Monika Reiter
Ruth M. Fenzl
Isabel Hollinger
Michael Aiglesberger
Martina Paminger
Lehrbuch für das 2. Jahr der Pflegefachassistenz
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Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek
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Alle Angaben in diesem Fachbuch erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr, eine Haftung der AutorInnen oder des Verlages ist ausgeschlossen.
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1. Auflage 2019
Copyright © 2019 Facultas Verlags- und Buchhandels AG
facultas Universitätsverlag, Wien, Österreich
Umschlagbild: Jacob Wackerhausen, istockphoto.com
Lektorat: Katharina Schindl, Wien
Satz und Abbildungen: Florian Spielauer, Wien
Druck: finidr
Printed in the E. U.
ISBN 978-3-7089-1804-4 print |
ISBN 978-3-99030-898-1 epub |
Vorwort
Hinweise zum Gebrauch des Buches
Lernfeld 1
Meine Rechte – Meine Pflichten
Rechtliche Grundlagen
Erwachsenenschutz-Gesetz (ErwSchG)
Vertretungsmöglichkeiten
ErwSchG in der medizinischen und pflegerischen Praxis
Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG) – Vertiefung
Geltungsbereich
Arten der Freiheitsbeschränkung
Meldung einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme
Alternativen zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen
Unterbringungsgesetz (UbG)
Voraussetzungen für eine Unterbringung
Voraussetzungen für eine Einweisung
Weitere Schritte im Krankenhaus
Kinder und Jugendliche im Krankenhaus
Allgemeines zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen
EACH-Charta
Rechtliche Situation
Begriffsdefinitionen (vgl. RIS 2018a)
Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz, Arbeitszeit- und Arbeitsruhegesetz
Der Pflegeprozess
Pflegeassessment
Erstassessment
Reassessment
Fokussiertes Assessment
Pflegeplanung
Pflegediagnostik
Pflegeziele
Pflegeinterventionen
Durchführen von Pflegeinterventionen
Evaluierung
Delegation
Stabile Pflegesituation
Delegation, Subdelegation und Anordnung im Einzelfall
Das kann ich!
Lernfeld 2
Gut beraten
Umgang im inter-/multiprofessionellen Team
Bedeutung der Familie im zentralen Betreuungssystem
Angehörige als Ressource oder Herausforderung
Young Carers – Kinder als pflegende Angehörige
Schulung – Beratung – Information
An- und Zugehörige bei Pflegeinterventionen informieren, anleiten, beraten
Unterstützung und Entlastung pflegender An- und Zugehöriger
Angehörigengespräche
Angehörigenentlastungsdienst
Ersatzpflege
Versicherungen für pflegende Angehörige
Besonderheiten in der häuslichen Pflege
Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF)
Definition
Grundprinzipien
Ziele
Akteure
Österreichisches Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung (ÖNBGF)
Ottawa-Charta
Arbeitsmedizin und BGF
Merkmale einer qualitätsvollen BGF
Ansprüche der Betriebe und der Beschäftigten an die BGF
Arbeitsspezifische Belastungen am Beispiel des Pflegepersonals
Risikoverhalten
Folgen arbeitsbedingter Belastungen
Gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen schaffen
Gesundheitskompetenz
Programme der BGF
Beratung
Gesundheitszirkel
Projekte
Verhältnisprävention und Verhaltensprävention
Verhältnisprävention
Verhaltensprävention
Das kann ich!
Lernfeld 3
Gut organisiert
Stellen- und Arbeitsplatzbeschreibung
Stelle versus Arbeitsplatz
Beratung in der Pflege
Schulung/Anleitung/Instruktion/Edukation
Beratung
Die Rolle der Pflege im multiprofessionellen Versorgungsteam
Pflegevisite
Primärversorgung
Nahtstellen
Settingangepasste Pflegemodelle
Das Pflegemodell nach Leininger
Das Pflegemodell nach Friedemann
Das Pflegemodell nach Peplau
Der Einzug in eine geriatrische Pflege- und Betreuungseinrichtung
Praxisanleitung
Planung der praktischen Anleitungssituation
Ablauf der praktischen Anleitungssituation
Das kann ich!
Lernfeld 4
Neuro-logisch
Gewaltprävention – „Red Flags“
Demenz als herausforderndes Verhalten für die Pflege
Validation
Aromapflege
Wickel und Auflagen
Musik
Licht
Snoezelen
Tiergestützte Pflege
Realitätsorientierungstraining (ROT)
Psychobiografische Pflege nach Böhm
Das geriatrische Basisassessment (vgl. ÖGGG 2011)
Screening nach Lachs
Barthel-Index
Frailty
Schmerz
Sturz und Mobilität
Ernährung
Kognition
Stimmungslage
Polypharmazie
Pflege von Menschen mit Demenz, psychiatrischen Erkrankungen und Behinderungen im Setting Krankenhaus
Gedächtnistraining
Multi-/Mehrspeichermodell
Gedächtnisformen
Unterstützung der Gedächtnisleistung
Gedächtnistraining als Teil der professionellen Pflege und Betreuung
Zehn Tipps zum kreativen Arbeiten mit älteren Menschen
Ideen zum kreativen Arbeiten
Aktivieren der Wahrnehmung
Kombination von Wahrnehmungsübungen
Die Zehn-Minuten-Aktivierung
Hitparade
Reise in die Vergangenheit
Erzählcafé
Dialekt und Umgangssprache
Spiele mit älteren Menschen
Das kann ich!
Lernfeld 5
0–18 Jahre
Grundlagen Kinder- und Jugendlichenpflege
Definition des Alters
Psychologische Besonderheiten
Anatomische Besonderheiten
Physiologische Besonderheiten
Wirkung von Medikamenten
Kinderkrankheiten und Krankheitsverläufe
Pflege von Neugeborenen und Säuglingen
Beobachtungskriterien
Schutz vor Auskühlung
Körperpflege
Schutz vor Infektionen
Physiologische Gewichtsabnahme
Ernährung
Sicherheit im Umgang mit dem Neugeborenen
Notfälle im Kindesalter
Hauptursachen
Präventive Maßnahmen
Verhalten im Notfall
Pflegerelevante Erkrankungen im Jugendalter
Essstörungen
Geistige Behinderung
Unterstützungs- bzw. Entlastungsangebote für An- und Zugehörige
Persönliche Assistenz
Finanzielle Unterstützung
Das kann ich!
Lernfeld 6
Chronisch krank – was nun?
Pflege bei Diabetes mellitus
Einteilung
Folgeerkrankungen
Diabetische Retinopathie
Diabetische Nephropathie/Niereninsuffizienz
Arteriosklerose
Diabetische Polyneuropathie
Diabetisches Fußsyndrom
Wichtige Verhaltenstipps für PatientInnen
Wundversorgung
Diabetes und Alter
Das kann ich!
Lernfeld 7
Noch viel zu tun
Schmerzen
Einteilung
Nozizeptorschmerzen
Neuropathische Schmerzen
Akute Schmerzen
Chronische Schmerzen
Durchbruchschmerz
Einflussfaktoren
Total pain
Schmerzanamnese
Schmerzverlauf
Schmerzlindernde Maßnahmen
Medikamentöse Schmerzbehandlung
Nicht-medikamentöse Schmerzbehandlung
Komplementäre Schmerzbehandlung
Übelkeit und Erbrechen
Ursachen
Anamnese
Therapie
Pflege
Obstipation
Ursachen
Anamnese
Pflege
Mundtrockenheit (Xerostomie)
Ursachen
Pflege
Terminale Dehydratation
Delirantes Syndrom, Verwirrtheit, Unruhe
Therapie und Pflege
Fatigue
Symptome
Ursachen
Therapie und Pflege
Atemnot
Ursachen
Symptome
Einschätzung der Atemnot
Therapie
Pflege
Sterbebegleitung
Die Begleitung Sterbender in den verschiedenen Phasen des Sterbeprozesses
Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens
Phase des Zorns
Phase des Verhandelns
Phase der Trauer/Depression
Phase der Zustimmung
Biografiearbeit in der Sterbebegleitung
Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie
Der Umgang mit den Bedürfnissen Sterbender
Das Anregen der Sinne
Der Einsatz von Fotos und Symbolen
Das Führen eines Biografieblatts
Die Begleitung Angehöriger im Sterbeprozess
Trauer
Trauerphasenmodell nach Verena Kast
Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens
Phase der aufbrechenden Emotionen
Phase des Suchens und Sich-Trennens
Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs
Komplikationen im Trauerverlauf
Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens
Phase der aufbrechenden Emotionen
Phase des Suchens und Sich-Trennens
Allgemeine Aufgaben in der Trauerbegleitung
Das kann ich!
Lernfeld 8
Schreibwerkstatt
Wissenschaft und Forschung
Pflegewissenschaft und Pflegeforschung
Der Gegenstand der Pflegeforschung
Pflegende in der Forschung
Der Forschungsprozess
Forschungsergebnisse finden
Forschungsergebnisse lesen und verstehen
Rahmenbedingungen für die Fachbereichsarbeit
Thema
Gliederung
Formale Kriterien
Zitierregeln
Literaturverzeichnis
Das kann ich!
Lernfeld 9
Gut auf die Praxis vorbereitet
Perioperative Pflege
Voruntersuchungen und Aufklärung
Psychische Begleitung
Präoperative Pflege
Körperpflege
Rasur bzw. Haarentfernung
Nahrungskarenz
Darmvorbereitung
Einüben postoperativer Fähigkeiten
Prämedikation
Transport in den OP
Postoperative Pflege
Übernahme aus dem Aufwachraum
Postoperative Überwachung
Postoperative Positionierung und Mobilisation
Postoperativer Kostaufbau
Umgang mit Wunddrainagen
Enterale Ernährung
Sonden
Naso-/orogastrale Sonde
Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)
Gastrotube und Stomabutton
Enterale Nahrungsverabreichung
Sondennahrung
Komplikationen
Katheter
Katheter-Arten
Setzen/Wechseln eines Blasenverweilkatheters
Entfernen eines Blasenverweilkatheters
Harnstreifentest
Kinaesthetics
Geschichtlicher Hintergrund
Ziele
Konzepte
Interaktion
Funktionale Anatomie
Menschliche Bewegung
Anstrengung
Menschliche Funktionen
Umgebung
Das kann ich!
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Stichwortverzeichnis
Dieses Lehrbuch ergänzt den Band „Pflegeassistenz Lehrbuch für die Pflegeassistenz und das 1. Jahr der Pflegefachassistenz“ und dient als Lerngrundlage für das 2. Ausbildungsjahr in der Pflegefachassistenzausbildung.
Die Inhalte der Themenfelder des 2. Ausbildungsjahres laut GuKG 2016 (BGBl. I Nr. 75/2016) wurden in neun Lernfeldern dargestellt, um die Förderung der Vernetzungskompetenz zu unterstützen. Die Zusammensetzung der neun Lernfelder beinhaltet einerseits eine Vertiefung der Inhalte des ersten Bandes und anderseits zusätzliche Inhalte, die zum Kompetenzerwerb für die Ausübung des Berufes Pflegefachassistenz erforderlich sind.
Besonderer Dank gilt dem Berufsförderungsinstitut Oberösterreich: Das bfi OÖ hat die Zustimmung zur Verwendung der vom Lehrerteam der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege erarbeiteten Lernfelder gegeben, und so maßgeblich zur Strukturierung in den beiden Fachbüchern beigetragen.
Monika Reiter im Juni 2019
Wichtige Worte im Text sind fett gedruckt.
Kernaussagen sind orange hinterlegt.
Aufgaben, Beispiele sind blau hinterlegt.
Am Ende jedes Abschnitts finden Sie eine Übersicht zur Wissensüberprüfung.
Das 2. Erwachsenenschutz-Gesetz (ErwSchG) trat mit 1. Juli 2018 in Kraft und löst die bisherige Sachwalterschaft ab. Die Möglichkeiten der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen mit psychischen Krankheiten oder vergleichbaren Beeinträchtigungen ihrer Entscheidungsfähigkeit werden dadurch erweitert. Wenn ein Mensch nicht mehr selbst entscheiden kann, mit welcher medizinischen Behandlung er einverstanden ist, benötigt er eine/n rechtliche/n StellvertreterIn.
Je nachdem, wie eingeschränkt die Entscheidungsfähigkeit der betroffenen Person ist, sieht das ErwSchG vier Möglichkeiten der Vertretung vor (vgl. BMASGK 2018a, HELP.gv.at 2018a):
1. Vorsorgevollmacht
Mit einer Vorsorgevollmacht kann eine Person das Recht auf Selbstbestimmung wahrnehmen und im Vorhinein festlegen, wer als Bevollmächtigte/r für sie entscheiden bzw. sie vertreten soll. Die Vorsorgevollmacht kommt im Fall des Verlusts der Geschäftsfähigkeit, der Einsichts- und Urteilsfähigkeit (z. B. Demenzerkrankung) oder der Äußerungsfähigkeit (z. B. längere Bewusstlosigkeit) zur Anwendung. Eine Vorsorgevollmacht muss bestimmte formale und rechtliche Voraussetzungen erfüllen.
Eine Vorsorgevollmacht kann auf folgende Arten erstellt werden:
vollständig eigenhändig geschrieben und unterschrieben,
vor einem Notar/einer Notarin, einem Rechtsanwalt/einer Rechtsanwältin oder bei Gericht erstellt, oder
durch Ausfüllen eines Formulars bzw. die Vorsorgevollmacht wird von einer anderen Person geschrieben. Dann muss die Vorsorgevollmacht vom/von der VollmachtgeberIn selbst und von drei ZeugInnen unterschrieben werden.
Eine Vorsorgevollmacht kann im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) gegen eine Gebühr registriert werden. Die Vorsorgevollmacht gilt unbefristet, sie kann jederzeit widerrufen oder gekündigt werden. Der Widerruf/die Kündigung muss zur Wirksamkeit im ÖZVV eingetragen werden.
In einer Vorsorgevollmacht werden die Angelegenheiten, für die eine Vollmacht erteilt wird, genau geregelt. Beispielsweise kann geregelt werden: Vertretung bei Behörden, Bankgeschähen, Vermögensverwaltung, Wohnungsangelegenheiten, Gesundheitsbelangen. Ein Muster für eine Vorsorgevollmacht ist unter https://www.patientenanwalt-kaernten.at/fileadmin/user_upload/Downloads/Vorsorgevollmacht.pdf downloadbar.
2. Gewählte Erwachsenenvertretung
Mit einer gewählten Erwachsenenvertretung kann eine Person mit eingeschränkter Entscheidungsfähigkeit eine/n VertreterIn für bestimmte Angelegenheiten wählen, diese Vertretungsform ist neu. Sie wurde für jene Fälle geschaffen, in denen nicht rechtzeitig vorgesorgt wurde. Denn hier kann, im Unterschied zur Vorsorgevollmacht, auch eine nicht mehr voll handlungsfähige Person eine/n gewählte/n ErwachsenenvertreterIn bestimmen. Voraussetzung ist, dass die betreffende Person die Tragweite der Bevollmächtigung noch in Grundzügen verstehen und sich entsprechend verhalten kann. Als VertreterIn kann eine nahestehende Person, die nicht verwandt sein muss, gewählt werden. Es können auch mehrere nahestehende Personen als gewählte VertreterInnen für jeweils einen anderen Wirkungsbereich bestimmt werden. Die gewählte Erwachsenenvertretung gilt ab der Eintragung im ÖZVV. Die Errichtung und Eintragung kann bei NotarInnen, RechtsanwältInnen oder bei einem Erwachsenenschutzverein erfolgen.
Die gewählte Erwachsenenvertretung gilt ebenfalls unbefristet, sie kann jederzeit widerrufen oder gekündigt werden. Der Widerruf/die Kündigung muss zur Wirksamkeit im ÖZVV eingetragen werden.
3. Gesetzliche Erwachsenenvertretung
Die gesetzliche Erwachsenenvertretung löst ab 1. Juli 2018 die „Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger“ ab. Sie wird dann eingesetzt, wenn keine Vorsorgevollmacht oder gewählte Erwachsenenvertretung mehr möglich ist. Diese Vertretungsbefugnis tritt nur in Kraft, wenn sie im ÖZVV eingetragen wurde. Die Eintragung kann bei NotarInnen, RechtsanwältInnen oder bei einem Erwachsenenschutzverein erfolgen.
Gesetzliche ErwachsenenvertreterInnen können Personen aus dem Kreis der nächsten Angehörigen sein, dazu zählen: (Groß-)Eltern, volljährige (Enkel-)Kinder und PartnerInnen (Ehe, eingetragene Partnerschaft, im gemeinsamen Haushalt lebende LebensgefährtInnen) sowie Geschwister, Nichten und Neffen und in einer Erwachsenenvertreter-Verfügung genannte Personen.
Die gesetzliche Erwachsenenvertretung verschafft Angehörigen Befugnisse in gesetzlich definierten Bereichen. Die Angehörigen sind in den Bereichen, die ausgewählt werden, vertretungsbefugt. Es können sich mehrere Angehörige für unterschiedliche Bereiche eintragen lassen. Die Angehörigen unterliegen in ihrer Tätigkeit der gerichtlichen Kontrolle und die Vertretung ist auf maximal drei Jahre befristet. Spätestens nach diesem Zeitraum wird geprüft, ob die Vertretung noch nötig ist oder ob für die/den Betroffene/n eine andere Form der Vertretung oder Unterstützung besser geeignet wäre.
4. Gerichtliche Erwachsenenvertretung
Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ersetzt die bisherige Sachwalterschaft. Die Befugnisse des/der gerichtlichen Erwachsenenvertreters/-vertreterin werden auf bestimmte und aktuell zu besorgende Vertretungshandlungen eingegrenzt. Eine gerichtliche Erwachsenenvertretung für alle Angelegenheiten kann es künftig nicht mehr geben.
Alle bestehenden Sachwalterschaften werden automatisch in gerichtliche Erwachsenenvertretungen umgewandelt. Bis zum 1.1.2024 muss bei allen automatisch übergeleiteten Sachwalterschaften überprüft werden, ob sie noch benötigt werden oder ob es Alternativen dazu gibt.
Die gerichtliche Erwachsenenvertretung ist bis zur Erledigung der Aufgabe oder längstens mit drei Jahren befristet. Sie kann aber verlängert oder in eine andere Vertretungsform (gewählte oder gesetzliche Erwachsenenvertretung) umgeändert werden.
Es gibt Entscheidungen, die nicht von einem/einer Erwachsenenvertreter/In getroffen werden können. Dazu gehören: Testamentserrichtung, Errichtung einer Patientenverfügung oder einer Vorsorgevollmacht, Eheschließung, Adoption eines Kindes und Anerkennung der Vaterschaft.
Das Gericht kann bei der Bestellung eines/einer gerichtlichen Erwachsenenvertreters/-vertreterin anordnen, dass bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit dessen/deren Genehmigung wirksam sein sollen, wenn das für die Abwendung einer ernstlichen und erheblichen Gefahr für die betroffene Person notwendig ist.
RechtsanwältInnen und NotarInnen können in Zukunft grundsätzlich maximal 15 Personen vertreten. Nur durch die Eintragung in die „Liste besonders qualifizierter Rechtsanwälte bzw. Notare“ ist eine Vertretung von mehr als 15 Personen möglich.
Durch das Inkrafttreten des Erwachsenenschutz-Gesetzes ergeben sich in der Praxis folgende Konsequenzen (vgl. HELP.gv.at 2018b, Wallner 2018a):
Wenn es fraglich ist, ob ein Mensch entscheidungsfähig ist, muss sich der Arzt/die Ärztin nachweislich darum bemühen, den Patienten/die Patientin in seiner/ihrer Urteilsbildung zu unterstützen.
Die bisher gängige Unterscheidung zwischen „einfachen“ und „schwerwiegenden“ medizinischen Behandlungen fällt weg. Damit dürfen auch nächste Angehörige, die als gesetzliche ErwachsenenvertreterInnen eingetragen sind, über PEG-Sonden, Chemotherapien, Operationen in Vollnarkose etc. entscheiden.
Es wird klargestellt, dass auch pflegerische, therapeutische, geburtshilfliche und andere gesundheitsberufliche Handlungen an PatientInnen denselben Stellvertretungsregeln unterliegen wie ärztliche Handlungen.
Nicht entscheidungsfähige PatientInnen müssen von einem/einer Vorsorgebevollmächtigten oder (gewählten, gesetzlichen oder gerichtlichen) ErwachsenenvertreterIn vertreten werden. Der/die StellvertreterIn hat sich am (mutmaßlichen) Willen des Menschen zu orientieren.
Auch nicht entscheidungsfähigen (aber kommunikationsfähigen) PatientInnen sind Grund und Bedeutung einer medizinischen Behandlung zu erklären.
Jede medizinische Zwangsbehandlung (d. h. Behandlung gegen den Willen des Menschen) bedarf weiterhin einer gerichtlichen Genehmigung.
Wenn für den Menschen Lebensgefahr, die Gefahr einer schweren Schädigung seiner Gesundheit oder starker Schmerzen bestehen („Gefahr im Verzug“), darf eine medizinisch indizierte Behandlung weiterhin auch ohne Zustimmung eines Stellvertreters/ einer Stellvertreterin oder Genehmigung des Gerichts begonnen werden. Sobald die Gefahr abgewendet ist, benötigt die Fortsetzung der Behandlung aber die Zustimmung bzw. Genehmigung.
Ein/e (gewählte/r, gesetzliche/r oder gerichtliche/r) ErwachsenenvertreterIn darf einem dauerhaften Wohnortwechsel (z. B. in ein Pflegeheim) des nicht entscheidungsfähigen Menschen nur dann zustimmen, wenn er/sie dafür eine gerichtliche Genehmigung hat. Ein/e Vorsorgebevollmächtigte/r benötigt eine gerichtliche Genehmigung nur bei einem dauerhaften Wohnortwechsel ins Ausland.
Die Sterilisation von und medizinische Forschung an nicht entscheidungsfähigen Personen ist weiterhin äußert restriktiv geregelt.
Für die reibungslose Umsetzung des 2. Erwachsenenschutz-Gesetztes wurden Konsenspapiere mit involvierten Institutionen verfasst. Diese Leitfäden für Banken, Angehörige von Gesundheitsberufen und Heime wurden zwischen dem Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, den Erwachsenenschutzvereinen und weiteren Institutionen ausgearbeitet und sind online abrufbar (vgl. BMVRDJ 2018).
Der Entscheidungsbaum zeigt, wie das Erwachsenenschutz-Gesetz in der Praxis in den jeweiligen Situationen anzuwenden ist.
Das Erwachsenenschutz-Gesetz in geltender Fassung können Sie unter https://www.ris.bka.gv.at/Dokumente/BgblAuth/BGBLA_2017_I_59/BGBLA_2017_I_59.html einsehen.
Im Folgenden wird auf mögliche Arten der Freiheitsbeschränkung und die Schritte der Meldung einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme näher eingegangen. Die grundlegenden Informationen zum HeimAufG finden sich im Fachbuch „Pflegeassistenz“ im Kapitel „Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG)“ (Reiter et al. 2018, S. 534).
Das HeimAufG hat seinen Geltungsbereich in Alten- und Pflegeheimen, in Behinderteneinrichtungen (stationäre und nicht stationäre) und anderen Einrichtungen (wie Pflegeplätzen oder Tagesstätten), in denen mindestens drei psychisch oder intellektuell beeinträchtigte Personen ständig betreut oder gepflegt werden. In Krankenanstalten kommt das HeimAufG zur Anwendung, wenn bei PatientInnen eine ständige Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit bereits bei der Aufnahme ins Krankenhaus besteht oder sie eine solche während des Krankenhausaufenthalts entwickeln. Auf psychiatrischen Abteilungen kommt das UBG (Unterbringungsgesetz) zur Anwendung.
Grundsätzlich werden mechanische, elektronische und medikamentöse Freiheitsbeschränkungen unterschieden.
Merke: Eine Freiheitsbeschränkung liegt bereits dann vor, wenn diese nur angedroht wird! Als Androhung ist bereits zu werten, wenn der/die BewohnerIn aus dem Gesamtbild des Geschehens den Eindruck gewinnt, dass er/sie seinen/ihren Aufenthaltsort nicht mehr verlassen kann. Daher ist eine Freiheitsbeschränkung auch dann gegeben, wenn die Person einen unversperrten Ort nicht verlässt, weil sie damit rechnen muss, am Verlassen gehindert oder zurückgeholt zu werden. Die Dauer einer Freiheitsbeschränkung ist unerheblich.
Zu den mechanischen Freiheitsbeschränkungen zählen beispielsweise:
Hindern am Verlassen eines Bereiches
versperrte Zimmer-, Stations-, Eingangstüren, um das Verlassen eines Bereichs unmöglich zu machen
Drehknöpfe bzw. komplizierte Türöffnungsmechanismen
labyrinthartige Gänge und Gärten
Festhalten
„Auszeit-Raum“ (Isolierraum)
Entfernen von Gehhilfen bzw. diese außer Reichweite stellen
Hindern am Aussteigen aus dem Rollstuhl oder am Aufstehen von einer Sitzgelegenheit
Fixieren im Rollstuhl mit Gurten, Sitzhose, Sitzweste oder Leintuch
Tisch vor einem Rollstuhl mit angezogenem Bremspedal, wenn die Person die Bremsvorrichtung nicht selbst lösen kann
Tisch vor einem Sessel, den die Person aus eigener Kraft nicht verrücken kann
Therapieplatte am Rollstuhl
Hindern am Verlassen des Bettes durch
Seitenteile
Gurte im Bett
Gegenstände wie z. B. Nachtkästchen, die als Hindernis vor das Bett gestellt werden
Fixierung der Arme am Bett (z. B. damit sich Betroffene keine Kanülen, Sonden, Katheter entfernen können)
Zu den elektronischen Freiheitsbeschränkungen zählen beispielsweise Türcodes, Alarm-/ Überwachungssysteme und Personenortungssysteme, die die Auffindung einer Person erleichtern.
Eine Freiheitsbeschränkung durch Medikamente kann vorliegen, wenn die Verabreichung von Medikamenten (z. B. Sedativa) die Bewegungsmöglichkeiten verringert bzw. den Willen zur Fortbewegung schwächt. Bei bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen eines Medikaments, das aus eindeutigen therapeutischen Gründen indiziert ist, liegt keine Freiheitsbeschränkung vor. Laut oberstem Gerichtshof ist bei mehreren gleichwertigen therapeutischen Möglichkeiten jenes Medikament zu wählen, das die Bewegungsfreiheit am wenigsten beeinträchtigt. Grundsätzlich ist, falls möglich, immer auf eine Medikation zurückzugreifen, deren sedierende Nebenwirkung möglichst gering ist (vgl. Bürger 2014, S. 4–20).
Die Meldung von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen hat ehestmöglich durch den/die EinrichtungsleiterIn zu erfolgen. Meist erfolgt die Meldung bzw. Aufhebung freiheitsbeschränkender Maßnahmen via Web-Applikation. Abb. 2 zeigt, welche Informationen zur Meldung erforderlich sind und wie die jeweiligen Felder zu befüllen sind.
Wie die jeweiligen Felder auszufüllen sind, ist nachfolgend beschrieben:
Anzukreuzen, wenn eine Freiheitsbeschränkung oder eine Freiheitseinschränkung vorgenommen wird. Unter einer Freiheitsbeschränkung versteht man die Beschränkung der Bewegungsfreiheit ohne oder gegen den Willen der Betroffenen. Unter einer Freiheitseinschränkung versteht man die Beschränkung der Bewegungsfreiheit mit Willen der für diese Frage einsichts- und urteilsfähigen Person. Im Falle einer Freiheitseinschränkung ist unbedingt das Feld 5 („Zustimmung der einsichts- und urteilsfähigen BewohnerIn/PatientIn/ KlientIn“) anzukreuzen. ACHTUNG: Werden zu einem späteren Zeitpunkt noch andere freiheitsbeschränkende Maßnahmen gesetzt, so sind auch diese mittels Formular zu dokumentieren und zu melden! |
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Anzukreuzen, wenn eine Freiheitsbeschränkung oder -einschränkung aufgehoben wird. Jede Freiheitsbeschränkung ist bei Wegfall bereits einer der Voraussetzungen oder mit Ende der gerichtlich festgesetzten Frist aufzuheben. Bei der Meldung einer Aufhebung einer Freiheitsbeschränkung müssen die Felder „Beginn der Freiheitsbeschränkung“, „voraussichtliche Dauer der Freiheitsbeschränkung“ und „Grund der Freiheitsbeschränkung“ nicht ausgefüllt werden. |
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Anzukreuzen, wenn eine bereits durch das Gericht für zulässig erklärte Freiheitsbeschränkung über die vom Gericht festgesetzte Frist verlängert werden soll. ACHTUNG: Ist die Freiheitsbeschränkung weiterhin nötig, dann ist spätestens 14 Tage vor Ablauf der gerichtlichen Frist der Zulässigkeit die Verlängerung der freiheitsbeschränkenden Maßnahme(n) an die Bewohnervertretung zu melden. Als Beginn der Verlängerung ist der dem letzten Tag der Frist folgende Kalendertag anzugeben. |
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Hier muss die geschätzte voraussichtliche Dauer angegeben werden (< 48 Stunden, 3–7 Tage, >7 Tage und >6 Monate). Dauert die freiheitsbeschränkende Maßnahme bei der ersten Vornahme länger als 48 Stunden, dann ist der Einrichtungsleiter für die Einholung der erforderlichen ärztlichen Dokumente gem §5 Abs 2 HeimAufG verantwortlich. Bei der Verlängerung einer Freiheitsbeschränkung gem. §19 HeimAufG ist als Beginn der Verlängerung der dem letzten Tag der gerichtlich festgesetzten Frist folgende Kalendertag anzugeben. |
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Dieses Feld ist anzukreuzen, wenn eine Freiheitseinschränkung (d. h. Einschränkung der Bewegungsfreiheit auf Wunsch der einsichts- und urteilsfähigen Bewohnerin/Patientin/ Klientin) gemeldet wird. Da auch bei einer Freiheitsbeschränkung auf Wunsch der einsichts- und urteilsfähigen Person der Grund gem. §6 Abs. 2 HeimAufG dokumentiert werden muss, soll die diesbezügliche Angabe im Feld „Konkrete Beschreibung der Gefährdung“ erfolgen (bspw. „Bewohnerin fürchtet in der Nacht aus dem Bett zu fallen“). |
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Da eine psychische Krankheit oder geistige Behinderung bei einer Freiheitsbeschränkung gegen oder ohne den Willen einer Person vorliegen muss, ist dies hier zu dokumentieren. Die medizinische Diagnose sollte hier festgehalten werden und optional kann auch der ICD-10-Code angegeben werden. |
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Für die Zulässigkeit einer Freiheitsbeschränkung muss eine ernstliche und erhebliche Selbst- und/oder Fremdgefährdung vorliegen. Ernstlich bedeutet, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes gegeben ist und die vage Möglichkeit einer Selbst- oder Fremdgefährdung nicht genügt. Erheblich ist eine Gefährdung dann, wenn ein gesundheitlicher Schaden eintritt, der eine längere Genesungsdauer als 24 Tage nach sich zieht (z.B. Knochenbruch, Gehirnerschütterung oder eine massive Beeinträchtigung des Heilungsverlaufes). Die konkrete Beschreibung der Selbst- und/oder Fremdgefährdung ist hier einzutragen |
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Angaben zu den ärztlichen Dokumenten gem §5 Abs 2 HeimAufG: Wenn eine Person länger als 48 Stunden oder über diesen Zeitraum hinaus wiederholt beschränkt wird, hat der Leiter der Einrichtung unverzüglich ein ärztliches Gutachten, ein ärztliches Zeugnis (§55 Ärztegesetz 1998) oder sonstige ärztliche Aufzeichnungen (§51 Ärztegesetz 1998) einzuholen, welches belegt, dass die Person psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit ihr Leben oder ihre Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet. Achtung: Diese ärztlichen Dokumente müssen im Zeitpunkt der Vornahme aktuell sein! |
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Hier angeben, welche gelinderen Maßnahmen vor der Vornahme der mittels des Formulars gemeldeten Freiheitsbeschränkung versucht worden sind. Die freiheitsbeschränkende Maßnahme muss das gelindeste Mittel sein. Hier sollen die Gründe angeführt werden, aus denen die anordnungsbefugte Person die Freiheitsbeschränkung für notwendig erachtet und keine weiteren gelinderen Maßnahmen zur Anwendung kommen. |
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Unterschrift des Einrichtungsleiters, der gem. § 7 Abs 2 HeimAufG für die Meldung der vorgenommenen Freiheitsbeschränkung an die Bewohnervertretung verantwortlich ist. |
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Freiheitsbeschränkungen sind sofort aufzuheben, wenn eine der (materiellen) Voraussetzungen wegfällt oder die gerichtlich festgesetzte Zulässigkeitsfrist ausläuft. Dieses Feld ist immer dann auszufüllen, wenn Feld 2 angekreuzt wurde. |
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Eine Freiheitsbeschränkung durch Hindern am Verlassen eines Bereichs können Maßnahmen sein, die es einer Person unmöglich machen, Teile des Gebäudes, das Gebäude selbst oder den Garten zu verlassen (z.B.: verschlossene Türen, schwierig zu öffnende Drehknöpfe, codierte Türschlösser, Irrgärten, versteckte Türen, Rundgänge, Lichtleitsysteme, Anmerkung: Das Feld „Andere Freiheitsbeschränkungen-/einschränkungen“ dient nur der Angabe von Freiheitsbeschränkungen, die nicht zur Auswahl vorgegeben sind. |
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Jede Maßnahme, die es einer Person unmöglich macht, ohne fremde Hilfe aus dem Rollstuhl aufzustehen (z.B.: Gurte, festgezogene Bremsen vor Tisch, Therapietisch, Keilpolster, …). |
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Jede Maßnahme, die es einer Person unmöglich macht, von einer Sitzgelegenheit aufzustehen (z.B.: Gurte, Tisch, Therapietisch, Keilpolster etc.). |
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Jede Maßnahme, die es einer Person unmöglich macht, das Bett zu verlassen (z. B.: Seitenteile, Steckgitter, Gurte, Handmanschetten, Netzbett …). |
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In Betracht kommen hier medikamentöse Behandlungen, die mit Bewegungseinschränkungen verbunden sind. |
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Unterschrift der anordnungsbefugten Person gem §5 Abs 1 HeimAufG. |
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Diese Felder dienen der internen Dokumentation der Einrichtung, an welche gesetzlichen Vertreter (z.B. Sachwalter, Vertrauensperson, …) die Meldung übermittelt wurde. Der gesetzlichen BewohnervertreterIn ist die Meldung jedenfalls zu übermitteln. |
(VertretungsNetz 2010)