Nutzer seine eigene Truman Show, wie in dem Spielfilm mit Jim Carrey über eine Person, die ihr gesamtes Leben als Hauptrolle ihrer eigenen Fernsehsendung verbringt.

Facebook beginnt damit, den Nutzern das zu geben, „was sie wollen“, aber die Algorithmen sind darauf ausgelegt, die Aufmerksamkeit der Nutzer dorthin zu lenken, wo Facebook sie haben möchte. Die Algorithmen wählen Beiträge aus, die auf der emotionalen Klaviatur spielen sollen, denn wenn man Nutzern Angst macht oder sie aufstachelt, verbringen sie mehr Zeit auf der Webseite. Passen Nutzer auf, nennt Facebook das Beteiligung, aber das Ziel ist eine Verhaltensänderung, die Anzeigen wertvoller macht. Ich wünschte, ich hätte das 2016 begriffen. Während ich dies schreibe, ist Facebook das viertwertvollste Unternehmen in Amerika, obwohl es gerade einmal 15 Jahre alt ist. Sein Wert hat seine Ursache in dem meisterhaften Umgang mit Überwachung und verhaltensbedingten Veränderungen.

Haben wir es zum ersten Mal mit neuer Technologie zu tun, dann überrascht sie uns und verblüfft uns wie ein Zaubertrick. Wir räumen ihr einen ganz speziellen Platz ein und behandeln sie wie das Produkt-Gegenstück zu einem Neugeborenen. Die erfolgreichsten technischen Produkte integrieren sich Schritt für Schritt in unser Leben und schon bald haben wir vergessen, wie das Leben davor gewesen ist. Fast alle von uns führen heutzutage diese Art von Beziehung mit Smartphones und mit Internetplattformen wie Facebook und Google. Ihr Nutzen liegt so deutlich auf der Hand, dass wir uns nicht vorstellen können, auf sie zu verzichten.

Nicht ganz so augenscheinlich sind die Wege, wie die technischen Produkte uns verändern. Seit der Erfindung des Telefons hat sich dieser Prozess Generation um Generation wiederholt, sei es durch das Radio, das Fernsehen oder den Computer. Positiv daran ist, dass die Technologie die Welt geöffnet hat und Zugang zu Wissen erlaubte, das in früheren Generationen unzugänglich war. Dank Technologie sind wir imstande, Erstaunliches zu erschaffen und zu tun.

Aber all diese Werte haben ihren Preis. Beginnend mit dem Fernsehen hat Technologie die Art und Weise verändert, wie wir mit der Gesellschaft umgehen. Passives Konsumieren von Inhalten und Ideen löste das bürgerschaftliche Engagement ab und digitale Kommunikation ersetzte das Gespräch. Auf subtile und hartnäckige Weise trug die Technologie dazu bei, aus Bürgern Verbraucher zu machen. Bürger zu sein ist etwas Aktives, Verbraucher zu sein etwas Passives. Eine Umwandlung, die 50 Jahre lang gemächlich vonstattengegangen war, nahm mit der Einführung von Internetplattformen dramatisch an Fahrt auf. Wir waren darauf eingestellt, den Nutzen zu genießen, aber wir waren nicht auf die dunkle Seite vorbereitet. Dasselbe lässt sich leider über die Anführer im Silicon Valley sagen, deren Innovationen die Transformation erst ermöglichten.

Wenn Sie – wie ich – ein Fan der Demokratie sind, dann sollte Ihnen das Angst machen. In den meisten demokratischen Staaten ist Facebook eine zentrale Nachrichtenquelle geworden. Facebook ist in erstaunlichem Ausmaß zum öffentlichen Raum geworden, in dem Länder Ideen teilen, sich Meinungen bilden und Themen außerhalb der Wahlurnen erörtern. Aber Facebook ist mehr als nur ein öffentliches Forum – es ist ein auf Gewinnmaximierung ausgerichtetes Unternehmen, das von einer einzigen Person kontrolliert wird. Es ist eine gewaltige künstliche Intelligenz, die jeden Aspekt der Nutzeraktivität beeinflusst, sei er politisch oder anders ausgerichtet. Selbst die allerkleinsten Entscheidungen Facebooks hallen wider im öffentlichen Raum, den das Unternehmen erschaffen hat, und sie haben Folgen für jeden, der mit Facebook in Kontakt kommt. Dass die Nutzer sich des Einflusses von Facebook nicht bewusst sind, verstärkt die Wirkung noch. Sollte Facebook aufrührerische Kampagnen begünstigen, leidet darunter die Demokratie.

Im August 2016 wurde eine Reihe verblüffender Enthüllungen öffentlich. Presseberichte bestätigten, dass es Russen gewesen seien, die sich in die Server des Democratic National Committee (DNC) und des Democratic Congressional Campaign Committee (DCCC) gehackt hatten. Die beim DNC gestohlenen E-Mails machte Wiki-Leaks publik und sie fügten dem Wahlkampf von Hillary Clinton beträchtlichen Schaden zu. Der DCCC-Vorsitzende bat die Republikaner, die gestohlenen Informationen nicht im Wahlkampf für den Kongress einzusetzen. Ich fragte mich, ob die Russen auch bei den Facebook-Themen, die mich so beunruhigt hatten, ihre Finger im Spiel hatten.

Kurz bevor ich mich hinsetzte und den Gastkommentar schrieb, enthüllte ProPublica, dass Immobilienbesitzer mithilfe von Facebooks Werbetools unter Verstoß gegen das Gesetz (Fair Housing Act) nach Rassekriterien diskriminieren konnten. Das Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung leitete eine Ermittlung ein, die später eingestellt und dann im April 2018 neu aufgenommen wurde. Auch hier ermöglichten es Facebooks Architektur und Geschäftsmodell negativen Elementen, Unschuldigen Schaden zuzufügen.

Es ging mir wie Jimmy Stewart in dem Film: Ich besaß nicht ausreichend Informationen oder Erkenntnisse, um alles zu begreifen, was ich gesehen hatte, also machte ich mich daran, mehr in Erfahrung zu bringen. Während ich das in den Tagen und Wochen nach der Wahl tat, legte Dan Rose mir gegenüber eine unglaubliche Geduld an den Tag. Er ermutigte mich, ihm weitere Beispiele für Fälle zu schicken, in denen jemand zu Schaden gekommen war, was ich auch tat. Nichts veränderte sich. Dan blieb unbeirrt. Im Februar 2017, also mehr als drei Monate nach der Wahl, gelangte ich schließlich zu der Überzeugung, Dan und seine Kollegen nicht überzeugen zu können. Ich musste einen anderen Ansatz wählen. Facebook blieb eine klare und allgegenwärtige Gefahr für die Demokratie. Exakt die Werkzeuge, die Facebook zu einer derart großartigen Plattform für Werbetreibende machte, ließen sich dazu nutzen, Schaden anzurichten. Mit jedem Tag wurde Facebook mächtiger und mächtiger. Seine künstliche Intelligenz brachte jeden Tag mehr und mehr über jeden einzelnen Nutzer in Erfahrung und die Algorithmen wurden immer besser darin, die emotionalen Knöpfe der Nutzer zu drücken. Auch die Werkzeuge für Werbetreibende wurden ständig besser. Sollte Facebook in die falschen Hände gelangen, wäre es eine immer mächtiger werdende Waffe … und die nächsten Wahlen in den USA, die Zwischenwahlen von 2018, rückten rasch näher.

Doch von den Personen an den Schalthebeln der Macht schien niemand die Bedrohung zu realisieren. Zu Beginn des Jahres 2017 wurden umfangreiche Kontakte zwischen offiziellen Vertretern des Wahlkampflagers von Donald Trump und Personen aus dem Umfeld der russischen Regierung publik. Es tauchten Details auf zu einem Treffen vom Juni 2016 im Trump Tower, wo sich Mitglieder aus dem inneren Kreis des Wahlkampflagers mit Personen trafen, denen Verbindungen zu russischen Geheimdiensten nachgesagt werden. Der Geheimdienstausschuss des amerikanischen Kongresses rief Untersuchungen ins Leben, die sich mit diesem Treffen befassten.

Und trotzdem gab es von offizieller Seite keinerlei Bedenken, was die Rolle anbelangte, die die sozialen Medien und insbesondere Facebook bei der Wahl von 2016 gespielt hatten. Jeder Tag ohne Ermittlungen erhöhte die Wahrscheinlichkeit, dass die Einmischung weiterhin Bestand haben würde. Wenn niemand rasch handelte, liefen unsere demokratischen Prozesse Gefahr, von externen Kräften überwältigt zu werden. Die Zwischenwahlen 2018 würden vermutlich zur Zielscheibe von Einmischung werden, möglicherweise stärker noch, als es 2016 zu beobachten gewesen war. Unsere Verfassung hatte viele mögliche Probleme vorweggenommen, aber nicht die Möglichkeit, dass sich eine fremde Macht in unsere Wahlen einmischt und dieses Handeln folgenlos bleibt. Ich konnte mich nicht einfach zurücklehnen und die Hände in den Schoß legen. Ich benötigte Hilfe und ich benötigte einen Plan. Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge.

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DAS SELTSAMSTE MEETING ALLER ZEITEN

Neue Technologie ist für sich genommen weder gut noch böse. Es geht einzig darum, wie sich die Menschen entscheiden, sie einzusetzen. – David Wong

Vielleicht sollte ich zunächst einmal erläutern, wie sich meine Wege mit denen von Facebook überhaupt kreuzten. 2006 erhielt ich eine E-Mail von Chris Kelly, Facebooks Chief Privacy Officer: Sein Boss leide an einer existenziellen Krise und brauche den Rat einer unvoreingenommenen Person. Ob ich wohl bereit wäre, mich mit Mark Zuckerberg zu treffen?

Facebook war damals zwei Jahre alt, Zuck 22 und ich 50. Die Plattform war beschränkt auf Collegestudenten, auf Absolventen mit einer Ehemaligenadresse und auf Highschool-Schüler. News Feed, das zentrale Element der Facebook-Nutzererfahrung, stand noch nicht zur Verfügung. Das Unternehmen hatte im Vorjahr gerade einmal 9 Millionen Dollar Umsatz erzielt, doch schon damals war abzusehen, dass Facebook gewaltiges Potenzial besaß, also nutzte ich sehr gerne die Gelegenheit, den Firmengründer kennenzulernen.

Zuck tauchte in meinem Büro bei Elevation Partners auf der Sand Hill Road im kalifornischen Menlo Park auf. Er war leger gekleidet und hatte eine Kuriertasche über die Schulter geschlungen. Bono, der Sänger von U2, und ich hatten Elevation 2004 gegründet, und zwar gemeinsam mit dem ehemaligen Apple-Finanzvorstand Fred Anderson, dem ehemaligen Electronic-Arts-President John Riccitiello und den beiden professionellen Investoren Bret Pearlman und Marc Bodnick. Einen unserer Konferenzräume hatten wir in ein Wohnzimmer inklusive großer Videospielanlage verwandelt und dort traf ich mich mit Zuck. Wir schlossen die Tür und ließen uns knapp einen Meter voneinander entfernt auf bequemen Stühlen nieder. Sonst war niemand im Raum.

Es war unser erstes Treffen, deshalb wollte ich etwas sagen, bevor mir Zuck von seiner Existenzkrise erzählte:

„Mark, falls es noch nicht geschehen ist – entweder wird Microsoft eine Milliarde Dollar für Facebook bieten oder Yahoo. Deine Eltern, dein Board of Directors, dein Managementteam und deine Mitarbeiter werden dir dazu raten, das Angebot anzunehmen. Sie werden dir sagen, dass du mit deinem Anteil der Erlöse – 650 Millionen Dollar – die Welt wirst verändern können. Dein Leadinvestor wird dir versprechen, dich bei deinem nächsten Unternehmen zu unterstützen, damit du es noch einmal machen kannst.“

„Es ist dein Unternehmen, aber ich finde, du solltest nicht verkaufen. Ein großes Unternehmen wird Facebook kaputtmachen. Meiner Meinung nach baust du das wichtigste Unternehmen seit Google auf und es wird nicht lange dauern und du bist größer, als Google es heute ist. Du hast zwei gewaltige Vorteile gegenüber früheren sozialen Medien: Du bestehst auf Klarnamen und du gibst den Verbrauchern die Kontrolle über die Einstellungen zu ihrer Privatsphäre.“

„Letztlich wird Facebook aus meiner Sicht viel wertvoller für Eltern und Großeltern sein als für College-Studenten und Leute, die gerade ihren Abschluss gemacht haben. Menschen, die nicht viel Zeit haben, werden Facebook lieben, vor allem dann, wenn Familien die Möglichkeit bekommen, Fotos von Kindern und Enkelkindern zu teilen.“

„Dein Board of Directors, das Managementteam und die Belegschaft haben sich alle deiner Vision verschrieben. Sofern du immer noch an deine Vision glaubst, musst du dafür sorgen, dass Facebook unabhängig bleibt. Alle werden irgendwann froh sein, dass du es getan hast.“

Diese kleine Ansprache dauerte ungefähr zwei Minuten. Was folgte, war die längste Pause, die ich bei einem Treffen zwischen zwei Personen jemals erlebt habe. Es waren vielleicht vier oder fünf Minuten, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Zuck war völlig gedankenverloren und stellte Rodins Denker in verschiedenen Posen nach. Etwas Ähnliches habe ich zuvor oder danach nie wieder gesehen. Es war schmerzhaft. Ich merkte, wie sich meine Finger gegen meinen Willen in die Lehne meines Stuhls gruben, die Knöchel weiß anliefen und die Spannung auf einen Siedepunkt zusteuerte. Nach drei Minuten war ich kurz davor zu schreien. Zuck war das völlig egal. Ich stellte mir Sprechblasen über seinem Kopf vor, durch die im Eiltempo Text scrollte. Wie lange sollte das so weitergehen? Offensichtlich wog er ab, ob er mich für vertrauenswürdig hielt. Wie lange würde das dauern? Wie lange würde ich noch sitzenbleiben können?

Schließlich entspannte sich Zuck und schaute mich an. Er sagte: „Das wirst du nicht glauben.“

„Lass hören“, erwiderte ich.

„Eines von den zwei Unternehmen, die du erwähnt hast, will Facebook für 1 Milliarde Dollar kaufen. So ziemlich alle haben genauso reagiert, wie du es vorausgesagt hast. Sie finden, ich sollte das Angebot annehmen. Woher wusstest du das?“

„Das wusste ich nicht, aber nach 24 Jahren weiß ich, wie das Silicon Valley tickt. Ich kenne deinen Leadinvestor. Ich kenne Yahoo und Microsoft. So laufen die Dinge hier.“

„Willst du denn verkaufen?“, fragte ich ihn und er erwiderte: „Ich möchte nicht alle enttäuschen.“

„Das kann ich verstehen, aber das ist hier nicht das Thema. Alle haben unterschrieben, weil sie an deine Vision für Facebook glauben. Wenn du an deine Vision glaubst, muss Facebook unabhängig bleiben. Yahoo und Microsoft werden das Ding an die Wand fahren. Nicht mit Absicht, aber genau das wird geschehen. Was willst du?“

„Ich will unabhängig bleiben.“

Ich bat Zuck, mir die Regeln zu erläutern, nach denen die Facebook-Aktionäre abstimmten. Wie sich herausstellte, besaß er eine „goldene Aktie“, was bedeutete, das Unternehmen würde immer das tun, was er beschloss. Es dauerte nur einige Minuten, das herauszubekommen. Das gesamte Treffen dauerte höchstens eine halbe Stunde. Zuck verließ mein Büro und teilte Yahoo kurz darauf mit, dass Facebook nicht zum Verkauf stehe. Es sollte noch weitere Angebote für Facebook geben – unter anderem ein weiteres von Yahoo –, aber auch die lehnte er ab.

Das war der Auftakt eines Mentorats, das drei Jahre währen sollte. Bei einer Erfolgsgeschichte mit mindestens tausend Vätern spielte ich eine winzige Rolle, hatte aber bei zwei Gelegenheiten, die für den frühen Erfolg von Facebook wichtig waren, etwas beizusteuern – beim Yahoo-Deal und bei der Entscheidung für Sheryl. Zuck hatte auch andere Mentoren, aber wenn er das Gefühl hatte, ich könne etwas beisteuern, rief er mich an. Das geschah so häufig, dass ich einige Jahre lang regelmäßig den Facebook-Firmensitz besuchte. Unsere Beziehung war rein geschäftlicher Natur. Zuck war schon in frühen Jahren unglaublich talentiert und er nutzte mich sehr effektiv. Es begann, als Facebook ein kleines Start-up-Unternehmen mit großen Plänen und unbegrenzter Energie war. Zuck hatte eine idealistische Vision davon, die Menschen in Kontakt miteinander zu bringen und sie zu verbinden. Die Vision inspirierte mich, aber das Magische daran war Zuck selbst. Der offenkundig geniale Zuck verfügte über eine Reihe Charaktereigenschaften, die ihn vom typischen Silicon-Valley-Unternehmer unterschieden – den Willen zu lernen, die Bereitschaft zuzuhören und vor allem eine stille Zuversicht. Viele Technologie-Gründer stiefeln sehr breitbeinig durchs Leben, aber die besten – und dazu zählen die Gründer von Google und Amazon – sind reserviert, nachdenklich, ernst. Auf mich wirkte Facebook wie das „Next Big Thing“, das die Welt durch Technologie zu einem besseren Ort machen würde. Ich sah einen Weg voraus, der ungehindert zu 100 Millionen Nutzern führen würde, was einem gewaltigen Erfolg gleichkäme. Dass dieser Erfolg nicht nur Glück mit sich bringen könnte, kam mir niemals in den Sinn.

Zum damaligen Zeitpunkt war ich ausschließlich emotional involviert. Ich war seit über 20 Jahren ein Insider im Silicon Valley, meine Fingerabdrücke fanden sich auf Dutzenden großer Unternehmen und ich hoffte, Facebook werde eines Tages dazugehören. Für mich war das ein absoluter Selbstgänger. Mir war damals nicht klar, dass die Technologie des Silicon Valleys in unerschlossene Regionen vorgedrungen war und dass ich nicht länger als gegeben hinnehmen konnte, dass diese Technologie die Welt stets in einen besseren Ort verwandeln würde. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Zuck ähnlich unterwegs war. Damals jedenfalls hegte ich keinerlei Zweifel an Zucks Idealismus.

Das Silicon Valley hatte seinen Anteil übler Zeitgenossen erlebt, aber die Grenzen der Technologie hatten im Großen und Ganzen verhindert, dass es zu weitreichenden Schäden kam. Facebook entstand zu einer Zeit, als es das erste Mal möglich war, Technologiekonzerne zu erschaffen, die so mächtig waren, dass sich kein Land ihrem Einfluss entziehen konnte. Keinem, den ich kannte, kam je in den Sinn, dass der Erfolg auch eine Schattenseite haben würde. Von Anfang an war Facebook ein Unternehmen von Menschen mit guten Absichten. Während der Jahre, in denen ich die Truppe bei Facebook am besten kannte, konzentrierten sich die Leute darauf, das größtmögliche Publikum anzulocken, nicht darauf, möglichst viel Geld zu verdienen. Persuasive Technologie und Manipulation waren kein Thema. Es drehte sich alles um Babys und Welpen und darum, mit Freunden etwas zu teilen.

Wann Facebook das erste Mal persuasive Technologien einsetzte, kann ich nicht genau sagen, aber ich kann mir vorstellen, dass die Entscheidung nicht kontrovers diskutiert wurde, schließlich arbeiteten Werbetreibende und Medienunternehmen seit Jahrzehnten mit ähnlichen Techniken. Pädagogen und Psychologen beschwerten sich über das Fernsehen, aber hartnäckige Klagen über die persuasiven Techniken der Netzwerke und der Werbetreibenden gab es nur sehr wenige. Für politische Entscheider und die Öffentlichkeit handelte es sich um legitime Business-Tools. Auf dem PC waren diese Werkzeuge nicht schädlicher als im Fernsehen. Dann kamen die Smartphones und veränderten alles völlig. Die Nutzerzahlen und die Nutzung explodierten, ebenso die Durchschlagskraft persuasiver Technologien, was eine weitverbreitete Abhängigkeit ermöglichte. Und hier verstieß Facebook gegen das Gesetz der unerwünschten Konsequenzen: Zuck und sein Team erwarteten nicht, dass Designentscheidungen, durch die sie Facebook für die Nutzer so überzeugend machten, einer breiten Spanne unerwünschter Verhaltensmuster Tür und Tor öffnen würden. Als diese Verhaltensmuster nach der Präsidentschaftswahl von 2016 augenscheinlich wurden, bestritt Facebook zunächst ihre Existenz und lehnte dann die Verantwortung dafür ab. Vielleicht war es eine reflexhafte Handlung des Unternehmens, aber in jedem Fall ließen Zuck, Sheryl, das Facebook-Team und das Board of Directors eine Gelegenheit verstreichen, bei Nutzern und politischen Entscheidern neues Vertrauen aufzubauen. Auch diejenigen von uns, die Zuck berieten und vom Erfolg Facebooks profitierten, tragen einige Verantwortung für das, was später bekannt wurde. Wir litten unter einem Mangel an Fantasie. Die Vorstellung, der enorme Erfolg eines Technologie-Start-ups könne die Gesellschaft und die Demokratie aushöhlen, kam mir und meines Wissens auch sonst niemandem aus unserer Gemeinschaft in den Sinn. Jetzt muss die ganze Welt den Preis dafür bezahlen.

Im zweiten Jahr unserer Beziehung eröffnete Zuck Elevation die Möglichkeit, als Investor einzusteigen. Ich stellte die Idee meinen Partnern vor und betonte meine Hoffnung, dass sich Facebook zu einem Unternehmen in der Größenordnung von Google entwickeln werde. Das Schwierige an Zucks Angebot: Wir würden durch eine komplizierte virtuelle Anleihe indirekt in Facebook investieren. Drei unserer Partner gefiel der Aufbau dieses Investments nicht, aber sie ermutigten uns andere, doch persönlich zu investieren. Also investierten Bono, Marc Bodnick und ich. Zwei Jahre später ergab sich für Elevation die Möglichkeit, Facebook-Anteile zu erwerben, und meine Partner schlugen sofort zu.

ALS CHRIS KELLY MICH kontaktierte, kannte er mich nicht persönlich, er kannte nur meinen Ruf. Seit dem Sommer 1982 investierte ich in Technologie. Am besten erzähle ich Ihnen vielleicht ein wenig über meine Geschichte, damit deutlicher wird, was für ein Mensch ich war, als ich das erste Mal in Zucks Orbit geriet.

Aufgewachsen bin ich in Albany, New York, als zweitjüngstes Kind einer großen und liebevollen Familie. Meine Eltern hatten sechs eigene Kinder und adoptierten zusätzlich drei meiner Cousins und Cousinen, als deren Eltern gesundheitliche Probleme bekamen. Eine meiner Schwestern starb ganz plötzlich mit zweieinhalb Jahren, als meine Mutter mit mir schwanger war, und dieses Ereignis hatte sehr starke Auswirkungen auf meine Mutter. Im Alter von zwei Jahren entwickelte ich eine sehr ernste Verdauungsstörung und die Ärzte erklärten meinen Eltern, ich dürfe kein Getreide zu mir nehmen. Später verschwand diese Störung wieder, aber bis ich zehn Jahre alt war, waren Kekse, Kuchen und Brot für mich tabu, wenn ich nicht furchtbare Nebenwirkungen riskieren wollte. Das verlangte mir viel Selbstdisziplin ab, was sich als hervorragende Vorbereitung auf das Leben erwies, für das ich mich entschied.

Meine Eltern waren in der Politik und der Bürgerrechtsbewegung sehr aktiv. Sie lehrten mich, zu Franklin D. Roosevelt und Jackie Robinson aufzuschauen, und ließen mich mit vier Jahren das erste Mal politisch aktiv werden, als ich Flugblätter für John F. Kennedy verteilte. Mein Vater war in unserer Stadt Präsident der Urban League, was Mitte der 1960er-Jahre, als Präsident Lyndon B. Johnson den Civil Rights Act und den Voting Rights Act* durch den Kongress drückte, eine große Sache war. Als ich etwa neun Jahre alt war, nahm mich meine Mutter zu einer Bürgerrechtsversammlung mit, damit ich meinen Helden Jackie Robinson kennenlernen konnte.

In dem Jahr, in dem ich zehn wurde, schickten meine Eltern mich ins Ferienlager. In der letzten Woche stürzte ich bei einer Schatzsuche schwer. Die Betreuer brachten mich auf die Krankenstation, aber drei Tage lang konnte ich weder feste Nahrung noch Wasser bei mir behalten und anschließend hatte ich sehr hohes Fieber. Sie brachten mich in ein nahegelegenes Bezirkskrankenhaus, wo mir ein ehemaliger Feldarzt mit einer Notoperation das Leben rettete. Ein Blutgerinnsel hatte meinen Darm völlig verstopft. Bis ich wieder auf den Beinen war, dauerte es sechs Monate, wodurch ich ein halbes Schuljahr verpasste. Der ganze Vorfall hatte einen tief greifenden Einfluss auf mich und mein weiteres Leben. Dass ich eine Nahtoderfahrung überstanden hatte, verlieh mir Mut und die Genesungsphase verstärkte meine Fähigkeit, auch außerhalb des Mainstreams glücklich zu sein. Beide Wesenszüge sollten sich im Investmentgeschäft als sehr wertvoll erweisen.

Um unsere große Familie durchzubringen, arbeitete mein Vater unglaublich hart und er machte das sehr gut. Wir lebten ein Leben der oberen Mittelschicht, obwohl meine Eltern jeden Cent zweimal umdrehen mussten. Als ich in der Grundschule war, gingen meine älteren Geschwister aufs College, wodurch die finanzielle Situation einige Jahre lang doch recht angespannt war. Als zweitjüngstes Kind einer sehr großen Familie konnte ich sehr entspannt zusehen, wie es den Größeren erging. Gesundheitliche Probleme verstärkten meine ruhige, eher beobachtende Art. Meine Mutter nutzte mich als ihre persönliche „Find My iPhone“-App, wenn sie wieder einmal ihre Brille, die Schlüssel oder sonst etwas verlegt hatte. Aus irgendeinem Grund wusste ich stets, wo alles lag.

Ehrgeizig war ich als Kind nicht. Mannschaftssportarten beispielsweise spielten in meinem Leben keine große Rolle. Wir schrieben die 1960er-Jahre, also stürzte ich mich mit etwa mit zwölf Jahren erstmals in die Friedensbewegung und die Bürgerrechtsbewegung. Ich nahm Klavierunterricht und sang im Kirchenchor, aber meine Liebe zur Musik nahm erst richtig Fahrt auf, als ich als älterer Teenager die Gitarre für mich entdeckte. Meine Eltern haben mich ermutigt, aber nie gedrängt. Sie waren Leitbilder, die es wichtig fanden, eine gute Bildung genossen zu haben und gute Bürger zu sein, aber sie mischten sich nicht ein, sondern erwarteten von meinen Geschwistern und mir, dass wir gute Entscheidungen treffen. Während meiner Teenagerzeit ging ich – abgesehen von der Politik – an sämtliche Themen mit großer Vorsicht heran, was leicht mit Zögerlichkeit verwechselt werden konnte. Hätten Sie mich damals kennengelernt, hätten Sie durchaus denken können: „Der Junge wird niemals etwas auf die Beine stellen.“