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Isabell Arnstein

Die Geschichte der

Zentralgewerbeschule Buchen

Zwischen Neckar und Main

Schriftenreihe des Vereins Bezirksmuseum Buchen e. V.

Band 36

Isabell Arnstein

Die Geschichte der
Zentralgewerbeschule
Buchen

Tectum Verlag

Isabell Arnstein

Die Geschichte der Zentralgewerbeschule Buchen

 

Zwischen Neckar und Main – Schriftenreihe des Vereins
Bezirksmuseum Buchen e. V.; Bd. 36

 

© Tectum Verlag – ein Verlag in der Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2019

ePub: 978-3-8288-7282-0

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Werk unter der ISBN 978-3-8288-4334-9 im Tectum Verlag erschienen.)

 

 

Umschlaggestaltung: Tectum Verlag, unter Verwendung einer
von Martin Strittmatter erstellten Collage | Abbildungen im
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Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Grußwort von Konrad Trabold

Grußwort von Dr. Achim Brötel

Zusammenfassung und Abstract

Einführung

I. Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der Neubeginn im deutschen Südwesten

II. Die Bildung des Volkes auf dem Weg in die Neuzeit – Berufsbildung in der Zunft und in Schulen

II. 1) Die Entwicklung der gewerblichen Sonntagsschule

II. 2) Die Spätzeit der Zünfte vs. moderne Bildungsansätze

III. Geschichte der Buchener Gewerbeschule

III. 1) Die Gründungsphase der Höheren Bürgerschule in Buchen mit Erweiterung um eine Gewerbeschule

III. 2) Die Anfangsjahre der Gewerbeschule Buchen

III. 3) 1872 – die Gewerbeschule Buchen wird komplett selbständig

III. 4) Erster Weltkrieg und die Zeit danach – die Gewerbeschule Buchen wird zur Bezirksgewerbeschule

III. 5) Die Zeit des Nationalsozialismus

III. 6) Nach den Kriegsjahren – die Bezirksgewerbeschule wird zur Zentralgewerbeschule

III. 7) Aufschwung ab den 1950er-Jahren

III. 8) Neue politische und gesetzliche Grundlagen ab 1952, dem Gründungsjahr Baden-Württembergs

III. 9) Die Phase der Expansion – neue Schularten ab den 1970er-Jahren

III. 10) Die Gegenwart

IV. Schlussworte

V. Danksagung

VI. Anhang

VI. 1) Übersicht der verantwortlichen Lehrkräfte bzw. Schulleiter im Laufe der Zeit

VI. 2) Zeitzeugenberichte

VI. 3) Stilblüten aus den Gesamtlehrerkonferenzen – Zeugnisse des Zeitgeistes

VI. 4) Erfahrungsbericht zur Stundenplanerstellung am Schuljahresbeginn – Aufzeichnungen nach einem Gespräch mit Schulleiter a.D. Dipl.-Ing. Wolfgang Seifert

VI. 5) Quellen

VI.5.1) Quellen zur badischen Gewerbeschulgeschichte

VI.5.2) Quellen zur Geschichte der Zentralgewerbeschule Buchen

VI. 6) Abbildungsverzeichnis

VII. Literatur

Die Autorin

Grußwort von Konrad Trabold

Erst war es ein »Hineinstöbern« in die Seiten des Manuskripts. Dann hat mich beim Lesen dieses Buch »gepackt« und ich konnte gar nicht mehr aufhören!

»Erzähle mir die Vergangenheit, und ich werde die Zukunft erkennen« (Konfuzius).

Was Frau Dr. Isabell Arnstein hier in einem literarisch-geschichtlichen Werk über die Entwicklung des Gewerbeschulwesens in Baden am Beispiel der Zentralgewerbeschule Buchen (ZGB) versammelt hat, ist einzigartig, informativ, spannend, fundiert, lehrreich und unterhaltsam zugleich. Gerade die neben den historischen Fakten eingespielten persönlichen Erlebnisse oder Zitate in Schlüsselmomenten der schulischen Entwicklung der ZGB charakterisieren den geschichtlich-gesellschaftlichen Kontext und den jeweiligen Zeitgeist so treffend, dass der Leser sich unmittelbar hineingenommen fühlt.

Die jeweils passend dazu eingestreuten Bilddokumente vervollständigen das innere Bild der jeweiligen Entwicklungsphasen: von den sich abschottenden selbstbestimmten Zünften hin zur gesetzlich verfassten öffentlichen Schule, von »willkürlicher« Tradierung handwerklicher Kenntnisse und Fertigkeiten hin zur rechtlich gefassten Vermittlung von Bildungszielen und -inhalten, von der Gewerbeschule mit Außenstellen bis zur Zentralgewerbeschule an einem Standort, von der Berufe übergreifenden Beschulung in einer Klasse hin zur Spezialisierung in Fachklassen der gewerblichen Berufe, vom Start als duale Berufsschule bis hin zur Ergänzung mit vollzeitschulischen Angeboten, die durchgängige Bildungslaufbahnen auf dem zweiten Bildungsweg bis zur Allgemeinen Hochschulreife ermöglichen. Letztlich von der Kleinschule mit wenigen Schülern bis hin zum heutigen Kompetenzzentrum gewerblich-technischer Bildung in der Region, ergänzt um Allgemeinbildung insbesondere in den in Vollzeit unterrichtenden Schularten mit über 1 000 Schülerinnen und Schülern.

»Traditionell fortschrittlich« ist das Leitmotiv der ZGB in der Erfüllung ihres Erziehungs- und Bildungsauftrages. Dass dieser Spannungsbogen zwischen Tradition und Fortschritt, zwischen Bewahren von Bewährtem und Entwickeln neuer Stärken, zwischen bloßer Wissensvermittlung und ganzheitlicher Kompetenzentwicklung schon seit den Ursprüngen der ZGB besteht, wird in dieser Publikation nachdrücklich aufgezeigt. Diesem Motto fühlen wir uns weiterhin verpflichtet und sehen den Dienst der Lehrerinnen und Lehrer an der jungen Generation, unterstützt von den Sach- und Personalzuwendungen des Schulträgers, als wertvollen Beitrag zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zukunftsfähigkeit des Neckar-Odenwald-Kreises.

Konrad Trabold, OStD, Schulleiter

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Grußwort von Dr. Achim Brötel

Die duale Ausbildung ist zweifelsohne ein absolutes Erfolgsmodell, um das uns viele beneiden. Gerade im internationalen Kontext gilt Deutschlands deshalb sogar als regelrechtes Vorbild. Immer mehr andere Länder erkennen, wie effizient die enge Verzahnung von Theorie und Praxis in betrieblicher und schulischer Ausbildung ist. Erstaunlicherweise wissen aber trotzdem selbst bei uns viele nicht, wie dieses ausgeklügelte System überhaupt einmal entstanden ist.

Genau dort setzt Dr. Isabell Arnstein mit dem vorliegenden Buch an: Am Beispiel der Zentralgewerbeschule Buchen, aber mit Bezügen, die weit darüber hinausreichen, ist es der Autorin in vorbildlicher Weise gelungen, auch die großen Linien zu ziehen. Funktionierende Systeme sind nämlich auch hier nicht vom Himmel gefallen, sondern vielmehr das Ergebnis kluger Überlegungen. Das Buch verliert sich allerdings nicht im Abstrakten, sondern skizziert Stück für Stück, wie sich die Entwicklung des Schulwesens ganz konkret vor Ort in der heutigen Zentralgewerbeschule Buchen niedergeschlagen hat. Große Geschichte im Kleinen also – und natürlich genauso auch umgekehrt.

Für mich ist die Lektüre aber auch ganz persönlich etwas Besonderes, weil ich sozusagen in der Zentralgewerbeschule Buchen aufgewachsen bin. Mein Vater war dort viele Jahre als Lehrer und dann ab 1969 auch 25 Jahre lang als Schulleiter tätig. Mich verbinden deshalb viele Erinnerungen mit dieser Schule. Als Kind hat mich vor allem die Stundenplantafel fasziniert: Eine riesige Magnetwand mit unglaublich vielen farbigen Symbolen. Heute weiß ich, dass sich hinter diesen Symbolen in Wirklichkeit eine ganz besondere Stärke des beruflichen Schulwesens verborgen hat, nämlich eine Vielfalt und Bandbreite, die wahrlich ihresgleichen sucht. Wenn man so will, habe ich einen Teil der Geschichte also hautnah miterleben dürfen.

Dr. Isabell Arnstein setzt mit ihrem Buch zudem bei einem Aufsatz an, den mein Vater 1997 anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums der Schule verfasst hat. Diese ersten Vorarbeiten werden jetzt also durch weitere Quellenstudien im Landes- und Kreisarchiv, aber auch durch das unermüdliche Zusammentragen von Zeitungs- und Zeitzeugenberichten auf eine sehr viel breitere und wissenschaftlich fundierte Basis gestellt. So wird nicht nur der schulische Werdegang nachgezeichnet, sondern das Ganze vor allem auch in den größeren Kontext der Entwicklung des badischen Gewerbeschulwesens insgesamt gestellt. Allein diese regionale Quellensammlung ist ein Wert für sich.

Dabei wird zudem deutlich, dass gerade Gewerbeschulen für die Vorreiterrolle von Baden im Bereich der Bildung sehr wichtig waren. Deshalb kann man auch die Bedeutung der heutigen Zentralgewerbeschule Buchen für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten Region gar nicht hoch genug einschätzen. Auch wenn man bisweilen den Eindruck haben kann, dass die beruflichen Schulen eher etwas im Schatten stehen, müssen sie sich doch ganz bestimmt nicht verstecken. Im Gegenteil: Hier werden anspruchsvolle Abschlüsse erworben und Berufe ausgebildet, die für das Funktionieren einer Gesellschaft schlichtweg unerlässlich sind. Nicht umsonst kämpfen wir ja immer wieder dafür, bewährte Ausbildungsgänge vor Ort zu erhalten.

Der Neckar-Odenwald-Kreis wird deshalb auch weiterhin alles tun, um die beruflichen Schulen in seiner Trägerschaft zu stärken und mit dem auszustatten, was sie brauchen, um im Klassenzimmer die Grundlagen für die Wettbewerbsfähigkeit von Kreis und Land zu legen. Denn man kann es drehen und wenden, wie man will: Dort entscheidet sich in der Tat unsere Zukunft ganz wesentlich mit.

Das Buch von Dr. Isabell Arnstein bestärkt uns nachdrücklich in unserem Weg. Dafür bin ich der Autorin sehr dankbar. Und: Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich ein spannendes Eintauchen in die regionale Schulgeschichte.

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Dr. Achim Brötel, Landrat

Zusammenfassung und Abstract

Vorliegendes Werk geht auf die Entwicklung des Gewerbeschulwesens in Baden ein und legt dabei ein besonderes Augenmerk auf die Entwicklung der heutigen Zentralgewerbeschule Buchen (ZGB). Die Ausführung beginnt in mittelalterlicher Zeit, bei den Anfängen von Bildungs- und Beschulungsbestrebungen für das allgemeine Volk und beschreibt in weiterem Verlauf die zunehmende Verzahnung des schulischen Unterrichts mit der Ausbildungsordnung der Zünfte bis hin zur Etablierung eines verbindlichen gewerbeschulischen Systems in Baden im Jahr 1834. Ab dem Jahr 1847, dem Gründungsdatum der Gewerbeschule in Buchen, wird das Hauptaugenmerk auf die Historie der Schule gelegt und deren Bedeutung als Verbindungsglied zwischen schulischer Bildung und Arbeitswelt bis in die Gegenwart aufgezeigt. Auch für die Rolle Buchens als Zentrum der Region nimmt die ZGB eine bedeutende Stellung ein. Zahlreiche Quellen ermöglichen dem Leser einen Blick in die interessante Entwicklungsgeschichte des badischen Gewerbeschulwesens als auch in die abwechslungsreiche Historie der Zentralgewerbeschule Buchen.

The present book is about the development of the trade school system in Baden, Germany with a special focus on the development of what is today the Zentralgewerbeschule Buchen (ZGB). It starts at medieval times with the beginning of efforts towards educating and schooling the common people and goes on to describe how classes at school were more and more intertwined with the training order of the guilds until a binding trade school system was established in Baden in 1834. From 1847 (the founding year of the trade school in Buchen) onwards, the most important focus is on the history of the school and its importance as a link between school education and working life down to the present. The ZGB is also important for the town of Buchen holding its position as a regional centre. An abundance of sources allows the reader a view at the interesting historical development of Baden’s trade school system as well as at the varied history of the ZGB.

Einführung

»Als die Zeit um war, erhielt Konrad den Bescheid, er sei vom Mechanikus Marchtaler in Reutlingen als Lehrling angenommen und somit sei ihm der Weg erschlossen, was der Vater habe nicht erfassen können. Worte wurden nicht viel gemacht. Der Sohn sah die Eltern froh und doch bekümmert auf seine junge Arbeitskraft verzichten, die sie in Haus und Feld benötigt hätten. Aber schließlich lag Reutlingen auch nicht aus der Welt draußen und man konnte zueinanderkommen, wenn man sich etwas zu sagen hatte. Das eisgraue Männlein, Herr Johann Marchtaler, war ein Filz, und Konrad hatte ein Hundeleben bei ihm, was seinen leiblichen Menschen betraf; aber er konnte sich nach der Decke strecken und schnürte die Hosenschnalle enger; denn es war der Mühe wert. […] Es kam dem Meister fürs erste darauf an, zu erfahren, wie sich der Lehrling anstelle mit Haupt und Gliedern. Er bekam eine zerbrochene Wanduhr in die Hand und einen Schraubenzieher. […] Das war der Einstand. […] Herr Marchtaler, aufmerksam mit dem Lehrbuben, nahm ihn eines Abends mit in die Stube und gab ihm ein Buch in die Hand, das er lesen sollte. Es handelte von dem Wesen der Mechanik, noch mehr, vom Klang, vom Licht, von allem, was es gab, aber so, daß bestimmte Dinge auf der Erde, die ein für allemal als Gesetze feststanden, von jedem geprüft und angewendet werden konnten. Konrad verschlang das Buch, das ihm eine neue Welt auftat. Man konnte also von dem, was feststand, ausgehen, das letzte, was andere gefunden hatten, als erstes nehmen und weitermachen. Die Erde war unergründlich.«1

Menschen, die sich dem Handwerk verschrieben haben, zeichnet, wie auch Konrad, Wissensneugier und die Freude am Erschaffen von etwas Substanziellem und das Weiterreichen ihrer Produkte aus. Handwerkliche Fähigkeiten gepaart mit Fachwissen können Welten öffnen, ideelle, private und ganz besonders berufliche. Handwerk kann den oftmals zitierten »goldenen Boden« bescheren und zudem als erfüllende Tätigkeit die nötige Erdung im Alltag geben. Mancher nur am Computer sitzende Tätige vermisst oft, das Resultat der eigenen Arbeit zu sehen und in Händen halten zu dürfen – dieses Privileg wird dem Handwerker zuteil. Kommt zu den handwerklichen Fähig- und Fertigkeiten noch eine umfassende schulische Bildung hinzu, dann steht einem vielversprechenden Lebensweg nichts mehr im Wege. Alle Türen stehen dann offen.

Die Zentralgewerbeschule Buchen blickt auf eine lange Tradition zurück, die in diesem Werk dargestellt werden soll. Um der Historie der Schule gerecht zu werden, genügt es allerdings nicht, mit ihrer Gründung im Jahr 1847 zu beginnen, sondern es ist notwendig, sie in den Kontext der Entwicklung des gewerblichen Schulwesens in Deutschland mit besonderem Blick auf das Land Baden zu stellen. Hierbei wird auch auf die Anfänge der schulischen Bildung des allgemeinen Volkes und der beruflichen Bildung in den Zünften eingegangen, die im Mittelalter und der Frühen Neuzeit für die gewerbliche Bildung verantwortlich waren. Dies wurde ab Ende des 18. Jahrhunderts allmählich zugunsten einer schulischen Bildung aufgebrochen, da man die Vorzüge einer ausgelagerten Bildung mit verpflichtenden elementaren beruflichen Kenntnissen erkannte.

Danach etablierte sich ein gewerbeschulisches System in ganz Baden, das unter anderem auch Motor des badischen Wohlstands wurde. Dieses System wurde zum Vorbild für die berufliche Bildung in ganz Deutschland. Mitte des 19. Jahrhunderts kam es dann, nach dem Gründungserlass für das badische Gewerbeschulwesen aus dem Jahr 1834, an vielen Orten in Baden zu Gründungen von Gewerbeschulen, so auch in Buchen. Die hiesige Gewerbeschule wurde im Jahr 1847 gegründet und kann seither auf eine facettenreiche Geschichte zurückblicken und sich stetem Wachstum rühmen.

Im Jahr 1939 wurde sie Bezirksgewerbeschule und seit 1947 ist sie durch Zusammenfassen aller Gewerbeschulen des ehemaligen Landkreises Buchen zur Zentralgewerbeschule geworden. Die ZGB entwickelte sich so im Laufe der Zeit zu ihrer heutigen Position, zu einem Zentrum vielfältiger beruflicher Aus- und Weiterbildung in guter Zusammenarbeit mit den Betrieben der Region, zu »einem geistigen Zentrum des regionalen Gewerbes«.

1 Siehe Gutman, Lesebuch, 1925, S. 42–45.

I. Das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und der Neubeginn im deutschen Südwesten

Das Gebiet des 1806 endgültig aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erfuhr wie kein anderes Gebiet Europas in der Umbruchphase zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert einen enormen Veränderungsdruck. Die hohe Zahl an territorialen Herrschaftsgebilden strukturierte sich infolge von Revolutionskriegen, der Herrschaft Napoleons und dem Wiener Kongress zu größeren Flächenstaaten. So auch im deutschen Südwesten. Hier gestaltete sich als Folge von Napoleons Bündnispolitik bis zum Jahre 1806 das Königreich Württemberg und das Großherzogtum Baden. Die Politik dieser Jahre in den süd- und südwestdeutschen Staaten orientierte sich infolgedessen und aufgrund der räumlichen Nähe auch sehr an Frankreich.

Der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, nach welchem Baden von der Markgrafschaft zum Kurfürstentum wurde, also eine erste Rangerhöhung erfuhr, und sich »explosionsartig vergrößerte«2, zog nach sich, dass aus den zersplitterten Territorien ein geschlossenes Staatsgebiet vom Bodensee bis zum Main wurde. Es erweiterte sich das badische Gebiet um:3

Gebiete der rechtsrheinischen Kurpfalz (mit Mannheim und Heidelberg),

den rechtsrheinischen Besitz der Bistümer Konstanz, Basel, Straßburg und Speyer,

die Reichsstädte der Ortenau (Offenburg, Gengenbach, Biberach, Zell am Harmersbach) und des Linzgaus (Überlingen und Pfullingen) sowie Wimpfen, das jedoch bald darauf an Hessen-Darmstadt abgetreten wurde,

die Gebiete vieler Abteien und Stifte, wie zum Beispiel das Reichsstift Petershausen.

Mit Gründung des Rheinbundes 1806 wurde Baden dann Großherzogtum4, wiederum eine Rangerhöhung, und Württemberg wurde Königreich. So entstanden im deutschen Südwesten zwei zusammenhängende Großflächenstaaten: Baden verdoppelte dieser Tage Einwohnerzahl und Gebietsfläche. Baden verfügte dabei über eine Fläche von 15 070 km², Württemberg über 19 500 km². Die Bevölkerung Badens betrug um 1803 ungefähr 175 000 Menschen,5 wobei sich Baden 1810 weiter um württembergische Gebiete im mittleren Schwarzwald (Hornberg, Schiltach, Gutach) und Stockach am Bodensee vergrößerte.6 Ebenso kamen die bisher reichsunmittelbaren Fürstentümer Fürstenberg, Leiningen und Löwenstein-Wertheim zum Großherzogtum. Auf den Staatsumbau betreffende Reformen wurde dieser Tage großen Wert gelegt. Nach Niedergang der napoleonischen Herrschaft konnte Baden auf dem Wiener Kongress (1815) seine Gebiete bewahren. Bis auf kleinere Ausnahmen entstand zu dieser Zeit das Gebiet, welches Baden bis 1945 behalten sollte.

Eine Neuordnung der Verwaltungsstrukturen in Baden wurde von Sigismund von Reitzenstein angestrebt.7 Vermehrte staatliche Integration und die Förderung einer zuverlässigen Beamtenschaft8, die nicht mehr an Standesprivilegien gebunden sein sollte, waren unter anderem die erklärten Ziele. Zudem strebte er die Aufhebung der vielen Binnenzölle, die infolge der jahrelangen Kleinstaaterei entstanden waren, sowie eine Vereinheitlichung der Maßeinheiten und den Ausbau der Verkehrswege an. Modernität im Staatsaufbau waren sowohl das Streben der Rheinbundstaaten als auch erklärtes Ziel in Baden.

Nur schlüssig war, dass die Reformansätze dieser Phase des beginnenden 19. Jahrhunderts auch das Bildungssystem umfassen sollten, gerade auch im Bereich der beruflichen Bildung von Gewerbetreibenden. Das Großherzogtum Baden war bestrebt, das gewerbliche Bildungswesen langfristig auszubauen, um den Mittelstand zu stärken und damit das Land insgesamt ökonomisch zu festigen. Damit war Baden durchaus Vorreiter in der Hebung des Bildungsniveaus im Bereich des Gewerbes, was die im Gewerbschulgesetz von 1834 mündende detailreiche Planung zur Errichtung von Gewerbeschulen im Lande erklärt. In den 1830er-Jahren war Baden, genau wie alle deutschen Länder im Vergleich zu England, das sich aufgrund der Textilindustrie schon weiter in der industriellen Phase befand, wirtschaftlich und gewerblich eher rückständig. Die Existenz von Fabriken war noch immer mehr eine Ausnahmeerscheinung denn eine Regel in Baden und die Zünfte beherrschten das Gewerbewesen noch durchaus fast zur Gänze.

Mit dem Ausbau eines Eisenbahnnetzes nahm der Industrialisierungsgrad in Baden ganz allmählich zu. Insbesondere der Beitritt zum Deutschen Zollverein 1835 führte dann zum allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung des Landes. Der Eisenbahnbau ab 1840 und die Rheinkorrektur nach Tulla optimierten die Infrastruktur. Vom Jahr 1847 an stieg in Baden zum Beispiel die Anzahl der Dampfmaschinen von anfänglich 24 auf 223 Stück im Jahre 1861, im Jahre 1869 waren es 489 und 1875 bereits 923 Stück.9 Aufgrund der guten Verkehrslage und der ausgebauten Verkehrswege durch Schiff und Bahn, zudem durch erhaltene Auslandsinvestitionen von Frankreich und Schweiz, stand Baden im Jahr 1858 im Bereich der Textilindustrie dann auf Platz 4, einen Platz vor Württemberg.10 Insofern waren die wirtschaftlichen und industriellen Voraussetzungen gegeben, dass sich auch entsprechender Bedarf an in diesen Bereichen gebildeten Fachkräften auftat, den schließlich das sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelnde badische Gewerbeschulwesen zu decken gewillt war.

2 Siehe Kohnle, Baden, 2007, S. 194.

3 Aufzählung entnommen aus: Rothe, Gewerbeschulen, 2011, S. 7.

4 Entgegen der bayrischen und württembergischen Rivalen erhielt Kurfürst Karl Friedrich leider nicht ebenfalls den Königstitel, sondern »nur« den Titel eines Großherzogs. Doch es wurde ihm gestattet sich mit »Königliche Hoheit« anreden zu lassen. Siehe Kohnle, Baden, 2007, S. 195.

5 Zahlen entnommen aus: Rothe, Gewerbeschulen, 2011, S. 7.

6 Siehe Rothe, Gewerbeschulen, 2011, S. 7 Fußnote 8.

7 Siehe Hippler/Stier, Europa, 2012, S. 151.

8 Gerade ein gegenüber dem Staate loyales Berufsbeamtentum, für deren Berufung – zumindest formell – die standesrechtliche Herkunft des Anwärters nicht mehr ins Gewicht fallen sollte, sondern für deren Zugehörigkeit die Absolvierung gewisser standardisierter Prüfungen und einer vorgeschriebenen normierten Ausbildung vonnöten waren, sollte dem Bildungsbereich einen Modernisierungsschub geben.

9 Siehe Stratmann, Lehrlingserziehung, 2003, S. 113.

10 Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Baden_(Land)#Gro%C3%9Fherzogtum_Baden_im_19._Jahrhundert; angerufen am 15.03.2019.

II. Die Bildung des Volkes auf dem Weg in die Neuzeit – Berufsbildung in der Zunft und in Schulen

In der Erkenntnis des Zusammenhanges zwischen Bildsamkeit und Bildungsbedürftigkeit als Natur des Menschen legte Erasmus von Rotterdam 1529 einen der Grundsteine des neuzeitlichen Erziehungsdenkens.

»Bäume wachsen vielleicht von selbst, wenn sie auch steril sind oder gewöhnliche Früchte tragen; Pferde werden geboren, wenn auch unbrauchbare – aber Menschen, das glaube mir, werden nicht geboren, sondern gebildet. Die ältesten Menschen, welche ohne Gesetz und Ordnung in wilder Ehe ihr Leben hinbrachten in den Wäldern, glichen in Wahrheit mehr Thieren als Menschen. Die Vernunft macht den Menschen; […] Die Natur, indem sie dir einen Sohn gab, übergab sie nichts andres, als eine rohe Masse; es ist deine Sache, der fügsamen und zu Allem bildsamen Materie die beste Form zu geben: wenn du es unterlässt, erhältst du eine Bestie, wenn du sorgsam bist, erhältst du so zu sagen einen Gott.«11

Schule und Bildung hatten nach Ende des Mittelalters eine neue Wertigkeit bekommen: Es geht nicht mehr um eine rein religiöse Perspektive, sondern um die Verantwortung für sich selbst als Individuum und im Rahmen des gesellschaftlichen Miteinanders. Das vorgefertigte Weltbild der mittelalterlichen Theologie gerät im Zuge der humanistischen Weltanschauung und schließlich der vor dem Beginn der Neuzeit um sich greifenden Aufklärungsbestrebungen zunehmend ins Wanken. Die Folgen für Bildung, Erziehung und das Schulwesen sollten weitreichend sein.

Das gedruckte Buch markierte den Beginn des neuzeitlichen Schulwesens, womit es seine Aura als kultischer Gegenstand verlor. Das Buch wurde zum Gebrauchsgegenstand und auch zunehmend in der Volkssprache, also auf Deutsch und nicht auf Latein, zu einem für immer mehr Menschen erschwinglichen Betrag erwerbbar. Infolgedessen entwickelte sich auch die Fähigkeit des Lesens weg von der theologischen Handhabung, also der Auseinandersetzung mit den religiösen Schriften und der Bibel, hin zum Bildungsgut der bürgerlichen Schichten und zur Bewerkstelligung des Alltags, besonders in Handel und im Gewerbe. Schulen mussten mehr und mehr für alle und abseits der klerikalen Oberhand zugänglich sein. »Erzieht, lehrt und bildet euch und eure Kinder«, war der Aufruf der Humanisten. Auch Luther rief die Eltern und die Obrigkeiten in seiner »Predigt, daß man die Kinder an die Schule halten solle«, (1530) auf, die Jugend, egal ob Mädchen oder Jungen, mit schulischer Erziehung zu bedenken.12So brachte die neue Theologie der Reformatoren den Ansatz einer Idee der generellen schulischen Bildung auf, einer Art »Schulpflicht« unter Einbeziehung der Verantwortung des Staates. Jedoch stand dahinter natürlich durchaus auch der eigennützige Hintergedanke einer religiösen Laienbildung zur Festigung des »neuen« reformatorischen Glaubens. Des Grundsatzes »sola scriptura« willens sollte der »neue Christenmensch« natürlich zum Lesen der Heiligen Schrift in der Volkssprache gebildet sein. Nichtsdestotrotz war die Idee einer »Schule für das Volk« geboren und manche utopischen Schriftsteller des 16. und 17. Jahrhunderts schrieben bereits von »Handwerkerakademien.13

Für das einfache Volk verbreiteten sich die auf das Primarschulsystem aufbauenden Schulen in deutscher Sprache ab dem 16. Jahrhundert über die Dörfer bzw. die ländlichen Gebiete, meist angegliedert an die Ortspfarrei.14 Als Sonntagsschulen wurden diese Schulen bezeichnet, die im Anschluss an die Volksschulen besucht werden konnten. Derlei gab es in Deutschland vier verschiedene:15 kirchliche Sonntagskatechisationen, Ersatzschulen für Werktagsschulen, Ergänzungsschulen für Werktagsschulen und gewerbliche Unterrichtsveranstaltungen. So rührt der Name »Sonntagsschule« lediglich vom Wochentag her und eine genauere Bestimmung, zu welchem Zweck die einzelne Sonntagschule eingeführt wurde, ist oftmals nicht ganz eindeutig zu klären. Demnach können nicht alle Sonntagschulen als Vorläufer unserer heutigen Berufsschule bzw. des Gewerbeschulwesens gelten.

Da man die Unterrichtsinhalte nichtsdestotrotz für diese Schulen bereits kontrolliert haben wollte, wurden oftmals sehr genaue Vorschriften aufgestellt, wie der Lehrinhalt auszusehen hatte. Einen Einblick gibt die Württembergische Schulordnung aus dem Jahr 1559:

»So dann der Schulmeister die Schulkinder mit nutz leeren will, So soll er die in drey Heüfflin theilen. Das ein, darinn die jhenigen gesetzt, so erst anfahen zu Buchstaben. Das ander, die, so anfahen, die Syllaben zusamen schlahen. Das dritt, wölche anfahen lesen und schreiben […] Und dieweil die Kinder vor allen dingen, zu der forcht Gottes gezogen werden sollen, so wöllen wir hiermit auch, das die Schulmeister keinem Kind gestatten, einige ergerliche, schandtliche, sectische Bücher, oder sonsten unnütze Fabel Schrifften, in jrem lernen zugebrauchen, sonder daran sein, wa sie getruckte Bücher gebrauchen wurden, damit sie in Christlichen Büchlin, als der Taffel, darinn der Catechismus, Psalmenbüchlin, das Spruchbüchlin Salomonis, Jesus Syrachs, newen Testaments, und dergleichen, lernen. […] Die Schulmeister sollen auch schuldig sein, nach dem Catechismo Sommerszeit in der Kirchen, Winters zeit in der Schulstuben, mit der andern Jugent in den Flecken, so nit seine Schulkinder seien, den Catechismo und gemeine Gesang zuüben, und die darinn mit Fleiß zuunderrichten, wie sie des jeder zeit von den Pfarrherrn bescheiden, und jnen bevohlen würdt.«16

Es dürfte sich hier wohl teilweise auch um einen katechetischen Unterricht gehandelt haben, der aber durchaus auch Lese-Schreib-Unterricht beinhaltet hat und für diejenige Kinder bestimmt war, die nicht in die Werktagsschule gingen, weil sie da wahrscheinlich auf dem Feld oder Hof helfen mussten bzw. bei den »Hauß- und Feldgeschäfften«17, wie man damals sagte.

Doch die in den deutschsprachigen Landen durch das reformatorische Zeitalter angestoßenen Bestrebungen eines geordneten überall präsenten Schulwesens wurden durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges wieder beinahe zum Erliegen gebracht. Dies gestaltete sich so sowohl in Bezug auf die Weiterentwicklung der Lateinschule für Kinder der mehr elitären großstädtischen Bürger oder auch des klerikalen Nachwuchses als auch in Bezug auf die einfachen, volkssprachigen Schulen des Primar- und Sekundarbereichs für die Kinder von Bauern, Handwerker, dem einfacheren Volk des ländlichen Raumes. Solche Dorfschulen beiderlei Typs konnten unter anderem auch in Scheunen untergebracht sein oder in Räumlichkeiten, die man zufälligerweise gerade zur Verfügung hatte und welche für umsonst oder mit nur ganz wenig Geld zu haben waren. Schlecht ausgestattete Schulstuben waren somit gang und gäbe und hielten sich bis weit in das 19. Jahrhundert hinein.

Im Jahr 1739 ging Württemberg einen großen Schritt im Bereich der beruflichen Schulentwicklung, indem eine »neue Art von Schule […] an die Stelle der Sonntagsschule, die Ersatz für die fehlende Werktagsschule war«, eingeführt wurde.18 Der Zweck dieser Schulen sollte sein:

»Die Sonn- und Feiertagsschulen sollen eine gute Schulanstalt und Kontinuation der in der Schul gefaßten Lehre sein, da diejenigen jungen Leute, welche schon zur Konfirmation und Gottestisch gelangt sind, bis zu ihrer Verheiratung in der Schule, und zwar alternatim das einemal die ledigen Manns-, das anderemal die ledigen Weibspersonen an Sonn- und Feiertagen nach verrichtetem öffentlichen Gottesdienst zusammenkommen und damit sie das in der Schule Erlernte nicht so leicht wieder vergessen noch die übrige Zeit an Sonn- und Feiertagen sonst liederlich oder gar sündlich zubringen, unter der Anleitung des Schulmeisters oder der Schulfrau ein geistlich Lied singen, in der Bibel lesen, ihre Sprüch und Psalmen repitieren, auch jedesmal ein Hauptstück aus dem Katechismo recitieren, ihre Schriften aufweisen, einen Brief lesen und sodann mit Gebet und Segen schließen sollen.«19

Hier liegt nun also eine Ergänzungsschule für Volksschulentlassene vor, die eine Kontinuität im Lernen gewährleisten möchte und – nach damaligem Verständnis – »für das Leben« qualifizieren will. Im benachbarten Baden folgte man zuerst dem Beispiel Württembergs und gründete in den Diözesen Pforzheim und Stein im Jahr 1755 Sonntagsschulen, die abwechselnd an einem Sonntag von den ledigen jungen Männern bis zum 18. Lebensjahr und am anderen Sonntag von den ledigen jungen Damen bis zum 20. Lebensjahr besucht werden konnten.20 Ein Jahr darauf, 1756, wurde die Einrichtung von Sonntagsschulen in allen Landesteilen Badens angeordnet, die zuerst nur im Sommer Unterricht erteilen sollten, aber ab 1766 auch im Winter.21 Diese Sonntagschule hatte ganz klar die Funktion einer Ergänzung der Volksschule für junge Erwachsene.

II. 1) Die Entwicklung der gewerblichen Sonntagsschule

Jeder solle den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, so Kant mit seinem umseitig gerichteten Appell »Sapere aude!« in der Hochphase der Aufklärung. Sich wechselseitig unterstützend, entwickelten sich alle Kulturbereiche, die sich aus der Vernunft und der kritischen Hinterfragung heraus entwickelten, rasch weiter: Naturwissenschaften und Technik allen voran. Für neue Schulgründungen ein äußerst fruchtbares Zeitalter, auch für die Errichtung von Schulen mit berufsbezogener Zielsetzung für die Ausbildung von jungen Menschen in Handwerk, Gewerbe, Landwirtschaft wie auch die Weiterentwicklung der Volks- und Realschulen gerade im Bereich praktischer und experimenteller Lern- und Lehrbereiche.22 Ein Beispiel des realitätsbezogenen Fächerkanons, der die Jahrhunderte überdauerte, zeigt das folgende Abgangszeugnis der Winterlandwirtschaftsschule Tauberbischofsheim aus dem Jahr 1895:23

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Abb. 1: Abgangszeugnis der Winterlandwirtschaftsschule Tauberbischofsheim von 1895

Handlungsfähigkeit bei der späteren Berufsausübung rückte in allen Schulen in deutschen Landen, die nicht für ein universitäres Studium vorbereiten wollten, im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts deutlich in den Mittelpunkt. Es gab Volksschulen, die ihre Schüler neben der Vermittlung der elementaren Fähigkeiten auch Unterricht in manchen Handfertigkeiten aus dem Bereich der Manufakturen, des Verlagswesens, der Heimindustrie und Landwirtschaft lehrten.24 In diesen sog. Industrieschulen (Industrie im Sinne des lateinischen »industria«, auf Deutsch »Fleiß, Betriebsamkeit«) wollte man die Kinder zu gewisser Arbeitstüchtigkeit erziehen. Zudem verwandte man den Erlös ihrer Arbeiten, um das benötigte Schulgeld zu bezahlen bzw. auch um Schulmaterial zu kaufen.25 Industrieschulen sollten sich finanziell selbst tragen, so war Lernen und Arbeiten im Wechsel die favorisierte Organisationsform bzw. auf jeden Fall die produktive Komponente dieser Schulform. Auch im Bezirk Buchen gab es im 19. Jahrhundert eine Industrieschule für Handarbeiterinnen, wie ein Zeitungsartikel aus »Der Odenwälder – Buchener Anzeiger« am 14. Mai 1892 berichtet:26

»Die Industrieschulen in Baden und die Ausstellung im Bezirk Buchen

Gegen Ende des Monats findet erstmals in Buchen unter der Leitung der Kreisschulvisitatur eine Ausstellung von Arbeiten der Industrieschulen des Bezirks Buchen statt. In richtiger Würdigung der hohen Bedeutung der weiblichen Handarbeiten für das spätere praktische Leben widmet die Unterrichtsverwaltung unseres Landes diesem Zweige des Unterrichts der Mädchen ganz besondere Aufmerksamkeit. […] Auch das neue Schulgesetz, dessen Verkündigung in den nächsten Tagen zu erwarten ist, setzt für diesen Unterrichtszweig weitergehende Normen fest und bestimmt auch die höheren Anforderungen an die Lehrerinnen eine wesentlich höhere Vergütung für dieselben, so daß sie in diesem Punkte nicht mehr von dem guten Willen der Gemeindeverwaltung abhängig sind. Eine ganz besondere Förderung erhielten die Industrieschulen des Landes durch die Fürsorge und Bemühung Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin. […] Auch die Ausstellung in Buchen wird sie wahrscheinlich mit Ihrem hohen Besuche beehren, und somit dem ganzen Unternehmen einen weihevollen Glanz verleihen und das Interesse für die gute Sache in hohem Maße steigern.«