Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche

Mit dem Erntesegen in den Abschied gehen

Fliegenpilz, Fichtenharz und Räucherkohle: ein kleiner persönlicher Kraftort, der auch wieder verschwinden darf
© Roberto Bulgrin

Für viele ist der September der schönste Monat im Jahr. Allmählich erlischt die Kraft des Sommers und geht über in herbstliche Reife. Tagsüber ist es oft noch schön warm, gleichzeitig sind die Nächte kühl und morgens sehen wir vermehrt wabernde Nebelschwaden über den Feldern liegen. Die Vegetationsperiode geht zu Ende, wenngleich wir noch die Früchte des Sommers genießen können.

Die Kräuterernte ist fast abgeschlossen. Was jetzt noch geerntet werden kann, liegt in der Erde verborgen: Bis Ende Oktober können wir Wurzeln graben, etwa jene von Alant und Angelika. Beide beschenken uns mit einem sehr aromatischen Räucherduft und sind fester und wirksamer Bestandteil in Mischungen für die Räucherung des Hauses und Stalles oder auch von Personen. Allerlei Wildgehölze warten mit feinen, besonderen Früchten auf, beispielsweise Eberesche, Sanddorn, Weißdorn, Holunder und Schlehe. Die getrockneten Früchte eignen sich ebenfalls gut für Räuchermischungen. Sie erfreuen mit einem herbstlichen Farbenspiel das Auge und die Nase mit einer fruchtig-würzigen Note.

Auf feuchten Wiesen und an Böschungen stehen die Herbst-Zeitlosen mit ihren krokusartigen Blüten. Astern, Dahlien, die eher unscheinbare Fetthenne und manche Rosen sorgen zusammen mit anderen Herbstblühern für das letzte bunte Farbenspektakel im Garten. In den Weinbergen beginnt die Lese. Je nach Witterung verfärbt sich das erste Laub oder fällt bereits zu Boden. Wespen und Hornissen drehen noch einmal auf und haben jetzt ihre Hauptflugzeit. Doch gegen Ende des Monats endet diese schon wieder. Bei den Hirschen beginnt die Brunft und bei den Vögeln das Wunder der großen Züge Richtung Süden. Alle Tiere bereiten sich für die kalte Jahreszeit vor, manchen davon – Pferden, Füchsen oder Rehen – wächst der Winterpelz.

Der Altweibersommer hält Einzug. Der Begriff hat nichts mit „alten Weibern“ zu tun, sondern leitet sich von der alten Bezeichnung für weben, nämlich weiben ab. Gemeint sind damit die Fäden der Spinnen, die gerade im Herbst, wenn der Tau in den Netzen hängt, geheimnisvoll glitzern. Mit dem Altweibersommer ist eine stabile Wetterlage mit gleichbleibend warmen Tagen verbunden. Nun ist klar, dass sich der Sommer verabschiedet hat. Die letzten warmen Sonnenstrahlen locken uns in die Straßencafés, das Gesicht sehnsüchtig Richtung Sonne gereckt und vielleicht schon mit einer warmen Decke um die Hüfte.

Die quirligen, lebendigen Wochen des Sommers mit den vielen Erlebnissen unter freiem Himmel ziehen vor unserem inneren Auge vorbei. So mancher Sommertraum mag noch das Gemüt erwärmen, aber kalte Nächte und der erste Frost sind nicht mehr fern. Bei manchen breitet sich jetzt etwas Wehmut im Herz aus – aufgrund des Gefühls, etwas zurückzulassen, nämlich die Leichtigkeit und den Übermut der Sommertage. Ganz langsam stimmen wir uns auf die dunkler und kälter werdende Jahreszeit ein. Im Unterschied zur Frühlings-Tag-und-Nacht-Gleiche vor sechs Monaten können wir jetzt statt Aufbruch und Neubeginn ein Gefühl der Sättigung und des Abschlusses wahrnehmen. Mit dem Abschied der warmen Jahreszeit wenden wir uns mehr nach Innen.

Die sterbende Natur schmückt sich zum letzten Mal: Rote Beeren gehören dazu.
© Roberto Bulgrin

Die Kräfte der Pflanzenwelt kehren in den Boden zurück.