ADRIAN DOYLE

&

TIMOTHY STAHL

 

 

BLUTVOLK, Band 7:

Der Tod im Eis

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

Die Autoren 

 

Was bisher geschah... 

 

DER TOD IM EIS 

 

Vorschau auf BLUTVOLK, Band 8: IM BANN DES KINDES von Adrian Doyle & Timothy Stahl 

 

Glossar 

 

Das Buch

 

Er war in einem mit Flüssigkeit gefüllten Tank erwacht, angeschlossen an Drähte und Sensoren und ohne Erinnerung an sein bisheriges Leben.

Was daran lag, dass er kein bisheriges Leben hatte.

Er war ein Homunkulus, ein genetisch geschaffener Vampir. Seine Aufgabe: sich zu vermehren, so schnell und effektiv wie möglich.

Dieser Plan scheiterte. Sein Nachwuchs starb, als das Schiff, auf dem er vor seinen Schöpfern floh, ausbrannte. Ihm selbst gelang es, sich nahe Alaska ins Meer zu retten. Vom Feuer ins Eis.

Aber Kälte konnte ihm nichts anhaben. Denn er trug die Hölle in sich...

 

BLUTVOLK – die Vampir-Horror-Serie von Adrian Doyle und Timothy Stahl: jetzt exklusiv als E-Books im Apex-Verlag.

Die Autoren

 

 

Manfred Weinland, Jahrgang 1960.

Adrian Doyle ist das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Lektors Manfred Weinland.

Weinland veröffentlichte seit 1977 rund 300 Titel in den Genres Horror, Science Fiction, Fantasy, Krimi und anderen. Seine diesbezügliche Laufbahn begann er bereits im Alter von 14 Jahren mit Veröffentlichungen in diversen Fanzines. Seine erste semi-professionelle Veröffentlichung war eine SF-Story in der von Perry-Rhodan-Autor William Voltz herausgegebenen Anthologie Das zweite Ich.

Über die Roman-Agentur Grasmück fing er Ende der 1970er Jahre an, bei verschiedenen Heftroman-Reihen und -Serien der Verlage Zauberkreis, Bastei und Pabel-Moewig mitzuwirken. Neben Romanen für Perry-Rhodan-Taschenbuch und Jerry Cotton schrieb er u. a. für Gespenster-Krimi, Damona King, Vampir-Horror-Roman, Dämonen-Land, Dino-Land, Mitternachts-Roman, Irrlicht, Professor Zamorra, Maddrax, Mission Mars und 2012.

Für den Bastei-Verlag hat er außerdem zwei umfangreiche Serien entwickelt, diese als Exposé-Autor betreut und über weite Strecken auch allein verfasst: Bad Earth und Vampira.

Weinland arbeitet außerdem als Übersetzer und Lektor, u. a. für diverse deutschsprachige Romane zu Star Wars sowie für Roman-Adaptionen von Computerspielen.

Aktuell schreibt er – neben Maddrax – auch an der bei Bastei-Lübbe erscheinenden Serie Professor Zamorra mit.

 

 

 

Timothy Stahl, Jahrgang 1964.

Timothy Stahl ist ein deutschsprachiger Schriftsteller und Übersetzer. Geboren in den USA, wuchs er in Deutschland auf, wo er hauptberuflich als Redakteur für Tageszeitungen sowie als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Szene-Zeitschrift für junge Leser tätig war.

In den 1980ern erfolgten seine ersten Veröffentlichungen im semi-professionellen Bereich, thematisch alle im fantastischen Genre angesiedelt, das es ihm bis heute sehr angetan hat. 1990 erschien seine erste professionelle – sprich: bezahlte - Arbeit in der Reihe Gaslicht. Es folgten in den weiteren Jahren viele Romane für Heftserien und -reihen, darunter Jerry Cotton, Trucker-King, Mitternachts-Roman, Perry Rhodan, Maddrax, Horror-Factory, Jack Slade, Cotton Reloaded, Professor Zamorra, John Sinclair u. a.

Besonders gern blickt er zurück auf die Mitarbeit an der legendären Serie Vampira, die später im Hardcover-Format unter dem Titel Das Volk der Nacht fortgesetzt wurde, und seine eigene sechsbändige Mystery-Serie Wölfe, mit der er 2003 zu den Gewinnern im crossmedialen Autorenwettbewerb des Bastei-Verlags gehörte.

In die Vereinigten Staaten kehrte er 1999 zurück, seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf; außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt er in Las Vegas, Nevada.

  Was bisher geschah...

 

 

Das Geschlecht der Vampire steht vor seinem Untergang, als sich Lilith, Urmutter aller Blutsauger, mit Gott versöhnt. Er »impft« den Lilienkelch mit einer Seuche, die alle Sippenoberhäupter rund um den Globus infiziert. Landru, einer der ältesten Vampire und Kelchhüter, setzt unwissentlich die Seuche frei. Sie wird von den Oberhäupter auf ihre Sippen übertragen. Die infizierten Vampire – bis auf die Anführer selbst – werden von einem unbändigen Durst nach Blut befallen, den sie nicht löschen können. Sie altern rapide. Lilith Eden, Tochter einer Vampirin und eines Menschen, erhält den Auftrag, auch die letzten überlebenden Vampire zu vernichten.

Aber auch das Böse reagiert. In einem Kloster in Maine, USA, gebiert die junge Nonne Mariah einen Knaben. Als kurz darauf ein infizierter Vampir eintrifft, wird er von dem Kind geheilt! Doch die Vampire, die daraufhin zum Nonnenstift pilgern, werden getäuscht. Der Knabe entzieht ihnen alle Kraft und Erfahrung und wächst dabei um gut drei Jahre.

Sowohl die Vampirseuche als auch die Geburt des Kindes haben das Weltgefüge auf einer spirituellen Ebene erschüttert. Rund um den Erdball träumen para-sensible Menschen von unerklärlichen Dingen und möglichen Zukünften. Eine geheime Organisation, die dem Anschein nach mit dem Vatikan in Verbindung steht, schickt »Gesandte« aus, um diese Menschen anzuwerben.

Neben den Vampiren gibt es noch ein weiteres uraltes Volk: die Werwölfe. Zu ihnen gehört Nona, die Landru seit Urzeiten kennt und begehrt, seit sie sein Blut aus dem Lilienkelch trank. Nona bricht auf, um die Herkunft der Seuche zu ergründen. Sie glaubt, dass Landrus Erzfeindin Lilith Eden dahintersteckt. Nona will ihr aber nicht allein gegenübertreten. Sie sucht einen Indianerstamm auf, den Landru einst zu Vampiren machte. Makootemane, der Sippenführer, hat die Seuche vorausgesehen und sich rechtzeitig zurückgezogen, um seine »Kinder« nicht ins Verderben zu reißen. Was Nona nicht ahnt: Die indianischen Vampire haben durch die Verbindung mit ihren Totemtieren, den Adlern, dem Bösen entsagt. Sie leben in »Symbiose« mit einem Dorf, von dessen Einwohnern sie sich ernähren, ohne sie zu töten. Auch können sie sich statt in Fledermäuse in Adler verwandeln.

Hidden Moon, ein Krieger des Stammes, begleitet Nona, als diese ihm von einer »guten Vampirin« erzählt. Als sie die Halbvampirin stellen und Nona Lilith töten will, verhindert Hidden Moon dies und offenbart seine Gesinnung. Lilith beteuert, nicht selbst hinter der Seuche zu stecken, und Nona muss sich mit dieser Aussage zufriedengeben, bevor sich Hidden Moon wieder mit ihr zurückzieht. Gleichzeitig gelingt es Makootemane, die magische Pest in einem spirituellen Duell zu besiegen...

DER TOD IM EIS

 

 

 

  Dezember 1996 

Polarmeer, Alaska

»Verdammt, Gideon, stell das Ruder fest und hilf mir endlich!« Unbeholfen stocherte Trimble Foxglove mit der hölzernen Stange zwischen den Eisschollen nach der reglosen Gestalt und versuchte sie an die Bordwand der Ardent heranzuholen.

»Wozu die Eile?«, rief Gideon Lavrakas zurück. »Der Kerl ist mausetot. Im eiskalten Wasser überlebt keiner länger als ein paar Minuten.« Er kletterte die mit Eis umkrusteten Stufen vom Ruderstand herab und trat an die Reling. »Oder siehst du irgendwo ein anderes Schiff, von dem er gerade gefallen sein könnte?« Das breite Grinsen schien sein Gesicht in zwei ungleiche Hälften zu spalten. Trotzdem packte er mit zu, und gemeinsam schafften sie es schließlich, den bleichen Körper an Bord zu hieven.

Und sie holten tatsächlich keinen Toten auf die Ardent.

Sondern den Tod selbst.

 

Der Mann, den sie aus den eisigen Fluten gezogen hatten, war kein Inuit, wie die Eskimos sich selbst nannten. Körperbau und Gesichtszüge waren die eines – wenn auch nicht gerade schönen – Europäers mit auffallend bleicher Haut und schulterlangem, dunklem Haar.

Gideon Lavrakas hatte recht gehabt. Der Mann war zweifelsfrei tot. Und tief in sich hatte auch Foxglove nicht daran gezweifelt, dass sie den Nackten nur noch tot würden bergen können.

Aber wer der Tote auch sein mochte, er hatte zumindest ein anständiges Begräbnis verdient. Hier draußen wäre er nur ein Fraß des Meeresgetiers geworden. Und ein solches Ende gönnte Trimble Foxglove seinem ärgsten Feind nicht. Er hatte schon eine ganze Reihe angefressener Leichen gesehen und selbst mit aus dem Wasser gefischt – während der Krebsfangsaison verloren alljährlich Hunderte von Männern ihr Leben vor den Küsten Alaskas, wenn meterhohe Wellen sie über Bord spülten oder ganze Crabber unter dem Gewicht eisiger Panzer kenterten. Verdammt kein schöner Anblick...

Foxglove spuckte aus.

Ausgestreckt lag der Tote auf dem Boden der Kabine, steif und nackt. Vermutlich hatten die scharfkantigen Eisschollen im Wasser ihm die Kleidung regelrecht vom Leib gefetzt. Seine Haut hatte die Farbe von Porzellan, und wie Foxglove beim Hereintragen der Leiche festgestellt hatte, fühlte sie sich auch so an, hart und glatt. Widerlich.

Er würde froh sein, wenn sie ihren makabren Fund in Barrow wieder von Bord schaffen konnten. Aber das würde noch eine Weile dauern. Noch zwei Tage. Wenn sie Glück hatten.

Das Wetter und die See waren zu dieser Jahreszeit unberechenbar. Aus dem Nichts konnte ein Sturm aufkommen und sie im Zeitplan um Stunden zurückwerfen. Wenn sie ihn überhaupt überstanden. Auch damit musste man hier rechnen – dass jede Fahrt die letzte sein konnte.

Bisher hatten Trimble Foxglove und Gideon Lavrakas mit der Ardent noch jedem Unwetter getrotzt. Foxglove hatte schon vor langem aufgehört, für jeden überstandenen Sturm eine Kerbe in die Reling zu schlagen. Weil zu befürchten war, dass er die Bordwand damit irgendwann ruiniert haben würde. 

Seit fast dreißig Jahren bildeten die beiden Inuit ein Team, ein Zwei-Mann-Unternehmen. Ihr Geschäft bestand darin, die Arbeiter und Mannschaften von weit abgelegenen Forschungscamps und Bohrinseln mit allem Lebensnotwendigen zu versorgen. Begonnen hatten Foxglove und Lavrakas damit Ende der sechziger Jahre, als in Alaska das Ölgeschäft boomte. Die Firmen hatten damals nur ihren Profit im Kopf gehabt; die Versorgung ihrer Arbeiter war ihnen erst in den Sinn gekommen, als man festgestellt hatte, dass es kaum Wege und Möglichkeiten der Nachschublieferung gab.

Trimble Foxglove und Gideon Lavrakas hatten die Marktlücke damals erkannt und geschlossen, soweit es ihnen möglich gewesen war. Von ihrem eigenen Volk waren die beiden Inuit mit Verachtung gestraft worden, weil sie dem Naluaqmiu, dem weißen Mann, zuarbeiteten. 

Heute, nachdem ihr Geschäft seit Jahren mehr oder weniger florierte, wussten Foxglove und Lavrakas, dass ihre Entscheidung die richtige gewesen war. Denn ein Großteil ihrer Stammesbrüder und -schwestern lebte heute von der Sozialhilfe oder von dem wenigen, was die Natur ihnen noch zu geben bereit war. Ansonsten trauerten sie den Traditionen nach, die Zeit und Fortschritt verschlungen hatten.

Jetzt waren sie mit der Ardent, dem Kutter, der ihnen seit Jahr und Tag treue Dienste leistete, unterwegs nach Icy Cape, wo amerikanische Wissenschaftler, die sich der Erforschung der verschiedenen Schichten der arktischen Eisdecke widmeten, auf frische Lebensmittel und technisches Gerät warteten. 

Foxglove sah erneut auf die Leiche hinab und seufzte schwer.

In Icy Cape würden sie den Toten nicht lassen können. Sie mussten ihn mit zurück nach Barrow nehmen, um ihn dort den Behörden zu melden. Man würde dann versuchen, ihn zu identifizieren.

»Verflucht, wenn nur das Wetter hält«, grummelte Trimble Foxglove, doch es klang nicht annähernd so missmutig, wie er es sich gewünscht hätte – sondern mehr ängstlich.

Er wusste nicht, weshalb der Anblick des Toten ihm solches Unbehagen einflößte. Es war nicht die erste Wasserleiche, die er sah, und es war auch nicht die erste, die sie an Bord der Ardent hatten. Es lag auch nicht daran, dass feiner Dampf den bleichhäutigen Leichnam umwaberte wie Nebel. Das war ein normaler Vorgang, wenn steifgefrorene Leichen in der »Wärme« (die nur ein paar Grad über Null lag) der Kabine »auftauten«, und hatte nichts mit »sich verabschiedenden Lebensgeistern« oder etwas anderes in der Art der Geschichten zu tun, die die Angatkuq, die Schamanen, erzählt hatten. 

Und doch – etwas war anders an diesem Toten. Etwas, das sich mit jedem Blick, den Foxglove auf ihn warf, kaum merklich verstärkte und inzwischen schon eine Intensität erreicht hatte, die es ihm unmöglich machte, das daraus erwachsende Gefühl zu ignorieren.

Vielleicht, überlegte Foxglove, hatte es ja schon begonnen, bevor sie den Körper aus dem Wasser holten. Denn eigentlich hätte er Lavrakas' Ansicht, dass der Mann tot wäre, teilen müssen. Aber er hatte es nicht getan. Als hätte ihm jemand eine gegenteilige Meinung eingeflüstert... 

Foxglove fröstelte bei dem Gedanken, und er schüttelte sich regelrecht, als er ein weiteres Mal auf den Toten hinabsah. Die fast unsichtbaren Schwaden, die von seiner Haut aufstiegen, schufen die Illusion unnatürlicher Bewegung.

Nur die Illusion?

Trimble Foxglove zuckte zusammen wie unter einem schwachen elektrischen Schlag, und für eine endlose Sekunde grub das Erschrecken tiefe Spuren in sein flaches Inuit-Gesicht.

Und für die Dauer genau dieser Sekunde hätte Foxglove Stein und Bein geschworen, dass der Tote die Lider geöffnet und ihn aus nachtfarbenen Augen angestarrt hatte!

Der Inuit blinzelte, doch als er wieder hinschaute, lag der Tote so auf dem Boden, wie er und Lavrakas ihn abgelegt hatten. Starr und steif, mit geschlossenen Augen – tot eben.

Hastig warf Trimble Foxglove einen Blick zur Uhr, die an der Wand der zweckmäßig eingerichteten Kabine hing. Es war an der Zeit, Gideon am Ruder abzulösen. Und so sehr es Foxglove vor der beißenden Kälte da draußen graute – er hätte im Moment nichts auf der Welt lieber getan, als den Platz dort oben in dem zugigen Unterstand einzunehmen. Es war immer noch besser, als hier unter Deck zu bleiben – und stückchenweise den Verstand zu verlieren.

Er knöpfte den Parka aus Karibufell zu, zog die Mütze über die Ohren und steckte die Hände in lederne Fäustlinge. Dann stapfte er die Stufen zum Ausstieg hoch, öffnete die niedrige Tür –

aber er kam nicht mehr dazu, die Kajüte zu verlassen. 

Hände krallten sich von hinten in seinen Parka.

Foxglove stürzte die Stiege hinab und prallte irgendwo hart mit dem Kopf auf.

Die Welt um ihn herum wurde dunkel. Und als sie nur noch aus Schwärze bestand, entdeckte Trimble Foxglove an ihren Rändern mächtige weiße Zähne, nadelspitz und widernatürlich lang.

Dann schwand auch dieser Anblick.

Schmerz trat an seine Stelle.

Schmerz, der für Trimble Foxglove irgendwann vergessen war.

Ebenso vergessen wie sein Leben vor diesem Schmerz.

 

 

Gegenwart

Las Vegas, Nevada

Die Luft selbst schien zu glimmen und zu blitzen und jedes noch so kleine Licht in dem riesigen Saal zu reflektieren. Der verwirrende Effekt betäubte die Sinne der Besucher – wenn sie nicht ohnedies schon völlig aufgegangen waren in dieser irrealen Welt des »Caesars Palace«. Hier hatte jeder Gedanken an die Wirklichkeit fast etwas Frevelhaftes.

Die verspiegelten Wände ringsum ließen den geradezu verschwenderisch großen Showpalast ins schier Unermessliche wachsen. Jede Bewegung fand darin ein Echo – nun, fast jede...

»Unforgettable, that's what you are. Unforgettable, so near or far...« 

Die Stimme, die den alten Song von Nat King Cole ins Mikrofon hauchte, schien nicht allein von der Bühne am Kopfende des Saals zu kommen, sondern von überall her. Sie füllte den mit marmornem Prunk ausstaffierten Raum, und das rauchige Timbre darin löste im Publikum so manchen wohligen Schauder aus.

Nur einen Zuhörer ließ sie offenbar unbeeindruckt. Er saß jenseits des Rampenlichts in Schatten gehüllt, und nur die kreuzförmige Narbe auf seiner Wange war in der Dunkelheit zu erahnen. Als würde sie schwach unter einem inneren Feuer glosen.

Sein Haar war im Nacken zu einem kleinen Pferdeschwanz gebunden, und seine Kleidung ging mit den Schatten ein finsteres Bündnis ein. Einer Aura gleich lag etwas spürbar Düsteres über ihm, das selbst den Widerschein der Lichtkaskaden verschlang.

Der Mann schaute nur scheinbar interessiert zur Bühne. Hätte ihn jemand beobachtet, so hätte er unschwer erkannt, dass seine schwarzen Augen im Moment Dinge sahen, welche sich allein ihnen offenbarten.

Dinge, die von furchtbarem Sterben kündeten, von tiefster Verzweiflung – und von heillosem Zorn. Und all das manifestierte sich im Blick des Unheimlichen in einer Stärke, die kein Mensch ertragen hätte, ohne darüber dem Wahnsinn zu verfallen.

Manchmal glaubte sich Landru all dem selbst kaum mehr gewachsen...

Der mächtigste der Vampire, dessen Leben nach Jahrtausenden zählte, stöhnte unter der Last der jüngsten Vergangenheit; die Geschehnisse weniger Wochen waren ihm zum Joch geworden.

Er zerbrach fast am Tod seines Volkes.

Die Alte Rasse starb. Landru zweifelte nicht länger daran. Alles, was er in den vergangenen Wochen gesehen und erlebt hatte, war untrüglicher Beweis für den Untergang der Vampire.

Er hatte eine Vielzahl von Städten auf dem nordamerikanischen Kontinent bereist, und überall hatte sich ihm das gleiche grauenhafte Szenario geboten: Die Vampirsippen waren allerorten in einen wahren Blutrausch verfallen. Sie tranken ihr lebenserhaltendes Elixier nicht mehr, sie soffen es! Doch ihr Durst war unstillbar geworden, und das Blut ihrer Opfer vermochte sie nicht mehr zu kräftigen. Die Vampire alterten rapide, verfaulten bei untotem Leibe – und gingen kläglich zugrunde.

Allein die Oberhäupter der Sippen blieben verschont.

Wie auch Landru selbst.

Eine Erklärung für all das hatte er indes noch nicht gefunden.

Nach wie vor war Landru auf Vermutungen angewiesen, und auf das, was sich aus dem Aneinanderreihen von Fakten ergab. Es war wenig. Doch dieses Wenige genügte, um ein Entsetzen zu schüren, das Landru mit blanker Wut niederzuringen versuchte – vergebens, denn es gab nichts Greifbares, gegen das er seinen Zorn hätte richten können.

Außer – gegen den Kelch...

Denn mit dem Lilienkelch hatte alles begonnen.

So vielversprechend begonnen...

Bis vor annähernd drei Jahrhunderten war Landru als Kelchhüter inkognito von Sippe zu Sippe gezogen, um mit dem Unheiligtum der Alten Rasse für »Nachwuchs« zu sorgen. Die Sippenführer gaben ihr eigenes Blut in den Kelch, geraubte Menschenkinder tranken es daraus – und starben an dem schwarzen Trunk. Um schließlich vom Tode aufzuerstehen – als Vampire.

Doch dann, nach tausend Jahren, war Landru der Lilienkelch geraubt worden. Der Hüter wurde zum Jäger des Grals. 268 Jahre lang verfolgte er jeden noch so geringen Hinweis auf den Verbleib des Kelches, ohne den es keine neuen Vampire geben konnte. Nur wenn Landru ihn wiederfand, konnte er den Fortbestand seines Volkes sichern.

Am Ausgang des Korridors durch die Zeit hatte er das Unheiligtum endlich gefunden. Der Kelch lag da, als hätte ihn jemand dort für ihn hingelegt.