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Inhalt

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Die fabulösesten Sommerferien der Welt

Ein Marmeladenglas voll Sommer

Wir fahren in den Urlaub

Eine Poolparty

Donnerwetter

Die Kinderfalle

Stichtag

Kurze Langeweile

Eine Ferienfreundin

Eisgekühlte T-Shirts

Sieben Tage Regen

Der nicht enden wollende Tag der Bücher

Tuk, tuk

Die weltbesten Ferien, die das Leben je gesehen hat

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Wenn sich zwei besondere Menschen in einer ganz besonderen mondhellen Nacht unter einem ganz besonderen Baum, der genau in diesem Moment 100 Jahre alt wird, küssen, kann man sicher sein, dass diese Verbindung eine ganz besondere sein wird und dass die Kinder, die daraus hervorgehen, ganz besondere Fähigkeiten haben werden.« So erzählt es Papa immer wieder, wenn wir abends vor dem Kamin sitzen, in Decken eingehüllt und warme Milch mit Honig in den Händen. Und diese besonderen Kinder, das sind wir: Henry, die Zwillinge Malin und Marlene, Oskar, Blümchen, Lu und ich, Adele.

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Das Schöne am Sommer ist, dass man nicht so viel anziehen muss. Ein T-Shirt, ein Rock, und schon ist man fertig. Die Unterhose darf man natürlich nicht vergessen. Wäre ja peinlich. Und dann rein in die Flip-Flops. Flipflop, flipflop macht der Sommer. Er riecht nach Sonnencreme und Grillkohle. Und er schmeckt nach Eis und Kirschen. Ich liebe den Sommer. Und kann es jedes Jahr kaum erwarten, bis die Sommerferien beginnen.

Ich heiße Adele Anders. Und wohne mit meinen sechs Geschwistern, meinen Eltern und meiner verstorbenen Oma Radieschen in der Hummelgasse 7. Wir wohnen in der schönsten Wohngegend weit und breit. Und obwohl diese Straße mitten in einer großen Stadt ist, hat man das Gefühl, die Zeit sei bei uns irgendwie stehen geblieben. Alle Leute kennen sich und man braucht manchmal eine halbe Stunde, wenn man nur mal schnell ein paar Brötchen vom Bäcker holen will, und das, obwohl der Bäcker nur drei Häuser weit weg ist. Das kommt daher, dass man immer jemanden trifft, mit dem man sich unterhalten muss. Und bei Poppy, dem Besitzer unseres kleinen Lebensmittelladens, bekommt man nicht nur Wurst und Käse und so was, sondern auch gleich noch die neuesten Neuigkeiten. Zum Beispiel, dass Frau Fabian endlich schwanger ist, dass der Moritz aus Nummer 15 die Windpocken hat oder dass Tüten-Paul aufgebrochen ist, um mit den Vögeln in den Süden zu ziehen. Ob man es wissen will oder nicht, Poppy drückt einem jedes Mal die größten Geheimnisse aufs Auge. Neulich hat er meiner Mama eine scheußliche Geschichte von dem bösen Zeh von Frau Knebelding erzählt. Ganz genau hat er beschrieben, wie der aussieht und auch was der Arzt gemacht hat. Oskar stand neben mir, und während seine Augen immer größer und größer wurden, wurde sein Gesicht immer grüner und grüner. Und ich glaub, ich wurde auch langsam grün, weil die Kombination aus Poppys Erzählung und dem giftgrünen Gesicht meines Bruders nicht gerade schön war. Mama hat es zum Glück auch gesehen und Oskar schnell aus dem Laden geschoben, ohne den Schluss der Geschichte abzuwarten. Und als wir dann auf dem Nachhauseweg auch noch Frau Knebelding über den Weg gelaufen sind, mussten wir einfach alle auf ihren Fuß starren. Zum Glück hatte sie Schuhe an und der Zeh guckte nicht raus.

Unser Haus in der Hummelgasse ist klein, aber zum Glücklichsein ist genug Platz darin. Es ist eingequetscht zwischen dem Haus von meiner besten Freundin Martha Seefried und ihrer Familie und dem Haus von der alten Frau Burghardt und ihren zwei Katzen. Jedes Haus hat einen winzigen Garten davor und einen ein bisschen weniger winzigen dahinter. Die Hummelgasse und die drei Straßen, die zur Hummelgasse dazugehören, erreicht man durch zwei Torbögen. Es ist ein bisschen, als würde man durch ein Tor in eine andere Welt fahren. In unsere Welt.

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Heute war der letzte Schultag. Wie immer fassten Martha und ich uns an der Hand und machten einen riesigen Schritt aus dem Schulhaus heraus. »Ferien!«, riefen wir und wie bestellt machte sich dieses unglaubliche Sommerferiengefühl in mir breit. Ich kann das gar nicht so richtig beschreiben. Denn obwohl ich gern in die Schule gehe, ist es einfach nur unglaublich schön, sechs freie Wochen vor sich zu haben. Ohne Hausaufgaben. Lange aufbleiben, ausschlafen können und alles, was eben so dazugehört. Und irgendwie kann man diesen Tag fühlen. Die Luft vibriert und alles riecht nach Ferien und Freiheit. Wir verglichen unsere Zeugnisse und warteten auf Oskar, Malin, Marlene und Henry. Wir sollten direkt zum Kindergarten gehen, weil Blümchen heute eine Theateraufführung hatte. Mama wollte auch kommen, sobald der kleine Lu von seinem Vormittagsschlaf aufgewacht war. Auch Martha, meine beste Freundin, begleitete uns.

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»Ich freu mich schon so auf unsere große Reise. Ich war noch nie in Amerika!«, erzählte sie. Seit Wochen war sie schon aufgeregt. Die ganzen Sommerferien wollten ihre Eltern mit ihr und ihrem Bruder Ben durch die USA reisen. »Ich bring dir auf jeden Fall was mit, Adele!«, sagte sie und sah mich mitleidig an.

»Du musst nicht immer so gucken, Martha, denn die Familie Anders …«, begann ich.

»… hat immer die tollsten Ideen, wie Ferien zu Hause total unlangweilig werden!«, vollendete Martha mit mir den Satz. Dann lachten wir.

In diesem Moment stürmten Henry, Oskar, Malin und Marlene aus dem Schulgebäude. Auch sie wedelten mit ihren Zeugnissen. Weil wir sieben Kinder sind und meine Eltern nicht so viel Geld verdienen, können wir in den großen Ferien nicht verreisen. Man muss sich das mal vorstellen: Sieben Kinder, zwei Eltern und eine gestorbene Oma, und jeder möchte ein Eis. Eine einzige Kugel für jeden. Eine Kugel kostet aber in Italien zum Beispiel schon 2,50 Euro. Das hat mir Emma, die zwei Häuser weiter wohnt, gesagt. Sie fährt mit ihrer Familie jedes Jahr nach Italien. Immer an denselben Ort. Für uns wären das ja neun sichtbare und eine unsichtbare Kugel (die aber wahrscheinlich nichts kosten würde) und das wären schon 22,50 Euro, nur für eine Kugel Eis pro Tag für jeden. Weil man ja im Urlaub gern jeden Tag ein Eis isst, wären das dann bei einer Woche schon 157,50 Euro. Da hätten wir dann bisher nur das Eis. Und da kämen dann auch noch sieben Hotelbetten dazu für sieben Nächte. Ein Hotel, das ein großes Zimmer für eine Familie mit sieben Kindern und einer unsichtbaren Oma hat, gibt es sicher nicht. Deshalb machen wir es uns immer zu Hause schön.

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Wir haben ein dickes Sparschwein. Das heißt Fred und steht in der Küche. Und wenn ein bisschen Geld übrig ist oder wir was auf der Straße finden oder Flaschenpfand bekommen, dann werfen wir das darein. Und irgendwann ist Fred dann so voll mit Geld, dass wir alle zusammen in den Urlaub fahren können.

»Ich schreib dir jedenfalls eine Postkarte, Adele!«, sagte Martha, und Malin und Marlene fragten im Chor: »Uns auch?« Martha lachte.

»Ja, euch auch!«

»Und mir schreibst du bitte aus Cape Canaveral!«, sagte Oskar.

»Was ist das denn?«, fragte Martha.

»Das ist ein Raketenstartgelände der U.S. Air Force. In Florida!«, erklärte Oskar. Er liebt das Weltall und möchte später mal Astronaut werden. »Und Oma Radieschen sagt, sie möchte eine Postkarte aus Disneyland!«, fügte Oskar hinzu, schlug sich aber sofort mit der Hand auf den Mund, da wir ja einen Familienschwur haben. Wir haben geschworen, dass wir unsere Fähigkeiten niemals außerhalb unseres Hauses und vor allem nicht im Beisein von Personen anwenden, die nicht zur Familie gehören. Ausnahmen sind gestattet und Martha ist so eine Ausnahme. Zumindest für mich. Meine beste Freundin gehört ja praktisch zur Familie. Deshalb habe ich ihr das mit den besonderen Dingen, die wir so können, vor einiger Zeit erzählt. Aber Oskar weiß nicht, dass Martha das weiß. Deshalb wechselte ich erst einen Blick mit Oskar, dann einen mit Martha. Es war ein sehr kompliziertes Blickegewechsle, denn Oskar wollte ich streng ansehen, um ihm zu sagen, dass er nicht weitersprechen sollte, und Martha wollte ich mit meinem Blick klarmachen, dass sie so tun sollte, als hätte sie einfach nichts gehört. Und weil ich damit ein völliges Blickechaos anrichtete, wussten am Ende weder Oskar noch Martha, was sie tun sollten. Die Zwillinge brachen in Gelächter aus und unterhielten sich von Kopf zu Kopf und Henry merkte von alldem gar nichts, weil er beim Laufen ein dickes Buch vor sich hatte, in dem er las.

»Oh, die Theateraufführung beginnt gleich, wir müssen uns beeilen!«, sagte ich schnell und zog Martha mit mir mit. Wir rannten um die nächste Ecke zum Kindergarten. Blümchen kam auch gleich auf mich zugelaufen.

»Na, Blümchen, bist du schon aufgeregt?«, fragte Martha und streichelte meiner kleinen Schwester über den Kopf. Doch Blümchen sah eher unglücklich als aufgeregt aus. Während die anderen Kindergartenkinder bereits in ihren Kostümen laut schnatternd herumliefen, zog Blümchen ihre Unterlippe über die Oberlippe und schmollte.

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»Was ist denn mit dir, Blümchen?«, fragte ich und kniete mich zu ihr hinunter.

»Is will kein Seegras sein!« Blümchen stampfte wütend mit dem Fuß auf.

»Du bist Seegras?«, fragte Henry und klappte sein Buch zu. Blümchen schniefte.

»Wir ham geübt und geübt und geübt, und is darf immer nur Seegras sein. Wenn is wenigstens ein Fis sein könnte. Aber is bin nur Seegras. Eins!«, jammerte sie. Wir mussten uns wirklich das Lachen verkneifen.

»Du bist also ein Seegras, ein einzelnes Seegras?«, fragte ich und Blümchen nickte.

»Aber Seegräser sind unglaublich wichtig!«, sagte Malin und hockte sich ebenfalls zu unserer kleinen Schwester.

»Vor allem im See!«, fügte Marlene hinzu. Nun hockten wir alle um Blümchen auf dem Boden herum und versuchten sie zu trösten. »Ohne Seegras kann kein Fisch überleben!«, sagte Martha.

»Bist du denn ein hellgrünes oder ein dunkelgrünes Seegras?«, fragte Henry und tat, als wäre das unglaublich wichtig.

»Hellgrün!«, schniefte Blümchen.

»Hab ich mir es doch gedacht!«, sagte Henry oberlehrerhaft und sah sehr zufrieden aus.

»Was ist denn mit den hellgrünen?«, fragte Blümchen und ich putzte ihr erst einmal die Nase.

»Die hellgrünen Seegräser sind die besten und wichtigsten. Sie gehören zur Gattung der Zostera Marina!«, erklärte Henry, den wir auch hin und wieder den Professor nennen, denn er weiß einfach fast alles. Jetzt war ich mir allerdings nicht ganz sicher, ob das, was er über das helle Seegras sagte, wirklich so war, oder ob er das gerade erfand, um Blümchen zu trösten.

»Is das dann mein Name?«, fragte unsere Kleine. Henry nickte.

»Zostera Marina!«, bestätigte er noch einmal.

»Sei froh, dass du nicht Zittergras bist, dann müsstest du auf der Bühne immer rumzittern. Das wäre echt anstrengend«, sagte Oskar und ahmte ein zitterndes Seegras nach. Blümchen kicherte. Malin hatte auch noch eine Idee: »Die Fische können sich hinter dir verstecken«, sagte sie, »und ein bisschen an dir knabbern, so …« Jetzt spitzte Malin ihren Mund wie ein Fischmaul und kam Blümchen schnappend näher. Die quietschte vergnügt und als Mama mit Lu den Kindergarten betrat, hüpfte Blümchen aufgeregt zu ihr.

»Mama, Mama, is bin ein hellgrünes Seegras! Is heiß Zoster, äh, Dings!«, rief sie und Mama und wir lachten.

»Ein toller Name!«, sagte sie und gab Blümchen einen dicken Schmatz. Lu sagte nichts. Aber er war ja auch noch sehr klein. Er konnte schon Butter, Mama, Papa, Mütze und Auto sagen. Diessen sagte er zu Oma Radieschen und Oppler zu seinem Hasen Herrn Hoppler. Lu legte seine winzige Hand auf Blümchens Wange und lächelte sie an. Wenn er lächelt, dann ist es, als würde die Sonne aufgehen. Und es wird einem ganz warm ums Herz. Auch bei Blümchen war nun der letzte Kummer vertrieben und sie hüpfte fröhlich davon, um ihr Seegraskostüm anzuziehen.

»Na, meine Kinder?«, fragte Mama und sah uns fröhlich einen nach dem anderen an. »Alle Zeugnisse lustig und lesbar?« Wir nickten. »Wenn wir zu Hause sind, schau ich sie mir an, bin schon ganz gespannt!«, sagte Mama und machte ein lustiges Vorfreudegesicht. Und dann suchten wir uns Plätze im Garten vor der kleinen Bühne. Ich war ganz aufgeregt. Ich bin irgendwie immer aufgeregt, wenn eines meiner Geschwister auf einer Bühne steht. Und dann war es so weit. Die Seegraskinder saßen in ihren hell- und dunkelgrünen Kostümen auf der Bühne und wiegten sich hin und her. Dann kam ein Junge, der als Fisch verkleidet war, und alle begannen zu singen:

Ein kleiner Fisch schwamm fröhlich rum,

ein kleiner Fisch schwamm fröhlich rum,

da kam ein großer Hai – oje, oh Schreck –

da war der kleine Fisch nicht mehr fröhlich,

sondern … weg.

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Ich sah Henry an und er sah mich an. Wir schluckten, denn da kam ein Kind als Hai verkleidet und fraß den kleinen Fisch einfach auf. Ich fand das ganz schön schrecklich und gerade als ich mir Sorgen machte, dass Blümchen vielleicht auf offener Bühne anfangen würde zu weinen, ging das Lied zum Glück noch weiter:

Ein großer Hai, verschluckt ’nen Fisch.

Ein großer Hai, verschluckt ’nen Fisch.

Da kam ein kleines Seegras und kitzelte den Hai,

der machte hicks,

da war der kleine Fisch plötzlich wieder frei.

Ein Seegraskind kitzelte das Haikind. Das tat, als würde es lachen, und in diesem Moment erschien der kleine Fisch wieder, der ja eben vom Hai verschluckt worden war. Blümchen wiegte sich wichtig weiter hin und her und spielte ihre Rolle als hellgrünes Seegras einfach hervorragend. Ich war völlig gerührt und unglaublich stolz auf meine kleine Seegras-Schauspielerin.

Alle lachten erleichtert auf, als der Fisch wieder da war, und es gab großen Applaus. Dann führten noch ein paar andere Kinder etwas auf und schließlich gingen wir alle zusammen nach Hause.

»Du warst das beste helle Seegras, das ich je auf einer Bühne gesehen habe!«, sagte ich zu Blümchen und sie hüpfte neben mir auf und ab.

»Wirklis, wirklis?«, fragte sie und freute sich.