Warum leben Meerschweinchen nicht im Meer?

Lona steht auf dem Treppenabsatz und schnauft. Wie schwer ihr Rucksack ist! Kein Wunder. Alle Bücher, die Lona im Urlaub dabeihatte, sind drin. Und außerdem noch die Taucherbrille und ein ganzer Eimer voll Muscheln.

Zum Glück hat Lona es gleich geschafft. Sie geht weiter, bleibt dann aber wie angewurzelt vor ihrer Wohnung stehen. Sonderbar! Über dem Türknauf klebt ein leuchtend gelber Zettel, und darauf ist ein zottiges, weiß-grau geflecktes Tier gezeichnet. Das Tier ist eindeutig Lonas Meerschweinchen Molly.

Weil Lona keinen eigenen Garten hat, wohnt Molly bei Lynn. Lynn ist Lonas beste Freundin und hat ebenfalls ein Meerschweinchen: Mo. Auch weil Meerschweinchen immer mit anderen zusammenwohnen und reichlich Auslauf haben sollten, hat Lona Molly bei Lynn untergebracht. Füttern, den Stall sauber halten und mit den Meerschweinchen spielen – das alles machen Lynn und Lona gemeinsam. Und wenn eine von beiden in den Urlaub fährt, kümmert sich die andere um die Tiere.

»Kannst du mir sagen, was da steht?« Lona hält Mama, die gerade mit zwei Koffern die Treppe hochkommt, den Zettel hin.

Mama runzelt die Stirn. »Der ist ja von Lynn.« Grinsend liest sie vor, was Lonas Freundin geschrieben hat: »Lo-na, kooom rüba. Wir haam meeer swainken.«

»Molly wird doch nichts passiert sein?«, flüstert Lona. »Am besten gehe ich gleich rüber.«

»Bitte hilf uns erst, die Sachen raufzutragen. Molly ist nichts passiert. Sonst hätte Lonas Mama uns garantiert angerufen.«

»Na gut«, sagt Lona und rennt wieder nach unten.

Kurz darauf ist sie auf dem Parkplatz und greift sich Isomatten und Campingkocher, die Papa neben die Vorderräder vom Campingbus gestellt hat. Lonas Herz pocht aufgeregt, als sie wieder auf das Haus zuläuft. Und wenn Molly bei Gewitter im Garten war und sich erkältet hat? Aber nein! Lynn würde Molly und Mo niemals bei Regen in den Auslauf im Garten lassen.

Oben hat Mama schon den gepunkteten Sonnenhut und den Mandelriegel auf dem Küchentisch zurechtgelegt. Beides sind Geschenke für Lynn, die Lona ihr aus Spanien mitgebracht hat. Zum Dank dafür, dass sie sich drei Wochen lang um Molly gekümmert hat.

 

»Da bist du ja endlich!« Lynn drückt Lona fest an sich. »Hast du meine Nachricht bekommen?«

»Lynn, was ist mit Molly los?«

Lynn verdreht die Augen. »Meeeeeerschweinchen!«, flüstert sie geheimnisvoll. »Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum die Meerschweinchen Meeeeerschweinchen heißen?«

»Lynn, bitte lass den Quatsch. Ich mach mir wirklich große Sorgen.«

Lynn zieht Lona mit sich durch das Wohnzimmer hinaus auf die Terrasse. Im Auslauf, den Lynn und Lona aus Kaninchendraht auf der Wiese angelegt haben, sitzt Mo im Schatten einer Birke und mümmelt an einem Gurkenstückchen. Von Molly fehlt jede Spur.

»Was ist mit Molly? Sag mir sofort, wo sie ist.« Lonas Stimme ist vor Aufregung ganz piepsig.

Lynn lächelt. »Loni, jetzt beruhig dich.«

Sie legt Lona die Hände auf die Schultern und schiebt sie zum Meerschweinchenstall. Die schicke Villa aus rosa bemaltem Sperrholz haben die Freundinnen zusammen mit Lynns Mama gebaut. »Ich hab dir doch alles genau aufgeschrieben«, sagt Lynn. »Wir haben mehr Schweinchen.«

»Lass endlich den Quatsch. Natürlich haben wir Meerschweinchen.« Lona klappt die eine Dachhälfte vom Stall hoch.

»Mensch, Loni. Jetzt denk mal nach: mehr Schweinchen. Das sagt schon der Name: Meerschweinchen! Aus zwei mach vier. Meerschweinchen vermehren sich. Deshalb heißen sie so, weil sie immer mehr werden.«

»Aber …?« Bevor Lona weitersprechen kann, hat sie Molly entdeckt. Ihr Meerschweinchen hat sich in die Ecke neben der kleinen Treppe gemütlich ins Stroh gekuschelt. Molly reckt ihre weiße Schnauze und schnuppert, als Lona ihr vorsichtig die Hand hinhält.

»Meine süße Molly!«, flüstert Lona erleichtert. »Na komm!«

Molly erkennt Lona sofort am Geruch und kommt aus ihrem Nest gekrochen. Genau in dem Moment wuseln links und rechts von Molly zwei kleine graue Wolken aus dem Stroh und flitzen mit Karacho um den Futternapf.

»Oh nein, sind die niedlich! Wo kommen die denn her?«, will Lona wissen.

»Aus Mollys Bauch natürlich«, antwortet Lynn, als hätte Lona eben die blödeste Frage der Welt gestellt. »Frau Behringer sagt, dass Molly wahrscheinlich schon schwanger war, als du sie in der Zoohandlung gekauft hast. Das kommt oft vor.«

»Wie süß!« Lona versucht, eines der Babys zu berühren. Aber die beiden verstecken sich scheu unter der Holztreppe.

Lona hebt Molly aus dem Stall, nimmt sie auf den Arm und streichelt sie behutsam. Molly streckt sofort ihre Schnauze vertrauensvoll in Lonas Armbeuge. »Guten Tag«, soll das wohl heißen. »Lange nicht gesehen.«

»Die Babys sind vorgestern früh gekommen«, erzählt Lynn. »Mama hat gleich Frau Behringer angerufen. Die arbeitet in einer Meerschweinchen-Station und kennt sich gut aus. Sie kommt heute, um sich die Babys und Molly anzusehen.«

Es klingelt.

»Ich glaub, das ist sie schon!« Lynn rast zur Tür.

»Meine kleine, süße Molly!« Lona küsst Molly auf den kuscheligen Haarwirbel zwischen ihren Ohren, und Molly gibt glucksende Laute von sich.

Jetzt recken die beiden kleinen Meerschweinchen im Stall neugierig ihre Schnauzen empor. Am liebsten würde Lona die beiden kleinen auch zu sich herausnehmen, aber sie werden wohl noch etwas Zeit brauchen, um sich an sie zu gewöhnen.

»Lass dir von Lynn bloß keinen Quatsch erzählen!«, ruft Frau Behringer, als sie in einem rosa gemusterten Batikkleid auf die Terrasse kommt. »Meerschweinchen haben ihren Namen nicht, weil sie sich schnell vermehren.«

»Schon klar«, murmelt Lynn. »War ja nur ein Scherz.«

Lona hält Frau Behringer Molly hin. So, wie Frau Behringer Molly unterfasst und sie auf die Backwaage auf dem Holztischchen setzt, merkt Lona gleich, dass sie sich richtig gut mit Meerschweinchen auskennt.

»Der Name hat etwas mit dem Ozean zu tun, mit dem Meer«, erklärt Frau Behringer und untersucht dabei Mollys Fell und ihre Ohren.

»Aber Meerschweinchen leben doch nicht im Meer. Können sie überhaupt schwimmen?«, fragt Lona gespannt.

Frau Behringer schüttelt den Kopf. »Meerschweinchen können weder tauchen noch schwimmen. Es ist richtig, dass sie nicht im Meer leben. Sind sind keine Wassertiere. Meerschweinchen haben weder Kiemen noch Flossen. Sie könnten im Meer nicht atmen und sich nicht fortbewegen. Sie kommen nicht aus dem Meer, aber über das Meer.« Frau Behringer schiebt das Stroh beiseite, damit sie Mollys Nachwuchs betrachten kann. »Meerschweinchen gibt es bei uns in Deutschland noch nicht so lange. Ursprünglich waren sie in Südamerika beheimatet, in Bolivien, in Ecuador und in Peru. Vor vielen Hundert Jahren haben spanische Seefahrer die Tiere auf ihren Schiffen zu uns nach Europa gebracht.«

»Aber warum heißen sie denn Meerschweinchen?«, fragt Lynn.

»Schweinchen wurden sie vermutlich nur genannt, weil ihr Quieken an das von Ferkeln erinnert.« Frau Behringer schaut die Freundinnen an und lächelt. »Mit euren beiden Ferkelchen werdet ihr viel Spaß haben. Die sind topfit. Aber spielen könnt ihr noch nicht mit ihnen. Nach der Geburt brauchen Meerschweinchenjunge Ruhe und Entspannung.«

Lona nimmt Molly auf den Arm und krault sie zwischen den Ohren. »Wie schade. Aber zum Glück hab ich zum Spielen ja meine Molly.«

Warum sind Kakteen stachelig?

Hugo sieht zu, wie seine Oma die Blumen auf der Fensterbank gießt. Dabei singt sie gut gelaunt:

»Mein kleiner grüner Kaktus

steht draußen am Balkon,

hollari, hollari, hollaro!

Was brauch’ ich rote Rosen,

was brauch’ ich roten Mohn,

hollari, hollari, hollaro!

Und wenn ein Bösewicht

was Ungezog’nes spricht,

dann hol’ ich meinen Kaktus,

und der sticht, sticht, sticht.«

Hugos Oma nimmt einen kleinen Kaktus in die Hand und führt ihn im Rhythmus des Liedes bis fast an Hugos Nase heran. Er weicht sicherheitshalber ein Stück zurück. Natürlich weiß er, dass Oma nur Spaß macht, und lacht. Und dann singen beide den Refrain gemeinsam: »Mein kleiner grüner Kaktus steht draußen am Balkon, hollari, hollari, hollaro!«

Hugos Oma wohnt in einem kleinen Häuschen auf dem Land. Sie hat einen wunderschönen Garten, in dem man nach Herzenslust toben kann. Und dann gibt es noch Fritzchen, Omas kleinen Hund, der immer genauso gut gelaunt ist wie Oma. Kein Wunder also, dass Hugo Oma gern besucht, am liebsten sogar für ein ganzes Wochenende. Damit es sich auch lohnt. Hugo lebt mit Mama und Papa in der Stadt. Sie müssen immer ganz schön weit fahren, um zu Oma zu kommen.

Als Oma den kleinen Kaktus zurück auf die Fensterbank stellt, fragt Hugo: »Warum haben Kakteen eigentlich Stacheln?«

»Das ist eine gute Frage.« Oma lächelt. »Kakteen sind pfiffig!«

»Wie pfiffig?« Hugo versteht nicht, was an einem Kaktus pfiffig sein soll.

»Na ja, dort, wo die Kakteen herkommen, gibt es viel Sonne und wenig Wasser. Die meisten Kakteen leben in Wüsten.«

»Da ist es sehr heiß«, sagt Hugo, der schon mal einen Film über die Wüste gesehen hat.

»Genau«, antwortet Oma. »Und es regnet dort nur selten. Aber wenn es einmal regnet, saugen sich die Kakteen fast so voll wie ein Schwamm. Davon können sie dann lange leben. Und damit ihnen niemand das Wasser stibitzt, haben sie im Laufe der Zeit ihre Blätter in Stacheln umgewandelt.«

Hugo staunt. »Ziemlich schlau!«

»Sag ich ja«, antwortet Oma. »Kakteen sind pfiffig! Sonst wären sie schon längst alle aufgefressen worden.«

»Echt?«, fragt Hugo erschrocken.

»Na klar, in der Wüste gibt es viele hungrige und durstige Zeitgenossen und wenig andere Pflanzen. Hätten die Kakteen keine Stacheln, würden sie ruckzuck von irgendwelchen Tieren aufgefressen.«

»Wie gut, dass Kakteen so pfiffig sind!«, sagt Hugo erleichtert.

»Das ist aber noch nicht alles«, erklärt Oma. »Manche Kakteen setzen auf Tarnung, und die haben daher kaum oder keine Stacheln.«

»Und wie verteidigen sie sich?«, fragt Hugo.

»Sie sind unscheinbar und gleichen dem steinig felsigen Untergrund, sodass man sie leicht übersehen kann. Wieder andere Kakteen verteidigen sich mit Gift. Doch die Mehrzahl der Kakteen hat Stacheln, denn Stacheln wehren Feinde ab, schützen vor Verdunstung und liefern je nach Dichte auch Schatten.«

Da springt Fritzchen an Hugo hoch, was so viel bedeutet wie »Komm, spiel mit mir!«.

Hugo lässt sich nicht lange bitten. Die beiden flitzen um die Wette in den Garten und toben wild herum. Ach, ist das schön! Zu Hause hat Hugo keinen Garten, und so wild toben darf er dort auch nicht. Sonst kommt Frau Mahlzahn aus der Wohnung unter ihnen und beschwert sich über den Lärm. Frau Mahlzahn heißt natürlich nicht wirklich so. Eigentlich heißt sie Frau Mallmann. Aber Hugo nennt sie immer Frau Mahlzahn, weil so auch der Drache bei Jim Knopf heißt und Frau Mallmann ihn irgendwie an den erinnert. Natürlich würde Hugo sie nie direkt so ansprechen, aber wenn sie nicht dabei ist, ist sie ganz klar Frau Mahlzahn.

 

Nach einer Weile kommen Hugo und Fritzchen vollkommen erschöpft zurück in die Küche. Hugo hat einen hochroten Kopf vom Herumrasen, und Fritzchen hängt die Zunge aus dem Hals.

»Ihr zwei habt ja ganz schön getobt!«, sagt Oma und gießt Hugo ein Glas Apfelschorle ein.

In diesem Moment fällt Hugos Blick auf einen hübsch verpackten kleinen Kaktus, der auf dem Küchentisch steht. »Für wen ist der denn?«

Oma lächelt verschmitzt. »Den nimmst du Frau Mahl…, äh, Frau Mallmann mit.«

Natürlich weiß Oma von Frau Mahlzahn und dass sie sich ständig beschwert. Und so einer soll er auch noch Blumen schenken?

»Wieso?«, fragt Hugo erstaunt.

»Weil man durch Blumen sprechen kann«, meint Oma.

Das versteht Hugo nun überhaupt nicht und sieht Oma fragend an.

»Na ja«, meint Oma. »Wenn man verliebt ist, schenkt man Rosen. Am besten rote. Wünscht man jemandem Glück, schenkt man Glücksklee. Und wenn man jemanden unfreundlich findet, schenkt man ihm einen Kaktus.«

»Und was ist, wenn Frau Mahlzahn böse wird?«, will Hugo wissen.

»Dann singst du einfach das Lied vom kleinen grünen Kaktus – und schon kann dir niemand mehr böse sein. Manchmal brauchen Menschen einen kleinen Anstoß. Vielleicht hat Frau Mallmann vergessen, dass sie auch einmal ein Kind war und gerne wild getobt hat. Und einen Versuch ist es wert. Mit Mama habe ich vorhin bereits telefoniert, während du draußen mit Fritzchen getobt hast. Sie findet die Idee gut.«

 

Als Mama Hugo wenig später abholt, trägt er den Kaktus höchstpersönlich zum Auto.

»Pass gut auf!«, ruft Oma. »Immer schön am Topf festhalten, damit er dich nicht sticht.«

Während der Autofahrt fällt Hugo plötzlich ein, dass Frau Mahlzahn am Ende von Jim Knopf ganz lieb geworden ist.

»Wenn du magst, kann ich ja mitkommen zu Frau Mallmann«, schlägt Mama vor und macht ihm Mut.

Aber das will Hugo nicht. Er ist doch kein Feigling!

Als sie zu Hause angekommen sind, stürzt Hugo aus dem Auto und läuft samt Kaktus in die zweite Etage. Ohne zu zögern, drückt er auf die Klingel. Und als sich die Tür öffnet, fängt er gleich an zu singen:

 

»Mein kleiner grüner Kaktus

steht draußen am Balkon,

hollari, hollari, hollaro!«

 

Zu Hugos Überraschung stimmt Frau Mallmann mit ein, und die beiden singen das Lied gemeinsam zu Ende:

 

»Was brauch’ ich rote Rosen,

was brauch’ ich roten Mohn,

hollari, hollari, hollaro!

Und wenn ein Bösewicht

was Ungezog’nes spricht,

dann hol’ ich meinen Kaktus,

und der sticht, sticht, sticht.«

 

»Ach, wie lange habe ich das nicht mehr gehört«, sagt Frau Mallmann gerührt und lächelt. »Das kenne ich noch aus meiner Jugend. Und woher kennst du dieses Lied?«

»Von meiner Oma!«, sagt Hugo stolz und reicht Frau Mallmann den Kaktus.

»Ist der für mich?«, fragt sie.

Hugo nickt.

»Das ist aber nett von dir. Ich liebe Kakteen. In meinem Wohnzimmer habe ich jede Menge davon. Willst du sie mal anschauen?«