Autorität 2.0 –

Stärke statt Macht

 

Neue Erziehung mit elterliche Präsenz, Souveränität und Entschlossenheit

 

Von

Christin Hochkamp

 

 

Inhaltsverzeichnis

Einleitende Worte

Die Probleme beginnen

Die Trotzphase

Die Sache mit den Grenzen

Rosarote Brille

Ausdrucksweisen

Abschließende Worte

Autorität und Erziehung

Warum brauchen Sie einen Erziehungsratgeber?

Ihre Perspektive für den Erfolg

Aus Theorie wird Praxis

Die Wetterküche

Was hat das Wetter mit der Erziehung zu tun?

Das sollte ein guter Ratgeber können

Erziehung per Briefing

Zurück zur Autorität

Finaler Endspurt

Das Öffnen der Türen und die Erziehung

Das Pokalspiel in den eigenen vier Wänden

Die Schaffung des Universums

Spieglein, Spieglein an der Wand

Jetzt haben wir es

Ihr Stil in der Erziehung

Erziehungsstil – die Definition

Die Sache mit Herrn Kurt Lewin

Dimensionen-Kreuz – Astrophysik war gestern

Beziehung und Erziehung

Erziehungstheorien – die kleinen Helfer für große Dinge

Wuff wuff oder das klassische Konditionieren

Was ist das?

Die Bedeutung im Alltag und in der Erziehung

Die Katze im Käfig oder: Das operante Konditionieren

Versuch und Irrtum – ein großer Nutzen

Die Ratten in der Box oder: Lernen durch Verstärkung

Was der Abwasch mit Schokolade gemeinsam hat

Die Löschung

Bedeutung für den Alltag und die Erziehung

Lernen am Modell

Schritte des Modelllernens

Was es für den großen Auftritt braucht

Was können Sie überhaupt damit erreichen?

Bedeutung für die Erziehung

Modelllernen und Gewalt – ein ernstes Thema

Haim Omer Methode

Maßnahmen in der Erziehung

Der Begriff muss geklärt werden

Unterstützende Erziehungsmaßnahmen: So schaffen Sie es

Lob und Belohnung

Erfolge

Ich-Botschaften und das aktive Zuhören

Gegenwirkende Maßnahmen: Darauf müssen Sie achten

Strafe und Bestrafung

Wiedergutmachung

Sachliche Folgen

Von allen das Beste

Starke Eltern = Starke Kinder

Stärke statt Macht – was stimmt denn nun?

Die Wichtigkeit der elterlichen Präsenz

Beharrlich und konsequent – meist geht es auf

Die Sache mit dem Bauchgefühl

Abschließende Worte

 

Einleitende Worte

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

 

es freut mich, dass Sie den Weg zu diesem Buch gefunden haben. Verständlicherweise wünschen Sie sich ein Erziehungsbuch, das den aktuellen Stand der Wissenschaft reflektiert. Schließlich gehören Sprüche wie „Eine Tracht Prügel hat noch niemandem geschadet“, die über viele Generationen als Rechtfertigung für körperliche Bestrafung im Sinne der Kindererziehung galten, längst der Vergangenheit an. 1992 unterzeichnete die Bundesrepublik Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention und verpflichtete sich erstmalig dadurch, Kinder gesetzlich vor jeglicher Form von Misshandlung zu schützen. Und am 6. Juli 2000 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit das Gesetz zur „Ächtung der Gewalt in der Erziehung“, das am 8. November 2000 in Kraft trat. Dort heißt es: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

 

Ihre wichtigste Aufgabe als Eltern ist es folglich, Ihr Kind ohne körperlichen und seelischen Schaden zu erziehen. Emotionale Erpressung, der Klaps auf die Finger oder andere Arten der Gewalt sind Maßnahmen, die aus Sicht des Gesetzgebers kein Bestandteil der Erziehung sein dürfen. Doch so manches Mal treiben die Kinder uns Erwachsene in den Wahnsinn. Innerlich zuckt schon die Hand, vielleicht müssen Sie sich auch erst einmal fünf Minuten besinnen, um zu vermeiden, dass Sie gegenüber Ihrem Kind nicht die Stimme erheben oder es gar anschreien. Sie sind mit dem Problem aber nicht alleine. Viele Eltern durchleben ähnliche Gefühlszustände. Zudem ist es kein schönes Gefühl, das eigene Kind regelmäßig verbal zu maßregeln. Es muss also ein anderer, ein alternativer Weg her, den ich Ihnen in diesem Buch aufzeigen möchte.

 

Dieser Ratgeber ist anders. Wahrscheinlich haben Sie sich bereits das Inhaltsverzeichnis durchgelesen. So werden Sie festgestellt haben, dass dieses Buch nicht nur auf einer Theorie fußt, wenngleich das möglich gewesen wäre. In diesem Ratgeber werden Sie auf vier verschiedene Ansätze stoßen, die Sie nacheinander kennenlernen werden. Jeder Ansatz wird seine Stärken und Schwächen offenbaren. Kein Ansatz wird als Universallösung präsentiert werden – die gibt es nicht. Aber ich möchte an dieser Stelle nicht zu viel vorwegnehmen, was nur für Verwirrung sorgen würde. Klären wir zunächst, was Sie von diesem Ratgeber erwarten können.

Im ersten Kapitel werden wir uns der Darstellung möglicher Problemfelder widmen. Dazu werden wir uns spezifische Themen, wie beispielsweise die Trotzphase, genauer anschauen. Auch die persönlichen Grenzen und die Konsequenzen von Grenzüberschreitungen werden wir näher beleuchten. Diese kennen Sie sicherlich von Ihrem eigenen Kind sehr gut. Von diesem Kapitel ausgehend werden wir eine Art erzieherische Zeitreise unternehmen. Nun wird zum ersten Mal das Wort Autorität ins Spiel kommen. Die ursprünglichen Wurzeln der Bewegung der antiautoritären Erziehung liegen in den 1968er Jahren. Doch der Spagat ist groß zwischen der Erziehung von 1968 und der in der Gegenwart angestrebten neuen Autorität, wie der israelische Psychologe Haim Omer es nennt.

 

An dieser Stelle möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Was erwarten Sie von einem Erziehungsratgeber? Natürlich wertvolle Tipps – aber hier beginnt auch schon das eigentliche Problem. Es gibt keine universellen Lösungen! Also gibt es auch nicht den ultimativen Tipp, der alles wieder ins Lot bringt, sollte einmal etwas schieflaufen. Wenn Sie mich fragen, so besteht die Aufgabe eines Erziehungsratgebers darin, Wissen auf eine verständliche und praktische Art und Weise zu vermitteln. Und genau hier werden wir im nächsten Kapitel ansetzen.

Es mag für Sie momentan noch banal klingen, aber das Wetter beispielsweise hat sehr viel mit der Erziehung gemein. Sind Sie neugierig geworden? Dann dürfen Sie sich jetzt schon auf das Kapitel „Warum Sie einen Erziehungsratgeber brauchen“ freuen.

 

Alle Eltern erziehen ihre Kinder. Das ist das Natürlichste auf der Welt. Aber warum ist die Erziehung überhaupt notwendig? Es bedeutet mehr, als das Kind auf ein selbstständiges Leben in Zukunft vorzubereiten, so viel kann ich Ihnen an dieser Stelle schon verraten. Neben dem Wissen, warum eine Erziehung notwendig ist, möchte ich Ihnen auch den Zusammenhang zwischen Erziehung und Autorität nahebringen. Denn dies ist schließlich das große Thema des Buches. Was ist Autorität? Und wie setzen Sie Ihre Autorität gewaltfrei ein? Was macht Sie zu einer Autoritätsperson? Dies sind Fragen, die der Erklärung bedürfen, ehe Sie sich dem finalen Endspurt zuwenden.

 

Sie wissen nun, warum die Erziehung für Kinder wichtig ist, doch wie sie funktioniert, das möchte ich Ihnen jetzt aufzeigen. Das Thema ist zugegebenermaßen komplex, aber kein Grund, das Buch aus der Hand zu legen. Mit einfachen Beispielen werde ich Ihnen veranschaulichen, wie Sie die Erziehung Ihrer Kinder als Autorität gestalten können. Dazu bedienen wir uns verschiedener Türen, stellen Vergleiche mit der Welt des Fußballs an – ja, wir ziehen sogar das Universum zum Vergleich heran. Und ich bitte Sie, sich stets einen Spiegel vorzuhalten. Ich hoffe, dass ich Ihre Neugierde geweckt habe!

 

Jetzt sind Sie endlich im praktischen Teil des Erziehungsbuches angekommen. Das folgende Kapitel wird ganz im Fokus der Erziehungsstile stehen. Damit Sie aber nicht nur mit der reinen Theorie konfrontiert werden, finden Sie ebenfalls viele praktische Beispiele. Zudem werden Sie ab diesem Kapitel auf aktive Übungen und Anwendungen stoßen. Neben der reinen Lektüre des Buches werden Sie das Gelesene unmittelbar in der Praxis anwenden können.

 

Von den Erziehungsstilen ausgehend werden wir uns den Erziehungstheorien zuwenden. Auf den ersten Blick mag sich das nach langweiliger Materie anhören. Aber auch in diesem Punkt kann ich Ihre Sorgen zerstreuen. An der Bezeichnung Erziehungstheorien vermag ich wenig zu ändern, aber die Inhalte kann ich Ihnen praxisnah erklären. Lernen Sie das klassische und operante Konditionieren kennen, erfahren Sie mehr über das Modelllernen, und begeben Sie sich in die neue Autorität nach Haim Omer. Diese vier Säulen, die ich Ihnen in diesem Kapitel vorstellen werde, sind jene, auf die sich das Buch stützt – sie bilden das Herz dieses Ratgebers.

 

Auch wenn Sie die Inhalte der wesentlichen Kapitel nun ein wenig kennengelernt haben, so haben wir einen Themenbereich bisher noch nicht angesprochen: Die Maßnahmen in der Erziehung der Kinder. Hier geht es um Lob, Belohnung, Strafe sowie Bestrafung. Was macht Sinn? Und was ist unsinnig? Welche Alternativen gibt es zu den gerade genannten Punkten, die Sie für sich, die Erziehung Ihres Kindes und für die Wahrung Ihrer Autorität nutzen können? Viele interessante Fakten werden am Ende des Buches auf Sie warten.

 

Chronologisch gesehen befinden wir uns jetzt im vorletzten Kapitel des Buches. Hier werden die Kernaussagen zusammengefasst und Ihnen noch einmal kurz und knapp vor Augen geführt werden, ehe sich unsere Wege mit den abschließenden Worten allmählich trennen werden. Doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen Sie am Anfang dieses Ratgebers und können sich auf viele Seiten voller praktischer, wissenswerter und epochaler Informationen rund um die Erziehung von Kinder und Jugendlichen freuen. Wie Sie Ihre Autorität wahren, ohne diese mit Gewalt innerhalb der Erziehung durchzusetzen, werden Sie nun in diesem Buch erfahren. Mögen Sie hier viele hilfreiche Informationen entdecken! Und natürlich wünsche ich Ihnen viel Freude beim Lesen.

 

„Kinder sind Gäste, die nach dem Weg fragen“

(Maria Montessori)

 

Die Probleme beginnen

 

Die Situation wird Ihnen vertraut sein: Immer, wenn es schnell gehen muss, wenn Sie gar unter Zeit- und Termindruck stehen, dann läuft auf einmal alles schief. Das Kind liegt auf dem Boden, ist trotzig, wütend und schreit. Sie sind genervt und wissen nicht, wo Ihnen der Kopf steht. Eigentlich hätte Ihr Kind vor fünf Minuten in den Kindergarten oder in die Schule gebracht werden müssen. Eigentlich … Der morgendliche Plan wurde soeben von Ihrem Kind über Bord geworfen. Stattdessen heißt es für Sie: Ruhe bewahren und improvisieren. Keine leichte Aufgabe, wenn man schon zu so früher Stunde in zeitliche Nöte gerät. Die sogenannte „Umerziehung“ Ihres Kindes gestaltet sich als schwieriges Unterfangen, denn ein trotzender Sprössling lässt sich nicht so einfach umerziehen. Wo auch immer die Kleinen die Kraft hernehmen, sie erscheint nahezu übermenschlich. Also warten Sie, bis sich Ihr Kind beruhigt hat. Die Wartezeit lassen Sie aber nicht ungenutzt, sondern Sie rufen schon einmal auf der Arbeit an, um Ihre Verspätung anzumelden. Da Ihr Chef schon angekündigt hat, dass dies zwar kein Problem sei, Sie die Zeit aber hinten anhängen müssen, können Sie auch die Termine am frühen Nachmittag nicht mehr wahrnehmen. Also rufen Sie auch beim Zahnarzt an und verschieben den Termin auf die sowieso schon vollgepackte nächste Woche. Es hilft ja nichts. Zehn Minuten später ist der zornige Wonneproppen mit seinem Wutanfall fertig. Im Moment zeigt er sich kooperativ und steht mit seinen rot verquollenen Augen, dem immer noch hochroten Gesicht und der laufenden Nase vor Ihnen. Nun kann der Tag also weitergehen. Schnell ziehen Sie Ihr Kind um, putzen die Zähnchen und ab geht’s in den Kindergarten oder in die Schule.

 

Viele Eltern kennen die berühmt berüchtigte Trotzphase des eigenen Fleisches und Blutes. Eine Zerreißprobe für Mama und Papa, aber auch für das Kind. Die Nerven zu behalten ist in solchen Situationen schwierig und oft fragen sich die Eltern, ob der Fehler nicht ausschließlich bei ihnen selbst liegt. An dieser Stelle kann ich Sie beruhigen. Sie tragen natürlich keine Schuld an den Trotzphasen Ihres Nachwuchses. Im Grunde trägt niemand die Schuld daran – auch nicht Ihr Kind. Diese berüchtigten Wutanfälle und die Trotzphase sind Teil der Entwicklung eines Kindes, und glauben Sie mir: Alle Eltern müssen da früher oder später einmal durch. Was hat es also mit den Trotzphasen auf sich?

 

Die Trotzphase

 

Es gibt natürlich kein magisches Alter, in der die Trotzphase beginnt. Ungefähr über den Daumen gepeilt beginnt sie im Alter von eineinhalb Jahren und geht ungefähr bis zum dritten Lebensjahr. Der Höhepunkt des wütenden Kindes liegt dabei aber zwischen dem 2. und 3. Lebensjahr. Warum sind aber die ersten eineinhalb Jahre friedlich verlaufen, und warum steht plötzlich die Welt auf dem Kopf? Im Alter von 18 Monaten vermag Ihr Kind sich als eigene Persönlichkeit wahrzunehmen. Es wird sich also seiner selbst bewusst und begreift allmählich die Zusammenhänge, dass sein Handeln auch Auswirkung auf die Umwelt hat. Sogar eigene Entscheidungen kann es treffen: „Heute will ich Möhren essen, aber morgen finde ich Möhren ganz scheußlich“. Mit diesen Erkenntnissen will Ihr Kind einfach mehr über sich selbst und andere erfahren. Es will mehr Erfahrungen sammeln, mehr Möglichkeiten kennen lernen, neue Situationen erforschen, aber vor allem will es sich selbstständig ausprobieren. In diesem Zusammenhang können Eltern manchmal durchaus ein Hindernis darstellen, wenn Sie als Vater oder Mutter versuchen, Ihre Regeln und Ideen durchzusetzen. Für Sie ist die Situation klar: Regeln existieren, um eingehalten zu werden. Nur so funktioniert ein harmonisches Miteinander innerhalb einer Gesellschaft. Wenn jeder tun würde, wonach ihm gerade der Sinn steht, dann würde alles in einem maßlosen sozialen Chaos versinken. Allerdings verhält es sich mit Kindern ein wenig anders. Kinder können Regeln einfach nicht begreifen. Ist Ihr Kind jünger als drei Jahre und Sie stellen mehr oder weniger komplexe Regeln auf, dann können Sie diese auch direkt auf Chinesisch vortragen. Denn so viel begreift Ihr Kind davon – nämlich nichts. Um den 3. Geburtstag herum beginnen Kinder allmählich das hinter den Regeln stehende Prinzip zu begreifen. Das liegt an einem entscheidenden Fakt: In dem Alter lernen Kinder erst, sich in andere hineinzuversetzen. Das können Sie sehr gut am Umgang von Kindern mit Tieren beobachten. Besonders Kleinkinder ziehen gerne am Schwanz der Katze oder schnappen sich die Pfote des Hundes, ungeachtet dessen, ob es dem Tier Schmerzen bereitet oder nicht. Sie begreifen noch nicht, dass ihr Verhalten einem anderen Lebewesen in diesem Fall Schmerzen zufügt. Sehr wohl können Kinder aber unter drei Jahren die Reaktionen verstehen. Wenn Ihr Kind einem anderen Kind an den Haaren zieht und dieses zu weinen beginnt, so erkennt es das Weinen an. Trotzdem versteht es nicht, dass dem anderen Kind der Vorgang Schmerzen verursacht. Ihr Kind begreift also nur, dass das Ziehen an den Haaren einen Tränenausbruch bewirkt. Und genau hier kommen Sie ins Spiel. Natürlich können Sie das direkte Umsetzen und Befolgen der Regeln von Ihrem Kind nicht erwarten. Das kleine Gehirn braucht eine gewisse Reife, ehe es das begreift. Doch Sie können Ihrem lieben Kleinen immer wieder sagen, dass das andere Kind weint, weil es Schmerzen empfindet. Es ist also wichtig, von Beginn an klar die Folgen zu kommunizieren, auch wenn Ihr Kind die Komplexität der Reaktionen noch nicht verstehen kann. So hat Ihr Kind später einen einfacheren Übergang, wenn es die Zusammenhänge begreift. Das erklärt aber immer noch nicht umfassend die Trotzphase. Warum wirft sich Ihr Sohn auf den Boden, strampelt und schreit? Warum lässt er sich nicht beruhigen? Und warum ist nach fünf Minuten das kindliche Leben so, als sei nie etwas gewesen? Einen Wutanfall in der sogenannten Trotzphase können Sie mit einem Durchbrennen von Sicherungen vergleichen. Mit diesem Wutanfall entladen sich plötzlich angestaute Wut, Ängste, aber auch Hilflosigkeit, weil sich Ihr Kind nicht so ausdrücken kann, wie es gerne möchte. Ein ziemlich komplexes Vorgehen also. Es fühlt sich mit dem Rücken an die Wand gedrängt und das kleine Gehirn weiß sich einfach nicht anders zu helfen, als den Ausnahmezustand auszurufen. Das Ergebnis kennen Sie: Es drückt sich in den gefürchteten Wutanfällen aus, in denen gar nichts mehr geht. Hat sich diese scheinbar spontane Ladung erst einmal ausgeglichen, kehrt das Kind wieder in seine normalen Verhaltensmuster zurück. Und aus der Sicht Ihres Kindes ist nichts passiert. Die wenigsten Kinder können das angebliche Drama, das sich aus der Sicht der Erwachsenen ereignet hat, nachvollziehen. Noch weniger verstehen Sie, wenn Sie mit dem Kind schimpfen. Stellen Sie sich einmal vor, Sie wären in einer Situation, welche Sie überfordert, in der Sie Angst haben oder sich vielleicht nicht ausdrücken können. Sie werden von irgendwelchen „Riesen“ so in die Ecke gedrängt, weil diese von Ihnen etwas verlangen, was Sie gar nicht verstehen. Wie würden Sie reagieren? Sie würden sicherlich auch irgendwann ausflippen und unter enormen Stress würde sich diese Anspannung entladen. Ihr Kind empfindet und reagiert in ähnlicher Weise. Aus der Sicht eines Erwachsenen mag es sich um alltägliche Kleinigkeiten handeln, die allerdings aus der kindlichen Perspektive vollkommen anders bewertet werden. Warum bekommen Kinder diese Wutanfälle auch an der Kasse im Supermarkt? Nur, weil ihnen eine bestimmte Süßigkeit verweigert wird? Der Grund ist offensichtlich: Die Kinder können auf Grund ihres Entwicklungsstadiums die Regeln nicht begreifen. Das noch nicht ausgereifte Gehirn wird mit einem für sie nicht nachvollziehbaren Regelwerk überlastet. Ihr Nachwuchs hat nicht die Fähigkeit, sich mit den Anforderungen seiner Lebensumwelt und dem eigenen Bedürfnis reflektiert auseinanderzusetzen. Und schon kommt es im übertragenen Sinne zu einem Kurzschluss im Gehirn. Das Kind liegt schreiend und strampelnd auf dem Boden und brüllt den ganzen Laden zusammen.

 

Dabei ist diese Phase für die Kleinen so wichtig! Und Sie sollten sich einmal überlegen, was Ihr Kind in den ersten Lebensjahren motorisch und kognitiv leistet! Eine so große Beharrlichkeit und Frustrationstoleranz wird es nie wieder zeigen. Moment einmal, Frustrationstoleranz? Ja genau! Denn Ihr Schatz lernt unermüdlich und immer und beißt sich regelrecht durch. Denken Sie nur einmal an die ersten Gehversuche. Ihr Kind stand noch nicht ganz auf den Beinen und zack, da ist es wieder umgefallen. Wir Erwachsenen wären nach spätestens drei Versuchen maßlos frustriert und würden die Aktion abbrechen. Doch das Kind bleibt dran und das so lange, bis es sein Ziel erreicht hat. Zudem lernt Ihr Kind noch weitere wichtige Dinge während der Trotzphase: Es lernt die eigenen Gefühle kennen und diese selbstständig in den Griff zu bekommen. In dieser Zeit bekommt es ein Gespür dafür, mit Stress und Frustration umzugehen. Mit dem Nachlassen und Zurückgehen der Trotzphase erlernt es andere Wege, mit solchen Situationen und Gefühlen zurecht zu kommen und sie zu kommunizieren. Darum ist es eben auch so wichtig, dass Sie die Wutanfälle Ihres Kindes ruhig und gelassen aushalten. So können Sie Ihrem Kind am besten helfen. Und nein, Ihr Kind will Sie mit seinen trotzigen Reaktionen nicht ärgern, wie Sie jetzt wissen. Es ist ein natürlicher Entwicklungsprozess, den alle Kinder und ihre Eltern gemeinsam meistern müssen – ob sie wollen oder nicht. Danach fragt nämlich niemand. Machen Sie sich also eher Sorgen um Ihr Kind, wenn es diese Wutanfälle nicht hat.

 

Also, Ihr Kind hat die Trotzphase hinter sich gebracht. Endlich kann das Leben in ruhigen Gefilden weitergehen. So ist zumindest das Denken vieler Eltern. Aber weit gefehlt! Wenn Sie denken, dass Sie mit der Trotzphase das Schlimmste hinter sich gebracht haben, so erliegen Sie einem Irrtum. Jetzt geht der ‚Spaß‘ erst richtig los. Mit drei Jahren können Kinder zwar Regeln und Grenzen verstehen, aber warum tanzen sie einem trotzdem auf der Nase herum?

 

Die Sache mit den Grenzen