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Der kleine Fürst
– 239 –

Paul liebt Ariane!

Aber kann die schöne Adlige ihm vertrauen?

Viola Maybach

Impressum:

Epub-Version © 2019 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74095-467-3

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Paul Hartville war zum Abendessen im Schloss geblieben. Nicht nur Baronin Sofia und Baron Friedrich, sondern auch die Sternberger Teenager, Ariane und Stephanie hatten ihn vom ersten Augenblick an sympathisch gefunden. Dennoch hatten Sofia und Friedrich keine Einladung ausgesprochen, Paul möge die Nacht im Schloss verbringen.

Ja, er wirkte sympathisch mit seinen dichten braunen Haaren, dem offenen Blick aus dunklen Augen und dem schüchternen Lächeln – aber er war Don Hartvilles Sohn, und so waren sie nicht sicher, ob sie ihm trauen konnten. Immerhin verdächtigten sie seinen Vater, mit dem Verschwinden ihrer Köchin etwas zu tun zu haben. Es war sogar denkbar, dass Don Hartville die junge Frau entführt hatte und gegen seinen Willen an unbekanntem Ort festhielt. Allerdings hatte Paul diesen Verdacht keineswegs scharf zurückgewiesen, im Gegenteil: Er schien seinem Vater allerhand zuzutrauen. Aber möglich war eben auch, dass er sich nur verstellte, um herauszufinden, wie viel sie wussten und was sie unternehmen wollten.

Sie hatten alles wieder und wieder durchgesprochen: Marie-Luise Falkner war dabei beobachtet worden, wie sie in Don Hartvilles auffällige Stretchlimousine gestiegen war. Seitdem waren beide verschwunden. Don Hartville hatte das Luxushotel, in dem er für sich und seine Chauffeure eine ganze Etage gemietet hatte, am selben Abend verlassen, an dem die Schlossköchin zum letzten Mal gesehen worden war. Es lag also nahe, anzunehmen, dass der texanische Milliardär etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatte. Die Möglichkeit, er könnte sich in die junge Frau verliebt und sie deshalb überredet haben, mit ihm gemeinsam Sternberg zu verlassen, schied allerdings aus, nachdem sie sie gründlich erörtert hatten.

»Mein Vater ist kein Frauenheld, er verliebt sich nicht im Vorübergehen. Außerdem muss er Frauen nicht entführen, die folgen ihm freiwillig, nach allem, was ich weiß«, hatte Paul Hartville entschieden gesagt, während die Sternberger es für ausgeschlossen hielten, dass ihre hochgeschätzte Köchin sie freiwillig niemals ohne ein Wort des Abschieds verlassen hatte.

»Bleibt unsere Theorie, dass er sie entführt hat, weil er will, dass sie für ihn kocht«, sagte der kleine Fürst schließlich. »Obwohl ich das immer noch nicht verstehe. Er könnte sich doch jeden Koch der Welt leisten. Er hat es nicht nötig, jemanden zu entführen.«

Nachdenklich spießte Paul eine kleine Kartoffel auf. Jannik hatte sich die größte Mühe gegeben, ein komplettes Menü auf den Tisch zu bringen, und das war ihm auch gelungen. Marie-Luise hatte ihm im Laufe der Zeit schon einiges beigebracht, weil er sich fürs Kochen interessierte, und so konnte das Essen an diesem Abend sich durchaus sehen lassen. Es war schlichter als bei Marie-Luise, aber es war delikat zubereitet.

»Sie sagen, dass Ihre Köchin außergewöhnlich talentiert ist«, sagte er.

»Ja, und Ihr Vater hat das auch gemerkt, wie schon erwähnt«, erklärte die Baronin. »Er wurde immer aufmerksamer, je weiter das Essen fortschritt. Immer aufmerksamer und immer stiller.«

»Wer kocht denn heute Abend?«, fragte Paul.

»Jannik, unser Auszubildender. Er hat Frau Falkner schon einmal vertreten.«

»Also«, fuhr Paul fort, »ich bin nicht verwöhnt, was Essen betrifft, aber ich finde das, was hier heute Abend auf den Tisch gekommen ist, hervorragend. Wenn Ihre Köchin kocht – ist es dann viel besser?«

Einen Augenblick herrschte verdutztes Schweigen, alle sahen den jungen Amerikaner an, um festzustellen, ob er sich über sie lustig machte oder seine Frage ernst meinte.

»Das Essen heute ist in Ordnung«, antwortete Anna schließlich. »Aber es ist mit dem, was Frau Falkner kocht, nicht zu vergleichen – ohne dass ich Jannik beleidigen will. Er hat sich schon viel von ihr abgeguckt, aber Frau Falkner ist einfach … eine Künstlerin. Wenn sie kocht, ist man im Himmel.«

»Mhm«, machte Paul nachdenklich. »Dann ist das tatsächlich der Grund, schätze ich. Mein Vater hat das gemerkt und will, dass sie in Zukunft für ihn kocht. Er ist ein großer Genießer, das war er schon immer. Und dann denkt er nicht lange darüber nach, ob vielleicht ein anderer Koch, der sich gerne von ihm anstellen lassen würde, ähnlich gut kochen könnte. Dann will er haben, was er sich in den Kopf gesetzt hat.«

»Aber würde er sie deshalb entführen?«, fragte Konrad zögernd. »Und wenn er ihr genug Geld angeboten hätte, dann hätte sie ja das Angebot vielleicht angenommen.«

»Oder auch nicht«, widersprach Christian. »Sie ist gern hier. Sie hat immer gesagt, sie will hier bleiben. Es haben schon viele Leute versucht, sie abzuwerben.«

»Wenn mein Vater will, dass sie für ihn kocht, hat er ihr garantiert ein Vermögen angeboten«, erklärte Paul. »Und wenn sie dann immer noch ›nein‹ gesagt hat, kann ich mir schon denken, dass er auf die Idee gekommen ist, sie zu ihrem Glück zu zwingen. Ich glaube nicht, dass er das als kriminelle Handlung ansähe. Er würde denken, dass sie einfach nicht sieht, was das Beste für sie wäre und dass er deshalb ein bisschen nachhelfen muss.«

»Das ist nicht Ihr Ernst!«, rief Ariane.

Er hatte es bis dahin nach Kräften vermieden, sie anzusehen, weil er sich dann nicht mehr konzentrieren konnte und sich im Blick ihrer schönen Augen verlor. Noch immer war ihm nicht ganz klar, was in jenem Moment mit ihm geschehen war, da er sie zum ersten Mal gesehen hatte, einige Zeit zuvor in der Bibliothek von Schloss Sternberg. An Liebe auf den ersten Blick hatte er noch nie geglaubt, aber was war es sonst, das ihn so durcheinanderbrachte? Sie saß ihm gegenüber, und wäre die Situation eine andere gewesen, er hätte mit allen Mitteln versucht, sie für sich zu interessieren.

Aber das schien ihm unangebracht, hier ging es ja um andere Dinge, und so riss er sich zusammen. »Doch«, entgegnete er. »Es ist mein Ernst. Mein Vater ist so. Er akzeptiert Grenzen und Hindernisse nicht. Wo sie ihn behindern, beschließt er, sie aus dem Weg zu räumen.« Er machte eine kurze Pause. »Meistens mit Geld. Und meistens funktioniert das. Um ehrlich zu sein: Es funktioniert erschreckend gut.«

Wieder breitete sich Schweigen am Tisch aus. Sie hatten Don Hartville ja in der vergangenen Woche erlebt, als er ebenfalls hier gesessen hatte. Es war ein amüsanter Abend gewesen, Pauls Vater war ein guter Geschichtenerzähler, der wusste, wie man seine Zuhörer fesselt. Aber war er auch fähig war, eine Frau zu entführen, die vielleicht nicht freiwillig für ihn hatte arbeiten wollen?

»Herr Hagedorn hat gesagt, dass Frau Falkner in den Tagen vor ihrem Verschwinden verändert war – sie war nervös und in sich gekehrt, aber sie wollte nicht sagen, warum«, sagte Christian. »Dann war sie plötzlich wie immer und hat ein ganz tolles Menü gekocht, und dann war sie weg.«

Baron Friedrich sah Paul an, als er sagte: »Ich habe die Polizei informiert.«

Wenn er gehofft hatte, Pauls Reaktion würde ihm Aufschluss darüber geben, auf wessen Seite der junge Mann stand, sah er sich getäuscht. Paul Hartville nickte nur und sagte: »Das ist sicher vernünftig, allerdings wird die Polizei wenig ausrichten können, so lange es nur vage Vermutungen gibt, was passiert sein könnte.«

Das war der wunde Punkt, sie wussten es alle.

»Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen«, fuhr Paul fort. »Ich setze mich noch einmal mit der Sekretärin meines Vaters in Verbindung und frage sie, ob sie eine Idee hat, wo er sein könnte. Das ist leider nicht wahrscheinlich, er informiert sie nicht mehr über jeden seiner Schritte, seit er sich darauf beschränkt, nur noch sein Geld für sich arbeiten zu lassen. Aber vielleicht finde ich trotzdem etwas Nützliches heraus. Seine Sekretärin ist eine kluge Frau, und sie mag mich. Sie wird versuchen, mir zu helfen.«

»Aber wenn Ihr Vater Frau Falkner tatsächlich entführt hat, wird er niemandem erzählen, wo er sich aufhält«, wandte Stephanie ein. Es war das erste Mal, dass sie das Wort ergriff.

Die Baronin nickte lebhaft. »Das glaube ich auch! Und überhaupt: Mir leuchtet die Theorie mit der Entführung immer noch nicht ein, muss ich gestehen. Wenn er will, dass sie für ihn kocht, muss ihm doch klar sein, dass er sein Ziel nicht erreichen kann, indem er sie zu etwas zwingt, was sie nicht will.«

»So denkt mein Vater nicht«, erwiderte Paul. »Er geht davon aus, dass sie einfach noch nicht sieht, wie gut er es mit ihr meint und wie vorteilhaft es für sie wäre, wenn sie ihm folgte. Glauben Sie mir, ich kenne ihn gut, obwohl wir uns nicht oft sehen. Ich habe lange genug darüber nachgedacht, wie er funktioniert – wahrscheinlich, weil wir uns so gar nicht ähnlich sind. Ich bin als Sohn eine der großen Niederlagen seines Lebens, weil ich nicht bin wie er.«

Er sagte das ganz ruhig, aber niemandem entging, dass diese Erkenntnis ihn nicht kalt ließ.

Aus Versehen begegnete er Arianes Blick. Es war zu spät, um schnell woanders hinzusehen, ihre blauen Augen hielten ihn fest. Er konnte seinen eigenen Herzschlag hören und brauchte mehrere atemlose Sekunden, bis es ihm gelang, den Blick abzuwenden.

»Ich sollte jetzt gehen«, sagte er. »Sobald ich etwas Hilfreiches in Erfahrung gebracht habe, melde ich mich wieder. Ich wollte eigentlich morgen nach München zurückkehren, aber unter den gegebenen Umständen bleibe ich noch ein paar Tage.«

»Können Sie das denn ohne weiteres einrichten?«

»Ja, das geht, meine Arbeit in München beginnt erst übernächste Woche. Ich wollte die Zeit eigentlich nutzen, um mich dort schon einmal umzusehen und mich einzuleben, aber diese Sache hier ist wichtiger.«

Bei den letzten Worten streifte sein Blick Ariane noch einmal, so dass es wirkte, als könnte ›diese Sache hier‹ nicht nur die Suche nach Marie-Luise Falkner sein, sondern auch etwas, das nur sie und ihn betraf.

Als er sich von ihr verabschiedete, hielt er ihre Hand ein wenig zu lange in seiner, bevor er sich hastig abwandte.

»Sie melden sich also wieder?«, fragte Baron Friedrich, der es sich nicht nehmen ließ, Paul persönlich zum Hauptportal zu begleiten. Die anderen blieben im Salon zurück.

»Ich hoffe, ich kann Ihnen vielleicht morgen schon etwas sagen«, erklärte Paul. »Sie können sich sicher vorstellen, wie unangenehm mir diese Geschichte ist, obwohl ich kein enges Verhältnis zu meinem Vater habe. Ich habe ihm immer übel genommen, dass er meine Mutter und mich verlassen hat. Mittlerweile sehe ich das lockerer, aber jetzt erkenne ich natürlich viel klarer, wie verschieden wir sind. Seine Welt ist nicht meine, so kann man das wohl zusammenfassen. Aber mein Vater bleibt er eben trotz allem, deshalb lässt mich auch nicht kalt, was er jetzt möglicherweise getan hat.«

»Wir sind Ihnen sehr dankbar, dass Sie uns helfen wollen«, sagte der Baron.

»Ich hoffe, es gelingt mir«, erwiderte Paul.

Auf der Rückfahrt ins Hotel ließ er den Abend im Schloss noch einmal in Gedanken Revue passieren. Die Begegnung mit Ariane klammerte er dabei absichtlich aus. Er musste sich auf den ungeheuerlichen Vorgang konzentrieren, dass sein Vater, einer der reichsten Männer der Welt, möglicherweise eine junge Frau entführt hatte, die den Verlockungen seines Geldes nicht sofort erlegen war.

Wenn diese Theorie stimmte, war Don Hartvilles Art zu denken und zu handeln ihm noch fremder, als er bisher schon angenommen hatte.

*