Cover

Der exzellente Butler Parker
– Doppelband 2 –

Der exellente Butler Parker

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-201-3

Weitere Titel im Angebot:

Cover

Parker nervt den Goliath

Roman von Dönges, Günter

Das dritte Rennen war abgeläutet worden. Alle sechs Galopper kamen gut vom Start. Die Distanz waren die traditionellen eineinhalb Meilen. Schon auf der Geraden zog sich das Feld auseinander. Imperator unter Jack Maxwell lag vorn.

Der Jockey stand tief vorgebeugt in den Bügeln. Lady Agatha hielt ihr perlmutt-schimmerndes Fernglas an die Augen und folgte ihrem Favoriten bis zur Gegengeraden.

Im Publikum entstand Erregung. Prognosen wurden laut.

»Das Tempo hält der Gaul nicht durch...«

»Maxwell prügelt die letzten Reserven raus...«

Doch der vierjährige Außenseiter blieb an der Spitze und hatte schon die Zielgerade an den Tribünen vor sich. Lady Agatha geriet in Ekstase. »Gib’s ihm! Zeig’s ihm!« Imperator galoppierte, daß die Fetzen flogen.

Offenbar verstand der durch Myladys Hut bedrängte Nachbar die Anfeuerungsrufe als Anweisung an Parker. Er duckte sich und verpaßte dem Butler einen Hieb in die Magengegend. Sofort war ein Tumult im Gange.

»Verzeihung, Sir«, sagte Parker mit kaum merklicher Luftnot nach dem Schlag, ehe er den Angreifer mit Judo matt setzte.

Die Umstehenden achteten längst nicht mehr auf den Einlauf der Galopper. Lady Agatha wurde angerempelt und hin und her gestoßen, als die allgemeine Rauferei begann.

Josuah Parker schützte seine Herrin nach Kräften. Mylady schien nicht zu bemerken, was um sie herum vorging. Sie ruderte mit beiden Armen und ließ den Pompadour kreisen.

»Betrug...!« rief Agatha Simpson baritonal. »Er hält das Pferd absichtlich zurück!«

Josuah Parker fand im Getümmel einen Lidschlag lang Zeit für die Ziellinie. Imperator lag eine Nasenlänge hinter dem hochfavorisierten Mercy Dream zurück.

Was unmittelbar vor dem Ziel geschah, bekam Parker nicht mit, weil er sich in dem Getümmel wehren mußte. Lady Agatha reagierte, als hätte sich eine Katastrophe ereignet.

Imperator war gestürzt, der Jockey aus dem Sattel geflogen. Auch Mercy Dream schaffte die Ziellinie nicht. Wiehernd brach das Pferd aus, behinderte den Einlauf der restlichen Galopper und steilte mit den Hufen schlagend hoch.

Parker brauchte sich plötzlich nicht mehr zu wehren. Die ganze Aufregung konzentrierte sich auf das Geschehen im Ziel. Durango unter Freddie Winter wurde Erster, gefolgt von Silvermoon und Flabbergast. Auf der Tribüne war es still geworden.

Unten bemühten sich Stallburschen und Helfer, Imperator einzufangen und Mercy Dream zu beruhigen. Jack Maxwell hielt sich die Hüfte und hinkte davon.

»Das Rennen ist ungültig...«, behauptete Agatha Simpson.

»Mit Verlaub, Mylady«, sagte Parker. »Man sollte die Lautsprecherdurchsage abwarten und nicht unnötig Aufmerksamkeit erregen.«

»Mister Parker, ich habe tausend Pfund auf Platz und Sieg gesetzt! Ich habe viel verloren, wenn das Rennen nicht annulliert wird.«

»Geschieht Ihnen recht, Ma’am«, knurrte der Rennplatzbesucher, der Mylady zuvor beleidigt hatte. Er massierte sich diverse Körperpartien, die mit Parkers Judokunst Bekanntschaft gemacht hatten. »Wer sich so aufführt wie Sie, sollte Platzverbot bekommen. Wir sind in Ascot und nicht in einer Stierkampfarena...«

»Halten Sie den Mund!« fuhr ihn Lady Agatha an und warf den Kopf zurück, weil die Durchsagen des dritten Rennens begannen. Wieder wurden einige Zuschauer von Myladys apartem Hut gestreift, doch der Lautsprecher übertönte die ärgerlichen Ausrufe.

»... Durango auf dem ersten Platz und Sieger. Zweiter Silvermoon, Dritter Flabbergast. Vierter Platz für Dogrose. Imperator und Mercy Dream sind disqualifiziert, die Jockeys werden zur Rennleitung gebeten.«

Auf der Tribüne wurde es lebhaft. In den Applaus der glücklichen Gewinner mischten sich Buhrufe und Proteste, allen voran Agatha Simpson wollte das dritte Rennen annulliert haben.

»Mister Parker, ich werde gegen diese Entscheidung aufs schärfste Vorgehen. Die Betrüger stecken alle unter einer Decke ...«

»Sehr wohl, Mylady.« Der Butler bahnte eine Gasse bis zur Treppe. Er und seine Herrin gerieten trotzdem in den Sog der Gewinner, die bei den Schaltern der Buchmacher die ersten sein wollten.

Durangos Sieg kam unerwartet. Es regnete zerrissene Wettscheine, die die enttäuschten Zuschauer in die Luft warfen.

Agatha Simpson brachte ihre imposante Leibesfülle unnachsichtig bis zum Treppenabgang.

Es gelang ihr auch ohne Hilfe des Butlers, bis zum Gitter vorzudringen, hinter dem die Wettscheine geprüft und die Auszahlungen vorgenommen wurden. Lady Agatha präsentierte ihre Kopie.

»Ich verlange mein Geld zurück – sofort und auf der Stelle! Unerhört, wie eine alleinstehende Lady betrogen wird!«

»Imperator wurde disqualifiziert, Madam.«

Josuah Parker hatte sich mit vielen Entschuldigungen zu seiner Herrin durchgedrängt. »Die Entscheidung der Rennleitung ist nur anfechtbar, wenn Beweise für eine Manipulation erbracht werden können.«

»Das weiß ich selbst. Schaffen Sie die Beweise her, Mister Parker! Ich muß mein Geld wiederhaben, sonst bin ich ruiniert.«

Parker hielt dies für übertrieben, denn Agatha Simpsons Vermögen war immens.

»Wenn Mylady befehlen, wird meine bescheidene Wenigkeit mit Mister Maxwell Kontakt aufnehmen. Allerdings dürfte kaum mit befriedigenden Ergebnissen zu rechnen sein.«

»Dann übernehme ich es, den Mann zum Reden zu bringen. Führen Sie mich zum Aufreitplatz, Mister Parker! Ich werde Maxwell vor vollendete Tatsachen stellen. Er wird gestehen ...«

Agatha Simpson schritt hocherhobenen Hauptes davon. Der Angestellte des Buchmachers blickte ihr achselzuckend nach. »So, es geht weiter, Herrschaften. Die Einlaufwetten, aber die richtigen Scheine, wenn ich bitten darf...«

»Eine Unverschämtheit«, wandte sich die Lady an ihren Butler. »Ich hatte den richtigen Wettschein und bin betrogen worden!«

Parkers Miene blieb ungerührt. »Mylady erwähnten einen Tip. Ist es erlaubt zu fragen, von welcher Seite dieser Tip kam?«

Auf den Tribünen und auf dem Platz vor der Rennbahn hatte sich die Lage wieder normalisiert. Es kam häufig vor, daß ein in Führung liegendes Pferd auf der Zielgeraden stürzte. Maxwell hatte zu stark die Peitsche eingesetzt und Imperators Kraft vorzeitig verschlissen. Das größere Pech war aber, daß Mercy Dream, der Favorit, in den Sturz mit verwickelt worden war. Die passionierte Detektivin schritt angriffslustig durch die plaudernden Zuschauer, die auf das vierte Rennen warteten. Der Aufreitplatz war wie üblich dicht belagert, um aus dem aktuellen Zustand der Pferde Rückschlüsse auf den Ausgang des Rennens zu ziehen.

»Ich habe dafür bezahlt, Mister Parker«, erklärte Agatha Simpson. »Der Tip hat mich zwanzig Pfund gekostet. Alles stimmte. Imperator hätte das Rennen gemacht, wenn Mister Maxwell es nicht künstlich verhindert hätte.«

»Dies nachzuweisen wird schwer sein. Wenn Mylady mit dem Jockey sprechen wollen – Mister Maxwell steht dort drüben mit Lord Alfred zusammen.«

»Das schlechte Gewissen steht ihm im Gesicht geschrieben. Als erfahrene Kriminalistin habe ich für so etwas einen Blick.« Lady Agatha beeilte sich, bis zu Lord Alfred und dem Jockey vorzustoßen. Parker konnte kaum Schritt mit ihr halten.

»He!« rief Mylady wenig damenhaft. »Hiergeblieben, Maxwell! Halten Sie den Mann fest, Freddie. Ich werde diesen Betrüger streng verhören.«

»Oh, Agatha, liebe Freundin ...« Seine Lordschaft schien nicht sonderlich entzückt über das Zusammentreffen. »Maxwell arbeitet für mich. Er ist kein Betrüger. Ich war froh, daß ich einen solchen Mann für meinen Stall gewinnen konnte.«

»Soll das heißen, Sie haben Imperator in dieses Rennen geschickt? Sie waren das, Freddie?«

Lord Alfred sah unglücklich drein. »Mein Stallmeister hielt ihn für trainiert genug, das dritte Rennen zu gewinnen, Agatha. Maxwell hätte Imperator als ersten über die Ziellinie gebracht, wenn das Pferd nicht betäubt worden wäre. Es muß in der letzten Kurve vor der Zielgeraden passiert sein.«

»Was sagen Sie da?«

Seine Lordschaft nickte bedrückt. »Es wurde gerade amtlich festgestellt, Agatha. Imperator und Mercy Dream mußten zur Dopingkontrolle. In Imperators linker Hinterflanke steckte die Spitze einer Kanüle, wie sie bei Betäubungsgeschossen verwendet wird.«

»Und das erfahre ich jetzt erst? Sie haben hoffentlich das Rennen annullieren lassen, Freddie?«

»Das wäre gegen die Regeln. Wenn Imperator gedopt worden wäre und gewonnen hätte ... Aber er ist nicht mal Letzter geworden, weil er die Ziellinie nie passiert hat.«

*

Im hochherrschaftlichen Haus in Shepherd’s Market fand eine Krisensitzung statt. Lady Agatha tagte mit großer Besetzung. Sie hatte Lord Alfred Crosswood zu sich beordert, zu dessen Rennstall Imperator gehörte, der unglückselige Vierjährige. Auch Maxwell hatte antanzen müssen.

Als weitere Gäste waren erschienen: Chief-Superintendent McWarden vom Yard als Dezernent für organisiertes Verbrechen, Myladys Anwalt und Vermögensberater Mike Rander und zu Parkers nicht geringem Erstaunen der ehrenwerte Mister Horace Pickett.

Kathy Porter, Myladys Gesellschaftsdame und Sekretärin, war ohnehin zu Stelle. Sie lebte in dem altehrwürdigen Fachwerkhaus.

Josuah Parker bot Erfrischungen an, doch die Hausherrin funkte dazwischen.

»Lord Alfred ist Sportsmann und trinkt keinen Alkohol«, entschied Lady Agatha. »McWarden ist im Dienst und darf nicht trinken. Mister Rander, der gute Junge, verzichtet dankend, und Mister Pickett schließt sich ihm an. Mir geben Sie einen großen Brandy, Mister Parker.«

»Ich bin keineswegs im Dienst«, protestierte McWarden mit gerötetem Gesicht. »Ein kleiner Drink könnte nicht schaden nach dem harten Arbeitstag im Yard.«

»Ich will ja nicht so sein«, schien Parkers Herrin bereitwillig. »Aber Sie müssen einen klaren Kopf behalten, McWarden. Was schlagen Sie vor, wie wir die Leute überführen, die mich um mein Geld gebracht haben? Mit den Einzelheiten sind Sie ja vertraut gemacht worden.«

Der Yard-Mann rutschte in seinem Sessel herum. »Bringen Sie mir den Menschen, der den Betäubungspfeil abgeschossen hat, und ich werde ihn dienstgemäß behandeln.«

»Ist das alles?«

Mike Rander schaltete sich ein. »Ich fürchte, Mister McWarden kann wirklich nicht mehr tun, Mylady. Juristisch betrachtet gilt es überhaupt erst einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem betäubten Tier und dem Verlust des Ihnen zustehenden Gewinns.«

»Kommen Sie mir nicht mit Advokatenmätzchen, mein lieber Junge. Mir ist zuviel genommen worden, und ich verlange Ersatz, Wer mir das Geld auszahlt, ist schließlich gleichgültig.« Agatha Simpson blickte wie zufällig in die Richtung Seiner Lordschaft.

Alfred Crosswood wehrte erschrocken ab. »Ich will nichts damit zu tun haben, meine Liebe. Meinem Stall ist ein sicherer Sieg entgangen, und sogar das Startgeld wurde nicht ausgezahlt. Es war ein teurer Spaß, Imperator zu trainieren und auf Höchstform zu bringen. Nebenbei gesagt, ich selbst habe auch auf ihn gesetzt – einen Betrag, den ich vor Lady Isabelle erst noch verantworten muß.«

Agatha Simpson rümpfte die Nase. »Pah, Sie haben Angst vor der Frau, die Ihren guten Namen geheiratet hat, Freddie. Um Lady Isabelle nicht hellhörig zu machen, verweigern Sie Ihre Mithilfe.«

»Lady Isabelle...«, sagte der Lord leise, »hat die Mittel in die Ehe gebracht, die meiner Familie abhanden gekommen waren. Der Rennstall und damit auch Imperator gehört ihr so gut wie mir. Wenn das dritte Rennen angefochten wird, gibt es Ärger. Ohnehin ist auf dem Klageweg nichts zu erreichen, wie Mister Rander vorgetragen hat.«

»Unsinn! Mister Angus Sutterfield müßte die Lizenz als Buchmacher entzogen werden! Er hat mich um mein Geld betrogen ...«

Josuah Parker neigte sich zum Ohr seiner Herrin. »Mit Verlaub, Mylady, Mister Sutterfield hatte keinen Einfluß auf den Ausgang des Rennens. Sollte sich herausstellen, daß Mister Sutterfield kein Gentleman ist, könnte er Mylady wegen wissentlich falscher Anschuldigung verklagen.«

»Das soll er nur mal wagen«, rief die resolute Dame. »Ich sage, er ist ein Betrüger – und dabei bleibe ich. Wer schob mir denn den Tip zu, daß Imperator im dritten Rennen Erster werden würde?«

»Ja, wer denn?« McWarden beugte sich interessiert vor.

Die Hausherrin stärkte sich durch einen Schluck Brandy. »Sutterfield natürlich! Buchmacher verkaufen einem jeden Tip, den man haben will.«

»Das kann nicht sein«, fuhr Jack Maxwell ungefragt dazwischen. »Aus unserem Stall ist nicht der Hauch eines Tips nach draußen gelangt. Im Gegenteil! Imperator wurde schlechter hingestellt, als er ist.«

»Halt den Mund!« – »Schweigen Sie!« riefen Seine Lordschaft und Lady Agatha wie im gleichen Atemzug.

»Interessant.« McWarden schnaufte wie ein Fährtenhund. »Reden Sie ruhig zu Ende, Maxwell. Wettbetrug geht an die nationale Ehre.«

»Jetzt auf einmal«, beklagte sich die ältere Dame. »Für mein verlorenes Geld interessiert sich kein Mensch, aber wenn es darum geht, die Form eines Pferdes nach außen hin diskret zu behandeln, dann werden Sie hellwach, Mister McWarden.«

Jack Maxwell schluckte. »Ich will nichts gesagt haben, Sir.«

»Ist auch besser so«, assistierte ihm der Lord. »Achten Sie nicht auf das Gerede meines Aushilfsjockeys.« Er hatte einen roten Kopf bekommen. »Ich denke, Maxwell soll mich jetzt nach Hause fahren. Lady Isabelle wartet mit dem Tee.«

»Bitte bleiben Sie, Freddie!« Lady Agatha erhob sich aus ihrem Sessel. »Tee können Sie auch bei mir bekommen. Mister Parker serviert Ihnen eine Tasse.«

Parker bediente außer dem Lord auch den ehrenwerten Horace Pickett mit kaum erkennbarem Augenzwinkern. »Was sagen Sie zu dieser kuriosen Geschichte, Mister Pickett?«

»Das kommt vor«, erwiderte der ehemalige Eigentumsumverteiler, den Josuah Parker auf den Pfad der Tugend zurückgeführt hatte. »Bei einer Quote von vierhundertdreißig zu zehn ist es allerdings spektakulär, wenn ein krasser Außenseiter bis zur Ziellinie die Nase vorn behält. Man müßte prüfen, wer sonst noch auf Imperator gesetzt hat – und welchen Betrag.«

»Viel weniger als Myladys Betrag ist mir heute auch nicht entgangen«, gab Alfred Crosswood zu.

»Das macht schon viel aus, was Sutterfield gespart hat. In diesem Geschäft kommt leicht eine halbe Million zusammen, die ausgezahlt werden muß oder eben nicht.«

»Was wollen Sie damit sagen, Mister Pickett?«

Horace Pickett blickte den Chief-Superintendent offen an. »Schon hunderttausend Pfund sind Motivation genug, um einen skrupellosen Spießgesellen mit Blasrohr und Giftpfeilen im Innenkreis zu postieren.«

»Wie kommen Sie ausgerechnet auf den Innenkreis? Der Pfeil hätte auch von der Tribüne stammen können.«

»Bedenken Sie, daß Imperator in die linke Hinterflanke getroffen wurde, sofern ich das richtig verstanden habe, Sir. Die Pferde galoppieren stets im Gegenuhrzeigersinn. Das Betäubungsgeschoß kann daher nur vom Innenkreis gekommen sein.«

McWarden setzte eine gewichtige Miene auf. »Das engt den Täterkreis enorm ein, denke ich. Ich bin zwar kein Experte für Galopprennen, aber ich weiß, daß den Zuschauern der Aufenthalt im Innenraum der Bahn untersagt ist.«

»Das trifft zu, Sir. Zuschauer dürfen nicht hinein, dafür aber Betreuer und Sicherheitsleute, Journalisten, Fotografen und die TV-Teams, sofern das Rennen übertragen wird.«

»Was ich ja sage, aber mir hört keiner zu«, beklagte sich Lady Agatha. »Ich wußte sofort, daß mich das Fernsehen um mein Geld gebracht hat.«

Seit ihrem letzten Live-Auftritt vor den Kameras der BBC war Mylady auf die Fernsehleute nicht gut zu sprechen. Das wußten Mike Rander und Kathy Porter ebensogut wie Parker.

»Man bittet um Verzeihung, Mylady«, sagte der Butler. »Weshalb stören sich Mylady an den Bediensteten der Fernsehanstalt, die die heutigen Rennen übertragen hat?«

»Weil die etwas zu verbergen haben«, erwiderte Parkers Herrin. »Ich habe ein Gespür dafür. Sie kennen sich mit Blasrohrgeschossen doch aus, Mister Parker. Wie lang müßte ein Blasrohr sein, um sichere Treffer zu ermöglichen?«

»Die Länge ist nicht das Entscheidende, sondern der Druck, Mylady. Man darf annehmen, daß das Betäubungsgeschoß bereits in der Einlaufkurve ...«

»Stimmt genau, Mister«, sagte Jack Maxwell. »Imperator fiel merklich ab. Ich brauchte mehr Peitsche, als ich ihm zumuten wollte. Dann holte Winter auf Mercy Dream auf. Ich konnt’s nicht verhindern. Als Imperator stolperte und zu straucheln anfing, wußte ich schon, was passiert war.«

»Sie hat niemand gefragt, Maxwell«, reagierte Lady Simpson kühl. »Unterbrechen Sie Mister Parker nicht, wenn er die Ergebnisse meiner Kombinationen vorträgt. Fahren Sie fort, Mister Parker! Was meine ich also, wie die Waffe beschaffen sein muß?«

»Es handelt sich zweifelsohne um eine Preßluftwaffe, Mylady. Der Lauf könnte aussehen wie ein Richtmikrofon, während der Preßluftbehälter im Handstück untergebracht sein kann. Es bedarf einiger Abschußenergie, um nicht nur die Ampulle mit dem Betäubungsmittel und der Hohlnadel sicher zu plazieren, sondern auch die relativ dicke Epidermis des Pferdes zu durchbohren.«

»Aha«, sagte Chief-Superintendent McWarden und lehnte sich zufrieden zurück. »Jetzt haben wir den Täter eingekreist. Sie hatten recht, Lady Agatha. Es muß ein Mann des TV-Teams sein, denn wer sonst arbeitet mit einem Richtmikrofon.«

»Natürlich habe ich recht, McWarden. Haben Sie je daran gezweifelt, daß meine kriminalistische Begabung ausreichend ist?«

»Nein ... äh, doch. Verdammt, nein! Ich werde den Kameramann mit seiner kompletten Ausrüstung in meine Dienststelle rufen lassen und mir jedes einzelne seiner Geräte genau ansehen.«

»Mit Verlaub, Sir, das wäre unklug. Eine Vorladung nach Scotland Yard würde den Betreffenden nur warnen, insbesondere wenn damit die Aufforderung verbunden ist, das gesamte Arbeitsgerät zu präsentieren.«

»Haben Sie eine bessere Idee, Parker?«

»Man sollte jedenfalls nichts überstürzen, Sir.«

»Richtig«, ließ sich Horace Pickett aus seiner Ecke vernehmen. »Mister Parkers Theorie gefällt mir so gut, daß man keine Risiken eingehen sollte. Der Täter kann uns nicht entkommen. Ich schlage vor, ihm eine Falle zu stellen.«

»Aber wie?« Lord Alfred zeigte aufflackernde Zuversicht. »Ich bin dabei, wenn es darum geht, diesem Verbrecher das Handwerk zu legen, der meinen Stall und meinen Jockey in Mißkredit gebracht hat. Es war schon die Rede von Schwindel und künstlichem Zurückhalten meines besten Vierjährigen. Zum Glück wurde die Hohlnadel noch vorgefunden, sonst hätte es geheißen, Imperator sei gedopt worden.«

»Ja, ja«, erwiderte McWarden zerstreut. »Apropos Doping – ich könnte jetzt wirklich einen Brandy vertragen. Ein alter Scotch tut’s zur Not auch.«

Er schielte auf die typische Flaschenform, in der Josuah Parker den 12jährigen Dimple verwahrte. Lady Agatha zeigte ein gewisses Unbehagen.

Mike Rander allerdings grinste amüsiert. Er war unmerklich zu Kathy gerückt und streichelte ihre Hand. »Sie haben noch gar nichts dazu gesagt, Miß Porter.«

Kathy errötete. »Laß das doch«, flüsterte sie. »Kein Mensch nimmt dir ab, daß wir nicht vertrauter miteinander umgehen.«

»Was ist denn, Kinder? Was soll das Getuschel? Wir wollen weiterkommen. Wo war ich mit meinen Erwägungen stehengeblieben ... ?«

»Mister Pickett äußerte sich dahin gehend, dem Pferdebetäuber eine Falle zu stellen.«

»Richtig, Mister Parker. Das habe ich vorgeschlagen. Ehe ich zu den Einzelheiten komme: Wollten Sie nicht dringend nach Hause fahren, Freddie? Grüßen Sie Isabelle von mir, wenn es sein muß. Mister Parker wird Sie und Ihren unfähigen Jockey zur Tür bringen,«

»Tu mir den Gefallen und nenn mich vor Außenstehenden nicht Freddie, Agatha. Das erlaubte sich nur die selige Lady Rose-Mary, meine Mutter. Nicht mal Lady Isabelle nimmt sich die Freiheit. Ich werde sie auch nicht von dir grüßen. Sie kann Geiz nicht ertragen. Du hättest mir wenigstens einen Sherry oder einen Port anbieten können. Aber nein – du trauerst deinem Geld nach, aus dem du mehr machen wolltest.«

»Alfred!«

»Ja, zum Teufel mit deiner Habgier! Ich werde dir einen Scheck schicken, wenn du versprichst, mich künftig zufrieden zu lassen. Die zweitausend zusätzlich kann ich leichter verkraften als dein Gejammere um den entgangenen Gewinn. Turf ist für mich ein wundervoller Sport und die Pferdezucht ein phantastischer Zeitvertreib. Nur schade, daß manche es so sehen wie du und sich nur bereichern wollen.«

»Alfred!« Lady Agatha schnappte nach Luft. Mike Rander hatte seine stille Freude daran.

Crosswood gab dem Jockey ein Zeichen. »Fahren Sie den Daimler vors Portal, Maxwell. Ich genehmige mir noch ein Glas Brandy, Grand Reserve, wie Cousine Agatha es vorzieht.«

»Alfred!« keuchte Agatha Simpson zum drittenmal. »Wie redest du mit mir im Beisein von Domestiken!«

Josuah Parker hielt schon ein gekühltes Glas bereit. »Mit Soda oder natürlichem Wasser, Euer Lordschaft?«

»Pur und reichlich, Parker. Sie sind der Butler nach meinem Herzen. Mein guter alter George wird allmählich senil. Ich werde ihn zum Frühjahr in ein Seniorenheim entlassen. Wenn Sie also eine neue Stelle suchen, Parker...«

»Sehr zum Wohl, Euer Lordschaft!«

Alfred Crosswood schnupperte mit Kennermiene und leerte das Glas vor Myladys entsetzten Blicken. »Danke Agatha. Es war mir ein Bedürfnis. Was Imperator betrifft, mir wäre es recht, wenn du künftig nicht mehr auf ihn setzen würdest. Ich habe mit meinem besten Vierjährigen noch Großes vor, meine Liebe. Und ich möchte nicht, daß er wegen deiner hohen Wetten wieder im Ziel stillgelegt wird. Wir haben uns verstanden, nicht wahr?«

»Sie haben Ihren Brandy bekommen, Mylord. Mir scheint es angebracht, wenn Sie sich jetzt nach Hause bringen lassen.«

»Ich wäre sowieso nicht länger geblieben, Mylady. Unsere Umgangsformen werden immer starrer, findest du nicht?«

»Sie sind betrunken, Alfred.«

»Dabei habe ich nicht mal die Hälfte von dem, was du weggekippt hast, Agatha...«

*

»Sie werden mich bei meinen Gästen entschuldigen, Mister Parker«, sagte Agatha Simpson vor den Anwesenden. »Das Benehmen meines weit entfernten Verwandten war schockierend. Ich möchte mich hinlegen.«

Josuah Parker verbeugte sich. »Wie es Mylady beliebt.«

Kathy Porter erhob sich, um die ältere Dame nach oben zu bringen. Parker räumte Unwichtiges zurecht, bis seine Herrin außer Sichtweite war. Rander steckte sich eine Zigarette an und hielt die Schachtel auch Pickett hin, der aber lehnte dankend ab.

»Mir geht es wie Mister Parker, Sir. Ich habe meine eigene Marke.«

»Was rauchen Sie denn?« erkundigte sich McWarden. »Ist das Kraut genießbar?« Mike Rander hatte übersehen, dem Chief-Superintendent einen der amerikanischen Glimmstengel anzubieten.

»Ich rauche mit Begeisterung schwarze Papirossy, Sir. Leider habe ich das Päckchen zu Hause gelassen, als mich Lady Simpsons freundliche Einladung erreichte.«

Horace Pickett ließ eine Pause eintreten. Und richtig – McWarden wuchtete sich hoch und verkündete, er werde sich nach Hause aufmachen. Daran wollte ihn niemand hindern.

»Äh, Parker«, begann der höhere Yard-Beamte. »Werden Sie noch gebraucht, oder können Sie mich rasch zu meiner Wohnung fahren?«

»Parker ruft Ihnen sicher gern ein Taxi, Mister McWarden.« Mike Rander machte zu Josuah Parker eine aufmunternde Geste.

»Sehr wohl, Sir«, erwiderte der Butler gemessen.

McWarden hatte sich, dem Beispiel Seiner Lordschaft folgend, reichlich selbst bedient, als Parker zurückkehrte.

»Ihr Taxi ist bereits vorgefahren, Sir.«

»Viel zu früh. Immer muß ich weg, wenn es anfängt, gemütlich zu werden. Gentlemen ...« McWarden versuchte eine exakte Verbeugung. Parker brachte ihn zur Tür.

»Einen angenehmen Abend noch, Sir!«

»Morgen früh bin ich wieder da, wenn Ihre Herrin sich beruhigt hat, Parker. Sie können zum Frühstück gleich ein Gedeck mehr auflegen. Die erste Mahlzeit am Tag ist die wichtigste, sage ich immer.«

»Gewiß, Sir.« Weitergehende Zustimmung verkniff sich der Butler.

»Endlich sind wir unter uns«, seufzte Rander, als Parker in den kleinen Salon zurückkehrte. »Habe Sie die Tür auch richtig zugemacht?«

»Man sah den Wagen zur Straße einbiegen. Im übrigen ist das Portal stets verschlossen und verriegelt, Sir. In der Vergangenheit gab es schon unliebsame Vorkommnisse, die ein solches Vorgehen durchaus rechtfertigen.«

»Schon gut, Parker. Wie wär’s, wenn wir in Ihre Privaträume im Souterrain gingen? Da sind wir wenigstens ungestört.«

»Wie es Ihnen beliebt, Sir. Meine Räume stehen wie immer zu Ihrer vollen Verfügung. Sie kennen sich ja aus. Gehen Sie nur mit Mister Pickett voraus. Meine Pflicht gebietet es, hier noch Ordnung zu schaffen.«

»In einem hatte Crosswood, der alte Knabe, nicht ganz unrecht, Parker. Lady Agatha hat wirklich den Geiz gepachtet. Wenn ich bedenke, wie es bei uns zuging ...«

»Ich habe den Dienst in Ihrem Haus mit Freuden verrichtet, Sir.«

»Sie vergessen sich und Ihre unverwechselbare Art, Parker.«

»Verzeihung, Sir. Meine bescheidene Wenigkeit vergaß sich in der Tat. Dem ist noch hinzuzufügen, daß der Wechsel nicht ganz leichtfiel. Mylady pflegt eigenwillige Ansichten im Bereich des Alltäglichen, Sir. Dennoch ist es wohltuend und befriedigend, einem britischen Haushalt vorzustehen. Man weiß, wo man hingehört.«

»Ja, schon gut, Parker. Sie sind für mich verloren wie ein Stück der schönen Jugend. Aber – Schwamm drüber. Pickett und ich gehen schon vor. Lassen Sie uns nicht zu lange warten. Ihr Mitarbeiter hat eine Idee.«

»Dies war vorauszusetzen, Sir. Mister Pickett produziert Ideen am laufenden Band. Nicht, daß man auf seine bewährte Hilfe verzichten möchte – Mister Pickett neigt indessen mehr und mehr zu exotischen Lösungen.«

»Machen Sie voran, und hören Sie sich Picketts Vorschlag erst mal an, Parker.«

Der Butler verbeugte sich. »In fünf Minuten, Sir. Mylady liebt es, den kleinen Salon untadelig vorzufinden, Sir.«

Es dauerte nicht mal drei Minuten, bis Josuah Parker mit allem fertig war. Er hatte ein Tablett mit Sandwiches mitgebracht. »Dieser kleine Imbiß betrifft nicht Myladys Haushalt, Gentlemen. Man hat sich erlaubt, eigene Vorräte zu verwerten.«

»Es schmeckt fast wie zu Hause«, sagte Rander, der sich als erster ein Schinkensandwich genommen hatte. »Wenn Sie dazu noch ein Leichtbier für mich hätten ...«

»Für Mister Pickett auch ein Bier?«

»For God’s sake, nein, Mister Parker. Wir sollten endlich zur Sache kommen. Morgen laufen die nächsten Rennen in Ipswich. Ich bin ziemlich sicher, daß Lord Crosswood seinen Gaul noch mal auf die Bahn schickt. Das Betäubungsmittel ist über Nacht ausgeschwitzt. Pferde machen so was über die Haut.«

»Gott bewahre mich«, stöhnte Rander. »Ein Kenner!«

»Ich habe eine Zeitlang als Buchmacher arbeiten müssen, Mister Rander. Immerhin weiß ich, wie solche Geschäfte laufen. Ein Gaul muß auf die Bahn, solange er noch seine Beine hat und einen Reiter tragen kann. Die Quoten werden im Hinterzimmer ausgepokert.«

»Und was nützt uns das – oder Lady Simpson?«

Pickett strich über die Stirn. »Der Nutzen, ist fraglich, besonders beim Einsatz der erforderlichen Mittel, Gentlemen. Der erste Schritt ist, herauszufinden, ob Lord Crosswood seinen Imperator morgen in Ipswich laufen läßt. Das zu erfahren, kann ich übernehmen. Es gibt da noch alte Kontakte.«

»Und das zweite wäre was?« Rander zerbröselte seine Zigarette in Parkers blankpoliertem Ascher.

»Falls Imperator läuft, müssen wir die Quote hochtreiben, Gentlemen. Das funktioniert auf zweierlei Art. Ich mache mich stark für dreihundertfünfzig zu zehn, ohne daß überhaupt ein müdes Pfund gesetzt wird. Die Erfahrung lehrt, daß je zweihundert Pfund die Quote um zehn Punkte steigt. Lady Simpson hätte demnach noch zweitausend zu bringen.«

»Wozu soll das gut sein?«

»Damit der Anreiz la ist, Mister Rander. Wenn Imperator bei vierhundertfünfzig zu zehn an den Start geht, sind auf Sieg neunzigtausend Pfund zu bringen, vorausgesetzt, die zweitausend sind in einer Hand, nämlich in der von Lady Simpson. Wer Lust hat, kann seine Abschlüsse parallel dazu machen. Das erhöht die Quote nur. Sollte Imperator als erster durchs Ziel gehen, wäre Angus Sutterfield ruiniert. Selbstverständlich wird er das Risiko nicht eingehen.«

»Daß Imperator gewinnt?«