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Heidi Troi

FEUERTAUFE

Lorenz Lovis ermittelt

Ein Brixen-Krimi

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Tatsächlich existierende Personen, örtliche Gegebenheiten und Firmen wurden verändert und/oder erfunden, Geschehnisse anderen und/oder fiktiven Personen zugeordnet. Verbleibende Übereinstimmungen mit etwaigen realen Personen wären somit rein zufällig und sind nicht gewollt.

Inhalt

Feuertaufe

Danke!

»Du Lump«, entfuhr es Lovis.

Er ließ den Brief sinken und musterte Onkel Sebastian, der unbeweglich in dem Krankenhausbett lag. Sein Gesicht hatte dieselbe Farbe wie die schmucklose Wand hinter ihm und wirkte in dem großen, weißen Kissen winzig. Die Maschinen, an denen er in den letzten Wochen gehangen hatte, waren verschwunden. Lovis wusste, was das bedeutete. Der Alte war ihm immer wie das blühende Leben vorgekommen. Voller Runzeln und Falten zwar, aber stets ein wahres Bündel an Energie und Kraft. Lovis hatte seinen Onkel um seine pure und ungebrochene Lebensfreude immer beneidet. Bis in den Herbst hinein hatte er trotz der fortschreitenden Krankheit alle Arbeiten auf seinem geliebten Hof verrichtet, von frühmorgens bis spätabends hatte er sich um seine Tiere, Weiden und Weinstöcke gekümmert. Nun lag er in einem sterilen Bett auf der onkologischen Abteilung im Brixner Krankenhaus mit Blick auf den Landeplatz des Rettungshubschraubers, ein Schatten seiner selbst.

Lovis schluckte.

Der Alte hatte die Augen geschlossen. Das Atmen fiel ihm schwer. Ein leichtes Stirnrunzeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, und über die Lippen kam nur ein kaum hörbares Flüstern.

Lovis beugte sich vor. »Möchtest du etwas trinken?«

Sein Onkel deutete ein Kopfschütteln an. Liebevoll strich Lovis ihm über die fleckige Hand. »Soll ich die Schwester rufen?«

Wieder versuchte der Alte, etwas zu sagen. Aber er brachte nur ein unartikuliertes Stöhnen heraus.

Lovis musste raten. »Ich soll zusehen, was ich draus mache?« Die Gesichtszüge des Alten glätteten sich ein wenig. »Ach, Sebastian. Ich bin kein Bauer. Das weißt du doch. Ich wirtschafte den Hof schneller in den Ruin, als ich ›Piep‹ sagen kann.«

Kaum merklich bewegten sich die papierenen Lippen.

»Paul? Angelika?«, erriet Lovis.

Der Alte nickte.

Lovis rang mit sich. Wie konnte er versprechen, den Messner Hof weiterzuführen? Als Angestellter der italienischen Staatspolizei hatte er von Landwirtschaft etwa gleich viel Ahnung wie der Hahn vom Eierlegen.

»Dir ist es ernst, oder?«, fragte er seinen Onkel leise.

Ein schwaches Nicken war die Antwort.

»Ach, Onkelchen …«

Kaum hörbar öffnete sich die Tür. Schritte quietschten leise über das Linoleum des Krankenzimmers.

»Er hat dir den Brief gegeben, stimmt’s?«

Lovis musste sich nicht umdrehen, um zu erraten, wer den Raum betreten hatte. Angelika, seit ihrer Jugend Sebastians besonderer Schützling und Pflegerin auf der onkologischen Station, umrundete das Krankenbett, prüfte den Tropf und zog mit einigen sparsamen Bewegungen das Laken unter dem Patienten zurecht. Dann steckte sie die Hände in die Taschen ihrer Schwesterntracht und setzte sich Lovis gegenüber auf die Matratze.

»Was machst du denn für Sachen, Sebastian?«, fragte sie den Alten mit gespieltem Vorwurf. »Den Brief wolltest du ihm doch erst geben, wenn du spürst, dass es Zeit für dich ist, zu gehen. Dabei schaust du aus wie das blühende Leben.«

Unwillig schüttelte Lovis den Kopf. Das war alles andere als die Wahrheit. Den Alten hingegen schien es nicht zu stören. Ein Lächeln huschte über sein eingefallenes Gesicht.

»Und was sagt er dazu?«, wollte Angelika wissen.

Sebastian stöhnte leise.

»Er will nicht?« Sie sah Lovis vorwurfsvoll an.

»Er kann nicht«, antwortete der entschuldigend. »Ich hab doch überhaupt keine Ahnung von Landwirtschaft. Und das weißt du, Onkelchen. Denk bloß daran, wie ungeschickt ich mich immer beim Mähen angestellt habe.«

Wieder verzogen sich Sebastians Mundwinkel leicht nach oben.

Auch Angelika grinste. »Na ja, als Bauer kannst du zumindest bestimmen, wer die Mähmaschine führen darf, und musst nicht mit der Sense herumfuhrwerken.«

Das Gesicht des Alten nahm wieder einen gequälten Ausdruck an. Seine Augenlider flatterten, und die Lippen bewegten sich. Angelika strich ihm beruhigend über die Hand. »Natürlich lassen wir ihn nicht allein. Das haben wir dir doch versprochen. Wir werden ihm alles zeigen und erklären, ihm sogar die Nase putzen und die Windeln wechseln, wenn es sein muss.« Spitzbübisch warf sie Lovis einen Luftkuss zu.

Er verdrehte die Augen. Wie konnte sie in dieser Situation scherzen? Außerdem führte sie sich auf wie eine Matrone, mit ihrer etwas zu engen Krankenschwesterntracht, in der sie hier das Kommando übernahm. Früher war immer er es gewesen, der ihr gesagt hatte, wo es lang ging, schließlich war er der Ältere und sie wie eine jüngere Schwester für ihn. Er kannte sie jetzt seit fast zwanzig Jahren, seit sie als Vierzehnjährige ihr Pferd Diablo auf dem Messner Hof untergestellt hatte. Er hatte sie wegen ihrer Pickel aufgezogen, und sie war rot angelaufen. Aus dem unsicheren, immer leicht melancholischen Mädchen von damals war inzwischen eine selbstbewusste Frau geworden, die Lovis seine Scherze in gleicher Münze heimzahlte. Er war ihr zutiefst dankbar dafür, dass sie sich in Sebastians letzten Stunden um ihn kümmerte. Sie strahlte immer eine positive Energie aus, und obwohl sie Tag und Nacht von Tod und schwerer Krankheit umgeben war, lag auf ihrem Gesicht ständig ein schelmisches Augenzwinkern.

»Das bisschen Bauersein ist doch kein Problem, sagt Sebastian«, sang sie und fuhr fort: »Lollo packt das schon, nicht wahr?« Auffordernd sah sie ihn an und formte mit ihren Lippen überdeutlich die Worte: »Na los! Versprich’s ihm!«

Lovis gehorchte. »Also gut. Wenn du dir so sicher bist, dass ich der Richtige dafür bin, deinen Hof weiterzuführen …« Er seufzte. »… dann werde ich es versuchen.«

»Siehst du, Sebastian«, sagte sie mit Genugtuung in der Stimme. »Wie ich dir gesagt habe. Und jetzt kannst du aufhören mit dem Theater und aus dem Bett steigen. Am Sonntag ist das Ostereiersuchen bei den Cavagnas. Da musst du doch wieder fit sein.«

Über Sebastians ausgemergeltes Gesicht flatterte die Andeutung eines Lächelns, dann erschlafften seine Wangen, und die Atemzüge beruhigten sich.

Angelika beugte sich über ihn. »Er ist eingeschlafen«, flüsterte sie.

Sie richtete sich auf und legte die Hand auf Lovis’ Schulter. »Du hast das Richtige gesagt. Das hat ihm keinen Frieden gelassen, weißt du?«

Er nickte. Doch das Versprechen fühlte sich wie eine Lüge an. »Wie lange wird es noch dauern?«

»Ich denke, er wird diese Nacht gehen.«

Lovis spürte, dass sie recht hatte. In den nächsten Stunden würde Onkel Sebastian, der seit seinem fünfzehnten Lebensjahr Vater- und Mutterstelle an ihm vertreten hatte, ihn verlassen.

Mit einem Knoten im Magen bog Lovis in den Feldweg ein, der von der Hauptstraße abging und zum Messner Hof führte. Sein froschgrüner VW Golf, Baujahr 1977 und damit dieselbe Altersklasse wie er selbst, rumpelte gnadenlos in jedes Schlagloch, und genau in der Kurve mit der gemeinen Steigung starb der Motor ab. Lovis drehte den Zündschlüssel einmal, zweimal, doch außer einem müden Husten gab der »Kübel«, wie er seinen Oldtimer liebevoll nannte, kein Lebenszeichen von sich.

Dann eben nicht, dachte Lovis. Er stieg aus, schlug die Autotür zu und fixierte sein Ziel mit zusammengekniffenen Augen. Ein paar Hundert Meter bergwärts lag der Messner Hof. Friedlich schmiegte er sich in eine schattige Mulde. Daneben verlief ein kleines Bächlein, das jetzt zur Schneeschmelze noch munter vor sich hinplätscherte. Im Sommer würde es ausgetrocknet sein. Bis an den Weg standen Apfelbäume, die Knospen schon ganz dick und heute von einer glänzenden Eisschicht umhüllt. In prallen Tropfen hingen kleine Eiszapfen von den Ästen. Wenn die Sonne gegen zehn Uhr hinter der Plose hervorkam, würden die Bäume wie verzaubert glitzern, und die Apfelwiese wäre wie aus einem Märchen anzuschauen.

Schnaufend wanderte Lovis den Feldweg hinauf zum Hof. Aus dem Stall klangen die typischen Geräusche der Morgenfütterung. Paul war also schon an der Arbeit. Einen kurzen Moment lang zögerte Lovis. Sollte er ihm beim Melken zur Hand gehen? Doch er entschied sich dagegen. Ein leerer Magen und Stallgeruch – das vertrug sich nicht. Er wandte sich dem Wohnhaus zu und stapfte den schmalen Weg hoch zum Eingang, wo er von einem schwanzwedelnden Bernhardiner freudig empfangen wurde.

»Na, Barnabas, alter Junge«, begrüßte er den betagten Hofhund und streichelte ihm über den Kopf. »Hast du auch Hunger?«

Barnabas vollführte eine Art Tanz, tappte von einer Pfote auf die andere und drehte sich wild im Kreis. Lovis interpretierte das als eindeutiges Ja. Er drückte die Klinke der Haustür herunter, und der Hund schoss wie der Blitz hinein, direkt auf seinen leeren Napf zu, der in dem dunklen Flur auf den Steinfliesen stand.

»Warte einen Moment.« Lovis füllte die Schüssel des Hofhundes mit Trockenfutter, das er in der Abstellkammer fand, und schmunzelte über die Begeisterung, mit der sich Barnabas über sein Fressen hermachte. Ein Grummeln erinnerte Lovis daran, dass auch sein eigener Magen leer war. Höchste Zeit für ein Frühstück.

Er fühlte sich wie ein Eindringling, als er die Küchentür aufzog. Beim Anblick des leeren Stuhls am Herd fühlte er einen Stich in der Magengrube. Er sah sich auf der Suche nach Essbarem um. Ein Graukäse schimmelte im Kühlschrank vor sich hin, daneben lag eine Flasche Bier. Sieht schlecht aus für mein Frühstück, stellte Lovis missmutig fest. Er hätte sich dafür ohrfeigen können, dass er nicht daran gedacht hatte, bei einer Bäckerei vorbeizufahren. Bisher war das nie nötig gewesen. Egal zu welcher Tageszeit er auf dem Messner Hof aufgekreuzt war: Der Kühlschrank und die Speisekammer waren immer gut bestückt gewesen. Lovis schluckte den Kloß hinunter, der sich in seinem Hals bildete. Sein Blick fiel auf den Stapel mit Gedenkkärtchen. Sebastian lachte ihm entgegen, so wie man ihn vor der Krankheit gekannt hatte, mit Strohhut, Zahnlücke und tausend Fältchen um die Augen.

Lovis kam es nach wie vor unwirklich vor, dass der Onkel nicht mehr auf seinem angestammten Platz in der Küche saß, einen Zigarettenstummel im Mundwinkel und ein Glas Rotwein vor sich.

Auf dem Herd entdeckte Lovis eine Mokkamaschine. Ein Kaffee wäre ein guter Anfang, dachte Lovis, und so schraubte er die Kanne auf. Der Kaffeesatz darin war angeschimmelt. Er kippte ihn in den Müll und spülte den Filter gründlich aus. Die Kaffeedose war leer. Natürlich.

Entnervt fuhr sich Lovis durchs Haar und ließ sich auf einen der weiß lackierten Stühle sinken. Onkel Sebastian war tot. Auch wenn er es noch so oft dachte, es kam ihm immer noch unwirklich vor.

Es war nicht nur Trauer, die er empfand. Mehr noch erdrückte ihn ein Gefühl völliger Einsamkeit. Nun gab es auf der Welt keinen mehr, zu dem er gehörte. Als seine Eltern gestorben waren – da war er gerade mal fünfzehn – hatte Sebastian ihn mit offenen Armen aufgenommen und ihm ein zweites Zuhause gegeben. Und als Lovis dann nach der Matura vom Hof weggegangen war, hatte die Tür immer offen gestanden. Jetzt war dieses Zuhause leer. Lovis spürte einen Stich im Herzen. Wie damals. Er hatte zum zweiten Mal seine Familie verloren.

Mit einem Schwall kalter Luft öffnete sich die Tür, und Angelika betrat die Küche. Sie zog mit der rechten Hand den Reißverschluss ihrer Fließjacke auf, mit der linken wuchtete sie eine Einkaufstüte auf den Tisch.

Unwillkürlich musste Lovis grinsen. Auf Angelikas Brust stand groß und in bunten Lettern: »Scheiß auf alles, scheiß auf jeden. Ich bin Reiterin, was dagegen?« Sie verbreitete einen leichten Stallgeruch. Vermutlich hatte sie ihrem Wallach bereits einen Besuch abgestattet.

»Na, auch schon wach?«, fragte sie und kam händereibend auf ihn zu. »Frisch ist es heute wieder. Höchste Zeit, dass das Frühjahr endlich anfängt.« Sie legte ihm eine Hand an die Wange, und Lovis fuhr zusammen.

»Kalt, ja«, brummte er.

»Alles ein bisschen leer ohne ihn«, stellte sie mit einem mitfühlenden Blick auf Sebastians Stuhl fest.

Lovis schluckte. »Ich hab das Gefühl, er müsse jeden Moment zur Tür reinkommen, einen Witz reißen …«

Angelika ließ sich auf die Bank sinken und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Mir fehlt er auch.« Eine Weile lang starrten sie beide schweigend auf den leeren Stuhl. In Lovis’ Kopf wurde das regelmäßige Ticken der Uhr, die über einem schmalen Sims voller Emailletassen hing, zu einem Se-bas-tian, Se-bas-tian … Er seufzte, und Angelika tat es ihm gleich. Dann schob sie ihren Stuhl mit einer energischen Bewegung zurück. »Ich mach uns erst mal ein schönes Frühstück. Mit was Warmem im Magen schaut die Welt schon gleich ein bisschen besser aus.«

Sie förderte Kaffee aus ihrer Tüte und befüllte die Mokkamaschine mit dem Pulver. Brot, Butter und Marmelade folgten und landeten auf dem Tisch vor Lovis. Bald erfüllte der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee die Küche.

»Was hast du jetzt vor?«

»Um ehrlich zu sein, keine Ahnung.«

»Der Hof gehört dir. Du hast Sebastian ein Versprechen gegeben.«

»Das stimmt.«

»Und wirst du es halten oder …?« Forschend sah sie ihn an.

»Wie soll das denn gehen?« Lovis zuckte die Schultern. »Ich werde wohl verkaufen.«

Er sah den enttäuschten Ausdruck auf ihrem Gesicht und versenkte den Blick in seiner Tasse. Was erwartete sie von ihm? Dass er seinen Job aufgab? Dass er den Hof in den Ruin wirtschaftete? Denn darauf würde es unweigerlich hinauslaufen. Auch wenn er in seiner Jugend drei Jahre auf dem Messner Hof gelebt hatte, so hatte er doch null Ahnung davon, was ein Bauer eigentlich tat. Er konnte vielleicht den Stall ausmisten oder bei der Apfelernte helfen, aber das war’s auch schon. Sebastian hatte ihn geschont damals, nie etwas von ihm eingefordert – zuerst aus Rücksicht auf seine Trauer, dann weil er Lovis’ Widerstand gegen die Arbeiten bemerkt hatte. In den Jahren danach hatte er höchstens mal bei der Mahd geholfen oder bei der Apfelernte. Aber meistens hatte er seine sporadischen Besuche auf dem Messner Hof damit verbracht, seinem Onkel das Leben bei der italienischen Staatspolizei in den schillerndsten Farben zu schildern, bei einem Glas Leps, Schüttelbrot und Speck. Sämtliche Versuche seines Onkels, ihn in die Belange des Hofs mit-einzubeziehen, hatte er abgeblockt. Der Beruf des Bauern hatte noch nie zu seinen Traumberufen gehört. Die harte körperliche Arbeit, der Gestank im Stall, vor allem aber das schlechte Image der Bauern in der Gesellschaft … Und jetzt sollte er Sebastians Platz hier einnehmen?

»Hab ich was verpasst?«, kam es von der Tür.

Lovis und Angelika wandten ihre Köpfe. Ein junger Mann in einem verdreckten Overall füllte die Türöffnung aus. Der Stallgeruch in der Küche verstärkte sich.

»Morgen, Paul«, grüßte sie. »Kaffee?«

Der Knecht zog sich einen Stuhl heran. Ein Blondschopf etwa im selben Alter wie Angelika und genau wie sie eines von Sebastians guten Werken. Er war an seinem achtzehnten Geburtstag nach einem Krach mit seinen Eltern von zu Hause ausgezogen, hatte die Schule geschmissen und auf dem Messner Hof ein neues Zuhause gefunden.

Lovis konnte sich noch an den Tag erinnern, an dem er Paul zum ersten Mal auf dem Hof getroffen hatte. Gut fünfzehn Jahre war das her.

»Chef?«, hatte der junge Mann ihn mit einem Kopfnicken begrüßt und eine Karre voller Mist an ihm vorbeimanövriert.

»Des isch der Paul«, hatte Sebastian ihn vorgestellt. »Dr nuie Knecht.«

»Wo ist Zeno hin?«, war alles, was Lovis darauf eingefallen war. Der alte Knecht gehörte für ihn zum Inventar des Messner Hofs.

»Oltersheim. Schlagl«, war die Antwort. »Mir werden olle net jünger.«

In den letzten Jahren war Paul eine große Stütze für Sebastian gewesen, hatte immer mehr Aufgaben übernommen, bis er schließlich den ganzen Hof managte.

Seine Stimme riss Lovis aus seinen Gedanken. »Wie schaut’s aus? Muss ich mich nach einem neuen Job umschauen, oder übernimmst du den Hof?«

Forschend sah er erst Lovis, dann Angelika an. Sie zog unbehaglich die Schultern hoch.

»Alles klar«, schnaubte er. »Du verkaufst also.«

Lovis wand sich. Hatten die beiden wirklich in Erwägung gezogen, dass er sich hier als Bauer aufspielen würde?

»Was bleibt mir anderes übrig? Ich hab überhaupt keine Ahnung …«

»Ich hab überhaupt keine Ahnung von Landwirtschaft«, äffte Paul ihn nach. »Du hast doch auf dem Hof gelebt! Wie kannst du sagen, dass du keine Ahnung hast? Alles faule Ausreden!«

»Und wenn es einfach die Wahrheit ist?« Trotzig hob Lovis das Kinn.

»Dein Onkel hat keine Ahnung von Latein gehabt und doch voriges Jahr auf der Volkshochschule einen Lateinkurs belegt.«

»Das hat er? Wozu?«

Paul machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der Dr. Latzen hat ihm halt erklärt, dass Denkarbeit vorbeugend gegen Demenz wirkt. Auf Kreuzworträtsel hat er noch nie was gegeben und so …«

Vor Lovis’ inneres Auge schob sich das stoppelige Gesicht seines Onkels, über ein Lateinbuch gebeugt. »Latein«, murmelte er noch immer ungläubig vor sich hin.

»Was ich dir damit eigentlich klarmachen will: Wenn der Waschtl von etwas keine Ahnung gehabt hat, hat er halt geschaut, dass er etwas dagegen getan hat, net wohr?«

Lovis fühlte, wie das Grinsen auf seinem Gesicht erstarb. »Ich bin nicht Sebastian«, sagte er. »Und ich habe einen Job. Ich bin …«

»… bei der Polizei, ich weiß, ich weiß. Viele Bauern hier in der Gegend haben einen Zweitjob. Der Hof als Nebenerwerb – schon mal was davon gehört?«

Lovis hob abwehrend die Hände. »Danke, mir reicht ein Job!«

Paul und Angelika rollten gleichzeitig die Augen. Lovis ahnte, was in ihren Köpfen vorging, was sie in ihm sahen: einen Zauderer, der zu feige war für das Geschenk, das ihm in den Schoß gefallen war. Ein Hof in bester Tallage, seit vielen Generationen in Familienbesitz, die Stadt in direkter Reichweite und trotzdem abseits von dem ganzen Rummel. Obstwiesen, Wein, Gemüsefelder, sogar eine Alm gehörte zu den Liegenschaften. Sicher beneideten ihn viele Menschen um die Möglichkeit, die sich ihm hier bot. Aber sie waren es ja auch nicht, die diese Entscheidung treffen und diese Verantwortung übernehmen mussten. Und sie ahnten auch nicht, dass es nicht allein der Umstand war, dass er keine Ahnung von Landwirtschaft hatte, der es ihm unmöglich machte, den Hof zu übernehmen. Sebastian hatte einmal ganz nebenbei fallen lassen, dass Anna wieder im Dorf lebte. Anna, seine ehemalige Verlobte …

Mit einem Seufzen erhob sich Paul. Er ging auf die Kommode zu und wedelte mit Onkel Sebastians Abschiedsbrief. »Und was ist hiermit?«

»Was schon?«, entgegnete Lovis gereizt.

»Er hat sich gewünscht, dass du den Hof übernimmst. Zählt das nicht?«

»Na ja, er kriegt es ja nicht mehr mit.« Lovis sah Paul herausfordernd an, aber er konnte dem Blick des Knechts nur kurz standhalten. »Ich kann das einfach nicht.« Verzweifelt vergrub er das Gesicht in den Händen.

Ein paar Minuten lang schwiegen alle drei. Dann fühlte Lovis eine sanfte Berührung am Arm. Er blickte auf, direkt in Angelikas grün-braune Augen. In ihrer Iris tanzten kleine schwarze Punkte wie Sommersprossen. Sein Herz machte einen Satz. »Du bist doch nicht allein«, sagte sie. »Paul kennt den Hof in- und auswendig, und ich bin auch noch da. Wir haben es ihm versprochen. Aber du musst es auch wollen.«

Plötzlich hatte er das Gefühl, alles zu können, wenn sie nur nicht diese grün-braunen Augen von ihm abwandte. Er hielt die Luft an, völlig gebannt von ihrem Blick. Wenn du mir hilfst, schaffe ich alles, wollte er sagen. Er räusperte sich.

Da wedelte eine Hand vor seinem Gesicht. »Lass mal die Butter rüberwachsen, Chef!«

Angelika wandte den Kopf ab, und das Knistern, das den Raum erfüllt hatte, verflüchtigte sich. Die Küche war plötzlich wieder grau und düster, und die niedere Decke schien ihn erdrücken zu wollen. Lovis hatte nur noch den Wunsch zu entfliehen.

»Ich muss zur Arbeit«, sagte er und erhob sich.

Bevor er bei der Tür war, meinte Paul noch: »Ja, Geld verdienen wäre nicht schlecht. Der Hof ist …«

Lovis unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Onkel Sebastian ist seit gestern unter der Erde. Ich … kann einfach noch nichts entscheiden.« Entschuldigend breitete er seine Arme aus. »Ich muss zur Arbeit. Und das schleunigst …«

Damit floh er aus der Küche.

Nachdem Paul ihm noch Starthilfe gegeben hatte, war der Kübel doch wieder angesprungen und Lovis eine Viertelstunde später dabei, seine froschgrüne Karre in den kleinen Parkplatz des Polizeikommissariats zu manövrieren, als ihm ein silbergrauer Maserati die Vorfahrt nahm. Lovis trat hart auf die Bremse und fluchte. Mit einem überheblichen Grinsen zog sein Vorgesetzter Fernando Botta an ihm vorbei, die blanke Glatze glänzte mit der Lackierung seines Protzwagens um die Wette. Lovis reihte sich nach ihm ein, nur um Zeuge zu werden, dass der Commissario Capo sich den letzten Parkplatz schnappte.

»Mist, verdammter«, fluchte er, legte den Rückwärtsgang ein und machte sich auf die Suche nach einer Parklücke mit unbegrenzter Parkzeit – ein aussichtsloses Unterfangen in Brixen. Er kurvte alle Straßen rund um das Kommissariat ab und entschied sich schließlich seufzend für einen 90-Minuten-Parkplatz vor dem Franziskanerkloster. Die Kaffeepause würde er dann wohl damit verbringen, die Parkuhr weiterzustellen.

Teilnahmsvolle Blicke begegneten Lovis, als er mit deutlicher Verspätung durch die automatische Eingangstür des Kommissariats trat. Hinter der Glasscheibe der Portiersloge flachste Scatolin mit einer Kollegin herum, einen Kaffeebecher in der Hand. Bei Lovis’ Eintreten wurde seine Miene ernst, er erhob sich vom Schreibtisch und verließ das Kabuff.

»Condoglianze, Lovis«, sagte er und schloss ihn in die Arme.

»Danke, amico.«

Seit ihrer gemeinsamen Zeit in der Polizeischule war Lovis mit Scatolin befreundet. Er war das totale Gegenteil von Lovis und damit das Idealbild eines italienischen Polizisten: groß, durchtrainiert und gepflegt. Das schwarze Haar hatte er mit Gel nach hinten gekämmt, und sein Kinn war glatt rasiert.

»Muss ich was wissen?«

Scatolin wiegte den Kopf. »Der Alte hat entsetzliche Laune. Er hat bereits ein paarmal nach dir gefragt …«

Lovis verdrehte die Augen. Der Commissario Capo hatte immer entsetzliche Laune – vor allem, wenn er mit Lovis zusammentraf. Sein festes Abonnement auf die Wutausbrüche von Commissario Capo Fernando Botta war legendär.

»Na toll …« Wieder schluckte er. Er überlegte, ob er einfach wieder zurück auf den Messner Hof flüchten und sich irgendwo verkriechen sollte, bis er wieder stabil genug war, um es mit dem Chef aufzunehmen.

Irgendwann musst du es ja doch tun, sagte er sich. Bring es hinter dich.

Hilfe suchend sah er Scatolin an. Doch der zuckte nur die Schultern. »Se potessi …«, meinte er. Wenn er könnte, würde Scatolin ihm beistehen. Aber es würde nichts bringen. Das wusste Lovis. Das wussten sie beide.

Auf dem internen Telefon leuchtete ein roter Knopf auf.

»Das wird er sein. Soll ich?«

Lovis winkte ab und straffte seinen Rücken. Langsam stieg er die Treppe empor und wappnete sich gegen das, was ihn erwartete.

»Beehren Sie uns auch wieder einmal im Kommissariat?«, empfing ihn der Alte mit ätzender Höflichkeit. Wie ein Batzen Pizzateig klebte er auf einem viel zu kleinen Bürosessel hinter einem Schreibpult aus Stahl.

Der Qualm von Millionen Zigaretten hatte die Wände vergilben lassen. Ein Kalender der Polizia di Stato zeigte den Monat August an, aus welchem Jahr er stammte, war nicht mehr zu erkennen. Die Neonröhren summten leise. Der Gestank nach kaltem Zigarettenrauch hing in der Luft. Ein kurzer Blick genügte Lovis, um den überquellenden Aschenbecher auszumachen, der auf einem Aktenschrank und dort auf einem Stapel zusammengebundener Dokumente stand.

Lovis musterte den verhassten Vorgesetzten mit ausdrucksloser Miene, die gewienerte Glatze und den affigen Kinnbart des Commissario Capo. Noch mehr hasste er dessen perfekte Aufmachung. Den perfekten Krawattenknoten, der unter der knitterfreien Uniform hervorschaute, die blank gewichsten Schuhe. Unauffällig senkte er den Blick auf seine eigene Aufmachung – die Schuhe waren staubbedeckt, der Schnürsenkel des rechten Schuhs schon seit Wochen gerissen. Die Uniform selbst hatte eine Behandlung in der Wäscherei dringend notwendig – aber wann in den letzten Wochen hätte er dafür Zeit gehabt?

Noch einmal stählte er sich vor der unausweichlichen Gardinenpredigt.

»Mein Onkel ist vor drei Tagen ver…«, setzte er an, doch der Commissario Capo ließ ihn nicht zu Wort kommen.

»Soviel ich weiß, haben Sie Ihren Urlaub für dieses Jahr bereits aufgebraucht.«

»Es war ein Todesfall. Mein Onkel …«

»Ich habe von Ihnen kein Gesuch für die Genehmigung von Sonderurlaub erhalten – abgesehen davon, dass ich den höchstwahrscheinlich nicht genehmigt hätte. Anrecht auf Urlaub aus schwerwiegenden persönlichen Gründen haben Sie nur in dem Fall, dass Verwandte ersten Grades …«

»Mein Onkel war meine einzige Familie …«

»… wenn Verwandte ersten Grades verscheiden.« Commissario Capo Fernando Botta richtete seinen Zeigefinger auf Lovis. »Was hier nicht der Fall ist. Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, leite ich ein Disziplinarverfahren ein und sorge dafür, dass Sie …«

»Es sind doch Sie, der mir die ganze Zeit ins Wort …«

»Ihre Respektlosigkeit ist beispiellos!« Der Commissario Capo knallte den Kugelschreiber, mit dem er seit Lovis’ Eintreten gespielt hatte, auf die Tischplatte. »Ich sorge dafür, dass Sie suspendiert …«

Lovis sprang auf. »Aber mein Onkel …«

»Eine Woche lasse ich Sie suspendieren! Nein, zwei! Außerdem werde ich eine Zwangsversetzung nach Sizilien für Sie …«

Lovis ballte die Fäuste. »Ihre Suspendierung können Sie sich sonst wohin stecken! Ich kündige!«, brüllte er seinen Vorgesetzten an. Das Blut rauschte in seinen Adern.

Über das aufgedunsene Gesicht des Vorgesetzten legte sich ein zufriedenes Grinsen. Er lehnte sich zurück und zog die Augenbrauen spöttisch hoch. »Ich nehme Ihre Kündigung an. Packen Sie Ihre Sachen und verschwinden Sie von hier. Ihre Uniform geben Sie ab.« Mit hochgezogenen Augenbrauen ließ er seinen Blick demonstrativ über Lovis’ Uniform gleiten. »Gereinigt! A non rivederci, signor Lovis.«

Verzweifelt suchte Lovis nach einem Wort, einem Satz, den er dem Alten ins Gesicht schleudern konnte. Aber sein Gehirn war gelähmt vor Wut. Er ließ den Stuhl gegen den Tisch krachen, dann verließ er ohne eine weitere Bemerkung den Raum.

Wütend stampfte er die Treppen hinunter zur Garderobe und schleuderte den Inhalt seines Spinds auf den Fliesenboden. Dann knallte er die Metalltür mit Wucht zu. Das Scheppern hallte leise nach, und Lovis sank auf die Holzbank in der Mitte des Raums. Was hatte er getan?

»Che cosa hai combinato? So schlimm?« Scatolin war ihm hinterhergekommen.

»Schlimmer noch«, antwortete Lovis. »Ich habe gekündigt.«

»Nein!«

»Doch.«

Plötzlich wurde ihm die Tragweite dessen bewusst, was er da gerade getan hatte. Er sah Scatolin entsetzt an. Er hatte gekündigt! Onkel Sebastian war tot, und er hatte gekündigt. Seine Welt lag in Trümmern.

Scatolin setzte sich neben ihn. »Du hast doch nichts unterschrieben?«

»Ich habe gekündigt«, wiederholte Lovis noch einmal. Es hallte in ihm nach. Was sollte er jetzt tun? Er hatte nach der Matura am Realgymnasium, der nutzlosesten Schule überhaupt, die Polizeischule gemacht, die nicht minder nutzlos war. Er konnte praktisch nichts außer dem, was im Polizeidienst verlangt wurde.

»Ihr habt doch nur herumgebrüllt«, sagte Scatolin. »Du hast doch sicher nichts unterschrieben, oder?«

Lovis schüttelte den Kopf. Seine Gedanken fassten nur einen einzigen Satz: »Ich habe gekündigt.«

»Dann geh noch mal hinauf und bitte ihn um Entschuldigung.« Scatolin sah ihn auffordernd an. »Wenn du willst, gehe ich mit dir …«

War das die einzige Möglichkeit? Lovis stellte sich vor, wie er in der Türöffnung stand, das feixende Gesicht seines verhassten Vorgesetzten vor sich, wie er ihn um Entschuldigung bat für … Ja wofür denn eigentlich? Dafür, dass er einmal in all den Jahren die Beleidigungen und Demütigungen, die er täglich zu ertragen hatte, nicht einfach so hingenommen hatte?

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das tue ich nicht. Soll er zusehen, woher er auf die Schnelle einen anderen Trottel herbekommt. Ich habe gekündigt. Und dabei bleibt’s! Ich werde schon was anderes finden.«

»Amico …«

Er winkte ab. »Lass gut sein, Scatolo. Mein Onkel hat immer gesagt, wo eine Tür sich schließt, öffnen sich zwei …« Er unterbrach sich selbst, denn in seinem Hirn war ein Gedanke aufgeblitzt. Sein Onkel hatte ihm den Hof vermacht. Konnte das womöglich der Rettungsanker sein? Die Tür, die sich auftat, in dem Moment, in dem sich die eine, die Laufbahn bei der italienischen Staatspolizei, geschlossen hatte. Kam so alles zusammen?

»Ich werde Bauer«, platzte es aus ihm heraus. Und während er die Worte aussprach, wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich eine Alternative hatte. Und es war nicht einmal nur eine Alternative. Dass ihm Sebastian den Hof hinterlassen hatte, konnte der Ausweg aus fünfzehnjähriger Knechtschaft sein, aus einem Dasein als Schuhabstreifer für diesen machtbesessenen Botta. Dass er sich bis jetzt geweigert hatte, Verantwortung für den Messner Hof zu übernehmen, sich vor der Mithilfe auf dem Hof gedrückt hatte, wo er nur konnte, verdrängte er.

»Weißt du überhaupt, wie man eine Heugabel hält?«, fragte Scatolin zweifelnd. Oft genug hatte er sich in der Vergangenheit anhören müssen, wie sehr Lovis das Leben auf dem Bauernhof gehasst hatte.

Lovis schnaubte. »Fürs Bauersein braucht man kein Unistudium, hab ich mir sagen lassen.« Er wunderte sich selbst darüber, wo er plötzlich diese Selbstsicherheit hernahm. Es konnte doch nicht wirklich so leicht sein?

»Glaubst du, ich krieche winselnd vor diesem Sklaventreiber im Staub? Ich habe gekündigt, und dabei bleibt’s! Und wenn du mein Freund bist, hilfst du mir jetzt, eine Tüte für den ganzen Mist zu finden, damit ich das Zeug halbwegs ehrenvoll aus diesem miefigen Kasten tragen kann.«

Scatolin verließ wortlos den Raum und kam wenig später mit einem Karton zurück. Schweigend half er seinem Freund, dessen Sachen darin zu verstauen. Dann sah er Lovis zweifelnd an. »Ci vediamo, amico. Se ti serve aiuto, eine Schulter zum Ausweinen … Oder wenn du möchtest, dass ich noch mal mit ihm rede …«

Den besorgten Ausdruck auf dem Gesicht seines Freundes ignorierend, schob Lovis sich den Karton unter den Arm und verließ hocherhobenen Hauptes das Polizeikommissariat.

Na, zumindest muss ich jetzt nicht in meiner Kaffeepause die Parkuhr weiterstellen, dachte Lovis, als er in seinen Kübel einstieg. Erst als er saß, gestattete er sich, das Zittern seiner Hände und das Herzklopfen zu bemerken, das die Auseinandersetzung mit seinem Vorgesetzten – ehemaligen Vorgesetzten, verbesserte er sich in Gedanken – ausgelöst hatte.

Hör auf, so eine Memme zu sein, schimpfte er sich selbst. Du bist frei! Kein Botta, keine botte mehr … Kein Chef, keine Tiefschläge, die er einstecken musste. Frei, dachte er noch einmal und dann mit einem Stich in der Magengrube: und Bauer.

Mittlerweile hatte Lovis die Stadt hinter sich gelassen. Obstwiesen und Felder breiteten sich zu beiden Seiten der kaum befahrenen Straße aus. Einige davon gehörten zum Besitz seines Onkels. Genau in dem Moment, als er die ebene Strecke vor dem Dorf erreichte, blitzte der erste Sonnenstrahl hinter dem Bergrücken der Plose hervor und tauchte das kleine Hochplateau vor ihm in frühlingshaftes Licht. Die Eistropfen an den Obstbäumen zur rechten Seite der Straße funkelten und glitzerten. Links hüpften Krähen über einen frisch gepflügten Acker, an seinem Saum warteten uralte Kastanienbäume auf den Frühlingsanfang. Lovis verlangsamte seine Fahrt und atmete tief durch. Es war eine herrliche Gegend, in der er lebte, und eines war sicher: Als Bauer würde er mehr davon sehen als hinter der Glasscheibe in seinem Kabuff bei der italienischen Staatspolizei.

Du wirst halt schnellstens lernen müssen, wie man eine Heugabel anfasst, dachte er zynisch. Scatolin hatte mit seinem Einwand voll ins Schwarze getroffen. Natürlich wusste er, wie man eine Heugabel anfasste, doch recht viel weiter kam er mit seinen landwirtschaftlichen Kenntnissen nicht. Das war heute nicht anders als damals. Er erinnerte sich, es war die Zeit der Apfelernte gewesen. Tagelanges Schuften auf den Obstwiesen war angesagt und Lovis zum ersten Mal mit dabei.

»Schaug her, Bua«, hatte Sebastian gesagt und Lovis’ Aufmerksamkeit auf den Apfel gelenkt. »Du nimmsch in Äpfl mit Somtfinger, kloppsch ihn aufi und nor drahnsch a wian. So.« Er drehte den Apfel ein wenig und löste ihn vom Baum. »Verstondn?«

Lovis hatte eine Grimasse gezogen, selbst nach einem Apfel gegriffen und ihn vom Zweig gerissen.

»Holt! Wos hon i grod gsog, Bua?«

»Drehen.«

»Und warum tuasch des nor net?« Sebastian langte nach dem Zweig, von dem Lovis gerade eben seinen Apfel gerissen hatte. »Schaug amol. Do drunter sein schun die Knoschpm vom nächsten Johr ungleg. Wenn du in Äpfl so norrat oarreisch, konnsch die Ernte im nächsten Johr vergessen. Do wochst koa Blüte mehr.«

Schuldbewusst hatte Lovis genickt und ein zweites Mal nach einem Apfel gegriffen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sein Onkel bei der wiederholten unsachgemäßen Behandlung zusammenzuckte.

»I glab, es isch besser, du laarsch die Säck von die Orbeiter aus.«

Onkel Sebastian steuerte auf einen der tschechischen Erntehelfer zu, der soeben ganz sanft einen Apfel in seinen Erntesack legte.

»Boll der Sock so voll isch wia der, nimmsch du nen und laarsch nen in die Groaßkischte do entn. Obr Obacht, dass die Apfelen koane Maggn kriagn. Sunscht taugn se lei mehr für die Softpresse.«

Und so war Lovis den ganzen Tag von Erntehelfer zu Erntehelfer gelaufen, hatte ihnen die vollen Erntesäcke abgenommen und in die Großkiste entleert. Ein Laufjunge war er gewesen, mehr nicht.

Lovis seufzte. Und jetzt wollte er sich als Bauer aufspielen … Wenn das nur mal gut ging.

Lovis fand Angelika und Paul in der Küche. Auf dem Tisch lagen mehrere Briefumschläge ausgebreitet. Stirnrunzelnd sahen sie ihm entgegen.

»Das war aber ein kurzer Dienst«, meinte Angelika.

Ihr Blick fiel auf den Karton mit Lovis’ Habseligkeiten aus dem Büro, und ihre Augen weiteten sich. »Oh, oh! Sag nicht, es ist das passiert, was ich denke!«

»Doch. Jetzt habt ihr euren Willen. Ab heute bin ich Bauer. Also los, lasst uns die Mistgabeln schwingen.« Er grinste verlegen.

Angelika und Paul sahen jedoch alles andere als begeistert aus.

»Was ist?« Lovis sah irritiert von einem zum anderen. »War es nicht das, was ihr wolltet?«

Der Knecht kratzte sich hinterm Ohr. »Du hast mich ja in der Früh nicht ausreden lassen, Chef. Ich find’s echt … löblich … dass du den Hof übernehmen willst, aber direkt zu kündigen ist jetzt grad … nicht die beste Entscheidung.« Er schob die Umschläge zusammen und reichte sie Lovis.

»Was ist das?«

»Rechnungen, Chef. Strom, Fernwärme, Futter, der Wirtschaftsberater, Tierarzt, das Bodenbewässerungskonsortium … Und der Leichenbestatter muss die Rechnung noch am selben Tag abgeschickt haben, an dem der Waschtl unter die Erde gekommen ist.«

»So viel wird’s schon nicht ausmachen, oder?«

Paul verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Wieder wechselte er einen Blick mit Angelika, unsicher diesmal, die nickte ihm jedoch ermutigend zu, und der Knecht gab sich einen Ruck.

»Die paar Rechnungen allein wären es nicht, aber … der Hof ist verschuldet. Wir haben letztes Jahr die Ferienwohnung ausgebaut, und für die Ernte haben wir mehr Saisonarbeiter anstellen müssen als sonst … Der Waschtl hat ja nichts mehr selber tun können. Und ich schaff halt auch nicht alles allein …« Mit einem Blick auf Lovis’ versteinertes Gesicht verstummte er.

»Ferienwohnungen? Schulden? Wovon sprichst du?« Lovis’ Stimme bekam einen schneidenden Tonfall.

»Ich hab’s dir ja vorhin sagen wollen, aber du hast mich nicht hören wollen. Wer denkt denn, dass du deinem Chef gleich den Job vor die Füße schmeißt?«

Den letzten Satz warf ihm Paul wie einen Vorwurf entgegen.

»Wie viel?«, fragte Lovis tonlos.

»Genau weiß ich das auch nicht. Die Finanzen hat der Waschtl bis zum Schluss selber gemacht. Aber wenn du mich fragst, sind es eher hunderttausend als zehntausend …«

Ein heißer Knoten bildete sich in Lovis’ Magen. Ein paar Tausender hätte er stemmen können. Aber eine Summe in der Höhe? »Mist«, stöhnte er.

Paul und Angelika nickten, und plötzlich schwankte der Boden unter seinen Füßen.

»Setz dich lieber hin«, meinte der Knecht kleinlaut und rückte einen Stuhl zurecht. Lovis ließ sich darauf fallen.

Ohne ihn zu fragen, füllte Angelika eine Tasse mit Kaffee und schob sie ihm zu.

Mechanisch griff Lovis danach. Sein Blick blieb auf den Sachen aus dem Büro hängen. Musste er nun doch beim Commissario Capo um den Job betteln, den er seit Jahren mit aller Inbrunst hasste? Er erinnerte sich an die Genugtuung des Alten und ballte unwillkürlich die Faust. Ganz gleich was passierte: Er würde sich von dem aufgeblasenen Kerl nicht noch weiter in den Staub treten lassen.

»Kopf hoch, Lovis«, sagte Angelika. »Es ist nie so schrecklich, wie es im ersten Moment aussieht.«

Er schüttelte den Kopf. Das war genau die Art von Plattitüden, die er jetzt gebrauchen konnte. »Du musst ja keine Hunderttausend aus dem Rockärmel zaubern!«

»Sieh dir das doch alles erst mal in Ruhe an. Wir werden dir dabei helfen. Das habe ich Sebastian doch versprochen«, sagte sie. »Die Summe schreckt mich nicht ab. Dich etwa?«

Auffordernd sah sie Paul an. Der schüttelte ebenfalls den Kopf. »Nein. Das kriegen wir schon hin … Irgendwie.« Ein leichtes Zögern verriet seine Bedenken.

Ich möchte mal wissen, ob ihr denselben Optimismus zur Schau stellen würdet, wenn ihr diese Summe bezahlen müsstet, dachte Lovis bei sich.

»Durch Trübsalblasen hat sich jedenfalls noch kein Problem gelöst«, meinte Angelika und stand auf. »Ich reite jetzt aus, das hilft mir beim Denken am besten und ihr … Mach doch mit dem neugebackenen Bauer einen Rundgang, Paul?«

»Ich kenne den Hof gut genug«, begehrte Lovis auf. Das Allerletzte, was er sich jetzt wünschte, war eine Hofbesichtigung. Er wollte sich irgendwo vergraben oder den Kopf gegen eine Wand schlagen. Oder doch seinen Chef anrufen und um Verzeihung bitten? Er zögerte und sah Angelika gehetzt an.

»Das glaube ich nicht. Du warst so selten hier, und wenn, dann bist du doch nicht weiter als bis zum Söller gekommen. Auf dem Hof hat sich vieles verändert über die Jahre.« Angelika lächelte. Kleine Grübchen erschienen neben ihren Mundwinkeln. Hatte sie diese Grübchen immer schon?, fragte sich Lovis und fühlte erstaunt, wie sein Herz schneller schlug.

»Außerdem bringt dich die frische Luft auf andere Gedanken. Nicht wahr, Paul?«

»Klarer Fall«, sagte der Knecht und zog den Reißverschluss seines Overalls zu. »Besser du wechselst die feinen Klamotten gegen etwas, das den Stallgeruch verträgt, Chef«, grinste er. »In fünf Minuten am Söller?«

Der Söller war Sebastians Lieblingsplatz gewesen. Auf der Hausbank vor der Eingangstür war er dort abends gesessen und hatte die Sonne verabschiedet, bei einem Glas Leps. Vielleicht sollte ich mir das auch angewöhnen, dachte Lovis noch und ergab sich in sein Schicksal.

Die Hofführung begann im Stall. Kaum hatte Lovis seinen Fuß in das dämmrige Dunkel gesetzt, holte ihn die Erinnerung ein. Immer wenn er mit seinen Eltern den Messner Hof besucht hatte, führte ihn sein erster Gang in den Stall. Er hatte die beschauliche Atmosphäre dort geliebt, das stete Mahlen der Kühe, hin und wieder unterbrochen von leisem Kettengeklirr oder einem Muhen.

»Die Kühe laufen ja alle frei herum«, stellte er beinahe erschreckt fest, als sich seine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten.

Das brachte ihm einen vorwurfsvollen Blick von Paul ein. »Sag nicht, dass du seit vier Jahren nicht mehr im Stall gewesen bist, Chef!«

Lovis zuckte nur mit den Schultern, worauf sein Knecht ein verächtliches »Pfff!« ertönen ließ. Was er anschließend vor sich hin grummelte, hörte sich für Lovis an, wie »Und so einem fällt dieser Hof einfach in den Schoß. Zum Schämen ist das …« Da konnte er Paul nur zustimmen.

»Dem Waschtl haben die Viecher immer leidgetan. So an der Kette«, erklärte Paul nun laut. »Und deswegen hat er den Stall ein bisschen umbauen lassen. Zu einem Laufstall eben. Eigentlich war er zu gut für einen Bauer … Aber die Viecher haben’s ihm gedankt. Sind kaum krank, und Streitereien gibt’s auch so gut wie nie.« Im Vorbeigehen streichelte Paul einer der Kühe wie beiläufig das Maul. »Alles Grauvieh übrigens. Gehört zu den gefährdeten Rassen. Sie geben halt nicht ganz so viel Milch wie die Rindviecher, die jetzt überall modern sind, aber das war dem Waschtl gleich. Er hat immer gesagt: ›Die Rinderrasse hat’s schon gegeben, als die Römer unser Land überschwemmt haben. Wär’ ja noch schöner, wenn unsere profitgierige Gesellschaft es schaffen würde, diese Rasse auszurotten.«

Vielleicht hättest du selbst ein kleines bisschen mehr aufs Geld schauen können, Alter, dachte Lovis im Stillen bei sich. Wegen Sebastians Tierliebe hatte er jetzt diesen hochverschuldeten Hof an der Backe.

Paul, der nicht bemerkte, was in Lovis vorging, fuhr fort: »Im Sommer sind sie auf der Alm, aber von September bis Anfang Juni wird dein Tag ab jetzt ein bisschen früher anfangen. Melken ist um sechs Uhr.«

Kann ich doch gar nicht, wollte Lovis einwenden, aber er biss sich auf die Lippe. Dieses Argument zog bei Paul nicht, hatte er gelernt.

»Anfang Juni ist der Almauftrieb, wie gesagt. Sie stehen immer droben auf dem Ackerboden. Da hast du ein schönes Stück Wiese – einen Wald übrigens auch. Und herunten im Tal dürfen sie raus, sobald die Temperaturen nicht mehr unter null fallen.«

Von mir aus, dachte Lovis, froh darüber, dass er keine Kuh war. Das Almgrundstück auf dem Ackerboden kannte er. Eine Lichtung mitten im Wald, kaum eine Menschenseele verirrte sich dorthin, und es war herrlich still da oben. Ob wenigstens dort alles beim Alten war? Lovis dachte sehnsuchtsvoll an lange Tage im Freien, an ausgedehnte Spiele im Wald, der nach Kiefern duftete.

»Wie viel würde man für die Rinder kriegen, wenn man sie verkaufen würde?«, erkundigte er sich. Vielleicht konnte man den Schuldenberg dadurch verkleinern, dass man den Viehbestand reduzierte.

Doch Paul machte seine Hoffnungen schnell zunichte. »Das vergiss besser gleich wieder, Chef. Mit dem, was wir für die Milch kriegen, kannst du meinen Lohn zahlen. Und noch was drüber raus.«

»Echt?« Lovis sah die Rinder jetzt mit ganz anderen Augen an. »So viel werfen die ab?«

»So 15 bis 17 Liter gibt jede von denen am Tag. Bei fünfzig Cent, die wir für einen Liter Milch kriegen, kannst du dir selber ausrechnen, was dir das am Monatsende einbringt.«

Schnell überschlug Lovis den Betrag und riss die Augen auf. »Du verdienst 3000 Euro?«

Paul verdrehte die Augen. »Brutto kommt das ungefähr hin, ja. Auf meinem Konto kommt dann leider nimmer so viel an. Auf jeden Fall verdank ich mein Gehalt den Kühen. Wollen wir weiter?«

Im hinteren Teil des Stalls standen zwei weiße Kälbchen. Als Paul einem davon liebevoll die Stirn kraulte und dafür mit einem zärtlichen Schlecken belohnt wurde, fühlte sich Lovis wieder in seine Kindheit versetzt. Die raue Zunge der Kälbchen, ihr vertrauensvoller Blick aus diesen sanften Augen. Sie schmecken nur das Salz auf deiner Haut, rief er sich in Erinnerung und war froh, als Paul seinen Vortrag wieder aufnahm.

»Der junge Mann hier weiß noch nicht, dass er nächste Woche in einen Mastbetrieb kommt und dann … na ja … wird er wohl als Tiroler Almochs auf den Speisekarten der feinen Restaurants auftauchen.« Paul zuckte die Schultern. »Die Hilde hier hat mehr Glück. Die wird mit Mutterkuhhaltung aufgezogen. Wenn sie nach ihrer Mutter kommt, wird eine gute Milchkuh aus ihr.«

In einem Auslauf vor dem Stall suhlten sich zwei Säue im Schlamm. Aufgeregt quiekend begrüßten sie Paul und drängten ihm mit ihren Rüsseln entgegen. Er kratzte beide ausgiebig am Hals.

»Speck für die Törggelesaison«, meinte Lovis grinsend.

Paul runzelte die Stirn. »Nur gut, dass das dein Onkel nicht mehr hören kann. Die Luise war für ihn wie ein Familienmitglied. Er hat Freud und Leid mit ihr geteilt. Abends ist er immer noch ein Weilchen bei ihr gestanden und hat ihr was erzählt.«

Verständnislos schüttelte Lovis den Kopf. Hoffentlich verlangte niemand von ihm, dass er seine Abende mit einer Sau verbrachte.

»Sie ferkelt in den nächsten Tagen. Die Ferkel werden wir dann verkaufen und … die werden dann wohl wahrscheinlich wirklich Speck für die Törggelesaison. Erst ein paar Monate Urlaub in Holland, sich fett fressen, und dann wieder zurück zum heimischen Schlachter.«

Die Praktiken rund um den Südtiroler Speck waren ein offenes Geheimnis, das eigentlich nur die Frächter reich machte und über das jeder den Kopf schüttelte. Trotzdem änderte sich nichts daran. Lovis überlegte, was Paul zur Aufzucht der Ferkelchen auf dem Messner Hof sagen würde, und nahm sich vor, dies bei einer späteren Gelegenheit mit ihm zu diskutieren. Doch zuerst folgte er ihm weiter zum Hühnerstall, zur Weide und zum Beerengarten.

Der Messner Hof war ein typischer Hof mit Mischwirtschaft, wie sie in Südtirol über die Jahrhunderte vom Vater an den Sohn vererbt wurden. Ein bisschen Vieh, Obst- und Gemüsefelder – seit jeher hatten es die Bauern geschafft, sich selbst und die nahe Stadt zu versorgen. Mal besser und mal schlechter. Mittlerweile hatte sich aber auch in diesem alpenländischen Idyll die Größer-Besser-Mehr-Mentalität durchgesetzt, und es ging immer mehr darum, Waren für die Massen herzustellen. Die Apfelmonokulturen, die sich vom Vinschgau bis ins Trentino zogen, waren das beste Beispiel dafür. Sie wurden als größtes zusammenhängendes Apfelanbaugebiet beworben, aber die großzügige Ausbringung von Schädlingsbekämpfungsmitteln hatte dem Land den Spitznamen »Pestizidtirol« verschafft und war vermutlich auch für die hohe Krebsrate mitverantwortlich.

Bei diesem Gedanken schob sich Sebastians armseliges Ende in dem sterilen Krankenhausbett vor Lovis’ inneres Auge. Ob sein Krebs auch dadurch ausgelöst worden war?

»Spritzen wir eigentlich?«, fragte er Paul.

Der zuckte die Schultern. »Wie sollte es anders gehen?«

»Es gibt auch Biobauern.«

»Wenn du das Geld hast, den Betrieb umzustellen, bin ich dabei. Drei bis fünf Jahre dauert die Umstellung. In der Zeit ist allerdings nicht viel los mit Moos …« Auf Lovis’ zerknirschten Blick antwortete er mit einem Schulterzucken. »Jetzt lernst du erst mal unseren Jonny kennen.« Paul deutete Richtung Remise und ging seinem neuen Chef voran.

»Jonny?« Lovis hatte den Namen noch nie gehört. Seit wann gab Onkel Sebastian seinen Tieren englische Namen? Das hatte er früher nie getan.

Paul grinste spitzbübisch. »Ein Schmuckstück. Unser ganzer Stolz.« Er schob den Riegel zurück, und das Tor der Remise schwang auf. In der einfallenden Nachmittagssonne funkelte ein Traktor. »Das ist er.« Liebevoll streichelte der Knecht dem Fahrzeug über den grün lackierten Kotflügel. »Unser Johnny, 43 kW, 61 PS, Hydrostatikgetriebe. Gebraucht gekauft, aber er war beim vorigen Besitzer kaum in Betrieb. Ein Schnäppchen. Und dem Waschtl seine letzte Investition. Danach …« Paul verstummte.

Lovis versuchte vergebens, die gebührende Ehrfurcht für das Gerät aufzubringen. »Aha«, machte er verständnislos. Ein Traktor, schön. Na und?