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Foto © Julie Brass

Johannes Hamminger
Andrea Kerssenbrock

DAS PFERD

sagt es uns jeden Tag

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Pferdewissen aus der Stallburg

ÜBER DEN WERTSCHÄTZENDEN UMGANG MIT DEM PFERD

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HAFTUNGSAUSSCHLUSS

Autoren und Verlag haben den Inhalt dieses Buches mit großer Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt. Für eventuelle Schäden an Mensch und Tier, die als Folge von Handlungen und/oder gefassten Beschlüssen aufgrund der gegebenen Informationen entstehen, kann dennoch keine Haftung übernommen werden.

SICHERHEITSTIPPS

In diesem Buch sind Reiter ohne splittersicheren Kopfschutz abgebildet. Dies ist nicht zur Nachahmung empfohlen. Achten Sie beim Reiten bitte immer auf entsprechende Sicherheitsausrüstung: Reithelm, Reitstiefel/-schuhe, Reithandschuhe und gegebenenfalls eine Sicherheitsweste.

IMPRESSUM

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Copyright © 2019 Cadmos Verlag GmbH, München

Lektorat: Franziskus Kerssenbrock

Coverfotos: Julie Brass, Andrea Kerssenbrock

Covergestaltung, grafisches Konzept, Satz: Gerlinde Gröll, Cadmos Verlag GmbH

Druck: Graspo CZ, a.s., Zlín, www.graspo.com

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

Printed in EU

ISBN: 978-3-8404-1085-7

eISBN: 978-3-8404-6467-6

EDITION
PFERDEBUCHDISCOUNT
ISBN: 978-3-8404-8519-0

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Foto © Andrea Kerssenbrock

INHALT

ZUM GELEIT – Elisabeth Gürtler-Mauthner

VORWORT – Andrea Kerssenbrock & Johannes Hamminger

TEIL 1 – Philosophie, Mensch-Tier-Beziehung

Das Pferd verstehen

Die Aufzucht

Der Transport

Das Leben in einer Box

Der Umgang mit dem jungen Pferd

Das Anreiten

Lehr- und Ausbildungsjahre

Gedanken zum Reiter

TEIL 2 – Fitness und Form des Pferdes

Wichtige Basisinformationen

Natürliches Futter und Ergänzer

Naturheilkunde

Strahlend gesund

Innere Balance

Homöopathie

Ätherische Öle

Dehnen und Strecken

Effektive Mikroorganismen

Gefahren im Stall

TEIL 3 – Das alte und rekonvaleszente Pferd

Pension ohne Schock

Der Wert des Lebens

Sanfter Tod

TEIL 4 – EIN LEBEN VOLLER ANEKDOTEN

TEIL 5 – JAHRZEHNTE DER ERINNERUNG

DANKESCHÖN

ELISABETH GÜRTLER-MAUTHNER

Leiterin der Spanischen Hofreitschule von 2007 bis 2018

ZUM GELEIT

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Foto © Gaetan Bally

DEM PFERD WOHNT EIN ZAUBER INNE, dem wir Menschen uns nicht entziehen können. Ganz besonders wird dies in der Spanischen Hofreitschule spürbar. Bereiter formen ihre Lipizzanerhengste, bilden sie nach den strengen Regeln der klassischen Dressur aus und präsentieren im imperialen Ambiente der Winterreitschule die hohe Schule der Reitkunst. Dafür werden sie bewundert, erhalten Anerkennung und Applaus.

Weniger Beachtung hingegen wird denjenigen zuteil, die in der Stallburg die berühmten Pferde mit größter Hingabe und Wertschätzung umsorgen und pflegen. Oberstallmeister Johannes Hamminger habe ich als Pferdemenschen durch und durch kennengelernt. Er versteht die Hengste wie kein anderer, er kennt ihre Bedürfnisse, spricht ihre Sprache.

Ich freue mich sehr, dass er meiner Anregung sein Wissen zu teilen gefolgt ist und in diesem Buch beschreibt, was jeder Pferdeliebhaber wissen sollte.

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Foto © Julie Brass

VORWORT

DIE AUTOREN

über den wertschätzenden Umgang mit dem Pferd

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Foto © Daniela Klemencic

Foto © Andrea Kerssenbrock

Andrea Kerssenbrock & Johannes Hamminger

WIR PFERDEMENSCHEN. Das Pferd ist unser Begleiter. Schon ein Leben lang. Es hat uns zu jenen Pferdemenschen geformt, die wir heute sind. Stets auf der Suche nach Antworten. In der Ausbildung, in der Haltung, im Umgang. Immer am Hinschauen, Zuhören und Vertrauen. Ganz genauso wie es auch das Pferd macht – es schaut hin, hört uns zu und vertraut uns. Dieses Interesse des Pferdes am Menschen ist ein Geschenk. Es verpflichtet uns zu einem achtsamen, gerechten und vor allen Dingen geduldigen Umgang mit ihm. Wir wollen es reiten, fahren, mit ihm unter blauem Himmel über Stoppelfelder galoppieren oder unter Fanfarenklängen eine Ehrenrunde drehen. Mit ihm erleben wir höchstes Glück und tiefe innere Zufriedenheit.

Für diese gemeinsamen Momente leben wir. Und aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, nicht nur das Wissen aus der Stallburg, sondern auch die tiefe Beziehung zum Partner Pferd mit Ihnen zu teilen. Liebe Leserinnen und Leser, begleiten Sie uns gerne durch die Welt der berühmten Lipizzanerhengste und durch die Mauern der Stallburg. Geben Sie Ihrem Pferd einen liebevollen Klaps von uns und hören Sie ihm gut zu. Denn tatsächlich sagt es uns das Pferd jeden Tag.

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Foto © Julie Brass

1 PHILOSPHIE, MENSCH-TIER-BEZIEHUNG

Das Pferd verstehen

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Foto © Julie Brass

Die enge Verbundenheit zwischen Mensch und Pferd verpflichtet uns zu einem sorgsamen und partnerschaftlichen Umgang. Denn das Pferd ist kein Sportgerät, sondern ein Lebewesen, das mit dem Menschen schon seit Jahrtausenden zusammenarbeitet, sei es im Krieg oder bei der Nahrungsbeschaffung oder unter dem Sattel. Dafür muss man sich eigentlich jeden Tag bedanken.

Auch dass es dem Menschen gern dient, ist keine Selbstverständlichkeit. Darum ist Respekt so wichtig. Wir haben die Pflicht, alle Erkenntnisse, die der Mensch in dieser Zusammenarbeit gewonnen hat, zu nützen, um das Leben des Pferdes so schön wie möglich zu gestalten. Das beginnt bei der Aufzucht und endet bei der Pension. Der Mensch hat ein Pferdeleben lang die Aufgabe, das Pferd als Partner zu sehen.

Denn sieht man vom Hund ab, ist uns kein Tier näher. Das Pferd ist seit fünf Jahrtausenden Begleiter an der Seite des Menschen. Es hat seine Rolle stets mit beispielloser Gewissenhaftigkeit erfüllt – sei es im Feld- und Ackerbau, im Kriegseinsatz, als Minenpony untertage, als Lastenträger über Saumpfade oder beim Holzrücken im unwegsamen Forst. Darüber hinaus ist es uns Partner im Leistungssport, bedingungsloser Gefährte im Freizeitsport und ganz nebenbei noch ein Meister der Körpersprache, was der Mensch sich besonders in der therapeutischen und pädagogischen Arbeit zunutze macht. Wir wissen, Pferde sind Herdentiere und leben in ausgeprägt sozialen Strukturen. Sie beherrschen es meisterlich, ihrem Befinden Ausdruck zu verleihen. So können sie etwa allein durch ihren Gesichtsausdruck zur rechten Seite andere Signale aussenden als zur linken – dem Kumpel rechts mit netter Mimik Wohlwollen vermitteln und gleichzeitig dem rangniedrigeren Tier links hinten Demut abverlangen. Sie sind aber auch Fluchttiere und Fehler im Umgang oder in der Ausbildung können selbst das geduldigste Pferd nachhaltig verstören. Die Erfahrung zeigt, dass wir dem Pferd viel Sicherheit geben müssen, um sein Vertrauen zu behalten. Dazu gehören ein entspanntes und dennoch bestimmtes Auftreten, umfassendes Wissen und eine gewisse Routine in den Abläufen.

Routine gibt Pferden Sicherheit und Selbstvertrauen. Wenn das Futter pünktlich kommt, die Abläufe im Stall ruhig und im Fluss sind, die Bezugspersonen selten wechseln, dann wirkt sich das positiv auf das Wohlbefinden aus. Das selbstbewusste Pferd hat großes Interesse an seiner Umwelt und kommuniziert ohne Unterlass mit uns. Selbst während es frisst, behält es uns im Auge. Und wenn es tagsüber entspannt in seiner Box liegt, so bedeutet das nicht, dass es sein Umfeld nicht mehr wahrnimmt. Als Pferdemenschen wissen wir das tiefe Vertrauen zu schätzen, lassen wir uns immer wieder berühren von diesen Augenblicken.

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Foto © Julie Brass

Eine ganz besondere Beziehung – der Stallmeister und seine Lipizzaner.

SIGNALE DER KOMMUNIKATION

Wesentliche Merkmale der Kommunikationsbereitschaft des Pferdes beruhen auf sozialer Interaktion mit dem Menschen und der besonderen Fähigkeit zur Verständigung. Pferd und Mensch leben jeweils in ihrem Sozialverband und sind auf eine qualitätsvolle Beziehung angewiesen. Nur so gelingt harmonische Zusammenarbeit. Optische Signale wie Mimik, Gestik, Körperhaltung und Bewegungsfluss sind wichtige Bestandteile der Kommunikation. Weitere Ausdruckselemente wie Schnauben oder Wiehern haben in der Interaktion mit dem Menschen hingegen geringere Bedeutung. Umso mehr bewegt uns das zufriedene Schnauben nach der Arbeit oder ein kurzes Begrüßungswiehern aus der Box.

Das Pferd sagt uns also schon beim Betreten des Stalles, wie es ihm geht. Es erkennt die Schritte seiner Bezugspersonen, vermittelt Interesse, zeigt Freude, lässt uns Hunger, Durst und Unwohlsein erkennen. Wir müssen nur hinschauen. Der Mensch kann lernen, sein Pferd zu lesen: Hebt es den Kopf und spitzt die Ohren? Zeigt es Unlust? Ist es gar eingefallen – über den Augen (Schmerz, Unwohlsein) oder in den Flanken (Durst)? Durst lässt sich leicht überprüfen. Anzeichen dafür sind etwa, wenn das Pferd nicht aufgefressen hat, die Tränke nicht funktioniert oder das Pferd hineingeäpfelt hat. Ist es startklar und bereit, mit uns aus der Box zu kommen? Oder dreht es sich weg und zeigt uns den Hintern?

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Foto © Andrea Kerssenbrock

Der Stallmeister freut sich über die innige Begrüßung.

Ein vertrauensvolles, dem Menschen zugewandtes Pferd genießt in der Regel schon das Putzen. Es lohnt sich, beim Einsatz des Massagestriegels die Reaktionen des Pferdes zu beobachten. An gewissen Körperstellen wie Hals oder Kruppe verrenkt manches Pferd den Kopf vor Wonne, legt ihn waagrecht, beginnt, mit den Lippen zu zucken. Man sieht ihm den Genuss regelrecht an.

Beobachtet man Pferde in der Natur, kann man gut erkennen, welche Bedeutung die gegenseitige Körperpflege hat. Da wird geknabbert, gezupft und hingebungsvoll gekrault. Dabei geht es oft ordentlich zur Sache. Es wird nicht nur sanft gekrault, sondern auch herzhaft zugebissen und zugedrückt.

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Foto © Julie Brass

Das behutsame Aufsatteln des jungen Hengstes findet in der vertrauten Box statt.

Wer aufmerksam bürstet, entdeckt Hautunebenheiten, Dippel, kleinere Verletzungen oder Parasiten wie Milben und Zecken. Letztere saugen sich bevorzugt da fest, wo die Haut sehr dünn ist, etwa unter den Ellbogen oder an der Innenseite der Schenkel und in den Ganaschenunterkanten. Beobachten Sie, ob das Pferd anders auf den Druck des Striegels reagiert als sonst. Senkt sich etwa der Rücken? Hebt es die Beine anstandslos? Gibt es jeden Huf willig her? Blockaden, etwa in der Hinterhand, lassen sich so schon im Ansatz erkennen. Hinzu kommt noch der soziale Faktor. Das Pferd interagiert ständig und ganz besonders bei der Pflege. Das gibt schon erste Eindrücke über die Stimmung des Pferdes. Ja, auch Pferde haben gute und besonders gute Tage!

image Tipp: Reiten Sie nicht auf den Schwächen Ihres Pferdes herum. Lassen Sie es vielmehr seine Stärken ausspielen. Das steigert die Motivation und macht Mängel weniger offenkundig.

Vor dem Reiten vermittelt uns das Satteln Aufschlüsse über das Wohlbefinden des Pferdes. Schlägt es mit dem Schweif, legt es die Ohren an oder beißt gar nach hinten? Versucht es auszuweichen, schlägt beim Gurten nach dem Bauch oder knirscht es mit den Zähnen? All das sind Zeichen des Unbehagens. Sie müssen ernst genommen werden. Mit Verstand, Geduld und Gefühl lassen sich die meisten Verhaltensmuster aus der Welt schaffen. Manchmal muss man auch Maßnahmen durchführen, das können Behandlungen sein, ein anderer (passender) Sattel oder ganz einfach ein paar Schritte an der Hand vor dem Festzurren des Sattelgurts.

image Tipp: Das Pferd vor dem Auflegen des Sattels anzusprechen, hat sich in der Praxis sehr bewährt. Achten Sie darauf, den Sattel behutsam aufzulegen und den Gurt nicht auf die Vorderbeine knallen zu lassen. Den Sattelgurt etappenweise nachzuziehen und zwischendurch ein paar Schritte einzulegen ist wenig Aufwand und gewährleistet ein zufriedenes Pferd.

FREIGANG

Pferde verheimlichen nichts. Sie schätzen Freigang, das ist logisch für ein Flucht- und Herdentier. Aber innerhalb der Domestizierung erleben wir praktisch jeden Tag, dass auch hier die Bedürfnisse total unterschiedlich sind. Das Pferd um jeden Preis so lange wie möglich auf die Koppel zu stellen, gelingt nur unter idealen Wetter- und Bodenverhältnissen – vorausgesetzt, das Pferd möchte das.

Es gibt unter Pferden gesellige und weniger gesellige, auch Einzelgänger sind keine Seltenheit. Oft ist einfach das Verletzungsrisiko zu groß, um sie gemeinsam auf einen Paddock zu stellen. Auf großen Wiesenkoppeln ist die Verletzungsgefahr in der Regel geringer. Die Pferde sind dort mit dem Fressen beschäftigt und können sich bei entsprechender Fläche gut aus dem Weg gehen.

Die Allwetterkoppel ohne Heuraufe ist jedenfalls nicht sehr gruppentauglich. Es mag gut verträgliche Partnerschaften geben, doch gerade auf diesen Freiflächen wird Pferden bisweilen recht langweilig. Haben sie dann kein Futter zur Verfügung, fällt ihnen allerlei Unsinn ein. Gatschkoppeln, wie sie immer noch in zahlreichen Betrieben angeboten werden, sind ohnedies völlig abzulehnen. Zum einen stellen sie ein hohes Risiko für Sehnen- und Gelenksverletzungen dar, zum anderen wollen Pferde nicht auf schlüpfrigem, nassem, tiefem Untergrund stehen. Das ist regelrecht gegen ihre Natur.

Für die Hengste in der Stallburg hat sich wie für zahlreiche Sport- und Freizeitpferde die Bewegung in der Freiführanlage (Schrittmaschine) sehr bewährt. Die einzelnen Kojen, in denen die Pferde frei stehen, minimieren das Verletzungsrisiko und lassen Raum genug für den einen oder anderen Bocksprung. Das Tempo lässt sich gut regulieren und verlangt von den Pferden einen raumgreifenden Schritt. Damit arbeiten die Hengste zusätzlich zum täglichen Training ordentlich über den Rücken und haben auch in der Stadt die Möglichkeit des Freigangs.

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Foto © Andrea Kerssenbrock

Die Lipizzaner wachsen auf den riesigen Weiden und Almen des Gestüts Piber auf.

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Foto © Andrea Kerssenbrock

Jungstuten auf der Station Reinthalerhof, wo die Herde von Mitte September bis Mitte Juni untergebracht ist.

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Foto © Andrea Kerssenbrock

Leithengst auf der Stubalm.

HERDEN

Im Zucht-, Einsteller- und Privatbetrieb haben sich nach Geschlechtern getrennte Gruppen beziehungsweise Herden bewährt. Stuten und Wallache können, müssen aber keine gute Mischung ergeben. Die Natur ist niemals ganz außer Kraft gesetzt – manche Wallache springen trotz lange zurückliegender Kastration auf Stuten auf. Das kann erhebliche Verletzungen zur Folge haben. Der Zyklus der Stuten kann durch männliche Tiere innerhalb der Gruppe ebenfalls durcheinandergeraten. Kurze Intervalle oder eine Dauerrosse müssen nicht sein.