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Über dieses Buch

Chaos-Patchwork-Familie ahoi!

Rita freut sich schon seit Ewigkeiten auf ihren zehnten Geburtstag. Sie wohnt mit ihrer Mutter am Pichelssee und dort soll auch gefeiert werden – mit Segelregatta-Schatzsuche, mannshoher Marzipantorte und Besuch von Papa aus Spanien. Doch dann kommt alles anders: Mama hat einen neuen Freund, der gleich bei ihnen einzieht. Zusammen mit seinen drei nervigen Söhnen! Für Rita ist klar: Die müssen weg! Doch alles, was sie versucht, um die Nervbolzen loszuwerden, geht erst einmal nach hinten los …

Ein herrlich freches Kinderbuch-Debüt der erfolgreichen Drehbuchautorin Valentina Brüning.

Die Autorin

Valentina Brüning wurde 1988 in Frankfurt a. M. geboren. Sie studierte Produktion und Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg und arbeitet seither als Drehbuchautorin. Mit »Kakao und Fischbrötchen« feiert sie ihr Kinderbuchdebüt.

Die Illustratorin

Maja Bohn, 1968 in Rostock geboren, studierte an der Kunsthochschule Berlin Weißensee Kommunikationsdesign. Seit dem Abschluss arbeitet sie als freie Illustratorin und Autorin für Kinder und Schulbücher. Sie lebt mit ihrer Familie in Berlin.

Die Autorin dankt Johanna Wardakas und Skili Wassersport.

Inhalt

1 Wenn’s nach Kuh stinkt, kommt der Wind aus Westen

2 Geheimnisse

3 Kommt Sturm, kommt Sturm

4 Der Fremde mit den braunen Locken

5 Verliebte Kröten

6 Ungebetene Gäste

7 Schwarzwälder-Kirschtorten-Tornado

8 Frisch-Fisch

9 Selbst ist der Sturm

10 Flohzirkus

11 Lippenstift und Football-Muschel

12 Ahoi, Matrose

13 Überraschung für Mama

14 Blinder Passagier

15 Ausreiten

Impressum

Rita liegt in ihrem Bett. Sie schläft. Eigentlich nichts Ungewöhnliches an einem Samstagmorgen wie diesem. Auch das leise Knarzen der Dielen vermag Rita nicht aus dem Schlaf zu reißen. Ihr Traum ist viel zu schön, um ihn schon zu verlassen. Rita träumt von ihrem zehnten Geburtstag: Die Vorbereitungen für ihr Fest sind in vollem Gange. Rita hat ihre ganze Klasse eingeladen, sogar ihre Lieblingslehrerin Frau Bredda. Auch den alten Georg, ihre Eltern und ihre beste Freundin Leonie natürlich. Obwohl die Feier erst in ein paar Stunden beginnen soll, ist für die Segelregatta-Schatzsuche schon alles vorbereitet. Die Schwimmwesten liegen bereit, Seekarten und Proviantkörbe sind auf die einzelnen Boote verteilt. Ritas Mutter Julia holt die mannsgroße Marzipantorte aus dem Keller und Rita schreit vor Freude.

»Mamaaa, die ist ja der Wahnsinn! Können wir schon ein kleines Stück essen? Nur ein klitzekleines? Bitte!«

Julia balanciert die riesige Torte ins Wohnzimmer. Rita tanzt so aufgeregt um sie herum, dass Julia beinahe das Gleichgewicht verliert. Und dann passiert es: Rita stößt rücklings gegen den Tisch, gerade als ihre Mutter die Torte darauf abstellen will. Der Tisch rutscht zur Seite und Julia stellt die Torte ins Leere.

Mit einem dumpfen Plonk landet die Torte auf dem Boden. Rita blinzelt. Ihre Mutter steht mit leeren Händen da. Die Augen zugekniffen, von oben bis unten mit Torte bekleckert. Julia öffnet die Augen, lacht laut und ruft: »Ach du meine Güte. Wie siehst du denn aus?«

»Guck dich mal an!«

Rita stecken noch ein paar Geburtstagskerzen in den Haaren. Julia leckt genüsslich ihre Finger ab. Rita tut es ihr gleich.

Der ganze Raum ist mit Buttercreme gesprenkelt.

»Aufwachen, du Schlafmütze«, dringt da eine vertraute Stimme an Ritas Ohr.

»Zu früh!«, murmelt Rita.

Der Tortentraum rutscht in immer weitere Ferne. Rita öffnet die Augen. Ihre Mutter schließt gerade das Fenster. Auf ihrer Nase klemmt eine erdbeerrote Wäscheklammer. Rita weiß genau, was das heißt, und hält sich blitzartig die Nase zu.

»Wenn’s nach Kuh stinkt …«, näselt ihre Mutter.

»… kommt der Wind aus Westen«, ergänzt Rita.

Julia setzt sich neben sie aufs Bett und fragt liebevoll durch ihre Wäscheklammer: »Hast du gut geschlafen?«

Rita nickt. »Das ganze Wohnzimmer war voller Marzipantorte.«

Julia grinst. »Das klingt nach einem Spitzentraum«, sagt sie und streicht Rita übers Haar, wie sie es immer macht. »Ich muss los. Wenn was ist, funkst du mich an, ja?«

Rita greift nach ihrem Funkgerät auf dem Nachttisch. »Rita für Mama, bitte kommen. Das Haus steht unter Wasser. Mama Bergmann. Bitte kommen.«

Julia schüttelnd belustigt den Kopf. »Frühstück steht auf dem Tisch.«

Kaum ist die Haustür hinter ihrer Mutter ins Schloss gefallen, springt Rita aus dem Bett. Sie rutscht auf dem Treppengeländer hinunter in die Küche und schnappt sich ein Schokoladencroissant vom Frühstückstisch. Dann läuft sie über die Veranda in den wild wachsenden Garten und bis vor zum Ufer des Pichelssees. In Klein-Venedig grenzt jeder Garten an den See, die Briefkästen stehen neben den Anlegestegen und die Post wird nur mit dem Boot ausgefahren. Rita fischt eine Postkarte aus dem rostigen Kasten. Auf dem Kasten steht:

Familie Bergmann

Bootsschule Frische Brise

Ritas Mutter ist die Chefin der Bootsschule Frische Brise.

Mit der Bootsschule hat sich Ritas Mama einen Kindheitstraum erfüllt. Sie wollte schon immer einen Bootsschuppen mit ein paar Fahnen und einem Steg haben. Also bauten Ritas Eltern einen Bootsschuppen und einen Steg und hissten ein paar Fahnen. Eine selbst gemalte Fahne von Mama Julia und Papa Rafael hat dort im Wind geweht, seit es Rita gibt. Und mittlerweile liegen am Steg kleine und größere Segelboote, auch ein paar Motorboote sind darunter, genauso wie Ritas Mutter sich das immer gewünscht hat.

Rita setzt sich zwischen die Festmacher auf den Steg und hält die Nase in die Sonne. Die Postkarte ist von ihrem Vater Rafael. Bis vor zwei Jahren hat er noch bei ihnen in Klein-Venedig am Pichelssee gewohnt. Aber Mama sagt, Papa war nicht glücklich, weil es auf dem Pichelssee zu wenig Wellen gibt. Er lebt jetzt wieder in Spanien, seinem Heimatland, dort hat er Wellen ohne Ende. Wenn Rita das erzählt, sehen die Leute sie immer mitleidig an. Wieso sie das tun, versteht Rita nicht. Seitdem Papa wieder in Spanien ist, reden sie noch mehr miteinander als vorher. Eigentlich telefonieren sie andauernd. Auch wegen Kleinigkeiten, oder wenn einer von beiden einen neuen Witz aufgeschnappt hat. Aber sie schreiben auch Nachrichten. Rita schreibt am liebsten über Snapchat. Papa schreibt auch gerne Postkarten. Genau genommen schreibt er sie nicht, er schickt sie bloß. Der Text ist nämlich immer der gleiche: Saludos von Papa.

Und daneben malt er ein Herzchen. Saludos ist Spanisch und heißt: liebe Grüße.

Rita lässt die Füße ins Wasser baumeln und beguckt die Postkarte genauer. Ein Ziegenbock in Badehose auf einem Surfbrett. Eine typische Papa-Postkarte. Der Ziegenbock grinst breit. Rita muss bei seinem Anblick schmunzeln. Sie beißt genüsslich in ihr Schokocroissant. Ein paar Krümel fallen ins Seewasser und zwei kleine Karpfen kommen an die Wasseroberfläche, um sich darüber herzumachen.

Bis Mama wieder nach Hause kommt, dauert es Stunden. Im Sommer finden fast jedes Wochenende Segelprüfungen statt. Und während Julia mit ihren Schützlingen kreuz und quer über den Pichelssee schippert, hat Rita das Haus für sich ganz allein. Wie viele Tage es wohl noch bis zu ihrem Geburtstag sind? Rita springt auf und läuft zurück ins Haus.

Am Kühlschrank hängt ein Kalender. Rita zählt die Tage. Noch zwei Tage bis zu den großen Ferien. Das ist schon mal gut. Rita zählt weiter und weiter, bis sie endlich bei ihrem Geburtstag angekommen ist.

»Noch sechzehn Tage?«

Das kann nicht sein. So lange noch? Bestimmt hat Rita sich verzählt. Sie zählt ein zweites und sogar noch ein drittes Mal, aber sie kommt immer wieder auf sechzehn Tage.

Das ist ja noch ewig! Wie soll sie die Zeit bis dahin bloß rumkriegen? Schade, dass es noch kein Mittel gibt, um die Zeit schneller laufen zu lassen. Wenn Rita vor lauter Neugierde mal wieder kurz vorm Platzen ist, sagt Mama immer: »Bloß kein Stillstand. Machen hilft.«

Deswegen hängt auch ein langer Zettel neben dem Kalender am Kühlschrank. Sie haben aufgeschrieben, was sie in den großen Ferien alles unternehmen wollen. Bislang steht da:

Vom Bootsschuppen in den See springen

Lagerfeuer machen

Fischreusen leeren

Schwimmwesten flicken

Besuch von Papa

Lose Bretter auf dem Steg festnageln

Ritas 10. Geburtstag feiern!

Schon bei dem Gedanken an ihren Geburtstag macht ihr Herz einen Hüpfer. Ob ihre Eltern schon Geschenke für sie haben? Rita wandert in der Wohnküche umher. Sie weiß noch ganz genau, was sie auf ihren Wunschzettel geschrieben hat. Das große Fest natürlich und die Marzipantorte, von der sie geträumt hat. Eine Piratenflagge, die sie hissen kann, wenn sie mit einem der Schulboote hinaus auf den Pichelssee fährt. Außerdem ein Tiefenmessgerät und ein neues Mäppchen.

Die Liste hat Rita schon vor Wochen gemacht. Aber eine Piratenflagge ist schwer zu kriegen, das weiß Rita von ihrem Papa. Ob sie wohl einen klitzekleinen Blick riskieren soll?

Wenn man seine Geschenke sieht, bevor man sie bekommt, schmälert das die Freude, sagen Mama und Papa immer, denn dann ist es ja keine Überraschung mehr. Bei Rita ist das anders. Beim Geschenkesuchen kribbelt es so schön in ihrem Bauch, wie sie es sonst nur vom Segeln kennt. Und wenn sie Geschenke findet, könnte sie platzen vor Freude. Rita kann einfach nicht anders, sie muss, muss, muss jetzt nach ihren Geschenken suchen.

Aber wo würde Mama die Geschenke verstecken?

Es gibt kein Versteck mehr im Hause Bergmann, das Rita nicht kennt. Das weiß Mama genauso gut wie sie. Bestimmt benutzt Mama deswegen in diesem Jahr Verstecke, die keine Verstecke sind. Zwischen ihren T-Shirts zum Beispiel oder unter den Kartoffeln.

Vorsichtig zieht Rita einen Stapel Mama-T-Shirts aus dem Schrank. Dann nimmt sie den Stapel mit Pullis, und zum Schluss die ordentlich gefalteten Hosen, doch da ist nichts. Rita wandert ins Badezimmer, guckt zwischen den Handtüchern nach und in der Küche räumt sie das komplette Gefrierfach aus. Sie stellt das ganze Haus auf den Kopf und kommt schließlich im Keller bei den Marmeladengläsern und der Weihnachtsdekoration an. Nichts, nichts und wieder nichts! Das gibt es doch nicht. Rita hat nicht ein einziges klitzekleines Geschenk gefunden. Hat Mama ihren Geburtstag etwa vergessen?

Ihre Mutter kann sie gerade schlecht fragen, aber Rita braucht eine Antwort. Ganz unbedingt und dringend. Sie lässt alles stehen und liegen und greift zum Telefon, die Nummer ist zum Glück eingespeichert. Es tutet mindestens hundert Mal, dann nimmt Papa endlich ab.

»Margarita, mi amor, wie geht es dir? Ist meine Postkarte angekommen?«

Rita ist die Abkürzung für Margarita. Wenn Papa Rafael sie Margarita nennt, klingt es kraftvoll und fröhlich. Außerdem rollt er das R so schön. Wenn die Kinder aus der Schule sie Margarita nennen, klingt ihr Name wie eine Pizza.

»Ich glaube, Mama hat meinen Geburtstag vergessen!«, platzt es aus Rita heraus, bevor sie überhaupt Hallo gesagt hat.

Papa Rafael lacht. »Die Vorbereitungen für deinen Geburtstag laufen auf Hochtouren! Keine Sorge.«

»Bist du sicher?«

»Supersicher!«

Wenn Papa das sagt, ist das auch so. Papa kann nämlich nicht lügen, er kann nicht mal flunkern, nicht einmal in Notsituationen. Aber wenn die Vorbereitungen auf Hochtouren laufen, müsste doch irgendwo im Haus wenigstens ein Geschenk versteckt sein! Rita denkt angestrengt nach, während Papa sie weiter zu beruhigen versucht. Wo hat sie noch nicht gesucht? Mama wird doch nicht tatsächlich ihre Geschenke im Bermuda-Schrank versteckt haben? So nennen Mama und Rita ihren riesigen Garderobenschrank. Er ist von oben bis unten mit Jacken, Mützen, Schals und Handschuhen in allen Formen und Farben vollgestopft. Wenn man etwas in diesen Schrank steckt, läuft man immer Gefahr, es nie wiederzufinden.

Rita würgt Papa ab und öffnet langsam die Türen des Bermuda-Schranks. Mit einem Krawumm rutscht Rita eine große Welle Jacken und Mützen entgegen und begräbt sie unter sich. In diesem Augenblick öffnet sich die Haustür direkt neben dem Bermuda-Schrank und Mama steht im Haus.

»Was ist denn hier passiert?«, fragt sie und blickt sich suchend um. »Rita?«, ruft sie.

Rita streckt den Kopf aus dem Jackenhaufen. »Hallo Mama, du bist ja schon da!« Sie läuft rot an und blickt zu Mama hoch.

»Hier sieht’s ja aus wie nach einem Schiffbruch!«

Schuldbewusst beißt Rita sich auf die Lippe.

Mama seufzt und sagt: »Raus mit der Sprache, Rita.«

»Ich such nur was.«

»Du suchst nur was?!«, fragt Mama misstrauisch.

Rita nickt, etwas zu heftig.

»Und was, wenn ich fragen darf?«

Auf der Suche nach einer Antwort lässt Rita den Blick durch den Raum schweifen. Die Sofakissen liegen auf dem Boden, der Teppich ist hochgeklappt. Der große Wohnzimmerschrank steht sperrangelweit offen. Neben ihrer Spielesammlung, Seekarten und Fotoalben hat Rita sogar das ganze Tonpapier, Bastelscheren, Klebestifte und die hübschen Kordeln auf dem Boden verteilt. Es sieht schlimm aus. Ritas Blick bleibt an einem Glitzerstift hängen.

»Das ist ’ne Überraschung«, behauptet sie prompt.

»Du suchst eine Überraschung?«

»Ja. Also, nein, natürlich nicht.«

Mama sieht Rita mit ihrem durchdringenden Mama-Blick an.

Beschämt weicht Rita dem Blick aus. Als sie wieder aufsieht, durchbohrt Mama sie geradezu mit ihrem Mama-Blick. Keine Chance, dem kann sie einfach nicht standhalten.

»Ich hatte Angst, du könntest ganz eventuell meinen Geburtstag vergessen haben, da hab ich …«, murmelt sie kleinlaut.

»Vergessen?«, wiederholt Julia empört. »Den Tag, an dem du geboren wurdest, würde ich niemals vergessen.« Sie seufzt und dabei blähen sich ihre Nasenflügel ein bisschen auf. Das ist kein gutes Zeichen. »Hast du wieder nach Geschenken gesucht?«

Rita nickt ein winziges bisschen.

»Und was ist mit unserer Abmachung?«

»Vergessen«, flüstert Rita und schämt sich grässlich.

»Und aufräumen hast du auch vergessen, wie mir scheint?«

»Ich war einfach so aufgeregt, da hab ich nicht mehr an unsere Abmachung gedacht. Entschuldige bitte, Mama.«

»Ist wieder was kaputtgegangen?«

Rita schüttelt den Kopf. »Dieses Mal nicht.«

»Na dann, aufräumen, und zwar dalli. Wir müssen gleich raus, die Reusen leeren.«

»Aber Mama, ich wollte doch nur …«, möchte Rita erklären. Julia schüttelt den Kopf.

Verflixt, warum versteht ihre Mutter bloß nicht, dass sie einfach nicht anders konnte.

»Wenn du mich heute noch einmal nach deinem Geburtstag fragst, bringe ich alle Geschenke zurück!«

»Du hast also doch Geschenke für mich?«

»Rita, ich mein es ernst. Ich blase dein Fest …«

Das Telefon klingelt, Rita hebt ab.

»Papa?«

»Mir ist noch was eingefallen!«

»Gerade ist schlecht, Papa«, Rita wirft Julia einen verstohlenen Blick zu. »Mama ist supersauer.«

»Ist das Haus abgebrannt?«

»Nein, aber es sieht aus wie nach …«

Papa lacht: »… wie nach einem Schiffbruch?«

»Ja«, murmelt Rita.

Mama streckt fordernd die Hand nach dem Hörer aus.

»Sag ihr nicht, weswegen ich dich angerufen habe, ja?«, flüstert Rita in den Hörer, bevor sie ihn weiterreicht, und weiß natürlich, dass Papa diese Information nur schwerlich für sich behalten können wird.

Julia nimmt das Telefon und geht die Treppe hoch. Rita zögert, dann schleicht sie ihr nach. Julia verschwindet in ihrem Zimmer.

Rita läuft in Schlangenlinien um die knarzenden Bodendielen herum bis zu Mamas Zimmer und presst ihr Ohr an die Tür. »Wenn sie das Böhnchen sieht, wird sie aus allen Wolken fallen«, hört sie Julia sagen.

Rita versteht nur Bahnhof.

Einige Zeit später steht Rita auf dem Steg und starrt abwesend auf einen Festmacher. Julia steigt an Deck von Georgs kleinem Fischkutter.

»Klarmachen zum Ablegen«, ruft Julia und schmeißt den Motor an. Rita rührt sich nicht. Julia wartet ab, aber ihre Tochter macht noch immer keine Anstalten, die Leinen zu lösen.

Rita steckt knietief in ihren Gedanken fest. Ob es wirklich einen Menschen auf der Welt gibt, der gerne Böhnchen zum Geburtstag bekommt?! Rita spekuliert eigentlich auf die mannsgroße Marzipantorte, und für den unwahrscheinlichen Fall, dass danach noch jemand Hunger hätte, könnte es Fischbrötchen geben. Aber doch keine Böhnchen!

Was Leonie wohl zu dieser Böhnchen-Sache sagen wird?!

Vom Fischkutter her ertönt ein tiefes, durchdringendes Hupen. Rita schreckt hoch.

»Klarmachen zum Ablegen, Matrosin Bergmann«, klingt Julias Stimme jetzt durch das Bord-Megafon.

Rita nickt und löst ein dickes Tau vom Festmacher des Steges, hält es aber weiterhin fest: »Leinen klar«, ruft sie Julia zu.

Julia startet den Motor und gibt das Kommando: »Leinen los.«

Rita löst die Leine. Der Motor des Kutters knattert.

Vor ihnen erstreckt sich tiefblau der Pichelssee. Rita späht durch ihr Fernglas ans andere Ufer. Zu ihrer Linken ragt das Grunewald-Türmchen zwischen den Baumwipfeln empor und Julia steuert geradeaus genau auf den Hof von Trude Sultenfuß zu. Da liegt ja schon wieder der alte schwarze Stahlkahn, na so was.

»Mama«, setzt Rita an, um nach dem Stahlkahn zu fragen, kommt aber nicht mehr dazu. Denn Julia biegt nach steuerbord ab, wo die Markierungsbojen der Fischreusen schwimmen, und Rita weiß, was das bedeutet.

»Übernimmst du das Steuer, Rita?«

Ihr Bauchnabel zwickt vor lauter Aufregung.

»Klar, mach ich!«

Julia tritt zur Seite.

Rita kann gerade so über das Steuer gucken. Dafür hat sie den Kompass direkt daneben perfekt im Blick und an den Schaltknauf an der Seite kommt sie auch gut heran. Rita legt eine Hand auf den Schaltknauf.

»Fertig machen zum Bergen der Reuse an Backbord«, ruft sie zu Mama hinüber. Die hat sich einen langen Holzstab mit Haken daran geschnappt und steht schon an der Backbordseite des Kutters.

»Klar.«

»Bergemittel bereithalten«, ruft Rita.

»Bergemittel sind bereit«, antwortet Julia wie aus der Pistole geschossen. Kurz bevor der Kutter eine Boje erreicht, legt Rita den Rückwärtsgang ein und gibt einmal kräftig Gas, um das Boot zum Stehenbleiben zu bringen.

»Kutter steht, Fischreuse bergen«, weist Rita an.

Julia angelt mit dem Haken nach der Boje und fädelt ihn geschickt in die Öse an deren Unterseite ein.

»Ich hab sie, komm rüber«, ächzt Julia.

Rita springt zu ihr hinüber und beide beugen sich über die Reling. Rita packt einen der glitschigen Griffe und hievt die Reuse gemeinsam mit Mama aus dem Wasser. Die Reuse sieht aus wie ein übergroßer Schuhkarton, dessen Seitenwände aus Fischernetz geflochten sind. In ihrem Inneren flitscht und zappelt es. Mit letzter Kraft lassen Rita und Julia die prall gefüllte Fischreuse auf das Deck des Kutters plumpsen.

»Ruhig, ihr Kleinen, gleich geht’s zurück in die Havel.«

Julia öffnet das Netz und Rita zieht sich Handschuhe über.

»Kleine oder Große?«, fragt Julia.

»Kleine«, antwortet Rita und beginnt, alle kleinen Fische aus dem wilden Gezappel in der Reuse heraus zu sammeln. Julia füllt einen Eimer mit Seewasser, alle großen Fische wandern dort hinein. Ritas kleine Fische fliegen über Bord, zurück in die Havel.

»Mama, isst du gerne Bohnen?«, fragt Rita nach einer Weile.

Julia blickt sie verwundert an. »Nicht so gerne, warum?«

»Ach nur so.«

»Na los, raus mit der Sprache.«

»Bei Leonie gibt’s morgen Mittag Bohnenauflauf, und sie hat gefragt, ob ich nach der Schule zum Essen mitkommen möchte.«

»Urgh, Bohnenauflauf hört sich scheußlich an.«

»Das finde ich auch«, gibt Rita strahlend zurück, »ich mag Bohnen wirklich nicht sonderlich gern.«

Julia schüttelt zustimmend den Kopf: »Nein, Bohnen sind nichts für uns.«

Erleichterung macht sich in Rita breit. Ein Bohnen-Menü bekommt sie also schon mal nicht zum Geburtstag.

»Mama, darf ich von der Alten Liebe nachher allein zurückfahren, wenn wir die Fische weggebracht haben?«

»Rita, wie oft noch?«

Rita verdreht die Augen. »Unter zehn fährt niemand allein raus«, macht sie ihre Mama nach.

»Na also, du weißt es doch.«

»Ja, weiß ich, Mama, aber erstens hab ich den Kutter gerade ziemlich gut neben der Reuse angehalten und zweitens würde ich mit dem Kutter doch nur mit dem Motor fahren und nicht nach Hause segeln.« Rita sieht ihre Mama flehend an: »Bitte, gib dir einen Ruck. Bitte!«

Julia schüttelt den Kopf. »Nein, Rita, ob Motor oder Segel, macht hier keinen Unterschied. Kommt Sturm, kommt Sturm. Und dann? Bist du ganz allein. Das kommt nicht infrage.«

Julia startet den Motor und Ritas Brummeln geht in seinem Tuckern unter: »Ob du’s glaubst oder nicht, mit Sturm würde ich auch fertigwerden.«

Am nächsten Tag in der Schule will Leonie jedes noch so kleine Detail wissen: »Sie hat wirklich Böhnchen gesagt?«

Rita nickt.

»Vielleicht ist es ein Pony?«, mutmaßt Leonie aufgeregt.

»Ihr könntet es im Garten halten und wir würden es jeden Tag nach der Schule streicheln und füttern. Reiten bring ich dir bei, das lernst du schnell. Natürlich bräuchtet ihr noch ein zweites!«

»Ein zweites Pony?«, fragt Rita ungläubig.

Leonie nickt heftig. »Ponys und Pferde dürfen nicht alleine stehen, wusstest du das nicht? Hoffentlich wissen deine Eltern das!«

»Ähm, Leo?«, versucht Rita ihre Freundin zu unterbrechen.

»Ich hab mal gelesen, Ponys akzeptieren auch Esel oder Ziegenböcke als Herdenersatz. Meinst du, ich sollte das deinen Eltern sagen? Vielleicht besser nicht, sonst kommen sie noch darauf, dass du sie belauscht hast. Ich will echt nicht, dass du Ärger bekommst! Aber ich könnte ihnen einen anonymen Brief schreiben, das ist …«

»Leo!«

»Du hast recht, deine Eltern informieren sich bestimmt selbst, oder du bekommst kein Pony, sondern einen Ziegenbock! Deine Mama hat ja eigentlich nichts mit Pferden am Hut, oder? Bestimmt bekommst du einen Ziegenbock.«

»Ein Ziegenbock, der Böhnchen heißt?«, meint Rita skeptisch.

Leonie lacht.

»Ich glaub nicht, dass meine Eltern mir ein Tier schenken. Wir haben so viele Boote, die machen genug Arbeit.«

Leonie sieht nicht überzeugt aus.

»Ich weiß jedenfalls, es hat nichts mit essbaren Bohnen zu tun. Die findet Mama genauso eklig wie ich.«

»Aber was ist es dann?«

»Ich hab keine Ahnung«, seufzt Rita und das Herz rutscht ihr in die Hose. Die Postkarte ihres Vaters. War da nicht ein Ziegenbock drauf?

»Oh Backe«, entfährt es Rita.

Leonie sieht sie fragend an.

»Mein Vater hat mir eine Postkarte geschickt.«

»Das macht er doch ständig!«

»Rate, was da drauf war.«

»Ein Ziegenbock!«, antwortet Leonie blitzschnell.

Rita nickt und Leonie strahlt.

»Ich wusste es!« Leonie grinst voller Vorfreude in sich hi­nein. »Rita kriegt ’nen Ziegenbock. Rita kriegt ’nen Ziegenbock.«

Rita schickt ein leises Gebet zu Poseidon: »Oh bitte nicht. Bitte keinen Ziegenbock!«

»Hallo Mama«, ruft Rita und lässt ihren Schulranzen neben die Treppe fallen.