image

Vorwort des Autors

Das Erkennen von Schönheit und die Freude, die wir aus ihr beziehen, gehört unverbrüchlich zum menschlichen Wesen. Ein schönes Bild löst beim Betrachter positive Gedanken aus, stärkt sein ästhetisches Selbstverständnis und gibt ihm Selbstvertrauen.

Dasselbe gilt auch für das geistig-körperliche Erscheinungsbild des Menschen. In meinem Verständnis macht ein stimmiges ästhetisches Aussehen, gepaart mit innerem Frieden, das aus, was wir unter „Wohlbefinden“ verstehen. Auf dieser Grundlage streben wir ein schlichtes, natürliches Erscheinungsbild an, in dem sich die bessere Seite des Menschen spiegelt. Übertriebene Künstlichkeit ist dabei kontraproduktiv. Im gleichen Maß, in dem unsere Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten gestiegen ist, hat sich auch unser Bild der fortgeschrittenen Lebensabschnitte gewandelt. Was früher als „reif“ galt, gilt heute als „jung“. Was uns früher „alt“ erschienen ist, existiert heute nicht mehr. Parallel zu dieser Entwicklung strebt der Mensch von heute ein jugendliches, attraktives und dynamisches Äußeres an.

Künstlerisch begabte, kreative Menschen, die die schönen Seiten des Lebens erkennen und zu schätzen wissen, sind dazu geneigt, anderen Menschen an Freuden teilhaben zu lassen, die nur schwer zu erklären sind. In der Musik, den schönen Künsten und anderen gesellschaftlichen Aktivitäten wird dies besonders deutlich. Das Ziel besteht darin, den Menschen diese Schönheit so zu vermitteln, dass sie das Gefühl haben, als sei diese immer schon da gewesen.

Das Lachen gehört ebenso zum menschlichen Wesen wie der aufrechte Gang. Selbst für Blinde oder Taube ist das Lachen der wichtigste Ausdruck von Freude. Dass schöne Zähne diesem Lachen eine besondere Note verleihen, ist offensichtlich. Wenn wir vor diesem Hintergrund die „ästhetische Zahnmedizin“ betrachten, gehört ein gut geplantes und schön ausgeführtes Lächeln zweifellos zu den wesentlichen Bestandteilen einer ganzheitlichen Definition von „Wohlbefinden“.

Ein lebendiges Lächeln, das sich harmonisch in die Lippen und das Gesicht einfügt, gibt Einblick in den Charakter und das Leben des Menschen. Ein solches Lächeln hat Individualität und wirkt so natürlich, dass es den Anschein hat, als wäre es immer schon da gewesen.

Dieses Buch soll Zahnärzte bei ästhetischen Behandlungen unterstützen. Es soll helfen, Zähne zu behandeln, die aufgrund ihrer Anordnung, Farbe oder Form unästhetisch aussehen. Es soll dabei helfen, dem Patienten ein schöneres Lächeln mit funktionsgerechten Zähnen und intakter Okklusion zu verleihen. Sein Thema – Keramikveneers – sind die erfolgreichste nichtinvasive prothetische Behandlungsform, die die Zahnmedizin in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Alle Vor- und Nachteile dieser Art von Zahnersatz werden beleuchtet. Richtig ausführte Keramikveneers sind der lebendigste, natürlichste Zahnersatz, den man sich vorstellen kann. Sie wirken nicht wie eine nachträgliche kosmetische Korrektur, sondern wie ein fester, immer schon da gewesener Bestandteil des individuellen Erscheinungsbilds.

Dieses Buch enthält Hunderte von Literaturhinweisen und sollte damit dem Schlagwort von der „evidence-based dentistry“ in bester Weise gerecht werden. In meiner 15-jährigen Tätigkeit auf dem Gebiet der ästhetischen Zahnmedizin konnte ich mit Unterstützung meiner Lehrer und erfolgreicher Kollegen einige neue Techniken entwickeln, von denen ich hoffe, dass sie in Zukunft, speziell bei Behandlungen mit Keramikveneers, im größeren Stil zur Anwendung kommen. Insbesondere das Kapitel 7 mit den darin enthaltenen Erläuterungen zur Zahnpräparation sowie die Konzepte des „Vorkonturierens“ und der „Vorprovisorien“ werden, so denke ich, über kurz oder lang Einzug in den zahnärztlichen Alltag halten. Das Gebot der minimalen Zahnpräparation gehört zweifellos zu den sensibelsten Aspekten bei Behandlungen mit Keramikveneers. Ich bin zuversichtlich, dass Sie diese Techniken, die ein nahezu hundertprozentig genaues Präparieren ermöglichen, mit großem Interesse lesen werden.

In den Kapiteln 3, 4 und 5 beleuchten drei absolute Weltkoryphäen die überaus wichtigen Themenbereiche der Adhäsion, Farbe und Okklusion. Auch die Kapitel zu den ergänzenden Disziplinen der Parodontologie, Kieferorthopädie und Patientenaufklärung wurden von anerkannten Spezialisten geschrieben.

Wenn wir als Zahnärzte hohe Ansprüche an die Arbeiten im Dentallabor stellen, haben wir auch die Pflicht, dass wir den Herstellungsprozess von Keramikveneers gründlich verstehen. Einige der weltweit besten Keramiker haben Fotos und Illustrationen zu Presskeramiken sowie Feldspatkeramiken mit Einbettmassestümpfen und der Platinfolientechnik zu diesem Buch beigesteuert. Alle diese Techniken werden in Kapitel 7, 9 und 10 verständlich beschrieben.

Wenn Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie über umfassendes und eingehendes Wissen zur Behandlung mit Keramikveneers verfügen. Die ästhetische Zahnmedizin ist eine „Kunstform“, die uns ermöglicht, unseren Patienten ein jugendliches, sympathisches, verführerisches und schönes Lächeln zu verleihen. Wir müssen hierzu unsere rezeptiven Fähigkeiten, unser Talent, unser Kunstsinnigkeit und unser Verständnis für die speziellen Wünsche des Patienten ausschöpfen. Ohne diese Voraussetzungen würde jedes Lächeln, das wir gestalten, stereotyp aussehen und ein unpersönliches Konstrukt bleiben.

Keine Arbeit ist befriedigender als die Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten, Zahntechnikern und Patienten bei ästhetischen Behandlungen. Man muss sie nur richtig machen. In diesem Sinne wünsche Ihnen alles Gute, viel Erfolg und einen erfüllten zahnärztlichen Alltag!

Dr. Galip Gürel

1  Ästhetische Zahnmedizin

Galip Gürel

Definition

„Alle menschlichen Sehnsüchte betreffen die Schönheit.“1

„Aesthesia“ bedeutete im alten Griechenland so viel wie „Empfindung“ oder „Empfindsamkeit“. In den modernen europäischen Sprachen wie Deutsch bezeichnet „Ästhetik“ die Wahrnehmung von Schönheit.2 Der Begriff „Kosmetik“ wiederum kommt ebenfalls aus dem Griechischen – „Kosmos“ bedeutete dort so viel wie „Schmuck, Zierrat“. Nach Auffassung mancher Zahnärzte sind „Ästhetik“ und „Kosmetik“ nicht unbedingt gleich bedeutend. Die ästhetische Zahnmedizin fördert die natürliche Schönheit des Mundes und des Gesichts nicht mit oberflächlichen Mitteln, sondern durch echte strukturelle Veränderungen.3

image

Die genaue Wortwahl kann Verwirrung stiften. Unter „kosmetischen“ Maßnahmen würde sich der Patient spontan vorstellen, dass sie nur das äußere Erscheinungsbild betreffen. Meine Überzeugung ist jedoch, dass „ästhetische“ oder „kosmetische“ Dentalbehandlungen, unabhängig von der Wortwahl, dem gleichen Zweck dienen müssen. Durch den technischen Fortschritt können wir unseren Patienten heute auch mit konservativen Mitteln zu einem markanteren und gesünderen Lächeln verhelfen. Eine profunde Kenntnis aller Aspekte der ästhetischen/kosmetischen Zahnmedizin sowie der Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Funktion und Schönheit hilft dem Zahnarzt dabei, seine Patienten optimal zu behandeln.4 Das Grundkonzept der ästhetischen Zahnmedizin besteht darin, dass wir den Zähnen des Patienten ein möglichst überzeugendes natürliches Aussehen verleihen wollen und dabei keinerlei Abstriche bei den funktionalen Aspekten in Kauf nehmen.5 Dank der gewaltigen Fortschritte in der Materialentwicklung und Zahntechnik lassen sich mit den meisten Verfahren, bei denen früher der kosmetische Aspekt im Vordergrund stand, mittlerweile auch recht dauerhafte Ergebnisse erzielen.

Die „Verpackung“ spielt heute in allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle. Ein gutes Aussehen ist nicht nur in der Freizeit und bei der Partnersuche wichtig. Es ist erwiesen, dass attraktive Menschen auf dem Arbeitsmarkt tendenziell im Vorteil sind.6 Wenn wir heute sehr viel Wert auf unser Äußeres legen, tun wir dies nicht nur, um unsere Eitelkeit zu befriedigen oder unser Selbstbewusstsein zu heben, sondern um die Erwartungen zu erfüllen, die von außen an uns herangetragen werden. Ein negativer Eindruck vom eigenen Körper ist nachweislich die Hauptursache für Selbstablehnung. Folgerichtig trägt das Gesicht als auffälligster Bereich des Körpers wesentlich zum ästhetischen Selbstverständnis unserer Patienten bei (Abb. 1-1).7 Der Mund wiederum ist aufgrund seiner Größe und Mobilität der markanteste Gesichtszug. Wie sehr er das Gesicht dominiert, ist von der Ausprägung der anderen Gesichtspartien sowie vom Typus des Patienten abhängig.8

Die Zähne und das Lächeln entscheiden wesentlich darüber, ob wir ein Gesicht als attraktiv empfinden. Die Dominanz der Zähne lässt sich erhöhen, indem man die sichtbaren Zahnflächen physisch oder optisch vergrößert. Zu diesem Zweck können die Kronen verlängert, aufgehellt bzw. nach vorne versetzt oder aber der sichtbare Anteil der Gingiva kann vergrößert werden. Mit diesen Mitteln kann der Zahnarzt das Lächeln des Patienten verschönern und ihm ein jugendliches Aussehen verleihen.

Dentofaziales Erscheinungsbild

Das dentofaziale Erscheinungsbild spielt für das psychosoziale Wohlbefinden9 zweifellos eine wichtige Rolle.10 Ästhetische Zahnbehandlungen konzentrieren sich seit jeher auf das Erscheinungsbild des Lächelns. Dem Zahnarzt muss über die eigenen ästhetischen Vorstellungen hinaus daran gelegen sein, dem Patienten zu einem besseren Selbstwertgefühl zu verhelfen.11 Der positive Einfluss restaurativer Behandlungen auf das Lächeln, Aussehen, Selbstwertgefühl und seelisches Wohlbefinden ist nicht zu unterschätzen. Dass ein schönes Lächeln unser Gesicht aufwertet sowie unser Befinden und ästhetisches Selbstverständnis hebt, liegt auf der Hand. Gut aussehende, intakte Zähne sind der Schlüssel zu einem attraktiven Lächeln.12

Je stärker diese Zusammenhänge ins Bewusstsein rücken, umso größeren Wert legen die Menschen auf ihr Aussehen (Abb. 1-2). Wir Zahnärzte sind gefordert, auf die Bedürfnisse unserer Patienten einzugehen und uns unseren ästhetischen Aufgaben zu stellen. Die Gesellschaft kennt den Einfluss des Lächelns auf die faziale Ästhetik und assoziiert ein schönes Lächeln mit einem schönen Leben. Pilkington meinte schon 1936, dass die ästhetische Zahnmedizin als Wissenschaft die Natur imitiert und mithin die Kunst des Unauffälligen ist.13

Ein schönes Lächeln scheint einen bestimmten Lebensstil widerzuspiegeln. Dentalbehandlungen, für die an sich keine zwingende Notwendigkeit bestehen würde, dienen sehr häufig der fazialen Schönheit. Der Stellenwert des Lächelns ist auch deshalb so hoch, weil das faziale Erscheinungsbild besonders stark vom unteren Gesichtsdrittel geprägt ist (Abb. 1-3). Optimale Verhältnisse zwischen dem Zahnersatz und dem fazialen Weichgewebe bilden bei restaurativen Behandlungen die wichtigste Voraussetzung für natürliche Schönheit. Der Wert, den unsere Patienten ihrem äußeren Erscheinungsbild zumessen, wird durch den Einfluss der Medien weiter verstärkt. Entsprechend hoch sind die Ansprüche an Dentalbehandlungen. Wir Zahnärzte und Kieferorthopäden haben die Aufgabe und die Chance, diese ästhetischen Ansprüche durch eine Verbesserung der fazialen Proportionen zu erfüllen und unseren Patienten so zu einem attraktiven Lächeln zu verhelfen.14

image

Abb. 1-1 Gleichmäßig sichtbare und natürlich angeordnete Zähne verschönern jedes Lächeln.

image

Abb. 1-2a und b Dieses unattraktive Lächeln wurde vor acht Jahren behandelt. Heute würde das Resultat dank neuer Materialien noch natürlicher ausfallen. Manche Patienten sind durch ihre Zähne ästhetisch wie auch gesundheitlich beeinträchtigt. Wir können heute Behandlungen durchführen, die früher als unmöglich angesehen wurden, die Gesundheit und Aussehen des Patienten verbessern und sein Selbstbewusstsein stärken.

image

Abb. 1-3a bis c Die Attraktivität des Lächelns steht und fällt mit den Frontzähnen (a); allerdings lässt sich mit relativ neuen Methoden wie Bleichen (Opalescence 20 %, Ultradent) auch ein attraktives Lächeln noch verbessern (b). Man beachte den Unterschied zwischen der oberen und unteren Zahnreihe und die Aufhellung des Gesichts durch das Lächeln (c).

image

Abb. 1-4a bis d Schlecht angeordnete Zähne können auch bei guter Gesundheit ästhetische Defizite aufweisen (a, b). Für das neue Lächeln wurden die Unregelmäßigkeiten im Weich- und Hartgewebe korrigiert, die dunklen bukkalen Korridore durch leicht überkonturierte Keramikveneers an den Prämolaren beseitigt, die Strukturen symmetrisch gestaltet und ausbalanciert sowie die Form des Zahnbogens verbessert (c).

Ästhetischer Behandlungsbedarf

Immer mehr Patienten suchen heute den Zahnarzt auf, weil sie mit dem Aussehen ihrer Frontzähne unzufrieden sind (Abb.1-4).15 Während früher die Behandlung von Karies im Mittelpunkt der zahnärztlichen Arbeit stand, werden heute in zunehmendem Maß auch gesunde Zähne behandelt.16 Die Arbeitsweise der Zahnärzte ändert sich rapide. Die immer schnelleren Fortschritte in der Materialentwicklung haben dazu geführt, dass wir heute über restaurative Methoden verfügen, die bessere ästhetische Ergebnisse als in der Vergangenheit ermöglichen und gemessen an damaligen Begriffen unvergleichlich schonend und wirksam sind (Abb. 1-5).17-20 Der positive Beitrag, den wir Zahnärzte zum psychosozialen und emotionalen Wohlbefinden unserer Patienten leisten können, erfüllt uns mit großer Freude.

Das neue „Gesicht“ der Zahnmedizin

Unser heutiger Begriff von Zahnmedizin hat mit den Realitäten vor 30 Jahren nicht mehr viel gemeinsam, da mittlerweile eine völlig neue Ära angebrochen ist. Während Extraktionen in der „klassischen“ Ära einen Schwerpunkt der zahnärztlichen Arbeit bildeten, liegt der Schwerpunkt heute auf schonenden restaurativen Maßnahmen. Diese Entwicklung ist so dynamisch, dass die neuen Methoden buchstäblich jeden Tag noch einfacher und noch schonender werden. Schonendere Präparationen bedeuten berechenbarere Ergebnisse und eine geringere Anfälligkeit gegen Traumen. Außerdem erhöht sich der Tragekomfort, der bei optionalen ästhetischen Behandlungen eine besonders große Rolle spielt. In der traditionellen Zahnmedizin ging es darum, Zähne zu reparieren und, falls nötig, zu entfernen. Die Resultate – nämlich Lückengebisse bis hin zu vollständiger Zahnlosigkeit – sehen wir in der älteren Generation.21

Heute dagegen sind vollständige intakte Zähne keine Utopie mehr. Ein Patient, der eine korrekte Mundhygiene mit Fluorprophylaxe betreibt, sich regelmäßig einer professionellen Zahnreinigung unterzieht und mit zeitgemäßen Materialien und Verfahren restaurativ behandelt wird, braucht keine Zähne zu verlieren. Dass natürliche Zähne heute länger halten als früher, ist sowohl den Zahnärzten zu verdanken, die eine aktivere Prävention betreiben, als auch den Patienten selbst, die besser informiert sind und eine konsequentere Mundhygiene betreiben. Der moderne Zahnarzt kümmert sich nicht nur um die Funktionalität und Gesundheit der Zähne, sondern fühlt sich auch für ihr ästhetisches Erscheinungsbild verantwortlich.

image

Abb. 1-5a bis d Dank der Fortschritte in der Dentaltechnik lässt sich das ästhetische Erscheinungsbild heute mit minimal invasiven Techniken verbessern (a, b). Man beachte, dass alle Zähne oben und unten mit Keramikveneers behandelt wurden (c, d). Auch schwer geschädigte Zähne (b) können erfolgreich mit Keramikveneers behandelt werden – zum Wohl der Gesundheit, der Funktion und der Ästhetik.

Wenn Patienten den Zahnarzt aufsuchen, weil sie mit dem Aussehen ihrer Zähne unzufrieden sind, ist dies schon deshalb positiv, weil sie bei dieser Gelegenheit gründlich untersucht werden können. Dass wir Zahnärzte unsere Patienten nicht nur über ihre orale Gesundheit informieren, sondern auch die Qualität ihres Lächelns verbessern können, ist eine unserer bedeutendsten Leistungen. Sie verbessert unser Ansehen in der öffentlichkeit und motiviert auch Patienten, die sonst nicht regelmäßig den Zahnarzt aufsuchen würden. Wir alle kennen Patienten, die nach jahrelanger Abwesenheit plötzlich in der Praxis auftauchen, weil sie gern „weißere Zähne“ hätten. Wenn dieser Schritt getan ist, lassen sie sich normaler weise auch von einer eventuell notwendigen Parodontaltherapie oder restaurativen Behandlung überzeugen.22 Im Rahmen der Diagnosestellung vor der eigentlichen Behandlung können Probleme aufgespürt und behandelt werden, die sonst unentdeckt bleiben und zu größeren Problemen führen würden (Abb. 1-6).21

Vor nicht allzu langer Zeit gingen die Menschen erst dann zum Zahnarzt, wenn sie akute Schmerzen oder eine Schwellung im Gesicht hatten. Zahnarztbesuche erfolgten also aus der Not. In dieser Situation sind relativ grobe restaurative Behandlungen oft die einzige Lösung. Heute hingegen geht die Entwicklung dahin, dass die Patienten nicht zum Zahnarzt müssen, sondern zum Zahnarzt wollen.22,23 Zahnarztbesuche sind also zunehmend ästhetisch motiviert. Die ästhetische Zahnmedizin hat den meisten Zahnärzten eine völlig neue Welt eröffnet und Tausenden von Patienten zu einer besseren Lebensqualität verholfen.22 Gleichzeitig hat sich auch das Image der Zahnmedizin verändert: Nicht nur der praktische Nutzen der Schmerzlinderung und Prothetik, sondern auch die raffinierten Ergebnisse der Dentalästhetik werden wahrgenommen.24

image

Abb. 1-6a bis d Bei Patienten, die nicht regelmäßig einen Zahnarzt aufsuchen, können unerkannt Läsionen entstehen. Dieser Schaden wurde entdeckt, weil sich der Patient einer ästhetischen Behandlung unterziehen wollte. Solange er schmerzfrei ist, fällt ihm der interproximale Schaden nicht auf (a). Dieser kann nur im Röntgenbild aufgespürt werden, da der Schmelz von Zahn 17 nicht verfärbt ist (b). Man beachte die Größe der Läsion (c) und den Zustand nach der Behandlung (d).

Im Lauf der letzten zehn Jahre haben sich ästhetische Elemente in der zahnärztlichen Behandlungsplanung immer stärker etabliert. Man geht davon aus, dass ästhetische Gründe bei 50 Prozent aller Behandlungssuchenden ausschlaggebend sind.25 In einer Gesellschaft, die auf Äußerlichkeiten großen Wert legt und Schönheit mit Erfolg assoziiert, ist die Bereitschaft groß, in das eigene Aussehen zu investieren. Dies gilt auch für die Zähne. In vielen Fällen lässt sich der gewünschte Effekt verhältnismäßig einfach mit Bleichmitteln, Kompositfüllungen oder Keramikveneers erreichen (Abb. 1-7). Ästhetische Behandlungen können aber auch einen weitläufigen interdisziplinären Ansatz mit kieferorthopädischen Maßnahmen, Operationen, Parodontaltherapien und prothetischen Sanierungen umfassen. Dass solche rein ästhetisch motivierten Eingriffe an grundsätzlich gesunden oralen Strukturen überhaupt in Frage kommen, ist den schonenden Präparationstechniken zu verdanken, über die wir heute verfügen.

image

Abb. 1-7a bis d Ästhetische Zahnmedizin kann sehr schonend sein. Diese Patientin bat um eine nicht invasive Behandlung der für ihre Vorstellungen übermäßig dunklen und kurzen Zähne (a, b). Die Länge der Zähne wurde durch eine einfache operative Anhebung des Gingivasaums verändert. Die Zähne wurden gebleicht, der vorstehende linke mittlere Schneidezahn rekonturiert und mit einem Komposit restauriert. Man beachte das längere und hellere Erscheinungsbild der gesamten oberen Zahnreihe sowie die veränderte Form des linken mittleren Schneidezahns (c). Solche minimal invasiven Methoden sind insbesondere bei jugendlichen Patienten angemessen, die sich „nicht schön genug“ fühlen. Das faziale Erscheinungsbild lässt sich auch mit solchen minimalen Eingriffen überaus wirkungsvoll aufwerten (d).

Subjektive Kriterien

Jeder Patient hat seine sehr persönlichen ästhetischen Vorstellungen, die durch das Lebensumfeld, die Medien sowie Modetrends und viele anderen Faktoren geprägt und beeinflusst werden. Ein ästhetisches Lächeln lässt sich allerdings nur herstellen, wenn der Zahnarzt bestimmte Regeln beachtet (vgl. Kapitel 2, Anatomie des Lächelns). Diese Regeln erstrecken sich auf das allgemeine Aussehen des Patienten bis hin zu winzigen Details wie beispielsweise die Eigenheiten von einzelnen Zähnen. Gleichgültig was diese Regeln besagen, ist trotzdem immer genau zu hinterfragen, welche Vorlieben der Patient hat und wie er sein eigenes Lächeln sieht.26

Zur ästhetischen Bewertung der Zahnreihen sind mehrere Faktoren wichtig. Beispielsweise müssen alle vorhandenen Restaurationen auf ihre Farbe, Form, Lage und Qualität hin analysiert werden. Ferner ist die generelle Anordnung der Zähne, und hier insbesondere der Frontzahnreihen, zu berücksichtigen. Die einzelnen Faktoren müssen sowohl für sich genommen ästhetisch wirken als auch ein harmonisches Gesamtbild ergeben. Ästhetik im modernen Sinn umfasst nicht nur Schönheit und Harmonie, sondern auch Natürlichkeit. Für uns Zahnärzte bedeutet dies, dass wir uns auf keine feste Norm verlassen können. Wir müssen begreifen, dass ästhetische Wahrnehmung zum Teil von Modeerscheinungen und regionalen Unterschieden geprägt wird.27 Das Problem besteht darin, dass die Kriterien zur ästhetischen Bewertung nicht immer absolut sind. Schönheit liegt eben nicht zuletzt im Auge des Betrachters, wobei nicht nur individuelle Auffassungsunterschiede, sondern auch kulturelle Faktoren eine große Rolle spielen (Abb. 1-8). Erstaunlicherweise sind nur 30 bis 40 Prozent aller Erwachsenen, deren Zähne ästhetische Defizite aufweisen, mit ihrem Lächeln wirklich unzufrieden.26 Manchmal besteht daher für uns Zahnärzte, auch wennwir uns ein „lieblicheres“ Lächeln vorstellen könnten, gar kein Handlungsbedarf. Frauen suchen den Zahnarzt eher aus ästhetischen Motiven auf als Männer.28 Nahezu 60 Prozent aller dentalästhetischen Behandlungen entfallen auf weibliche Patienten.29-32

image

Abb. 1-8a und b Die Wahrnehmung von Schönheit wird auch von ethnischen und kulturellen Faktoren mit geprägt. In manchen Teilen der Welt ist immer noch Gold das bevorzugte Material (a). Auch Materialkombinationen sind möglich. In diesem Fall wurde das fehlende Fragment von Zahn 11 mit einem herausnehmbaren Metallteil ersetzt.

Ästhetik und Funktion

Ästhetische Eingriffe müssen dem Selbstverständnis, dem Charakter und den persönlichen Beziehungen des Patienten gerecht werden. Der Zahnarzt verfehlt das Behandlungsziel, wenn er diese Faktoren in der Bewertung und Planung vernachlässigt. Die ästhetische bzw. kosmetische Zahnmedizin ist heute so weit fortgeschritten, dass sie alle Aspekte des dentalen Erscheinungsbilds erfasst. Den großen Fortschritten bei den Adhäsivmaterialien ist es zu verdanken, dass die Zahnmedizin über ihre engen funktionalen Grenzen hinauswachsen und sich zu einer breiteren medizinischen Disziplin mit ästhetischem Schwerpunkt entwickeln konnte.33 Selbstverständlich darf die ästhetische Kür nicht auf Kosten der funktionalen Pflicht gehen.34

Die Behandlung muss vielmehr alle Voraussetzungen, was das ästhetische Erscheinungsbild, die Funktionalität und die Biokompatibilität betrifft, gleichermaßen erfüllen.35 Die ästhetische Zahnmedizin ist Zahnmedizin pur. Sie begreift die Funktion nicht als Hindernis, sondern als Grundlage für das ästhetische Erscheinungsbild.36 Der Zahnarzt muss bemüht sein, den definitiven Restaurationen ein natürliches Aussehen zu verleihen und sie harmonisch in das Weichgewebe – das im gesamten Behandlungsverlauf penibel kontrolliert wurde – zu integrieren (Abb. 1-9).

image

Abb. 1-9 Künstlerisch begabte Zahnärzte und Zahntechniker können mit dem Material und Know-how von heute Restaurationen herstellen, die natürlich aussehen und sich harmonisch in das Weichgewebe einfügen. Dieses Keramikveneer ist von einem natürlichen Zahn kaum mehr zu unterscheiden.

image

Abb. 1-10 Früher mussten ästhetische Zugewinne durch funktionale Einbußen erkauft werden. Umgekehrt musste bei hohen Anforderungen an die Funktion die Ästhetik leiden. Heute können wir dank fortschrittlicher Materialien und Methoden beide Ziele gleichzeitig erreichen.

Wenn diese Bedingungen erfüllt sind und ein ästhetisch-funktional ausgewogenes Ergebnis vorliegt, hat der Patient das Gefühl, schöner zu sein. Der Zahnarzt muss für ein ästhetisch gelungenes Ergebnis die natürliche Morphologie des Zahns treffen. Die restaurativen Behandlungsziele hinsichtlich Okklusion und Ästhetik können – so haben Untersuchungen der Funktionsmechanismen des stomatognathen Systems gezeigt – nur dann gelingen, wenn die Zahnmorphologie respektiert wird und viele subtile Parameter beachtet werden.37 Um zu gewährleisten, dass die Restaurationen den Okklusions- und Kaukräften standhalten und die Funktion langfristig sichern, ist sorgfältig zu überlegen, welche Materialien und Methoden eingesetzt werden sollen.38

Früher wurden die funktionalen und ästhetischen Anforderungen im Rahmen von restaurativen Behandlungen häufig als Widerspruch aufgefasst. Man ging allgemein davon aus, dass jeder funktionale Zugewinn auf Kosten der Ästhetik gehen müsse und umgekehrt. Dieses Denken hat heute, da funktionale und ästhetische Verbesserungen gleichzeitig möglich sind, keine Berechtigung mehr. Vielmehr ist die ästhetische Zahnmedizin zur zahnärztlichen Königsdisziplin aufgestiegen, in der Ästhetik und Funktion zu einer harmonischen Einheit verschmelzen (Abb. 1-10). Sie ermöglicht somit Restaurationen, die vom natürlichen Gebiss nicht mehr zu unterscheiden sind.39

Individuelle Erwartungen

Wenn wir ein lächelndes Gesicht betrachten, beurteilen wir dessen Aussehen, indem wir unsere subjektiven Kriterien auf die sichtbaren Merkmale anwenden.40 Die Grundlage der visuellen Wahrnehmung besteht also darin, dass der Betrachter mit psychologischen Mechanismen auf physiologische Reize reagiert.41 Ob wir das Gesehene als angenehm oder unangenehm empfinden, ist auch von kulturellen Faktoren abhängig. Wir Zahnärzte haben die Aufgabe, die visuellen Voraussetzungen so zu gestalten, dass die gewünschte ästhetische Reaktion eintritt. Zu diesem Zweck müssen wir unsere Wahrnehmung der diversen Gesichtspartien kontinuierlich ergänzen, erweitern und schärfen.42

Das Frontzahnsegment und sein Aussehen sind für alle Zahnärzte ein besonders wichtiger Aufgabenbereich. Wir sind mit einem Sensorium ausgestattet, das uns erlaubt, Individuen anhand ihrer Gesichtstopographie wiederzuerkennen und zu unterscheiden. Jeder Mensch hat besondere faziale Merkmale und ein individuelles Lächeln, in dem sich Gesichtsstruktur, Geschlecht sowie Lebensstil und Charakter widerspiegeln. Die Wunschvorstellung des Patienten sollte daher nie auf einem einzelnen Foto beruhen. Der Zahnarzt wiederum sollte sich nicht sklavisch an feste Vorgaben wie die „goldene Proportion“ halten, sondern diese lediglich als Orientierungshilfe für seine eigentliche Aufgabe betrachten, die darin besteht, dem Patienten zu einem individuell passenden Lächeln zu verhelfen (vgl. Kapitel 2). Die Schönheitsideale von heute sind in nahezu allen Ländern der Erde in einem unvorstellbar hohen Maß von Zeitschriften, dem Fernsehen und kulturellen und ethnischen Einflüssen geprägt.9,10 Wir dürfen dabei niemals vergessen, dass Äußerlichkeiten nicht alles im Leben sind, sondern zwischen psychischen und physischen Bedürfnissen ein gesunder Ausgleich stattfinden muss.

image

Abb. 1-11a und b Ersetzen von Amalgamfüllungen (a) durch Keramikonlays (b). Die alten Füllungen waren funktional ausgerichtet und gingen auf Kosten der Ästhetik. Man beachte die Bruchlinien im Amalgam. Die Keramikonlays hingegen sind funktional wie auch ästhetisch tadellos. Sie sind von natürlichen Zähnen nicht zu unterscheiden.

Mode und Medien

Alle Menschen werden durch ihre Umgebung beeinflusst. Wechselnde Kleidermoden hinterlassen ebenso ihre Spuren wie wechselnde Darstellungen von Schönheit in den Medien.43-45 Unter dem täglichen Einfluss von Film, Fernsehen und Zeitschriften verändert sich laufend unsere Auffassung von Schönheit. Dies wiegt umso schwerer, als so etwas wie ein „ideales“ Lächeln gar nicht zu existieren scheint.46,47 Trotzdem kann es nicht Aufgabe des Zahnarztes sein, seinen Patienten zu einem „modischen“ Lächeln zu verhelfen. Dies wäre einerseits kurzsichtig, andererseits sind solche Wünsche häufig auch gar nicht realisierbar. Er muss vielmehr einen vernünftigen Plan vorlegen, der ein akzeptables realistisches Ergebnis ermöglicht. Es geht also darum, die ästhetischen Grundregeln der Proportionalität, Harmonie und Schönheit zu beachten, ohne dabei die gängigen Ideale von Schönheit und fazialer Ästhetik auszuklammern. In diesem Spannungsfeld muss der Zahnarzt ein vernünftig geplantes Lächeln gestalten, dass die angeborene Charakteristik des Gesichts auf natürliche Weise verstärkt. Dies ist zu bedenken, wenn etwa eine Patientin mit Fotos der neuesten Leinwandstars in der Zahnarztpraxis auftaucht und den Wunsch nach einem Lächeln äußert, das ihrem Gesicht und Charakter nicht entspricht.

Natürlich aussehender Zahnersatz

Jede Art von Zahnersatz sollte sich möglichst harmonisch in die faziale Komposition einfügen und die ursprüngliche Konfiguration der Zähne sowie der Weichgewebestrukturen und des Knochens – sofern es sich um eine ästhetisch ausgewogene Konfiguration gehandelt hatte – so gut wie möglich wiederherstellen. Im Idealfall sollte der Zahnersatz nicht als solcher wahrgenommen werden (Abb. 1-11), sondern für Außenstehende wie auch für den Patienten selbst vollkommen natürlich aussehen.48 Die Fortschritte in der Dentalästhetik erhöhen laufend den Bedarf an Materialien und Anwendungsmethoden zur Erweiterung des ästhetischen Gestaltungsspektrums. Es kommt immer wieder vor, dass sich Patienten beklagen, weil ihr neuer Zahnersatz den Freunden und Verwandten nicht sofort „von weitem“ aufgefallen ist. Der Grund dafür ist, dass wir heute ein ästhetisches Erscheinungsbild erreichen können, ohne von der natürlichen Morphologie abzuweichen. Manche Patienten können sich damit aber nicht abfinden und verlangen womöglich, dass der Zahnarzt ein vollkommen natürliches, sympathisches Lächeln wieder zerstören soll. Man muss daher rechtzeitig bedenken, dass ästhetische Wertvorstellungen nicht nur kulturell, sondern durchaus auch individuell stark variieren können.49,50

Ich selbst vertrete den Standpunkt, dass die Veränderungen der dentalen Komposition selbst nach ausgedehnten Eingriffen nicht offenkundig sein sollen. Der Betrachter sollte eher unterschwellig wahrnehmen, dass sich das Lächeln und der Gesichtsausdruck seines Gegenübers positiv verändert haben (Abb. 1-12).

image

Abb. 1-12a bis c Diese beiden Keramikverblendkronen sind ein Beispiel dafür, wie iatrogene Faktoren das Erscheinungsbild des Lächelns beeinträchtigen können (a). Sie wurden durch Vollkeramikkronen ersetzt, die anderen Zähne gebleicht (b). Die Kronen fügen sich dank ihrer korrekten Lage, Textur, Farbe und Form ästhetisch in das Gesicht ein (c). Das unsymmetrische Gingivaniveau brauchte nicht korrigiert zu werden. Ein Schließen des mesioinzisalen Spalts an Zahn 23 wäre ebenfalls sinnvoll gewesen, der Patient wollte jedoch sein natürliches Lächeln behalten und verzichtete daher auf diese Maßnahme.

Keramischer Zahnersatz

Keramik für Zahnersatz läutete eine neue Ära in der ästhetischen Zahnmedizin ein. Die ersten Dentalkeramikmassen waren aus heutiger Sicht recht primitiv und minderwertig. Nachdem man erkannt hatte, welches Potenzial für die ästhetische Zahnmedizin in dieser Materialklasse steckte, wurden die Keramikmassen auf ihren Einsatz für dentale Zwecke hin optimiert. Die Geschichte der Dentalkeramik verlief recht geradlinig.51 Vines et al. meldeten 1958 die ersten bedeutenden Fortschritte aus ästhetischer Sicht, insbesondere was die Transluzenz von Vollkeramikkronen betrifft,52 und entwickelten Dentalkeramiken für den Vakuumbrand bzw. Niederdruck-Luftbrand. Anfang der sechziger Jahre entdeckten Weinstein et al. das Prinzip der Keramikaufschmelzlegierung mittels Vakuumbrand.53 Eine weitere bahnbrechende Entwicklung waren feinere vakuumbrandtaugliche Massen mit unstetiger Kornabstufung. Dank der Schicht- und Modellierbarkeit von Keramik erkannten Zahnärzte und Zahntechniker immer mehr die ästhetische Bedeutung der Lichtdurchlässigkeit, die Veränderungen der Brechungskoeffizienten und die Lichtreflexion von optisch dichten Keramiken.54

McLean und Hughes beschrieben 1965 gesinterte Tonerde, die in der restaurativen Zahnmedizin zunächst in der Form von vorgefertigten Profilen für Kronen, kleine festsitzende Teilprothesen sowie individuelle bzw. konfektionierte Zwischenglieder angewendet wurde.55 Individuelle hohe Kappen für Keramikkronen konnten aus diesem Material wegen des extremen Schwundes nicht hergestellt werden. 1966 wurde die erste kommerzielle Dentalkeramik eingeführt. Heute, nach nahezu 40 Jahren, ist die Dentalkeramik fest auf dem Markt etabliert.51 MacCulloch – der erstmals die Herstellung von künstlichen Zähnen, Verblendschalen und Kronen aus Glaskeramik beschrieb – verwendete diese Methode im Jahr 1968.56 Allerdings ließen sich die gewünschten Farbschattierungen nur durch eine äußerliche Einfärbung der Keramikoberfläche erzielen, die dort in der Regel nicht dauerhaft hielt. Diese Dentalkeramiken ermöglichten zwar ein ästhetisches Erscheinungsbild, brachen aber leicht und erforderten eine direkte Kunststoffadhäsion mit einer Säureätztechnik.

In den siebziger Jahren war die technische Entwicklung so weit gediehen, dass farblose Metallkeramikkronen und kommerzielle Schultermassen hergestellt werden konnten. Diese wurden bei höheren Temperaturen gebrannt und waren beständiger gegen pyroplastische Ströme, sodass die Formstabilität beim Brennen besser gewahrt blieb.51 Das Ziel, auch die Goldkappe durch eine Keramik von hoher Festigkeit zu ersetzen, ließ sich damals noch nicht realisieren. McLean und Sced präsentierten 1976 das erste marktreife folienverstärkte Kronensystem.57 Die Dentalkeramik wurde dabei mittels fein verteilter Keramikkristalle, die über eine hohe Festigkeit und ein hohes Elastizitätsmodul verfügten, in der glasartigen Matrix gefestigt. McLean und Hughes entwickelten auf dieser Basis die ersten Tonerdemassen zur Herstellung von Kronen.55 Die Festigkeit dieser verstärkten Keramiken betrug bis zu 180 MPa – sie waren damit fast doppelt so fest wie die konventionellen Feldspatkeramiken. Rogers berichtete 1979 über den Einsatz von Galvanotechnik und Zinnoxidbeschichtungen für konventionelle metallkeramische Systeme, und in den achtziger Jahren kamen diverse Foliensysteme auf den Markt.58

Bei der Schlickergusstechnik (slip casting) wurde eine massive Schicht auf einer porösen Form aufgebaut, sodass die Kapillarkräfte die Flüssigkeit absorbierten. Im Jahr 1989 präsentierte Sadoun bei einer internationalen Konferenz zum Thema Dentalkeramik im britischen Leeds Castle eine verfeinerte Variante der Schlickergusstechnik des Grafen Schwerin.59 Mit diesem modifizierten Verfahren, das unter der Bezeichnung In-Ceram auf den Markt kam, konnten hochfeste Keramikkappen hergestellt werden. Diese nicht reinen Keramiken setzten mit einer Festigkeit von bis zu 630 MPa neue Maßstäbe.60 Das In-Ceram-System versetzte die Zahntechniker in die Lage, ohne Beeinträchtigung der Festigkeit ästhetischere Frontzahnkronen herzustellen. Dieses System stellt zweifellos einen Meilenstein in der Geschichte der Dentalkeramik dar.

Anderson und Oden beschrieben 1993 eine Fertigungstechnik für einzelne Vollkeramikkronen aus dicht gesinterter hochreiner Tonerde.61 Diese Methode hat jedoch den beträchtlichen Nachteil, dass die Farbe von gesinterter To nerde je nach Brandbedingungen variieren kann. Außerdem ist dieses Material schwieriger beherrschbar als konventionelle Keramiken bzw. Tonerdemassen.

Wohlwend von der Universität Zürich entwickelte und vermarktete ein Adhäsionssystem auf der Basis von Leuzitkristallen.62 Es trägt die Bezeichnung Empress und besteht aus Leuzitkristallen mit einer Größe von wenigen Mikrometern, die in einer Glasphase mit keimbildenden Zusätzen durch kontrollierte Kristallisierung produziert werden.

Heute bilden dentalkeramische Massen das Rückgrat der ästhetischen Zahnmedizin. Die raschen Fortschritte in der Qualität der verfügbaren Materialien und Techniken ermöglichen naturgetreuere Restaurationen als jemals zuvor. Trotzdem entscheidet letzten Endes immer noch das Können des Zahnarztes und des Zahntechnikers über das Gelingen oder Scheitern von Keramik-Zahnersatz. Bei Vollkeramiksystemen wird die Keramik nicht mehr auf einem Metallgerüst, sondern direkt an den Zähnen befestigt. Normalerweise handelt es sich um armierte Keramikmaterialien, die so fest sind, dass sie den Okklusionskräften standhalten können.63

Keramikveneers

Der erste klinische Einsatz von transluzenten Keramiken geht auf das Jahr 1862 zurück. In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Keramikveneers dann häufiger benutzt.64,65 Pincus experimentierte 1938 mit einem Prothesenhaftmittel zum Befestigen der Veneers;66 diese waren allerdings noch nicht hinreichend adhäsionsstark und haltbar, sodass diese Versuche misslangen.67 Im Jahr 1955 beschrieb Buonocore eine Säureätztechnik,68 bei welcher durch Ätzen des Zahnschmelzes eine feste mikrochemische Verbindung mit Kompositmassen und anorganischen Schmelzbestandteilen geschaffen wurde. In der Folge wurden die Zinkoxyphosphatzemente durch transparente Befestigungskunststoffe ersetzt. Durch den Wegfall aller optisch dichten Materialien verbesserte sich die Lichtdurchlässigkeit und somit auch das ästhetische Erscheinungsbild der Keramikrestaurationen.69

Vollkeramische und metallkeramische Systeme

Metallkeramikkronen sind seit jeher das beliebteste Anwendungsgebiet für dentalkeramische Massen. Sie haben sich über all die Jahre nicht nur im Seitenzahnbereich bewährt, sondern auch bei Frontzähnen, wo die ästhetischen Anforderungen besonders hoch sind. Noch heute arbeiten sehr viele Zahnärzte mit Metallkeramikkronen, um im Frontzahnbereich bessere ästhetische Ergebnisse zu erzielen. Nichtsdestoweniger beeinträchtigt die Metallkomponente die Lichtdurchlässigkeit.70 Bei Patienten mit dünner Gingiva kann das Weichgewebe im Bereich des subgingivalen Metallkragens dunkel erscheinen (Abb. 1-13). Dieser Effekt, dass Metallkeramikkronen mit einer labialen Stumpfstoßkonstruktion einen Schatten verursachen, der die Lichtdurchlässigkeit durch das labiale Gingivagewebe stört, ist aufgrund der recht dünnen und optisch dichten Keramikschicht häufig zu beobachten. Wenn die Metallkappe entfällt – z. B. bei natürlichen Zähnen, vollkeramischen Mantelkronen und gegossenen Glaskeramikkronen –, bleibt die Lichtdurchlässigkeit gewahrt. Da vollkeramische Mantelkronen eine gewisse Stärke nicht unterschreiten sollten, ist beim Präparieren des Zahns ein erheblicher Substanzabtrag erforderlich.70,71

In den letzten zwanzig Jahren wurden in der Metallkeramik einige Neuerungen eingeführt, die auch in die vollkeramischen Systeme übernommen wurden.53,72 Durch die besseren physikalischen Eigenschaften dieser Systeme und die Fortschritte in der Adhäsionstechnik (Schmelzadhäsion,68 Dentinadhäsion,73 Keramikätzen und Silanisieren74,75) eröffneten sich neue Möglichkeiten der prothetischen Behandlung.76 Zahnärzte, Zahntechniker, Hersteller und Wissenschaftler sind seither bemüht, Zähne mit formalen, farblichen oder strukturellen Defiziten immer schonender und kostengünstiger mit künstlichem Schmelz zu restaurieren, der adhäsiv am Dentin befestigt wird.77

Keramikveneers

Die Ansprüche der Patienten an das Erscheinungsbild von Zahnersatz werden heute immer höher – und zwar nicht nur im Frontzahn-, sondern auch im Seitenzahnbereich. Es müssen daher neue Materialien entwickelt werden, welche die mechanischen Anforderungen des Seitenzahnbereichs ebenso erfüllen wie die ästhetischen Anforderungen des Frontzahnbereichs.78 Keramikveneers sind die moderne ästhetische Alternative zu Keramikkronen und dem traditionellen Keramikverblendverfahren.79 Das Lächeln lässt sich mit ihnen rasch, schmerzlos, schonend, dauerhaft und überaus effektvoll aufwerten. In vielen klinischen Situationen, die früher zum Einsatz von Vollkronen geführt hätten, sind Keramikveneers heute zur Behandlung der ersten Wahl geworden. Sie sind ausgezeichnet gewebeverträglich und kommen sehr nahe an die Oberflächenstruktur des natürlichen Zahns heran. Sie absorbieren, reflektieren und übertragen das Licht genauso wie der natürliche Zahn und zeigen eine natürliche Fluoreszenz. Auch die Patienten sind von diesen schonenden Restaurationen und deren positivem Einfluss auf das ästhetische Selbstverständnis sehr angetan.3 Die Langzeitretention von Keramikveneers konnte mittlerweile durch spezielle Säureätztechniken verlängert werden.80-82 Das Interesse an diesen Restaurationen stieg beispielsweise, nachdem Horn83 sowie Simonsen und Calamia84 nachweisen konnten, dass Keramikveneers, die mit Fluorwasserstoffsäure konditioniert und silanisiert wurden, tendenziell stärker am Befestigungskunststoff haften, als dieser selbst am geätzten Zahnschmelz haftet.75

image

Abb. 1-13 Keramikverblendkronen über einer schwach ausgeprägten Gingiva können, wenn das Metall durchschimmert, unästhetisch aussehen.

image

Abb. 1-14 Studien haben gezeigt, dass sachgemäß präparierte, hergestellte und finierte Keramikveneers die Produktion von Gingivaflüssigkeit anregen und so die Vitalität von Plaquebakterien reduzieren. Der Plaqueindex sinkt. Man beachte den guten Zustand der Gingiva rund um die eingewachsenen Veneers.

Minimale Gewebereaktionen

Einer der vielleicht wichtigsten Vorteile von Keramikveneers sind die minimalen Reaktionen des Parodonts. Die finierten und glatt polierten Ränder erleichtern die Mundhygiene und helfen dabei, das Parondont gesund zu erhalten (Abb. 1-14).85-86 Es wurden mehrere Studien zu diesem Thema durchgeführt. Eine davon zeigte, dass das Parodontalgewebe ähnlich auf Keramikveneers reagierte wie auf Metallkeramikkronen. Eine andere Studie hingegen führte zu dem Befund, dass Keramikveneers bedeutend weniger Entzündungen verursachten als Metallkeramikkronen.28,31 Kourkouata et al. fanden heraus, dass nach dem Eingliedern von Keramikrestaurationen mehr Gingivaflüssigkeit produziert wurde und der Plaqueindex sowie die Vitalität von Plaquebakterien signifikant abnahmen.87 Die Lebenserwartung von Zahnersatz ist bei jeder Behandlungswahl eine wichtige Frage. Je invasiver der Eingriff, desto höher ist das Risiko für den Zahn und desto kostspieliger wird im Endeffekt die Folgebehandlung. Vollkeramik- bzw. Metallkeramikkronen erfordern einen beträchtlichen Substanzabtrag und erhöhen somit das Risiko. Es ist daher nur folgerichtig, dass das Interesse an weniger invasiven Behandlungen steigt.

Stand der Technik

Zahnersatz soll grundsätzlich „natürlich“ aussehen und zugleich eine hohe Lebensdauer haben. Diese Forderung ist so alt wie die Zahnmedizin selbst, war in der Vergangenheit aber nicht erfüllbar, weil die Materialien dafür nicht vorhanden waren.35 Heute hingegen verfügen wir über ein breiteres therapeutisches Spektrum, das dauerhafte Restaurationen bei besseren ästhetischen Ergebnissen ermöglicht.3,88-101

Keramikveneers müssen in der ästhetischen Zahnheilkunde als Stand der Technik gelten. Sie bieten gegenüber früheren Verblendsystemen eine Fülle von Vorteilen: Sie sehen hervorragend aus, sind äußerst langlebig und haben keine Auswirkungen auf das Weichgewebe und Parodont. Seit ihren Anfängen vor fast 20 Jahren haben sich Keramikveneers so weit entwickelt, dass sie heute das wichtigste Produkt der ästhetischen Zahnmedizin darstellen.

Festigkeit

Keramikveneers haben eine sehr geringe Stärke von 0,3–0,5 mm. Ähnlich wie Fliesen brechen sie daher leicht, solange sie nicht an einer Oberfläche befestigt sind. Nach der adhäsiven Befestigung gehen sie jedoch eine äußerst stabile und haltbare Verbindung mit dem Zahn ein. Wenn der Zahnarzt den richtigen Befestigungskunststoff verwendet und alle Verfahrensregeln befolgt, kann die Behandlung nicht misslingen. Auch der Patient wird sehr zufrieden sein, wenn er merkt, dass die Restaurationen überhaus hygienefreundlich sind, die Gingiva gesund bleibt und langfristig keine Probleme auftreten. Bevor Keramikveneers ihre heutige Beliebtheit erlangt haben, verwendete man Vollkronen als ästhetischen Zahnersatz im Frontzahnbereich. Die Präparationen für diese Vollkronen waren ziemlich invasiv – d. h., es musste sehr viel Zahnschmelz abgetragen werden – und führten häufig zu Schäden am Parodontalgewebe und der Pulpa.102-104 Als sich herausstellte, dass die gleichen funktionalen und ästhetischen Ergebnisse, und zwar bei einem viel geringeren Substanzabtrag, auch mit Keramikveneers möglich waren, entwickelten sich diese selbst für die anspruchsvollsten ästhetischen Indikationen zur Methode der ersten Wahl.

Ersatz für Zahnschmelz

Die jüngsten Durchbrüche bei den Haftvermittlern ermöglichen eine bessere Retention von Keramikteilen an der Zahnoberfläche und eröffneten somit der ästhetischen Zahnmedizin eine völlig neue Dimension.105,106 Die Einführung von mehrphasigen Ätz-Adhäsivsystemen ist den Fortschritten im Bereich der Schmelz- und Dentinadhäsion zu verdanken.102-104 Keramikveneers, die mit der neuesten Generation von Adhäsivmaterialien befestigt werden, sind biokompatibel und funktionsgerecht, ohne das ästhetische Erscheinungsbild zu beeinträchtigen. Wir alle sind uns einig, dass Restaurationen aus natürlichem Zahnschmelz noch besser wären – leider sind sie aber nicht machbar.79 Keramikveneers kommen diesem Ideal aber schon sehr nahe und sie sind die gewebeverträglichste Lösung. Ihren hohen Stellenwert verdanken sie der Tatsache, dass sie den Schmelz schonen, der im Endeffekt den wertvollsten Bestandteil des Zahns darstellt. In der Literatur wird vielfach empfohlen, dass Zahnpräparationen für Keramikveneers eine Mindeststärke von 0,5 mm nicht überschreiten sollten.64,65,107 Tatsächlich jedoch sind Keramikveneers in der Praxis 0,4 bis 0,7 mm stark, was weitestgehend der Stärke von natürlichem Zahnschmelz entspricht. Mit zunehmender Qualität der Keramikveneers ist auch ihre Beliebtheit gestiegen, da sie eine schonende Alternative zu Vollkronen darstellen, für die weniger Zahnschmelz abgetragen werden muss.

Biologische Verträglichkeit

Eine Metaanalyse publizierter Daten hat gezeigt, dass Keramikveneers aufgrund ihrer größeren chemischen Stabilität, geringeren Zytotoxizität und geringeren Wahrscheinlichkeit von Irritationen und überempfindlichkeitsreaktionen gut vom Körper aufgenommen werden.108,109 Ein weiterer dokumentierter Vorteil von Keramikveneers ist, dass sich an ihrer Oberfläche Plaque nicht so leicht anlagert und leichter beseitigt werden kann.110-113 Es konnte sogar gezeigt werden, dass Plaquebakterien an ihrer Oberfläche erheblich schwerer überleben.114 Quirynen et al. fanden heraus, dass sich auf Keramikveneers nur kleinste Mengen an Plaque halten können – weniger als an jedem anderen Material, der natürliche Zahnschmelz eingeschlossen. Dieser plaqueabweisende Effekt ist der glatt glasierten Keramikoberfläche zu verdanken.115 Die positiven Auswirkungen von Keramikveneers auf das marginale Gingivagewebe sind durch ausgedehnte Studien eindeutig bewiesen.30,31,65,81,116

Anwendung und Indikationsstellung

Zwar haben alle Methoden ihre Grenzen; Keramikveneers sind jedoch von allen keramischen Materialien die ästhetischste Variante. Gute Materialkenntnisse und eine sorgfältige Indikationsstellung sind der Schlüssel für das optimale Gelingen der Behandlung.117 Der Anwendungsbereich für Keramikveneers reicht von kleinen proximalen Läsionen über mittelgroße inzisale Absplitterungen und kosmetische Reparaturen von Entwicklungsdefekten an der fazialen Zahnseite bis hin zu schwer verfärbten, aber sonst intakten Frontzähnen. Auch zum Schließen von Diastemata, zum Korrigieren von schlecht angeordneten Zähnen oder zum Abdecken von Verfärbungen bzw. Formanomalien sind sie geeignet. Keramikveneers versetzen den Zahnarzt in die Lage, unästhetische Zähne mit einem keramischen Material zu restaurieren, das über eine ähnliche Masse und Transluzenz wie der natürliche Zahnschmelz verfügt und ein natürliches ästhetisches Erscheinungsbild bei minimalem Substanzabtrag ermöglicht.

Auch für schwerere Fälle wie frakturierte Schneidezähne oder devitale Zähne sind Keramikveneers heute, dank den Fortschritten bei den Haftvermittlern, eine gangbare Alternative.118 Neben der Revolution bei den Materialien haben sich auch die Präparationstechniken bedeutend weiterentwickelt, sodass heute ausführlich dokumentiert ist, wie Zähne für eine Teilabdeckung zu präparieren sind. Die genaue Vorgehensweise kann je nach vorhandener Zahnsubstanz (bzw. zu entfernender kranker Zahnsubstanz) sowie je nach funktional erforderlichem Platzangebot variieren (vgl. Kapitel 7).119

Haltbarkeit

68,120,12131,66,122-125 wertete 3.500 Keramikveneers aus, die über einen Zeitraum von 15 Jahren eingegliedert wurden, und berichtet eine Erfolgsrate von 93 %.126