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Vietnamesische Sagen und Legenden

Vietnamesisch–Deutsch

Von

Trang-Ðài Vũ

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.

ISBN 978-3-87548-966-8

eISBN 978-3-96769-001-9

© 2019 Helmut Buske Verlag GmbH, Hamburg. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. www.buske.de

Inhalt

Einführung

1Huyn sử: Lạc Long Quân & Âu Cơ

Die Legende: Lạc Long Quân & Âu Cơ

2Chử Đng Tử & Công Chúa Tiên Dung

Chử Đng Tử & Prinzessin Tiên Dung

3Truyện cổ tích Thánh Gióng

Die Legende von der Gottheit Gióng

4Sự tích Bánh chưng, Bánh dy

Die Geschichte von Bánh Chưng, Bánh Dy

5Sự tích tru cau

Die Sage von der Betelnuss

6Sự Tích Chú Cuội Trên Cung Trăng

Die Sage von Onkel Cuội im Mond

7Sơn Tinh, Thủy Tinh

Sơn Tinh, Thủy Tinh – oder warum der Monsunregen alljährlich wiederkehrt

8Sự tích quả dưa hấu

Die Geschichte der Wassermelone

9Mỵ Châu & Trọng Thủy hay là chuyện nỏ thn

Mỵ Châu & Trọng Thủy oder die Legende vom Zauberbogen

10Sự tích H Gươm (H Hoàn Kiếm)

Die Legende vom Schwertsee (Hoan-Kiem-See)

Glossar

Einführung

Bei dieser kleinen Sammlung handelt es sich um eine persönliche Auswahl an Lieblingsgeschichten aus meiner Kindheit. All diese Geschichten sind aber zugleich auch beliebte Sagen und Legenden Vietnams, welche die meisten vietnamesischen Kinder bereits im Grundschulalter kennen. Die deutschen Übersetzungen sollen als Lernhilfe dienen und wurden unter Berücksichtigung der Märchensprache und möglichst nahe am vietnamesischen Original von mir selbst verfasst. Im Glossar finden sich Erklärungen zu Wörtern und Begriffen, die den Leserinnen und Lesern zusätzliche Hintergrundinformationen liefern.

Märchen, Legenden und Sagen haben seit jeher eine besondere Stellung in der vietnamesischen Gesellschaft. Noch wenig von der Wissenschaft erforscht, stellt die volkstümliche Literatur, die über Jahrhunderte hinweg in unterschiedlichen Varianten mündlich überliefert wurde, ein großes kulturelles Erbe Vietnams dar. Häufig dienen die Geschichten über die Ursprünge und Helden des Landes dazu, die Menschen ihren schweren Alltag vergessen zu lassen oder sie in ihrem Glauben zu stärken. Aus der Zeit der Hùng-Könige gibt es eine Reihe von Geschichten, die kulturgeschichtliche Fakten mit überirdischen Ereignissen zusammenbringen. Diese Geschichten versuchen, Erklärungen für bestimmte Naturerscheinungen zu finden oder der Verbundenheit des Volkes im Kampf gegen fremde Mächte Ausdruck zu verleihen. Vor dem Hintergrund, dass Vietnam ein Land ist, welches im Laufe seiner Geschichte immer wieder von Kriegen und Naturkatastrophen heimgesucht wurde, ist es nicht verwunderlich, dass diese Geschichten zur Unterhaltung und Ermutigung unter dem Volk weite Verbreitung fanden.

Die zehn Erzählungen in diesem Band lassen sich einer gewissen Chronologie zuordnen. Am Anfang steht die Schöpfungsgeschichte des vietnamesischen Volkes.

Der Legende nach wird König Kinh Dương Vương, der etwa 2000 Jahre vor Christus lebte, als Urahne des vietnamesischen Volkes betrachtet. In dem Ursprungsmythos Lạc Long Quân & Âu Cơ wird erzählt, wie sein Sohn und Thronfolger Lạc Long Quân („Drachenherrscher von Lạc“) mit seiner Frau Âu Cơ das vietnamesische Volk gründete.

Lạc Long Quân gilt als Vater des vietnamesischen Volkes und bekämpfte als erster richtiger König des Landes erfolgreich mystische Wesen, die aufgrund ihres Alters Zauberkräfte erlangt hatten. Später brachte er seinem Volk die Fischerei, den Reisanbau, das Reiskochen in Bambusrohren und das Tätowieren bei. Als Nachfahre von Wasserdrachen hielt er sich gern im Wasser auf und zeichnete sich durch außergewöhnliche Stärke und Intelligenz aus.

Der Legende nach entstammen die Nachkommen von Lạc Long Quân und Âu Cơ – also die ersten Vietnamesen – einem Eiersack mit einhundert Eiern. Fünfzig folgten der Mutter in die Berge, wo sie die Hochland-Stämme gründeten, und fünfzig folgten dem Vater ans Meer, wo sie zu den Vorfahren der Tiefland-Vietnamesen wurden. Der älteste Sohn, der dem Vater gefolgt war, wurde zum Thronfolger ernannt und regierte unter dem Namen Hùng Vương („König Hùng“).

In diesem Entstehungsmythos wird deutlich, wie das Bewusstsein für die Gesellschaft entstand und wie die Menschen anfingen, ihre Beziehung zur Natur zu verstehen. Sie erkannten die Stärken einer Volksgemeinschaft im Kampf gegen die Mächte der Natur oder Feinde ebenso wie die Vorteile des Miteinanders bei der Erzeugung und dem Austausch von Produkten. Die Menschen schlossen sich zu einem ersten embryonalen Staat Vietnam zusammen und wurden von ihrem König beschützt. Das erste Reich des Königs Hùng hatte den Namen Văn Lang.

Wer die oben beschriebene Legende kennt, wird verstehen, warum Vietnamesen sich noch heute stolz als Nachfahren von Wasserdrachen und Bergfeen („con rng, cháu tiên“) bezeichnen. Heute befindet sich der Haupttempel des Lạc Long Quân am Hügel Sim in der Provinz Phú Thọ, in unmittelbarer Umgebung der Tempelanlage seiner Nachfolger, der Hùng-Könige. Im Dorf Á Lữ, Kreis Thuận Thành, Provinz Bắc Ninh (30 km nördlich von Hanoi) ist das Grab des Urahnen Kinh Dương Vương noch heute erhalten und zu besichtigen.

Die Nachfolger des ersten Königs Hùng hießen alle Hùng Vương und es soll insgesamt achtzehn Hùng-Könige gegeben haben, deren Herrschaftszeiten einen Zeitraum von 2000 Jahren umfassen sollen. Ein Erklärungsversuch für diese zweifelhafte Darstellung lautet: „Die Zahl 18 ist und alle Vielfachen von 9 sind nach der Überlieferung mystische Zahlen mit symbolischer Bedeutung und als solche nicht auf herkömmliche Weise mathematisch exakt übertragbar. Außerdem kann man 18 Königsgenerationen wohl auch als ‚lange Folge‘ im Sinne von Dynastien verstehen.“ (Ha, Van Thu; Tran, Hong Duc, Chronik der vietnamesischen Geschichte, Hanoi 2015).

In der zweiten Erzählung dieses Buches geht es um die Geschichte und den Lebensweg von Chử Đng Tử und seiner schönen Frau Tiên Dung, die beide zu Höherem berufen waren. Es heißt, dass Chử Đng Tử einer der ersten buddhistischen Schüler war, der die buddhistische Lehre nach Vietnam brachte. In dieser Geschichte werden jene Werte und Tugenden deutlich, welche für Vietnamesen sehr wichtig sind, u.a. Bescheidenheit, Respekt und Liebe den Eltern gegenüber (hiếu) sowie auch der Glaube an höhere Mächte. Die Belohnung für die Liebe, die Chử Đng Tử seinem Vater noch im Tod entgegenbrachte, war die Heirat mit der wunderschönen Prinzessin Tiên Dung. Obwohl Tiên Dung daraufhin vom König verstoßen wurde, brachte das Leben mit ihr für Chử Đng Tử große Erfolge und Reichtum mit sich.

Dennoch war er voller Demut und Bescheidenheit und begab sich ein Jahr lang in die Obhut eines Gelehrten, als es ihn nach einem Sturm weit weg auf eine Insel verschlug und er auf einen Geistlichen traf, der in ihm etwas Besonderes erkannte (die Unsterblichkeit auf seiner Stirn). In manchen Quellen finden sich Andeutungen darauf, dass Chử Đng Tử in jener Zeit in die buddhistische Lehre eingewiesen wurde, welche er als einer der ersten Schüler nach Vietnam brachte. Auch die Gegenstände, die ihm der Geistliche am Ende seiner Lehrzeit mitgab, waren Symbole und Ausdruck von Demut und Bescheidenheit (Stock und Strohhut).

Obwohl Chử Đng Tử und seine Frau nach seiner Rückkehr von der Insel auf ihr altes materialistisches Leben verzichteten und sich nur mit dem Stock und dem Strohhut auf den Weg machten, brachten ihnen diesen beiden Gegenständen Macht und Reichtum ein und machten sie über Nacht zu Herrschern eines ganzen Königsreiches. Die Entscheidung Tiên Dungs, sich dem Willen des Vaters zu beugen und ihr Schicksal in die Hände von höheren Mächten zu legen, gab ihnen letzten Endes die Unsterblichkeit und die Erleuchtung. Mit ihrem Mann samt dem glanzvollen Palast flog sie in den Himmel.

Die in diesem Band versammelten Sagen und Legenden lassen sich in drei Kategorien einordnen. Zum einen geht es um Ursprungsgeschichten wie bei Lạc Long Quân & Âu Cơ oder um die Erklärung von Naturerscheinungen und -ereignissen. So wird zum Beispiel in der Geschichte von Onkel Cuội erklärt, wie der Schatten im Mond, den wir von der Erde aus wahrnehmen, zustande kommt. In Sơn Tinh, Thủy Tinh („der Berggott, der Wassergott“), einem berühmten vietnamesischen Mythos, werden die Gezeiten und die verheerenden Überschwemmungen in Vietnam als Folge des Monsuns erklärt. Für diese Naturgegebenheiten soll der Wassergott verantwortlich sein, der mit Regen und Stürmen seinem Unmut über die verlorene Liebe Ausdruck verleiht. Wahrscheinlich fiel es den Menschen leichter, jene Naturgewalten zu akzeptieren, welche alljährlich ihre Felder und Häuser zerstörten, wenn sie sich diese Geschichten gegenseitig erzählten.

In einer Reihe von Erzählungen werden Sitten und Bräuche der Vietnamesen reflektiert. Es geht dabei häufig um die Wiedergabe von Werten und Traditionen, die für die vietnamesische Gesellschaft und deren Zusammenhalt essentiell sind, so zum Beispiel in der Geschichte von der Betelnuss (Sự tích tru cau), der Wassermelone (Sự tích quả dưa hấu) oder von Bánh chưng und Bánh dy (Sự tích Bánh chưng, Bánh dy). In diesen Erzählungen stehen immer wieder der Mensch und seine Beziehung zu anderen Familienmitgliedern oder anderen Menschen im Vordergrund. Zudem werden hier bestimmte Traditionen erklärt, etwa, dass bei Festen wie der Verlobung oder der Hochzeit auch heute noch die Betelnuss, welche Treue und Familienbande symbolisiert, nicht fehlen darf oder zu Tết („vietnamesisches Neujahr“) die Kuchen bánh chưng und bánh dy sowie die Wassermelone auf dem Altar.

Eine weitere beliebte Kategorie bilden Heldensagen, die sicherlich in einem von Krieg und Unruhen gebeutelten Land wie Vietnam unerlässlich sind. In den Erzählungen von der Gottheit Gióng (Truyện cổ tích Thánh Gióng), vom Zauberbogen (Mỵ Châu & Trọng Thủy hay là chuyện nỏ thn) und vom Schwertsee (Sự tích H Gươm) wird den Helden, die gegen die nordischen Invasoren kämpften, Kraft von höheren Mächten verliehen und dadurch geholfen. Sowohl in der Geschichte vom Zauberbogen als auch vom Schwertsee findet sich die Schildkröte, welche Weisheit und langes Leben symbolisiert, als heiliges Tier und Helfer der Helden wieder. Auch heute gilt die Schildkröte noch als das Wappentier Hanois und der Glaube besagt, dass demjenigen, der im Schwertsee (H Hoàn Kiếm) eine Schildkröte erblickt, viel Glück in seinem Leben widerfahren wird.

Es bleibt anzumerken, dass vielen der hier genannten Figuren und Helden in der heutigen vietnamesischen Gesellschaft noch eine große Bedeutung zugeschrieben wird. So gehören Sơn Tinh (der Gott des Berges Tản Viên), Thánh Gióng (der Riese, der die nordischen Invasoren besiegte) und Chử Đng Tử (der erleuchtete Weise) zu den vier Unsterblichen und den Hauptkultfiguren im Pantheon der Genien, die von den Vietnamesen in der Region Delta des Roten Flusses verehrt werden. Die vollständige Entwicklung der Mythologie und Ehrung der Vier Unsterblichen fand in der Lê-Dynastie statt und jeder dieser vier Unsterblichen hat Verbindungen zu historischen Nationalfiguren.

Neben dem heute wichtigsten traditionellen Neujahrsfest, dem Tết-Fest, feiern die Vietnamesen in jeder Provinz, in jeder Stadt und in jedem Dorf ihre Götter, Geister, Vorfahren und Helden.

Die in diesem Band zusammengestellten Erzählungen gehören kulturgeschichtlich zu den bedeutendsten Sagen und Legenden Vietnams und ich wünsche Ihnen nun viel Freude beim Lesen.

Bonn, im August 2019
Trang-Ðài Vũ

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Ngày xưa, đã mấy nghìn năm ri, Kinh Dương Vương, vua nước Xích quỷ, lấy Long Nữ là con gái thn Động Đình H. Hai người sinh được một con trai đặt tên là Sùng Lãm, hiệu Lạc Long Quân. Lạc Long Quân nòi rng, thích bơi lội ở dưới nước, lại rất khỏe mạnh. Lạc Long Quân nối nghiệp cha, cai quản đất Lạc-Việt.

Đất nước Lạc-Việt lúc này còn hoang vu, nhi