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Celine Clair

No Love at work





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorwort

 

 

 

 

Geschichten werden geschrieben, um zu berühren, zum Nachdenken zu verleiten, schöne Stunden zu gewähren und einen aus dem grauen Alltag, traurigen Momenten oder schwierigen Lebenssituationen hinwegzutragen. Womöglich dienen sie auch der Unterhaltung, zum Mitärgern, weil Protagonisten nicht so ‚funktionieren‘, wie man es selbst tun würde oder sie locken Tränen aus den Augenwinkeln, sei es aus Freude oder Trauer.

 

Ich hoffe daher, diese Geschichte kann auch dir eine wunderbare Lesezeit ermöglichen. Sollte es tatsächlich so sein, wäre das schönste Lob und die größte Unterstützung, deine Meinung in Form einer Rezension in einer dir genehmen Onlineplattform oder in einem Onlineshop dazulassen ;)!

 

Danke!

Impressum

© 2019 Celine Clair
Alle Rechte vorbehalten

 

1. Auflage 2019


Umschlaggestaltung: © JaquelineKropmanns
Korrektorat: Daniela Jungmeyer

 

Printed in Germany

 

ISBN-13 978-3-7482-9600-3

 

Dieses Buch enthält Passagen, die Sex, Liebe und mitunter derbe Aussagen beinhalten. Ich bitte dich daher, von diesem Buch Abstand zu nehmen, solltest du kein Freund von erotisch angehauchten Romanen sein, denn du könntest anderen Lesern den Spaß daran verderben. Das Buch ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet.

 

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Dieses Dokument ist doppelt urheberrechtlich geschützt!

1 | Unter den Teppich kehren

„Wie konntest du das nur zulassen? Es war offensichtlich, dass die Unterlagen nicht vollständig sind. Du bringst mich in Teufels Küche damit!“, spie Fabian seinem Kollegen Torsten entgegen. Hektisch wuselte sich Fabian durchs Haar und blickte abwechselnd auf die Lücke zwischen den Ordnern im Regal und zu Torsten. Und dieser leere Platz zwischen den Schadensfällen aus den Jahren 2014 und 2016 schien beinahe rot zu leuchten. Fabian malte sich bereits aus, wie er vor der Nase seines Chefs zu schrumpfen begann, da er ihm beichten musste, dass er seinen Anweisungen aus purer Faulheit nicht Folge geleistet hatte.

„Du hast leicht reden. Du warst krankgeschrieben und sie war immerhin vom Rechnungshof. Was hätte ich bitte tun sollen? Wie oft wirst du von einem Kontrollorgan spontan besucht und gebeten, Unterlagen auszuhändigen? Noch dazu, wie weit gehen meine Kompetenzen als Stellvertretung? Und in meiner Position … wie hast du dir das vorgestellt, hätte ich ihr vorgaukeln sollen, es gebe keine Dokumente?“ Mit düsterem Gesichtsausdruck schritt Torsten nun direkt ans Regal und deutete provokativ auf die Beschriftung der Ordnerrücken, auf denen dick und fett der Inhalt festgehalten war.

„Kannst du lesen? Denn die Prüferin konnte gewiss lesen. Da steht Scha-dens-fälle 2014. Oder erkennst du da etwas anderes? Offensichtlicher konnte es einfach nicht sein. Und dass nicht alle Schadensfälle drinnen sind, die du auf deiner Statistik getürkt hast, dafür kann ich nichts!“, fuhr Torsten ihn an und übertraf sich bereits mit seiner filmreifen Vorstellung, seinem lang gezogenen Rollen der Silben und den theatralischen Verweisen auf die Schriftzüge. Fabian wäre ihm vor Wut am liebsten ins perfekt gemeißelte Gesicht gesprungen.

„Du hättest mir zur Abwechslung vielleicht einmal meinen Rücken stärken können, anstatt mir das Messer auch noch hineinzurammen. Was wäre dabei gewesen, wenn du ehrlich geäußert hättest, dass ich krankgeschrieben sei? Dass du nicht mit Sicherheit sagen könntest, ob ausnahmslos alle Schadensfälle einsortiert sind oder noch Ordner mit offenen Fällen et cetera woanders abgelegt seien?“

Torstens Kopf fuhr abrupt in die Stütze seines modernen Schreibtischsessels zurück, als hätte er einen Frontalstoß bei einem Unfall erlebt. Er riss die Augen auf und verschränkte resolut die Hände vor sich. „Ist das dein Ernst? Ich. Soll. Für. Dich. Lügen? Echt jetzt? Warum zum Henker sollte ich das tun? Was machst du schon für mich, außer mir ständig Arbeit zuzuschanzen, die dir selbst nicht interessant genug erscheint oder dir kein Prestige einbringt? So wie zum Beispiel die Beschwerden bei uns im Amt.“

Beruhige dich. Das bringt dich nicht weiter …, flüsterte Fabians Gewissen. Und es hatte recht. Konzentriert atmete er aus, kratzte sich am Hinterkopf und erwog seine Optionen.

„Okay. Ich verstehe: danke! Dann werde ich mich wohl höchstpersönlich darum kümmern müssen.“ Mit diesen Worten lief Fabian zu seinem Schreibtisch im Gemeinschaftsbüro, packte sein Notizbuch und machte sich an Torsten vorbei zur Tür auf. Mit einem hochroten Schädel schnappte er im Vorbeigehen noch seinen Mantel vom Haken beim Eingang und wollte vermeiden, sich noch mal umzudrehen.

„Ah! Du glaubst, bescheiden wie du bist, du könntest durch ein charmantes Lächeln und ein Augenzwinkern Bonuspunkte bei der Prüferin kassieren, oder wie? Denkst du wirklich, das funktioniert in jeder Lebenslage?“

Als Fabian an der Tür angekommen Torsten noch einen genervten Seitenblick gönnte, runzelte dieser beiläufig seine Stirn und blickte mitleidig an ihm auf und ab. Dabei wusste Fabian, dass da nur der blanke Neid aus seinem Kollegen sprach. Denn gewiss gehörte Fabian nicht zu jenen Männern, nach denen sich Frauen reihenweise umdrehten, um auch die Kehrseite von oben bis unten zu scannen. Aber er hatte das Talent, mit den richtigen Worten, Taten und der Mimik Ketten zu sprengen, selbst wenn diese zuvor als unzerstörbar gegolten hatten. Und Fabian nutzte diese Gabe in jeder Situation schonungslos aus. Sei es, um bei McDonald’s die Schlange zu umgehen, sündhaft teure Kleidung ohne Rechnung umzutauschen oder gar um Frauen so ein schlechtes Gewissen einzureden, dass es ihnen unmöglich war, ihm einen Korb zu geben. Und mit diesem Talent konnte er ohne sich zu schämen prahlen, denn Erfolg kam nur zu denen, die sich ihrer Stärken bewusst waren.

„Ob es in jeder Lebenslage funktioniert? Das werde ich wohl nun herausfinden müssen“, erklärte Fabian selbstbewusst, knöpfte sich noch seinen Blazer zu und verschwand mit einem kecken Zwinkern aus dem Büro.

2 | Überschätzt

Fabian fühlte sich wie in einem Hochsicherheitstrakt. Zuerst hatte er beim Haupteingang über ein Kontrollpad erklären müssen, dass er zu Frau Dr. Glaser wollte. Nun im vierten Stock angekommen, stand er erneut vor einer unüberwindbar scheinenden Glastür ohne Griff.

Na toll. Und jetzt? Soll ich wieder auf die Klingel drücken oder werde ich abgeholt wie ein Pizzabote?

Fabian ärgerte sich, denn er hatte gehofft, ohne einen Termin relativ zwanglos ein Gespräch mit der Prüferin zu führen. Obgleich er unterschätzt hatte, dass sein Besuch nicht so inoffiziell bleiben würde wie gehofft, da er nicht ohne Hilfe weiterkam.

Oder etwa doch?

Vor Fabians Augen erschien eine Silhouette hinter der milchigen Glastür, was andeutete, dass eine Person im Begriff war, durch diesen Eingang zu treten. Und so war es auch. Eine sehr groß gebaute Frau mit rot gefärbtem Haar, grünem Stiftrock und hochgeschlossener schwarzer Bluse lief ihm beinahe in die Arme. Sie wollte offenbar eilig zum Aufzug oder zu den Büroräumen an der anderen Seite.

„Hoppla!“, rutschte es der Dame heraus und sie konnte gerade noch rechtzeitig abbremsen, bevor sie gegen seine Brust prallte. Fragend sah sie ihn nun an, als wäre es an ihm, sich zu erklären.

Vermutlich lungern im Vorhof zur Hölle nicht allzu oft verirrte Seelen herum, überlegte Fabian belustigt.

„Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin nur auf der Suche nach Frau Dr. Glaser, die hoffentlich in diesem Stockwerk zu finden ist.“ Fabian setzte sein charmantestes Lächeln auf und streifte sich mit der Hand die zu langen Stirnfransen aus dem Gesicht. Zeitgleich übernahm er den Türrahmen und wies sie höflich hinaus, um ihr nicht weiter im Weg zu stehen. Man wollte doch die Lakaien der Hölle nicht länger aufhalten als nötig.

Die adrette Frau machte jedoch keine Anstalten, ihn vorbeizulassen, verschränkte stattdessen die Arme vor sich und blinzelte ihn kalkulierend an. „Haben Sie denn einen Termin?“ Die Art und Weise, wie sie das sagte, deutete darauf hin, dass dies nicht oft vorkam.

Fabian räusperte sich und streckte ihr galant die Hand entgegen, die etwas zögerlich in Empfang genommen wurde.

„Entschuldigen Sie, wie unhöflich von mir. Mein Name ist Fabian Schonauer und ich komme von der Magistratsabteilung 23 für Verkehrsangelegenheiten. Mir ist es etwas unangenehm, dass ich derart hereinplatze, aber um ehrlich zu sein, bin ich mit Prüfprozessen nicht so vertraut. Ich befürchte jedoch, es hat ein klitzekleines Missverständnis gegeben, das ich nun gerne aus der Welt schaffen würde. Sie könnten nicht zufällig ein Auge für mich zudrücken und mir sagen, wo ich Ihre Kollegin finde?“ Lässig ließ er seine Brauen tanzen und spielte ihr ein unbeholfenes Gesicht vor, was sofort zog. Und Fabian war stolz darauf, denn für gewöhnlich fielen Frauen von Natur aus nur dem Kindchenschema zum Opfer. Kleinkinder mit rundem Gesicht und riesigen, traurigen Knopfaugen, die Schutzbedürftigkeit und den Wunsch nach Hilfe und Fürsorge bei ihnen auslösten. Bei ihm jedoch kam der zweite Ausnahmezustand zum Tragen: ein Mann, der sich rasch an äußere Zeichen anpassen konnte. Wenn eine Frau einen abgeklärten, ruppigen Kerl suchte, der für sie der Inbegriff von Stärke und Leidenschaft war, dann stellte Fabian sich darauf ein. Wenn sie allerdings einem schüchternen, verunsicherten Typen auf den Leim ging, weil es absolut untragbar wäre, ihn wegzuschicken, dann hatte Fabian diese Masche ebenfalls perfekt drauf.

„Sie scheinen also keinen Termin bei ihr zu haben, geben es aber wenigstens zu. Folgen Sie mir, ich bringe Sie zu ihr.“

Bingo!

Fabian hatte alle Mühe, sein zufriedenes Grinsen zu unterdrücken und stattdessen Erleichterung auf sein Antlitz zu malen. Immerhin schritt die Frau nun direkt vor ihm her und vergewisserte sich alle paar Meter, ob er sich noch hinter ihr befand.

Wovor haben die Leute hier nur solche Angst? Sie tun bei diesen Firmengeheimnissen gerade so, als würde es hier um die nationale Sicherheit gehen oder um Leben und Tod!

Beim Marsch durch die schneeweißen Gänge mit überdimensionalen Höhen und den grau gesprenkelten Fliesen waren Fabians Augen rasch an dem schaukelnden Po der Assistentin haften geblieben. Ein goldener mittiger Reißverschluss, der den gesamten Rock zusammenhielt, ließ sehr leicht unangebrachte Gedanken schlüpfen. Generell wies diese Silhouette wunderbare Kurven zum Nachziehen auf, sodass es ihm schwerfiel, sich auf den wesentlichen Grund seines Kommens zu konzentrieren: nämlich den Ordner zurückzubekommen.

Warum wogen Frauen ihre Hüften immer so bedacht, überkreuzten elegant ihre Beine, machten ein Hohlkreuz, welches durch überhohe Pumps und verzierte Nylons noch zusätzlich betont wurde? Wie konnte man da einem gestandenen Mann verübeln, dass er leicht abgelenkt war und sich in diesem Labyrinth weder den Rückweg einprägte noch neugierig die Namensschilder neben den Türen studierte?

Fabian kam nicht darum herum, sich vorzustellen, eines Tages auch eine Abteilung zu führen und sich eine Assistenz genau dieses Kalibers anzustellen. Eine entwaffnende, dominante Lady, die den Überblick behielt und dennoch nur die nötigsten Fragen stellte. Frauen wie sie waren leicht zu durchschauen und zu manipulieren, aber es war nicht zu leugnen, dass sie ihren Zweck bravourös erfüllten.

Da Fabian langsam das Gefühl bekam, der Weg würde nie enden oder sie würden im Kreis spazieren, versuchte er die Zeit, die ihm blieb, konstruktiv zu gestalten: „Würden Sie mir vielleicht einen Tipp in Bezug auf Frau Dr. Glaser geben? Ist sie eine der besonders strengen und genauen Prüferinnen oder drückt sie ein Auge zu, wenn eine Prüfstelle große Bemühungen für künftige Besserung signalisiert?“

Aufmerksam beobachtete er den Gesichtsausdruck der Dame, die auf ihn wie eine gut geschulte Assistentin wirkte. Sie ließ sich nun vertrauensvoll zu ihm zurückfallen, bis sie neben ihm zum Stehen kam.

Fabian benetzte nervös seine Lippen und versuchte, aus ihrer Gestik und Mimik zu lesen. Bei der plötzlichen Erkenntnis, dass sich teilweise die Konturen ihres BHs durch den zarten Stoff drückten, war dies jedoch eine Nervenprobe. Sie lehnte sich etwas näher an ihn heran, klimperte mit diesen verführerischen Wimpern, ließ jedoch ihre Umgebung dabei nicht unbeaufsichtigt, als würde sie nicht gerne beim Ausplaudern vertraulicher Informationen ertappt werden.

„Wissen Sie, es steht mir nicht zu, das zu sagen, aber mit Frau Dr. Glaser ist nicht zu scherzen. Sie ist unberechenbar, mitunter auch launisch, wenn sie mitbekommt, dass sie für dumm verkauft wird. Sie kann es nicht ausstehen, wenn ihr Unterlagen vorenthalten werden, sie nur halbe Sachverhalte erhält oder ewig auf versprochene Dokumente warten muss. Ansonsten kann ich Ihnen leider nicht viel berichten, außer eines …“ Sie atmete tief aus und sah ihn nun eindringlich an. Ihre grünen Augen leuchteten und sie schien mit sich zu ringen, ob sie es ihm tatsächlich anvertrauen sollte.

Fabian roch seine Chance, neigte seinen Kopf etwas näher zu ihr hinab und nickte ihr zuversichtlich zu. „Was muss ich noch wissen? Sie können es mir ruhig sagen, bei mir ist es sicher.“ Ein leichtes Klopfen seiner Hand gegen seine Brust sollte den Rest erledigen.

Die Frau studierte seine Gesichtszüge, um ihn offenbar besser einzuschätzen. Doch wie so oft hatte Fabian den Code des Vertrauens geknackt und die Rothaarige fuhr fort: „Fangen Sie bloß nicht mit Floskeln wie ‚Das ist weit vor meiner Zeit passiert‘, ‚Das ist historisch gewachsen‘ oder ‚Wir haben das immer schon so gemacht‘ an. Sie reagiert besonders allergisch darauf. Ich würde meinen, es ist besser, offen und ehrlich zu sein und alle Karten auf den Tisch zu legen. Mehr, als es zu versuchen, kann man ohnehin nicht, selbst wenn ich gehört habe, dass sie unerbittlich ist.“

Als die Frau das Wort ‚unerbittlich‘ aussprach, erinnerte es Fabian an das züngelnde Lispeln einer Kobra, die ihn warnte und er war verflucht dankbar für diesen Tipp. Denn nun würde er seine Taktik ändern, da er ausgerechnet mit diesen Einstiegsphrasen das Gespräch hatte beginnen wollen. Nun musste Plan B geboren werden.

Dankbar nahm er die rechte Hand der Frau behutsam in seine Hände und führte sie wie ein Gentleman der alten Schule zu seinen Lippen und deutete einen Kuss an.

„Vielen herzlichen Dank. Womöglich haben Sie meinen Tag gerettet.“ Er zwinkerte ihr noch zu und entlockte ihr dadurch ein freundliches Lächeln, welches nur kurz währte, da sie sich von ihm löste und den Gang nun weiterspazierte. Mit Fabian im Schlepptau.

Nur wenige Meter weiter, nach ein paar Linksabbiegern, verlief der Weg wieder durch eine milchige Glastür und sie kamen an eine Gabelung. Fabian schaute skeptisch zu seiner Linken, wo sich ebenfalls eine transparente Tür befand.

Könnte es sein, dass ich zu Beginn durch exakt diesen Eingang gekommen bin?Er war komplett orientierungslos, als er aus seinem Gedankengang herausgerissen wurde.

„So, hier ist das Büro von Frau Dr. Glaser. Ich drücke Ihnen ganz fest die Daumen.“ Die Assistentin nickte ihm zuversichtlich zu. Mit diesen Worten richtete Fabian sich nochmals seine Krawatte, strich sich sein Haar in Position und verfolgte dann, wie die Frau die Tür für ihn einladend öffnete.

Zielstrebig schritt Fabian in das winzige Büro, das mit kunstvollen, aber vor allem bunten Leinwänden vollgepflastert war. Er war überwältigt von der Vielfalt und der Ausdrucksstärke, dass er erst beim zweiten Blick erkannte, dass der Stuhl hinter dem Schreibtisch leer war. Doch als Fabian sich gerade umdrehen und sich bei der Assistentin nach dem Verbleib von Frau Dr. Glaser erkundigen wollte, schloss diese die Tür hinter sich. Dann schritt sie schnurstracks an ihm vorbei, um es sich ohne weitere Worte auf dem Schreibtischsessel bequem zu machen. Fabian kippte die Kinnlade runter, als sie ihn nun mit erhobenem Haupt ansah.

„Und? Wie kann ich Ihnen nun helfen, Herr Schonauer?“

3 | Beruflicher Kodex

 

Mirell tat dieser Herr Schonauer beinahe leid, doch die Versuchung, ihn aufs Glatteis zu führen, war einfach zu groß gewesen. Immerhin war er ungeladen aufgetaucht und würde sich künftig davor hüten.

Sie beobachtete, wie sein Gesicht augenblicklich an Farbe verlor, seine Lippen nach den letzten Gedächtnisschnipseln angelten und seine Hände wohl unwissentlich am Knoten seiner Krawatte zogen. Für ihn schien gegenwärtig nicht genug Sauerstoff in diesem Raum zu sein.

„Sie haben mich reingelegt“, plumpste es ihm lapidar heraus, wobei an den geweiteten Augen abzulesen war, dass ihm diese Erkenntnis lieber nicht rausgerutscht wäre. Dann blickte er wie in Trance zu Boden, hielt einen Zeigefinger in die Höhe und erklärte: „Sie entschuldigen mich bitte, ich würde gerne neu beginnen.“ Mit diesen Worten wandte er Mirell den Rücken zu und verließ erstaunlicherweise das Büro. Geradezu geräuschlos ließ er die Tür ins Schloss gleiten, nur um in der nächsten Sekunde durch ein Klopfen dagegen seine Anwesenheit anzukündigen. Mirell hielt ein Grinsen im Zaum und rief laut: „Herein!“

Mit einem freundlichen Lächeln öffnete er die Tür abermals und tat so, als wäre es ihre allererste Begegnung. Etwas gespielt kam er ihr mit ausgestreckter Hand entgegen, um sie ihr dann höflich anzubieten.

Mirell erhob sich ein Stück aus ihrem Sessel, um ihm zuvorzukommen und vernahm: „Guten Tag, Frau Dr. Glaser! Mein Name ist Fabian Schonauer und ich bin für den Prozess der Schadensabwicklungen in der Magistratsabteilung 23 zuständig. Sie werden sich bestimmt wundern, warum ich so unerwartet in Ihr Büro platze, doch Sie haben sich vor ein paar Tagen meine Unterlagen zum Thema Schadensfälle an Dienstkraftwagen abgeholt. Ich weiß, wir hatten keinen Termin und auch noch nicht das Vergnügen, uns persönlich kennenzulernen, aber ich wollte auch nur ein paar Minuten Ihrer geschätzten Zeit in Anspruch nehmen. Wäre dies vielleicht möglich?“ Er massierte zwar ruhelos seine Hände, doch die sichere Haltung verriet ihr, dass er eine Absage als unwahrscheinlich einordnete.

Mirell zog einen Mundwinkel in die Höhe, als sie seine rechte Hand bereits übereifrig auf dem Stuhl ihr gegenüber erkannte. Geradezu, als würde er damit rechnen, ihn sogleich unter dem Tisch vorzuziehen, um sich zu setzen. Kurz war sie versucht, ihn auflaufen zu lassen. Denn so unverschämt war in all den Jahren noch nie eine Prüfstelle gewesen, andererseits hatte sie sich bereits ausgedehnt auf seine Kosten amüsiert. Daher wies sie ihm höflich den Stuhl.

„Es freut mich ebenso, Sie persönlich kennenzulernen. Ich kann ein paar Minuten bis zu meinem nächsten Termin für Sie erübrigen. Wobei ich dennoch hoffe, dass Sie sich künftig vorher telefonisch ankündigen, damit ich mich zeitlich richten kann.“

„Ich hoffe ja nicht, dass es nötig sein wird, aber ich gelobe Besserung“, kam es amüsiert zurück und er zog nun an dem Stuhl. Mirell hörte das Schleifen der Stahlbeine und machte sich auf ein interessantes Gespräch gefasst. Immerhin wusste Herr Schonauer nun, dass sie kein Freund von Ausreden und langatmigen Erklärungen war. Sie sah sich in ihrem Beruf keineswegs als Gipfel der Pyramide. Doch sie wusste, dass lediglich ein Anruf mit der Vorstellung als Prüferin oder die Termine vor Ort als Kontrollorgan durchaus Verschleierungen und Schauspielerei bei Mitarbeitern auslösten, aus Angst, etwas falsch zu machen.

In den ersten Jahren in diesem Beruf war sie noch naiv gewesen. Sie hatte gedacht, die Mitarbeiter der Prüfstellen wären einfach nur besonders freundlich und zuvorkommend ihr gegenüber, bis sie ihr reihenweise mit Fehlbehauptungen in den Rücken gefallen waren. So kam es nicht einmal vor, dass Unterlagen angeblich übermittelt worden waren und Mirell sie die Informationen daraus bewusst oder schlampig nicht in den Bericht hatte einfließen lassen. Oder es wurde behauptet, dass Mirell ihr Äußeres dazu verwendete, die Mitarbeiter aus dem Konzept zu bringen, und daher verbale Missverständnisse entstanden waren.

Mirell hatte dadurch gelernt, dass keine Prüfstelle gerne Fehler zugab. Selbst wenn sie bei einem Einstiegsgespräch vor einer Organisations- oder Prozessprüfung extra darauf hinwies, dass es hier nicht darum ging, wer etwas falsch machte, sondern lediglich darum, wie man sich weiterentwickeln oder Synergien nutzen konnte. Doch die Angst und Vorsicht blieb in den Leibern der Prüflinge fest verankert. Zudem bemühte Mirell sich, Distanz zu wahren, keinen zu freundschaftlichen Zugang zuzulassen, solange sie keine Erfahrung in Bezug auf die entsprechenden Personen hatte. Nicht zuletzt sicherte sie sich stets mithilfe von Kopien und Aktenvermerken ab, um später bei einem ungerechtfertigten Angriff ihre korrekte Arbeitsweise belegen zu können. Gerade dies war in ihrem Job unumstößlich. Und sie brauchte diesen Job unbedingt, um den Kredit für ihre Wohnung zahlen zu können.

„Gut, Herr Schonauer, da Sie nun den weiten Weg auf sich genommen haben, was gibt es denn für Missverständnisse, die Sie ausräumen wollen? Ich bin nämlich noch nicht ganz durch bei den Unterlagen und bräuchte etwas Zeit, mich einzulesen.“

Herr Schonauer lehnte sich mit den Ellenbogen auf ihren Tisch und wirkte ruhig und professionell. Sie musste zugeben, dass er eine sehr einnehmende und angenehme Aura versprühte. Speziell seine hellblauen Augen luden dazu ein, darin zu versinken, wenn es sich hier nicht um einen Kunden handeln würde. Denn Mirell trennte Berufliches und Privates konsequent.

„Was für eine Erleichterung, dass Sie dies ansprechen. Genau genommen geht es um den Ordner mit den Schadensfällen aus dem Jahr 2015. Ich muss Ihnen gestehen, dass mir hier ein klitzekleiner Fauxpas passiert ist …“ Betreten deutete er mit Zeigefinger und Daumen einen kleinen Spalt an. „… Die Dokumente sind nicht ganz vollständig.“

Mirell wurde aufmerksam. „Nicht vollständig? Und wie kommt das?“

Das Lächeln des Gegenübers wurde einladender und er lehnte sich dichter heran, um offenbar im Vertrauen mit ihr zu reden. Sie tat es ihm gleich, selbst wenn es lächerlich war, da es hier weit und breit keine langen Ohren gab. Nun war es auch unvermeidlich, dass eine Prise seines Eau de Cologne in ihre Nase drang und sie tiefer inhalierte, als förderlich war.

„Sehen Sie, ein paar Reparaturrechnungen sind lose einsortiert, da ich noch nicht die Zeit gefunden hatte, eigene Schadensakte dafür anzulegen. Nun könnte fälschlicherweise der Eindruck erweckt werden, dass Rechnungen mit komplett widersprüchlichen Mängeln im Vergleich zu den Unfallmeldungen in ein und demselben Akt gelandet wären.“ Theatralisch begleitete ihr Gegenüber die Erklärung mit seinen großen, gepflegten Händen, die sich bereits zu besagtem Ordner aufmachten, der nur wenige Zentimeter entfernt von ihm auf ihrem Tisch aufgestellt dastand. Etwas alarmiert fixierte Mirell seine Finger und langte nach dem Beweisstück, bevor er es unerlaubt entwenden konnte, und legte es resolut vor sich auf der Tischplatte ab.

„Wollen Sie mir gerade beichten, dass die Anzahl an Schadensfällen dadurch ungeplant getürkt wurde und sie in Wahrheit viel höher läge?“ Sie formte ihre Lider zu Schlitzen, denn so harmlos der Mitarbeiter ihr dies unterbreiten wollte, war die Sache nämlich nicht.

Blitzartig bugsierte er seine warme Hand auf die ihre, die fest auf der Vorderseite des Ordners geparkt war. In seinen Augen war ein Hauch von Nervosität zu erkennen und Mirell schoss eine Gänsehaut den Arm hoch, da es noch nie ein Fremder zuvor so frech gewagt hatte, sie unerlaubt anzufassen. Doch sie war zu perplex und zu sehr damit beschäftigt, ihn dafür nicht automatisch zu ohrfeigen, anstatt ihm verbal seine Grenzen aufzuzeigen.

„Bitte. Ich bin ehrlich zu Ihnen, also verurteilen Sie mich nicht voreilig.“ Als Herr Schonauer diesen reumütigen Blick auflegte, fühlte sie sich ein klein wenig entwaffnet. Etwas war merkwürdig an ihm, denn diese warme Hand fühlte sich nun vertraut und nicht mehr irritierend an. Dennoch zog sie ihre langsam heraus, da sie mit dieser Annäherung nicht umgehen konnte. Mirell konzentrierte sich nun auf seinen Ausdruck. Irgendwie haftete an diesem Gesicht die Furcht zu versagen und auch die Hoffnung, zu retten, was noch zu retten blieb. Und sie wusste, dass der Mann an ihre Gutmütigkeit plädierte und sie weichklopfen wollte. Aus irgendeinem Grund nagte eine kleine Stimme an ihrer Beherrschtheit. Immerhin ging es hier um keine große Sache. Eigentlich …

„Wie ist es faktisch zu dieser leicht missverständlichen Aktenzusammenführung gekommen? War es Berechnung?“ Sie musste es aus seinem Mund hören. Mirell blinzelte kein einziges Mal, denn sie wollte ihm das Gefühl geben, es genau erkennen zu können, sollte er beabsichtigen, sie anzulügen.

Herr Schonauer lehnte sich nun im Stuhl zurück und wirkte machtlos. Er stieß langsam Luft aus seinen Lungen und benetzte seine Lippen, die wohlgemerkt nicht unansehnlich waren. Mirell hatte nun die Zeit, diesen Mann intensiver zu betrachten. Er trug einen anthrazitfarbenen Anzug, der gewiss maßgeschneidert war. Mutig hatte er ein sehr farbenfrohes violettes Hemd mit Zierrändern am Hemdkragen und den Manschetten gewählt und eine grau-violett schimmernde Krawatte rundete sein Auftreten ab. Er hatte auf jeden Fall Stil, selbst wenn es sich hier um ein inoffizielles Meeting handelte. Denn sogar Mirell hatte an Tagen, an denen kein Außentermin anstand, eher legere Kleidung im Büro an.

„Ich hatte meinem Chef bereits bei meiner Anstellung versprochen, mich um diese Unordnung zu kümmern. Offen gestanden war dieser Teil meines Aufgabenbereiches für mich immer zweitrangig. Es führte dazu, dass ich die ersten Akten nur halbherzig überarbeitet habe und dann nur nach und nach, wenn ich etwas zeitlichen Puffer übrig hatte und mich dazu aufraffen konnte. Böse Zungen würden behaupten, es wäre Faulheit …“ Er ließ sich bei den letzten Silben Zeit und sah sie nun auffordernd mit einem hochgezogenen Mundwinkel an.

Mirell wartete ab, wie der Satz weitergehen würde, doch …

„Wäre jetzt nicht der Moment gewesen, mir zu widersprechen?“, er lachte kurz auf, was es unmöglich machte, ernst zu bleiben und was sogar sie schmunzeln ließ. Sie mochte den Klang seiner Stimme und sie löste in ihr etwas aus, dass Mirell verunsicherte. Diese ungelöste Seite von ihm war durchaus sympathisch, musste sie sich eingestehen.

„Nun gut, reden wir nicht um den heißen Brei herum. Das bedeutet, dass ich in diesem Ordner Ungereimtheiten finden werde, die den Stand bei ihrem Vorgesetzten nicht unbedingt heben. Sie erwarten aber nun nicht von mir, dass ich da blind darüberblättere? Oder? Ihnen muss doch klar sein, dass ich es nicht gut aufnehmen würde, wenn sie meinen, ich lasse diese dezent manipulative Geste durchgehen.“ Nun zog Mirell einen Mundwinkel provokativ hoch und nahm sich einen Kugelschreiber aus ihrem Stifthalter, um diesen rhythmisch gegen die Tischkante zu trommeln. Es hing ohnehin bereits Spannung in der Luft, denn dieser Mann versprühte pures Testosteron und betörendes Parfüm in alle Winkel. Und Ablenkung konnte sie ausgerechnet jetzt nicht gebrauchen.

Sie sahen sich ein paar Sekunden lang schweigsam an und keiner rührte sich auch nur einen Millimeter.

„Frau Dr. Glaser. Haben Sie doch ein Herz …“

Die Veränderung in seinem Ausdruck schien eine kurze Verwunderung zu beinhalten. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass er scheiterte. Und Mirell glaubte das sogar, denn dieser groß gewachsene und trainiert wirkende Mann wusste genau, was er wollte und wie er es bekam. Das war für Mirell klar wie Kloßbrühe. Herr Schonauer war geschickt in der Gesprächsführung, setzte gezielt seine Gestik und Mimik ein. Sie würde sogar darauf wetten, dass er sich der neurolinguistischen Programmierung bediente, um mit dem richtigen Wortschatz Sympathie zu erzeugen. Für sie persönlich kamen aber noch erschwerende Punkte hinzu: dieses verwegene, etwas zu lang geratene schwarze Haar, das geradezu dazu einlud, es zu bändigen, sowie dieses verschmitzte Lächeln, welches zweifelsohne berechnend war. Selbst wenn es zog. Zumindest etwas.

„Dann verlasse ich mich einfach auf Ihre Expertise, die richtigen Worte zu finden oder auch nicht zu finden.“ Galant reichte er ihr zum Abschied die Hand und lehnte sich erneut für diesen altmodisch angedeuteten Kuss hinab. Sein warmer Atem streichelte über ihre Haut und streute dadurch Nervosität in Mirell. Es war befremdlich und überraschend zugleich. Und. Es. Wirkte! Das leicht prickelnde Gefühl an ihren Fingern hielt an, obwohl Herr Schonauer bereits ihre Hand freigegeben und nur mit einem dezenten Blick zurück ihr Büro wieder verlassen hatte.