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herausgegeben von
Wolfgang Paterno

DAS ERSTE MAL

Autorinnen und Autoren
über ihr erstes Buch

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Gedruckt mit Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien, MA 7 / Literaturförderung

Aus ökologischen Gründen verzichten wir bei diesem Buch auf Plastikfolie.

Paterno, Wolfgang (Hg.): Das erste Mal / Wolfgang Paterno (Hg.)

Wien: Czernin Verlag 2019

ISBN: 978-3-7076-0679-9

© 2019 Czernin Verlags GmbH, Wien

Umschlaggestaltung, Satz: Mirjam Riepl

Autorenfoto: Stefan Wagner

Druck: Christian Theiss GmbH

ISBN Print: 978-3-7076-0679-9

ISBN E-Book: 978-3-7076-0685-0

Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe in Print- oder elektronischen Medien

Inhalt

Wolfgang Paterno | Auftakt

Leopold Federmair | Im Anfang war die Dreifaltigkeit

Milena Michiko Flašar | Eckige Klammern

Daniel Glattauer | Mein Herz. Mein Ding.

Sabine Gruber | Im Dazwischen Ein fiktives Interview (ohne Fragen)

Händl Klaus | Aufs Blatt

Monika Helfer | Schreiben

Bodo Hell | Aha, auch so kann man leben

Peter Henisch | Hamlet schreibt

Wolfgang Hermann | Wie ich einige meiner ersten Bücher geschrieben habe

Peter Stephan Jungk | Stechpalmenwald

Daniel Kehlmann | Beerholm und ich

Anna Kim | Director’s Cut

Michael Köhlmeier | Ich wusste nichts

Robert Menasse | Im Schatten erster Kaktusblüte. Oder: Warum mein zweiter Roman mein erster ist

Kurt Palm | Brecht ist an allem schuld

Karin Peschka | Book #1

Hans Platzgumer | Expedition

Teresa Präauer | Das erste Buch

Doron Rabinovici | Der Wiedergänger aus der Vergangenheit

Angelika Reitzer | Anfängerfehler

Kathrin Röggla | Niemand lacht rückwärts

Gerhard Roth | Eine Art Gast der Gegenwart

David Schalko | Mein erstes Mal

Eva Schmidt | Aus der Ferne

Robert Schneider | Anmaßung und Wunder

Franz Schuh | Aller Anfang ist leicht

Clemens J. Setz | ADR

Michael Stavarič | Elisa Frankenstein

Marlene Streeruwitz | Erhebungen.

Daniel Wisser | Null ist eins

Wolfgang Paterno

Auftakt

Das erste Mal ist nicht das erste Buch, in dem Autorinnen und Autoren über ihre ersten Bücher erzählen. Die Anthologien zum Thema entfalten eine kleine Geschichte über das Schreiben, Verlegen und Verbreiten von Literatur. Vor 125 Jahren versammelte der Publizist Karl Emil Franzos unter dem Titel »Die Geschichte des Erstlingswerks« frühe Texte (und Jugendbildnisse) von Marie von Ebner-Eschenbach, Felix Dahn und Theodor Fontane. Übellaunig stellte Franzos einleitend fest, dass ihm das Londoner Original Jerome K. Jerome die Idee in »My First Book« weggeschnappt habe. »Selbsterlebte Anekdoten sind rascher geschrieben als ernste Selbstanalysen«, tröstete sich Franzos, ihm gehe es ohnehin um die »Darlegung des inneren Entwicklungsganges, der jeden Dichter zu seinem Erstling geführt«. Die fast amtlich anmutende Sammlung bot eine Steilvorlage, an die sich lange Zeit niemand heranwagte.

Erst 1979 berichteten in »Wie ich anfing« wieder 24 Schriftsteller und Schriftstellerinnen von ihren Debüts, wobei diese Auswahl auf die Vergangenheit setzte: Mit Ausnahme einer Autorin dominierten die Geburtsjahrgänge weit vor 1945. »Offenbar werden Erzähler spät reif«, mutmaßte das Nachwort. Der »Geschwindmarsch ins literarische Leben« wurde mit Skepsis bedacht.

»Das erste Buch. Schriftsteller über ihr literarisches Debüt« wiederum konnte im Jahr 2007 für sich in Anspruch nehmen, mit 92 Beiträgen die (bis dato und bis heute) ausführlichste Sammlung von Texten zu sein, in der Autorinnen (auch wenn sie im Titel eher unelegant verschwiegen wurden) und Autoren von ihrem Entree in die Welt der Literatur berichteten: »Die Wiederbegegnung mit dem ersten Buch war auch eine Wiederbegegnung mit sich selbst.«

Das erste Mal versammelt Texte österreichischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die über ihre ersten (oder, wie Daniel Wisser feststellt, nullten) Bücher schreiben. Auf inhaltliche (Selbstanalyse! Geschwindmarsch!) und formale (Geburtsjahrgänge!) Vorgaben wurde bei der Auswahl der Beiträge weitestgehend verzichtet: Gefragt waren die Wege (die immer auch Um- und manchmal sogar Irrwege sind) zum Schreiben, zum ersten Buch (auch wenn dies, wie im Fall von Daniel Glattauer, nie erschienen ist). Monika Helfer denkt auf den folgenden Seiten über das Schreiben nach, Hans Platzgumer über die Trias von Kindern, Bäumen und Büchermachen; Robert Menasse erklärt, wie er über den Umweg Sao Paulo zum Schriftsteller wurde – und warum sein zweiter Roman sein erster ist. Sabine Gruber befragt sich selbst in einem fiktiven Interview, und Eva Schmidt stellt sich die Frage, weshalb sie überhaupt schreibe. Anna Kim erinnert sich an eine zugige Wohnung in Cambridge, in der ihr erstes Buch entstand, Angelika Reitzer an die Zeit in Rom vor mehr als zehn Jahren und wie sie sich jeden Vormittag an den Schreibtisch setzte (und nachmittags die Kirchen und Märkte der Stadt besuchte), und Peter Stephan Jungk an die Anfänge der Arbeit an seinem Erstling in Los Angeles – ein Exemplar des fertigen Buchs vergrub der Autor später im Graubündner Bergboden, wo es sich, schreibt Jungk, mutmaßlich »nach zwei, drei Jahren in Milliarden Moleküle aufgelöst hat«.

Diesen und allen anderen Autorinnen und Autoren gebührt für ihr freudiges Mittun mein besonderer Dank: Leopold Federmair, Milena Michiko Flašar, Händl Klaus, Bodo Hell, Peter Henisch, Wolfgang Hermann, Daniel Kehlmann, Kurt Palm, Karin Peschka, Teresa Präauer, Doron Rabinovici, Kathrin Röggla, Gerhard Roth, David Schalko, Robert Schneider, Franz Schuh, Clemens J. Setz, Michael Stavarič und Marlene Streeruwitz.

Der Schweizer Paul Nizon erinnerte sich in seinem Journal »Die Innenseite des Mantels« einst an seine Anfänge als Autor: »Der junge Schriftsteller, der Debütant, möchte nur eines: gedruckt werden. Mit dem gedruckten Buch wird er erst Schriftsteller, das genügt vorerst, er ist beim ersten Buch der einzige Schriftsteller auf der Welt, alles liegt offen vor ihm.« Das erste Mal will dieses offene Buch sein. Dem Herausgeber von »Das erste Buch« verdanke ich dieses Zitat, womit sich auch irgendwie der Kreis schließt.

Leopold Federmair

Im Anfang war die Dreifaltigkeit

Welches mein erstes Buch war, lässt sich schwer sagen. Am ehesten wird man sagen können, es waren drei, und alle drei sind unter seltsamen Umständen erschienen. Keines hat mich glücklich gemacht, und keines markierte den Beginn einer Schriftstellerlaufbahn. Ich weiß nicht, ob ich zu einem viel früheren Zeitpunkt ein Buch, gar ein glückliches, veröffentlicht hätte, hätte ich nicht Germanistik studiert. Durch das Studium begann ich zu begreifen, wie viele gute Bücher es schon gab; das hat mich lange vom Schreiben abgehalten. Als ich meine Dissertation schrieb, habe ich mir erlaubt, in den vielen Kapiteln, die ich mir ausdachte – der Vorwand war jeweils ein Gedicht von Johann Christian Günther –, sprachkünstlerisch herumzuexperimentieren. Bei den sogenannten Rigorosen ließen die Professoren, die mich streng prüfen sollten, eine Flasche Sekt kommen; ich hatte mir zuvor eine türkisfarben schillernde Krawatte gekauft, die erste meines Lebens. Irgendwann fragte mich einer der Professoren, ein Freund Peter Handkes (was ich damals nicht wusste), ob ich selbst schreibe. »Schreiben Sie eigentlich auch selbst?«, mit jener Betonung auf dem Wort »schreiben«, die ihm eine andere Bedeutung verleiht. Ich drückte verlegen herum – was hätte ich bei bei einem Rigorosum auch antworten sollen –, ehe der Professor abwinkte und sagte: »Blöde Frage, ich weiß eh.« Demselben Professor bin ich drei Jahrzehnte später bei einem Handke-Symposion wiederbegegnet, er hatte endlich ein Buch von mir gelesen und schien begeistert, er würde sich jetzt an die Lektüre meiner übrigen machen. Zu dem Zeitpunkt waren mehr als zwanzig erschienen, und der Professor wurde mit seinem Vorhaben nicht fertig, denn er starb wenige Monate nach unserer Wiederbegegnung.

Meine Dissertation sollte in Buchform erscheinen, so wollte es damals mein Doktorvater. Um den Druck zu finanzieren, waren zwei Gutachten nötig, von denen eines negativ ausfiel, weil der Gutachter, der offensichtlich nicht mehr gelesen hatte als die Bibliographie und das Vorwort, das mit dem ersten Satz warnte, dies sei kein Vorwort, beanstandete, ich hätte nicht genügend Sekundärliteratur verwendet. Der Doktorvater zapfte andere Quellen an, das Buch erschien in einem sogenannten Wissenschaftsverlag, allerdings mit vierjähriger Verspätung. Damals hatte ich nicht begriffen, dass ein völlig unbekannter Mensch Mittel und Wege finden muss, die Leute, Institutionen, Verlage, von denen er etwas will, zu drängen. Er muss sie unter Druck setzen, ihnen zumindest lästig fallen. Erst nach zwei oder drei Jahren habe ich aus Frankreich, wohin ich gleich nach Beendigung des Studiums übersiedelt war, beim Stuttgarter Verlag angerufen; Ferngespräche kosteten damals viel Geld. Ich wurde vertröstet, mehrmals; mit Vertröstungen kam und komme ich nicht zurande, weil ich immer wieder, ein Rückfalltäter, Verständnis für den Vertröstenden entwickeln zu müssen glaube. 1989 war es endlich so weit, zehn Autorenexemplare wurden mir zugeschickt, in meinem Postkasten steckte eine Benachrichtigung, ich solle – vom 11. Arrondissement – in ein Postamt im Achtzehnten kommen, worüber ich mich wunderte, aber wahrscheinlich wurden schwere Bücherpakete dieser Art einfach in der Nähe des Güterbahnhofs, irgendwo zwischen Gare de l’Est und Gare du Nord, gelagert, die Briefträger wollten sie nicht durch die Gegend schleppen, das musste der Verfasser schon selber tun. Nach so vielen Jahren interessierte sich dieser Verfasser nicht besonders für das Erhaltene, zumal er soeben ein anderes, viel leichteres Buch geschrieben hatte, das zu veröffentlichen er kaum hoffte. »Die Leidenschaften der Seele Johann Christian Günthers«, dieser akademische Wälzer, hatte als Typoskript übrigens auch im Hanser Verlag gelegen. Gerd-Peter Eigner, in jenen Jahren ein vielversprechender Romancier, hatte es dort hingeschafft. Ich wollte ihn nicht davon abhalten, glaubte aber in keinem Moment, dass so ein Verlag so ein Manuskript veröffentlichen würde.

Heute, mehr als ein halbes Leben später, glaube ich das nicht mehr so ganz. Immer wieder habe ich daran gedacht, einzelne Kapitel aus dem Buch, das den prophetischen Untertitel »Versuch über den Misserfolg« trägt (eine Anspielung auf Goethe und Hans Mayer), herauszunehmen, zu überarbeiten und in eine Buchform zu bringen, die diesen Namen auch verdient. Ich werde es wahrscheinlich zu Lebzeiten nicht mehr tun, wie ich auch die Texte nicht aus den Schachteln hervorkramen werde, die ich im Alter von 16, 17, 18 Jahren geschrieben habe, denen ich eine immerwährende Neugier entgegenbringe und zugleich eine Scheu, die zu groß ist, um überwunden zu werden. Diese Texte lagern zusammen mit Zeichnungen, die möglicherweise besser sind als die Texte, in einem Mietshauskeller in Wien, in der Nähe der Schmelz, wo sie vor Hochwasser ziemlich sicher sind (was aber, wie gesagt, ohnehin keine Rolle spielt). Immerhin ist in ferner Erinnerung an »Die Leidenschaften der Seele« die fulminante Erzählung »Dreikönigsschnee 1723« entstanden und dann als ganz schmales Buch im Off-Verlag edition selene erschienen. Geschrieben wurde es eigentlich als Komponente eines ebenso umfangreichen wie unveröffentlichten Romans. Als halbwegs gereifter Autor muss man imstande sein, Geschriebenes fallweise in der Dunkelkammer der Schublade oder des Computerspeichers oder schlichtweg des Vergessens verschwinden zu lassen, auch wenn es einen zuvor Mühe und Schmerz und Zeit gekostet hat.

Das Buch, das ich 1988 schrieb, war ein Essay. Es entstand aus der Neugier, die ich, in Frankreich lebend, damals mit vielen teilte, die tieferen Gründe für Martin Heideggers zeitweilige Parteinahme für den Nationalsozialismus zu verstehen. Der fast ungewollt anwachsende Text hatte sich aus zwei Artikeln für den Falter ergeben, die Wiener Stadtzeitung, die sich damals ein intellektuelles Image geben wollte. Heidegger und sein Tun und Lassen zu verstehen, brauchte allerdings mehr als ein, zwei Artikel; unter der Hand ist mir ein Buch aus dieser Neugier und den entsprechenden Lektüren geworden, das den schönen und treffenden Titel »Die Gefahr des Rettenden« trägt, von der es auch handelt – nicht nur von Heidegger. Ich gab das Manuskript Erich Möchel, einem ehemaligen Schulfreund, der allwöchentlich eine Kolumne für den Falter schrieb; er hatte soeben einen, wie ich fand, ziemlich starken Erstlingsroman geschrieben und bei Deuticke in Wien veröffentlicht. (Sein zweiter Roman erreichte nicht ganz dieses Niveau; Möchel hat danach keinen weiteren Roman herausgebracht. Manch einer kennt ihn als Medienkritiker, der seit Jahren vor den Gefahren neuer Überwachungstechnologien warnt.) Möchel gab das Manuskript dem Verlagsleiter weiter, der wollte es zu meiner Überraschung in einer neuen Essay-Reihe herausbringen und tat es dann auch, nachdem er mich zwei, drei Jahre vertröstet hatte. »Die Gefahr des Rettenden« wurde von Edwin Hartl in den Salzburger Nachrichten besprochen, was ich seinerzeit nicht wirklich zu schätzen wusste. Erst später wurde mir klar, dass er einer der umtriebigsten Literaturkritiker Österreichs war und mir, dem jungen Unbekannten, mit einer Formulierung, die sich mir vage eingeprägt hat (etwas wie »lebhafte Rhetorik«, glaube ich mich zu erinnern), sprachkünstlerische Begabung attestieren wollte.

Zu den Dingen, die ich nie recht verstanden habe, gehört, wie man es anstellt, in Erfahrung zu bringen, welche Meinungen über einen selbst im Umlauf sind. Die meiste Zeit habe ich es vorgezogen, darüber gar nichts zu wissen. Trotzdem habe ich den Eindruck gewonnen, dass »man« – irgendein winziger Winkel dessen, was man Öffentlichkeit nennt – mich für einen recht guten Essayisten hält, aber erzählerische Qualitäten will man mir nicht zubilligen. (Peter Handke äußerte einmal in meiner Gegenwart das vernichtende Urteil: »Er ist ein guter Feuilletonist.«) Das verhält sich vielleicht ähnlich wie bei Maurice Blanchot, der bis heute als Essayist weithin bekannt ist, während seine zahlreichen Erzählwerke nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten zusagen. Als ich dem Verlagsleiter bei Deuticke nach der Veröffentlichung von »Die Gefahr des Rettenden« eine Serie von Erzählungen »rüberschob«, war seine Antwort, mit so etwas würde ich meinen guten Ruf schädigen. Dass ich überhaupt so etwas wie einen Ruf besaß, war mir völlig neu. Die rübergeschobenen Erzählungen sind viel später in ein Buch eingegangen, das dann doch noch das Licht der Welt erblickte: »Die Ufer des Flusses«. Mein Ruf war zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon verspielt.

Bei alldem ist eines richtig: Nach dem langen Germanistikstudium, das mir das Selbstbewusstsein als Schreibender raubte, gab es für mich nur einen Weg, doch noch zur Literatur zurückzufinden, für die ich mich als Jugendlicher entschieden hatte: den Essay, das Porträt. Als ich »Die Gefahr des Rettenden« schrieb, hatte ich mich aber schon ans Erzählen zurückgewagt; das dabei entstandene Manuskript mit dem Titel »Tod eines Hundes« ist bis heute unveröffentlicht und wird es wohl auch bleiben. Nicht wegen meines Rufs, sondern weil ich längst woanders bin und genügend Projekte sowie eine spürbar kürzer werdende Lebenszeit habe. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Literaturzeitschriften quasi der Königsweg zum erhofften Verlag. Und eines Tages traf bei mir in der Währinger Straße, wo meine unglückliche »Wiener Periode« begann, ein Brief ein, die Adresse mit Schreibmaschine getippt – ein echtes, rechteckiges Brieflein, wie man sie heute nicht mehr schreibt noch empfängt. Ein junger Mann, der gerade eine »avanciert literarische« – oder »literarisch avancierte«? – Reihe für »brauchbare Leser« (von denen es nicht viele gab), im Ritter Verlag begann, hatte zwei oder drei meiner Texte in den Grazer manuskripten gelesen und dachte, das wäre etwas für seine Reihe. Kurze Zeit später, ohne Vertröstungen, erschien »Monument und Zufall«. Dieses Buch ist am ehesten mein erstes, aber in Wirklichkeit sind es, wie ich hier zu zeigen versuche, drei, es ist eine Dreifaltigkeit. »Monument und Zufall« enthält beschreibende Texte, vor allem aus Paris, ein wenig in der Art des nouveau roman, darunter »Bildbeschreibung (Bildbeschreibung)«, ein programmatischer Titel, wie mir heute scheint. Das Beschreiben war für mich der zweite Weg aus meiner frühen Schreibhemmung, erst danach und auf dieser Grundlage konnte ich zu einem freieren Erzählen finden, immer unter Bewahrung des Essayismus, ganz im Sinne Robert Musils. Das erste gelungene Ergebnis dieses freieren Erzählens ist »Bitumen«, ebenfalls in diesem dritten Erstling enthalten und auch Teil des viel später erschienenen Erzählbands »Freilassing«: mein erstes Buch in spanischer Sprache (wobei die Titelerzählung, erst im 21. Jahrhundert entstanden, in jene frühe Zeit des Schreibens und Nichtschreibens zurückspielt). In »Bitumen« ist ein guter Teil dessen angelegt, was ich bis heute als mein Ding, meine Sache, meine Aufgabe betrachte. Weitergesponnen habe ich das in »Rosen brechen«, aber die volle Entfaltung wird, so Gott will, noch kommen.

Ich habe eingangs von »seltsamen« Veröffentlichungsumständen geschrieben. Das gilt zumindest ein wenig auch für »Monument und Zufall« und für Ralph Klevers Reihe im Ritter Verlag. Es war damals eine auf konzeptuelle Ideen ausgelegte Serie von Büchern, auf Textformen und nicht auf Autoren, Personen. Üblich ist es, dass ein Verlag seine Autoren als schöpferisch tätige Einzelpersonen betreut, unterstützt, auch in Zeiten, in denen sie – zum Beispiel – Schwierigkeiten haben, etwas zustande zu bringen. Beim Ritter Verlag war das nicht der Fall, aber ich hätte mir so etwas gewünscht, hätte es gebraucht, denn ich war noch lange nicht gereift, nicht selbstsicher, nicht immer auf dem rechten Weg. Es war gut möglich, dass nur ein einziges Werk eines Autors in die Ritter-Reihe passte; in meinem Fall waren es zwei. Erst ein Jahrzehnt später fand ich den Verlag, der meine Bücher mit der für mich notwendigen Regelmäßigkeit veröffentlicht. Ich vermute, dass die Fürsprache von Karl-Markus Gauß, des Herausgebers der Zeitschrift Literatur und Kritik, in der ich viel veröffentlichte, dafür ausschlaggebend war. Bezeichnend, dass auch hier der Anfang mit einem Essay gemacht wurde: »Adalbert Stifter und die Freuden der Bigotterie«. Erst dann kam die Serie von Erzählungen und Romanen in Gang, insgesamt sind es bisher elf Bücher, ein zwölftes ist in Vorbereitung.

Aber ich habe mich von der Dreifaltigkeit entfernt – und so soll es auch sein, nur steht alles Weitere auf einem anderen Blatt, auf anderen Blättern. Ich habe die Rolle von Literaturzeitschriften erwähnt. Im deutschen Sprachraum dachte damals – also »zu meiner Zeit« – kaum ein junger Autor oder eine angehende Autorin an literarische Agenturen. Das hat sich geändert, Literaturzeitschriften werden wenig gelesen (veröffentlichen wollen dort trotzdem immer mehr), viele Junge wenden sich an Agenturen, veröffentlichen auf Internetplattformen, in Blogs, in der Hoffnung, irgendwann entdeckt zu werden. Eine Zeit lang habe ich es wegen der hier geschilderten Schwierigkeiten mit Agenturen versucht – völlig erfolglos, in meinem Fall hilft das nicht. Ich erinnere mich, dass ich einmal auf Anraten einer Lektorin Thomas Glavinic anrief, der bereits mit einer Agentur arbeitete, um ihn nach seinen Erfahrungen zu fragen. Glavinic veröffentlichte damals auch bei Deuticke, wenn auch ganz anders geartete Bücher, und ich hatte ihn zwei, drei Mal bei irgendwelchen Gelegenheiten, Empfängen oder so, gesehen. Ich rief ihn am Handy an, er war gerade unterwegs, am Steuer, irgendwo zwischen Wien und Graz, und er begann, mir von den Vorteilen der Vertretung durch eine Agentur vorzuschwärmen, als die Verbindung abbrach, ich hörte noch ein letztes Wort, »Tunnel«, den Namen davor habe ich nicht verstanden. Ich habe ihn danach nicht wieder angerufen.

Ein paar Jahre später lag ich mit meiner Freundin auf einer Wiese im Strandbad Gänsehäufel, nackt wie alle anderen auch, als ich bemerkte, dass ein gutes Stück weiter Glavinic lag und neben ihm eine junge blonde Frau, die er wohl beeindrucken wollte, denn ich hörte zu, ohne mich zu erkennen zu geben, unverschämt wie ich manchmal sein kann. Man erkennt einander schwer außerhalb der üblichen Kontexte, in denen man miteinander umgeht, zum Beispiel Nachbarn, die man im Wohnhaus täglich grüßt, sieht man auf der Straße oder im Supermarkt nicht, und so war es auch in diesem Fall, aber in irgendeinem Augenblick, auch aufgrund des Gesprächs, das eher ein Monolog war und das ich, vielleicht durch den Sommerwind begünstigt, gut hören konnte, wurde mir klar, wer dort lag und lang und breit erzählte, mit wem er nicht alles in Kontakt gekommen war und welche Aussichten er in seinem neuen Verlag hätte. Die Geschichte eines Erfolgs? Goethe im neuen Jahrtausend? Ja, aber die Details werde ich hier nicht verraten. Sie stehen auf einem anderen Blatt.

Milena Michiko Flašar

Eckige Klammern

»Ich bin«. Rückblickend ein ziemlich selbstbewusster Titel für das Debüt einer 28-Jährigen, wenn da nicht die eckigen Klammern wären.

»[Ich bin]«. Die Klammern sollten das Ungefähre ausdrücken. Und ich bestand darauf: Kein Ich ohne das Gefühl des Vagen, das es durchdringt, kein Sein ohne die zwangsläufigen Unsicherheiten. Wer »Ich bin« sagt, betritt schwankenden Boden. Feine Risse, wohin er steigt. An manchen Stellen liegt Geröll. »Pass auf«, ruft es von irgendwoher. Die Stimme klingt zugleich fremd und vertraut. Was ich damals mehr geahnt als gewusst habe, ist drei Bücher später eine Art Lebensmaxime geworden: Man sollte sich seiner selbst (und seiner Wahrnehmungen) nicht allzu sicher sein. Deshalb die Klammern. Sie klammern etwas ein. Sie klammern etwas aus. Sichtbarer Zweifel, schwarz auf weiß. Wer »Ich bin« sagt, muss es in Klammern denken. Oder anders formuliert: muss es in Frage stellen. Von meinem ersten Buch an, aber so ist es wahrscheinlich mit allen ersten Büchern, ging es mir um das Dahinter- und Darunterliegende. Literatur beginnt dort, wo das Offensichtliche in Frage gestellt wird. Nichts ist so, wie es scheint. Und wer den Mut hat, in die Risse zu schauen, sieht den Abgrund unter sich. Kein »Ich bin« ohne die Abgründe. Damals wie heute halte ich daran fest. Man sollte sich selbst (und seinen Wahrnehmungen) nicht trauen.

Später habe ich erfahren, dass es noch ein anderes Buch mit diesem Titel gibt, geschrieben von Sri Nisargadatta Maharaj, einem indischen Philosophen, allerdings ohne die