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Trutz E. Podschun

Psychizin

Die neue Einheit
von Körper und Geist

Trutz E. Podschun

Psychizin

Die neue Einheit
von Körper und Geist

Tectum Verlag

Trutz E. Podschun

Psychizin
Die neue Einheit von Körper und Geist

© Tectum – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019

E-Pub 978-3-8288-7286-8

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4338-7 im Tectum Verlag erschienen.)

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung von shutterstock.com
© sommthink sowie Yaroshenko Olena

 

Alle Rechte vorbehalten

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www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Angaben sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Alina

»Wenn eine Idee am Anfang nicht absurd klingt, dann gibt es keine Hoffnung für sie.«

– Albert Einstein

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Wissen und Glaube

… in der Religion

… in der Naturwissenschaft

… und das Phänomen Gott

Glauben heißt: Etwas nicht wissen

Quantenphysik – Die Basis allen Seins

Das Elektron als Welle

Das Elektron als Teilchen

Ja was denn nun: Der Welle-Teilchen-Dualismus

Drei fundamentale Prinzipien

Selbstähnlichkeit

Unbestimmtheit und Superposition

Verschränkung

Quanten in belebter Natur

Quantenmikrobiologie

Quantenbiologie

Quantendualismus

Quantenkosmos

Wellen in belebter Natur

Zoom out – Von Wellen und Räumen

Im Anfang steht: der Ton

Akkorde und Schwebungen – Superposition und Verschränkung

Das Lied – Dynamik kommt ins Spiel

Zoom in – vom Pantheismus zu uns

Psychizin

Psyche, Seele und Geist

Bewusstsein

Gefühle

Der Superpositionismus

Epilog

Danksagung

Prolog

Körper und Geist – und ihr Verhältnis zueinander. Ein Spannungsfeld, das die Menschheit verfolgt, seit sie sich Gedanken über sich selbst machen kann. Was ist Seele, Psyche, Geist, wie immer Sie das Phänomen bezeichnen wollen, das uns zu uns selbst macht und das wir, bis heute, für uns exklusiv in der belebten Natur reserviert haben? Ist es etwas Überirdisches, etwas von einem Gott Gegebenes, wie uns viele Religionen glauben machen wollen? Oder ist es „nur“ ganz simpel die zwingende Folge von grundlegenden physikalischen Phänomenen? Lassen sich also die nicht-materiellen Seiten eines Menschen – und nicht nur von ihm! – auf naturwissenschaftliche Phänomene und Erklärungen zurückführen, die ohne einen religiösen Schöpfer und seine Allmacht auskommen?

Wenn die Erkenntnisse moderner Wissenschaft zutreffen, gibt es Religion spätestens seit den Neandertalern. Sie entstand nach meinem Dafürhalten aus zwei wesentlichen Eigenschaften, die uns Menschen zu dem machen, was wir sind: die Neugier der Säugetiere und das menschliche Bedürfnis, Erklärungen für alles, wirklich alles zu finden, was wir mit dieser Neugier entdecken. Das ist geradezu ein Zwang, der dazu führt, dass sich das Gehirn, findet es keine rationale Erklärung, eine irrationale ausdenkt: Hauptsache, es hat eine! Etwas unerklärt im Raum stehen lassen zu müssen, erzeugt Unwohlsein und ist für uns nur schwer erträglich. Warum das so ist, werde ich an anderer Stelle zeigen.

Religion ist also das irrationale Komplement zu rationaler Erkenntnisgewinnung, das wir Menschen geradezu existenziell benötigen, um leben zu können. Nimmt man einem Menschen seine Religion, beraubt man ihn eines wichtigen Teils seiner Identität. Dabei möchte ich Religion nicht religiös verstanden wissen! Es ist arrogant, sie auf den Glauben an einen oder mehrere übernatürliche Wesen, i. a. „Gott“ oder „Götter“ genannt, zu reduzieren. Auch der Atheist, der sich von der Abhängigkeit von spirituellen Erklärungen dessen befreit hat, was er rational nicht erklären kann, hat eine Religion. Denn Religion ist die Antwort auf Religiosität – und die ist fest und tief in uns allen verankert, keiner ist frei davon. Jeder glaubt also – es kommt nur darauf an, in welchem Maße und woran er glaubt.

Religion unterliegt Wandel, auch wenn die meisten Religionswächter das anders sehen und massive Anstrengungen unternehmen, ihn zu verhindern. Der Neandertaler wird an Geister geglaubt haben. Alte Kulturen begannen dann damit, nicht erklär- aber wahrnehmbare Phänomene in den Gottesstand zu erheben: zum Beispiel Naturphänomene wie Sonne und Mond, Blitz und Donner. Damit begann ein Streit um die Erklärungshoheit nicht erklärbarer Phänomene, der heute noch anhält und erbittert geführt wird: Wissenschaft oder Religion. Dieser Streit ist lächerlich, denn, wie gesagt, der Mensch benötigt beides: die Wissenschaft, um rational erklären zu können, wann immer möglich, und die Religion, um seinem Gehirn die Möglichkeit zu geben, eine das Individuum befriedigende Begründung erfinden zu können, wenn es rational nicht möglich ist. Das aber definiert die Reihenfolge: zuerst objektive Wissenschaft, dann subjektive Religion.

Die Religionshüter von heute sollten sich dieser Funktion von Religion bewusst sein und sich ihr stellen, indem sie ihr Glaubensgebäude kontinuierlich an die jeweiligen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse anpassen. Denn zu Naturwissenschaft und ihren Erkenntnissen gibt es keine Alternative! Es ist also einfach nur lächerlich, heute von speziellen „Auserwählten“ interpretieren lassen zu müssen, was vor 2000 Jahren ein paar Religionsstifter mit dem damals wesentlich beschränkteren wissenschaftlichen Erkenntnisstand als Religion definiert haben. So haben die monotheistischen Kirchen im Grundsatz immer noch nicht verstanden, dass die Erde eben doch keine Scheibe ist und deutlich länger als 6000 Jahre existiert. Verführen wir heute in Naturwissenschaft, Psychologie und Medizin analog, müssten Astronomen Beobachtungen über die Interpretation des geozentrischen Weltbildes erklären, Chemiker der Vorstellungen der Alchemisten, Mediziner von Galens Viersäfte-Theorie und Psychologen des Seelenbegriffs der jüdischen und christlichen Religionsstifter. Was wäre daran wissenschaftlich („Theologie“)?

Eine ähnlich problematische Herangehensweise findet sich auch in der Medizin. Auch die klassische Schulmedizin erhebt Allmachtsanspruch und scheut alternative Ansätze wie der Teufel das Weihwasser. Warum? Hier kommt der französische Naturwissenschaftler, Arzt, Mathematiker und Philosoph René Descartes (1596–1650) ins Spiel, der maßgeblich zur Trennung von Körper und Geist in der Medizin beigetragen und die moderne Naturwissenschaft mitbegründet hat, indem er mit seinem propagierten Dualismus den Menschen naturwissenschaftlich auf den Körper reduzierte – das Ziel von Schulmedizin. Der Geist blieb isoliert außen vor, und so behielt Religion gerne die Hoheit über dessen Deutung: der göttliche Atem, der dem Zombie seit jeher eingehaucht werden muss, um ihn „zum Menschen“ zu machen. Darunter leidet auch (häufig fast masochistisch selbst herbeigeführt) die Psychologie – eine eher junge („Geistes-“)Wissenschaft, die sich (zunehmend naturwissenschaftlich!) mit der Erforschung der nicht-materiellen Seite des Menschen beschäftigt.

Doch ist das wirklich so? Sind Körper und Geist wirklich zwei verschiedene Dinge, die, wenn es hochkommt, als die beiden Seiten einer Medaille und damit zwar verknüpft, aber doch getrennt betrachtet werden können/müssen? Oder lässt sich das immaterielle Phänomen Geist auch aus der Naturwissenschaft heraus erklären? Ich denke ja! Und zwar erstaunlich einfach und stringent. Allerdings geht das nicht mit Methoden der „klassischen“ Naturwissenschaften. Denn wie ich an anderer Stelle bereits ausführlich dargestellt habe, haben wir ein Problem: die Beschränktheit unserer Möglichkeiten der Wahrnehmung und der Fähigkeiten dazu. Die klassischen Naturwissenschaften fußen auf ihnen, bilden sie ab: Ich kann aufgrund täglicher Erfahrung vorhersagen, wie stark verschiedene Massen bei gleicher Kraft beschleunigt werden (Newton: F = m ∙ a), aber nicht, welches Atom in radioaktiven Proben als nächstes zerfallen wird – und wann. Ich weiß nur, es wird gleich irgendeines zerfallen, und dieses da irgendwann.

Wenn wir also dem Phänomen KörperGeist auf die Spur kommen wollen, müssen wir unsere Wahrnehmungsmöglichkeiten um Methoden aus der nicht-klassischen Naturwissenschaft erweitern. Allen voran der Quantenphysik, die wesentlich auf den Physiker Werner Karl Heisenberg (1901–1976) mit der 1927 nach ihm benannten „Unschärferelation“ zurückgeht. Keine Angst, ich weiß: Die meisten meiner Mitmenschen haben keine bis wenig Nähe zu vor allem theoretischen Naturwissenschaften, speziell Physik, und schon gar nicht zur Quantenphysik – weil diese oft wenig anschaulich und damit wenig verständlich und nur mathematisch erfassbar ist. Weshalb sie schnell abschalten.

Aber so schlimm ist es gar nicht: Vielleicht hilft ein anschauliches Beispiel, sich das Prinzip, das hinter der Quantenphysik steht, so vor Augen zu führen, dass zumindest eine Ahnung entsteht, warum diese naturwissenschaftliche Disziplin so grundlegende Bedeutung hat – auch für die Medizin, vielleicht sogar gerade für sie. Denn sie zeigt uns prinzipielle Phänomene, die ebenso fundamental sind wie die Nicht-Überschreitbarkeit der Lichtgeschwindigkeit als Erkenntnis aus einer anderen wenig anschaulichen, nicht-klassischen Disziplin: der Relativitätstheorie. Mit Konsequenzen, die wir heute gerade erst dabei sind, zu entdecken. Und zwar in allen Bereichen der Wissenschaft, eben auch in Medizin und Psychologie.

Der Physiker Jeff Tollaksen, Professor für Physik und Leiter des Instituts für Quantenstudien am Schmid College of Science and Technology der Chapman Universität in Orange, Kalifornien, gibt ein solches Beispiel: Wenn Sie einen Kolibri bei der Nahrungsaufnahme von der Seite aus beobachten, sehen Sie klar und deutlich, wie er im Schwebflug den Nektar aus der Blüte saugt. Seine Flügel aber erkennen Sie nicht, da sie dafür 40–50 Mal pro Sekunde und daher zu schnell für Ihre Wahrnehmung schlagen (Abbildung 1, links). Das Schwirren stellt sich für Sie somit als unscharfer Schatten der Flügel dar – nicht fassbar. Sie wissen zwar: Irgendwo zwischen dem oberen und unteren Ende des Schattens müssen sich die Flügel aktuell befinden – aber wo genau?

Wenn Sie nun zur Klärung einen Schnappschuss von dem Vogel machen wollen, müssen Sie mit sehr kurzer Belichtungszeit fotografieren. Dann sehen Sie den Flügel scharf und mit deutlichen Details an einer bestimmten Stelle (Abbildung 1, rechts). Damit ist zwar die Position eindeutig bestimmt, aber Sie können aus dem Foto keinerlei Aussagen über die Geschwindigkeit ableiten, mit der der Vogel sich bewegt: Schwirrt er im Schwebflug oder fliegt er „normal“? Je mehr Sie nun die Belichtungszeit wieder verlängern, um die Geschwindigkeit zu erkennen und nachzuweisen, desto unschärfer (!) wird wieder das Bild der Flügel. Das ist der Kern der Heisenberg’schen Unschärferelation, die besagt, dass sich zwei voneinander abhängige Eigenschaften eines Dings nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen lassen, hier Ort und Geschwindigkeit (= zeitliche Ortsänderung).

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Abbildung 1: Kolibris im Schwirrflug

In die klassische Wissenschaft übertragen heißt das, man sollte vorsichtig sein, zwei Phänomene, die nicht unabhängig voneinander sind, als das zu betrachten, was ich als „kontextlos“ bezeichne, und daraus absolute Rückschlüsse ziehen zu wollen. Genau das aber macht Schulmedizin zunehmend, vor allem, wenn sie Körper und Geist trennt oder auf der Jagd nach „Evidenzen“, also dem, was sie (vermeintlich [unumstößlich]) erkannt hat, Koinzidenzen mit Kausalitäten gleichsetzt und so oft Ursache und Wirkung vertauscht. Sie reduziert so komplexe Interaktionen der Mitglieder eines komplexen Ökosystems namens Mensch, zu dem auf zellulärer Ebene zu mindestens 50 % auch die nicht-menschlichen Organismen unseres Mikrobioms gehören, auf isolierte molekulare Mechanismen in diesen einzelnen Teilen – und sogar weiter bis auf die Ebene der Gene.

Ist das verkehrt? Unsere Schulmedizin basiert darauf – was täten wir ohne sie? Vor allem, seit Vordenker wie Descartes über die Trennung von Körper und Geist naturwissenschaftliches und medizinisches Denken und Handeln systematisiert und objektiviert haben. Das Ergebnis: Wir werden nicht nur älter, sondern auch viel gesünder älter. Dazu muss oft Hightech eingesetzt werden. Unser hohes wissenschaftliches und technisches Niveau zeigt sich daher in der Akut-, Transplantations- oder „Apparatemedizin“, in der sie zum Einsatz kommt: Die Natur kennt keine Defibrillatoren, mit denen Patienten mit Herzstillstand reanimiert werden können. Sie kennt keine Herz-Lungen-Maschinen, mit denen operative Eingriffe an Herz und Lunge erst möglich werden. Mit implantierten Herzschrittmachern, Insulinpumpen u. v. a. haben wir technische Lösungen, die zwar nicht annähernd so gut sind wie die natürlichen, zumindest aber diese ordentlich und zunehmend besser ersetzen können. Wenn man z. B. an unsere Augen denkt und was die Medizin auf diesem Feld heute schon erreicht hat … Und ohne Antibiotika würden uns immer noch heftige Epi- und Pandemien dezimieren wie im Mittelalter.

Das alles sind unbestreitbare Erfolge moderner Naturwissenschaft und Medizin, eine gesellschaftliche und kulturelle Großleistung. In der Notfallmedizin, in der Hirn- und Gefäßchirurgie und auf vielen Gebieten ärztlichen Wirkens leisten Ärzte Grandioses, basierend auf naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Was heute medizinisch und technisch möglich ist, sei es die Wiederherstellung zerstörter Körperregionen oder der Funktionen abgetrennter Gliedmaßen; sei es die Behandlung schwerster Verbrennungen oder moderne Rehabilitation; sei es die Rettung Frühstgeborener oder die Minimierung von Schäden nach einem Schlaganfall – das alles ist fantastisch und Ausdruck höchsten fachlichen Könnens, auf das nicht nur Wissenschaftler, Techniker, Ärzte und medizinisches Fachpersonal stolz sein können, sondern wir alle müssen, da es eine kollektive, kulturelle Errungenschaft ist. Es ist das Ergebnis der mühevollen, systematischen und akribischen Arbeit von Abermillionen Menschen, die dieses Wissen angesammelt haben, künftig mehren und sinnvoll anwenden werden.

Aber es gilt eben auch, festzustellen, dass es einen anderen Bereich der Schulmedizin gibt: die Innere Medizin mit ihren Stoffwechselstörungen, chronischen oder (oft vermeintlich) genetisch beeinflussten Krankheiten wie Parkinson, Multiple Sklerose oder Krebs, sodass es erforderlich ist, sauber zu unterscheiden. In diesem Bereich nämlich sieht die Sache ein wenig anders aus! Im chronischen Bereich sind wir, nicht nur nach Christian Schubert, Psychologe, Arzt, Professor und Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie Innsbruck, auch heute noch wahre Stümper: »Dort, wo akut eingegriffen wird, haben wir eine sensationelle Medizin. Dort aber, wo es um chronische Erkrankungen geht, wo es um langfristige Erkrankungen geht, die im Alltag entstanden sind und dort aufrechterhalten werden, haben wir es mit einer desaströsen Medizin zu tun.«1 Warum? Weil wir in diesem Bereich eben nicht Descartes’ Maschine Mensch vor uns haben, bei der wir ein Ersatzteillager bemühen können – und müssen! Sondern ein kompliziertes System mit eingebauten Korrekturmechanismen, das sich grundsätzlich selbst und ohne Hilfe von außen wieder in Ordnung bringen kann. Das unterscheidet es von der hilfsbedürftigen „Maschine“.

Der Mensch ist zu komplex, um davon ausgehen zu können, Details, mit denen wir heute umgehen, kontextlos betrachten zu können – beginnend mit dem Spannungsfeld Psychologie–Somatologie (gr. σῶμα [soma]: Körper, Leib; gr. λόγος [logos]: Rede, Wort, Vernunft, Lehrsatz), aber nicht darauf beschränkt. Bei rein somatischer Sicht neigen wir dazu, ein Krankheitsgeschehen auf eine (aus schulmedizinischer Sicht körperliche) Ursache zu beschränken, neuerdings, wie gesagt, gerne auf unsere Gene, die auch an vielen psychischen Erkrankungen schuld sein sollen und sogar Straftäter vor Verfolgung schützen können. Das führt dazu, dass wir uns Phänomene wie die Zunahme an Reizdarm- und „Glutenallergie“-Erkrankungen oder Placeboeffekt und Spontanheilungen nicht erklären können und, indem wir versuchen, Symptome (z. B. bei Reizdarm über Ernährung: Meiden von FODMAP!) zu unterdrücken oder zu verhindern, uns um die Bekämpfung der eigentlichen Ursachen drücken. Weil sie eben, siehe Reizdarm, häufig genug nicht physischer Natur sind, sich aber darin ausdrücken.

An diesem Punkt können wir von der Quantenphysik lernen. Sie lehrt uns nämlich, dass es Wahrscheinlichkeiten sind, auf die es ankommt. Das sieht zwar auch die Medizin so, wenn sie ihre Erkenntnisse auf Statistik aufbaut, auf „Evidenz“, wie zu Recht gefordert wird, da auf diese Weise Wissenschaft zur Basis gemacht wird. Nur ist Statistik in der Medizin eine Methode, aus der Beobachtung vieler Einzelfälle rein mathematische und damit abstrakte Größen zu errechnen, anhand derer sie kategorisiert werden: „Normalbereiche“, „Risiko“ und „Signifikanz“. Normalität ist so ein rein statistisches Phänomen einer Vielzahl gleicher Maschinen. In der Quantenphysik bezieht sich Wahrscheinlichkeit dagegen auf die Freiheitsgrade, die ein Ding selbst hat, einen von mehreren möglichen Zuständen einzunehmen, die es ausprägen kann. Das ist etwas vollkommen anderes, da es nun um individuelle Wahrscheinlichkeiten geht! Normalität ist hier der Zustand, in dem sich ein System während der größten Zeit seiner individuellen Existenz befindet. Normalbereiche und damit Risiko und Signifikanz sehen hier ganz anders aus und sind individuell. Was bedeutet, dass für jemanden durchaus normal sein kann, was aus dem „Normalbereich“ fällt, und sein „Risiko“ daher nicht höher sein muss als das statistische! Damit macht Schulmedizin den gleichen Fehler wie der Kommunismus: Beide gehen davon aus, dass alle Menschen gleich sind. Sie sind es aber nicht! Mit anderen Worten: Es ist geradezu unanständig, einer Frau zu sagen, sie hätte ein wie hoch auch immer anzusetzendes Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, weil bei ihr ein „Brustkrebsgen“ nachgewiesen werden kann. Das aus schulmedizinischen Betrachtungen ermittelte statistische „Risiko“ mag wichtig für Institutionen sein, zu denen die Betroffenen kommen, um z. B. abschätzen zu können, welche Ressourcen vorgehalten werden müssen, um damit umgehen zu können. Das individuelle Erkrankungsrisiko jedoch hat damit nichts zu tun und ist von ganz anderen, heute immer noch nicht berücksichtigten und selten verstandenen Einflüssen abhängig. Zum Beispiel Psyche!

Quantenphysik in Medizin und Psychologie? Absurd! Doch seit der Schulzeit ließ mich ein quantenphysikalisches Phänomen nicht ruhen: der Welle-Teilchen-Dualismus, der ursächlich zur Entwicklung der Disziplin beigetragen hat. Wenn es also auf subatomarer Ebene Phänomene gibt, die so irrsinnig sind, dass Forscher lange Zeit vor unlösbaren Problemen standen – warum sollte es die nicht auch auf makroskopischer, ja sogar biologischer Ebene geben? Ist also der Körper-Geist-Dualismus „nur“ ein auf die biologische Ebene gehobener Welle-Teilchen-Dualismus? Das klingt kühn! Und so behielt ich diesen Ansatz lange Zeit für mich, da ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass jemand anderes dem etwas abgewinnen könnte: Man kann zwar Elektronen beim Tunneln durch Barrieren beobachten; aber dass ein Strafgefangener durch Gefängnismauern gehen kann, als wären die nicht vorhanden, hat man noch nie gesehen.

Umso erstaunter war ich, als ich in einem fast philosophischen Gespräch mit einem Fotografen und Designer per Zufall erfuhr, dass die Psychologin Christine Mann, Tochter von Werner Heisenberg, und ihr Ehemann, der Psychologe und Theologe Frido Mann, Enkel von Thomas Mann, 2017 ein Buch veröffentlicht haben: Es werde Licht – Die Einheit von Geist und Materie in der Quantenphysik. Was ich nach der Lektüre dieses Buches herausfand, war, was alle Astrophysiker und -biologen in hellste Aufregung versetzen würde: Ich bin nicht allein!

Die Manns vertreten, wie ich, einen der wesentlichsten Aspekte menschlichen Seins: die Einheit von Körper und Geist! Sie führen sie, wenn auch klassisch und damit weniger folgenschwer, auf eine der beiden fundamentalsten Theorien zurück, die der menschliche Geist jemals entwickelt hat – die Quantentheorie, die in ihrer Bedeutung in nichts der Relativitätstheorie nachsteht und so grundlegend ist, dass sie das Zeug hat, unser deterministisches Bild von der Welt ein für alle Mal über den Haufen zu werfen. Nicht nur in der Physik, sondern eben auch in der Medizin! Mit ungeahnten Folgen: »Die Quantenphysik lässt den Schluss zu […] dass schon das Denken die Realität verändert.2« Diese Aussage klingt utopisch, ja mystisch – Veränderung unserer Umwelt durch Denken? Aber sie ist zwingend, wenn man verschiedene Erkenntnisse, die wir inzwischen haben, zusammenfügt und ausreichend würdigt! Das werde ich zeigen.

Lassen Sie uns daher eine Quantenbiologie aus der gesicherten Quantenphysik entwickeln, die nicht nur eine naturwissenschaftliche Erklärung für Seele und Geist liefern könnte, sondern damit auch zwangsläufig zu einer Psychizin führt – der Einheit von Körper und Geist in einer neuen, modernen Medizin.

Trutz Podschun
Berlin, April 2019

res extensa: „ausgedehnte“ = materielle und gedankenlose Sache im Gegensatz zu res cogitans: denkende und „nicht ausgedehnte“ = immaterielle Sache

Wissen und Glaube

Wer bin ich, oder besser: Was ist Ich?

Zu Beginn der Reise in die Quantenwelt ist es nötig, sich ein paar (natur-)philosophische Gedanken zu machen. Dazu muss der Kontext, in dem „Seele“ seit langer Zeit gesehen wird, kritisch hinterfragt werden. Was bedeutet, dass es zunächst um Spiritualität im Allgemeinen und Religion im Speziellen gehen muss: Kann ein naturwissenschaftlicher Ansatz eine befriedigende Erklärung für den immateriellen Teil von uns Menschen geben, nachdem der materielle durch Naturwissenschaft zunehmend erfolgreich beschrieben werden kann? Hieße das dann nicht, dass auch das Spirituelle so gesehen werden kann – und muss? Oder muss Seele auch weiterhin nicht-wissenschaftlich spirituell erklärt werden? Wird Religion trotz der zunehmenden Erkenntnisse von Naturwissenschaft weiterhin Bedeutung haben? Um es mit Albert Einstein vorweg zu nehmen: »Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind.« Aber!

Vorab: Mit dem Folgenden will ich mich nicht in den teils sehr heftigen Disput von Philosophen und Theologen einmischen. Da ich beides nicht bin, maße ich mir kein Recht an, etwas Substanzielles beitragen zu können; also lasse ich es. Auch möchte ich niemandem seinen Glauben nehmen – wer bin ich, dass ich mein Weltbild jemandem anderen aufzwingen dürfte? Dennoch halte ich es für wichtig, meine Gedanken zu äußern – schließlich möchte ich versuchen, eine mögliche Lösung für das Körper-Geist-Problem und damit auch der Seele vorzustellen. Da aber die meisten Religionen das Immaterielle des Menschen, diese Seele, mit Beschlag belegt und als zentrales Element im Verhältnis eines Gottes zu seinen Geschöpfen ausgemacht und institutionalisiert haben, bleibt nicht aus, zu hinterfragen, ob die entsprechenden Religionshüter tatsächlich die geeigneten Kreise sind, die Alleinhoheit über dieses von der Naturwissenschaft bislang nicht verstandene Phänomen für Religion in Anspruch zu nehmen. Um es klar zu sagen: Ich bin nicht gegen Religion, aber ich bin dagegen, wie diejenigen, die sich als deren Hüter verstehen und inszenieren, damit umgehen! Das Problem für mich ist damit nicht Gott, was auch immer das ist, sondern sein Bodenpersonal.

Ich werde im Folgenden ausgiebig Albert Einstein (1879–1955) zitieren. Aus zwei Gründen: (1) (Natur-)Wissenschaftler können nur erfolgreich tätig sein, wenn sie auf Erkenntnissen von Vorgängern und Zeitgenossen aufbauen können. Das drückt sich in „citations”, dem Zitieren anderer Arbeiten aus, ohne die kein Wissenschaftler auskommen kann. Zitate sind also, was „Namensreaktionen“ für Chemiker sind – Reaktionswege, die ein Chemiker entdeckt und erarbeitet hat, z. B. das „Haber-Bosch-Verfahren“ zur technischen Herstellung von Ammoniak, von dem Sie vielleicht schon einmal als Stichwort gehört haben. Gemäß der Arbeitsweise unseres Gehirns und unseres Gedächtnisses löst allein schon dieser Name bei Eingeweihten eine ganze Reihe von kognitiven Aktivitäten aus, die letztlich darin enden, dass er einen Kontext hat. Ein Zitat ist also nicht nur ein Bezug auf „Klugscheißerei“, die der Zitierte einmal von sich gegeben hat, sondern für den, der sich damit ernsthaft beschäftigt, unverzichtbare und bedeutsame Quelle für Einsichten in dessen Erkenntnisse und sein Weltbild. Wissenschaft baut darauf auf, wie wir gleich an einem Zitat Einsteins sehen werden.

(2) Einstein ist m. E. geradezu prädestiniert dafür, bei diesem Thema gehört zu werden. Er war Vollblutwissenschaftler, Physiker. Er war Zweifler und hat nicht nur fremde, sondern auch eigene Erkenntnisse gnadenlos hinterfragt (»Man muss vor allem kritisch gegen sich selbst sein«). Er hat verteidigt, wovon er überzeugt war, z. B. von seinem Verständnis von Zufall: »Das, wobei unsere Berechnungen versagen, nennen wir Zufall«, von Quantenphysik: »Glauben Sie wirklich, der Mond ist nicht da, außer wenn jemand hinschaut?« und von Nichtlokalität: »Es scheint hart, dem Herrgott in die Karten zu gucken. Aber, dass er würfelt und sich telepathischer Mittel bedient (wie es ihm von der gegenwärtigen Quantentheorie zugemutet wird), kann ich keinen Augenblick glauben«.

Er war Theoretiker. Als solcher hat er versucht, hinter die Geheimnisse, die man in der Realität beobachten kann, auf grundlegendster Ebene zu kommen, wie die Erklärung des Photoelektrischen Effekts zeigt. Er war also gewohnt, in abstrakter Weise und losgelöst von Detailansichten Dingen auf den Grund zu gehen. In einer Bemerkung an den österreichisch-amerikanischen Chemiker Hermann Franz Mark beschrieb er den Unterschied zwischen einem Theoretiker und einem Praktiker so: »Sie machen Experimente und ich Theorien. Kennen Sie den Unterschied? Eine Theorie ist etwas, an das niemand glaubt außer der Person, die sie aufgestellt hat. Ein Experiment ist etwas, das jeder glaubt außer der Person, die es durchgeführt hat.« Er hatte also auch einen subtilen Humor.

Aber er war auch, neben vielem anderen, Philosoph und Humanist. Er hat immer versucht, über die Wissenschaft hinaus sein und das Wirken anderer in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen, um die Welt besser zu machen: »Liebe Kinder: […] Vergesst nicht, dass die wundervollen Dinge, die ihr in der Schule lernt, die Arbeit vieler Generationen ist, hervorgebracht durch begeisterten Einsatz und unendliche Mühen in jedem Land der Welt. All dies legen wir in eure Hände und euer Erbe, damit ihr es entgegennehmen, ehren, vermehren und eines Tages achtungsvoll euren Kindern übergeben könnt. Folglich erreichen wir Sterblichen Unsterblichkeit durch die dauerhaften Dinge, die wir gemeinsam schaffen. Wenn ihr das immer beachtet, werdet ihr einen Sinn im Leben und in der Arbeit finden und die richtige Einstellung anderen Nationen und Zeitalter gegenüber erwerben.« Indem ich ihn zitiere, folge ich respektvoll diesem Rat.

Und Einstein war religiös! Für ihn waren Religion und Wissenschaft kein Gegensatz, so wie es heute oft gesehen und praktiziert wird. Er war Jude, bekannte sich dazu und gehörte damit auch einer religiösen Strömung an. Aber er hatte eine andere Definition von Religion: »Ich bin ein tief religiöser Ungläubiger. Das ist eine ziemlich neue Art Religion.« Seine Vision war: »Die Religion der Zukunft wird eine kosmische Religion sein. Sie sollte über einen personenhaften Gott hinausgehen und Dogmata und Theologie vermeiden. Beides, das Kreatürliche und das Spirituelle abdeckend sollte sie auf einer religiösen Wahrnehmung basieren, die aus der Erfahrung aller Dinge, kreatürlicher und spiritueller Art, als sinnstiftender Einheit erwächst. Der Buddhismus erfüllt diese Beschreibung.« Wir erkennen in diesen Worten also seine Bemühungen, die Trennung zwischen Körper („Kreatur“) und Geist („Spirituelles“) zu überwinden. So hat mich dieses Genie seit jeher tief beeindruckt und beeinflusst. Wer, wenn nicht er, kann Religion und Naturwissenschaft zusammenbringen?

An anderer Stelle zeige ich, dass wir zum überwiegenden Teil, 90 % und mehr, unbewusst agierende Roboter sind – die Maschinen, um die sich heutige Schulmedizin kümmert; geistlose Philosophische Zombies, ähnlich handelnd wie Ameisen – das Resultat der Aktivität von Autopiloten. Ein Beispiel: Das einzig (mehr oder weniger, oft habe ich den Eindruck: eher weniger) Intelligente, was Menschen zustande gebracht haben, wenn wir z. B. an unsere Infrastruktur denken, ist, nach welchen Regeln wir uns in unseren Städten und Gemeinden bewegen und wie wir sie gestalten: Straßen, Verkehr, Parkleitsysteme, Radwege, Fußgängerzonen, Zebrastreifen, Ampeln, Vorgaben über die maximale Höhe von Gebäuden und Geschossen, Fassaden oder Neigungswinkel der Dächer usw. Mit dem Ziel, ein einer Mehrheit von uns passendes Stadtbild zu erzeugen. Wenn das einmal realisiert ist, wird das alles von „hirnlosen“ Robotern bevölkert und „belebt“: Man weicht sich automatisch aus, stellt sich automatisch an, wartet, zumindest wenn man nicht Radfahrer ist, bei „Rot“ und fährt bei „Grün“.

Das betrifft nicht nur unser tägliches gemeinschaftliches Leben, sondern auch das Leben an sich und unsere Gesundheit! Instinktiv wissen wir, dass es diese medizinischen Autopiloten gibt, können sie unbewusst wahrnehmen (»Ich fühl’ mich heute nicht gut« oder »Ich könnte Bäume ausreißen«). Da diese Erfahrung aber nicht bewusst und rational ist, übertragen wir sie, gefangen in unserer Religiosität, die erklären will, was unser Verstand nicht erklären kann, auf einen anderen, den Arzt: Er ist es, der helfen kann und muss und hilft: »Doktor, mach’ mich gesund!«. Er ist für uns somit im Bereich der Medizin, was der Papst im Bereich des Spirituellen ist: Stellvertreter Gottes auf Erden. Das steht schon in der Bibel, wir werden darauf zurückkommen.

Rational müssen wir mit zunehmenden Erkenntnissen in der Naturwissenschaft feststellen, dass das meiste, was wir medizinisch können und machen, nicht viel mehr als ein Abklatsch dessen ist, was Autopiloten in uns sehr viel besser können – auch das werde ich an anderer Stelle zeigen. Das demoralisiert, da es uns da trifft, wo es echt weh tut: an unserem Stolz, aufgrund unserer Intelligenz besser sein zu können als die Natur, die als abstraktes Phänomen, das sich „nur“ in konkreten Phänomenen äußert, keine „Intelligenz“ haben kann. Was uns in unserer von monotheistischen Religionen durchaus unterstützten Hybris (gr. ὕβρις [hybris]: Übermut, Anmaßung) zu etwas Besonderem macht. Wenn man das über Gesundheit und Medizin hinaus erweitert, heißt das, dass wir auch im Hinblick auf unsere vermeintlich einzigartigen Fähigkeiten wie Technik und Wissenschaft nicht sonderlich stolz sein können – die Natur hat zu allem, was wir hervorgebracht haben, bereits eine Lösung, selbst zu Rad und Elektromotor, wie ich an anderer Stelle zeigen werde, ja sogar zu Kunststoff. Die ist i. d. R. sogar noch besser (Spinnenseide vs. Nylonfaden) und effizienter (Photosynthese vs. Photovoltaik) als wir das technisch realisieren können. Und wir sind nicht alleine: Rabenvögel haben trotz ihres wesentlich kleineren und anders aufgebauten Gehirns geistige Fähigkeiten, die man bisher nur Primaten zutraute: Sie benutzen Werkzeuge, können planen, komplexe Probleme erkennen und lösen und Erlerntes auf neue Situationen übertragen, kennen so Abstraktion und Erfahrung – und damit ein Bewusstsein, ja sogar ein Selbst-Bewusstsein, wie „Spiegelversuche“ zeigen.

Wo, also, bleibt das Ich?

Es sind nun nicht, wie viele denken mögen, Religion im traditionellen Sinn und Glaube, die hier weiterhelfen, und auch nicht Esoterik, Mystik, also Spiritualität insgesamt, auch wenn das von lat. spiritus, Geist, kommt und sich angeblich mit dem „Geistigen“ – der Seele – beschäftigt. Beides, Religion und Esoterik, mag vielen Menschen im Alltag helfen, ihnen wichtige Fragen beantwortet zu bekommen, die von der Wissenschaft nicht (zufriedenstellend) beantwortet werden (können), die sie aber umtreiben: Welchen Sinn hat das Leben? Warum gibt es mich? Was passiert mit mir nach dem Tod? Die Antworten, die sie auf diese Weise bekommen, sind einfach, verständlich und, wenn man sie oft genug hört, überzeugend – vorgefertigte Weltbild- und Verhaltensbausteine.

Nur – befriedigen einen Jahrtausende alte Antworten tatsächlich, die nicht stimmen, ja gar nicht stimmen können, und die bei genauerer Betrachtung nicht konsistent, also in sich schlüssig und logisch widerspruchsfrei sind? Hilft es wirklich, naiv an etwas zu glauben, von dem man (insgeheim) weiß, dass es frei erfunden und mit Münchhausen-Geschichten ausstaffiert ist? Ich habe mehr Probleme damit, religiöses Convenience Food zu mir zu nehmen, Jahrhunderte alte Einheitsgerichte gleichbleibender Zusammensetzung ohne Finesse und mit standardisiertem Geschmack, bei dem ich nicht weiß, wer es gekocht hat, von welcher Qualität die Zutaten sind und was alles an gesundheitsschädlichen Bestandteilen drin ist. Ich bilde mir lieber mein eigenes weltanschauliches Mahl aus frischen und der Jahreszeit entsprechenden, regionalen Zutaten, von denen ich weiß und nachprüfen kann, woher sie kommen – auch wenn das aufwendiger ist.

Auch Esoterik und Astrologie liefern nur zusammengesetzte Weltbild- und Verhaltensbausteine, die unter viel Brimborium mit Kristallkugel, Sternenkarten, Pendeln und anderen unterhaltsamen Accessoires und Ritualen an die jeweilige Situation angepasst werden. (Gläubige Christen mögen nun nicht hämisch zustimmen: Abendmahl, das gemeinsame Gebet in Kirchen und Prozessionen sind nichts anderes!) So ruht Glaube auf zwei wesentlichen Säulen: Ritualen und Überlieferung – Dingen, die sich nicht unbedingt durch Aufgeschlossenheit Neuem gegenüber auszeichnen. Einstein: »Es wäre ziemlich albern, Tradition zu verachten. Aber mit unserem wachsenden Selbstbewusstsein und zunehmender Einsicht müssen wir beginnen, Tradition zu kontrollieren und ihr eine kritische Haltung gegenüber einnehmen.« Der prinzipiellste Unterschied zwischen Glaube (Spiritualität) und Wissen (Wissenschaft) ist: Wissen ist dynamisch und an die jeweilige Situation angepasst, Glaube statisch! Statik aber ist widernatürlich: Hätte die Evolution „geglaubt“, wären wir über das Stadium der ersten sich selbst organisiert habenden Moleküle, aus denen letztlich das erste Bakterium entstanden ist, nicht hinausgekommen – wozu auch? Wäre das Universum statisch, gäbe es auch heute noch nur Energie, keine Materie. Glaube ist also, wie ich noch zeigen werde, durchaus wichtig für den Menschen. Aber es ist ein dynamischer Glaube, der erforderlich ist, nicht der statische, institutionalisierte, ritualisierte, den uns Kirche, Sekten und Esoteriker vorsetzen. Einstein: »Es ist dieser mystische oder ziemlich symbolische Inhalt religiöser Traditionen, der geeignet ist, mit Naturwissenschaft in Konflikt zu geraten. Das erfolgt immer dann, wenn dieser religiöse Vorrat an Vorstellungen dogmatisch starre Aussagen über Dinge macht, die in den Bereich der Naturwissenschaft gehören« und die damit, wie ich hinzufüge, stetem Wandel unterliegen. Seele, Geist, Psyche und Erkenntnisse über sie sind so etwas!

Nach einem bekannten Ausspruch heißt glauben nicht wissen. Sicher sein, dass das alles stimmt, was und wie man ihm sagt, kann der Gläubige trotz vollmundiger Versprechungen nicht. Denn die jeweilige Weltanschauung erlaubt lediglich einigen wenigen Auserwählten, in der Religion Priester, in der Esoterik Medien genannt, zu definieren, was geglaubt werden soll. Doch er baut sein gesamtes Leben darauf auf! Das heißt: Was wir nicht wissen (können), sollen wir offenbar nicht nachprüfbar glauben. Für einen naturwissenschaftlich orientierten Menschen wie mich ist das zutiefst unbefriedigend und daher nicht akzeptabel. Nicht das Glauben per se, sondern das „nicht nachprüfbar“!

Warum ist das so? Ich hatte bereits angedeutet und werde an anderer Stelle zeigen, dass unser Gehirn es einfach nicht schafft, sich damit abzufinden, eine Erklärung für einen Sachverhalt nicht ergründen zu können. Das ist ein systemimmanentes Phänomen. Daher erfindet es notfalls einfach eine. Es ist also eine Folge der Art, wie das Gehirn funktioniert, damit wir uns in unserer Umwelt zurechtfinden können. Folglich nichts Mystisches! Die Suche nach Erklärungen, die Befriedigung der natürlichen Neugier, ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis, das sich nicht nur in seiner Religiosität, sondern vor allem auch in der Entwicklung und dem Betrieb von Wissenschaft und Forschung manifestiert. Wenn sie dann wissenschaftlich nicht befriedigt werden kann, wird’s spirituell versucht, und es werden Erklärungen erfunden (und so immer gefunden!) – bis hin zu Verschwörungstheorien und ganzen Weltanschauungen wie Religionen.

Die Religionsstifter vor 2000 Jahren mussten große Skepsis überwinden und viele Fragen derer beantworten, die sie missionieren sollten und wollten. Fragen, die den Menschen damals wichtig waren und auf die vielleicht der eine oder andere nicht vorbereitet war. Für ihre Beantwortung gab es damals aber keinen naturwissenschaftlichen Ansatz – es musste auf Spiritualität zurückgegriffen werden. Denn vergessen wir nicht: Es waren keine damaligen „Wissenschaftler“, also (griechische) Philosophen, die missionieren wollten und sollten, sondern einfache Menschen mit ihrer laienhaften, aus täglichem Erleben gespeisten Sicht der damaligen Welt: Jesus soll Zimmermann gewesen sein3, Petrus Fischer4 oder Matthäus Zöllner5. Zweifelsfrei ehrenwerte Berufe, aber eben keine, die die damaligen wissenschaftlichen Erkenntnisse in das Weltbild hätten miteinbauen können. So kam die eine oder andere erdachte Geschichte unter die Leute, die entsprechend ausgeschmückt wurde: Was uns heute lächerlich erscheint, weil wir alle eine Grundbildung in Naturwissenschaften haben und daher wissen, dass das gar nicht möglich sein kann, war damals über „Wunder“ absolut glaubhaft vermittelbar. Heute nennen wir das Mystery und lassen uns davon unterhalten.

So entstanden langsam die Weltbild- und Verhaltensbausteine aller Religionen, nicht nur der monotheistischen. Und die teilweise irrwitzige Inkonsistenz, die bis heute nicht aus der Welt geschaffen wurde, weil mehrere Missionare gleichzeitig unterwegs waren, die zwar die Grundidee kannten, nicht aber, was der Kollege dann konkret erzählte, um sie zu vermitteln – beides aber wurde „überliefert“: Der „liebe und gütige“ Gott z. B., der Menschen droht, sie müssten ihre eigenen Kinder fressen, wenn sie nicht gehorchten. Damals gehörten „Zuckerbrot und Peitsche“ zur Erziehung, Rache, Bestrafung und Mord zum täglichen Leben: Eben weil Gott euch liebt, züchtigt er euch! Es ist zu eurem Besten. Das müsst ihr eben glauben! Punkt. Wer es nicht tut, wird eliminiert. Punkt. Die Bibel war daher zunächst so etwas wie ein erstes Gesetzbuch, nach dem sich die Leute zu richten hatten („Du sollst nicht …“) und das auf den Talmud und die Tora der Juden zurückgeht, die sich in der Bibel in Form der „Fünf Bücher Mose“ wiederfinden. Tat man es nicht, drohten drakonische Strafen, weil es schwer war, die Gesetzestreue der Gemeinschaft zu überprüfen – immerhin musste man lange im Untergrund arbeiten. Also musste massiv und nachhaltig abgeschreckt werden: »Primitive Religionen basieren vollständig auf Furcht.«, so Einstein. Nebenbei bemerkt: primitive Gesellschaften auch (Terror, „Abschreckung“).

Einstein sagt, dass sich Religion weiterentwickelt hat – von der frühen jüdischen zu späteren wie der christlichen: »Die jüdischen Schriften veranschaulichen vortrefflich die Entwicklung von einer Religion der Furcht zu einer der Moral, eine Entwicklung, die im Neuen Testament fortgeführt wird. Die Religionen aller zivilisierten Völker, speziell der des Orients, sind hauptsächlich moralische Religionen. Diese Entwicklung von einer Religion der Furcht zu einer der Moral ist ein großer Schritt im Leben der Menschen. Und trotzdem: Dass primitive Religionen vollständig auf Furcht und die Religionen zivilisierter Menschen vollständig auf Moral beruhen ist ein Vorurteil, vor dem wir uns hüten müssen. In Wahrheit sind alle Religionen eine unterschiedliche Mischung aus beidem mit dem Unterschied, dass auf höheren Ebenen des sozialen Lebens die Religion der Moral vorherrscht.«

Und heute? Heute klingt alles nur noch erbarmungswürdig menschenverachtend, weshalb die alten Schriften „interpretiert werden“ müssen – von den geeigneten Personen (Priester, Propheten, Medien)! Hat sich Religion, wie Einstein sagt, bis zum Christentum tatsächlich entwickelt, stagniert dieser Prozess seither. Wir haben auch heute noch Religionen der Moral, wie sich an der Scharia oder Begriffen wie „Moraltheologie“ nachvollziehen lässt. Einstein: »Es gibt nichts Göttliches an der Moral. Sie ist eine rein menschliche Angelegenheit.« Und diese bezieht sich in der Religion, auch heute noch, auf 2000 Jahre alte, seither nicht geänderte Vorstellungen. Mehr noch: Die Moral der Religionsstifter und damit der Gesellschaft damals hat nicht mehr sehr viel mit der Moral unserer heutigen zu tun – zumindest im aufgeklärten Teil der Welt.

Aber: »Es gibt eine dritte Ebene religiöser Erfahrungen, auch wenn sie selten in reiner Form existiert. Ich nenne es kosmisch religiöse Wahrnehmung. Sie ist denen, die sie nicht erfahren, schwer zu vermitteln, da sie keine Vorstellung eines menschenartigen Gottes hat; das Individuum fühlt die Selbstgefälligkeit menschlicher Wünsche und Ziele und die Erhabenheit und wunderbare Ordnung, die sich sowohl in der Natur wie auch der Gedankenwelt offenbart. Er empfindet das individuelle Schicksal als eine Art Gefangenschaft und strebt danach, das Universum als bedeutsames Ganzes zu erfassen. Zeichen dieser kosmisch religiösen Wahrnehmung können selbst auf unteren Ebenen der Entwicklung nachgewiesen werden – z. B. in den Psalmen von David und den Propheten. Das kosmische Element ist im Buddhismus sehr viel stärker ausgeprägt, wie uns speziell Schopenhauers ausgezeichnete Aufsätze gezeigt haben. Die religiösen Genien zu jeder Zeit wurden durch diese kosmisch religiöse Wahrnehmung gekennzeichnet, die weder Dogmata kennt noch Gott in menschlicher Gestalt. Folglich kann es keine Kirche geben, deren zentrale Lehren auf einer kosmisch religiösen Erfahrung aufbauen. Somit ergibt sich, dass wir gerade unter den Ketzern jeder Epoche Menschen finden, die durch diese höchste religiöse Erfahrung beflügelt wurden; sie erschienen Zeitgenossen oft als Atheisten, manchmal aber auch als Heilige. In diesem Licht erscheinen Menschen wie Demokrit, Franz von Assisi und Spinoza einander sehr wesensverwandt.«

Herrmann Hesse (1877–1962, Schriftsteller, Dichter und Maler) sagte: »Glauben heißt Vertrauen, nicht Wissenwollen.« Denn selbst etwas herausfinden, aktiv wissen zu wollen, ist anstrengender als etwas passiv glauben zu können – zu übernehmen, was andere sich, auch spirituell, ausgedacht haben und in sich schlüssig erscheint; da das nicht zum Nachdenken zwingt. »Denken ist die schwerste Arbeit, die es gibt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sich so wenige Leute damit beschäftigen«, so Henry Ford (1863–1947, amerik. Unternehmer). Oder wie es der Schauspieler und Regisseur Axel von Ambesser (1910–1988) ausdrückte: »Die meisten bekommen eine Meinung, wie man einen Schnupfen bekommt: durch Ansteckung.«

Beim Weltbild scheint das ähnlich zu sein: Der Mensch ist zwar wissbegierig und neugierig, aber auch bequem und lethargisch – er möchte gerne alles wissen, will aber nichts dafür tun müssen – Prinzip Nürnberger Trichter. Und wenn’s da ein schönes spirituelles Buffet gibt, das angerichtet wurde und nett anzuschauen ist, mit leicht verdaubaren Häppchen, die auch noch wohl schmecken und Lust auf den ewigen süßen Nachtisch wecken – wer kann da schon widerstehen? Das bedeutet: Wissenschaft und Aufklärung auf der einen und Religion und Esoterik und damit bewusst praktizierte und notwendige Verdummung auf der anderen Seite standen immer schon in einem Spannungsverhältnis zueinander: Während Wissenschaft aufklären will, muss Religion Aufklärung unbedingt verhindern. Denn nur ein unwissend Gehaltener ist ein guter Gläubiger. Damit aber kommt es entscheidend darauf an, wem er denn nach Hesse vertrauen soll.

Wer verhindern will, Opfer institutionalisierter Verdummung zu werden, muss also anfangen, selbst zu denken! Naiv ist, wer heutzutage glaubt, über „Likes“ herausfinden zu können, was ist, wie die Welt funktioniert! Wer dieses an die „Generation Internet“ gerichtete Statement unterstreicht, sollte sich allerdings fragen, wie naiv er als Anhänger einer nicht-kosmischen Religion selbst ist. Denn manchmal habe ich den Eindruck, dass Internet und Gott gar nicht so weit voneinander entfernt sind: Beide sind anonym, autistisch, allwissend, allmächtig und man kann sie benutzen, wie man es gerade braucht. Das Internet immerhin hat einen Vorteil: Es kann manch reale Bedürfnisse tatsächlich real befriedigen.

Um das alles für die Gläubigen im Sinne der betreffenden Weltanschauung zu klären und damit auch Eigeninitiative überflüssig zu machen, wird notfalls vor Gewalt nicht zurückgeschreckt – grausame, physische Gewalt „Ungläubigen“ gegenüber (Kreuzzüge, Inquisition, „Heiliger Krieg“, Terroranschläge), jedoch auch, eher psychisch aber damit nicht minder grausam, gegen das eigene Klientel (Beichte, Drohungen, Einschüchterungen, Bestrafungen): die primitive Religion. Heraus kommt totale Kontrolle: Ein Priester weiß über die Beichte über einen Menschen oft mehr als der selbst – religiöser Big Brother! Prüfen Sie es nach: Welche Religion kommt ohne die Androhung negativer Folgen aus, wenn man sich nicht daran hält? Selbst die als „sanftmütig“ empfundenen fernöstlichen Religionen drohen mit Reinkarnation und so der Verweigerung der angestrebten Erlösung … In der Rechtsprechung nennt man solch Erzwingen eines genehmen Verhaltens durch Drohungen Nötigung, und die ist strafbar. Warum nicht bei Glaubensfragen? Warum darf in unserer vom Humanismus geprägten Gesellschaft institutionelle Religion immer noch ungestraft nötigen? Weil Kirche über dieser steht, für sie nicht gilt, was für uns alle gilt und gelten muss?

Damit ein Problem durch Nachdenken gar nicht erst entsteht, haben die Hüter des Glaubens eine geniale Lösung entwickelt, Wissenwollen schon im Keim zu ersticken – Zeit genug hatten sie ja: „Kundenbindung“ durch Hirnwäsche seit frühester Kindheit! Weshalb so wichtig ist, so früh wie möglich, in einem Alter, in dem das Leben noch aus Fläschchen, besser: Mamis Nippel, Mami selbst und Windel besteht, getauft zu werden, zwei Paten zu haben, die sicherstellen müssen, dass das Kind im Sinne der Religion erzogen wird, und die Eltern immer wieder daran erinnern, die Kinder doch bitte streng an Gott glaubend und damit im Sinne der Kirche zu erziehen. Vor 2000 Jahren war Kindersterblichkeit weit verbreitet, sodass die Drohung, dem ungetauften Kind würde eine Ewigkeit im Himmel verwehrt sein, „Motivationshilfe“ für „den richtigen“ Glauben war. Denn wenn es schon das Diesseits nicht mehr erleben konnte, dann doch bitte die Ewigkeit im Himmel. So entstand auch die Mär vom Märtyrer. Doch heute?

Wenn man dann, irgendwann in der Pubertät, einmal ins Grübeln kam, holte einen spätestens der Konfirmations- oder Firmungsunterricht gleich wieder auf den Teppich des Glaubens zurück, der nicht umsonst in diesem Alter, wo eigene Vorstellungen erblühen und die Suche nach sich selbst beginnt, zur „Festigung“ des Glaubens angesiedelt ist: reine Wäsche eines noch lange nicht fertigen Gehirns! Wer sich jetzt, warum auch immer, für den bequemen Weg entscheidet, hat i. d. R. für den Rest des Lebens verloren: Er ist ein Schäfchen und wird gezielt in dieser Rolle gehalten werden. So ist das Bild vom Hirten, seiner Herde und der gehüteten Spezies, Schafe, durchaus richtig: der wissende und denkende Hüter und die unwissenden und nicht denkenden Gehüteten! Wie sagte Einstein? »Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu können, muss man vor allem ein Schaf sein.« Einem das immer wieder klar zu machen, ist die halbe Miete! Daher erfolgt es auch konsequent jeden Sonntag von der Kanzel.

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