Harald Zilka

INSIDE LIGNANO

Harald Zilka

INSIDE LIGNANO

Eine Spurensuche

Die Geschichte der Adria seit der Antike

Inhaltsverzeichnis

Persönliches Vorwort

Frühmorgens in Lignano

Eine Annäherung

Plinius, der Entdecker

Die Veneter

Ein Reich der Wunder

Die Fischer von Lignano

Die Straße der Häfen

Die Insel der Wölfe

Das Römische Reich

Das Zentrum der Macht

Die Straße der Pilger

Die Patriarchen

Die Pilgerreise geht weiter

Die Macht von Venedig

Die Spur von Venedig

Krieg und die Habsburger

Die heilige Inquisition

Das Ende von Venedig

Von Napoleon bis zur Modernen

Der Pionier von Lignano

Die Geburt von Lignano Sabbiadoro

Heilendes Wasser

Aufbau und Fall (1910-1914)

Auferstehung (1925)

Die Heilanstalt Colonia

Hitlers Krieg

Das Comeback der Adria

Der Leuchtturm von Lignano

Moderne Zeiten

Lignano Pineta (1953)

Die Architektur

Terrazza a Mare

Viva Lignano (1964)

Der Schatten der Mafia

Schwierige Zeiten 1980-1990

Literatur, Film und Medien

Lignano im Spiegel der Medien

Das 21. Jahrhundert

Danksagung

Eine Reise in Bildern

Nachwort des Autors

Anhang

Wichtige Museen für die Geschichte

Über den Autor

Lignano - Fanseiten

Buchempfehlungen

Literaturhinweis

Persönliches Vorwort

Als ich 2012 bei einer Italienreise die private Fanseite radio-adria-cybercomm.at entdeckte, war der 1977-1991 beliebte Privatsender Radio Adria in der Geschichte spurlos verschwunden. Nach meinem Buch- und Filmerfolg Remember Him (mit dem ehemaligen österreichischen TV-Star Günter Tolar) suchte ich ein neues Projekt. Es war ein aufregendes Jahr. Der bekannte TV-Moderator Peter Rapp war nach fünfundzwanzig Jahren aus der Sendung Licht ins Dunkel gestrichen worden und die Petition, die ich damals mit Rapps Schreibgruppe mitinitiierte, führte zum Wiedereinsetzen des Stars in der Sendung ›Große Chance‹. Im Frühling fragte ich bei zahlreichen ehemaligen Mitarbeitern von Radio Adria nach dem Interesse an einer Filmdokumentation an. Ich schrieb die bekanntesten Ex-Sprecher an: Josef Hader, Andy Woerz und Peter Tichatschek, Paul Vècsei, Jean-André und Oliver Baier. Ich rechnete gar nicht mit einer Antwort. Sie sagten am selben Tag zu, auch wenn der Film noch drei Jahre dauerte. Der Rest ist veränderte die sozialen Netzwerke. Damals glaubte niemand daran, dass es ein Interesse für den Sender oder das nostalgische Italien gab. Ganz unkompliziert war es nicht, aber letztendlich schrieb ich Geschichte.

(Foto oben: Harald Zilka im Gespräch mit Josef Hader, Foto unten: Treffen der Radio Adria-Mitarbeiter mit dem Autor, 2019) Christian Faltl, Johann Almeder, Prof. Paul Vècsei, Harald Zilka, Eckhart Köll, Andy Woerz, Josef Hader

Das Projekt wuchs, wir sammelten tausende Gigabyte mit Film- und Fotomaterial, auch aus Deutschland und Italien bekamen wir Material. 2015 gründete ich auf FB die Fanseite RadioAdria-Eine Erfolgsgeschichte und nach einem mühevollen Start stieg die Reichweite im deutschsprachigen Bereich in die Tausende. Als der Film herauskam, fand er einen Vertrieb und sowohl die DVD, die Blu-ray und das nachfolgende Radio Adria Kochbuch waren ein voller Erfolg. In diesen Jahren hatte ich auf den Fanseiten täglich mit Menschen Kontakt, die verliebt, besessen, völlig hypnotisiert von der Adria waren. Sie fuhren jedes Jahr nach Lignano, Bibione oder Jesolo, oft mehrfach und wollten gar nirgendwo anders hin. Damals schon, als ich noch historische Berichte und nostalgische Fotos postete, kam mir die Idee, dass diese Urlaubsorte unterschätzt wurden. Außerdem war Radio Adria nur mehr wenigen bekannt, weil es schon dreißig Jahre zurücklag. Es war vielleicht der Türöffner zur Nostalgie, aber nicht das Thema. In einem Jahrzehnt aus medialen Terrorwahn und Verunsicherungen gab es viele Gründe sich nicht an Flughäfen abtasten zu lassen, sondern lieber ins Auto zu steigen und ans Meer zu fahren. Im Mai 2019 erschien das Buch Bibione – Vom Römerlager zum Ferienparadies und Lignano - Das Urlaubsparadies der Wickie, Slime & Paiper-Generation(mit Christoph Winter), welches innerhalb zweier Monate zum absoluten Hit wurde. Nicht nur in Österreich und Deutschland, sogar italienische Fanseiten und interne Instagram-Seiten von in Lignano Aufgewachsenen teilten das Buch im Internet. Ich bekam dutzende Fannachrichten, Fotos und hatte einen richtigen Hype ausgelöst. Die Fans von Jesolo und Caorle wollten auch ein Erinnerungsbuch und weil die beiden Orte in der Geschichte sehr wichtig waren, schrieb ich noch die Bücher Jesolo–Von der Insel der Wildpferde zum Urlaubsparadies und Caorle. In dieser Zeit lernte ich hunderte Urlauber aus mehreren Ländern kennen: Camper, Einheimische und Wirtschaftstreibende, Saisonarbeitskräfte und Auswanderer. Die Arbeit an der Nostalgieseite und den Büchern hat natürlich viel verändert. Die Recherchen zu diesen Büchern öffneten mir die Augen für die Geschichte und Schönheit einer Region, welche in deutsch-sprachigen Medien oft minderwertig beleuchtet wird. Es ist, als öffnen sich die Türen eines fremden Landes und man blickt dahinter, um es zu verstehen. Die Nostalgiebücher behandelten natürlich Großteils das 20. Jahrhundert und kratzten nur an der Oberfläche der Geschichte. Brauchbare Reiseführer gab es kaum, deutschsprachige Quellen zitierten die Geschichte oft falsch und vor allem die venezianischen Berichte waren verfremdet. Lateinische, griechische und römische Texte waren oft sehr verwirrend. Die ganze Geschichts-schreibung besteht aus Überlieferungen und mythologischen Geschichten. Die Nostalgiebücher zeigten die dokumentierten letzten hundert Jahre, aber dahinter lag ein dunkler Nebel, welcher unerforscht blieb. Also habe ich mich entschlossen, es wieder anzugehen. Den Rucksack zu packen und loszuziehen in die Vergangenheit. Wann entstand Lignano wirklich und wieso ist der Name in unterschiedlichen Schreibformen schon tausend Jahre bekannt? Warum wurden andere Orte wirtschaftlich erfolgreich, waren umkämpft im Mittelalter und wieso führte dieses Eiland ein Schattendasein? Eine Spurensuche, begleitet vom Leser, der die Vergangenheit entdeckt wie der Autor. Was wir suchen sind die Spuren im goldenen Sand nach alten Kulturen und die Entwicklung eines Ferienparadieses, welches nicht nur die Wickie, Slime & Paiper-Generation begleitet, sondern auch ihre Nachkommen. Tatsächlich sind es heute die Kinder der damaligen Familien, die mit ihren Kindern wieder an die Adria fahren. Die letzten hundert Jahre sind in der italienischen Literatur, der Bibliothek von Lignano, dem Fremdenverband und der Comune di Lignano gut dokumentiert. Will man zurück in frühere Zeiten, findet man Löcher, die auch die einheimische Literatur ausgelassen hat. Was mir vorschwebt ist zu Beginn eine kleine Wanderung, um in Stimmung zu kommen. So mühelos als möglich, so modern als machbar – wenn ihr Koffer gepackt ist, sind wir bereit.

Harald Zilka, Sommer 2019, Aprilia Marittima

Mit dem Filmemacher Eckhart Köll und Josef Hader (November 2019)

Frühmorgens in Lignano

Um Geschichte zu spüren, kann man nicht mit den historischen Büchern beginnen, denn sie sind trügerisch und dick verstaubt. Es tut gut, sich dorthin zu begeben, wo sich die Erinnerungen der Urlaube der Kindheit und das moderne Lignano verbinden. Man muss ins Auto steigen, Österreich oder Deutschland hinter sich lassen und nach Lignano fahren, wo an jeder Ecke ein paar Blitze der Erinnerung durch das Gehirn fahren, so wie es sich bei den Erlebnissen früher eingeprägt hat. Der verstorbene Sänger Udo Jürgens schrieb darüber ein Lied (Wir sind schon auf dem Brenner, Album Sempre Roma, Ariola - 1990).

Süden voraus, hinter Tunnels und Staus,

schon Milano in Sicht.

Kein Blick zurück auf dem Weg in das Glück,

das Italien verspricht.

Spiele am Strand, schöne Mädchen zur Hand,

Blicke, die sich versteh'n.

Himmel und Meer, Open End, Open Air,

Freunde - das woll'n wir seh'n.

Wir sind schon auf dem Brenner,

wir brennen schon darauf.

Wir sind schon auf dem Brenner,

ja, da kommt Freude auf!

Das Gesicht der Stadt und das Serviceangebot hat sich verändert; das Ritual der Reisen ist fast gleichgeblieben. Die österreichische Staatsgrenze markierte eine Veränderung, die wir auch als Kinder spürten. Egal ob es nach Lignano, Bibione, Caorle oder Jesolo geht – Italien grüßt im Sommer mit der trockenen Hitze und den Gerüchen des Mittelmeeres. Der Duft von Pinien und Akazien liegt in der Luft, die Einfamilienhäuser entlang der Via Lignano Süd haben ganz andere Dächer als daheim. Die Grillen zirpen laut auch am Tag.Wann immer ich kann, besuche ich bei der Anreise Via Lignano Nord, kurz vor Aprilia Marittima das Grillrestaurant Da Roberta. 1968 gegründet, zählt es bis heute zu den Geheimtipps der Einwohner, die dort Fischköstlichkeiten und Grillplatten mit selbstgemachter Polenta genießen. Als ich in den 80er- und 90er-Jahren mit meinen Eltern da war, kehrten wir mit Freunden einmal pro Woche ein. Der riesige Gastraum ist ein feines Sammelsurium an bäuerlichen und italienischen Dekorations-artikeln aus Weinbau, Landwirtschaft und persönlichen Dingen der Familie. Gut gestärkt führt die Fahrt zum Kreisverkehr, durch Lignano Richtung Zentrum, vorbei am Lunapark. Ein Großteil der Stadt ist kaum älter als sechzig Jahre. Tatsächlich wurde erst 1931 der Name in Lignano Sabbiadoro geändert. Aufgetaucht ist er damals erstmals in einer Broschüre der Hotelvereinigung. Erfunden hat den Beinamen wohl ein schneidiger Journalist. Sabbiadoro, Goldener Sand, sollte wohl ein Seitenhieb auf das noble Grado sein, dass schon sechzig Jahre vorher ein erfolgreicher Badeort war und sich gern mit goldenen Sprüchen und den Beinamen Isola d'Oro, goldene Insel schmückte.

Werbebroschüre des Fremdenverkehrsverbandes, 1956 (Archiv FotoCineClub Lignano)

Der goldene Sand und der blaue Himmel fand auch Eingang in das Wappen der Stadt Lignano, verbunden mit der schneckenartigen Grundstruktur von Pineta. Ein kleiner Spaziergang zum Strand zwischen Punta Faro und der Terrazza a Mare zeigt die Ausmaße des modernen Tourismus.Ausgerechnet hier ist auch die Gegend, wo in den 1930er-Jahren kräftig gebuddelt und aufgeschüttet wurde, um die Sümpfe zu besiegen. Heute, wo es nach Sonnencreme und Salz riecht, das Meer in den hinteren Reihen vom Lärm übertönt wird, findet eine jährliche Reinigung statt. Jeden Winter werden alle Schirme und Stühle abgebaut und mit großen Baggern der Sand umgeschaufelt. Wer wirklich den Adria-Städten näher kommen möchte, muss dies im Herbst oder gar im Winter tun. Früher lagen die Geisterstädte im Nebel, heute gibt es beheizte Hotels und Weihnachtsmärkte und viele Fans kommen gerne auch über den Jahreswechsel.

Die Weihnachtsstraße ist so hell geschmückt wie auch in unseren Städten. Kunstwerke und Sandskulpturen locken immer mehr Gäste an.Wenn man Glück hat kann man tagsüber mehr Sonne bekommen als in der Heimat. Ein kurzer Espresso im luftigen Café der Terrazza a Mare, deren Hauptinnenraum zu meinen Jugendzeiten eine Diskothek war. Heute gibt es hier Ausstellungen und Lesungen. Kunst wird an der Adria überall gefördert. Ein richtiger Eindruck der Stadt ergibt sich nicht bei Tag und noch weniger am Abend, wo sich die Massen durch die Fußgängerzone schieben. Nur frühmorgens oder in der kalten Jahreszeit zeigt sich die Stadt von ihrer privaten Seite. Wer es ruhiger schätzt, kann sich in den anderen Ortsteilen wie Pineta einmieten, wo der Pinien-Ruhe-Faktor deutlich überwiegt. Ein bisschen Wehmut erfüllt den nostalgischen Urlauber, weil die alten Geschäfte heute modernen Designerläden gewichen sind. Ich habe lange mit dem Kabarettisten Josef Hader darüber gesprochen, als wir den Radio-Adria-Film drehten. Eigentlich immer, wenn ein Teil der alten Truppe zusammenkommt, wird über die alten Zeiten gesprochen. Hader selbst, der heute zu den gefragtesten Schauspielern zählt, fährt jedes Jahr nach Aquileia, mietet sich in einer einfachen Pension ein und liebt es dort vor der Basilika Santa Maria Assunta zu sitzen, manchmal zu schreiben. Früher bekam man hier in Norditalien die neueste Mode. Ich erinnere mich gut daran, dass es in den 1980er-Jahren zum Beispiel in meiner Heimatstadt Wien nur sehr altmodische Kleidergeschäfte gab. Unsere Schulhefte kauften wir in kleinen Papierläden neben der Schule und nicht beim Discounter. Kleine Elektrofachhändler hatten Mühe auf den neuen Trend der VHS-Kassette aufzuspringen und die modernsten Klamotten brachte man vom Urlaub in Italien mit. Heute ist auch der Kleidermarkt von Discountern und der Asien-Mafia überlaufen, aber auch dem Onlinehandel. Marktfreiheit, Euro und EU haben den Mittelstand genauso zurückgedrängt wie bei uns. Die kleinen Greisler, Kaffeeshops und Bäckereien sterben, weil große Handelsketten wie Despar, Lidl oder Ikea europaweit alle Produkte anbieten. Früher war es fast unmöglich dunkles Brot zu bekommen, heute ist das gar kein Thema mehr. Eines der wenigen Geschäfte, welches alle Modernisierung überdauert hat, ist ein kleiner Lebensmittel- und Getränkeladen in der Fußgängerzone, der auch ein ganzes Regal von Hitler-Artikeln verkauft. Das Geschäft scheint gut zu laufen. 2018 befand sich das Regal noch ganz hinten im Laden, ein Jahr später zierten die Gegenstände mit zweifelhafter Moral schon die Auslagen auf der Straßenseite. Italien hatte seine eigene Erfahrung mit dem Faschismus, aber auch eine lange quälende Geschichte mit ständigen Flüchtlingsströmen seit der Antike. Die langen Jahrhunderte der wechselnden Besatzer, die um die Adria kämpften und die ständigen Abhängigkeiten haben Spuren hinterlassen. Auch die Monarchie hat sich festgesetzt; fast ein Großteil der Stadt Grado besteht aus Bauwerken, die aus der österreichischen Zeit stammen. Ich war ziemlich enttäuscht, als ich in Grado nach dem echten Italien gesucht hatte und dort Österreich gefunden habe. Hier in Lignano findet man Italien gar nicht. Es ist eine Designerstadt genauso wie in Las Americas in Teneriffa, tief beeindruckt vom amerikanischen Stil der 50er- und 60er-Jahre. Eine verkleinerte Version des amerikanischen Las Vegas, welches tatsächlich mehr US-Architektur aus den 1950er-Jahren importierte als italienische Facetten. Die Villen von Lignano sind in einem Stil gebaut, den man allenfalls aus US-Serien wie Bezaubernde Jeannie (1965) oder Raumschiff Enterprise (1969) kannte. Was immer man sich in der Zukunft vorstellen konnte, wurde in Lignano verbaut. Und zwar mit einer Technik, die in den frühen 1950er-Jahren neu war: Fertigteile, die mit Lastwägen und Kränen angeliefert und Beton, der in vorgefertigte Wände eingefüllt wurde. Dazu wurde auch mit Rahmenkonstruktionen gebaut, in denen Ziegelwände aufgezogen wurden. Die Firma E.M.E Modulari Edili hat einen dreihundertseitigen Geschichtsrückblick herausgegeben, der unglaublich Einblicke gewährt.

Geschichte der Baukunst, 1950-2010, E.M.E Modulari Edili

Ja, wir durchwühlen hunderte Seiten stolzer Baugeschichte, gerne wird auch in Schriften der Comune Lignano davon erzählt. Einige der Villen, die wir später kennenlernen werden, waren in ihrer Zeit futuristisch. Es war der Luxus, der die Menschen aus den zerbombten und wiederaufgebauten Nachkriegsstädten anzog. Zwischen den Appartementsanlagen und Ferienwohnungen stehen von Architekten geschaffene Villen.

Die muschelartige Terrazza a Mare ist nur eines von vielen Bauwerken. Natürlich gibt es auch noch das andere Italien, welches einen Kampf gegen die Mafia führt. Der läuft nicht so wie in den Hollywoodverfilmungen mit Robert De Niro und Joe Pesci und wird von den Touristen auch ferngehalten. Präsent ist dieser Kampf ständig, nachzulesen in den regionalen Tages-Zeitungen wie Udine Today, Messaggero Veneto und anderen. Wir werden dem Problem begegnen, es ist aber nicht das Ziel unserer Reise. Korruption gibt es schließlich auch bei uns. Um richtig an dieser Stadt zu schnüffeln, muss man frühmorgens aus den Federn, wenn Lignano noch schläft. Einsam wird man dabei nicht, viele joggen am Strand, spazieren durch die Straßen. Bei dem kleinen roten Leuchtturm gibt es heute sogar klassische Konzerte in der Morgendämmerung. Es zeigt, dass die vielen negativen Berichte über die ›Hausmeisterstrände‹ Bashing sind, ein regelrechtes Negativ-Campaigning von deutschsprachigen Medien und Privatsendern, die Lignano seit Jahrzehnten als Zentrum für Komasäufer und sozial schwache Familien abstempeln. Die meisten Urlauber kommen immer wieder, weil sie genau das wollen, was sie immer gewohnt waren. Nostalgische Bindung an die Jugendzeiten ist bei mindestens 20 Prozent ein Mitgrund für ihre Urlaubsentscheidung. Es gibt auch Abtrünnige (so wie der Autor des Buches), die ein, zwei Jahrzehnte andere Länder bereisten und irgendwannzurück-kamen. Wer die Vergangenheit sucht, wird überrascht sein, wie wenig er sie findet. Heute ist vieles neu und angefangen von Hundestränden, Strandritten mit Pferden, Pop-Konzerten, Feuerwerken gibt es alles, was die Urlaubsregionen für Familien perfekt macht. Nirgendwo wurde soviel in den Ausbau der Radwege investiert, im Rathaus gibt es eine eigene Mitarbeiterin, die auf Hochzeitsanfragen spezialisiert ist. Ja, es gibt einen regelrechten Hochzeitstourismus, denn immer mehr wollen am goldgelben Strand ihren Ehepakt schließen, weil dies wahrscheinlich viel stilvoller ist als in Las Vegas in einer Kapelle von einem Elvis-Imitator getraut zu werden. Bevor wir weiterziehen, trinken wir noch einen Espresso in der Bar Italia in der Fußgängerzone. Beim neuen Hafen kaufen wir eine kristallblaue Wetterfigur wie in den 1980er-Jahren.

Angeblich verändert sie ihre Farbe je nach Wetter und Feuchtigkeit. Warum sie hier besonders populär sind, erklärt mir der Lehrer und Hobby-Meteorologe Carlo. »Aberglauben«, sagt er. Die Kristalle reagieren mit der Luftfeuchtigkeit und verändern die Farbe. »Für die Untersuchung des Klimas von Lignano gibt es keine systematischen und langfristigen meteorologischen Beobachtungen. Eine war zwischen 1888 und 1895 und dann vielleicht in den 1980er-Jahren«. Vieles liegt im Dunkeln der Geschichte, weniges ist dokumentiert. Wir machen uns auf die Suche. Schnell laden wir ein Foto hoch in die Facebook-Fangruppen, so wie tausenden Fans. Sie grüßen einander online und wetteifern um die schönsten Fotos. Das halbe Straßenpflaster der Fußgängerzone ist neu und viele berühmte Lokale gibt es nicht mehr. Immer, wenn ich hier bin, besuche ich die Appartementanlage, in der ich die Urlaube mit meinen Eltern verbrachte. Das Lustige daran ist, ich bin nicht besonders nostalgisch.

Ich fühle mich auch in anderen Ländern wohl und werde niemals mehrmals pro Jahr immer zum gleichen Ort fahren. Vielleicht ist das wichtig, wenn man darüber schreibt, vielleicht bringt es die Distanz, mit der man die Geschichte erforschen muss.

Lignano, Springbrunnen, Postkarten, 1972