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ARCHITEKTEN
DER UNENDLICHKEIT
BUCH 1

KIRSTEN BEYER

Based on
Star Trek
created by Gene Roddenberry
and
Star Trek: Voyager
created by Rick Berman & Michael Piller & Jeri Taylor

Ins Deutsche übertragen von
René Ulmer

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Die deutsche Ausgabe von STAR TREK – VOYAGER 14: ARCHITEKTEN DER UNENDLICHKEIT 1

Titel der Originalausgabe: STAR TREK – VOYAGER: ARCHITECTS OF INFINITY

Original English language edition copyright © 2018 by CBS Studios Inc. All rights reserved.

™ & © 2020 CBS Studios Inc. STAR TREK and related marks and logos are trademarks of CBS Studios Inc. All Rights Reserved.

This book is published by arrangement with Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., pursuant to an exclusive license from CBS Studios Inc.

Print ISBN 978-3-86425-761-2 (Februar 2020) · E-Book ISBN 978-3-96658-008-3 (Februar 2020)

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Für Margaret

Inhalt

HISTORISCHE ANMERKUNG

PROLOG U.S.S. VESTA

1 SHUTTLE VAN CISE

2 U.S.S. VOYAGER

3 U.S.S. VOYAGER

4 U.S.S. VESTA

5 U.S.S. VESTA

6 U.S.S. VOYAGER

7 U.S.S. VOYAGER

8 DK-1116

9 SHUTTLE VAN CISE

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HISTORISCHE ANMERKUNG

Admiral Kathryn Janeway befehligt die Full-Circle-Flotte – bestehend aus den Schiffen Voyager, Vesta, Galen und Demeter –, die sich auf einer Forschungsmission im Delta-Quadranten befindet. Vieles hat sich verändert, seit die Voyager alleine versucht hat, ihren Weg zurück nach Hause zu finden. Die Flotte hat den Auftrag festzustellen, wie sich die Situation im Quadranten seit dem letzten Aufenthalt der Voyager und dem Verschwinden der größten Supermacht, der Borg, entwickelt hat.

Diese Geschichte findet im August 2382 statt.

»Man wird sich an alles erinnern,
was vor den bloßen Sternen geschieht.«

– JOHN M. FORD

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PROLOG

U.S.S. VESTA

»Also?«, fragte Admiral Kathryn Janeway, als sie der derzeitigen Direktorin der Behörde für temporale Ermittlungen, Laarin Andos, in die gelassenen, orange- und goldfarbenen Augen sah. Trotz des besorgniserregenden Berichts, den Janeway ihr gerade erstattet hatte, über die Begegnung ihrer Flotte mit den Krenim, den Rilnar und den Zahl und den diversen Verletzungen der Obersten Temporalen Direktive, zu denen es während der Mission, eine temporal versetzte Version von Kathryn Janeway zu bergen, gekommen war, behielt Andos die Fassung. Sie war Rhaandaritin und angeblich über zweihundert Jahre alt. Janeway wusste genau, dass Andos während ihrer Dienstzeit bei der Föderation schon eine Vielzahl unglaublich komplexer temporaler Störungen miterlebt oder darüber gelesen hatte. Der Gleichmut, mit dem sie den Bericht des Admirals entgegennahm, ließ vermuten, dass es mittlerweile nur wenig gab, was diese Frau aus der Fassung bringen konnte.

»Sind Sie noch im Besitz der Temporal-Synchronisationsstörer, die dieser Agent Dayne während des ersten temporalen Eingriffs, an dem Sie sich bereitwillig beteiligt haben, an Ihre Besatzungsmitglieder ausgegeben hat?«, fragte Andos tonlos.

»Sind wir. Sie funktionieren nicht mehr.«

»Sie haben versucht, sie noch einmal zu benutzen?« Andos’ Stimme wurde den Bruchteil eines Dezibels lauter.

»Selbstverständlich nicht. Aber als wir wieder auf der Vesta waren und sie abgenommen haben, waren sie tot. Unsere Scanner waren nicht in der Lage, sie zu erfassen, und wir hielten es nicht für ratsam, einen zu zerlegen und nach der Energiequelle zu suchen. Wir haben sie einfach katalogisiert und in unserem neuen, temporal abgeschirmten Lagerbereich verstaut.«

»Haben Sie nicht gesagt, Sie hätten Ihre gesamte Flotte mit temporalen Schilden ausgestattet, nachdem Sie festgestellt haben, welche Bedrohung die Krenim und ihre Fähigkeit, die Zeitlinie zu manipulieren, darstellen?«

»Das haben wir. Allerdings beanspruchen die temporalen Schilde sehr viel Energie, die dann anderen Systemen fehlt. Es ist nicht praktisch, sie rund um die Uhr in Betrieb zu halten. Das sollte kein Wortspiel sein.«

»Verstehe.«

»Wir haben ein paar wichtige Artefakte und Kopien unserer Logbücher isoliert und ständig abgeschirmt. Wir suchen zurzeit nach einem Weg, die Schilde auszuweiten, ohne dabei andere wichtige Funktionen zu stören. Kann sein, dass wir innerhalb der nächsten Monate eine andere Lösung finden. Ich hoffe, Sie sind besser als ich in der Lage, die Bedrohung durch die Krenim zu beurteilen.«

»Das dürfte keine Herausforderung darstellen«, erklärte Andos leichthin. »Aber um eines klarzustellen: Sie wissen nicht, was aus der anderen Kathryn Janeway wurde?«

»Nein. Wenn wir vom Bild des Kinds ausgehen, das Agent Dayne hiergelassen hat und von dem wir annehmen, es handelt sich um ihres, und aufgrund unseres persönlichen Kontakts mit der Frau namens Mollah, der wir in der zukünftigen Version von Batibeh …«

»Der alternativen Zeitlinie, Admiral«, korrigierte Andos sie freundlich.

»Direktorin?«

»Es wird sehr wichtig sein, in Zukunft die Dinge bei ihrem richtigen Namen zu nennen, Admiral Janeway. Ich weiß, Sie sind nicht so versiert in Temporalmechaniken wie ich, und warum sollten Sie, aber wenn wir darauf hoffen wollen, in Zukunft potenzielle temporale Verletzungen auf ein Minimum zu reduzieren, ist es notwendig, dass Sie sich wieder mit den korrekten Begriffen vertraut machen.«

Um die Stirn des Admirals wickelte sich ein unangenehmes und nicht überraschendes Band aus Anspannung. Den Großteil ihrer Laufbahn war sie stolz darauf gewesen, nicht in die temporalen Schwierigkeiten zu geraten, die auf andere Offiziere der Sternenflotte hinter jeder Ecke zu lauern schienen. Sie verstand die Gefahren, die die Manipulation der Zeit mit sich brachte, und darüber hinaus hasste sie es mit der Hitze einer Supernova, diese Vorfälle zu melden. Temporale Mechaniken wurden, wie alle wissenschaftlichen Gebiete, ständig weiterentwickelt. Diejenigen, die sich damit befassten, wie die Direktorin der Behörde für temporale Ermittlungen und die ihr unterstehenden Agenten, erweiterten täglich ihr Wissen über die vielfältigen Möglichkeiten, wie die dimensionalen Grenzen der Raumzeit verändert werden konnten. Sie waren auf dem neuesten Stand der temporalen Anomalien. Janeway hingegen war froh, die entsprechenden Kurse an der Akademie irgendwie überstanden zu haben. Dass sie sich in den letzten Jahren so häufig in Situationen wiedergefunden hatte, in denen eine Verletzung der Obersten Temporalen Direktive die beste von vielen schlechten Optionen darstellte, war für sie mehr als nur ein Ärgernis. Es fühlte sich wie persönliches Versagen an.

Als sie nun weitersprach, wählte sie ihre Worte sehr sorgfältig: »Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob die alternative Kathryn Janeway, die erschaffen wurde, als die Krenim 2377 einen Chronitontorpedo auf die Voyager abgefeuert haben, noch am Leben ist und sich irgendwo in unserer Zeitlinie befindet. Wir glauben, Agent Dayne hat sie mit der Absicht, sie mit ihrer Tochter Mollah zusammenzuführen, fortgebracht. Die Existenz der gealterten Mollah, der wir nach der Nutzung des temporalen Portals der Zahl in einer alternativen Zeitlinie begegnet sind, legt die Möglichkeit nahe, dass das Kind in jener Zeitlinie aufgewachsen ist. Die Statuen im Hain, die die beiden Brüder zeigen, stellen eine direkte Verbindung zwischen Dayne und dieser Zeitlinie dar, und wenn man seinen Worten glauben möchte – ich weiß, das sollte man nur mit Vorsicht tun –, sind die Krenim direkt für ihre Erschaffung verantwortlich.«

»Aber diese Mollah hat bei Ihrer Begegnung weder Sie noch die alternative Kathryn Janeway wiedererkannt, oder?«

»Sie hat nicht den Eindruck erweckt«, gestand Janeway. »Und jede Verbindung zwischen ihr und dem Kind auf dem Bild könnte nichts weiter als Wunschdenken sein. Aber wenn sie vor unserer Ankunft Zeit mit ihrem Vater verbracht hat, wusste sie bestimmt, wie wichtig es ist, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie uns kennt, um kein temporales Paradox zu erschaffen.«

»Um das zu vermeiden, war es bereits viel zu spät«, entgegnete Andos.

»Wie dem auch sei, mir gefällt der Gedanke, dass es Kathryns Tochter war und Dayne einen Weg gefunden hat, die beiden wieder zusammenzubringen.«

Andos schüttelte sachte den Kopf. »Diesen Wunsch kann ich nachvollziehen, Admiral. Aber ich befürchte, ohne konkrete Beweise müssen wir das Schicksal der anderen Kathryn Janeway als ungeklärte Angelegenheit betrachten.«

»Ich verstehe, Direktorin.«

»Und auf gar keinen Fall werden Sie versuchen, dem weiter nachzugehen.«

»Wenn Ihnen das wichtig ist.«

»Ist es. Die von Ihnen erwähnten Artefakte, die Sie weiterhin hinter Schilden aufbewahren – sind darunter auch die Logbücher des Kontakts der Voyager mit den Krenim aus der alternativen Zeitlinie, in der sie diesem Annorax begegnet sind?«

»Ja. Nachdem wir sie aus dem Subraum geholt haben, sind die temporalen Bojen innerhalb weniger Stunden zerfallen, aber bis dahin hatten wir alle Logbücher gesichert.«

»Welche Version von Ihnen auch immer auf diese Idee gekommen ist, diese temporal abgeschirmten Aufzeichnungen anzulegen, der Einfallsreichtum beeindruckt mich. Wir nutzen hier ein ähnliches Protokoll, und ich werde dem Agenten, den ich mit der weiteren Bearbeitung Ihres Falls beauftrage, befehlen, Ihnen die Spezifikationen für die am geringsten invasive temporale Abschirmung zukommen zu lassen, die wir zurzeit hier bei der Behörde für temporale Ermittlungen benutzen. Ich beglückwünsche ihre Missionsspezialistin Seven für ihren Fleiß, aber mir wäre es lieber, wenn die Sternenflotte nicht mit Borg-inspirierter Technologie herumspielt, besonders wenn es um temporale Störungen geht.«

Janeways Rücken verkrampfte sich. Seven war der einzige Grund, dass es überhaupt Spuren der früheren Begegnung zwischen der Voyager und den Krenim gab. »Hier draußen in der Wildnis bin ich nicht geneigt, eine gute Idee zu verwerfen, egal woher sie stammt, Direktorin.«

»Weil Sie im Gegensatz zu mir nicht richtig einschätzen können, ob bestimmte Ideen das Potenzial haben, mehr Schaden als Nutzen anzurichten. In jedem uns bekannten Fall, in denen die Begriffe ›Borg‹ und ›temporale Manipulation‹ zusammen benutzt wurden, wurde ein katastrophales Endergebnis nur um Haaresbreite vermieden. Ich muss darauf bestehen, dass Sie sich in Zukunft an unsere Vorschriften halten, Admiral. Das ist unsere beste Chance, zukünftige temporale Störungen aufzulösen, für die Sie vielleicht unabsichtlich sorgen.«

Bislang hatte die Direktorin nicht über irgendwelche Disziplinarmaßnahmen für die vielen Verletzungen der Obersten Temporalen Direktive, auf die dieser jüngste Vorfall hindeutete, gesprochen. Aber die Warnung war deutlich, und Janeway beeilte sich, sich und ihre Besatzung zu verteidigen.

»Direktorin, wir haben diesen Kampf nicht gesucht. Wir haben von der Existenz der anderen Kathryn Janeway erfahren, als wir diplomatische Beziehungen zu einer anderen Spezies aufbauen wollten. Das ist der Grund für die Mission meiner Flotte hier draußen. Wäre es der Behörde für temporale Ermittlungen lieber gewesen, wenn wir der Angelegenheit nicht nachgegangen wären? Haben wir dadurch nicht die potenzielle Bedrohung für die Föderation aufgedeckt und es den Krenim schwerer gemacht, etwas ohne unser Wissen zu unternehmen?«

»Eine Bedrohung, für die Sie verantwortlich sind, Admiral.«

Schach und Matt. Janeway konnte der Tatsache nicht widersprechen, dass die Jahre zurückliegende Begegnung der Voyager mit den Krenim die Serie tragischer Ereignisse ins Rollen gebracht hatte. Und genauso wenig konnte sie jemand anderes für das Interesse der Krenim an ihr und anderen »chaotischen Variablen« verantwortlich machen. Beim Durchsehen der abgeschirmten Logbücher hatte sie alle Details dieser ersten Begegnung erfahren und die Übelkeit erregenden Folgen, zu denen ihr Wunsch, Annorax’ temporaler Schreckensherrschaft ein Ende zu bereiten, geführt hatte: den Verlust eines großen Teils ihrer Besatzung und die Zerstörung der Voyager. Es war eine schwere Erkenntnis gewesen und eine, für die sie jetzt dankbar war. Bis sie ihre eigene Stimme gehört hatte, wie sie die verheerenden und trostlosen Umstände beschrieb, hätte sie es nie für möglich gehalten, dass sie eine Situation so absolut falsch einschätzen könnte. Aber sie wusste auch, dass sie sich ihren Ängsten vor den Möglichkeiten der Krenim stellen musste, wenn ihre Flotte vorankommen sollte. Sie musste herausfinden, wie schlimm sich die derzeitige Situation entwickeln konnte, und entsprechende Gegenmaßnahmen vorbereiten.

Sie wollte sich einreden, dass die Entspannung der Situation, die sie allem Anschein nach mit Agent Dayne erreicht hatte, bis auf unbestimmte Zeit halten würde. Aber fast alles, was Dayne gesagt hatte, war gelogen gewesen. Darum fiel es ihr schwer, sich auf ihr abschließendes, beruhigendes Gespräch zu verlassen.

»Können Sie die Wahrscheinlichkeiten berechnen, dass sich künftige Eingriffe der Krenim negativ auf die Föderation auswirken könnten?«

»Für die Föderation oder Ihre Flotte?«

»Würde das eine nicht auch das andere beeinflussen?«

»Ja, aber abhängig davon, wie tiefgreifend die Auswirkungen der benutzten Technologie sind, könnte es sein, dass ein Angriff auf Ihre Flotte vorerst keine Auswirkungen auf die Föderation hat.«

»Verfügt Ihre Abteilung nicht über die Technologie, die Sie darüber informiert, wenn jemand temporale Eingriffe vornimmt?«

»In gewisser Weise. Wir haben temporal abgeschirmte Aufzeichnungen, die uns informieren, wenn die Zeitlinie verändert wird. Aber wie Sie selbst erst kürzlich festgestellt haben, nehmen die Krenim in ihrer Ecke des Delta-Quadranten schon seit einiger Zeit größere und kleinere Veränderungen vor. Wir haben nicht die Möglichkeit, diese Vergangenheit zu überwachen. Daher können die Krenim weitere Veränderungen vornehmen, ohne dass wir davon erfahren.«

»Eigentlich sollte dieses Gespräch dafür sorgen, dass ich mich besser fühle«, murmelte Janeway.

»Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen diesen Gefallen nicht tun kann, Admiral. Der einzige Trost, den ich Ihnen bieten kann, ist, dass sich in Zukunft einer meiner erfahrensten Agenten mit Ihnen befassen wird. Indem wir alle Ihre Aktivitäten überwachen und Ihre Aufzeichnungen zu unseren temporal abgeschirmten Logbüchern hinzufügen, sollten wir sämtliche temporalen Anomalien bemerken, sobald sie auftreten. In dem Fall erstellen wir einen Plan, um damit so schnell und effizient wie möglich umzugehen.«

»Haben Sie den Agenten schon ausgesucht, der sich mit unserem Fall befassen soll?«

»Das habe ich. Er heißt Gariff Lucsly.«

Janeway versuchte vergeblich, ihre Bestürzung zu verbergen. »Sind Sie sicher, dass er die beste Wahl dafür ist?«

»Soweit es mich angeht, Admiral, ist Lucsly zurzeit der einzige Agent in unseren Reihen, der fähig ist, einen Fall dieser Größenordnung zu betreuen.«

Der Admiral konnte der Direktorin nicht das Recht absprechen, ihre Leute nach eigenem Ermessen einzusetzen. Allerdings fand sie Andos’ Wahl nicht eben beruhigend. Die gründlichste Nachbesprechung, die sie nach der Rückkehr der Voyager in den Alpha-Quadranten durchgemacht hatte, war mit Lucsly gewesen. Aus diesen Sitzungen war sie mit zwei Überzeugungen hervorgegangen: Lucslys Meinung von ihr war die schlechteste, die man sich vorstellen konnte, und er wollte Anklagepunkte gegen sie vorbringen, die ihre Karriere beenden würden. Die Tatsache, dass es nicht dazu gekommen war, ließ sie annehmen, dass zumindest einer seiner Vorgesetzten seine Ansichten nicht teilte. Dass er sein Vorhaben nicht umsetzen konnte, hatte vermutlich nur dazu geführt, dass er sie mittlerweile noch mehr verabscheute. Kurz überlegte Janeway, ob es nicht viel besser wäre, die Krenim nach Gutdünken die Zeitlinie verändern zu lassen, wenn sie sie sich dafür nicht mit einem übereifrigen Bürokraten der Behörde für temporale Ermittlungen herumschlagen musste.

Wie so oft war keine der verfügbaren Optionen gut. Sie hatte nur die Möglichkeit, das geringere Übel zu wählen.

»Ich übermittle Ihren Bericht und ihre Logbücher gerade an Lucsly, Admiral. Sie werden bald von ihm hören.«

»Ich freue mich darauf, Direktorin«, log Janeway.

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SHUTTLE VAN CISE

»Sie glauben nicht ans Lügen?«

»Zeitverschwendung.«

»Selbst um jemanden nicht zu kränken?«

Ensign Aytar Gwyn zuckte mit den Schultern. »Wie soll das helfen? Wenn man jemanden nicht genug respektiert, um ihm die Wahrheit zu sagen, warum dann überhaupt was sagen?«

Lieutenant Devi Patel stockte kurz über den Proben, die sie an der kleinen Wissenschaftsstation des Shuttles analysierte. »Letzte Woche haben Sie Gaines gesagt, dass Sie zölibatär lebten. Das war gelogen.«

»Nicht in dem Moment.«

»Sie sind das vergangene Jahr mit der halben Flotte in die Koje gestiegen. Was ist am armen Gaines so abstoßend?«

»Wenn Sie das nicht wissen, probieren Sie es doch, Devi. Er ist offensichtlich einsam.«

»Auße…tea… an Va… …ise

Gwyn hatte das Shuttle auf Lieutenant Harry Kims Befehl in den Orbit dieses unbewohnten Felsens gebracht und blieb im Orbit, während sie seine und Sevens Lebenszeichen überwachten. Sie veränderte die automatische Einstellung des Empfängers des Shuttles, um Kims Nachricht deutlicher zu empfangen. »Was können wir für Sie tun, Lieutenant Kim?«

»Sie können damit anfangen, sich an die Kommunikationsvorschriften zu halten, Ensign«, antwortete Kim barsch.

Gwyn sah Patel an, hoffte, in ihr eine Verbündete für ihre Gereiztheit zu finden. Die zusammengekniffenen Lippen und großen Augen der Wissenschaftsoffizierin waren eine stumme Aufforderung, Kims Tadel ernst zu nehmen und sich entsprechend zu verhalten. Gwyn verdrehte die Augen, bevor sie antwortete. »Natürlich, Sir. Entschuldigen Sie. Lieutenant Patel ist fast fertig mit ihrer Analyse der Proben Nummer …«

»Sechzehn bis zwanzig«, warf Patel hastig ein.

»Und?«, wollte Kim wissen.

»Alle fünf Proben bestätigen die vorherigen Messungen und Sevens Hypothese, Lieutenant«, ergriff Patel das Wort. »Sie weisen zwei verschiedene Isotope auf, aber das Atomgewicht deutet auf zuvor nicht erfasste, superschwere …«

»Da soll mich doch der Schlag treffen«, fiel ihr Kim deutlich zufrieden ins Wort.

»Wir haben auch eine unerwartete Molekularstruktur entdeckt und das Vorhandensein mehrerer anderer gewöhnlicher Elemente und Isotope.«

»Wissen Sie, ob es sich dabei um Zerfallsnebenprodukte handelt?«

»Noch nicht, Sir. Wir müssen weiterführende Analysen durchführen, sobald wir wieder auf der Voyager sind.« Patel schwieg kurz, dann fragte sie: »Wissen Sie schon, wie sie es nennen wollen?«

»Wir sollten darüber gründlich nachdenken«, antwortete Kim. »Immerhin ist es ein brandneues Element.«

Gwyn schaltete den Kommunikationskanal kurz stumm und sagte zu Patel: »Ich wette eine Woche Holodeckprivilegien, dass es am Ende Sevenofninonium heißen wird.«

Patel verkniff sich das Lachen. Gwyn wollte gerade den Kanal wieder öffnen, als Sevens Stimme durch das Shuttle hallte. »Unwahrscheinlich, Ensign Gwyn, aber wir werden Ihren Vorschlag an die Abteilung für angewandte Chemie der Föderation weitergeben.«

Panik ergriff die Pilotin. Bei einer erneuten Überprüfung der Kontrollen bemerkte sie, sie hatte den Kanal gar nicht geschlossen. Stattdessen hatte sie unbeabsichtigt die Signalstärke erhöht. Also hat Seven den Scherz gehört.

Gwyn schüttelte wegen ihres Fehlers frustriert den Kopf. Sie fühlte sich schon seit ein paar Tagen ein wenig neben der Spur; seit die Flotte das System mit dem Planeten Sormana verlassen hatte. Allem Anschein nach brachte dieser Nachmittag keine Verbesserung, was das anging.

Zu Gwyns Überraschung sah Kim davon ab, sie dafür zurechtzuweisen. »Wir sind bald so weit, wieder an Bord zu beamen. Außenteam Ende.«

Dann erst sagte Patel: »Danke, Gwyn. Fast hätten Sie uns beiden einen Verweis eingebrockt. Legen Sie es darauf an?«

Gwyn seufzte. »Ich glaube nicht, dass Seven beleidigt ist. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es möglich ist, sie zu beleidigen. Und Kim ist schon seit Wochen mies gelaunt. Nichts, was ich sage oder mache, wird daran etwas ändern. Das ist weder meine Schuld noch Ihre. Aber nur weil er gerade eine schwierige Zeit durchmacht, heißt das nicht, dass wir anderen unser Gesicht mit Chiicsel bedecken, uns Soegh in die Haare schmieren und schwarze Maeltisa-Umhänge tragen müssen.«

»Ja, die kompletten kriosianischen Trauerbräuche einzuhalten, wäre ein bisschen übertrieben. Aber ganz normal freundlich zu sein und es nicht darauf anzulegen, ihn zur Weißglut zu treiben, wäre bestimmt eine gute Idee.«

»Das mit dem Sevenofninonium war nicht darauf angelegt. Es lag geradezu auf dem Präsentierteller. Irgendjemand musste es sagen.«

Trotz allem konnte sich Patel ihr Schmunzeln nicht verkneifen. »Es ist nur natürlich, dass eine ehemalige Borg, jetzt eine mit Caeliar-Catomen aufgewertete Missionsspezialistin, die zufällig wie eine Mischung aus einer griechischen, thettinischen und hyliatischen Göttin aussieht, diejenige ist, die ein brandneues Element entdeckt.«

»Selbstverständlich«, pflichtete ihr Gwyn bei.

»Wie oft hat sie jetzt schon ganz alleine das Universum gerettet?«

»Nach dem fünften Mal habe ich aufgehört zu zählen … oder nach dem sechsten Mal? Jetzt seien Sie aber nicht verbittert, nur weil sie hübsch ist, Devi. Das ist unter Ihrer Würde.«

»Keine Bange, bin ich nicht. Mich verbittert die Tatsache, dass sie, obwohl sie nie auf der Sternenflottenakademie war, keine Angehörige der Sternenflotte ist, keinen offiziellen Rang mit den dazugehörigen Pflichten und Rechten hat, immer die erste Person an Bord der Voyager ist und sein wird, an die sich Captain Chakotay wendet, wenn er die Lösung für ein wissenschaftliches Problem nicht bereits auf der Anzeige seiner Konsole sieht.«

»Und an wen sollte er sich sonst wenden?«

»An seine Wissenschaftsoffizierin«, antwortete Patel, wobei sie Gwyn gegen den Oberarm boxte.

»Autsch! Ich weiß. Ich wollte Sie nur etwas aufziehen.« Reflexartig hielt sie sich den Oberarm. »Das hat wehgetan.«

»Tut mir leid«, behauptete Patel, aber es war offensichtlich, dass es das nicht tat.

»Wissen Sie, wenn Sie Ihren Hintern nach da draußen schieben und selbst ein brandneues Element entdecken, wird sich daran vielleicht etwas ändern«, schlug Gwyn vor.

Patel verstaute den tragbaren Magnetpartikel-Bildgeber und ließ sich neben Gwyn in den Navigationssitz fallen. »Nein, wird es nicht«, widersprach sie ernst.

Gwyn sah Patel mit stillem Mitleid in die Augen. Mehrere der Führungsoffiziere der Voyager, darunter Captain Chakotay, die Commander Tom Paris und B’Elanna Torres und Lieutenant Harry Kim, hatten Jahre zusammen auf der Voyager verbracht, um durch den Delta-Quadranten zurück nach Hause zu kommen, nachdem sie während ihres Jungfernflugs dank einer fremden Technologie ans andere Ende der Galaxis geschleudert worden waren. Seven of Nine (tertiäres Attribut von Unimatrix 01), Geburtsname Annika Hansen, jetzt einfach nur Seven, war ungefähr nach der Hälfte der Strecke während einer der vielen schrecklichen Begegnungen zwischen der Voyager und den Borg zu ihnen gestoßen. Diese Jahre hatten eine einzigartige Verbindung zwischen den Männern und Frauen geschmiedet, die zu dieser Zeit an Bord gewesen waren.

Gwyn war sich nicht sicher, ob sie sieben Jahre opfern würde, abgeschnitten von den Ressourcen der Föderation und der Sternenflotte, sich unbekanntem Weltraum und feindlichen Spezies stellen wollte, um Mitglied in diesem exklusiven Klub zu werden. Aber sie konnte auch nicht die Stärke dieser Verbindung ignorieren oder die Tatsache, dass es das Leben und den Dienst für diejenigen schwieriger gestaltete, die man nach der Rückkehr der Voyager in den Alpha-Quadranten dorthin versetzt hatte.

Nach der ersten Nachrüstung der Voyager diente Patel drei Jahre lang als Captain Chakotays Wissenschaftsoffizier an Bord, bevor Seven als Missionsspezialistin wieder Teil der Besatzung wurde. Aber kaum dass die ehemalige Borg-Drohne an Bord gewesen war, hatte sich Captain Chakotay stets an sie gewandt, sobald die Situation etwas schwieriger wurde. Gwyn glaubte nicht, dass Chakotay an Devi oder ihren Fähigkeiten zweifelte. Aber Seven war und würde immer Seven sein. Sie gehörte zu den ältesten und engsten Freunden des Captains und war unbestreitbar brillant. Weder Devi noch sonst irgendwer würde da jemals mithalten können, und sie sollten es auch gar nicht erst versuchen. Wie Gwyn sollte sie einfach den Kopf unten und ihre Akte sauber halten und auf den Tag hoffen, an dem sie auf einem traditionelleren Sternenflottenschiff dienen konnte, wo Rang und Erfahrung mehr zählten als persönliche Beziehungen. Egal wie sehr sie, Patel oder sonst eines der neuen Gesichter in der Full-Circle-Flotte es sich auch wünschten, sie würden nie Teil des inneren Kreises der Voyager sein, und schon der Versuch war »verlorene Liebesmüh«, wie Gwyns Mutter zu sagen pflegte.

»Sie haben noch etwas weniger als zwei Jahre auf dieser Mission, Devi. Das ist eine Menge Zeit, um dem Captain zu beweisen, dass Sie genauso einfallsreich, brillant und notwendig wie Seven sind.«

Patel betrachtete Gwyn lange. »Darum lügen Sie also nicht«, stellte sie schließlich fest. »Sie sind verdammt schlecht darin.«

»Bin ich wirklich«, gab Gwyn zu. »Meine Mutter hat immer die Wahrheit gewusst, sobald sie mir ins Gesicht gesehen hat. Ich musste nicht einmal was sagen.«

Die junge Wissenschaftsoffizierin sah durch die Sichtluke zu dem Planeten unter ihnen. Aus dem Orbit wirkte der Großteil der Oberfläche rötlich braun und schon auf den ersten Blick unwirtlich.

»Was denken Sie, was mit Kim nicht stimmt?«, fragte Patel schließlich.

»Schwer zu sagen. Aber müsste ich Latinum darauf setzen, würde ich wetten, es hat mit Lieutenant Conlons Versetzung auf die Galen zu tun.«

»Ich weiß nicht. Ich konnte nie wirklich herausfinden, ob es zwischen ihnen ernst war.«

Gwyn warf Patel einen zweifelnden Blick zu. »Nicht?«

Zur Antwort schüttelte Patel den Kopf.

»Wenn ich so darüber nachdenke, Devi, Sie und Aubrey sollten auf alle Fälle miteinander zu Abend essen. Sie sind wie füreinander geschaffen.«

»Warum?«

»Sie sind beide völlig ahnungslos, sobald es sich um etwas handelt, das nicht zum Lehrstoff der Akademie gehört hat.«

Nach einem verblüfften Moment erklärte Patel: »Soll ich Ihre Ehrlichkeit als Zeichen dafür werten, wie sehr Sie mich respektieren?«

»Ja.«

»Dann will ich jetzt nicht mehr mit Ihnen reden.«

»Wie lange?«

»Mindestens, bis wir wieder auf der Voyager sind.«

»Das ist ein ganzer Tag.«

»Genau.«

»Und ab wann?«

Patel beschäftigte sich damit, auf ihrem Padd Notizen zu machen.

»Jetzt?«

Schweigen.

»Ernsthaft?«

Noch mehr Schweigen.

Gwyn seufzte. Ganz eindeutig neben der Spur.

OBERFLÄCHE, NAMENLOSER ZIRKUMBINÄRER PLANET

Lieutenant Harry Kim stand bis zur Hüfte zwischen feinen, grasähnlichen Halmen, die den Boden bedeckten, so weit das Auge reichte. Die zarten Halme waren weiß, und auf seiner schwarzen Uniformhose hafteten reichlich klebrige Pflanzenteile.

Das endlose Feld war eine Illusion. Tatsächlich befand sich Kim einundfünfzig Kilometer vom Zentrum eines Biodoms entfernt, einem von Unbekannten geschaffenen und von atemberaubend beeindruckender, fremder Technologie am Leben gehaltenem sphärischen Feld. Dieser Biodom stellte zusammen mit sechsundvierzig anderen die einzigen bewohnbaren Gebiete auf diesem namenlosen Planeten dar, der in einem von vielen Sektoren des Delta-Quadranten lag, die die Borg einst für sich beansprucht hatten.

Trotz der außergewöhnlichen Eigenschaften des Biodoms hatte Kim den Großteil des Tages damit verbracht, das Gebilde vor ihm zu untersuchen. Mit fast acht Metern Höhe und in manche Richtungen vierzehn Metern Tiefe glich es Dutzenden miteinander verflochtenen Tentakeln, die aus dem Boden sprossen. Alle unterschieden sich in Länge und Dicke, und ihre Verteilung wies kein erkennbares Muster auf. Aber wie viele herausragende Skulpturen vermittelte es einem das Gefühl von Bewegung, etwas Wogendes trotz ihrer Bewegungslosigkeit, das etwas Hypnotisierendes hatte.

Das Gebilde war nicht mehr intakt. Ein paar der »Ranken« waren unregelmäßig abgebrochen. Von anderen fehlten große Stücke. Was vielleicht einmal der obere Abschnitt gewesen war, lag jetzt mehrere Dutzend Meter entfernt, fast völlig verborgen im weißen Gras.

Seven interessierte sich nicht im Geringsten für den Dom oder die beeindruckenden Eigenschaften des Gebildes. Sie war nur aus einem Grund hier: um Proben dessen zu sammeln, was Patel eben als bislang unbekanntes Element identifiziert hatte. Da die schwierige Arbeit hinter ihnen lag und Lieutenant Patel bestätigt hatte, was Seven seit den Tiefenscans ihrer astrometrischen Sensoren des ungewöhnlichen Planeten außerhalb der habitablen Zone des Binärsystems vermutet hatte, sollte Kim mehr als bereit sein, auf das Shuttle zurückzukehren.

War er aber nicht.

Captain Chakotay würde von ihrem Bericht begeistert sein. Zurzeit war es für Kim fast das Wichtigste, dem Captain diese Reaktion zu entlocken. Chakotay sagte, er hätte seinem Sicherheitschef und taktischen Offizier seine Fehlentscheidung während ihrer letzten Mission vergeben. Besonders, da er wusste, was der Grund für dieses Fehlverhalten gewesen war.

Kim konnte dasselbe von sich nicht behaupten.

Tage wie dieser, voller Zielstrebigkeit und Entdeckung, waren das Einzige, was zwischen ihm und dem Abgrund lag. Er war dankbar dafür und freute sich gar nicht darauf, dass der Tag bald zu Ende gehen würde, oder auf den Flug an Bord des Shuttles zurück zur Voyager. Gwyn würde sich weiter gerade noch annehmbar verhalten, aber nur gerade so. Beim Start der Flotte vor etwas über einem Jahr war sie noch der grünste aller Ensigns gewesen, und obwohl sie ihr Können als Pilotin immer wieder unter Beweis gestellt hatte – würdig, um Tom Paris’ Platz am Steuer der Voyager einzunehmen –, ließ ihr Taktgefühl zu wünschen übrig.

Patel konnte übertrieben professionell sein. Manchmal fiel es Kim schwer zu glauben, dass sie keine Vulkanierin war. Ihre Haltung und ihr stoisches Auftreten, sogar ihr feines schwarzes Haar und der strenge Schnitt, erinnerten ihn an einige vulkanische Offiziere, mit denen er gedient hatte. Patel war menschlich. Es schien nur so, als wollte sie nicht, dass irgendwer das bemerkte.

Und Seven würde … einfach Seven sein. Sie würde ihre Zeit damit verbringen, Berechnungen anzustellen und Experimente mit ihrem Sevenofninonium zu planen. Dank Ensign Gwyn würde Kim nie wieder anders an das neue Element denken können, egal was sich die Behörden der Föderation, deren Aufgabe es war, solche Entdeckungen zu benennen, für eine Bezeichnung ausdenken würden.

Was bedeutete, Kim wäre mit seinen Gedanken alleine; das war im Moment das Letzte, was er wollte.

Seven riss ihn aus seinen Gedanken. »Ich habe meine abschließenden Scans beendet, Lieutenant. Sollen wir das Shuttle für den Rücktransport kontaktieren?«

»Sind Sie sicher, dass Sie sich keinen der anderen Biodome ansehen wollen?« Aber noch während er fragte, wusste Kim, was sie antworten würde.

»Die Wahrscheinlichkeit, dass wir das letzte Mal auf dieser Welt sein werden, ist sehr gering. Captain Chakotay wird bestimmt weitere Nachforschungen anstellen wollen.«

»Also nein?«, fragte Kim fast schon frotzelnd.

Während ihrer Anfangstage als Besatzungsmitglied auf der Voyager hätte Seven den Kommentar einfach ignoriert und das Shuttle gerufen. Sie befestigte den Trikorder an ihrem Gürtel und sagte: »Wir haben allerdings noch keine visuellen Messergebnisse vom Rand dieses Biodoms. Der nächste befindet sich in weniger als einem Kilometer Entfernung, Richtung Südsüdost von dieser Position.«

Diese schlichte Geste rührte Kim auf seltsame Art. Es gab keinen Grund, den Rand des Biodoms visuell zu erfassen. Genauso könnten sie ihn mit den Sensoren des Shuttles abtasten. Seven wusste das. Sie tat es für ihn. Irgendwann während der vergangenen Jahre hatte sie ein viel besseres Gespür für die Gefühle ihrer Freunde entwickelt und zeigte sehr viel mehr Geduld mit ihnen als damals, als sie ihre ersten Schritte zurück zur Menschlichkeit gemacht hatte.

»Klingt gut«, stimmte Kim zu.

Ein paar Minuten lang gingen sie in angenehmes Schweigen gehüllt. Seven überprüfte gelegentlich ihren Trikorder, um sicherzustellen, dass ihre Richtung stimmte. Die Konfiguration des unsichtbaren Energiefelds, das für das Fortbestehen dieses Biodoms zuständig war, ähnelte dem der anderen auf der Oberfläche. Dieser hatte einen Durchmesser von etwas mehr als hundert Kilometern, vergleichsweise klein. Die meisten Biodome wiesen eine Version einer Stickstoff-Sauerstoff-Atmosphäre auf, eine riesige Fülle an Pflanzen, Wasserquellen und andere Strukturen, die teilweise aus Sevens neuem Element bestanden. Die Dome regulierten auch den Lichteinfall und das Strahlungsniveau und wirkten so den Gefahren entgegen, wenn die Rotation des Planeten sie in Richtung des Binärsterns brachte. Es gab keine anderen Lebensformen und keinen offensichtlichen Hinweis darauf, wer die Dome errichtet hatte. Das war die Definition von »fremde neue Welten«, für deren Entdeckung man die Sternenflotte ins Leben gerufen hatte.

»Ich hätte angenommen, Sie wollten so bald wie möglich zur Flotte zurückkehren«, sagte Seven schließlich in dem offensichtlichen Versuch, ihm auf den Zahn zu fühlen.

»Ich glaube nicht, dass sich in den letzten Tagen irgendwas geändert hat.«

Das hohe Gras wurde etwas spärlicher, und Seven blieb stehen, um sich den weißen Staub von ihrer schwarzen Uniformhose zu wischen.

»Auch wenn ich Ihren Wunsch verstehe, Konfrontation zu meiden, halte ich das nicht für eine brauchbare Langzeitstrategie.«

»Ich rechne nicht mit einer Konfrontation, sobald wir zurück sind.«

Seven sah Kim unumwunden in die Augen. Ihre neu gewonnene Geduld neigte sich sichtlich ihrem Ende.

Kims Nacken wurde eigentümlich heiß. Ein paar Sekunden lang schaffte er es nicht, einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Als er tief durchatmete, klang das Gefühl ab und ließ den Lieutenant erschüttert zurück. »So viel also zur ärztlichen Schweigepflicht.«

»Counselor Cambridge hat mir gegenüber nichts über Lieutenant Conlons Zustand erwähnt«, stellte Seven klar. »Es war Doktor Sharak, und er hat ihre Privatsphäre nicht absichtlich verletzt. Er hat nach ein paar hypothetischen Verwendungsmöglichkeiten für meine Catome gefragt, darunter auch ihre Fähigkeiten der Genregulierung, und ob es zu Komplikationen kommen könnte, sollte die Person schwanger sein. Ich habe ihn darüber informiert, dass ich nach der Arbeit mit der kleinen Gestalt von Doktor Frazier und ihren Leuten meine Fähigkeit, willentlich mit meinen Catomen zu interagieren, unterbrochen habe. Selbst wenn Commander Briggs’ Experimente nicht gezeigt hätten, wie töricht eine übereilte catomische Forschung zu diesem Zeitpunkt ist, bin ich in keiner Position, meine Catome wie von Doktor Sharak erbeten einzusetzen. Erst nach unserem Gespräch habe ich den wahren Grund für seine hypothetischen Fragen geschlussfolgert.«

Voyagerihr