"Ashley, ich sehe aus, als hätte ich die Krätze. Ach, was sage ich. Als wäre ich eine Aussätzige", kreischte Danielle in den Hörer. Mittlerweile konnte sie es nicht mehr ertragen, sich im Spiegel anzusehen, denn es war, als würde ihre Haut mit jeder Minute die verging, noch röter werden.
"Du musst mich ins Krankenhaus bringen", schloss sie ihre Tirade. Eine Träne rann ihre Wange hinab. Dann noch eine.
"Süße, beruhige dich. Das ist bestimmt nichts weiter als eine allergische Reaktion."
"Nichts weiter? Du hast ja keine Ahnung, wie ich aussehe."
"Bist du gegen irgendein ätherisches Öl allergisch?"
"Keine Ahnung, sag du es mir."
"Es sieht zumindest ganz danach aus, als sei etwas in der Maske gewesen, womit dein Körper nicht zurechtkommt. Am besten lässt du ihm einfach Zeit, sich selbst zu heilen. Viel trinken, entgiften, und du wirst sehen, in ein paar Tagen bist du wieder wie neu."
"In ein paar Tagen? Ich kann nicht so lange warten. So wie ich jetzt aussehe, kann ich mich nicht aus dem Haus wagen."
"Wenn du wirklich darauf bestehst, bringe ich dich ins Krankenhaus." Ashley seufzte. "Aber du weißt, was ich von der modernen Medizin halte."
"Glaubst du wirklich, es wird von selbst wieder besser?"
"Ganz bestimmt."
"Na gut." Dieses Mal war es Danielle, die einen Seufzer ausstieß. Wenn sie ihr Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zeigen musste, war ihr das allemal lieber, als ein Trip ins Krankenhaus.
"Sieh es als Wink des Universums an, dass du ein paar Tage ganz für dich brauchst."
"Prima. Ganz für mich. Wenn ich aussehe wie ein Streuselkuchen."
"Meistens will man es sich ja nicht eingestehen, aber der Körper hat seine eigene Weisheit."
Okay, mehr esoterische Sprüche konnte Danielle nicht ertragen. Hastig beendete sie das Gespräch. Dann warf sie den Hörer neben sich auf die Couch.
"Super. Ein paar Tage ganz für mich."
Kathy sprang ihr auf den Schoß, drehte sich ein paar Mal um sich selbst, um sich dann schnurrend auf Danielles Schenkeln niederzulassen.
"Dir kann nichts passieren. Du hast es gut. Und Falten bekommst du auch keine", sagte Danielle und begann automatisch, die Katze zu streicheln. Dabei gingen ihr Bilder von dem Paketboten durch den Kopf. Seine blauen Augen. Das Lächeln, das die Grübchen in seinen Wangen hervorhob. Die muskulösen Oberarme. Warum musste sie ausgerechnet bei dieser Begegnung aussehen wie ein Alien?
Glücklicherweise hatte Ashley recht gehabt. Nach ein paar Tagen sah Danielle wieder wie eine Frau mit einer normalen Haut aus. Der Ausschlag war verschwunden und mit ihm die ungesunde rötliche Färbung und die aufgedunsenen Augen. Eines war nach dieser Aktion klar, sie würde sich so schnell keinen Wellnesstag mehr gönnen. Dabei könnte sie gerade jetzt dringend eine Entspannung gebrauchen, vor allem nach dieser Nacht. Gestern Abend hatte sie den Fehler begangen, zusammen mit Ashley eine Tour durch die Kneipen in Old Town zu machen. Das Resultat lag neben ihr. Leider.
Warum fiel sie immer wieder auf Typen herein, die sie mit einem Wortschwall erstickten?
Vielleicht, weil sie dann selbst nicht viel sagen musste. Danielle wagte einen vorsichtigen Blick zur Seite. Harold, der Mann, der sie gestern Abend im Santos angesprochen hatte und sie nach einem langen Monolog überredet hatte, mit zu ihm nach Hause zu gehen, lag neben ihr. Unter dem Bettlaken zeichnete sich deutlich seine muskulöse Figur ab. Sie seufzte. Sein sportlicher Körper war ein weiterer Grund gewesen, weshalb sie mitgegangen war. Er hatte sie an diesen Paketboten erinnert, der ihr nicht mehr aus dem Kopf gehen wollte. Für einen kurzen Augenblick gab sie sich der Fantasie hin, wie es gewesen wäre, wenn sie mit ihm die Nacht verbracht hätte und nicht mit diesem Harold, der auf dem Rücken lag und leise schnarchte. Und das war es nicht einmal, was sie an ihm störte.
Nein, das Problem war sexueller Natur. Die Nacht mit ihm würde ihr nur deshalb im Gedächtnis bleiben, weil sie grauenhaft gewesen war. Nicht so sehr der Akt an sich, sondern eher seine Kürze. Das Ganze hatte maximal zwei Minuten gedauert; wenn überhaupt.
Leise stand sie auf und zog sich an. Mit ein bisschen Glück konnte sie von hier verschwinden, bevor er es bemerkte.
"Willst du schon gehen?"
Toll, ausgerechnet jetzt musste er aufwachen.
"Ja, ich habe noch einen wichtigen Termin", log sie. Sie zwängte sich in ihren Minirock und zog sich das T-Shirt über den Kopf. Obwohl er sie nackt gesehen hatte, war ihr der Moment peinlich. Es war fast intimer, sich vor ihm anzuziehen, als von ihm ausgezogen zu werden. Aber vielleicht lag das auch nur an dem Alkohol, den sie letzte Nacht intus gehabt hatte.
"Heute ist Sonntag", stellte er fest.
"Ich bin Freiberuflerin. Für mich gibt es keinen Sonntag", antwortete Danielle, schlüpfte in ihre Schuhe und trat den Rückzug an.
"Ich rufe dich an", rief er ihr nach.
"Ja, tu das. Unbedingt." Die Haustür fiel hinter ihr ins Schloss, Danielle blieb stehen und atmete einmal tief durch. Sie konnte sich noch verschwommen daran erinnern, dass sie ihr Auto nicht weit von Harolds Apartment abgestellt hatte. In einer der Seitenstraßen. Es dauerte nicht lange und sie hatte den Wagen gefunden. Jetzt, um sieben Uhr morgens an einem Sonntag, waren die Straßen von Hastings Ranch, einem Wohngebiet im Nordosten von Pasadena noch leer. Danielle summte ein kleines Lied vor sich hin. Dann fiel ihr etwas ein, eine Szene von letzter Nacht. Ihr Smartphone in Harolds Hand, er tippte eine Nummer ein und gab es ihr zurück.
"Jetzt kannst du mich jederzeit anrufen, und ich dich!"
Super!
Er hatte ihre Telefonnummer. Sie wusste schon jetzt, er würde sie kontaktieren. Das taten die Männer immer, die sie nie wiedersehen wollte. Danielle zog eine Grimasse und startete den Motor. Warum nur war sie nicht in der Lage, "Ich will dich nicht mehr sehen", zu sagen?
"Weil ich zu gutmütig bin, deshalb", brummelte sie vor sich hin und fuhr los. Ein paar Straßen weiter kam sie an einem Dunkin’ Donuts vorbei. Bei dem Gedanken an einen Donut und einen großen Kaffee lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Kurz entschlossen schwenkte sie auf den Parkplatz ein. Ashley wollte heute Nachmittag vorbeikommen; sie liebte die Apfel–Zimt-Donuts, und als beste Freundin war es Danielles Pflicht, ihr welche mitzubringen.
"Das war mal wieder ein Reinfall."
Danielle nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und hätte das kochend heiße Getränk am liebsten sofort wieder ausgespuckt. Mist! Warum konnte sie nicht wie jeder normale Mensch warten, bis das Zeug Trinktemperatur hatte? So aber konnte sie den Weg des Kaffees durch ihre Speiseröhre in den Magen genau verfolgen. Es brannte wie die Hölle.
"Ich verstehe sowieso nicht, was du an diesen One-Night-Stands findest", sagte Ashley, lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und streckte ihre Beine von sich. "Du verunreinigst damit nur deine Aura. Sex ohne Liebe ist nicht gut für dein Energiefeld. Das predige ich dir seit Jahren."
"Und ich erzähle dir seit Jahren, dass es meinem Energiefeld blendend geht."
Ashley schüttelte ihre blonden Locken.
"Das sagst du, aber ich spüre genau, wie unglücklich du bist."
"Hmmmm", war alles, was Danielle dazu sagte. Sie würde ihrer Freundin nicht von der Begegnung mit dem Paketboten erzählen. Der Begegnung, die dazu geführt hatte, dass sie in der Kneipe auf Harold reingefallen war. Der Bodybuilder hatte sie an den Mann erinnert, dem sie mit ihrer Gesichtsmaske einen gehörigen Schrecken eingejagt hatte. Wäre das nicht der Fall gewesen, wäre sie niemals mit Harold im Bett gelandet. Das zumindest redete sie sich ein.
"Ich glaube, wir sollten uns bei Skype einloggen. Diana wird jeden Augenblick online sein."
Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm Danielle ihre Kaffeetasse und stand auf.
"Denk bloß nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass du das Thema wechselst." Ashley folgte Danielle ins Arbeitszimmer.
"Ich lasse dich nur deshalb in Ruhe, weil ich weiß, dass du noch etwas Zeit brauchst, um das Offensichtliche zu begreifen."
Danielle fuhr den Computer hoch, setzte sich und drehte sich dann zu ihrer Freundin, die neben ihr saß.
"Und was wäre das?"
Ashley verdrehte die Augen. "Du brauchst eine feste Beziehung mit einem Mann, der kein kompletter Idiot ist!"
"Ach so, ja klar. Hätte ich mir denken können." Danielle loggte sich bei Skype ein und wählte Diana an.
"Sarkasmus hilft dir auch nicht weiter."
"Hallo, ihr Lieben, schön euch zu sehen", wurde Ashley von Diana unterbrochen. Die Freundin der beiden lebte zurzeit in Las Vegas. Jeden Samstagnachmittag skypten sie miteinander. Trotzdem vermisste Danielle ihre Freundin. Obwohl sie Dianas Gesicht auf ihrem Bildschirm sah und es fast so war, als würde sie ihr tatsächlich gegenübersitzen, fehlte Diana in dem Trio.
"Wie geht es dir?", fragte Danielle und setzte ein Lächeln auf, das nicht ganz echt war. Heute vermisste sie Diana mehr denn je. Sie hätte gerne gewusst, ob die gemeinsame Freundin Ashleys Meinung teilte. Dann seufzte sie. Was für eine blöde Frage. Diana war glücklich verliebt.
"Es geht mir gut. Sogar besser als gut. Ich bin so glücklich!" Diana rutschte auf ihrem Sitz herum, ein strahlendes Lächeln im Gesicht. Noch bevor sie weitersprach, wusste Danielle, was ihre Freundin sagen würde.
"Wir heiraten", platzte Diana heraus. "Haltet euch schon mal den 20. Dezember in eurem Terminkalender frei."
"Gratuliere. Das ist ja toll!" Ashley klatschte in die Hände. "Ich möchte Brautjungfer sein."
"Ich habe so gehofft, ihr beide würdet das übernehmen."
"Natürlich tun wir das", schaltete sich Danielle in das Gespräch ein. Sie zwang erneut ein Lächeln in ihr Gesicht. Sie freute sich. Ehrlich! Aber irgendwo ganz tief in ihrem Inneren beneidete sie ihre Freundinnen. Auch wenn sie selbst keine Beziehung wollte, kam sie sich doch manchmal wie ein Mauerblümchen vor, das keinen abbekam. Was natürlich Blödsinn war; immerhin hatte sie fast jede Woche einen anderen Lover.
"Danke, ich wusste, ihr würdet mich nicht im Stich lassen, auch wenn die Hochzeit so kurz vor Weihnachten stattfindet. Ich hätte gerne einen anderen Termin genommen, aber das ist die einzige Zeit des Jahres, in der Chris sich längere Zeit frei nehmen kann, damit wir heiraten und danach in die Flitterwochen fahren können."
"Wo verbringt ihr euren Honeymoon?"
"Auf Hawaii!" Diana sah verträumt in die Kamera. "Ich komme mir vor wie im Märchen. Ich habe nicht nur meinen Traummann gefunden, sondern wir heiraten und fahren in ein Ferienparadies. Ich kann das alles noch gar nicht fassen."
"Du hast es gut." Danielle seufzte. "Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal im Urlaub war."