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Breece D’J Pancake wurde 1952 in Milton/West Virginia geboren. Er studierte an der Marshall University in Huntington, West Virginia, unterrichtete Englisch, besuchte Schreibkurse und veröffentlichte seine ersten Geschichten in The Atlantic Monthly.

Pancake starb 1979 im Alter von siebenundzwanzig Jahren. Vier Jahre nach seinem Tod erschienen seine Stories zum ersten Mal als Buch und elektrisierten die literarische Welt Amerikas, die in ihm einen Verwandten von Hemingway, Faulkner, Beckett und Joyce sah.

Liebe ist Nuttengerede
Die zwölf Stories
des Breece D’J Pancake

Aus dem Amerikanischen
von Katharina Böhmer

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Die Sensation dieser Geschichten, die von Wäldern und Tieren, vor allem aber von der Kälte und der Totschlägerseele amerikanischer Provinzmenschen handeln, besteht in der klobigen Poesie, mit der ein in ebendieser Provinz groß gewordener und 1979 im Alter von 27 Jahren gestorbener Autor all das beschreibt.

KulturSPIEGEL

Ein junger Autor mit so ungewöhnlicher Begabung – man ist versucht, seinen ersten Auftritt mit dem Debüt von Hemingway zu vergleichen.

Joyce Carol Oates

Die Figuren agieren in einer verzweifelten, bisweilen gewaltsamen und dennoch zärtlichen Lakonie. Das Erträgliche liegt immer schon hinter ihnen – aber aus dem, was sie jetzt erleben, wird unter Pancakes subtiler Regie eine Folge großartiger Geschichten.

Martin Zingg, Basler Zeitung

Eine karge, konzentrierte Prosa von zeitloser Wucht, voller Traurigkeit und Verzweiflung.

Christoph Schröder, Süddeutsche Zeitung

Heute erscheint Pancakes großartiges Talent wie ein Meteor, der aus dem Dunkel auftaucht und schnell verglüht. Seine Geschichten aber sind keinen Tag gealtert. Sie werden in Erinnerung bleiben.

Eberhardt Falcke, BR2

Atmosphärisch und thematisch breiter gefächert als Bukowski, im Ton schroffer als Carver, revitalisiert Pancake jene Erzählgattung, die den Hinterhof des American Dream ausleuchtet. Er tut es mit Gespür für Figuren und Schauplätze, in einem straffen, prosafreien Stil, dessen Tonfall immer schon die gesamte Botschaft enthält. Pancake hat dem Leben in den Rachen geblickt. Und das Leben war keine Fee, sondern ein Drache.

Michel Mettler, Neue Zürcher Zeitung

Als ich Pancakes Geschichten zum ersten Mal las, dachte ich: Der geniale Joyce der Dubliners, wiedergeboren am Tresen eines gottverlassenen Diners in West Virginia, furchtsam, hochgradig einfühlsam, ein geladenes Jagdgewehr in der Hand.

Patrick Roth

Pancake hat nur diese zwölf Geschichten geschrieben – unverkennbar im Ton, auf seltsame Weise zärtlich im Blick auf die Brutalität dieser West-Virginia-Welt. Jetzt sind sie wieder aufgetaucht, wie in einer Zeitkapsel, zusätzlich umgeben von der Aura des frühvollendeten, zu jung verstorbenen Autors. Ein Glücksfall.

Peter Körte, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Pancake ist eine außerordentliche Stimme; kratzig, sarkastisch, dringlich – und so, dass sie dich geradezu verfolgt.

Margaret Atwood

Inhalt

Trilobiten

In der Talsenke

Ein Zimmer für die Ewigkeit

Fuchsjäger

Immer wieder

Das Mal

Der Schläger

Die Toten ehren

So, wie es sein muss

Meine Rettung

Bei dieser Trockenheit

Erster Wintertag

Trilobiten

Ich öffne die Tür des Lasters und steige hinunter auf die mit Backsteinen gepflasterte Nebenstraße. Ich schaue noch einmal auf den Company Hill, der ganz abgewetzt und rund ist. Vor langer Zeit war er richtig zerklüftet und stand wie eine Insel mitten im Teays River. Über eine Million Jahre hat es gedauert, um diesen glatten kleinen Hügel aus ihm zu machen, und ich habe ihn überall abgesucht, auf der Suche nach Trilobiten. Ich denke daran, dass er schon immer da war und immer da sein wird, zumindest so lange das irgendeine Rolle spielt. Die Luft ist rauchig vor Sommer. Ein Schwarm Spatzen segelt über mir vorbei. Ich bin in dieser Gegend geboren und wollte eigentlich nie weg. Ich erinnere mich, wie Paps’ tote Augen mich ansahen. Sie waren richtig trocken, und das hat etwas aus mir herausgerissen. Ich schließe die Tür, steuere auf das Café zu.

Auf der Straße fällt mir ein Flecken auf: Der Beton hat die Umrisse von Florida, und ich erinnere mich, was ich in Ginnys Jahrbuch schrieb: »Wir werden von Mangos und Liebe leben.« Und dann ist sie ohne mich abgehauen – seit zwei Jahren ist sie nun schon ohne mich da unten. Sie schickt mir Postkarten mit Flamingos und Leuten drauf, die mit Alligatoren ringen. Nie fragt sie mich was. Ich fühle mich wie ein Idiot wegen dem, was ich geschrieben habe, und gehe in das Café.

Es ist leer, und ich erhole mich in der gekühlten Luft. Die kleine Schwester von Tinker Reilly schenkt mir Kaffee ein. Ihre Hüften sind schön. Sie sind ein bisschen wie die von Ginny und gehen in hübschen Kurven in ihre Beine über. Solche Hüften und Beine machen sich am besten, wenn sie die Gangway hoch in ein Flugzeug steigen. Sie geht zum anderen Ende der Theke und stopft den Rest ihres Eisbechers in sich hinein. Ich lächle sie an, sie ist noch minderjährig. Kleine Schlampen und schwarze Schlangen sind die zwei Sachen, die ich nicht mal mit einer Fensterstange anfassen würde. Einmal habe ich eine alte schwarze Schlange als Lederpeitsche benutzt, dem Vieh den Kopf abgerissen, und Paps hat mich damit grün und blau geschlagen. Ich muss daran denken, wie Paps mich ziemlich wütend machen konnte. Ich grinse.

Ich denke an letzte Nacht, als Ginny anrief. Ihr Alter hatte sie vom Flughafen in Charleston abgeholt. Sie langweilte sich. Können wir uns sehen? Klar. Vielleicht einen heben gehen? Klar. Immer noch derselbe alte Colly. Immer noch dieselbe alte Ginny. Sie redete wie aufgezogen. Ich wollte ihr erzählen, dass Paps gestorben und Mom drauf und dran war, die Farm zu verkaufen, aber sie redete und redete. Das war mir nicht geheuer.

So wie mir die Becher nicht geheuer sind. Ich blicke auf die Becher, die an Haken im Fenster hängen. Namensschilder kleben darauf, eine Schicht aus Fett und Staub haftet an ihnen. Es gibt vier davon, und einer gehörte Paps, aber das ist nicht der Grund, warum sie mir nicht geheuer sind. Der sauberste ist der von Jim. Sauber, weil er ihn noch benutzt. Trotzdem hängt er da mit den anderen. Durch das Fenster kann ich sehen, wie Jim die Straße überquert. Seine Gelenke sind vor Arthritis ganz eingerostet. Ich frage mich, wie lange es wohl noch dauert, bis ich zu krächzen anfange, aber Jim ist alt, und es ist mir nicht geheuer, seinen Pokal da oben hängen zu sehen. Ich gehe zur Tür und helfe ihm beim Reinkommen.

Er sagt: »Sag jetzt die Wahrheit.« Und seine alte Pranke drückt mir in den Arm.

Ich sage: »Ich kann damit nichts anfangen.« Ich helfe ihm auf seinen Stuhl.

Ich ziehe diesen knubbeligen Stein aus meiner Tasche und knalle ihn vor Jim auf den Tresen. Er dreht ihn mit der Hand um, untersucht ihn. »Eine Schnecke«, sagt er. »Vielleicht aus dem Perm. Hast du wieder gekauft, ja?« Bei ihm kann ich nicht gewinnen. Er weiß alles.

»Aber ich kann einfach keinen Trilobiten finden«, sage ich.

»Es gibt einige«, sagt er. »Nicht viele. Die meisten der Aufschlüsse hier in der Gegend sind zu neu für sie.«

Das Mädchen bringt Jim Kaffee in seinem Becher, und wir sehen ihr nach, wie sie zurück in die Küche stöckelt. Schöne Hüften.

»Hast du das gesehen?« Er deutet mit dem Kopf auf sie.

Ich sage: »Weicher Sandstein.« Ich erkenne Minderjährige aus einer Meile Entfernung.

»Verdammt, in Michigan hat das Alter eines Mädchens deinen Vater und mich nie abgehalten.«

»Sag die Wahrheit.«

»Klar. Du musst das nur planen, damit du die erste Ladung raushaust, wenn deine Hosen noch oben sind.«

Ich schaue auf die Fensterbank. Sie ist übersät mit vertrockneten Fliegenskeletten. »Warum seid ihr aus Michigan weg, Paps und du?«

Die Falten um Jims Augen werden noch tiefer. »Der Krieg«, sagt er und schlürft seinen Kaffee.

Ich sage: »Er ist nie mehr dahin zurückgekehrt.«

»Ich auch nicht. Ich wollte immer – dorthin oder nach Deutschland –, nur, um mich mal umzusehen.«

»Ja, er hat mir versprochen, mir zu zeigen, wo ihr das ganze Silber und das andere Zeug im Krieg vergraben habt.«

Er sagt: »An der Elbe. Ist vermutlich längst nach oben gepflügt worden.«

Meine Augenhöhlen spiegeln sich in meinem Kaffee, der Dampf zieht um mein Gesicht, und ich merke, wie ich Kopfschmerzen kriege. Ich schaue hoch, um Tinkers Schwester um ein Aspirin zu bitten, aber sie kichert in der Küche.

»Da hat er auch die Wunde abgekriegt«, sagt Jim. »An der Elbe. Er war lange weggetreten. Kalt, Gott, war das kalt da. Ich dachte schon, er wäre tot, aber dann kam er wieder zu sich. Sagt zu mir ›Ich bin ein Mal um die Welt gekommen‹. Sagt ›China ist so schön, Jim‹.«

»Geträumt?«

»Weiß nicht. Hab vor Jahren aufgehört, mir über so was Gedanken zu machen.«

Tinkers Schwester taucht mit ihrer Kaffeekanne auf, um ein Trinkgeld von uns lockerzumachen. Ich bitte sie um ein Aspirin und sehe, dass sie einen Pickel auf dem Schlüsselbein hat. Ich erinnere mich nicht an Bilder von China. Ich betrachte die Hüften der Kleinen.

»Will Trent immer noch euer Grundstück für dieses Siedlungsprojekt?«

»Klar«, sage ich. »Mom wird wahrscheinlich auch verkaufen. Ich kann die Sache nicht so in Schuss halten, wie Paps das konnte. Das Zuckerrohr sieht verdammt übel aus.« Ich trinke meinen Becher aus. »Gehe heute abend mit Ginny aus.«

»Gib ihr das von mir«, sagt er. Er berührt meinen Schwanz. Ich mag es nicht, wenn er so über sie redet. Er sieht, dass ich das nicht mag, und sein Grinsen gefriert. »Hab eine Menge Gas für ihren Alten gefunden. Ein Teufelskerl war das, bis seine Frau abgetreten ist.«

Ich drehe mich auf meinem Hocker um, klopfe ihm auf die schwache alte Schulter. Ich denke an Paps und versuche, einen Witz zu machen. »Du stinkst so übel, bestimmt ist der Leichenbestatter hinter dir her.«

Er lacht. »Du warst das hässlichste Baby, das je geboren wurde, weißt du das?«

Ich grinse und gehe durch die Tür. Ich kann hören, wie er die Kleine ruft: »Komm mal rüber zu mir, Schatz, ich erzähl dir einen Witz.«

Der Himmel ist mit einem Film überzogen. Die Hitze brennt durch das Salz auf meiner Haut, zieht sie zusammen. Ich werfe den Laster an, fahre Richtung Westen die Autobahn entlang, die im ausgetrockneten Bett des Teays gebaut wurde. Die Ebene ist weit, und die Hügel ringsum sind wie gelbliche Wellen, die die Sonne nicht wegbrennen kann. Ich fahre an einem Schild vorbei, das die Works Progress Administration aufgestellt hat: »Überwacht von George Washington, die Teays-River-Autobahn.« Ich sehe Felder und Rindvieh an Stellen, wo jetzt Gebäude sind, fantasiere sie mir aus einer längst vergangenen Zeit her.

Ich biege von der Hauptstraße ab zu unserem Haus. Wolken lassen das Sonnenlicht in unserem Hof hell und dunkel aufblitzen. Ich schaue auf die Stelle am Boden, wo Paps hinfiel. Mit ausgestreckten Armen und Beinen lag er im dichten Gras, nachdem ein Splitter von einer alten Wunde bis in sein Gehirn vorgedrungen war. Ich erinnere mich, wie ich dachte, wie zerschlagen sein Gesicht aussah mit den Abdrücken vom Gras darauf.

Ich erreiche die Scheune und lasse meinen Traktor an, dann fahre ich zu der Erhebung am Ende unseres Grundstücks und halte an. Ich sitze dort, rauche, schaue mir noch einmal das Zuckerrohr an. Die Reihen schlängeln sich dicht übers Feld, aber um sie herum ist eine Art Narbe aus Lehm, und die Blätter haben eine leicht violette Braunfäule. Ich rege mich nicht auf wegen der Braunfäule. Ich weiß, das Zuckerrohr ist schon zu weit hinüber, um sich über die Braunfäule Sorgen zu machen. In der Ferne macht jemand Holz, und die Axthiebe hallen als Echo bis zu mir. Die Hänge rundherum wirken wie gebacken, Hitzegeister entsteigen ihnen. Unser Vieh zieht auf den Hügelkamm, und Vögel verstecken sich in Baumkronen, die wir nie beschnitten haben. Ich sehe auf den verwitterten alten Grenzpfahl. Paps hat ihn gesetzt, als seine Tage als Wanderarbeiter und Soldat vorbei waren. Er ist aus Robinienholz und wird noch lange dort stehen. Ein paar vertrocknete Winden hängen an ihm.

»Ich bin einfach nicht gut darin«, sage ich. »Es reicht einfach nicht, sich für etwas den Arsch aufzureißen, wenn man es nicht kann.«

Die Axthiebe hören auf. Ich lausche auf den Schlag der Heuschreckenflügel und strenge mich an, auch auf der anderen Seite der Talsohle Braunfäule zu entdecken. Und sage: »Jawoll, Colly, du könntest nicht mal in einem Haufen Pferdemist Stangenbohnen züchten.«

Ich drücke meine Zigarette auf dem Boden des Traktors aus. Ich kann hier kein Feuer gebrauchen. Ich drücke den Anlasser und rumple über die Felder, dann hinunter zur Furt des Bachs, der langsam austrocknet, und drüben wieder hoch. Von Baumstämmen fallen Schildkröten in Tümpel, überall steht Wasser. Ich mache den Motor aus. Das Zuckerrohr hier sieht genauso übel aus. Ich reibe mir den Sonnenbrand im Nacken.

Ich sage: »Voll daneben, Gin. Kriege nichts richtig hin.«

Ich lehne mich zurück, versuche, diese Felder und die Hügel drumherum zu vergessen. Lange Zeit vor mir oder vor diesen Maschinen floss hier der Teays. Fast kann ich das kalte Wasser fühlen und wie es kribbelt, wenn die Trilobiten über einen kriechen. Das ganze Wasser aus den alten Bergen floss Richtung Westen. Aber dann hob sich das Land. Es blieben nur die Ebenen und die versteinerten Tiere, die ich sammle. Ich blinzle und atme. Mein Vater ist eine kakifarbene Wolke im Rohrdickicht, und Ginny ist für mich nicht mehr als der bittere Geschmack aus den Brombeerbüschen oben auf dem Hügelkamm.

Ich hebe meinen Sack hoch und stochere mit einem Fanghaken nach einer Schildkröte. Ein paar schnelle Döbel sausen davon. Im veralgten Wasser sehe ich Ringe sich ausbreiten, wo eine Schildkröte untertaucht. Das Miststück gehört mir. Der Tümpel riecht verfault, und die Sonne strahlt in einem harten Braun.

Ich wate hinein. Die Schildkröte verschwindet hinter den Wurzeln eines Baumstamms. Ich stochere herum und spüre, wie mein Fanghaken zuckt. Sie ist schlau, aber trotzdem ein Miststück. Ich wette, sie könnte für den Rest ihres Lebens Leberstückchen von einem Fanghaken klauben, aber sie ist trotzdem ein Miststück, weil sie sich in den Wurzeln verbirgt, während ich nach ihr stochere. Ich ziehe sie hoch und sehe, sie ist ganz schön bissig. Sie macht ihren stummeligen Hals krumm und beißt nach dem Fanghaken. Ich lege sie in den Sand und hole Paps’ Messer heraus. Ich trete auf den Panzer und drücke fest zu. Der fette Hals wird rasch dünn, und kleine Stückchen treten hervor. Etwas Blut quillt aus der Wunde vom Fanghaken in den Sand, und als ich sie aufschneide, bildet sich eine ganze Pfütze.

Eine Stimme sagt: »Hast du ’nen Drachen gefangen, Colly?«

Ich zucke ein bisschen zusammen und blicke hoch. Es ist nur der Pächter, der im hellen Anzug am Bachufer steht. Sein Gesicht ist rosa gesprenkelt, und die Sonne lässt seine Brillengläser dunkel anlaufen.

»Ab und zu habe ich Lust auf eine«, sage ich. Ich schneide weiter Knorpel durch und ziehe den Panzer ab.

»Ja, dein Vater mochte Schildkrötenfleisch«, sagt der Typ.

Ich lausche auf die Zuckerrohrblätter, die in der Spätnachmittagssonne rascheln. Ich schmeiße die Eingeweide in den Tümpel, packe den Rest ein und gehe die Furt hoch. Ich sage: »Was kann ich für Sie tun?«

Da legt der Typ los: »Ich habe dich von der Straße aus gesehen – bin nur runtergekommen, um zu fragen, was mit meinem Angebot ist.«

»Das habe ich Ihnen gestern schon gesagt, Mr. Trent. Ich habe mit dem Verkauf nichts zu tun.« Ich bremse mich. Will ihm nicht zu nahe treten. »Da müssen Sie mit Mom reden.«

Aus dem Beutel tropft Blut in den Staub. Es wird zu dunklem Kleister. Trent verstaut seine Hände in den Taschen, blickt über die Zuckerrohrfelder. Eine Wolke schiebt sich vor die Sonne, und in ihrem Schatten glüht meine Ernte grünlich.

»Das hier ist fast die letzte echte Farm in der Gegend«, sagt Trent.

»Die Braunfäule holt sich alles, was nach der Trockenheit noch übrig ist«, sage ich. Ich nehme den Sack in meine freie Hand. Ich merke, ich bin etwas schwach. Ich lasse diesen Typen machen und mich herumkommandieren.

»Wie kommt deine Mutter denn klar?«, sagt er. Ich sehe keine Augen hinter seinen rauchfarbenen Gläsern.

»Ziemlich gut«, sage ich. »Sie will nach Akron ziehen.« Ich schwinge den Sack ein bisschen Richtung Ohio und spritze etwas Blut auf Trents Hosen. »Entschuldigung«, sage ich.

»Das geht schon wieder raus«, sagt er, aber ich hoffe nicht. Ich grinse und beobachte das aufgerissene Schildkrötenmaul im Sand. »Ach was, wieso denn Akron?«, fragt er. »Habt ihr da Verwandte?«

Ich nicke. »Sie schon«, sage ich. »Sie wird Ihr Angebot annehmen.« Dieser heiße Schatten quält mich, und meine Stimme ist nur noch ein Flüstern. Ich werfe den Sack auf den Boden des Traktors, klettere hinein und haue den Anlasser rein. Ich fühle mich auf eine Art besser, die ich so noch nie gespürt habe. Der heiße Metallsitz brennt durch meine Jeans.

»Ich hab Ginny auf der Post gesehen«, ruft dieser Typ. »Sie ist schon eine Hübsche.«

Ich winke, lächle fast, als ich den Gang einlege und den Feldweg hochrumple. Ich fahre an Trents verstaubtem Lincoln vorbei, entferne mich von meinem zerfressenen Zuckerrohr. Das alles kann jetzt verschwinden; die verdorbene Aussaat, die Dürre, die Braunfäule – das alles kann verschwinden, wenn sie die Papiere unterschreibt. Ich weiß, schuld daran werde immer ich sein, aber es kann nicht alles nur mein Fehler sein. »Was ist denn mit dir?«, sage ich. »Den ganzen Morgen über hat dir die Seite wehgetan, aber du wolltest nicht zum Arzt gehen. Natürlich nicht, denn du musstest aufpassen, dass dein dummer Junge die Saat richtig in die Erde bekommt.« Ich halte die Schnauze, um nicht länger wie ein Idiot zu reden.

Ich stoppe meinen Traktor auf dem gepflasterten Weg vor der Scheune und schaue zurück über das Zuckerrohr zum Bachbett. Gestern hat Trent noch gesagt, dass die Senken mit Erde aufgefüllt werden. Das wird die Häuser über die Flutlinie bringen, aber es wird das Wasser auch ansteigen lassen. Unter all diesen Häusern werden meine Schildkröten zu Stein werden. Die Hereford-Rinder sehen aus wie rostige Flecken auf den Hügeln. Ich sehe Paps’ Grab und frage mich, ob zukünftiges Hochwasser es überfluten wird.

Ich sehe zu, wie die Rinder spielen. Es wird wohl bald regnen. Es regnet immer bald, wenn die Rinder spielen. Manchmal spielen sie auch, wenn Schnee kommt, aber meistens kommt Regen. Nachdem Paps mich mit dieser schwarzen Schlange windelweich geschlagen hatte, hängte er sie über einen Zaun. Aber es regnete nicht. Die Rinder spielten nicht, und es regnete nicht, und ich hielt den Mund. Die Schlange war übel genug gewesen, ich wollte nicht auch noch den Gürtel.

Ich blicke lange auf diesen Hügel. Mein erstes Mal mit Ginny war in der Baumkrone auf diesem Hügel. Ich denke daran, wie nah wir uns damals sein konnten und vielleicht sogar jetzt noch sind, keine Ahnung. Ich würde gerne mit Ginny mitgehen, ihr Haar in irgendeinem Feld verwuscheln. Aber ich kann sie auf der Post sehen. Ich wette, sie hat gerade Postkarten an irgendeinen Typen in Florida geschickt.

Ich fahre weiter auf die Scheune zu, halte unter dem Vordach. Ich wische mir mit dem Ärmel Schweiß aus dem Gesicht und sehe, dass mir die Nähte von den Schultern gerutscht sind. Wenn ich gerade sitze, fülle ich sie wieder aus. Die Schildkröte bewegt sich im Sack, und mir ist das Geräusch nicht geheuer, wie ihr Panzer gegen den Fanghaken klirrt. Ich trage den Beutel zum Wasserhahn, um das Fleisch zu säubern. Paps mochte immer gerne Schildkrötenfleisch im Eintopf. Er redete eine Menge über Eintopf und die Urwälder, noch eine Stunde, bevor ich ihn fand.

Ich frage mich, wie es sein wird, wenn Ginny vorbeikommt. Ich hoffe, sie redet nicht wie aufgezogen. Vielleicht nimmt sie mich dann zu sich nach Hause mit. Wenn ihre Mutter nicht Paps’ Cousine gewesen wäre, würde mich ihr Alter schon ins Haus lassen. Der soll mich mal. Aber ich kann mit Ginny reden. Ich frage mich, ob sie sich an die Pläne erinnert, die wir für die Farm hatten. Und dass wir Kinder wollten. Sie war immer ganz verrückt nach einem Pfau. Ich werde ihr einen besorgen.

Ich lächle, während ich den Sack in das rostige Becken fallen lasse, aber der Scheunengeruch – Heu, Rinder, Benzin – erinnert mich an etwas. Ich und Paps haben diese Scheune gebaut. Ich schaue auf jeden einzelnen Nagel mit demselben dumpfen Schmerzgefühl.

Ich säubere das Fleisch und breite es auf einem Stück Stoff aus, das aus einem alten Betttuch gerissen ist. Ich lege die Ecken zusammen, gehe zum Haus.

Die Luft ist heiß, aber irgendwie aufgewirbelt, und die Fliegengitter im Küchenfenster klappern. Von drinnen kann ich Mom und Trent auf der Veranda reden hören, und ich lasse das Fenster offen. Er versucht, sie auf dieselbe Art zu ködern wie mich gestern, und ich wette, Mom kauft ihm das ab. Sie denkt wahrscheinlich an Teepartys mit ihren Cousinen in Akron. Sie hört nie zu, wenn jemand was sagt. Sie nickt immer alles ab – außer es kommt von Paps oder mir. Sie hat sogar für Hoover gestimmt, bevor sie geheiratet haben. Ich schmeiße das Schildkrötenfleisch in eine Bratpfanne, hole mir ein Bier. Trent klopft sie mit mir weich; ich spitze die Ohren.

»Auf Collys Einverständnis würde ich setzen«, sagt er. Ich höre es deutlich, er hat immer noch diese näselnde Aussprache der Leute aus den Hügeln.

»Ich habe ihm gesagt, Sam könnte ihn bei Goodrich unterbringen«, sagt sie. »Da lernt er einen Beruf.«

»Und in Akron gibt es eine Menge junger Leute. Er würde da sicher glücklicher sein.« Seine Stimme hört sich verdammt nach Fernsehen an, denke ich.

»Na ja, er ist fürchterlich nett, leistet mir so oft Gesellschaft. Geht überhaupt nicht mehr aus, seitdem Ginny auf ihr College verschwunden ist.«

»In Akron gibt es auch ein College«, sagt er, aber ich mache das Fenster zu.

Ich lehne mich gegen das Spülbecken, reibe mit den Händen über mein Gesicht. Der Schildkrötengeruch hat sich zwischen meinen Fingern festgesetzt. Es riecht exakt nach Tümpel.

Durch die Tür zum Wohnzimmer sehe ich den Kasten für die Steine, den Paps mir gebaut hat. Die weißen Etiketten sind hinter dem dunklen Glanz der Scheibe deutlich zu erkennen. Bei über der Hälfte von ihnen hat Ginny mir beim Suchen geholfen. Wenn ich auf ein College ginge, könnte ich zurückkommen und Jims Job bei den Erdgaspumpen übernehmen. Ich mag es, Steine in der Hand zu halten, die vor so langer Zeit gelebt haben. Aber Geologie ist kein Zuckerschlecken für mich. Ich kann nicht einmal einen Trilobiten finden.

Ich rühre in der Fleischbrühe, lausche auf Geräusche oder Gespräche auf der Veranda, aber es ist nichts. Ich schaue hinaus. Ein Blitz vertreibt den Schatten vom Hof und hinterlässt einen dunklen Streifen unter der Höhle der Scheune. In der stillen Luft fühle ich eine Art Schaum auf meiner Haut. Ich nehme mein Abendessen mit auf die Veranda.

Ich schaue ins Tal, in dem früher Bisons grasten, bevor die ersten Gleise verlegt wurden. Jetzt sind diese Gleise von einer Autobahn überdeckt, und Autos rasen im Wind hin und zurück. Ich sehe Trents Wagen zurücksetzen und ostwärts Richtung Stadt wegfahren. Ich habe Angst davor, sofort zu fragen, ob er bekommen hat, was er wollte.

Ich halte Mom meinen Teller unter die Nase, aber sie wedelt ihn mit der Hand weg. Ich sitze in Paps’ altem Schaukelstuhl, sehe den Sturm aufziehen. Kleine staubige Wirbelstürme bilden sich auf der Straßenböschung, und Ahornzweige landen im Hof, ihre weiße Unterseite zeigt nach oben. Jenseits der Straße biegt sich unser Windschutz, Reihen von Zedern, die es gleichzeitig in alle Richtungen neigt.

»Kommt da was Großes?«, frage ich.

Mom sagt nichts und fächelt sich mit dem Fächer eines Beerdigungsinstituts Luft zu. Der Wind zerzaust ihr Haar, aber sie wedelt mit dem Pappbildchen von Jesus weiter wie verrückt. Ihr Gesicht verändert sich. Ich weiß, was sie denkt. Sie denkt, dass sie nicht die junge Frau auf dem Bild auf dem Kaminsims ist. Es ist nicht sie, die dort mit Paps’ Feldmütze auf dem Kopf steht.

»Ich wünschte, du wärst rausgekommen, als er da war«, sagt sie. Sie starrt über die Straße auf den Windschutz.

»Ich habe ihn gestern schon gehört«, sage ich.

»Das meine ich doch überhaupt nicht«, sagt sie, und ich sehe, wie sich ihre Augenbraue etwas senkt. »Es geht darum, dass Jim angerufen und gefragt hat, ob wir ein paar Bohnen wollen, und ich musste ihm sagen, sie im Wagen bei der Kirche zu lassen. Ich schwöre dir, die Leute reden, wenn Männer zu einer Witwe nach Hause gehen.«

Ich weiß, dass Jim wie ein blöder alter Knacker redet, aber er würde sie nie vergewaltigen oder so. Ich will nicht mit ihr streiten. »Also«, sage ich, »wem gehört das hier jetzt?«

»Immer noch uns. Vor morgen müssen wir nichts unterschreiben.«

Sie hört auf, mit Jesus herumzuwedeln, und guckt mich an. Dann legt sie los: »Du wirst es in Akron mögen. Mein Gott, ich wette, Marcys jüngste Tochter würde dich wahnsinnig gern treffen. Sie ist auch immer auf der Suche nach Steinen. Außerdem hat dein Vater immer gesagt, wir ziehen dahin, wenn du groß genug bist, die Farm zu übernehmen.«

Ich weiß, sie muss das sagen. Ich halte einfach den Mund. Der Regen setzt ein und trommelt auf das Blechdach. Ich beobachte, wie der Wind an Kraft gewinnt und Äste von den Bäumen bricht. Fahle Lichtsplitter schießen hinter den Hügeln am Horizont zu Boden. Wir werden von dem Sturm nur gestreift.

Ginnys Sportwagen düst ostwärts über die Straße. Beim Vorbeifahren hupt sie, aber ich weiß, sie wird zurückkommen.

»Genau wie ihre Mutter«, sagt Mom. »Rast wie der Teufel zum Zapfhahn.«

»Sie hat ihre Mutter nie gekannt«, sage ich. Ich stelle meinen Teller auf den Boden. Bin froh, dass Ginny daran gedacht hat, zu hupen.

»Was wäre, wenn ich mit irgendeinem Vorarbeiter von den Erdgaspumpen abhauen würde?«

»Das würdest du nicht tun, Mom.«

»Stimmt«, sagt sie und sieht zu, wie die Autos vorbeirollen. »Er hat sie in Chicago erschossen. Und hat sich auch umgebracht.«

Ich schaue hinter die Hügel und hinter die Zeit. Rotes Haar bedeckt das Kissen, blutverspritzt von der Kugel. Ein anderer Körper liegt verkrumpelt und warm am Fuß des Bettes.

»Die Leute sagen, er hat es getan, weil sie ihn nicht heiraten wollte. Man fand zwei Eheringe in seiner Tasche. So ein leibhaftiger kleiner Italo.«

Ich sehe Polizei und Reporter in dem kleinen Raum. Gemurmel dringt in den Korridor, aber niemand schaut wirklich in das Gesicht der toten Frau.

»Na ja«, sagt Mom, »wenigstens hatten sie noch ihre Kleider an.«

Der Regen lässt nach, und eine ganze Weile sitze ich da und sehe zu, wie die Schilder neben der Straße im Wind hin und her schwanken. Ich denke an all die Leute, die ich kenne, die aus diesen Hügeln weggegangen sind. Nur Jim und Paps sind in die Gegend zurückgekommen, haben das Land bearbeitet.

»Guck mal, die Irrlichter.« Mom deutet auf die Hügel.

Der Regen tröpfelt nur noch und sickert in den kalten Boden. Nebel steigt auf, der sich wie Gespenster in die Äste und Furchen kräuselt. Die Sonne versucht, durch diesen Dunst zu dringen, aber sie ist nur ein trüber brauner Fleck am rosaroten Himmel. Wo der Nebel liegt, schimmert das Licht in poliertem Orange.

»Kann mich nicht mehr daran erinnern, wie Paps das genannt hat«, sage ich.

Die Farben wechseln, verändern ihre Schattierungen.

»Er hatte für alles immer komische Namen. Einen Kater nannte er immer ›Katzer‹.«

Ich denke an die Zeit zurück. »Cornflakes waren für ihn ›Hornecken‹ und ein Hühnchen ein ›Dümmchen‹.«

Wir lachen.

»Ja«, sagt sie, »er wird immer ein Teil von uns sein.«

Der klebrige Anstrich der Armlehne klebt unter meinen Fingernägeln. Ich denke daran, wie sie es geschafft hat, ein normales Essen zu verderben.

Ginny hupt wieder von der Hauptstraße. Ich stehe auf, um reinzugehen, halte aber die Tür in der Hand, suche nach Worten. Dann sage ich: »Ich werde nicht in Akron leben.«

»Und wo genau werden Sie leben, mein Herr?«

»Ich weiß nicht.«

Sie fängt wieder an, mit ihrem Fächer zu wedeln.

»Ginny und ich fahren ein bisschen durch die Gegend«, sage ich.

Sie schaut mich nicht an. »Komm nicht so spät. Mr. Trent macht keine Überstunden für Nicht-Biertrinker.«

Im Haus ist es still, und ich kann sie da draußen schniefen hören. Aber was kann ich daran ändern, verdammt? Ich beeile mich, den Schildkrötengeruch von meinen Händen zu waschen. Es schüttelt mich am ganzen Körper, während das Wasser an ihnen runterfließt. Ich bin frech geworden. Ich bin noch nie frech geworden. Ich habe Angst, aber ich höre auf zu zittern. Ginny kann nicht sehen, wie ich zittere. Ich gehe einfach raus auf die Straße, ohne mich auch nur ein einziges Mal zur Veranda zurückzudrehen.

Ich steige ins Auto, lasse mich von Ginny auf die Wange küssen. Sie sieht so anders aus. Diese Kleider habe ich noch nie gesehen, und sie hat zu viel Schmuck an.

»Du siehst gut aus«, sagt sie. »Hast dich kein bisschen verändert.«

Wir fahren Richtung Westen, die Schnellstraße entlang.

»Wohin geht’s?«

Sie sagt: »Lass uns an einen Ort von früher fahren. Wie sieht’s aus mit dem Güterbahnhof?«

Ich sage: »Klar.« Ich greife nach hinten und hole mir eine Dose Falls City. »Du lässt dir die Haare wachsen.«

»Magst du’s?«

»Hm, schon.«

Wir fahren. Ich blicke auf den eingefärbten Nebel, auf die wechselnden Schattierungen der Farben.

Sie sagt: »Irgendwie ein unheimlicher Abend, was?« Sie ist immer noch wie aufgezogen.

»Paps nannte das immer ›Narrenfeuer‹ oder so ähnlich.«

Wir halten neben dem alten Güterbahnhof. Er ist fast vollständig mit Brettern vernagelt. Wir trinken und sehen zu, wie die Farben sich am Himmel in graue Dämmerung verwandeln.

»Schaust du ab und zu noch in dein Jahrbuch?« Ich stürze den Rest meines Biers hinunter.

Sie lacht sich kaputt. »Weißt du was«, sagt sie, »ich weiß nicht mal mehr, wo ich das Ding hingetan habe.«