Weitere Bücher der Reihe

Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion ist die Gelegenheit alle fünfhundert dieser zeitlos schönen Liebesromane zu sammeln, die die gefeierte Liebesromanautorin geschrieben hat.

Die Reihe trägt den Namen Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion weil sie Geschichten solche der wahren Liebe sind. Jeden Monat sollen zwei Bücher im Internet veröffentlicht werden, bis alle fünfhundert erhältlich sind.

Die unendliche Barbara Cartland Liebesroman Kollektion, klassisch schöne Romane wahrer Liebe erhältlich überall für alle Zeit.

  1. Der Fluch der Hexe
  2. Die Brigantenbraut
  3. Zärtliche Indira
  4. Ein Fremder kam vorbei
  5. Der Clan der McNarn
  6. Der Liebesschwur
  7. Jawort unter Fremden Sternen
  8. Gefangene der Liebe
  9. Laß mich bei dir Sein
  10. Das Traumpaar
  11. Bezaubernde Hexe
  12. Die Zärtliche Versuchung
  13. Liebe unter Fremdem Himmel
  14. Hochzeit Mit dem Ungeliebten
  15. Hochzeit Mit dem Ungeliebten
  16. Liebe unterm Tropenmond
  17. Weiße Lilie
  18. Amor in Sankt Petersburg
  19. Die Zähmung der Wilden Lorinda
  20. Die Zigeuner-prinzessin
  21. Flucht ins Gluck
  22. Die Einsame Frau das Herzogs
  23. Sehnsucht nach dem ersten Kuß
  24. Schlittenfahrt ins Glück
  25. Das Mädchen und der Maler
  26. Die Weiße Sklavin
  27. Bleib bei mir, Kleine Lady
  28. Die Braut des Rebellen
  29. Nur ein Hauch von Liebe
  30. Geheimnis um Virginia
  31. Liebestrommeln auf Haiti
  32. Ich Schenke dir mein Herz
  33. Das Glück hat deine Augen
  34. Liebesglück in Schottland
  35. Der Herzensbrecher
  36. Die Flamme der Liebe
  37. Die Schmugglerbraut
  38. Der Marquis und das Arme Mädchen
  39. Die Herrin des Clans
  40. In Deinen Armen will ich Trämen
  41. Liebe mit Hindernissen
  42. Die Kapelle im Wald
  43. Zauber des Herzens
  44. Verzieh mir Liebster
  45. Der Prinz und die Tänzerin
  46. Triumph der Liebe
  47. Geliebte Lady
  48. Heimliche Liebe
  49. Ich Liebe Sie, Mylord
  50. Alle Zärtlichkeit für Dich
  51. Das Gefährliche Spiel
  52. Irrwege der Liebe
  53. Heimliche Brautschau
  54. Das Wunder der Liebe
  55. Geliebte Dominica
  56. Die Maske der Liebe
  57. Geliebte Stimme
  58. Die Liebenden von Valmont
  59. Die Vernunftehe
  60. Die Heimliche Geliebte
  61. Ich Begleite dich auf Allen Wegen
  62. Wie ein Trauma us der Nacht
  63. Reise ins Paradies
  64. Alvina, Engel meines Herzens
  65. Entführer meines Herzens
  66. Geküßt von Einem Fremden
  67. Dein Zärtlicher Blick
  68. Meine Stolze Prinzessin
  69. Verliebt in einen Engel
  70. Verwundetes Herz
  71. Im Garten der Liebe
  72. Indischer Liebeszauber
  73. Die Brautfahrt
  74. Die Intrigen der Lady Brandon
  75. Der Herzensdieb
  76. Porträt Eines Engels
  77. Diona und ihr Dalmatiner
  78. Sternenhimmel über Tunis
  79. Ein Junggeselle wird Bekehrt
  80. Liebe im Hochland
  81. Jagd nach dem Glück
  82. Deine Liebe ist ein Juwell
  83. Bis Daß der Tod uns Scheidet
  84. Lektion in Sachen Liebe
  85. Geliebt und glücklich
  86. Entscheidung des Herzens
  87. Im Zeichen der Liebe
  88. Opfer der Gefühle
  89. Garten der Sehnsucht
  90. Lady Bartons Rache
  91. Reise im Glück
  92. Nur die Liebe Zählt
  93. Prinzessin meines Herzens
  94. Liebe im Wüstensand
  95. Atemlos aus Lauter Liebe
  96. Liebende auf der Flucht
  97. Das Pfand der Liebe
  98. Melodie des Herzens
  99. Alles Glück der Erde
  100. Magie des Herzens
  101. Im Banne der Hexe

Inkognito in Monte Carlo

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2019

Copyright Cartland Promotions 1973

 

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

Zur Autorin

Barbara Cartland wurde 1901 geboren und stammt mütterlicherseits aus einem alten englischen Adelsgeschlecht. Nach dem Tod des Vaters und Großvaters ernährte ihre Mutter die Familie allein.  Sie war zweimal verheiratet und hatte drei Kinder. Ihre Tochter Raine war die Stiefmutter von Prinzessin Diana von Wales. Sie schrieb über 700 Romane, die ein Millionenpublikum ansprechen. Barbara Cartland starb im Jahr 2000.

1

Draußen auf dem Flur ertönten Schritte. Keuchend wurde ein Frühstückstablett auf einem Tisch abgesetzt. Dann klopfte es sacht an die Schlafzimmertür.

Ohne eine Antwort abzuwarten, betrat Jeanne das Zimmer und eilte auf das Fenster zu, um die Vorhänge aufzuziehen. Emilie betrachtete ihre massige Figur im schwachen Morgenlicht und fragte sich, seit wie vielen Jahren sie dieses Morgenritual erlebte. Nie wurde sie durch das Öffnen der Tür geweckt, sondern immer durch das, was vorausging: Jeannes Schritte auf dem Flur, das Klirren des Frühstückstabletts und ihr Keuchen.

War es seit achtzehn Jahren, daß Jeanne in ihren Diensten stand? Nein, seit neunzehn. Im übrigen kannten sie sich von klein auf. Nachdem die Vorhänge zurückgezogen waren, blickte man in einen frostigen Morgen, sah die grauen Dächer von Paris unter einem trüben Himmel. Eine fahle Sonne verbreitete blasses Licht. Emilie richtete sich ruckartig im Bett auf. Sie war bereits lange wach, hatte nur ein oder zwei Stunden geschlafen. Als sie in ihren Frisierspiegel blickte, bemerkte sie, daß die schlaflose Nacht ihre Spuren hinterlassen hatte. Heute morgen sah sie alt aus, alt und häßlich, vielleicht trug auch ihre Haarfarbe dazu bei. Aber Emilie hatte keine Zeit, sich über ihr Aussehen Gedanken zu machen, andere, viel wichtigere Dinge erforderten ihre Aufmerksamkeit.

Emilie schlüpfte in ihre wollene Bettjacke, stopfte sich die Kissen in den Rücken und wartete, bis Jeanne das Frühstückstablett abgesetzt hatte. Sie schien dafür ungewöhnlich lange zu brauchen. Dann begann sie umständlich, alles zurechtzurücken: die Kaffeekanne etwas nach links, die Tasse und den Unterteller nach rechts.

Emilie ließ sich durch dieses Manöver nicht tauschen. Sie wußte genau, daß Jeanne darauf wartete, daß sie redete.

Da es sie immer ärgerte, wenn Jeanne ihren Entscheidungen zuvorkam, befahl sie in scharfem Ton: »Jeanne, mach die Tür zu!«

»Oui, Madame, ich wollte sie gerade schließen.«

»Dann beeil dich und setz dich hin, um mir zuzuhören, denn du mußt aufmerksam sein. Wir haben viel vor.«

Jeanne ging durch das Zimmer, als ob ihre Beine steif und ihre Fuße wund waren. Sie hatte die schweren Knochen und langsamen Bewegungen der Bauern im Norden. Ihr Haar war grau, aber seltsamerweise hatte sie ein faltenloses Gesicht und die glänzenden Augen eines Kindes. Mit ihren sechzig Jahren konnte sie noch mühelos die zartesten Stickereien anfertigen.

Jeanne schloß die Tür und kehrte zum Bett zurück, setzte sich auf einen harten Stuhl und faltete ihre abgearbeiteten Hände.

Emilie beobachtete sie über den Rand ihrer Kaffeetasse und ärgerte sich, weil Jeanne wie eine Schülerin dasaß, die darauf wartete, daß der Lehrer zu sprechen anfing. Jeanne war ihre Freundin, ihre Vertraute, doch manchmal zeigte sie die Demut und das unterwürfige Desinteresse einer gewöhnlichen Bediensteten. Das bedeutete im allgemeinen, daß sie gekränkt oder ärgerlich war. Emilie stellte fest, daß im Augenblick beides zutraf.

So wußte sie es also! Umsonst hatte sie sich letzte Nacht Mühe gegeben, leise zu sein, um sie nicht zu wecken. Jeanne war aufgewacht und spielte jetzt die Beleidigte, weil man sie nicht runtergerufen hatte.

Emilie setzte ihre Kaffeetasse klirrend ab.

»Jeanne, letzte Nacht ist etwas geschehen«, sagte sie. »Wir bekamen Besuch.«

»Gewiß, Madame.«

Jeanne zeigte keine Überraschung. Emilie mußte lachen.

»Jeanne, hör auf, die Beleidigte zu spielen. Du weißt genau wie ich, daß ich unerwarteten Besuch bekam, ich betone: unerwartet. Ich hatte keine Ahnung, daß sie jetzt schon kommen würde, ich rechnete frühestens in drei Wochen mit ihr. Bis dahin hätte ich dir alles erzählt. Das Kind sagte mir, es habe mir vor vier Tagen einen Brief geschrieben, aber die Post ist ja so langsam, daß der Brief noch nicht eingetroffen ist. Das arme Mädchen stand allein auf dem Bahnhof, niemand hieß es willkommen. Die Ärmste hatte kaum genug Geld für eine Kutsche.«

»Dann ist also Mademoiselle gekommen«, sagte Jeanne.

Emilie lächelte immer noch gutgelaunt.

»Du weißt genau, daß es Mademoiselle ist, denn wenn du noch nicht ihr Gepäck im Vorraum in Augenschein genommen hast, dann hast du doch bestimmt im Gästezimmer nach ihr geschaut. Ich vermute, sie schläft noch?«

Jeanne vergaß ihren Stolz.

»Oui, oui, Madame, sie schläft wie ein Engel. Als ich sie sah, setzte fast mein Herzschlag aus. Ein echter Engel, sagte ich zu mir, vom Himmel selbst herabgesandt.«

»Das Kind ist reizend«, gab Emilie zu. »Ich habe immer daran geglaubt, daß sie so würde. Dieses letzte Jahr bedeutete für sie den Durchbruch. Sie ist jetzt achtzehn. Ist es möglich, Jeanne, daß schon achtzehn Jahre seit Alices Tod vergangen sind?«

Emilies Stimme klang plötzlich rauh, sie kniff den Mund zusammen und ihre Augen verengten sich. Mit einer energischen Bewegung schob sie das Frühstückstablett zur Seite und fuhr fort zu sprechen: »Paß gut auf, Jeanne, denn es gibt eine Menge zu tun.«

»Ich höre, Madame.«

Jeannes Stimme klang ruhig. Sie ließ keinen Blick von Emilie. Sie bemerkte jede Veränderung des Gesichtsausdrucks, jedes Flackern der dunklen Augen, jede Bewegung der dünnen, harten Lippen. Manchmal sah Emilie Bleuet verführerisch gut aus, nicht so heute morgen. Das helle Licht gab erbarmungslos jede Falte, jede scharfe Linie in ihrem hageren Gesicht preis, die braunen Flecken an ihrem Hals, ihre schlaffen Wangen, die tiefe Falte zwischen den Augenbrauen und die Furchen, die von der Nase zum Mund verliefen.

Doch daran war nichts Ungewöhnliches. Jeanne kannte Emilie in ihren guten und schlechten Zeiten. Zwischen den beiden Frauen, die fast gleich alt waren, gab es keine Geheimnisse. Jeanne war am 7. Januar 1814 geboren, Emilie am 7. Januar 1815.

Emilie war jetzt neunundfünfzig Jahre alt, und in diesem Alter kann keine Frau erwarten, daß die Zeit spurlos an ihr vorübergegangen ist. Neu an Emilie war die Nervosität, die sie erfüllte.

Jeanne hatte sie noch nie so erregt gesehen, so voller innerer Spannung, die ihre Augen glitzern und ihre Stimme unnatürlich klingen ließ. Nur in Augenblicken der Angespanntheit und der Selbstvergessenheit sprach sie mit Akzent. Ansonsten pflegte sie reines Pariserisch zu sprechen, mit gewählten Worten, etwas steif und leidenschaftslos. Aber heute morgen klang ihre Stimme wie die von Jeanne. Jeder Zuhörer hätte mühelos erkannt, daß sie beide aus der Bretagne stammten.

Emilie holte tief Luft und begann: »Ich wollte dir in den nächsten Tagen alles erzählen. Ich erwartete die Ankunft meiner Nichte Ende des Monats. Es überraschte mich sehr, daß sie bereits gestern ankam. Sie erzählte mir, daß die Mutter Oberin ihrer Klosterschule gestorben sei und die Nonnen deshalb beschlossen, die Schülerinnen drei Wochen früher nach Hause zu schicken. Das gute Kind hatte mir geschrieben, aber wie ich dir bereits sagte, ist der Brief nicht angekommen.«

Emilie hielt einen Augenblick inne, verschränkte die Finger ineinander. Sie schaute Jeanne an und senkte die Stimme zu einem Flüstern: »Jeanne, heute beginnt für dich und mich ein neues Leben«, sagte sie. »Die Vergangenheit ist begraben.«

»Ein neues Leben«, wiederholte Jeanne. »Was meinen Sie damit?«

»Wie ich es sagte: Wir werden ein neues Leben anfangen. Das sind keine leeren Worte, sondern das ist eine Tatsache«, sagte Emilie mit fester Stimme. »Vorgestern verkaufte ich das Geschäft.«

»Madame!«

Die Überraschung in Jeannes Stimme war nicht zu überhören.

»Ja, ich verkaufte es, und nicht schlecht. Ich glaube, behaupten zu können, daß es niemand hätte besser verkaufen können. Aber von heute an gibt es für uns die numero cinq in der Rue du Roi nicht mehr, auch Madame Bleuet ist tot.«

»Haben Sie deshalb Ihre Haarfarbe verändert?« fragte Jeanne.

»Genau«, antwortete Emilie und schaute sich im Spiegel an. »Meine Haare sind nach Gottes Willen grau. Das macht mich älter, aber es besteht kein Anlaß für mich, jünger oder anziehend auszusehen. Ich habe andere Plane, ganz andere Pläne. Ich werde mich in eine Gräfin verwandeln Madame la Comtesse. Das klingt doch gut, oder? Das ist mein neuer Titel, und du darfst ihn nicht vergessen.«

»Mon Dieu! Aber Madame, wie können Sie...? Ich meine . . .«

»Hör zu, Jeanne, und unterbrich mich nicht. Wir haben nur wenig Zeit. In Kürze wird Mademoiselle erwachen, und wir müssen uns einig sein. Ich bin Madame la Comtesse und Witwe. Du darfst nicht vergessen, Jeanne, daß Mademoiselle nichts von Monsieur Bleuet wußte. Ich habe ihr nie von ihm erzählt. Als ich sie im Kloster besuchte, trat ich als Mademoiselle Rigaud auf. Das war besser so, und ich bin jetzt froh, daß ich so vorsichtig war.

Nun zu dir. Als ich vor ein paar Tagen den Boulevard de la Madeleine entlangging, sah ich in einem Schaufenster Gepäck zum Verkauf. Es war ein kleiner, armseliger Laden, der vor allem gebrauchte Waren verkaufte. Dieses Gepäck bestand aus gutem Leder, in dem eine Krone eingraviert war. Du wirst dorthin gehen und es für mich kaufen. Es wird meine Geschichte untermauern.«

»Gepäck, Madame? Haben Sie vor zu verreisen?«

»Ja, Jeanne, ich gehe von hier fort, und du kommst mit uns mit, Mademoiselle und mir. Ich habe dir ja gesagt, die Vergangenheit ist begraben, die Zukunft beginnt.«

»Aber wohin gehen wir, Madame? Und warum dieses Spiel?«

»Ich werde dir nicht all meine Geheimnisse verraten, Jeanne. Das habe ich noch nie getan, oder? Ich ziehe es vor, allein zu arbeiten, das ist klüger. Wenn etwas schiefgeht, kann ich nur mir selbst Vorwürfe machen. Aber dieses Mal geht nichts schief! Seit achtzehn Jahren arbeite ich auf diesen Augenblick hin. Und es war harte Arbeit, das darfst du mir glauben. Meine ganzen Pläne bauten darauf auf.«

Emilies Stimme verwandelte sich in ein Zischen. Die Augen in ihrem blutleeren Gesicht waren nur noch Schlitze. Dann änderte sie plötzlich ihren Gesichtsausdruck. Sie wandte sich Jeanne zu: »Schau mich nicht so entsetzt an, Jeanne. Du brauchst mir nur zu vertrauen. Beeil dich und kauf das Gepäck, denn wir brauchen es. Dann müssen wir meine Kleider durchsehen; die meisten davon sind nutzlos.«

»Nutzlos?«

Jeannes Stimme klang ratlos.

»Aber ja doch, völlig nutzlos. Ich bin eine Aristokratin, eine Dame. Öffne die Schranktür und sage mir, wie viele der Kleider, die dort hängen, meiner jetzigen Stellung angemessen sind?«

Gehorsam, halb gelähmt, ging Jeanne zu dem riesigen Mahagonischrank, der eine ganze Wand des Schlafzimmers einnahm; Sie öffnete die Türen. Der Schrank hing voll mit Kleidungsstücken in allen Farben. Die Litzen, Borten und Spitzen bewegten sich im Luftzug und schillerten wie ein Regenbogen.

»Du kannst sie für mich verkaufen«, sagte Emilie vom Bett aus. »Sie werden nicht viel einbringen. Am besten, du bringst sie zu Witwe Wyatt am Markt, sie zahlt noch den besten Preis dafür. Sag ihr, was sie kosten, und versuche, ein gutes Geschäft zu machen. Das grüne Samtkleid habe ich erst vor drei Monaten gekauft und das zyklamenfarbene Seidenkleid eine Woche vor Weihnachten.«

»Aber Madame, Sie haben das zyklamenfarbene Kleid erst dreimal getragen!«

Jeanne nahm das Kleid liebevoll vom Bügel. Es war eine Robe mit üppigen Rüschen, Samtschleifen, das Oberteil und die engen Ärmel waren mit Pailletten besetzt. Es war offensichtlich, daß dieses Kleid teuer war, aber im Morgenlicht sah es grell aus, hatte etwas Gewöhnliches an sich.

»Nimm es weg!« befahl Emilie in strengem Ton. »Es wird mir nun klar, wie ich darin ausgesehen haben muß.«

Jeanne hängte das Kleid gehorsam zurück und schloß die Schranktür.

»Und wenn diese Kleider veräußert sind, was werden Madame dann tragen?« fragte sie.

»Neue Kleider für den Tag und den Abend, sie müssen sofort angefertigt werden. Mademoiselle benötigt das gleiche. Du wirst dich sofort zu Madame Guibout begeben und ihr auftragen, bei uns vorbeizukommen. Sag ihr, es sei von äußerster Dringlichkeit, für eine hochgestellte Persönlichkeit.«

»Madame Guibout ist aber sehr teuer.«

»Das weiß ich, Jeanne. In diesem Augenblick denken wir nicht ans Geld. Wie ich dir ja sagte, beginnt ein neues Leben.«

Emilies Stimme tönte wie eine Trompete durch den Raum. Plötzlich klopfte es an die Tür. Einen kurzen Augenblick lang trafen sich die Blicke von Herrin und Kammerfrau, keine sprach. Dann sagte Emilie mit Anstrengung: »Entrez!«

Die Tür ging auf, und Mistral kam herein. Sie trug noch ihr Nachtgewand, ein langes, weißes Batisthemd, das die Nonnen für ihre Schülerinnen anfertigten, um die Schultern hatte sie einen weißen Kaschmirschal. Sie trat langsam ins Zimmer. Ihre Augen leuchteten, ihr Mund lächelte. Als sie auf das Bett ihrer Tante zuging, glänzte die Sonne in ihrem Haar und verwandelte es in eine goldene Fackel, die den Raum zu erleuchten schien.

Ihr Haar, das in der Mitte gescheitelt war, fiel ihr in schweren Flechten über die Brüste und reichte bis zu den Knien. Es hatte die Farbe des reifen Korns oder der aufgehenden Sonne. Wie man ihr später sagte, war es mimosenfarben. Dieses Haar findet man nur bei den Angelsachsen, es ist das helle Flachsblond, das so gut zu den blauen Augen und blasser Haut paßt.

Doch erstaunlicherweise waren Mistrals Augen nicht blau, sondern dunkel, umrahmt von langen, dunklen Wimpern, die ihr einen seltsam geheimnisvollen Ausdruck verliehen.

Als Emilie sie betrachtete, fragte sie sich, wie sie je auf die Idee gekommen war, daß Mistral ihrer Mutter gleiche und doch, wenn sie sie länger ansah, entdeckte sie erneut die Ähnlichkeit. Eine Wendung des Kopfes, ein bestimmtes Lächeln, und aus Mistral wurde Alice, die am Fußende ihres Bettes stand. Ihre Augen blickten sie mit unverhüllter Freude an. Doch Alices Augen waren blau gewesen. Sie erschien immer als die, die sie wirklich war - eine Engländerin und Aristokratin.

Emilie gab widerwillig zu, daß Mistrals Schönheit noch strahlender war. Diese eigenartige Mischung aus Goldhaar und dunklen Augen war äußerst reizvoll, ihre vollkommenen Lippen kontrastierten in ihrem natürlichen Rot mit ihrer hellen Haut. Sie hatte etwas Unenglisches an sich, man fragte sich unwillkürlich, welches Geheimnis sich hinter diesen dunklen Augen verbarg.

Aber eines stand außer Zweifel: Mistral war genau wie ihre Mutter eine Lady. Sie war vom Kopf, den sie unbeschreiblich stolz und anmutig bewegte, bis zu ihren zarten Sohlen eine Aristokratin. Ihre Bewegungen, die Anmut ihrer schlanken Finger, ihre stolze, kleine Nase, zeugten von ihrem blauen Blut, als ob sie ihren Stammbaum vor sich hertragen wurde.

Emilie gab einen kleinen Seufzer von sich und streckte ihre Hand aus. Mistral flog ihr entgegen.

»Bonjour, Tante Emilie. Verzeih mir, daß ich so lange geschlafen habe, aber ich war letzte Nacht so müde, daß ich erst eben aufwachte und mich fragte, wo ich sei.«

Mistrals Französisch war vollkommen.

»Ich wollte dich lange schlafen lassen, mein Liebes«, antwortete Emilie. »Und jetzt wird dir Jeanne das Frühstück bringen. Erinnerst du dich an Jeanne?«

Mistral bewegte sich wie eine Gazelle durch den Raum und streckte Jeanne beide Arme entgegen.

»Natürlich erinnere ich mich an dich«, rief sie. »Ich erinnere mich an die Bonbons, die du mir immer gabst, wenn du mein Haar gebürstet hast. Als ich in die Klosterschule kam, vermißte ich dich und deine Bonbons über alles. Ich mußte mein Haar selbst bürsten und es war mir so lästig, daß ich es am liebsten abgeschnitten hatte.«

»Das wäre ein Verbrechen gewesen, Mademoiselle«, rief Jeanne aus und strahlte übers ganze Gesicht. »Daß Sie sich nach zwölf Jahren an mich erinnern! Aber Sie waren schon immer das entzückendste kleine Mädchen der ganzen Bretagne!«

»Ich vermißte auch die Bretagne«, fuhr Mistral sanft fort. Zu ihrer Tante gewandt, fügte sie hinzu: »Ach, Tante Emilie, es ist so aufregend, hier zu sein, und dieses Haus ist wundervoll. Warum durfte ich nicht schon eher zu dir kommen?«

»Das ist eine lange Geschichte«, antwortete Emilie. »Im Augenblick müssen wir uns über wichtigere Dinge unterhalten. Jeanne wird dir das Frühstück bringen, und wir können reden, während du frühstückst.«

»Oh, darauf freue ich mich«, rief Mistral aus, als Jeanne aus dem Raum eilte. »Ich bin froh, mit dir reden zu können. Es gibt so viele Dinge, die ich wissen möchte. Ich möchte mich nicht beklagen, versteh mich nicht falsch, es gefiel mir bei den Schwestern, aber manchmal fühlte ich mich sehr einsam. All die anderen Mädchen schienen Familie und viele Verwandte zu haben. Ich hatte nur dich. Du warst immer gut zu mir, aber ich sah dich so selten, und es machte mich traurig, daß ich in den Ferien nicht nach Hause fahren konnte.«

»Das kann ich verstehen«, antwortete Emilie, »aber es gab Gründe, warum ich dich nicht bei mir haben konnte. Doch nun ist alles anders, wir sind zusammen.«

»Das ist herrlich, Tante Emilie. Wenn du nur ahnen könntest, wie glücklich mich das macht. Manchmal hatte ich große Angst, im Kloster bleiben und Nonne werden zu müssen.«

»Das hätte dir nicht gefallen?« fragte Emilie neugierig.

Mistral schüttelte den Kopf.

»Ich wußte in meinem tiefsten Inneren, daß ich dazu nicht berufen bin. Ich liebte die Nonnen. Man mußte sie lieben und bewundern. Die meisten von ihnen waren Heilige, und ich habe immer darum gebetet, so gut wie sie zu werden, aber eine innere Stimme sagte mir, daß ich nicht dort bleiben sollte. Ich wollte mehr von dieser Welt kennenlernen, ein anderes Leben leben. Vielleicht bin ich töricht und du lachst über mich, aber manchmal war mir, als ob eine Stimme mich aufforderte, dieses Leben voll auszukosten, bevor ich mich vorbehaltlos in den Dienst des Herrn begäbe.«

Mistrals Stimme klang sanft und geheimnisvoll. Emilie beobachtete sie und nahm neben ihren Worten vieles andere wahr: die fast hypnotisch klingende Stimme des Mädchens, die verführerischen Lippen, den ungeweckten Reiz seiner großen Augen und die Gefühlsbetontheit, die seine Worte verrieten.

»Deine Gedanken waren richtig«, sagte Emilie nach einer kurzen Pause. »Du bist jung, Mistral, und es wäre eine Sünde, ein junges, hübsches Mädchen hinter Klostermauern einzusperren.«

»Hübsch? Meinst du mich damit?« fragte Mistral. »Oh, Tante Emilie, meinst du das wirklich? Ich wünschte es mir so sehr, aber ich war mir nicht sicher. Ich sah so ganz anders aus als die anderen Mädchen.«

»Haben sie dir nicht gesagt, du seist hübsch?« fragte Emilie.

In Mistrals Wangen spielten zwei Grübchen. »Manchmal. Aber meistens zogen sie mich wegen meiner hellen Haare auf. Ich war das einzige englische Mädchen im Kloster, und das einzige, das nicht brünett war.«

»Das einzige englische Mädchen«, wiederholte Emilie. »Ja, Mistral, du bist Engländerin, denn deine Mutter war Engländerin.«

»Und mein Vater?«

Mistral stieß die Frage schnell hervor. Als ihr die Worte entschlüpft waren, sah sie, wie sich Emilies Gesicht überschattete. Die wohlwollend lächelnde Tante, die zu ihr gesprochen hatte, schien verschwunden zu sein, statt dessen war da eine Frau mit einem verzerrten Ausdruck. Mistral hatte sie noch nie so gesehen. Emilies Gesicht war haßerfüllt. Ihre Lippen waren nur noch ein Strich, die Augen schmale Schlitze, überall durchzogen Falten ihr Gesicht. Sie war so abstoßend wie eine Vogelscheuche. Doch gerade als Beklommenheit von Mistral Besitz zu ergreifen schien, änderte sich Emilies Miene erneut.

»Laß uns jetzt nicht über deinen Vater sprechen«, sagte sie. »Eines Tages werde ich dir von ihm erzählen, aber im Augenblick haben wir Wichtigeres zu tun. Du bist zu mir gekommen, Mistral, um bei mir zu wohnen, darüber freue ich mich sehr. Aber etwas muß von Anfang an klar sein. Ich erwarte Gehorsam. Du wirst mir gehorchen, auch wenn dir meine Anordnungen nicht immer vernünftig erscheinen. Von nun an folgst du mir vorbehaltlos, ist das klar?«

Emilies Stimme klang hart, und erneut fühlte Mistral Angst in sich aufsteigen, doch sie bekämpfte sie energisch.

»Natürlich, Tante Emilie. Ich habe nichts anderes vor, als dir zu gehorchen.«

»Das ist gut. Dann werde ich dir erzählen, was wir vorhaben. Heute werden wir uns um deine Kleider kümmern. Ich habe nach Madame Guibout, eine der besten Couturières von Paris, schicken lassen. Sie ist teuer, aber zu Recht, denn sie wurde von Monsieur Worth, dessen Gönnerin die Kaiserin Eugenie ist, ausgebildet. Sie wird dir alle Kleider, die du brauchst, anfertigen. Ja, deine Gewänder werden teuer kommen, aber sie werden dir schmeicheln, und wenn du sie trägst, fühlst du dich selbstsicher, bist dir deiner Wirkung bewußt.«

»Oh, vielen Dank, Tante Emilie«, hauchte Mistral. »Wenn du wüßtest, wie ich mich danach gesehnt habe ...«

»Laß mich fortfahren«, unterbrach sie Emilie. »Ich muß dir noch einiges sagen.«

»Ja, Tante Emilie.«

»Seit du vor zwölf Jahren auf die Klosterschule geschickt wurdest, haben wir uns immer nur in Abständen gesehen. Ich weiß nicht, inwieweit du dich an deine Kindheit erinnern kannst, an deine Familiengeschichte. Dein Großvater war der ehrenwerte John Wytham, der jüngste Sohn von Lord Wytham, einem englischen Adligen. Ich war seine älteste Tochter, aber er war mit meiner Mutter, einer Französin, nicht verheiratet. Deine echte Großmutter war eine Engländerin, die einer sehr vornehmen Familie entstammte. Sie starb, als deine Mutter fünf Jahre alt war. Diese wurde daraufhin von deren Eltern, Sir Hereward und Lady Burghfield aufgezogen. Deine Mutter wurde vernachlässigt und von den Verwandten schlecht behandelt. Als dein Großvater John dies entdeckte, brachte er sie in die Bretagne und übergab sie meiner Mutter... und mir. Dein Großvater war kein reicher Mann, aber sehr extravagant. Ich habe dich aufgezogen - ich allein. Ich habe in den letzten zehn Jahren dein ganzes Schulgeld bezahlt, dir Kleider gekauft, dir Privatunterricht zukommen lassen. Ich bezahlte deine Musik und Englisch-, Französisch und Deutschstunden. Hinzu kamen dein Rhetorikkurs, der Tanzunterricht und der Etikettekurs. Ich zahlte alles aus eigener Tasche.«

»Das wußte ich nicht«, sagte Mistral. »Vielen Dank, Tante Emilie.«

»Du brauchst dich nicht zu bedanken«, sagte Emilie schnell. »Ich erzähle dir dies nur zur Information. Deine Verwandten in England unternahmen keinen Versuch, deine Mutter wiederzufinden, nachdem sie sie verlassen hatte, und da dein Großvater in seinen letzten Lebensjahren wenig Kontakt zu England hatte, zweifle ich daran, ob sie überhaupt von dir wußten. Deshalb bin ich deine einzige Verwandte, deine Tante, deine ganze Familie.«

»Ja, Tante Emilie.«

Mistral war verwirrt. Die Art, wie ihre Tante sprach, hatte etwas Feindseliges, Aggressives.

»Wir verstehen uns also«, fuhr Emilie fort. »Nun muß ich dir noch etwas erzählen - ich war verheiratet. Ich heiratete einen Grafen. Er ist tot und es besteht für uns kein Anlaß, über ihn zu sprechen; ich bin in Wirklichkeit Madame la Comtesse. Doch ich werde meinen Titel nicht benutzen. Ich werde dort, wohin wir uns begeben werden, einen anderen Namen angeben, inkognito bleiben aus ganz bestimmten Gründen.«

»Wir verreisen!« rief Mistral aus. »Wohin?«

»Darauf komme ich noch zu sprechen«, antwortete Emilie. »Wir werden eine lange Reise machen, die ich seit Jahren geplant habe.«

»Du plantest diese Reise .. . mit mir?« erkundigte sich Mistral.

»Ja, ich plante sie mit dir«, sagte Emilie. »Wir werden erst wieder darüber reden, wenn wir bereit sind, aber merke dir eines: Du wirst mit niemandem über meine Angelegenheiten sprechen, wer auch immer dich auszuhorchen versucht; du sagst kein Wort.«

»Aber wenn man mich fragt, wer ich bin?« fragte Mistral. »Was soll ich dann antworten? Muß ich auch einen anderen Namen angeben?«

»Höchstwahrscheinlich«, antwortete Emilie. »Niemand darf erfahren, daß du Wytham heißt. Ist das klar? Nie darf der Name Wytham über deine Lippen kommen. Ich werde Madame ... ja, ich werde Madame Secret sein. Das ist ein passender Name. Die Leute werden neugierig sein - ich möchte, daß sie neugierig sind. Sie werden Fragen stellen, das ist ganz in meinem Sinne; sie werden reden - sie sollen reden.«

»Aber Tante Emilie, ich verstehe dich nicht.«

»Ist das wichtig? Ich habe dir bereits gesagt, Mistral, daß du zu gehorchen hast. Außerdem mußt du mir vertrauen. Ich weiß, was das Beste für dich und was das Beste für mich ist. Ist das klar?«

»Ja, Tante Emilie.«

»Dann sind wir uns einig. Wir werden zusammen reisen, du und ich, und vorläufig bleiben die Gründe dafür mein Geheimnis.«

Mistral wollte etwas sagen, aber in diesem Augenblick klopfte es, und Jeanne trat ein.

»Madame, Madame Guibout ist da.«

»Schön«, sagte Emilie. »Bitte sie herein. Mistral, zieh deine Unterkleider an, damit Madame Maß an dir nehmen kann.«

»Aber Mademoiselle muß doch erst ihr Frühstück einnehmen«, rief Jeanne aus. »Ich habe es ihr vor ungefähr zwanzig Minuten in ihr Zimmer gestellt - ich dachte, das sei in Ihrem Sinne, Madame.«

»Wie dumm du doch bist, Jeanne. Mademoiselle sollte es hier einnehmen. Nun, dann nimm es halt in deinem Zimmer zu dir, Mistral, während du dich ankleidest, aber beeile dich.«

»In Ordnung, Tante Emilie«, sagte Mistral gehorsam und ging mit Jeanne aus dem Zimmer.

Emilie sah ihr nach. An der Tür schaute Mistral zurück und schenkte ihrer Tante ein scheues Lächeln. Sie winkte kurz zum Abschied, und einen Augenblick lang dachte Emilie, Alice lächle ihr zu. Fast hätte sie angesichts dieser Ähnlichkeit aufgeschrien. Da schloß sich die Tür hinter Mistral, und sie war allein.

»Alice.«

Sie flüsterte den Namen. Es schien erst gestern gewesen zu sein, daß sie sie so hatte lächeln sehen. Wie reizend war sie doch gewesen und wie liebenswert! Wie hatten sich ihre weichen Arme um ihren Hals geschlungen! Sie sah Alice vor sich, als John Wytham sie mit zehn von England herübergebracht hatte. Sie war ein mageres, ängstliches kleines Mädchen, dessen Gesicht von übergroßen, tränennassen Augen beherrscht wurde und dessen Lippen bei jedem groben Wort zu zittern anfingen.

Emilie fütterte gerade die Hühner, als ihr Vater eintraf. Er fuhr in den Hof, die schwarzen Pferde waren so frisch, als ob sie gerade aus dem Stall kämen. Er übergab die Zügel einem Stallknecht, sprang herunter und streckte die Arme einem kleinen Kind entgegen, das neben ihm gesessen hatte. Er nahm Alice auf den Arm, sie schlang die Arme um seinen Nacken, verbarg ihr Gesicht an seiner Brust. Außer ihrem langen, goldenen Haar konnte man nichts von ihr sehen.

John Wythams Begrüßung seiner ältesten Tochter Emilie war typisch für den Umgangston zwischen ihnen: »Nun, Emilie, hast du endlich einen Mann gefunden?«

Emilie hätte verschiedene Antworten parat gehabt. Sie hätte ihm sagen können, daß sie als uneheliches Kind von einem englischen Maler und einer französischen Bauerntochter nicht gerade die ideale Voraussetzung für eine Heirat hatte. Sie hätte ihm sagen können, daß die einzigen Männer, die sie in diesem düsteren, wenn auch reizvollen Teil der Bretagne kennenlernte, Bauern waren, von denen sie keiner interessierte, denn ihr englisches Blut machte sie völlig unberechtigt wählerisch. Sie hätte auch erwidern können, daß er, wenn er nicht so egoistisch wäre, sich daran erinnern würde, daß ein französisches Mädchen, wenn es einen Mann möchte, eine Aussteuer benötigt. Von dem Geld, das er ihrer Mutter in den letzten zehn Jahren gegeben hatte, hätte man nicht einmal ein Tier ernähren können.

Aber Emilie, die in Anwesenheit ihres Vaters immer die Sprache verlor, konnte nur stammeln: »N ... nein . . . Pa .. . Papa.«

John Wytham kniff ihr in die Wange, und sie lächelte ihn an.

»Du bist schon über dreißig. Du mußt dich schleunigst nach einem Liebhaber umsehen, sonst wird es zu spät. Wo ist deine Mutter?«

»Drinnen.«

Er ging an ihr vorbei ins Haus. Emilie folgte ihm in die große, mit Eichenholz ausgestattete Küche. Ihre Mutter bereitete gerade das Abendessen vor, und vom Herd her kamen verführerische Düfte. Marie Rigauds Gesicht war durch das Herdfeuer gerötet, und ihr Haar, das allmählich grau wurde, war unordentlich, aber ihre Figur war so schlank wie die eines jungen Mädchens. Als sie ihn entdeckte, klang ihre Stimme vor Freude so aufgeregt wie die eines Backfisches.

»John!«

»Ja, ich bin’s. Bist du überrascht, mich nach all den Jahren zu sehen?«

»Es sind erst vier Jahre her, seit du uns das letzte Mal besucht hast, und ich wußte, du würdest wiederkommen.«

»Wirklich, das wußtest du? Du hattest recht. Ich habe jemanden mitgebracht.«

Ganz behutsam setzte er Alice auf den Tisch. Sie gab einen unverständlichen Laut von sich und verbarg weiterhin ihr Gesicht an seiner Brust.

»Das ist Alice«, sagte er kurz zu Marie.

»Das dachte ich mir«, antwortete sie. »Als du das letzte Mal hier warst, hast du von ihr gesprochen. Du erzähltest, daß sich die Eltern deiner Frau um sie kümmerten.«

»Aber ich habe dir nicht erzählt, wie diese verdammten Schwiegereltern sie behandelten, oder? Mein überheblicher Schwiegervater, der immer zu gut für mich war, und seine erlauchte Gemahlin, die immer die Nase rümpfte und nur zwei Fingerspitzen zum Gruß reichte, aus Angst, man könne ihre Hand stehlen. Es überrascht nicht, daß das Kind sich bei ihnen nicht wohl fühlte. Aber ich wußte nicht, wie unglücklich die Kleine war, bis ich sie vor ein paar Tagen besuchte. Sie selber sagte nichts, dazu war sie viel zu schüchtern, aber ich brachte ihr Kindermädchen dazu, mir die Wahrheit zu sagen. Sie erzählte mir, daß Alice ständig eingeschüchtert würde und sich immer wieder sagen lassen müsse, sie sei nicht erwünscht und ihr Vater sei ein schlechter Mensch.

Ich zeigte ihnen, wie schlecht ich bin. Ich wünschte sie zum Teufel und nahm das Kind mit. Es ist krank und fühlt sich elend. Ich dachte, ich bringe es zu dir, Marie. Ich habe keine Rücksichten mehr zu nehmen, mit England bin ich fertig. Ich werde wieder malen, aber ich kann keine kranke Göre mit mir herumschleppen. Nimmst du sie?«

Emilie hörte kaum auf die Antwort ihrer Mutter, denn sie wußte sowieso, wie sie ausfallen würde.

»Das weißt du doch, John«, hörte sie sie sagen.

Ebenso wenig wie Marie Rigaud konnte sie den Blick von John Wytham abwenden. Seine Stärke schien den Raum zu füllen. Er war groß und attraktiv, und obwohl Emilie keine Erfahrung mit Männern hatte, wußte sie, daß er wild war. Er hatte etwas Ungebändigtes, Urwüchsiges an sich. Sein sinnlicher Mund, seine Augen schienen jeden in Bann zu halten.

»Das wäre also geregelt«, sagte er. »Hier ist etwas Geld. Ich schicke dir mehr, sobald ich kann.«

Er warf ein Bündel Banknoten auf den Tisch, und es schien Emilie, daß es eine ganze Menge war. Später wußte sie, daß es dabei bleiben und kein weiteres Geld nachfolgen würde.

»Bleibst du, John? Wenigstens zum Abendessen?« hauchte Marie Rigaud, als er sich zur Tür wandte.

»Nein, meine Liebe, ich habe anderweitige Verpflichtungen. Vielen Dank dafür, daß du Alice aufnimmst.«

Er küßte das Kind auf die Stirn, wandte sich dann der Frau zu, die er mit zwanzig geliebt hatte und die ihn seit dreißig Jahren liebte. Er bog ihren Kopf zurück. Sie schaute zu ihm hoch, sanft und verklärt.

»Du liebst mich also immer noch«, sagte er nach kurzer Stille. »Nun, ich war immer ein Glückspilz.«

Er küßte sie auf den Mund. Dann verließ er die Küche. Marie machte keinen Versuch, ihn zurückzuhalten. Sie stand da und starrte ihm nach, die Hand ans Herz gepreßt, das unter ihrer billigen Baumwollbluse wild schlug.

Emilie lief ihm nach, sah, wie er seine Kutsche bestieg, elegant die Zügel in die Hand nahm und ihr ein letztes Mal mit dem Hut zuwinkte.

Dann hörte sie den Ruf des Kindes: »Papa, Papa, verlaß mich nicht.«

Es war ein mitleiderregender Schrei, voll tiefer Verzweiflung. Eine kleine Gestalt kam aus der Küche in den Garten gerannt. Emilie nahm Alice in die Arme, hielt sie fest an sich gedrückt, fühlte, wir ihr kleiner Körper zitterte und salzige Tränen ihre Wangen hinunterliefen.

»Pauvre petite«, murmelte sie. »Ist ja schon gut, ist ja schon gut. Ich kümmere mich um dich.«

Damals wußte sie noch nicht, wie wahr ihre Worte werden sollten. Mit Alice wuchsen ihre Aufgaben: Alice aß nicht, hatte Angst in der Dunkelheit, vor den Kühen, wollte spazieren gehen, mußte getröstet werden, weil die Dorfkinder sie gehänselt hatten. Man mußte sich um ihre Lehrer, Ärzte, Medikamente, Bücher, Kleider, Schuhe, Vergnügungen kümmern, ihre langen goldenen Haare bürsten.

Emilie seufzte.

Sie hörte ein Geräusch vor der Tür, und es wurde ihr bewußt, daß sie ihren Erinnerungen nachgehangen hatte, die bestimmt nicht länger als ein paar Minuten in Anspruch genommen hatten, obwohl sie den Eindruck hatte, sie habe die Jahre nochmals durchlebt.

»Madame, hier ist Madame Guibout.«

Jeanne komplimentierte die Couturière in das Zimmer. Sie war eine kleine, lebhafte Frau. Ihre Gesichtsfarbe war infolge vieler Stunden in stickigen Raumen fahl, ihr Blick durch die Konzentration auf die Kleider, die sie so kunstvoll fertigte, überanstrengt.

»Bonjour, Madame.«

Die beiden Frauen hielten sich nur kurz mit Begrüßungsformeln auf und kamen dann gleich zur Sache.

»Reisekleider, Hauskleider, Ballroben, elegante Kleider, Mäntel, Dolmane und Kasacks. Mademoiselle braucht alles«, sagte Emilie.

»Und Sie selbst, Madame?«

»Eine völlig neue Garderobe.«

»Und wann?«

»Ich wünsche das Unmögliche. Das Ganze soll in drei Tagen, höchstens in einer Woche, fertig sein.«

»Das kommt teuer.«

»Ich bin mir dessen bewußt«, sagte Emilie, »aber ich werde darauf achten, daß Sie mich nicht übervorteilen.«

»Ich werde zusätzliche Näherinnen benötigen. Das ist nicht billig.«

»Einverstanden.«

»Sie und Mademoiselle werden sich unzähligen Anproben unterziehen müssen.«

»Wir werden zur Verfügung stehen, wann immer Sie es wünschen.«

»Dann ist alles klar, Madame.«

»Danke.«

Madame Guibout verließ das Zimmer. Draußen warteten zwei Assistentinnen auf sie und brachen fast unter der Last der mitgebrachten Stoffe zusammen: Seide, Samt, Kaschmir, Popeline, Musselin.

Madame Guibout ließ sie ins Zimmer kommen. Sie trug eine Rolle mit azurblauem Samt und ließ ihn über das Bettende rollen.

»Aus Lyon«, sagte sie kurz.

Emilie stellte sich Mistrals Haar dazu vor. Einst hatte Alice die gleiche Farbe getragen.

Die Tür stand noch offen, und Mistral stürzte herein.

»Ich bin bereit, Tante Emilie«, sagte sie. »Oh, welch herrliche Farben sind das.«

Sie streckte die Hand aus, um den blauen Samt zu berühren. Dabei bedeckte Madame Guibout ihren Arm mit grauem Flor. Er war so zart wie Morgennebel über einem Teich in der aufgehenden Sonne.

»Für Sie, Madame«, sagte Madame Guibout.

Emilie starrte auf den Stoff und wandte sich an Mistral.

»Nein, für Mademoiselle«, erwiderte sie ruhig.

»Für mich?« fragte Mistral überrascht.

»Ja, für dich«, wiederholte Emilie, »denn deine gesamte Garderobe wird in Grau angefertigt werden - phantomgrau.«

»Aber Tante Emilie, dann sehe ich ja wie ein Gespenst aus«, rief Mistral.

»Genau«, sagte Emilie. »Du wirst wie ein Gespenst aussehen, das Gespenst von Monte Carlo.«

3

Emilie ließ ihre Blicke zufrieden durch den Speisesaal gleiten. Das Frühstück auf dem makellos gedeckten Tisch sah appetitanregend aus. Bis jetzt war alles genau so gelaufen, wie sie es geplant hatte, und sie fühlte sich so stolz wie ein General, dessen Truppe eine sorgfältig geplante Aktion erfolgreich durchgeführt hat. Am Abend vorher war sie mit Mistral im Hôtel de Paris abgestiegen. Sie waren mit der Bahn von Nizza nach Monaco gefahren, und zwar, wie es Emilie schien, mit erstaunlichem Komfort. Sie verglich die Reise mit der, die sie vor neunzehn Jahren mit Alice unternommen hatte. Damals waren sie viel langsamer und unbequemer vorangekommen. Als sie endlich in Nizza waren, hatten sie die Wahl zwischen einem vorsintflutlichen Fahrzeug, das täglich elf Passagiere zwischen Nizza und Monaco beförderte, und einem wenig vertrauenswürdig aussehenden Dampfer, der ganz willkürlich fuhr und oft eine Woche lang im Hafen lag. Sie hatten sich für den Landweg entschieden und ratterten vier Stunden lang - es erschien ihnen wie vier Monate - über eine halbfertige Straße und erinnerten sich an alle möglichen Geschichten von Banditen, die Kutschen überfielen.

Emilie konnte durch die Fenster des Speisesaales durch den Park des Kasinos direkt auf das Meer sehen. Auf der linken Seite sah sie den Hafen und dahinter den großen Felsen von Monaco, den Palast und die Festung, die seit über fünfhundert Jahren hier standen. Doch Emilie interessierte sich mehr für die Aussicht auf die Stadt, die wie ein Pilz hochgeschossen war; ein glänzender, lebhafter Platz, wie durch Zauberhand geschaffen.

Ja, Francois Blanc war für Monte Carlo eine Art Zauberer, denn er hatte aus einem kargen Felsen ein Wunderland geschaffen, eine Welt des Reichtums und des Luxus, der Freude und des Vergnügens. Emilie hatte nicht alles geglaubt, was sie in den letzten Jahren in den Zeitungen gelesen hatte. Aber nun, da sie alles mit eigenen Augen sah, war sie überrascht. Auch das Hotel übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Als sie, Mistral neben sich und Jeanne demütig hinter ihnen, in das Foyer gerauscht war, die große Eingangshalle durchquert hatte, über den weichen Teppich geschritten war, die Marmorpfeiler, die funkelnden Spiegel, die Palmen und Blumen gesehen hatte, war ihr einen Augenblick lang vor ihrem eigenen Mut bange. Doch dann trieb sie etwas vorwärts, was stärker war als sie. Als sie bei der Rezeption angelangt war, hatte sie sich wieder ganz in der Gewalt, um die Rolle spielen zu können, die sie bereits sorgfältig einstudiert hatte.

»Mein Anwalt, Monsieur Anjou, hat eine Suite für mich reservieren lassen.«

Der Angestellte verneigte sich.

»Ja, Madame, wir erwarteten Sie bereits. Darf ich Sie im Hôtel de Paris und in Monte Carlo willkommen heißen?«

Emilie nickte herablassend.

»Madame, wären Sie so freundlich, sich einzutragen, dann werde ich veranlassen, daß Ihr Gepäck in Ihre Suite gebracht wird.«

Emilie nahm den großen Federkiel und neigte sich über das ledergebundene Buch auf dem Pult. Sie zögerte, wobei sie sich vergewisserte, daß der Angestellte ihr Zögern bemerkte. Sie schaute sich nach Jeanne um, die etwas abseits stand und eine Schmuckkassette mit einer eingravierten Krone in der Hand hielt.

»Es ist. . . es ist etwas schwierig«, sagte Emilie. »Meine Nichte und ich sind hier auf Urlaub. Wir wollen ungestört sein und würden gerne . . . inkognito bleiben.«

»Ihr Wunsch wird respektiert werden, Madame«, sagte der Angestellte, doch sein Blick verriet Neugier.

»Ja, inkognito«, wiederholte Emilie. »Das ist das richtige Wort.« Sie tauchte den Kiel in die Tinte und schrieb mit fester Schrift: »Madame . . .« Erneutes Zögern, bis sie schließlich mit leichtem Lächeln hinzufügte: »Ich bin Madame Secret, zumindest, solange ich hier bin.«

»Wie Madame wünschen«, sagte der Angestellte, doch Emilie bemerkte, daß er einen verstohlenen Blick auf die Schmuckkassette warf. Sie zögerte immer noch.

»Meine Nichte . . .«, sagte sie und schrieb einen Namen in das Buch. Die große, kühne Handschrift war leicht zu entziffern: »Mademoiselle Fantôme«.

Die Suite, in die sie geführt wurden, war sehr hübsch. Sie bestand aus einem großen Raum für Emilie, einem kleineren für Mistral und einem Wohnzimmer mit Balkon, das die beiden Zimmer miteinander verband. Emilie hatte einen Anwalt in Paris angewiesen, die schönste Suite im Hotel reservieren zu lassen. Er kam ihrem Wunsch nach und bestellte die Suite für den 28. Februar.

Es war schon später Abend, als sie ankamen. Trotz der Enttäuschung in Mistrals Gesicht hatte Emilie darauf bestanden, auf dem Zimmer zu essen.

»Ich möchte nicht, daß man dich sieht, bevor unsere Sachen ausgepackt sind«, sagte sie. »Wenn wir auftreten, müssen wir aufs beste gekleidet sein, so daß die Leute auf uns aufmerksam werden.«

»Aber Tante Emilie, du sagtest doch, wir wollen hier inkognito sein?« fragte Mistral verblüfft.

Emilie sah sie seltsam an und sagte dann brüsk: »Stell nicht so viele Fragen, Mistral. Ich bin müde. Morgen erkläre ich dir alles - zumindest das, was für dich von Bedeutung ist, aber heute werde ich mich früh zurückziehen. Ich möchte allein sein.«

»Aber natürlich, Tante Emilie, ich verstehe«, sagte Mistral. »Nach so einer langen Reise mußt du ja müde sein. Ich selber bin auch müde, aber mehr aus Nervosität. Ich kann dir nicht sagen, wie ich mich danach sehne, Monte Carlo und das Mittelmeer zu sehen. Ich wünschte, es wäre nicht so dunkel.«

Sie ging an das offene Fenster und starrte in das rötliche Zwielicht. Emilie rief sie, leicht ärgerlich, zurück.

»Hilf Jeanne beim Auspacken, Kind, und zeig dich nicht am Fenster.«

»Ja, Tante Emilie.«

Aber als Emilie im Wohnzimmer allein war, ging sie zum Fenster und tat das, was sie soeben Mistral verboten hatte. Sie starrte in das Zwielicht und versuchte, zu erkennen, was vor dem Fenster lag. Sie sehnte sich ungeduldig das Ende der Nacht herbei, damit sie mehr erkennen könne.

Als sie zu Abend gegessen hatten, zog sich Emilie in ihr Zimmer zurück. Als Jeanne ihr beim Auskleiden half und sie fragte, ob sie ein Glas Milch oder eine Wärmflasche wünsche, schickte sie sie weg und sagte, das einzige, was sie wünsche, sei, für sich zu sein.

Endlich allein, stellte Emilie eine schwere Depeschenkassette auf einen Stuhl. Sie war in dunkelrotes Leder gehüllt und trug nicht die Krone, die ihr übriges Gepäck schmückte. Doch es war ein ausgefallenes Gepäckstück, und Emilie strich ganz unbewußt darüber, bevor sie einen Schlüssel aus ihrer Börse nahm und die Kassette aufschloß. Sie enthielt nicht, wie zu erwarten, Staatspapiere, sondern Sammelalben, wie sie Kinder für ihre Bilder benutzen.

Langsam, fast zärtlich nahm Emilie sie aus der Kassette und öffnete eines. Es enthielt wie alle Alben Zeitungsausschnitte aus den letzten achtzehn Jahren.

Die Stadtverwaltung von Monte Carlo hätte sich für diese Zeitungsausschnitte sehr interessiert, denn sie stellten ein einzigartiges historisches Dokument für das Wachstum der Stadt dar. Zu Beginn bezogen sich die Artikel auf Ereignisse, die sich in unregelmäßigen Abständen ereigneten. Oft lagen zwei oder drei Monate dazwischen, dann handelten sie nur noch von dem Großherzog Iwan von Rußland.

Im Laufe der Jahre wurden die Ausschnitte immer häufiger. Francois Blanc, das Genie von Bad Homburg, wurde damit beauftragt, das Kasino in Monaco zu übernehmen. Dann wurde fast täglich ein neuer Zeitungsausschnitt eingeklebt, in dem die Schönheit und die Bedeutung der neuen Gebäude beschrieben wurde, die Veranstaltungen, Bälle, Feste, Konzerte und Spiele wie Whist, Ecart, Pikett, Pharo, Boston, Roulette und Trente-et-quarante. Seitenlang wurden die distinguierten Besucher aufgeführt, die sich hier an diesem luxuriösen Ort tummelten. Fürsten aus Montenegro, Rußland, Serbien, Bulgarien, Maharadschas, Großherzoge, Erzherzoge und der niedere Adel. 1872 hatten der Prinz und die Prinzessin von Wales dem Fürstentum einen Besuch abgestattet. Emilies Buch enthielt eine vollständige Liste der Namen, doch sie interessierte sich nur für einen Namen, der jedes Mal rot unterstrichen war.

Auf einen Blick war erkennbar, wie oft dieser Name unter den Personen, die das Kasino besuchten und die Opemsaison eröffneten, angestrichen war. Es war immer der gleiche Name - Seine Hoheit, der Großherzog Iwan von Rußland.

In den letzten Jahren, vornehmlich in den letzten beiden, war dieser Name mit einem anderen verbunden - seine Hoheit, der Großherzog Iwan von Rußland, und sein Sohn, Seine Durchlaucht Prinz Nikolas.

Emilie blätterte langsam in den Alben. Die früheren waren bereits etwas abgegriffen. Und doch schien es Emilie in ihrem Schlafzimmer im Hôtel de Paris, als ob sie die Zeitungsausschnitte zum ersten Mal lese. Achtzehn Jahre lang hatte sie auf diesen Augenblick gewartet.