ADRIAN DOYLE

&

TIMOTHY STAHL

 

 

BLUTVOLK, Band 8:

Im Bann des Kindes

 

 

 

Roman

 

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

Die Autoren 

 

Was bisher geschah... 

IM BANN DES KINDES 

 

Vorschau auf BLUTVOLK, Band 9: DIE VERLORENEN von Adrian Doyle & Timothy Stahl 

 

Glossar 

 

Das Buch

 

Raphael Baldacci ist ein »Gesandter«, ein Mann des Glaubens, von einer höheren Macht dazu auserkoren, das Gleichgewicht von Gut und Böse zu erhalten. Doch dieses Gleichgewicht wurde durch die Seuche der Vampire empfindlich gestört!

Lilith Eden hat ihn bereits in ihren Träumen gesehen: den Widderköpfigen. Ein Wesen, das überirdische Macht ausstrahlt. Und durch den flüchtigen Kontakt mit der Halbvampirin gerät nun auch Baldacci in den Bannkreis des Unheimlichen. Er jedoch sieht ihn als das, was er wirklich ist.

Als Kind...

 

BLUTVOLK – die Vampir-Horror-Serie von Adrian Doyle und Timothy Stahl: jetzt exklusiv als E-Books im Apex-Verlag.

Die Autoren

 

 

Manfred Weinland, Jahrgang 1960.

Adrian Doyle ist das Pseudonym des deutschen Schriftstellers, Übersetzers und Lektors Manfred Weinland.

Weinland veröffentlichte seit 1977 rund 300 Titel in den Genres Horror, Science Fiction, Fantasy, Krimi und anderen. Seine diesbezügliche Laufbahn begann er bereits im Alter von 14 Jahren mit Veröffentlichungen in diversen Fanzines. Seine erste semi-professionelle Veröffentlichung war eine SF-Story in der von Perry-Rhodan-Autor William Voltz herausgegebenen Anthologie Das zweite Ich.

Über die Roman-Agentur Grasmück fing er Ende der 1970er Jahre an, bei verschiedenen Heftroman-Reihen und -Serien der Verlage Zauberkreis, Bastei und Pabel-Moewig mitzuwirken. Neben Romanen für Perry-Rhodan-Taschenbuch und Jerry Cotton schrieb er u. a. für Gespenster-Krimi, Damona King, Vampir-Horror-Roman, Dämonen-Land, Dino-Land, Mitternachts-Roman, Irrlicht, Professor Zamorra, Maddrax, Mission Mars und 2012.

Für den Bastei-Verlag hat er außerdem zwei umfangreiche Serien entwickelt, diese als Exposé-Autor betreut und über weite Strecken auch allein verfasst: Bad Earth und Vampira.

Weinland arbeitet außerdem als Übersetzer und Lektor, u. a. für diverse deutschsprachige Romane zu Star Wars sowie für Roman-Adaptionen von Computerspielen.

Aktuell schreibt er – neben Maddrax – auch an der bei Bastei-Lübbe erscheinenden Serie Professor Zamorra mit.

 

 

 

Timothy Stahl, Jahrgang 1964.

Timothy Stahl ist ein deutschsprachiger Schriftsteller und Übersetzer. Geboren in den USA, wuchs er in Deutschland auf, wo er hauptberuflich als Redakteur für Tageszeitungen sowie als Chefredakteur eines Wochenmagazins und einer Szene-Zeitschrift für junge Leser tätig war.

In den 1980ern erfolgten seine ersten Veröffentlichungen im semi-professionellen Bereich, thematisch alle im fantastischen Genre angesiedelt, das es ihm bis heute sehr angetan hat. 1990 erschien seine erste professionelle – sprich: bezahlte - Arbeit in der Reihe Gaslicht. Es folgten in den weiteren Jahren viele Romane für Heftserien und -reihen, darunter Jerry Cotton, Trucker-King, Mitternachts-Roman, Perry Rhodan, Maddrax, Horror-Factory, Jack Slade, Cotton Reloaded, Professor Zamorra, John Sinclair u. a.

Besonders gern blickt er zurück auf die Mitarbeit an der legendären Serie Vampira, die später im Hardcover-Format unter dem Titel Das Volk der Nacht fortgesetzt wurde, und seine eigene sechsbändige Mystery-Serie Wölfe, mit der er 2003 zu den Gewinnern im crossmedialen Autorenwettbewerb des Bastei-Verlags gehörte.

In die Vereinigten Staaten kehrte er 1999 zurück, seitdem ist das Schreiben von Spannungsromanen sein Hauptberuf; außerdem ist er in vielen Bereichen ein gefragter Übersetzer. Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen lebt er in Las Vegas, Nevada.

  Was bisher geschah...

 

 

Das Geschlecht der Vampire steht vor seinem Untergang, als sich Lilith, Urmutter aller Blutsauger, mit Gott versöhnt. Er »impft« den Lilienkelch mit einer Seuche, die alle Sippenoberhäupter rund um den Globus infiziert. Landru, einer der ältesten Vampire und Kelchhüter, setzt unwissentlich die Seuche frei. Sie wird von den Oberhäupter auf ihre Sippen übertragen. Die infizierten Vampire – bis auf die Anführer selbst – werden von einem unbändigen Durst nach Blut befallen und altern rapide. Lilith Eden, Tochter einer Vampirin und eines Menschen, erhält den Auftrag, auch die letzten überlebenden Vampire zu vernichten.

Aber auch das Böse reagiert. In einem Kloster in Maine, USA, gebiert die junge Nonne Mariah einen Knaben. Als kurz darauf ein infizierter Vampir eintrifft, wird er von dem Kind geheilt! Doch die Vampire, die daraufhin zum Nonnenstift pilgern, werden getäuscht. Der Knabe entzieht ihnen alle Kraft und Erfahrung und wächst dabei um gut drei Jahre.

Sowohl die Vampirseuche als auch die Geburt des Kindes haben das Weltgefüge auf einer spirituellen Ebene erschüttert. Rund um den Erdball träumen para-sensible Menschen von unerklärlichen Dingen und möglichen Zukünften. Eine geheime Organisation, die dem Anschein nach mit dem Vatikan in Verbindung steht, schickt »Gesandte« aus, um diese Menschen anzuwerben.

Ausgenommen von der Seuche ist ein zweigeschlechlicher Vampir, der kurz zuvor künstlich geschaffen wurde, aber der Kontrolle der Blutsauger entglitt. Sein genetisch verankerter Auftrag lautet, sich zu vermehren, und das will er auf einem Tanker, der Richtung Alaska ausläuft. Doch seine Brut wird bei einem Brand vernichtet; er selbst entkommt ins Eismeer.

Dort findet ihn die Besatzung eines Versorgungsschiffs, das zu einer abgelegenen Forschungsstation der Amerikaner unterwegs ist, und fischt ihn aus dem Wasser – ein Todesurteil für die Männer und die Station. Der Genvampir wütet wie ein Berserker und zieht weiter. In einem Dorf der Inuit wird er wie ein Gott aufgenommen und legt dort weitere Eier – bis ihn Landru aufspürt, der seiner Spur gefolgt ist. Der mächtigste der Alten Rasse erkennt, daß der Genvampir, der zudem immun ist gegen christliche Symbole, die Erde unkontrolliert mit Nachkommen überschwemmen würde. Er beschließt, ihn zu vernichten.

Dabei kommt ihm unverhofft Lilith Eden zur Hilfe, die ebenfalls die Fährte des Genvampirs wieder aufgenommen hat, nachdem er ihr in New York knapp entkam. Der unerbittliche Kampf gegen den Homunkulus schweißt die beiden Erzfeinde zusammen. Gemeinsam gelingt es, ihn zu töten – doch eines seiner Eier wird von einem Schamanen fortgeschafft...

IM BANN DES KINDES

 

 

 

Spitz stach die Nase aus dem gelblichen Gesicht. Die Haut war hart, trocken, ledern geworden. Die Augen waren tief in die Höhlen zurückgesunken. Mariah war kaum Zwanzig und sah doch wie eine Hundertjährige aus. Die letzten Wochen hatten ihre Kräfte aufgezehrt. In Tagen hatte sie Jahre verloren. Dennoch hatte sie jedes einzelne mit Freuden hingegeben. Zu seinem Wohle...

Noch jetzt, da der Tod ihr nahe war, hing der Blick ihrer glanzlosen Augen an ihm. Und wenn noch irgend etwas darin war, so war es nichts als die Liebe zu ihrem Sohn. »Gabriel...«

Der Junge brachte sein kleines Gesicht dicht an ihres heran. Seine Lippen berührten die ihren, die längst kalt und blutleer waren. Und sogen ihren letzten Atemzug auf.

Gabriel schloss seiner Mutter die Lider, ehe er sich abwandte und das Totenzimmer verließ.

Lächelnd.

 

Clarence Mirvish ließ sich auf einem Felsblock nieder. Dabei nahm er seinen Rucksack ab, kramte nach den Rauchutensilien, und schließlich saß er seine Pfeife schmauchend da, eingehüllt in eine würzig duftende Wolke, die wie vom Himmel gefallen aussah. Der Blick seiner eisgrauen Augen wanderte über die wildromantische Landschaft des Cape Breton Hochlandes, so gemächlich, wie er selbst sie eben noch durchstreift hatte.

Mirvish genoss diese Momente, so wie er sie jedes Mal genoss, bevor die Touristen zu ihm aufgeschlossen hatten. In diesen Minuten gehörte dieser Teil seiner Heimat stets ihm allein. Er musste ihn nicht mit der Neugier all jener teilen, die in zunehmend größer werdender Zahl aus fast aller Welt nach Nova Scotia kamen, weil die Tourismusbranche die vom Meer umspülte kanadische Provinz mehr und mehr zu erschließen begann.

Clarence Mirvish hatte sich irgendwann vor der Wahl gesehen, seine Heimat entweder in die Hände der Fremden fallen zu lassen, die ihren Zauber über kurz oder lang – und vermutlich noch nicht einmal böswillig – zerstören würden, oder sich schützend zwischen die Urlauber und Nova Scotia zu stellen, einem Wächter gleich, der den Fremden zwar erlaubte, alles anzusehen, jedoch auch dafür Sorge trug, dass sie nichts »berührten«.

Und so führte Mirvish die Fremden seit nunmehr einigen Jahren dreimal wöchentlich durch die Cape Breton Highlands, wies ihnen die majestätische Anmut der Berge und Tundren und zeigte ihnen – aus der Ferne – die ursprünglichsten Bewohner dieses herrlichen Landstrichs, Adler und Elche.

Dass er als Wanderführer auch mehr verdiente als in seinen vorherigen Jobs, war für Clarence Mirvish nur von allenfalls zweitrangiger Bedeutung gewesen. Aber es war in seine damalige Entscheidung sicher zu einem kleinen Teil mit eingeflossen.

All dies änderte jedoch nichts daran, dass er die Fremden nicht mochte. Nicht wirklich zumindest. Und er hütete sich, es sie tatsächlich spüren zu lassen. Die eine oder andere kleine Bosheit allerdings vermochte er sich dennoch nicht zu verkneifen.

Wie jene beispielsweise, dass er sich gelegentlich von der Gruppe »absetzte«.

Im Laufe der Zeit hatte Mirvish einen speziellen Schritt entwickelt, der es im erlaubte, schneller voranzukommen, ohne dass er den Anschein erweckte, zu rennen. So ließ er die Touristengruppen oft zusehends hinter sich – natürlich nur dort, wo die Wege sicher waren – und erwartete sie dann in einiger Entfernung, mit gespielt vorwurfsvollem Blick und ein paar allgemeinen Bemerkungen über »verweichlichte Großstädter«...

So hockte er auch diesmal an einem jener Punkte, wo er auf die Touristen zu warten pflegte. Diesen Stein hier hatte er seiner besonderen Form wegen »Clarences Thron» getauft, und er hatte sich sogar eine kleine Geschichte dazu einfallen lassen. Dass schon sein Vater und Großvater und dessen Vater oft hier gesessen hätten und dass der Fels deshalb in den Familienbesitz übergegangen wäre.

Er erzählte diese Mär immer dann, wenn einer unter den Fremden war, der mit Beschwerden über seine Rücksichtslosigkeit und dergleichen drohten.

Diesmal jedoch würde Mirvish sie nicht erzählen müssen. Er hörte es am schleppenden und schleifenden Geräusch der Schritte, die sich ihm näherten. Und wenig später mischten sich erste keuchende Atemzüge hinein. Keiner dieser Leute würde noch genug Luft haben, um sich zu beschweren...

Clarence Mirvish sah lächelnd hinaus auf das wogende Grau des Atlantiks, wo das Licht des Tages allmählich zu sterben begann. Es wurde Zeit für den Rückweg. Er würde den Fremden keine lange Verschnaufpause gönnen dürfen.

Mirvishs Lächeln vertiefte sich eine Spur, und hätte ihn jemand gesehen, hätte er gutmütige Häme in seinen wettergegerbten Zügen gesehen.

Er wartete, bis er gehört hatte, dass sich auch der letzte Nachzügler hinter ihm zu Boden hatte fallen lassen, und dann noch zehn Sekunden. Dann klopfte er die glühenden Tabakreste am Stein aus dem Pfeifenkopf, die der Wind als rot glimmende Flocken über die Felsen wehte, verstaute sein Rauchzeug sorgfältig im Rucksack und erhob sich.

»Ladies, Gents«, sagte er, »wir müssen weiter.«

Sein Blick glitt über die zehnköpfige Truppe, die ihm wie einem Feldherrn zu Füßen lag. Durch die Bank sah er gerötete Gesichter, und hinter der Erschöpfung erkannte er zumindest in einigen Augenpaaren etwas, das ihn – hätte es ihn getroffen – tot zu Boden hätte gehen lassen.

Mirvish zwang wenigstens einen Anflug von Bedauern in seine Miene. Es tut mir leid, aber..., wollte er fortfahren.

»Fünf Minuten«, bettelte ein Mann im angeblich besten Alter, und es klang, als bäte ein zum Tode Verurteilter seinen Henker um einen winzigen Aufschub, weil er doch noch auf den rettenden Anruf des Gouverneurs hoffte.

»Sorry«, sagte Mirvish. »Aber es wird bald dunkel, und dann bleibt uns nichts anderes übrig, als hier draußen zu übernachten.« Und er fügte hinzu: »Leider ist der Komfort hier oben nicht halb so gut wie in Ihrem Hotel unten im Tal.«

Ein junger Mann stand auf, allerdings nicht halb so mühelos, wie er es offensichtlich beabsichtigt hatte.

»Kommt schon, Leute, auf die Beine!«, rief er. »Ich habe keine Lust, mir heute Nacht hier draußen den Arsch abzufrieren!«

Ein Ächzen und Raunen lief durch die Gruppe wie eine Welle. Fast eine Minute verging, bis schließlich auch der Letzte wieder auf den Beinen war.

Clarence Mirvish hob den Arm und winkte den Leuten, ihm zu folgen. Dann trat er auf den Felspfad, der sich in schmalen Kehren an der Bergflanke hinabwand. Die Lichter von Meat Cove stanzten helle Punkte in die Dämmerung, die die Nordküste fast schon verschlungen hatte. Sie schienen erlösend nahe, doch Mirvish wusste, dass der Eindruck täuschte. Sie würden noch knapp zwei Stunden brauchen, um in dem kleinen Fischerdorf anzukommen.

Wenn sie sich beeilten...

Mirvish grinste und schritt weiter aus. Das Stöhnen hinter ihm war Musik in seinen Ohren. Keiner von denen würde je wieder einen Fuß auf Nova Scotia setzen.

»Was ist denn das?«

Jemand rief die Worte, doch Clarence Mirvish hörte sie trotzdem kaum. Er ging der Gruppe inzwischen über fünfzig Meter voran. Jetzt blieb er stehen und wandte sich um.

»Ein Schloss?«, fragte ein anderer aus der Gruppe.

Die Blicke aller gingen schräg den Berghang hoch, wo sie sich an einem Punkt trafen. Ein kantiger Schatten wuchs dort einem unförmigen Geschwür gleich aus der felsigen Flanke.

»Kilchrenan Castle!«, rief Mirvish, während er ein paar Schritte zurücklief. »Ein schottischer Earl hat es vor fast zweihundert Jahren nach dem Vorbild seines Familiensitzes hier bauen lassen. Aber damit hat er das Vermögen seiner Familie vermutlich so arg geschröpft, dass die Sippschaft alsbald am Hungertuch nagte. In jedem Fall steht der Kasten seit Jahrzehnten leer.«

Einen Moment lang herrschte Schweigen; nur der raue Wind pfiff über die Felsen. Dann sagte einer: »Da scheinen Sie aber nicht richtig informiert zu sein, Mr. Mirvish.«

»Wie?«

Clarence Mirvish wandte den Kopf und sah hinauf zu dem trutzigen Gebäude, in dem all das vereinigt schien, was Architekten zur damaligen Zeit an schlechten Ideen mit sich herumgetragen hatten.

Mirvish hatte Kilchrenan Castle schon immer für ein ausgesprochen unansehnliches Bauwerk gehalten. Doch tief in sich wusste er, dass es mehr als nur das war. Doch seine wahren Vorbehalte erlaubte er sich nicht einmal sich selbst gegenüber in Worte zu fassen.

Jedenfalls war es bisher so gewesen. Jetzt änderte sich das.

Im grauschwarzen Zwielicht schimmerten dort drüben plötzlich gelblich weiße Lichter. Und Clarence Mirvish fühlte sich von ihnen angestarrt wie von den Augen eines Dämons.

»Da scheint doch jemand zu wohnen«, meinte jemand.

»Scheint so«, murmelte Mirvish. Er bezweifelte, dass auch nur einer der Fremden sah, was er sah. Seine Augen konnten fast mit denen eines Adlers konkurrieren, und auch bei den herrschenden Sichtverhältnissen sah er noch sehr gut.

Was er sah, war an sich harmlos.

Und vielleicht erschreckte ihn gerade deshalb, was mit ihm geschah: Clarence Mirvish schauderte, als wäre die Temperatur von einer Sekunde zur anderen um mindestens vierzig Grad gefallen.

Und das nur... weil dort drüben, auf dem höchsten Turm von Kilchrenan Castle –

jemand stand und ihm zuwinkte? 

Ein kleiner Junge?

Clarence Mirvish wandte sich ab und lief weiter. Und er hatte alle Mühe zu verhindern, dass er jetzt wirklich rannte.

 

 

»Gabriel!«