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DER AUTOR

JÜRGEN FEDER ist Diplom-Ingenieur für Landespflege, Flora und Vegetationskunde. Er zählt zu den bekanntesten Experten für Botanik in Deutschland und ist ein gefragter Referent zum Thema Farn- und Blütenpflanzenwelt Nordwestdeutschlands.

Jürgen Feder ist Autor bzw. Co-Autor diverser Bücher, Fachzeitschriften und mehr als 600 Fachartikeln zum Thema Flora. Seit 2008 ist er auch Herausgeber der »Bremer Botanischen Briefe«, einer botanischen Fachzeitschrift, die sich vorwiegend auf den Bereich zwischen Cuxhaven und Freiburg/Elbe im Norden bis Barnstorf und Rethem im Süden bezieht. Die Artikel dienen als Motivation, auch die alten Pfade neu zu erkunden sowie neue Pfade einzuschlagen, denn unsere Landschaft ist im ständigen Wandel. Einige Arten nehmen immer mehr ab, andere breiten sich aus bzw. wandern in andere Regionen. Die »Bremer Botanischen Briefe« erscheinen zwei Mal pro Jahr und sind als Forum für kleinere bis mittelgroße Arbeiten der hiesigen Botaniker-Szene gedacht.

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Impressum

 

© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

 

Projektleitung: Elena Gabler, Anita Zellner

Lektorat: Regina Carstensen, Gabriele Linke-Grün

Bildredaktion: Anita Zellner, Petra Ender, Natascha Klebl (Cover)

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Lena-Maria Stahl

 

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ISBN 978-3-8338-7443-7

1. Auflage 2020

 

Bildnachweis

Coverabbildung: Susanne Schramke

Fotos: Jürgen Feder; Alamy; FloraPress; Getty Images; iStock; Susanne Schramke; Shutterstock

Syndication: www.seasons.agency

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WICHTIGER HINWEIS

Einige der in diesem Buch vorgestellten Pflanzen stehen unter Naturschutz. Bitte informieren Sie sich bei den Behörden Ihres (Bundes-)Landes über die geltenden Vorschriften. Die Informationen in diesem Buch wurden von Autor und Verlag sorgfältig geprüft. Dennoch kann bei Schäden, die durch die gegebenen Tipps und Hinweise entstehen, keine Haftung übernommen werden.

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VORWORT

»Die Botanik ist keine sesshafte und träge Wissenschaft, bei der man in der Ruhe und im Halbdunkel seines Arbeitszimmers vorankommt. Sie verlangt vielmehr, dass man Berge überquert und durch Wälder streift, dass man durch zerklüftete Felsen klettert und sich an den Rand von Abgründen begibt!«

Fontenelle: Lobschrift auf Monsieur de Tournefort (1709)

Trotz großer Anstrengungen in den letzten fünfzig bis sechzig Jahren ist das Artensterben bedauerlicherweise weiterhin in vollem Gang – in Deutschland, in Europa, auf der ganzen Welt. Natürlich wurden die beabsichtigten Gegenmaßnahmen nie im vollen Brustton der Überzeugung durchgeführt. Selbst auf kleinsten Ebenen fanden sich immer irgendwelche Gegner jeder noch so gut gemeinten Aktion. Sonst hätten wir nicht diese ungebremst niederschmetternden Resultate, und viel Zeit ist nun nicht mehr zu verlieren. Und das weltweit.

Ein radikaler Kurswechsel, weg von reinen Wirtschaftsinteressen, wurde bisher verpasst. Der menschengemachte Klimawandel scheint, trotz zuletzt heftigster Proteste, einfach nicht aufzuhalten zu sein. Vielleicht passiert aber doch noch irgendetwas, quasi von Geisterhand geleitet, plötzlich und auch für mich inzwischen nicht vorhersehbar, was dieser dermaßen auf Zerstörung ihrer natürlichen Lebensgrundlagen ausgerichteten Welt noch oder wieder helfen kann. Insofern begrüße ich diese Bewegung »Fridays for Future« ausdrücklich, die endlich auch die Erwachsenen erreicht hat.

Man muss sich das nur vor Augen führen: Laut dem UN-Bericht von 2019 könnten eine Million Tier- und Pflanzenarten aussterben, von den aktuell 1,7 Millionen Arten sind zirka 25 Prozent gefährdet – weil der Mensch durch sein Eingreifen drei Viertel der Erdoberfläche verändert hat. Und in einem so dicht besiedelten Kontinent wie Europa, gar in einem so bevölkerungsreichen Land wie Deutschland – da liegen diese Prozentzahlen noch erheblich darüber.

Dabei würde ich selbst so gerne diese Welt retten, zumindest dazu einen großen Beitrag leisten – gerne für viele andere mit. An Ideen und Tatkraft mangelt es mir eingefleischtem Landespfleger jedenfalls nicht, »nur einfach Biologe« zu sein, das genügt mir nicht. Schon als Kind besaß jedes von meinen Geschwistern – und natürlich auch ich – ein kleines Gemüsebeet, fein säuberlich in einer Reihe drapiert und abgegrenzt durch schmale Wege. Später achtete ich auf meinen vielen Streifzügen durch die Natur darauf, nichts unnötig zu zertreten und trotzdem möglichst viel zu entdecken. Bei der Vogelbeobachtung, ausgestattet mit meinem ersten Fotoapparat, waren dazu Ruhe und Verschwiegenheit vonnöten. Als Jugendlicher legte ich mich bereits auf Bolzplätzen gerne mit älteren Jungs an, wenn die mal wieder leere Bierflaschen zerdepperten – manchmal sogar volle.

Später hatte ich immer eine Rosenschere und eine kleine Klappsäge im Fahrradgepäck, und dann im Auto zusätzlich einen Kneifer. Damit rückte ich übergriffigen Sträuchern und kleinen Bäumen auf die Pelle, die damit drohten, meine geliebten und oft kleinen Pflanzenarten auf Heide und Moor, an Graben-, Straßen- und Wegrändern einfach zu überwachsen. Selbst nur auf die Gefahr hin, sie könnten beeinträchtigt, erstickt oder sonst wie unterdrückt werden. Das konnte dann auch gerne mal eine halbe Stunde dauern, einfach so und egal wo. »Rette, wen du retten kannst!« Jene innere Stimme lenkte mich, ich tat es so radikal, dass wenigstens für einige Jahre der Bestand gesichert war – oder zumindest schien.

Noch heute fahre ich alljährlich ins Bremer Umland, um dort unseren letzten hiesigen Arnika-Standort oder den einzig noch verbliebenen deutschen Wuchsort des Schwedischen Hartriegels vor dem Untergang zu bewahren. Dauernd zupfe ich Findefuchs etwas, sozusagen en passent, rupfe hier junge Kiefern und dort Birken heraus, knicke des Weges Äste von Eichen, Weißdorn oder Zitter-Pappeln um oder sammle neuerdings auf meinen Touren zunehmend den Müll anderer ein.

In meiner Frühphase beeindruckte mich das Buch »Ein Planet wird geplündert. Die Schreckensbilanz unserer Politik« von Herbert Gruhl. Bereits 1975 war das, und der ehemalige CDU-Politiker trat aus seiner Partei aus und gründete sogar eine erste Umweltpartei.

Ich selbst habe heute ständig den Film »Grün kaputt – Landschaft und Gärten der Deutschen« im Kopf. 1983, lange bevor ökologische Themen gesellschaftlich breit akzeptiert wurden, hatte Regisseur Dieter Wieland in Bayern die Zersiedelung der Landschaft, die Abholzungen, die Verschandelung von Dörfern und Städten erkannt und in schonungslosen, beklemmenden Bildern zum Ausdruck gebracht. Er schilderte in einer glasklaren (An-)Sprache eine um sich greifende, blinde Zerstörung! Überall Kahlschlag, keine Flurgehölze mehr, kilometerlange Verluste von Wallhecken, fehlende Streuobstplantagen, eine intensive Landschaft, die von Monokulturen beherrscht wird und völlig wertlos für Vögel, Insekten und andere Tiere ist. Und alles auch noch staatlich gefördert. Erste Einwände Ende der Siebzigerjahre wurden noch gnadenlos abgeschmettert, ja sogar lächerlich gemacht. Wieland wies zudem darauf hin, dass man nicht nur von der Industrie Maßnahmen fordern könne, etwas gegen den Schwefelausstoß zu tun, man müssen auch handeln. Wie erwähnt, bereits 1983 hatte er all das gesagt und gezeigt und uns alarmiert.

Es treibt mich weiterhin ein Zitat an, welches Albert Einstein zugeschrieben wird. Man fragte ihn einmal, mit welchen Waffen zukünftig Kriege geführt werden würden: »Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der Dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im Vierten werden sie wieder mit Stöcken und Steinen kämpfen!« Dieser sarkastische bis traurige, dann aber auch wieder augenzwinkernde Spruch sagt doch alles. Wir kommen nämlich der allergrößten Gefahr immer näher, die da heißt: Totalverlust unseres einzigen Planeten.

Und es geht gerade eine Ära dem Ende entgegen, jeder spürt das doch. Denken wir diese fatale ökologische Entwicklung durch, zumindest begrenzt auf Deutschland, dann

muss uns klar werden, dass in letzter Instanz nicht nur Tiere und Pflanzen durch den Klimawandel keine Lebensbedingungen mehr finden werden. Viele großartige Lebensräume stehen auf dem Spiel stehen, auch der Mensch selbst. Aber weil ich nicht die ganze Welt retten kann, beschränke ich mich auf das, wo ich mich auskenne. Und so lade ich Sie ein auf meine »Arche Jürgen« mit den Pflanzen »for future« für Deutschland.

Ihr Jürgen Feder

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Als eingefleischter Landespfleger kann ich an keinem Gewöhnlichen Wasserdost vorbeigehen.

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PFLANZEN FOR FUTURE

MEINE GEDANKEN, MEINE PFLANZEN, MEINE ZWÄNGE

Die »Arche Jürgen«

In der Bibel, im Alten Testament, wird Noah von Gott vor einer großen Flut gewarnt. Er erhält den Auftrag, eine Arche zu bauen, um sich und seine Familie zu retten und je ein Paar von den Landtieren. Die Pflanzen wurden dabei aber völlig vergessen – und das möchte ich hier nachholen: Unbedingt sollte es deshalb eine »Arche Jürgen« geben, um bedrohte Pflanzen vor dem Aussterben zu retten. Doch des Weiteren sollte es überall solche Archen geben, in Spanien, in der Ukraine, in Japan, Venezuela, in Australien und auf der Insel Mosambik – viele solcher und sicher auch verschiedener Archen sind zur »Weltrettung« notwendig. Doch für diese länderspezifischen Archen kann ich nicht sprechen, nur für die »Arche Jürgen«.

Aber was für Arten würden wir wirklich mitnehmen? Klar, am liebsten würde ich alle berücksichtigen, alle irgendwie vor dem Auslöschen retten. Bei 5 000 bis 7 000 wild wachsenden Pflanzenarten alleine hier in Deutschland ist das jedoch ein unmögliches Unterfangen. Es heißt also, sich zu begrenzen, repräsentativ vorzugehen, es heißt darüber hinaus, trotzdem möglichst alle Standorte zu berücksichtigen.

Wichtig ist zudem, ein- und abzuschätzen, welchen Nutzen die Gewächse für die Zukunft haben, Mensch und Tier sind dabei im Auge zu behalten. Und letztlich sollten wir uns mit schönen Pflanzen Hoffnung geben. Und ganz sicher würde ich noch Folgendes beherzigen: Wüsste ich, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen! Martin Luther soll das gesagt haben, weil er die Bäume so liebte, aber Historiker haben nachgewiesen, dass das eine Legende ist. Luther ging von keinem Weltuntergang aus, der war anders gestrickt. Aber die »Arche Jürgen« – es lohnt sich, dieses Gedankenexperiment mitzumachen. Auch Sie bekommen dann vielleicht ein anderes Bewusstsein, ein anderes Gefühl zu Ihren Pflanzen im Garten, auf dem Balkon, der Terrasse, beim Spaziergang über Wiesen und durch Wälder oder im Urlaub.

Wir wissen um das ungebremste Sterben der Amphibien, das Sterben der Bienen, das Sterben der Libellen, das Sterben der Schmetterlinge. Denn es gibt kaum noch Nahrung für unsere heimische Tierwelt. Pflanzen brauchen zur Fortpflanzung und Vermehrung, zum Überleben Bestäuber. Aber wenn es kaum noch Insekten gibt, die bestäuben, dann beginnt das Problem ernst zu werden. Die einst fantastische Pflanzenartenvielfalt der Äcker und Wiesen steht kurz vor dem Kollaps, weil die Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzflächen mit immer größeren Maschinen, die immer größere Straßen voraussetzen, keine Rückzugsorte für Vögel und Insekten mehr lassen. Dieser Prozess hat sich unaufhaltsam beschleunigt. Dabei wissen wir von vielen Arten noch längst nicht, was sie uns heute oder in Zukunft für tolle Dienste leisten – hätten leisten können. Der natürliche Kreislauf ist uns weitgehend noch ein Rätsel, erst heute werden nach und nach die Geheimnisse der Natur gelüftet, die etwa die Kommunikation der Pflanzen betreffen, ihre sensationellen Strategien, sich selbst zu heilen.

Wir können Raketen bauen, die mal zum Mars fliegen sollen oder sonst wo hin, aber wir sind bislang nicht fähig, das Zusammenspiel unserer heimischen Arten in Flora und Fauna zu verstehen. Industrie und Politik hatten dafür auch kaum bis noch nie wirklich Geld gegeben, das muss man mal so deutlich sagen. Die Interessen lagen eben immer ganz woanders. Und so sind die negativen Folgen nun unweigerlich da.

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Angesichts dieser blühenden Wiese mit viel Wiesen-Storchschnabel geht einem das Herz auf.

Innehalten – allein und in Gemeinschaft

Das Primat der Stunde ist ein Innehalten, ein Umsteuern, ein dringend benötigter Wertewandel, dabei eine Fürsorge für uns alle. Es gilt nicht mehr das zu subventionieren, was zur weiteren Zerstörung des Planeten beiträgt (etwa der Abbau fossiler Energieträger, die hauptursächlich zur Klimaerwärmung beitragen). Stattdessen sollte das Lebensrettende belohnt werden. Und dafür sind Pflanzen, meine Paten sozusagen, unbedingt in großer Vielfalt dringend erforderlich. Dieses Buch ist darum keine Gebrauchsanweisung, kein Mitmachbuch und kein Ratgeber. Weltrettung ist viel zu komplex und erfordert nun wirklich Profis. Die sind auch vorhanden, hatten aber bisher so gut wie nichts zu melden. Das wird sich ändern, ändern müssen. Das Buch ist vielmehr ein »Tatgeber« für alle, die sich bisher passiv verhalten, ein Ansporn für Entscheider, dann doch einige Dinge selbst in die Hand zu nehmen.

Sie selbst können immerhin über Ihren Garten bestimmen, über Ihre Beete, Ihre Hecken, vielleicht noch über Ihren Bürgersteig davor. Sie können sich für einen tiefgrünen englischen Rasen entscheiden, frei von Unkraut und in seiner Monotonie langweilig. Oder Sie gehen es mal anders an und überdenken einen naturnahen Garten, in dem Artenvielfalt herrscht und Insekten und Vögel sich wohlfühlen.

Unsere Natur ist auf unserer Erde die Supermacht, nicht irgendein Staat. Ihr müssen wir Raum lassen. Was diese Supermacht Natur betrifft, kann hier ein Einzelner nur wenig bis nichts bewirken. Hier sind alle gefragt, unsere Umwelt neu zu sehen, das Zusammenspiel von uns Menschen mit der Natur und ihrer Nutzung für unsere, aber ebenso für ihre Bedürfnisse anders zu definieren. Das ist eine riesige Gemeinschaftsaufgabe, schier übermächtig.

Greenwashing hilft da nicht, da legt man sich nur ein grünes Mäntelchen über, bewirkt aber nur, dass man sich reinwäscht. Und überall Bienenblumen auszusäen, ist schön und gut, aber letztlich ein Scheinaktionismus. Behördenmitarbeiter und Straßenanwohner beschwichtigen sich so nur selbst, denn es muss mehr getan werden. Viel mehr!

Wir müssen uns grundlegend mehr und wieder für die Natur begeistern. Das möchte ich mit meinem »Tatgeber« tun, ich möchte umfassend für ihre pflanzlichen Protagonisten werben, möchte aufklären und gleichzeitig die Wahrnehmung schärfen, wichtige Zusammenhänge verdeutlichen und uns Deutschland mit seinen so vielen und unterschiedlichen und mich schon seit Langem begeisternden Lebensräumen und ihren herbaren Protagonisten näherbringen.

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In einer artenreichen Pflanzenlandschaft fühlen sich alle Nutztiere schon immer wohl.

Meine Pflanzenauswahl

Der Gedanke mit der Arche – er musste in mir noch genauere Formen annehmen. Das tat er dann auch, und so entschied ich mich, genau 111 in Deutschland wild wachsende Pflanzenarten in der »Arche Jürgen« vor dem Untergang zu retten. Für mich die kommenden Ursprungsarten »einer neuen Welt«. Die wird es mit Sicherheit geben, denn der blaue Planet braucht alles, den Menschen jedoch am allerwenigsten. Unkraut vergeht nicht, sagt sogar ein altes Sprichwort – und so ist es tatsächlich.

Ob diese Arche nun nach der Sintflut am Berg Ararat im heutigen Ostanatolien strandet, so wie einst beim biblischen Noah, sei mal dahingestellt. Möglicherweise vertrocknen und verdursten wir ja auch eher, noch ist nichts entschieden. Und wenn sich mehrere Archen auf den Weg machen, um die Fauna und Flora möglichst vieler Arten vor dem endgültigen Verschwinden zu bewahren, sieht die Sache noch ganz anders aus.

Ich jedenfalls beschränke mit auf Deutschland, von Flensburg bis Oberstdorf, von Aachen bis Görlitz. Eine Sisyphus-Aufgabe, eigentlich zum Scheitern verurteilt. Welche Art soll ich nun mitnehmen – und warum? Welche Art weglassen? Ganze Pflanzenfamilien müssen unberücksichtigt bleiben, denn allein in Deutschland gibt es Hunderte davon mit etwa 6 000 Arten. Selbst 555 Arten würden zu Härtefällen führen, und 1 111 Arten würden es nur wenig besser machen. Selbst die 1 112. Pflanze nicht mitnehmen zu können, würde für mich Enthusiasten auch schon ein Problem darstellen ...

Wieder müssten viele andere ausgemustert werden. Wo sich doch über Jahrtausende, teils über Jahrmillionen zahllose Pflanzen bei uns allmählich eingenischt haben. Jede Art hat daher von sich aus schon eine Berechtigung, eine bleibende!

111 Pflanzenarten – ich hab mich mal darauf beschränkt, die Arche könnte ja sonst kentern – alleine in meiner Heimatstadt Bremen wären sie ruckzuck zusammen, oder 111 Arten selbst in meinem Stadtteil St. Magnus, jeweils 111 Arten in Niedersachsen, Thüringen oder Rheinland-Pfalz erst recht. 111 Arten in der Elbaue, 111 Arten in der Sächsischen Schweiz, 111 Arten im Oberrheintal, 111 Arten in den deutschen Alpen wären flugs im Angebot. Alleine schon 111 Arten der deutschen Halbtrockenrasen, 111 Arten der deutschen Sümpfe, 111 Arten hiesiger Laubwälder oder nur 111 Arten allein der heimatlichen Feuchtwiesen ganz genauso. Klar, gerne hätte ich alle deutschen Ehrenpreise (40 Arten), alle Enziane (25), alle Hahnenfüße (90 Arten), alle Malven (7), alle Schmetterlingsblütler (fast 150) oder alle Süßgräser (fast 300) herausgefischt und mit an Bord genommen.

O je, was habe ich mir da bloß aufgebürdet? Eine kniffelige, anspruchsvolle Aufgabe. Ein Hauen und Stechen, nur sinnbildlich natürlich. Höchst spekulativ und noch mehr subjektiv. Jeder andere würde anders verfahren ... Aber immerhin, gesetzt den Fall, wir werden alle überschwemmt – alles Eis der Welt würde schmelzen und der Meeresspiegel würde sich um 65 Meter erheben (Hannover wäre dann Küstenstadt!): Jemand hat sich da schon mal Gedanken gemacht, vorher, den Ernstfall geprobt und einen planetaren Schlachtplan vorgelegt. Und wer, wenn nicht ein Extrembotaniker, sollte sich die Aufgabe antun, diesen Masterplan auf die Pflanzenwelt auszuweiten.

Unterm Strich bin ich zu folgendem Ergebnis gekommen: Wir brauchen Heilpflanzen, Spezies zum Häuserbau, Schiffsbau, für Brücken und für Bohlenwege im Hochmoor. Es muss Gewächse geben zum Ackeranbau (Nahrungspflanzen), zur Bodenbefestigung, zum Unterwasserbau und zur Viehzucht. Möglichst alle Ökosysteme Deutschlands sind zu beachten, möglichst viele Familien, nicht nur 111 deutsche Süßgräser oder 111 deutsche Seggen. Auch die wären nämlich hierzulande vorhanden, spielend. Es muss Pflanzen für einen Tee, gegen Insektenstiche, gegen leichte Messerschnitte, gegen Bettwanzen und natürlich fürs Auge sowie für kommende Wildgartengestaltung geben. Felsen sollen wieder begrünt, Dünen festgelegt, Heiden und Sümpfe besetzt werden, es soll vegetieren auf Helgoland, längs der Unterelbe, an der Mosel, im Mainzer Sand, im Schwarzwald im Zittauer Gebirge – oder mitten im Berlin und München.

Ich habe die Qual der Wahl, es ist die Quadratur des Kreises: Wer kann denn mit wem gut kuscheln? Die Pflanzen müssen sich verstehen können, sonst hat es keinen Zweck. Die Prämisse ist weiterhin: Alle ex situ (außerhalb der Natur) geretteten Pflanzen sollen nach einer möglichen Katastrophe in situ (also draußen) gedeihen können. Sofern die Bedingungen dann wieder so oder so ähnlich sein sollten wie heute. Berücksichtigung finden demnach häufige und seltene Pflanzen, alles, was ich selbst aus jahrzehntelanger Erfahrung für gut, nützlich und herrlich erachtet habe.

Sortiert habe ich meine ausgewählten Pflanzen zunächst von innen nach außen: Von Ihrer Haustür aus geht es hinaus in die Landschaften. Denn ich will Sie von zu Hause abholen, Sie sozusagen von Anfang an an die Hand nehmen beim Einsammeln – vom Kleinen und Bekannten hinaus zu den größeren bis ganz großen Flächen. Dann nämlich auch von Norden nach Süden, dem Anstieg der Meere folgend. Das wird allmählich erfolgen – so hoffe ich –, und die benötigten Pflanzenanwärter können in Ruhe und ausreichender Anzahl geborgen werden. Sozusagen immer für den guten Zweck.

Als Kind schaute ich den Rettern nach Hofbränden zu, man kommt an Sanitätern nach Unfällen vorbei, selten kann man aber selbst eine Erdkröte, einen Igel oder auch nur einen Schmetterling vorm Überfahren retten. Hier darf ich endlich mal nach Herzenslust retten! Feder spielt den lieben Pflanzengott, oder frei nach Dr. Oetker aus Bielefeld (wo ich aufgewachsen bin, und diese Stadt gibt es wirklich!): »Man nehme ...!«

Diese 111 Pflanzenarten sind also wichtige Kennarten, sozusagen Stellvertreter. Gefeilscht wurde, wie gesagt um jeden Kandidaten, es werden meist zwei je Biotoptyp sein! Eine Sortierung wäre ebenso möglich gewesen nach dem Alphabet oder nach der Systematik der Pflanzengesellschaften, die in der Wissenschaft bei den Wäldern beginnt und bei Äckern, Kleingärten und Garagenhöfen endet. Das ist mir aber viel zu schematisch, zu wissenschaftlich, nicht feen- und federhaft genug, ich bin ja kein Roboter. Eine lange Odyssee (Arche) ist da doch viel poetischer und reizvoller. Eingesammelt wird nach Landung und Strandung. Einzige Bedingung: Darunter befinden sich keine Neophyten, also keine eingewanderten Neubürger ab dem 16. Jahrhundert (ach, wie schade – ich liebe sie!), denn zur Rettung derselben sollten sich andere Archen bemühen. Aber das sagte ich ja bereits ...

REGISTER LATEINISCHER PFLANZENNAMEN

A

Acer pseudoplatanus >, >

Adonis vernalis >, >

Aegopodium podagraria >, >

Ajuga reptans >, >

Alliaria petiolata >, >

Allium ursinum >, >

Alopecurus pratensis >, >

Andromeda polifolia >, >

Anemone nemorosa >, >

Anthyllis vulneraria >, >

Asarum europaeum >, >

Asplenium ceterach >, >

Asplenium trichomanes >, >

B

Bellis perennis >, >

Butomus umbellatus >, >

C

Calluna vulgaris >, >

Caltha palustris >, >

Capsella bursa-pastoris >, >

Cardamine amara >, >

Carpinus betulus >, >

Carum carvi >, >

Centaurea cyanus >, >

Chelidonium majus >, >

Chenopodium bonus-henricus >, >

Chondrilla juncea >, >

Chrysosplenium alternifolium >, >

Cichorium intybus >, >

Cirsium eriophorum >, >

Clematis vitalba >, >

Consolida regalis >, >

Convallaria majalis >, >

Corynephorus canescens >, >

Cynoglossum officinale >, >

Cypripedium calceolus >, >

D

Dactylorhiza majalis >, >

Daphne cneorum >, >

Dipsacus fullonum >, >

Drosera rotundifolia >, >

E

Echium vulgare >, >

Epilobium angustifolium >, >

Equisetum telmateia >, >

Eryngium campestre >, >

Eryngium maritimum >, >

Eupatorium cannabinum >, >

Euphorbia verrucosa >, >

F

Fagus sylvatica >, >

Falcaria vulgaris >, >

Filago vulgaris >, >

Fumaria officinalis >, >

G

Gagea pratensis >, >

Galeopsis speciosa >, >

Galium odoratum >, >

Gentiana acaulis >, >

H

Hedera helix >, >

Helichrysum arenarium >, >

Hepatica nobilis >, >

Herniaria glabra >, >

Hieracium pilosella >, >

Hippocrepis comosa >, >

Hottonia palustris >, >

Hydrocharis morsus-ranae >, >

Hyoscyamus niger >, >

Hypericum perforatum >, >

I

Inula britannica >, >

J

Juniperus communis >, >

L

Lathyrus maritimus >, >

Lilium bulbiferum  ssp. croceum >, >

Limonium vulgare >, >

Linaria vulgaris >, >

Luzula campestris >, >

M

Malva neglecta >, >

Matricaria recutita >, >

Melampyrum cristatum >, >

Menyanthes trifoliata >, >

Myosurus minimus >, >

N

Narthecium ossifragum >, >

Nonea pulla >, >

Nymphaea alba >, >

O

Orchis purpurea >, >

Oxalis acetosella >, >

P

Papaver argemone >, >

Parnassia palustris >, >

Pedicularis palustris >, >

Phragmites australis >, >

Picea abies >, >

Pinus sylvestris >, >

Plantago coronopus >, >

Potentilla palustris >, >

Primula auricula >, >

Primula elatior >, >

Pulsatilla vulgaris >, >

Q

Quercus robur >, >

R

Ranunculus montanus >, >

Reseda luteola >, >

Rosa canina >, >

Rumex thyrsiflorus >, >

S

Salvia pratensis >, >

Setaria pumila >, >

Silene dioica >, >

Sonchus palustris >, >

Spergularia rubra >, >

Stipa pennata >, >

Succisa pratensis >, >

T

Tanacetum vulgare >, >

Trichophorum cespitosum >, >

Trifolium fragiferum >, >

Tussilago farfara >, >

V

Vaccinium myrtillus >, >

Vaccinium oxycoccos >, >

Verbascum lychnitis >, >

Veronica chamaedrys >, >

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DIE 111 PFLANZEN FÜR DIE »ARCHE JÜRGEN«

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Jede Mauerritze kann zum »Wohnort« werden, wie hier für das Kahle Bruchkraut.

HEILER DER PLATTENRITZEN

KAHLES BRUCHKRAUT UND ROTE SCHUPPENMIERE

Raus in die Natur

Tritt man hinaus aus der eigenen Haustür, landet man heutzutage eigentlich nie im Misthaufen, in einer Pfütze oder rutscht wie früher einfach so in den Matsch. Auf uns wartet gemeinhin ein befestigter Weg oder ein versiegelter Platz – am besten für die Natur aus unterschiedlichsten Pflastermaterialien oder Beton- und Natursteinplatten. Sofern nicht sogar unbefestigt, sollten so unsere Haltestellen, Parkplätze und Parkstreifen der Zukunft aussehen. Anfallende Niederschläge sind hier so schnell wie möglich abzuleiten, sollen möglichst versickern, so wird eine Trittsicherheit über das ganze Jahr gewährleistet. Schon hier beginnen für mich die ersten Pflanzenwunder – Parkplätze, und sind sie noch so klein, sollte man nie gering schätzen. Was so lebensfeindlich aussieht, ist es nämlich gar nicht!

Es ist ja nun nicht so, dass die Pflanzen sich immerzu fragen: »Boah, wie sieht das hier denn nur aus?« Es ist auch nicht so, dass sie lange lamentieren oder gar resignieren. Nein, könnten sie menschliche Regungen zeigen, würden sich diese wackeren Recken der Pflasterritzen freuen – über uns, über Fußtritte, Fahrräder und Autoreifen. Denn das ist ihre Welt, selbst wenn wir das aus verständlichen Gründen so nicht verstehen können und wollen. Drum hüpfe ich bei meinen Führungen nicht selten vergnügt auf Vogelknöterich, Niederliegendem Mastkraut, auf Kahler oder Blutroter Borstenhirse herum, um zu zeigen, wie gut das ihnen allen nur tut. Denn ganz genau darum sind sie hier, sie empfinden das eher als Freispiel. Woanders hätte man diesen Strategen gar keinen Raum gelassen. Oft fahre ich zu Aldi, Lidl, Netto oder Rewe, nicht etwa, um schnöde einzukaufen, sondern um diese mutigen Kämpfer der Pflasterritzen ausfindig zu machen. Auf alten Bahnsteigen stehe ich nicht, um in den Zug einzusteigen, sondern ich checke ihr Pflanzeninventar ab. Eine manchmal nach Benzin, Öl, Fäkalien und Wohlstandsmüll stinkende Angelegenheit, für mich jedoch alles vernachlässigbar (obwohl ich einen ganz brauchbaren Riechkolben im Gesicht trage, groß ist meine Nase!). Diese Vertreter hier sitzen buchstäblich alle voll in der Klemme, aber das ist ja genau ihr Vorteil, man muss sie nicht bemitleiden.

Sie sind einfach da! Oft sind sie einjährig, niedrigwüchsig, sie samen reichlich und überstehen locker längere Durststrecken, wenn Wasser- und auch mal Nährstoffmangel herrscht. Ändert sich das, explodieren sie danach noch einmal, gelangen zu einem zweiten oder gar dritten Leben. Nicht selten ist es sogar ihr Höhepunkt, doch danach erfreuen sie uns noch bis weit in den Herbst hinein. Erste Fröste machen ihrem Treiben aber dann abrupt ein Ende. Sehr häufige Fighter sind: Einjähriges Rispengras, Kronblattloses Mastkraut, Strahlenlose Kamille, Sumpf-Ruhrkraut, Silber-Birnmoos oder Hornschuchs Scheinfransenmoos. Aber nicht minder seltene Trotzköpfe wie Behaartes Bruchkraut, Deutsches Filzkraut, Hirschsprung, Lippenmäulchen. Ein lohnendes Ziel also, selbst für viele Neophyten. Weil hier, an diesen Orten, sich die Welt in stetem Wandel befindet, ein einziges Kommen und Gehen, aus vieler Herren Ländern. Oft auch direkt um Wagenburgen oder wo Fiffy angeleint ist. Immer wieder lande ich hier »Treffer«. Selbst um die das Regenwasser sammelnden Gullys wird man fündig. Gerne mit Tausalzbeilagen aus der Winterzeit.

Und wenn Sie sich mal Ihren Garten anschauen – wie ist es um Ihre Pflasterbeläge auf den Wegen bestellt? Alles in Mörtel verlegt und fest verfugt? Muss nicht sein. Sie können die Steine oder Platten in Sand oder Splitt verlegen. So kann das Regenwasser versickern und Kleinlebewesen haben in den Fugen ein neues Refugium. Je nachdem, wie groß oder klein Sie den Raum zwischen den einzelnen Gehwegplatten lassen, können dort munter Wildkräuter, Gräser und auch Wildblumen gedeihen.

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Das Kleine Habichtskraut wird auch Mausohr- oder Langhaariges Habichtskraut genannt.

HAUSRASEN-HOCKER

AUSDAUERNDES GÄNSEBLÜMCHEN, KLEINES HABICHSKRAUT UND FELD-HAINSIMSE

Raus in die Natur

Die Überleitung zu unserem Hausrasen fällt ganz leicht, meist finden wir ihn ja direkt neben Hecken, an Wegen und Pflasterplätzen hin zur Straße. Denn auch sie besitzen eine nicht zu unterschätzende Funktion als Rückzugsraum für allerlei Pflanzen. Rasenflächen, ob gedüngt oder nährstoffarm, ob sandig oder lehmig, ob besonnt oder stark beschattet – sie decken ab, hemmen die Erosion, sind dauerhaft im Jahresverlauf grün (wenn es gut läuft), leuchten also sommers wie winters und sind obendrauf strapazierfähig. Rasenflächen sind also unsere dichten Teppiche unter freiem Himmel, die grünen Matten anthropogenen (durch Menschen beeinflussten) Ursprungs. Oft sind sie artenreich, allerlei Moose bezeugen das schon von weitem – wenn ich da doch nur überall hinkäme ... In Parks ist das der Fall, auf Friedhöfen, Schulhöfen und Sportplätzen, dort, wo Heißluftballons, Flugzeuge und Hubschrauber landen und starten, an Rodelbergen und auf Spielplätzen, selbst auf Kasernen- und Kraftwerksgelände, um Plattenbauten und sonstigen Geschoßwohnungskomplexen. In Berlin, Hamburg, Köln oder München, fast in jeder Kleinstadt und sogar im Dorf sind Rasenflächen oft die letzten (ungedüngten) Rückzugsorte für allerlei Grünzeug mit ihrem dazu passenden Getier im Schlepptau.

Nur wie gelingt es uns, dass sich ein solch wilder Rasen breitmachen kann? Ganz einfach: nichts tun oder viel weniger tun, viel später abmähen, Moose tolerieren. Bloß nicht vertikutieren oder gar düngen oder neu ansäen. Im Gegenteil: Seien Sie doch endlich mal faul, hier dürfen Sie das, warten Sie gespannt darauf, was sich da ohne große Eingriffe zum Blühen aufmacht.

Unvergessen ist für mich da ein Erlebnis von vor fast 30 Jahren. An einem alten Gartengrundstück am Bremer Stadtrand wurde ich im April am Fuß einer alten Buche weniger Schwarzer Teufelskrallen gewahr. Am Rand eines moosreichen Scherrasens, von seinem Besitzer immer achtlos und viel zu früh abgemäht. Ich klingelte, erläuterte den Sachverhalt ... Und heute? Über tausend in tollstem Dunkelviolett blühende Teufelskrallen erfreuen alle alljährlich von nah und fern. Sie sind auch noch von einer breiteren Straße aus einsehbar. Fast jedes Jahr mache ich dort ein paar Fotos – es gibt inzwischen vor lauter Moos fast kein Gras mehr. Und der Besitzer nickt mir nur noch freundlich-lässig von seiner Terrasse herüber zu.

Nicht dass Sie mich jetzt falsch verstehen, das Mähen ist schon wichtig und Grundvoraussetzung für unsere »Rasenpflanzen«! Sie sind darauf erpicht, geschnitten zu werden, um danach kräftig zu den Seiten auszuschlagen, sich auszubreiten, Lücken zu schließen, richtig dicht zu machen. Das ist ihre Welt, darauf warten sie, können gar nicht anders. Aber fast überall holt man viel zu früh den Rasenmäher heraus, selbst auf Friedhöfen wird schon Ende März das erste Mal alles runtergeputzt. Ärgerlich ist das, wo doch alle Welt aufs erste zarte Grün, auf erste Blümchen wartet, auf die ersten Bienen. Also: Mähen Sie möglichst erstmals im Mai. Und nach weiteren zwei-, dreimal haben Sie bereits mehr oder weniger das Jahr geschafft. So sind Sie auch entspannt und nicht gehetzt, können sich sogar aufs Rasenmähen freuen, sind nicht genervt, weil Sie schon wieder Ihren Feierabend opfern müssen oder Ihren »geheiligten« Samstag.

Und was dann alles aus dem Rasen sprießt! Kaum zu glauben! Pilze, Moose, die vielfältigsten Pflanzen. Alle kommen zu Ihnen in den Garten, Sie müssen gar nicht so weit fahren, um Diversität, also Vielfalt, zu erleben. Kleine und große Freuden werden Ihnen geschenkt. Die kleinen liegen häufig im Verborgenen, die erkennen Sie erst auf den zweiten Blick. Und gießen Sie Ihren Rasen nicht zu oft. Je weniger er Wasser bekommt, umso mehr müssen sich die Wurzeln der einzelnen Gräser und Pflanzen anstrengen und in die Tiefe wachsen. Das haben sie nicht nötig, wenn ihnen alles auf dem Silbertablett serviert wird. Und überhaupt: Denken Sie bei Rasenflächen an ihre luftbefeuchtende Wirkung, an ihre Wasserhaltekraft, an den Lebensraum für Regenwürmer und an den – ja, ja, ganz richtig – für Maulwürfe. Auch das Vorkommen der Regenwürmer ist stark rückläufig. Sie gehören mit zur Biodiversitätskrise und leiden unter stark verdichteten Böden. Dabei sind diese Würmer die perfekten Umgraber. Mit ihren unterirdischen Gängen sorgen diese für eine gute Bodenbelüftung. Außerdem verwerten die blinden Gartenhelfer auch organisches Material im Boden und verdauen es zu kostbarem Dünger. Eine hohe Anzahl Regenwürmer im Gartenboden sorgt deshalb für eine bessere Bodenqualität. 

Und Maulwürfe sind ebenso nützlich, sie vertilgen Unmassen von Schädlingen und lockern ebenfalls den Boden auf. Wo sie sind, ist der Boden gesund. Das ist ein gutes Zeichen. Sehen Sie Maulwürfe deshalb bitte nicht mehr als Plage an.

Sie können auf Ihrem Rasen auch Obstbäume wachsen lassen, mit einigen extensiv gepflegten Inseln aus Hochstauden, Rosen oder früh im Jahr blühenden Zwiebelpflanzen: Elfen-Krokusse, Gelbstern-Arten, Winterlinge, Wilde Tulpe oder auch ein paar Lauch-Arten seien Ihnen hier empfohlen. Damit hätten Sie in Ihrem eigenen Grün schon etwas für die Artenvielfalt und damit für uns alle getan.

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Der Braunstielige Streifenfarn liebt schattige Ziegelsteinmauern. Hier kann er richtig Fuß fassen.

AN MAUERN VORBEI

MILZFARN UND BRAUNSTIELIGER STREIFENFARN

Raus in die Natur

Und weiter geht es, vorbei beispielsweise an Mauern, für mich schon seit jeher wahre Herzensangelegenheiten. Bereits als Kind sah ich diese oft moos- und flechtenreichen Hofmauern im Ostwestfälischen, in Bielefeld, um genau zu sein. Ja, diese Stadt gibt es wirklich am Teutoburger Wald, ich schwöre es beim Teutates, selbst wenn einige Mitmenschen sich darüber immer noch einen Scherz erlauben. Wir versteckten uns seinerzeit hinter Mauern, kletterten darauf herum und nutzten sie beim Besteigen alter Apfel- oder Kastanienbäume.

Lang, lang ist es her, vom hohen Bio-Wert des Sonderbiotops »Mauer« für Tiere und Pflanzen bekam ich jedoch erst später etwas mit. Von diesen vertikalen Strukturen, freistehend oder stützend, vor und um Burgen, in Gärten, Klöstern und Schlössern, an Bahnhöfen, Flüssen oder in Parks, in Gestalt von Brücken oder Schleusen, als Einfriedungen von Fried- und Kirchhöfen, von Gefängnissen und Kasernen oder einfach nur so zur Zierde. Natürlich aus Ziegelsteinen oder als Trockenmauern aufgeschichtet, sie sind zweifellos zweite oder auch mal dritte Blicke wert. Jedenfalls sind Mauern ein gliedernder und ordnender Bestandteil in unseren Dörfern oder Städten, wo Platz und Raum schon immer knapp, steinerne Begrenzungen also unverzichtbar waren.