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Celine Clair

No Love for rich bastards





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Vorwort

Geschichten werden geschrieben, um zu berühren, zum Nachdenken zu verleiten, schöne Stunden zu gewähren und einen aus dem grauen Alltag, traurigen Momenten oder schwierigen Lebenssituationen hinwegzutragen. Womöglich dienen sie auch der Unterhaltung, zum Mitärgern, weil Protagonisten nicht so ‚funktionieren‘, wie man es selbst tun würde oder sie locken Tränen aus den Augenwinkeln, sei es aus Freude oder Trauer.

 

Ich hoffe daher, diese Geschichte kann auch dir eine wunderbare Lesezeit ermöglichen. Sollte es tatsächlich so sein, wäre das schönste Lob und die größte Unterstützung, deine Meinung in Form einer Rezension in einer dir genehmen Onlineplattform oder in einem Onlineshop dazulassen ;)!

 

Danke!

Impressum

© 2019 Celine Clair
Alle Rechte vorbehalten

 

1. Auflage 2019


Umschlaggestaltung: © JaquelineKropmanns
Korrektorat: Zoe Glod

 

Printed in Germany

 

ISBN-13 978-3-7497-5501-1

 

Dieses Buch enthält Passagen, die Sex, Liebe und mitunter derbe Aussagen beinhalten. Ich bitte dich daher, von diesem Buch Abstand zu nehmen, solltest du kein Freund von erotisch angehauchten Romanen sein, denn du könntest anderen Lesern den Spaß daran verderben. Das Buch ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet.

 

Alle Personen und Namen innerhalb dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Dieses Dokument ist doppelt urheberrechtlich geschützt!

1 | Unüberwindbares Klischee

„Wie Sie unschwer erkennen können, ist diese Wohnzimmereinrichtung untragbar“, hörte Tamika Herrn Wagner verstimmt äußern, als er sie durch den opulente Raum mit seinen fünfzig Quadratmetern führte. Ihre Pupillen fuhren das teure, stark gemusterte Parkett ab, dann die maßgeschneiderte Wohnwand aus Apfelholz und weiß lackiertem Vollholz, nicht zu vergessen die moderne Designerdeckenleuchte, die mit Bestimmtheit doppelt so viel gekostet hatte, als Tamika im Monat verdiente.

Ganz klar: untragbar!

„Sehen Sie sich allein dieses Sofa an. Das Leder ist bereits nach zwei Jahren schmuddelig, obwohl das Material sogar aus Italien importiert wurde“, fuhr er in hoher Stimmlage fort und schwang theatralisch die rechte Hand, um auf eine Sofalandschaft zu verweisen, die mit eingebauten LEDs, Lautsprechern und USB-Buchsen in schwarz-weißem Edelleder punktete. Tamika konnte nur die Augen aufreißen und musste sich besinnen, den Fehler bei sich ankommen zu lassen, um dem Kunden das Gefühl zu geben, dass sie sein Leid verstand. Als Innenarchitektin musste sie sich in den Kunden hineinversetzen, sehen, was er sah, und erkennen, welche sehnlichen Wünsche und Bedürfnisse in ihm schlummerten. Selbst wenn es manchmal schwer war …

Als Tamikas Augen an der circa zweiundzwanzigjährigen Frau auf dem Sofa hängen blieben, sprangen ihr die Brauen in die Höhe. Sie trug ein wie ein Negligé wirkendes Kleidchen und ihre Brustwarzen drängten sich geradezu durch den feinen Stoff. Alles an ihr war gepimpt: der Busen, die Lippen, die Wimpern – und nicht zu vergessen: das Haar. Natürlich war sie für 10:00 Uhr morgens zu sehr aufgetakelt und ihre rasierten, ellenlangen Beine lagen ungalant auf dem niedrigen Beistelltisch vor ihr, während sie sich genüsslich kleine Häppchen Käse mit Weintrauben und Walnüssen reinschob. Kurz war Tamika versucht, Herrn Wagner für seine bildhübsche Tochter zu beglückwünschen, als er ihr zuvorkam: „Darling, könntest du dich bitte woanders hinsetzen? Und lass die Käseplatte sein, du hattest bereits ein ausreichendes Frühstück. Wir wollen doch, dass du beim Empfang in das Kleid passt, das ich dir gekauft habe, nicht wahr?“

Tamikas Hals wurde trocken und es bildete sich ein Kloß, sodass sie ihn wegräuspern musste. Nervös strich sie ihren beigefarbenen Blazer glatt, der – wie sie zu ihrem Leidwesen gerade feststellte – enorme Knitterfalten aufwies – und zudem einen frischen Make-up-Fleck.

Gott sei Dank ist mir das mit der Tochter nicht rausgerutscht, ich hätte den Auftrag vergessen können!

Schweiß drang durch jede Pore ihres Körpers und mithilfe eines aufgesetzten Lächelns konnte sie nun Herrn Wagner anblinzeln, während er seine Freundin oder Frau übertrieben wegscheuchte.

„Ist schon gut, ich stell’ den Teller weg.“ Wie ein verschrecktes Huhn sprang die junge Dame auf und nahm das teure Porzellan mit, als Herr Wagner sie gerade noch am Handgelenk zu fassen bekam und abrupt abbremste: „Hast du nicht etwas vergessen?“ Bei Tamika zog sich bei der sehr berechnenden, kratzigen Stimme des Mannes eine Gänsehaut im Nacken auf. Als sich Herrn Wagners Mundwinkel auf einer Seite süffisant hochzog, wurde Tamika die Situation unangenehm. Sie fühlte sich komplett fehl am Platz, als die junge Frau verunsichert lächelte und mit den Wimpern klimperte. Herr Wagner drängte ihr seinen Willen auf, indem er sie an sich heranzog und ihr einen sabbernden Kuss direkt auf die Lippen presste. Dann drückte er sie weg, drehte sie wie eine Marionette um, um ihr keck einen Klaps auf den Hintern zu verpassen. Die Frau sprang wie ein Fohlen, kicherte unreif und lief dann mit ihr fast aus der Hand gleitendem Teller in Richtung der vermeintlichen Küche.

Während Herr Wagner wieder das Thema aufnahm, kämpfte Tamika mit einem Würgereiz. Sie bekam das Bild des alten Schlauchbootes des mit Sicherheit über sechzigjährigen Millionärs auf den blutjungen Lippen des Mädchens nicht aus dem Kopf.

„Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja! Sehen Sie diese zarten Risse, die sich bereits im Leder gebildet haben? Vor allem hier ist es offensichtlich sehr beansprucht worden.“

Tamika schüttelte die ekligen Bilder ab, als sich nun allzu deutliche Szenen dieses Liebespaares auf exakt dieser Stelle des Sofas in ihren Gedanken manifestierten. Und zwar die junge Frau mit Hundehalsband und Leine, die von hinten von ihrem stinkreichen Herrn bestiegen wurde.

Doch Tamika wollte professionell bleiben, denn sie brauchte die Provision, daher trat sie näher an das Möbelstück heran und ließ ihr geschultes Auge über die besagte Stelle gleiten. „Ich sehe, was Sie meinen, Herr Wagner. Ich werde selbstverständlich bei der Wahl der neuen Wohnlandschaft auf hochwertigeres Material achten.“ Dann wandte sie sich ihm zu und setzte das freundlichste Lächeln auf, das sie gerade zur Verfügung hatte und ergänzte: „Ich versichere Ihnen, auch die Wohnwand wird so exklusiv sein, dass bei Ihren Besuchern kein Zweifel bestehen bleibt, dass Sie hier die Crème de la Crème für die Inneneinrichtung engagiert haben. Mit Frank Johnsen & Partner haben Sie die richtige Agentur für Ihre Wohnträume ausgewählt.“

Die hellblauen Augen, die außen herum bereits mithilfe von Botox glattgebügelt worden waren, begannen zu leuchten und auch das Lächeln von Herrn Wagner wurde überschwänglich. Und genau diese Reaktion hatte Tamika erreichen wollen. Nun musste sie ihr Programm nur noch in Realität gießen, was sie dem Kunden soeben immerhin versprochen hatte. Doch ihr kreatives Auge skizzierte bereits Lösungen und sie hoffte, ein weiterer persönlicher Besuch in der Villa wäre dafür nicht nötig.

2 | Auszeit von Leben

„Hast du das Buch eingesteckt, das ich dir empfohlen habe? Es ist unheimlich wichtig, dass du die Zeit dort nutzt, um dich mit dir selbst auseinanderzusetzen. Das ständige Ablenken und Schönreden macht es nicht besser“, hörte sie Evelyn sagen, während sie mit dem Auto an der Haltezone vor dem Flughafenterminal zu stehen kam. Tamika schnallte sich ab und stieg seufzend aus. Zum Glück hatte sich ihre Freundin bereit erklärt, sie um 21:00 Uhr abends zum Flughafen zu bringen, wodurch sich Tamika die Kosten für ein Taxi hatte ersparen können, denn ihr Freund war ja beschäftigt. Dennoch hatte sie sich die gesamte Fahrt über anhören müssen, dass es mit ihrer Beziehung zu Pascal nicht mehr so weitergehen könne. Seit drei Jahren war Tamika nun mit ihm zusammen und seit fast elf Monaten versuchte sie verzweifelt, einen Schlussstrich darunter zu ziehen, doch war unfähig, sich von ihm zu lösen. Sie hörte sich selbst Ausreden spinnen à la ‚Er ist mein Ruhepol, bei ihm fühle ich mich geborgen und daheim‘, ‚So einen verständnisvollen Mann, der all meine Faxen akzeptiert und mich so nimmt, wie ich bin, finde ich nie mehr‘ und ‚der Sex passt auch‘. Aber vor allem waren ‚Er bemüht sich so und arbeitet hart an sich. Vielleicht passiert so etwas nie wieder …‘ ihre Lieblingssätze.

Tamika atmete tief aus und wollte ihrer Freundin dabei helfen, den fast 20 Kilogramm schweren Koffer aus dem großen Heck ihres Kombis zu hieven.

„Sag mal, wo fliegst du noch mal hin? Sagtest du nicht 9 Tage Malediven? Was brauchst du da mehr als zwei Bikinis und ein Handtuch? Das ist ja nicht normal, wie schwer dein Koffer ist!“, beschwerte Evelyn sich lautstark. Plötzlich entglitt der Freundin das Gepäckstück, und noch bevor Tamika den Riemen fassen konnte, knallte es schnurstracks auf ihren Fuß. „Autsch!“, keuchte Tamika, presste ihre Lider fest aufeinander, während sie ihren tollpatschigen Koffer langsam vom Rist schob. Das pochende Kribbeln breitete sich warm aus und es tat gut, als es wieder nachließ.

„Oh mein Gott, das tut mir leid!“ Evelyn legte sanft ihre Hand auf Tamikas Schulter und die andere war auf ihrem offenen Mund geparkt.

Schmerzverzerrt winkte Tamika ab und hoffte, dass zumindest nun Ruhe in Bezug auf ihr Leben und die Beziehung zu Pascal einkehren würde.

Doch weit gefehlt.

„Und wie lautet nun die Antwort?“, wollte Evelyn mit großen Rehaugen wissen, während sie sich ihren schlecht gebundenen Dutt wieder richtete und den Schweiß von der Stirn wischte.

Auf welche all der Fragen?Tamika rauchte der Kopf. Sie sah ihre Freundin an, die ihr bis zur Schulter reichte und für den Abend in rosa- und graufarbenen Schlabberlook geschlüpft war.

„Der Koffer ist so schwer, da ich meine Tauchausrüstung dabeihabe. So ein Neoprenanzug, Schnorchel und Flossen sind nicht gerade leicht. Aber nun spare ich mir zusätzliche Leihgebühren“, probierte sie die naheliegendste Antwort und drückte sich selbst innerlich die Daumen.

Evelyn prustete jedoch durch die Nase. „Das hab’ ich nicht gemeint. Hast du das Buch ‚Glücksregeln für die Liebe‘ eingepackt?“ Evelyn übernahm nun wieder ihren Koffer und schob ihn mithilfe der kleinen Rollen in Richtung Schiebetür. Natürlich beäugte Evelyn sie weiter, Tamika kam also nicht darum herum.

„Ja, sogar im Handgepäck.“ Mit einem Griff in ihren Rucksack zog Tamika das Eck des beigefarbenen Buches heraus, wodurch sie ein breites Grinsen bei ihrer Freundin kassierte. „Sehr brav! Und jeden Tag wirst du dir vor dem Spiegel aufsagen, dass du dich selbst anerkennst und dass du dich liebst. Dass du keinen Mann nötig hast, um glücklich zu sein und vor allem nicht verzweifelt an etwas festhältst …“, posaunte sie darauf los, während Tamika ihren Blick auf die elektronische Informationstafel richtete, die sich direkt nach der Schiebetür in der Eingangshalle des Flughafens befand. Ihr Flug OS137 würde in 70 Minuten starten und der Check-in fand bei Gate A38 statt, dessen Lage sie mit geschärftem Blick bereits erahnen konnte. Also eine Hürde war gepackt.

„Schon gut, Evelyn. Ich hab’s verstanden. Zudem werde ich mich massieren lassen, jeden Tag autogenes Training betreiben und den Yogalehrer flachlegen, hast du dir das so vorgestellt?“, wollte sie ihre Freundin aus dem Konzept bringen. Doch das Energiebündel war nicht zu bremsen: „Und versuche, nicht so viel Schokolade in dich hineinzustopfen, lass weißes Mehl und Rohrzucker weg … Moment mal! Wie war das? Vom Yogalehrer ist nicht die Rede gewesen! Du sollst ein Problem nicht durch ein anderes ersetzen.“ Evelyn sprang nun direkt vor Tamika, um ihre Aufmerksamkeit zu erhalten, als im Hintergrund ein lautes Hupen zu vernehmen war.

Tamika musste schmunzeln, als sie Evelyn nun ansah, die sich nicht ernst genommen fühlte und eine beleidigte Schnute aufsetzte.

„Komm schon her. Ich weiß, dass du es gut meinst. Und vielen, vielen Dank! Ich werde mich darum bemühen, dass der Knoten aufgeht und ich endlich herausfinde, wie es in meinem Leben weitergehen soll. Ich verspreche dir, ich nehme mir deine Ratschläge zu Herzen und arbeite an mir.“ Tamika breitete ihre Arme aus und hoffte auf eine herzliche Verabschiedung.

Erneut war ein energisches Hupen zu hören. Es wurde jedes Mal lauter, wenn die Schiebetür sich öffnete und weitere Fluggäste eintraten.

„Ja, Herrgottszeiten! Darf man sich nicht einmal kurz verabschieden, ihr Vollpfosten! Immerhin ist das eine Haltezone!“, brüllte Evelyn außer sich zwischen die sich öffnende Tür. Ihre Stirn bildete tiefe Furchen, nur um sie in der nächsten Sekunde wieder glattzubügeln und mit breitem Grinsen und ausgestreckten Armen die Umarmung schlussendlich glücken zu lassen. Tamika drückte ihre Freundin fest gegen die Brust und schloss dabei die Lider. Eigentlich traurig, in einer Beziehung zu sein und bei einer längeren Reise nicht vom Partner verabschiedet zu werden. Es stach mitten ins Herz, selbst wenn sie gewusst hatte, dass sie alleine fliegen würde, als sie den Flug gebucht hatte, und es nicht einfach werden sollte. Speziell bei einem Reiseziel, das sich grundsätzlich vor allem Honeymooner gönnten.

„Halt die Ohren steif, Tamika. Genieß deine Auszeit und komm frisch erholt und mit klarem Verstand zurück, damit die nächste Entscheidung eine endgültige ist und nicht wieder nur eine Woche lang anhält.“ Evelyn drückte sich abermals aus der Umarmung heraus und zwinkerte ihr keck zu.

Wenn es doch nur so einfach wäre, wie es sich anhört …

„Danke, Evi, fürs Herbringen. Und ich schick’ dir ein paar Pics, wenn ich zwischendurch mal online bin.“

Als das Hupen nun ohne Pause zu hören war, nahm Evelyn den Weg bereits rücklings und winkte ihr noch zu. „Ist nicht notwendig. Es schadet dir nicht, einmal die Finger vom Handy zu lassen. Würde deine Seele reinigen und du kannst dich mal auf Wesentliches konzentrieren. Also absolutes Handy- und Internetverbot, hörst du?“

Ah jap, genau. Sie könnte meine Mama sein.

Tamika winkte ihrer Freundin ebenso, während sich die Schiebetür zwischen ihnen bereits quietschend schloss und sie nur noch eine dunkle Silhouette von ihr wahrnehmen konnte. Dann drehte sie sich um und war umzingelt von begeisterten Fluggästen, die zu den Gates wuselten, euphorisch ihre Koffer durch die Gegend schoben, schallend lachten und knutschende Geräusche des Abschiedes von sich gaben. Mitten drinnen durchströmte auch der Geruch von frischem Gebäck die hohe Halle, den die angrenzende Bäckerei auslöste. Und obwohl Tamika glücklich sein sollte – immerhin gönnte sie sich seit zwei Jahren endlich wieder einmal einen richtigen Urlaub –, war es die erste Reise in ihrem Leben, die sie wehmütig antrat.

3 | Einsames Paradies

Maurice hatte starke Kopfschmerzen. Er konnte dem Wellenrauschen, der gedämpften Beleuchtung im Restaurant und dem exotischen Ambiente nichts abgewinnen. Er ging alle E-Mails an seinem Handy durch und der Empfang war grottenschlecht. Wie sollte es auch anders zu erwarten sein auf einer Insel, die man in geschlagenen zehn Minuten zu Fuß umrunden konnte? Ungehalten musterte er die Informationen seines Arbeitskollegen, der während seiner Abwesenheit mehr schlecht als recht versuchte, in dessen Fußstapfen zu treten. Je mehr E-Mails von Jakob Maurice las, umso mehr zweifelte er seinen gesunden Menschenverstand an, seine Softwarefirma ausgerechnet ihm anvertraut zu haben. Doch mittlerweile wurden die Aufträge zu viele, die Anfragen häuften sich und Maurice wusste, dass er Vertrauen in seine Mitarbeiter schöpfen musste, da er sich nicht vierteilen konnte. Aber immerhin hatte er sich diesen Betrieb mühsam aufgebaut und das Gefühl, absolut KEINER konnte die Leistung auch nur halbwegs so gut abrufen wie er selbst.

Es war sein erster Urlaub seit Langem gewesen und streng genommen hatte Maurice die Reise nur angetreten, da sie bereits bezahlt war. Denn in Anbetracht dessen, wie die letzten Wochen verlaufen waren, war ihm alles andere als danach, seinen Bauch mitten im Indischen Ozean in der Sonne brutzeln zu lassen. Maurice wollte zwar so weit weg wie möglich, doch der Mond, der Saturn, oder am liebsten noch weiter, hätte ihm eher als Ort zum Verschwinden zugesagt.

Als der Kellner ihm seinen Whiskey mit Eiswürfeln auf den Tisch am Rande des Restaurants stellte, dauerte es ein paar Sekunden, bis Maurice das bemerkte. Misstrauisch lugte er auf die drei kleinen Zusätze, die das Getränk offenbar kühlen sollten und ihm sogleich den Trinkgenuss zerstörten. „Hey! Stehen geblieben!“, fuhr er den flüchtenden Mitarbeiter an. „Was fällt Ihnen ein? Was lernen Sie bitte in Ihrer Benimmschule? Whiskey wird durch Eiswürfel verwässert, sie Hornochse!“

Der braun gebrannte Kellner, der beinahe verhungert wirkte, trat in geduckter Haltung näher heran. Es war ihm nicht möglich, Maurice direkt in die Augen zu blicken, was ihn noch mehr in Rage brachte: „Bringen Sie mir gefälligst einen neuen und DER geht übrigens auf Ihre Rechnung!“ Mit einem Schwenk leerte er den Inhalt des Glases vor den Augen aller anwesenden Gäste auf den Boden und Maurice war es egal, dass nun im Restaurant schlagartig Ruhe eingekehrt war. Das Dinner hatte erst begonnen und ihm war abrupt der Appetit vergangen. Wofür zahlte er Länge mal Breite für jeden Schnickschnack und bekam dann nicht, was er orderte?

„Ja, Sir. Entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten“, entgegnete der Kellner in gebrochenem Englisch, was für Maurice wieder unterstrich, dass dieser Laden hier nicht so exquisit war, wie er vom Reisebüro beworben wurde.

Unfähiges Pack!, ärgerte er sich weiter in sich hinein, während er sich umsah und die neugierigen Gesichter mit einem bösen Blick strafte. Es gab hier nichts zu sehen und sie sollten sich alle gefälligst um ihren eigenen Mist kümmern.

 

 

Tamika war geschafft von der langen Reise. Sie hatte im Flugzeug kaum ein Auge zugedrückt, da sie regelmäßig dem Ellenbogen oder dem lauten Atem ihres Sitznachbarn ausgesetzt gewesen war. Die Filme hingegen, die das Bordprogramm zu bieten hatte, konnten ihr die Zeit vertreiben und waren immer noch besser als die Selbstfindungslektüre von Evelyn. Obwohl sie sich fest vorgenommen hatte, bis zum Ende ihres Aufenthalts damit durch zu sein. Aber Zeit sollte sie auf der Trauminsel en masse haben, denn was konnte man hier sonst mit sich anfangen, außer faul am Strand rumzuliegen, sich im Fitnessstudio abzuplagen, zu schnorcheln oder zu tauchen? Genau deshalb hatte sie diesen Urlaub auch gewählt. Tamika wollte sich einmal mit sich selbst beschäftigen, ausschlafen und einfach nur simple Dinge tun, wie die Füße im weichen Sand zu vergraben und den Horizont zu betrachten. Denn bei einem Urlaub in Ägypten – ja, natürlich wäre das spektakulärer und billiger geworden – hätte sie sich mit weiteren 1.000 Touristen am Strand um die Plätze streiten, ständig lästige Massage- oder Ausflugheinis abwimmeln und zudem auch noch Avancen von ledigen Männern, die eine Chance, in reichere Gefilde einzudringen, witterten, abwehren müssen. Auf dieser Insel bestand diese Gefahr eindeutig nicht. Wie Tamika bald schweren Herzens feststellen würde.

Endlich wieder stabilen Boden unter den Füßen spürend schritt sie am Holzsteg in Richtung Hotelempfang und staunte über das türkisfarbene Meer. Etliche kleine Fischschwärme schienen sie hektisch zu begrüßen, als sie unter dem Holzpfad hindurch schwammen und ein paar undefinierbare Vögel mit langen Beinen zwitschernd am Sand spazieren liefen. Die Sonne ging gerade unter und dennoch war der Klimawechsel eindeutig zu spüren. Ohne Lichtschutzfaktor 30 würde sie morgen keinen Schritt aus den geschützten Räumen wagen.

An der Rezeption angelangt, parkten emsige Helfer bereits ihr Gepäck. Das Hotel strotzte nur so voller Exotik, da leuchtende Blumenbouquets auf dem Tresen und neben dem Empfang in geflochtenen Körben platziert waren. Die Einrichtung bestand aus stark gemustertem Holz, Bambus und weißem Granit. Es roch nach Salz und frischen Blüten und alle Mitarbeiter trugen eine Uniform mit einer Orchidee im Jackett oder im hochgesteckten Haar.

Tamika strahlte ein Mann mit hochgetackerten Mundwinkeln entgegen und begrüßte sie: „Willkommen im Barafta Island Resort. Darf ich Ihnen einen Cocktail anbieten, bevor wir Sie in Ihre Honeymoonsuite begleiten dürfen?“

Ein Kloß bildete sich in Tamikas Hals, war er denn blind? Gerade als sie antworten wollte, spazierte ein sich anschmachtendes Pärchen an ihr vorbei und die beiden konnten die Finger kaum voneinander lassen.

Das kann ja heiter werden …, es war unausweichlich, ihnen mit den ineinander verschlungenen Händen, den glühenden Wangen und dem Leuchten in den Augen nachzusehen. Die Verliebten hatten genau das, was man sich ein Leben lang wünschte …

„Misses …“, der Rezeptionist blätterte in den Unterlagen vor sich und holte sie ins Hier und Jetzt zurück.

„Miss. Und das mit der Honeymoonsuite muss wohl ein Missverständnis sein. Ich habe einen Singlebungalow direkt am Strand gebucht.“ Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie flüsterte und nervös ihre Finger auf der Ablage vor sich knetete.

Warum komme ich mir nur so verloren und wie ein ungewollter Welpe vor? Ich bin doch gar nicht Single!

Tamika übergab dem Mitarbeiter ihren Pass, um ihre Buchung zu bestätigen. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte der Mann sie nun und seine Lippen formten sich spitz zusammen, als würde es sich bei ihr um ein ganz spezielles Klientel handeln. Nämlich jenes, das nicht himmelhochjauchzend durch die Gegend sprang und unachtsam mit Dollarnoten um sich warf. Sprich: die knausrigen, schlecht gelaunten Sportler, die jeden Cent dreimal umdrehten.

Aus irgendeinem Grund fühlte Tamika sogleich mehr Gewicht auf ihren Schultern wachsen und sie wollte nur noch rasch in ihren Bungalow. Immerhin war es spät und sie wollte das Abendessen noch ausnutzen. Letztendlich schien der Angestellte Nachsehen mit ihr zu haben, durchstöberte erneut die Unterlagen vor sich und murmelte: „Oh, hier haben wir es. Frau Tamika Kaider. Einzelbelegung mit Halbpension. Ich bitte um Verzeihung.“ Das kurze Zucken seiner Mundwinkel sollte wohl die Entschuldigung darstellen.

„Den Cocktail würde ich aber trotzdem gerne nehmen“, wechselte Tamika das Thema und langte nach einer Sektflöte auf dem Tablett schräg vor ihr, während eine zweite bemühte Rezeptionistin ihr ein paar Flyer mit Informationen entgegenhielt.

„Darf ich Ihnen ein paar Daten betreffend unsere Ausflugsziele mitgeben? Ab zwei Personen finden sie statt und bei der Buchung von mindestens zwei Ausflügen bekommen Sie sogar einen Rabatt von zehn Prozent.“ Ihre weißen Zähne traten aufgrund des makellos braunen Teints stark hervor und die magentafarbene Blüte passte perfekt zu diesen exotischen Augen. Sie war jung, schien ihr Leben noch vor sich zu haben und somit auch etliche Türen, die ihr offenstanden. Im Gegensatz zu ihr. Tamika fühlte sich schlagartig steinalt.

Warum ziehst du dich wieder so runter?, schalt sie sich selbst.

Der Mitarbeiter räusperte sich auffällig, legte seine flache Hand rasch auf den Stapel Papierflyer, bevor Tamika danach langen konnte, und lugte seine Kollegin mit unzufriedener Miene an.

„Mandy, das Taucherpaket, bitte.“ Er wedelte mit den Informationsbroschüren vor den Augen der Mitarbeiterin herum, bis es offensichtlich bei ihr Klick machte, sie sich hinhockte und merklich im Untergrund kramte.

Na toll!, im Taucherparadies schien das Taucherpaket wohl nicht oft beworben zu werden. Tamika seufzte und kratzte sich an der Schläfe, als sich hinter ihr ein weiteres Pärchen gegenseitig durch die Empfangshalle jagte, jegliche Mitarbeiter tunlichst aus dem Weg sprangen und ein freundliches Lächeln aufsetzten, um Sekunden später wieder unbekümmert mit ihrer Arbeit fortzufahren.

Tamika begann gerade daran zu zweifeln, ob ihre Wahl für dieses Reiseziel wirklich gut durchdacht war, als die Rezeptionistin wieder unter der Theke hervorkam und ihr einen dünnen Zettel mit Tauchangeboten entgegenhielt. Tamika nahm ihn nur halb enthusiastisch in Empfang, wollte gerade an ihrem Cocktail schlürfen, als sie feststellte, dass ihr bereits zur Seite gestelltes Glas abhandengekommen war. Offenbar war es bereits ungetaner Dinge abserviert worden, bevor sie davon auch nur hatte kosten können. Etwas verzweifelt starrte Tamika nun den Rezeptionisten vor sich an, der ihr ohne Worte einen neuen Cocktail auf dem Tablett anbot.

Was für ein Start …