Maria Wasner ist Kommunikationswissenschaftlerin und Psychoonkologin. Seit 2008 ist sie Inhaberin der Professur für Soziale Arbeit in Palliative Care an der Katholischen Stiftungshochschule München (KSH) und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kinderpalliativzentrum der LMU München. Sie ist Mitglied der Taskforce Social Work der European Association for Palliative Care (EAPC) und war von 2012 bis 2018 Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).
Prof. Dr. rer. biol. hum. Maria Wasner
Professorin für Soziale Arbeit in Palliative Care
Katholische Stiftungshochschule München und Kinderpalliativzentrum am
Dr. v. Haunerschen Kinderspital, LMU München
E-Mail: Maria.Wasner@ksh-m.de
Josef Raischl ist Diplom-Sozialpädagoge und Diplom-Theologe. Er arbeitet seit 1992 beim Christophorus Hospiz Verein e. V. (CHV) in München, dessen ambulantes Hospiz und Palliative Care-Team er aufbaute und viele Jahre leitete. Darüber hinaus leitet er das Christophorus Hospiz Institut für Bildung und Begegnung und ist seit dem Jahr 2012 fachliche Gesamtleitung des Christophorus-Hauses München, einschließlich eines SAPV-Teams und eines stationären Hospizes. Seit 2006 ist er zudem stellvertretender Sprecher der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Landesvertretung Bayern, und im Lenkungskreis des Münchner Hospiz- und Palliativnetzwerkes (www.mhpn.de) aktiv.
Dipl. Theol. Dipl. Sozialpäd. Josef Raischl
Fachliche Leitung Christophorus-Haus München, Christophorus Hospiz Verein
e. V. München
E-Mail: raischl@chv.org
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Pharmakologische Daten, d. h. u. a. Angaben von Medikamenten, ihren Dosierungen und Applikationen, verändern sich fortlaufend durch klinische Erfahrung, pharmakologische Forschung und Änderung von Produktionsverfahren. Verlag und Autoren haben große Sorgfalt darauf gelegt, dass alle in diesem Buch gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist, da menschliche Irrtümer und Druckfehler nie völlig auszuschließen sind, können Verlag und Autoren hierfür jedoch keine Gewähr und Haftung übernehmen. Jeder Benutzer ist daher dringend angehalten, die gemachten Angaben, insbesondere in Hinsicht auf Arzneimittelnamen, enthaltene Wirkstoffe, spezifische Anwendungsbereiche und Dosierungen anhand des Medikamentenbeipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen und in eigener Verantwortung im Bereich der Patientenversorgung zu handeln. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.
Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.
Dieses Werk enthält Hinweise/Links zu externen Websites Dritter, auf deren Inhalt der Verlag keinen Einfluss hat und die der Haftung der jeweiligen Seitenanbieter oder -betreiber unterliegen. Zum Zeitpunkt der Verlinkung wurden die externen Websites auf mögliche Rechtsverstöße überprüft und dabei keine Rechtsverletzung festgestellt. Ohne konkrete Hinweise auf eine solche Rechtsverletzung ist eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten nicht zumutbar. Sollten jedoch Rechtsverletzungen bekannt werden, werden die betroffenen externen Links soweit möglich unverzüglich entfernt.
1. Auflage 2019
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-034639-0
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-034640-6
epub: ISBN 978-3-17-034641-3
mobi: ISBN 978-3-17-034642-0
Abdallah-Steinkopff, Barbara
Dipl.-Psychologin, Psychotherapeutin, PPT
Refugio München
transfer – Fortbildungs- und Forschungsakademie, München
Barbara.Abdallah-Steinkopff@refugio-muenchen.de
Al Halabi, Muhammad Zouhair Safar, Dr. med. (Syr)
Arzt für Innere Medizin, Strahlentherapie und Palliativmedizin, Düren
Zentralrat der Muslime in Deutschland, Beauftragter für medizinische Ethik, Tierschutz und Umwelt
dr.halabi@gmx.de
Allgaier, Thomas
Dipl.-Theologe
Einrichtungsleiter Haus an der Waakirchner Straße
Katholischer Männerfürsorgeverein München e. V. (KMFV), München
thomas.allgaier@kmfv.de
Bergmann, Lia
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Geschäftsstelle Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V., Berlin
lia.bergmann@palliativmedizin.de
Brinkmann, David, M. A.
Ethnologe
Ethnomedizinisches Zentrum e. V., Hannover
dbrinkmann@ethnomed.com
Bükki, Johannes, PD Dr. med.
Leitender Arzt
SAPV Hospizdienst DaSein e. V., München
dr.j.buekki@hospiz-da-sein.de
El-Bakri, Riad
Heilpraktiker, Astrologe, Mediator in Gesundheitsthemen
München
astromedikus@hotmail.com
Fuchs, Christoph, Dr. phil.
Leitender Arzt
Akutgeriatrie Spital Zofingen ag, Zofingen
christoph.fuchs@spitalzofingen.ch
Gavranidou, Maria, Dr. phil.
Dipl.-Psychologin
PPT, Zentrum für Psychische Gesundheit, München
Maria.Gavranidou@web.de
Goldmann, Jürgen
Dipl.-Sozialpädagoge
Bonn Lighthouse – Verein für Hospizarbeit e. V., Bonn
goldmann@bonn-lighthouse.de
Hein, Kerstin. Dr. phil.
Licenciado en Psicologia (Univ. Diego Portales), Forschungskoordination
Kinderpalliativzentrum am Dr. v. Haunerschen Kinderspital, LMU München, München
Kerstin_Karen.Hein@med.uni-muenchen.de
Hirsmüller, Susanne, Dr. med.
M.Sc. Palliative Care, M. A., Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und Psychoonkologin
Hospiz am Evangelischen Krankenhaus Düsseldorf, Düsseldorf
info@medizinethikteam.de
Hummel, Kerstin, B. A.
Sozialpädagogin
Ambulanter Hospizdienst, Palliativ-Geriatrischer Dienst, Christophorus Hospiz Verein e. V., München
hummel@chv.org
Jox, Ralf J., Prof. Dr. med. Dr. phil.
Palliativmediziner und Medizinethiker
Geriatrische Palliative Care und Institut für Medical Humanities, Centre
Hospitalier Universitaire Vaudois und Universität Lausanne, Lausanne, Schweiz
ralf.jox@chuv.ch
Kilian, Anna
Fachdienst erweiterte Bedarfe und Organisationsentwicklung, Gesundheits- und Krankenpflegerin, Palliativfachkraft
Helfende Hände gemeinnützige GmbH zur Förderung und Betreuung mehrfachbehinderter Kinder und Erwachsener, München
anna.kilian@helfende-haende.org
Kóródi, Katalin
Interkulturelle Trainerin, systemische Beraterin (SG), München
kkorodi@gmail.com
Kromm-Kostjuk, Elena
Dipl.-Psychologin
Ethnomedizinisches Zentrum e. V., Hannover
Ekromm-kostjuk@ethnomed.com
Krupp, Silvia
Gerontologin (FH)
Lebensgestaltung Demenz, München
Silvia.krupp@lebensgestaltungdemenz.de
Kühlmeyer, Katja, Dr. rer. biol. hum.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, LMU München, München
Katja.Kuehlmeyer@med.uni-muenchen.de
Milbradt, Robert
Dipl.-Sozialpädagoge
Systemischer Berater
Ambulantes Hospiz- und Palliative Care-Team, Christophorus Hospiz Verein e. V., München
milbradt@chv.org
Peuten, Sarah, M. A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Zentrum für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung (ZIG), Universität Augsburg, Augsburg
sarah.peuten@phil.uni-augsburg.de
Rabben-Storch, Annette
Dipl.-Sozialpädagogin
Fachstelle für häusliche Versorgung
Landeshauptstadt München
rabben-storch@gmx.de
Randak, Gabriele
Supervision und Coaching, München
www.gabriele-randak.de
Reichelt, Sandra
Dipl.-Sozialpädagogin
Master of Science in Social Work
Kinderpalliativzentrum am Dr. v. Haunerschen Kinderspital, LMU München, München
Sandra.Reichelt@med.uni-muenchen.de
Reindl, Birgit
Dipl.-Sozialpädagogin
Systemische Therapeutin (SG), Fachbereichsleitung Soziale Arbeit und ehrenamtliche Begleitung
Ambulantes Hospiz- und Palliative Care-Team, Christophorus Hospiz Verein e. V., München
reindl@chv.org
Salman, Ramazan
Dipl.-Sozialwissenschaftler
Medizinsoziologe
Ethnomedizinisches Zentrum e. V., Hannover
ethno@salman.info
Schellhammer, Barbara, PD Dr. phil.
Dozentin für Interkulturelle Bildung
Hochschule für Philosophie München, München
barbara.schellhammer@hfph.de
Schneider, Werner, Prof. Dr. phil.
Professur für Soziologie
Universität Augsburg, Augsburg
Werner.Schneider@phil.uni-augsburg.de
Schröer, Margit
Dipl.-Psychologin
Medizinethikteam Düsseldorf, Düsseldorf
info@medizinethikteam.de
Theißing, Katarina
Altenpflegerin, MAS Palliative Care
Stationäres Christophorus Hospiz und Christophorus Hospiz Verein e. V., München
Institut für Bildung und Begegnung
theissing@chv.org
Trautwein, Eva-Maria
Pädagogisch-psychologischer Dienst, Leitung Fachdienst Erwachsene, Palliativfachkraft
Helfende Hände gemeinnützige GmbH zur Förderung und Betreuung mehrfachbehinderter Kinder und Erwachsener, München
evamaria.trautwein@helfende-haende.org
Wagner, Leonhard
Dipl.-Sozialwirt (univ.)
Geschäftsführer des Christophorus Hospiz Verein e. V. und der Christophorus Hospiz Verwaltungs GmbH, München
www.chv.org
Zenker, Dinah
Pflegedienstleitung
Saul Eisenberg Seniorenheim der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, München
pdl-ses@awo-muenchen.de
Die Wanderbewegung von Millionen von Menschen weltweit hat mit großer Wucht nun auch Zentraleuropa erreicht. Bürgerkriege, bewaffnete Auseinandersetzungen und Konflikte, Verfolgung und Vertreibung von Minderheiten und Andersgläubigen, soziale, kulturelle und politische Spannungen sowie nicht zuletzt wirtschaftliche Not und Verelendung führen dazu, dass Menschen etwas vom Grundlegendsten, was sie besitzen, aufgeben: ihre Heimat. Diese Bewegung hat in der Auseinandersetzung der Länder Europas die Frage nach der eigenen und fremden Kultur neu belebt und auch zugespitzt. Die Angst vor dem Fremden und den Fremden, die gar eigenen Besitz, Gewohntes und Geliebtes in Frage stellen, hat einen seit Kriegszeiten ungeahnten Höhepunkt erreicht. Angst bringt Abwehr hervor. Abwehr kann zu Abschottung, zu Mauern und Zäunen, zu Ausgrenzung und Absonderung führen.
Zuwanderer und Zuwanderinnen aus vielen Kulturkreisen sind auch Klientinnen, Patientinnen oder Mitarbeitende in Beratungsstellen, Krankenhäusern, Altenpflege- und sozialen Einrichtungen. Unterschiedliche Religionen, Sprachen und Kulturen treffen aufeinander. Ganz neue Dimensionen erreicht diese Begegnung mit dem Fremden insbesondere in der Pflege, die einen ihrer vielen kritischen Höhepunkte in der Geschichte seit dem zweiten Weltkrieg erlebt. In München haben wir Pflegeheime, die nur noch mithilfe von ausländischen Fach- und Hilfskräften getragen werden können. Zum Teil haben wir einen Anteil von 75 % an ausländischen Pflegekräften im Jahr 2018. Und auf der anderen Seite wird in der Gesundheits- und Pflegeszene heftig über die zunehmende Technisierung, Tele-Medizin, Roboter in der Pflege usw. diskutiert. Die Zahl der Hochbetagten und Pflegebedürftigen nimmt in den nächsten Jahren weiter drastisch zu.
Diese »Bedrohung« durch das Fremde gilt aber nicht nur für die »Fremden«, sondern auch für die vielen fremden Kulturen und Subkulturen in unserem eigenen Land, in unserer Gesellschaft. Man denke dabei an Personen aus anderen sozialen Schichten oder Menschen mit besonderen (sozialen) Bedürfnissen, beispielsweise wohnungslose oder suchtmittelabhängige Menschen.
Das sind gesellschaftliche und gesundheitspolitische Entwicklungen, die natürlich auch die Versorgung von Schwerkranken und Sterbenden unmittelbar berühren. Mitarbeitende in Palliative Care- und Hospizeinrichtungen werden nach einer nunmehr über 30-jährigen Geschichte in Deutschland mit durchaus »anderen« und »fremden« Menschen und Zugehörigen-Systemen konfrontiert. Die Konzentration galt natürlicherweise der Spezialisierung und Etablierung von Fachkenntnissen, von Qualitätsstandards und der überschaubaren Umsetzung dieser Expertise. Das Gesundheitssystem hat in diesen Jahren vieles in diese neue und dynamische Szene delegiert.
Nun sind wir in den »Niederungen« der Realität angekommen und das Hospiz- und Palliativgesetz des Jahres 2015 brachte insbesondere die Kehrtwende hin zur allgemeinen Versorgung, zur Bearbeitung der Schnittstellen und zur Vernetzung. »Ihr im Hospiz habt gut reden!« (Motto des Palliativpflege-Fachtags an der Katholischen Stiftungshochschule im Februar 2018). Diese viel gehörte Aussage bezeichnet präzise die Herausforderung: Kann dieser Ansatz re-integriert werden in das allgemeine Versorgungssystem? In der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland wird genau in diesem Sinne gefordert: »Jeder schwerstkranke und sterbende Mensch hat ein Recht auf eine umfassende medizinische, pflegerische, psychosoziale und spirituelle Betreuung und Begleitung, die seiner individuellen Lebenssituation und seinem hospizlich-palliativen Versorgungsbedarf Rechnung trägt.« (Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V. et al. 2010, S. 11). Inmitten dieser großen systemischen Prozesse ist die Frage nach der Kultursensibilität am Ende des Lebens und in der Sorge-Welt am Ende des Lebens von zentraler Bedeutung für die Realisierung dieser Forderung.
Was dies meint, welche Aspekte darunter fallen und wie dies ganz praktisch aussehen kann, versuchen wir in diesem Band aufzuzeigen. Dabei gehen wir von einem weiten Kulturverständnis aus, das Kultur als Lebenswelt versteht. Lebenswelt meint dabei die Welt, die jede Person in ihrem Alltag vorfindet. Werte, Normen und Regeln werden zumeist als unabänderlich erlebt und nicht hinterfragt.
Wir danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Beteiligung an diesem Buch. Unterschiedliche Charaktere zeichnen die Beiträge in diesem Buch aus, von wissenschaftlichen bis hin zu eher erfahrungsbezogenen Berichten. Des Weiteren wollen wir den Menschen danken, die uns bei der Erstellung des Buchs unterstützt haben: Das ist zum einen Frau Hamani, die uns bei der Endkorrektur und Formatierung unterstützt hat, und zum anderen Frau Boll und Frau Rapp vom Kohlhammer Verlag. Unser größter Dank gilt den sterbenden Menschen und ihren Familien mit höchst unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, die wir begleiten durften und die unsere größten Lehrmeister waren und sind.
Die Bandbreite und Verschiedenheit der einzelnen Beiträge in diesem Werk regt Sie, liebe Leser und Leserinnen1, hoffentlich dazu an, über die Sensibilität in der Begegnung mit dem Fremden, auch dem Fremden in uns selbst, nicht nur nachzudenken, sondern auch das ein oder andere in Ihre Welt zu übertragen und anzuwenden.
München, Mai 2019
Prof. Dr. Maria Wasner und Josef Raischl
1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden i. d. R. auf die Nennung verschiedener Formen verzichtet und ausschließlich die weibliche Form verwendet. Gemeint sind stets alle Geschlechter.
Was alle angeht, können nur alle lösen.
Jeder Versuch eines einzelnen für sich zu lösen,
was alle angeht, muss scheitern.
Friedrich Dürrenmatt
In der Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland ist im Leitsatz 3 zu den Anforderungen an die Aus-, Weiter- und Fortbildung zu lesen, dass jeder schwerstkranke und sterbende Mensch ein Recht auf eine angemessene, qualifizierte und bei Bedarf multiprofessionelle Behandlung und Begleitung hat. Um diesem gerecht zu werden, müssen die in der Hospiz- und Palliativversorgung Tätigen die Möglichkeit haben, sich weiter zu qualifizieren, um so über das erforderliche Fachwissen, notwendige Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie eine reflektierte Haltung zu verfügen. Für diese Haltung bedarf es der Bereitschaft, sich mit der eigenen Sterblichkeit sowie mit spirituellen und ethischen Fragen auseinanderzusetzen. Die Weiterentwicklung der Hospiz- und Palliativversorgung lebt auch von dieser Bereitschaft. Aber auch für Menschen, die nicht in der Hospiz- und Palliativversorgung tätig sind, ist eine Auseinandersetzung mit ethisch und moralischen Fragestellungen zu den Themen Krankheit, Sterben und Tod unerlässlich. Je besser es gelingt, z. B. junge Menschen diese Themen nahezubringen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie jetzt und später als Erwachsene Einfluss auf einen respektvollen Umgang mit Sterben, Tod und Trauer nehmen.
Sterben, Tod und Trauer als Teil des Lebens zu begreifen, dies im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern und allen Menschen in Deutschland ihren individuellen Bedürfnissen entsprechend einen gerechten Zugang zu einer würdevollen Begleitung und Versorgung am Lebensende zu ermöglichen – darum geht es in der Umsetzung der Charta im Rahmen einer Nationalen Strategie.
Es ist ein Verdienst der Herausgeber, in diesem Buch eine Vielzahl von Beiträgen anzuführen, welche sich mit Herausforderungen in der Hospiz- und Palliativarbeit befassen und damit Initiativen zur Umsetzung der Charta und ihrer Handlungsempfehlungen aufzuzeigen. In diesem Buch werden Gruppen besonders betroffener Menschen in den Mittelpunkt gestellt, wie z. B. Menschen mit Migrationshintergrund, mit geistiger Beeinträchtigung, von Wohnungslosigkeit betroffene sowie Menschen in Vollzugseinrichtungen, die in der Hospiz- und Palliativversorgung bislang noch nicht ausreichend im Blick sind. Die Art und Weise, wie die Themen hier dargeboten werden, zeugt von intensiver Auseinandersetzung der Autorinnen und Autoren sowie langjähriger praktischer Erfahrungen in der Hospiz- und Palliativarbeit.
Ich wünsche dem Buch eine wache Leserschaft und eine große Verbreitung und freue mich, dieses Buch als eine Initiative zur Umsetzung der Charta und ihrer Handlungsempfehlungen im Rahmen einer Nationalen Strategie vorzustellen.
Berlin, Mai 2019
Franziska Kopitzsch
Leiterin der Koordinierungsstelle für Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland
Kultur und kulturelle Unterschiede erleben seit der Flüchtlingskrise in Deutschland erneut einen Aufschwung. Die Diskussion um eigene und fremde Kulturen, was Bestandteil der deutschen Kultur ist und was nicht, welche Lebensweisen mit welcher Kultur verbunden sind oder wie Menschen aus Ländern wie Syrien oder Nigeria in die deutsche Kultur integriert werden können, ist immer wieder Thema in den Medien. Nicht selten wird Kultur von verschiedenen politischen Lagern zu eigenen Zwecken missbraucht und als Rechtfertigung zur Ausgrenzung bestimmter Gruppen von Menschen verwendet.
Obwohl Kultur immer wieder Thema ist, so versteht man darunter doch Verschiedenes: Kultur umfasst nationale Kulturen, aber auch Bildung und Erziehung und die Bereiche Musik, Literatur und Kunst. Somit ist der Kulturbegriff alles andere als selbstverständlich. Seine Bedeutung ist weder klar umrissen noch einheitlich definiert und ändert sich je nachdem, wer sich wann zum Thema äußert. Wenn wir im Alltag von Kultur sprechen, überlagern sich verschiedene Bedeutungen.
Ursprünglich kommt das Wort »Kultur« von dem lateinischen Wort »cultura«, welches wiederum von dem Verb »colere« abgeleitet werden kann. »Colere« bedeutet sorgfältiges pflegen, gestalten oder bearbeiten. Somit bedeutete »cultura« in der altrömischen Gesellschaft zunächst einmal die Bearbeitung eines Ackers. Im Laufe der Zeit erfuhr der Begriff allerdings eine metaphorische Übertragung von der Landschaft auf den Menschen. Somit veränderte sich der Gegenstand der »cultura« von der Sachkultivierung (»cultura rerum«) über die Körperkultivierung (»cultura corporis«) und bezog sich schließlich auf die Geisteskultivierung (»cultura animi«). In der Zeit der Aufklärung wurde der Begriff von Individuen auf ganze Völker und Epochen übertragen und unter der Bezeichnung »Zivilisation« oder »Kultur« diskutiert (Busche 2000; Nühlen 2016). Aus diesen Diskussionen entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts dann der moderne Begriff von Kultur (Kroeber und Kluckhohn 1952).
Die erste Bedeutung von Kultur entwickelte sich in der Antike und verstand Kultur als die Bearbeitung von Naturanlagen und Geisteskultivierung. Weitere Auffassungen von Kultur entstanden später durch die Übertragung des Kultivierungsgedankens auf ganze Epochen und Gesellschaften (Busche 2000; Nühlen 2016; Reckwitz 2004). Geprägt wurde diese Bedeutungsverschiebung durch die Begegnung mit fremden Lebensweisen im Kontext der europäischen Entdeckung, Eroberung und späteren Kolonisierung weiter Teile dieser Erde (Todorov 1991; Young 1995). Postkoloniale Autorinnen machen dementsprechend darauf aufmerksam, dass die historische Entwicklung des Kulturkonzepts oft in Gegensätzen formuliert wird, wie zum Beispiel »Kultur versus Natur« oder »Zivilisation versus Barbarei«. In der bipolaren Darstellung zeigen sich stets zwei voneinander abhängige Begriffe, die jedoch nicht gleichberechtigt sind, sondern eine Hierarchie aufweisen. Postkoloniale Intellektuelle sehen darin eine stereotypisierte Form von Wissen, die der Westen im Laufe des Kolonialismus und Imperialismus über nicht westliche Gesellschaften produziert hat (Hall 2000; Bhabha 2000).
In der Antike verstand man unter Kultur das »formgebend veredelnde Bearbeiten und Pflegen natürlicher Anlagen (um die Vervollkommnung ihrer Früchte willen) durch den Menschen.« (Busche 2000, S. 70). Die Idee der Kultivierung wurde auch auf den Menschen übertragen. Dieser sollte durch Pflege vom Naturmensch zum Kulturmensch werden. Dabei umfasste die Kultivierung des Individuums sowohl die Veredelung des Körpers als auch die des Geistes (Busche 2000; Nühlen 2016).
In seiner klassischen Grundbedeutung wurde Kultur als Gegensatz zur Natur konzipiert. Dabei wurde Natur als unvollkommener Rohzustand betrachtet, der durch menschliche Tätigkeit bearbeitet werden musste, um den Zustand der Vollkommenheit erlangen zu können (Reckwitz 2004). Aus dieser Vorstellung entwickelte sich auch die Grundannahme, dass Kultur nicht von alleine entsteht, sondern erlernt werden muss. Das heißt, dass angeborene Reflexe und Verhaltensweisen, die auf biologischen Grundlagen beruhen, grundsätzlich nicht als kulturelle Eigenschaften betrachtet werden (Beer 2012).
Mit der Aufklärung wurde Kultur vom Individuum auf ganze Gesellschaften und Epochen übertragen. Dabei bezeichnete Kultur den Grad der Kultivierung und Entwicklung einer Gesellschaft oder Epoche (Busche 2000; Nühlen 2016). Kultiviert waren Gesellschaften, die einen höheren Grad an Bildung und Verfeinerung der Sitten zeigten. Reckwitz (2004) bezeichnet diese Sichtweise als normatives Kulturkonzept. Die normative Vorstellung von Kultur wurde vor allem in England und Frankreich im Rahmen des Kolonialismus und Imperialismus unter dem Begriff »Zivilisation« diskutiert.
Zivilisation wurde als Lebensform definiert, die für jeden Menschen und jede Gesellschaft als erstrebenswert galt (Kroeber und Kluckhohn 1952; Young 1995). Man ging davon aus, dass alle Gesellschaften dieser Welt einem Prozess des Fortschritts unterworfen waren, dessen Höhepunkt die Zivilisation war. Dabei muss man bedenken, dass der Gedanke der Zivilisation im Kontext des Kolonialismus und Imperialismus entwickelt wurde und sich europäische Gesellschaften dementsprechend als Maßstab des gesellschaftlichen Fortschritts betrachteten. Nicht-europäische Gesellschaften wurden dabei anhand westlicher Kriterien beurteilt und als defizitär und rückständig wahrgenommen (Hall 2000; Young 1995; Todorov 1991).
Die Begegnung mit fremden Lebensweisen diente auch der Ausarbeitung der Gegensätze zwischen zivilisiert und barbarisch (Todorov 1991). Barbarei wurde im Zuge der Aufklärung als mangelnde Kultivierung definiert. Barbarisches oder unzivilisiertes Handeln wurde mit einem unkontrollierten und impulsiven Verhalten gleichgesetzt. Als zivilisiert oder kultiviert galten hingegen Verhaltensweisen, die sich durch eine zivilisatorische Zähmung des Subjekts auszeichneten.
Die Vorstellung von Kultur als die Lebensweise eines Volks entwickelte sich etwa Ende des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum (Kroeber und Kluckhohn 1952). Der Begriff widersetzte sich dem Fortschrittskonzept der Zivilisation und machte Kultur zum charakteristischen Ausdruck einer Gemeinschaft (Busche 2000; Nühlen 2016; Kroeber und Kluckhohn 1952). Aus der Perspektive der Zivilisation war es noch möglich, bestimmte Gesellschaften als unzivilisiert und somit als kulturlos zu betrachten. Aus Sichtweise der Kultur als Lebensform eines Volks gab es keine kulturlosen Kollektive mehr, sondern nur noch Kulturen im Plural. Zwar wurde immer noch davon ausgegangen, dass einige Gesellschaften weiter entwickelt waren als andere (Young 1995). Dennoch verlagerte sich der Schwerpunkt von der Idee einer allgemeingültigen und erstrebenswerten Lebensweise hin zur Beachtung spezifischer Lebensformen einzelner Kollektive. Es wurden eher das Nebeneinander verschiedener Kulturen und der dadurch entstehende kulturelle Relativismus betont (Dornheim 2007).
In Deutschland setzte sich vor allem der Kulturbegriff von Johann Gottfried von Herder durch. Herder betrachtete Kultur als die charakteristische Lebensweise eines Volks, die sich aus der Beziehung zum spezifischen Lebensraum und aus Traditionen und Sprache heraus entwickelt (Young 1995). Hervorzuheben ist, dass die Lebensweise eines Volks als eine in sich geschlossene Einheit definiert wurde. Demnach wurde Kultur nach innen als homogenes Gebilde betrachtet, während sie sich nach außen von anderen Kulturen abgrenzte. Es setzte sich das Bild von Kulturen als isolierte und sich gegenseitig abstoßende Kugeln durch (Kroeber und Kluckhohn 1952; Welsch 1997; Welsch 2002). Die Wahrnehmung von Kultur als abgeschlossene Einheit begünstigte die Vorstellung, Kultur sei eine Art Gegenstand oder Substanz. Man bezeichnet diese Auffassung daher auch als essentialistisches Kulturkonzept.
Das essentialistische Kulturkonzept diente im 18. und 19. Jahrhundert als Legitimierung für das erwachende Nationalbewusstsein und unterstützte die Bildung moderner Nationalstaaten (Young 1995; Busche 2000). Nationen entsprechen einer komplexen Konstruktion, die einen nationalen Staat mit einem Volk, einer Kultur und einem Territorium verbindet. Nationalkultur bezeichnet dabei die Lebensweise des Volks, das auf dem nationalen Territorium wohnt. Nationalkulturen werden als einheitliche und abgeschlossene Formationen dargestellt, die einen gemeinsamen Ursprung, eine gemeinsame Geschichte und gemeinsame Traditionen besitzen. Darüber hinaus werden Kontinuität und Zeitlosigkeit betont, so dass Nationalkulturen als statisch und unveränderbar wahrgenommen werden (Hall 2000).
In der Gegenwart wird der Begriff von Kultur weitestgehend mit Nationalkultur gleichgesetzt. Dabei wird die Teilhabe an einem Nationalstaat gleichzeitig als kulturelle Teilhabe interpretiert, was problematisch ist, da Nationalstaaten in der Regel sehr heterogene Lebensweisen umfassen. Davon abgesehen müssen Staatsangehörigkeit und gelebte Kultur nicht übereinstimmen. Die Idee essentialistischer Kulturen begünstigt schließlich die Vorstellung, dass Nationalkulturen nicht miteinander, sondern nur nebeneinander existieren können. Man spricht von der Inkommensurabilität nationalkultureller Perspektiven oder auch von Kulturen im Widerstreit (Welsch 1997; Welsch 2002; Beck 2004).
Kultur besitzt noch eine weitere Bedeutung, welche die Sphäre der Kunst, Bildung und Wissenschaft innerhalb einer bestimmten Gesellschaft umfasst. Dieser Begriff baut sowohl auf der Vorstellung von Kultur als Zivilisation als auch auf der Idee von Kultur als geschlossenes Ganzes auf. Da es sich um einen Teilbereich innerhalb einer Gesellschaft handelt, wird diese Auffassung auch als sektoraler Kulturbegriff bezeichnet (Reckwitz 2004).
Der sektorale Kulturbegriff reduziert Kultur auf die höhere kulturelle Welt der Kunst und Bildung. Man spricht von wertvollen Kulturgütern und Kunstwerken. Der Kulturmensch gilt als Teil einer sozialen Elite, ist gebildet, hat die Werte des Humanismus verinnerlicht und sieht die Welt durch eine intellektuelle oder ästhetische Brille. Es wird zwischen einer hohen Kultur und der Kultur des Volks unterschieden. Hohe Kultur entspricht der gesellschaftlichen Sphäre, in der die kulturelle Elite verkehrt. Volkskultur oder Populärkultur entspricht hingegen der Lebensweise der breiten Bevölkerung. Im Vergleich zur hohen Kultur wird Volkskultur nicht wirklich als Kultur, sondern eher als Mangel an Kultur wahrgenommen (Busche 2000; Nühlen 2016).
In der Gegenüberstellung zwischen Hochkultur und Volkskultur spiegelt sich der Kampf um soziale Anerkennung und symbolische Macht wider, der sich zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen abspielt. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (2003) befasste sich mit solchen Machtverhältnissen und untersuchte die kulturelle Praxis sozialer Klassen. Aus seiner Sicht bemühen sich dominante Klassen um Distinktion, d. h. sie versuchen, sich stets von anderen sozialen Schichten abzugrenzen und den Unterschied möglichst aufrechtzuerhalten, um ihre Machtposition nicht aufgeben zu müssen. Eine Strategie dabei ist, den eigenen Lebensstil als normal zu deklarieren und die Praxis anderer sozialer Schichten an den eigenen kulturellen Standards zu messen und somit als defizitär zu beurteilen.
Laut Bourdieu zeigt jede soziale Klasse charakteristische kulturelle und ästhetische Praktiken, die sich aus historisch und gesellschaftlich bedingten Lebensbedingungen entwickeln. In seinen Untersuchungen fand er zum Beispiel heraus, dass Mitglieder der Arbeiterklassen das Praktische über das Ästhetische bevorzugten, während Personen aus privilegierteren sozialen Schichten im umgekehrten Sinn Form vor Funktion favorisierten. Individuen wachsen in solchen Kontexten auf und verinnerlichen diese kulturellen Aspekte in Form eines Habitus. Unter Habitus verstand Bourdieu praktisches Wissen, das eine Person entlang ihrer Sozialisation in Form von Dispositionen und Schemata verinnerlicht. Schemata stellen für das Individuum Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsmuster bereit und bieten somit Orientierung. Der Habitus manifestiert sich weiterhin im Geschmack, den Werten, in den Überzeugungen und dem Lebensstil einer Person. Der Habitus ist sozusagen der verkörperte kulturelle Ausdruck einer bestimmten sozialen Schicht (Bourdieu 2003).
Etwa zur gleichen Zeit wie Bourdieu beschäftigten sich auch die Cultural Studies in Birmingham mit der Kultur der Klasse. Die Cultural Studies sahen nationale Kulturen ebenfalls als Austragsort sozialer Konflikte und argumentierten, dass die Lebensweisen einzelner Individuen stärker durch Klassenverhältnisse als durch Nationalkultur bestimmt wurden. Dementsprechend richteten sie ihre Aufmerksamkeit auf die Untersuchung der kulturellen Praxis der Arbeiterklasse und versuchten dabei, eine nicht-elitäre Kulturforschung durchzusetzen (Bromley 1999; Johnson 1999). Mit den Cultural Studies erfolgte die Abkehr von der Reduktion des Kulturbegriffs auf die Sphäre der Hochkultur einer Gesellschaft hin zu der Ansicht, dass Kultur die gesamte Lebensweise sozialer Gruppen umfassen sollte. Diese Umdeutung bewirkte, dass kulturelle Analysen nun verstärkt den Alltag und die lokalen Lebensweisen von gesellschaftlichen Randgruppen untersuchten (Hall 1999).
Das Verständnis von Kultur als charakteristische Lebensweise eines Volks wurde im 19. Jahrhundert von der angloamerikanischen Kulturanthropologie übernommen und prägte die darauffolgenden wissenschaftlichen Diskussionen über das Thema (Kroeber und Kluckhohn 1952). Die erste bekannte wissenschaftliche Auslegung von Kultur entsprach der Definition des britischen Anthropologen Edward B. Tylor. In seinem Buch »Primitive Culture« bezeichnete er Kultur als »that complex whole which includes knowledge, belief, art, morals, law, custom, and any other capabilities and habits acquired by man as a member of society« (Tylor 1920, S. 1).
In den ersten ethnographischen Untersuchungen wurde Kultur noch als geschlossener Gegenstand betrachtet, der entdeckt, beobachtet und beschrieben werden konnte. Die Beobachterinnen stellten dabei ihre eigene soziale und kulturelle Position kaum in Frage, sondern gingen davon aus, dass sie ihren Gegenstand neutral und objektiv beschreiben konnten. Diese Sichtweise wurde mit der »interpretativen Wende« in den frühen 1970er Jahren grundsätzlich in Frage gestellt. Ab dann wurde der Schwerpunkt von dem Beschreiben auf das Verstehen und Interpretieren kultureller Zusammenhänge verschoben. Kultur wurde im weitesten Sinn als Text verstanden.
Eine Schlüsselfigur in der Entwicklung und Verbreitung des bedeutungsorientierten Kulturkonzepts war der US-amerikanische Anthropologe Clifford Geertz. Geertz ging davon aus, dass das soziale Leben durch Zeichen und Symbole organisiert ist. Er definierte Kultur als komplexes Bedeutungsgewebe, welches sozialen Ereignissen, Institutionen und individuellen Aktionen Sinn verleiht (Geertz 1973; Bachmann-Medick 2014).
»The concept of culture I espouse, […] is essentially a semiotic one. Believing, with Max Weber that man is an animal suspended in webs of significance he himself has spun, I take culture to be those webs, and the analysis of it to be therefore not an experimental science in search of law but an interpretive one in search of meaning.« (Geertz 1973, S. 5)
Aus der Sicht eines bedeutungsorientierten Kulturbegriffs wird individuelles Verhalten als sinnhaftes Handeln verstanden, dessen Bedeutung entziffert werden muss. Die Aufgabe einer Ethnographin besteht darin, diese Bedeutung herauszuarbeiten und eine »dichte Beschreibung« bzw. eine Rekonstruktion der subjektiven Sichtweisen anderer Menschen zu erstellen (Geertz 1973).
Die Rekonstruktion subjektiver Sichtweisen ist im interpretativen Paradigma von zentraler Bedeutung, da man davon ausgeht, dass objektive Lebensbedingungen erst durch ihre subjektive Deutung relevant werden. Das heißt, dass Menschen auf der Grundlage von Bedeutungen handeln, die sie Objekten, Ereignissen, Situationen oder Personen zuschreiben, und nicht auf der Basis objektiver Gegebenheiten. Erkenntnistheoretische Überlegungen unterstützen diese Ansicht, indem sie argumentieren, dass Menschen keinen Zugang zur eigentlichen Welt und somit auch keinen Zugang zur absoluten Wahrheit haben. Sie können sich nur ein Bild davon machen und zwar immer nur aus der eigenen Beobachterperspektive (Maturana 1970; Pörksen 2008). Auf der Grundlage dieser Prämisse entwickelte sich die Idee des sozialen Konstruktionismus. Diese Theorie behauptet, dass man die Realität an sich nicht erkennen kann. Was als Wirklichkeit betrachtet wird ist die Wirklichkeit, so wie sie von Menschen definiert wird (Gergen und Gergen 2009).
In den Kultur- und Sozialwissenschaften herrscht der Konsens, dass die Konstruktion von Wirklichkeit durch gemeinsames und koordiniertes Handeln erfolgt. Das bedeutet, dass die Bedeutungen, die Menschen den Objekten, Ereignissen oder Personen zuschreiben, im Kontext sozialer Interaktionen hergestellt werden. Individuen zeigen im gemeinsamen Handeln wechselseitig den Sinn ihrer Handlungen an und verständigen sich somit über die gemeinsame Situation. Dadurch erzeugen sie gemeinsame Interpretationen, an denen sie sich im Verlauf der Interaktion orientieren (Abels 2007).
Wenn man davon ausgeht, dass die Wirklichkeit sozial konstruiert wird, so verliert diese ihren selbstverständlichen Charakter und wird kontingent. Das bedeutet, dass die Realität durch den gesellschaftlichen und historischen Kontext bestimmt wird und nicht als natürlich gegeben betrachtet werden kann. Reckwitz (2004) überträgt diesen Gedanken auf das Konzept der Kultur und betrachtet Kontingenz als zentrales Merkmal eines interpretativen Kulturbegriffs.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Kultur aus der Perspektive eines interpretativen Paradigmas als Bedeutungsstruktur betrachtet wird, die in alltäglichen Interaktionen produziert, reproduziert und immer wieder verändert wird. Sie ist das Produkt intersubjektiver Konstruktionsleistungen. Diejenigen, die die bedeutungsorientierte Auffassung von Kultur kritisieren, merken allerdings an, dass durch diese Definition die Untersuchung sozialer Praktiken und die materiellen Bedingungen von Kultur vernachlässigt wurden.