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Elisabeth Hütterer, Christoph Gasche

Ernährung bei Morbus Crohn

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Copyright © 2017 maudrich Verlag

Facultas Verlags- und Buchhandels AG, Wien, Österreich
Druck: Ferdinand Berger & Söhne, Horn
Lektorat: Katharina Stadler, Wien

Satz: Florian Spielauer, Wien

Covergestaltung: facultas nach einem Design von studiob.a.c.k.

Bildnachweis: S. 9, 16, 18, 21, 22, 29, 40, 41, 42, 50, 51, 60, 62: fotolia.com

S. 11, 27, 70: istockphoto.com

S. 25, 26, 30, 43: Christoph Gasche, AKH Wien

S. 47–49: zur Verfügung gestellt von den Herstellern

S. 84, 102, 108, 112, 116, 120, 124, 126, 132, 134, 136, 140: Victoria Posch und Esther Karner, Wien

Umschlagbild: Victoria Posch und Esther Karner, Wien

ISBN 978-3-99002-040-1 (print)

ISBN 978-3-99030-963-6 (epub)

INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

WIE FUNKTIONIERT UNSERE VERDAUUNG?

WAS VERURSACHT MORBUS CROHN?

LIFESTYLE

MEDIKAMENTE

HYGIENE UND BAKTERIEN

ERNÄHRUNG

IST DER DÜNN- ODER DER DICKDARM BETROFFEN?

DIAGNOSE UND THERAPIE

KOLOSKOPIE – DARMSPIEGELUNG

DARMSONOGRAFIE – DARMULTRASCHALL

COMPUTERTOMOGRAFIE (CT) UND MAGNETRESONANZ (MRI)

MEDIKAMENTÖSE THERAPIE BEI MORBUS CROHN

ENDOSKOPISCHE THERAPIEVERFAHREN

OPERATIONEN

RAUCHERENTWÖHNUNG

EINFLUSS DER ERNÄHRUNG IN DER BEHANDLUNG VON MORBUS CROHN

WIE KANN MODERNE NAHRUNG DIE DARMBARRIERE STÖREN?

INDUSTRIELL HERGESTELLTE LEBENSMITTEL

GETREIDEEIWEISS (GLUTEN)

PROBLEMATISCHE LEBENSMITTELZUSATZSTOFFE

MORBUS CROHN ALS FOLGE DER INDUSTRIELLEN LEBENSMITTELREVOLUTION?

ERNÄHRUNGSEMPFEHLUNGEN BEI MORBUS CROHN

STRENG BIOLOGISCHE ERNÄHRUNG („SUPER-BIO-DIÄT“)

ANDERE SPEZIELLE DIÄTEN

MIKRONÄHRSTOFFE

NAHRUNGSMITTELUNVERTRÄGLICHKEITEN UND -INTOLERANZEN

LEBENSMITTEL MIT ENTZUNDUNGSHEMMENDER BZW. -FÖRDERNDER WIRKUNG

WICHTIGE MERKSÄTZE UND GRUNDREGELN

ESS- UND ZUFRIEDENHEITSTAGEBUCH

AUSWÄRTS ESSEN UND FAST FOOD

SITUATIONSANGEPASSTE ERNÄHRUNG

ERNÄHRUNG IM AKUTEN SCHUB

ABHEILPHASE

REMISSIONSPHASE – BEKÖMMLICHE DAUERKOST

REZEPTE

BROT UND GEBÄCK

GETRÄNKE

SUPPEN

PIKANTE HAUPTSPEISEN OHNE FLEISCH

HAUPTSPEISEN MIT FLEISCH

HAUPTSPEISEN MIT FISCH

BEILAGEN

SNACKS

SÜSSE BEKÖMMLICHKEITEN

GLOSSAR

KLEINES KÜCHENLEXIKON

REZEPTÜBERSICHT

LITERATUR

VORWORT

Wenn die Verdauung hakt, sucht man instinktiv nach einer Diät. Wäre es nicht naheliegend, dass die Ursache für das Leiden in einer Unverträglichkeit oder Allergie gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln zu finden ist? PatientInnen mit Morbus Crohn sind von Krankheitsbeginn an überzeugt, dass die Ursache für die Darmprobleme in falschem Essen zu suchen ist. Im Gegensatz dazu sind sich die meisten behandelnden Ärzte sicher, dass Ernährung die Erkrankung nicht auslöst und auch etwaige Diäten den Krankheitsverlauf nicht beeinflussen können. Ratlosigkeit macht sich unter den Betroffenen breit. Wie geht man am besten mit dem Leiden um? Was kann man, außer Medikamente zu schlucken, Spritzen oder Infusionen verabreichen zu lassen, selber dazu beitragen, dass es mit der eigenen Gesundheit wieder bergauf geht?

Von einzelnen Betroffenen wird hingegen über spezielle Diäten berichtet, mit denen ein Heilungszustand erreicht worden sein soll. Wie glaubwürdig ist das? Ist das der alte Kampf zwischen Schulmedizin und alternativen Methoden?

Dieses Buch gibt wissenschaftlich fundierte Antworten auf alle Ernährungsfragen bei Morbus Crohn. Es ist für Betroffene mit Morbus Crohn und deren Angehörige geschrieben. Medizinische Hintergrundinformationen ermöglichen das Verständnis der Verdauungsfunktionen, helfen Symptome zu deuten und richtige Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Bekämpfung derselben zu setzen. Diätempfehlungen werden vermittelt, begleitet von zahlreichen Tipps für die praktische Umsetzung mit konkreten Kochrezepten.

Die wichtigste Antwort vorweg: Morbus Crohn ist fast immer durch die Umstellung des Ernährungsverhaltens positiv beeinflussbar, unter bestimmten Umständen sogar heilbar.

Christoph Gasche, Elisabeth Hütterer

WIE FUNKTIONIERT UNSERE VERDAUUNG?

Die Verdauung beginnt im Mund, wo die Nahrung mit den Zähnen zerkleinert und eingespeichelt wird – eine wichtige Vorbereitung für die nächsten Verdauungsstationen. Über die Speiseröhre gelangt die Nahrung in den Magen, wo sie über mehrere Stunden mithilfe von Salzsäure zerlegt wird. Die Muskelbewegungen, die der Magen dabei vollzieht, kann man eigentlich nicht spüren, außer wenn der Magen schmerzt, was aber nur bei Magengeschwüren (dem sogenannten Ulcus ventriculi) der Fall sein sollte. PatientInnen mit Morbus Crohn haben oft eine spezielle Form einer mikroskopischen Gastritis. Dabei sammeln sich Entzündungszellen herdförmig an, ohne geschwürige Schleimhautschäden zu verursachen. Dieser Befund ist typischerweise auch nicht mit Symptomen wie Magenschmerz verknüpft und wird als fokale Gastritis bezeichnet. Er ist diagnostisch wertvoll für die Unterscheidung zwischen Morbus Crohn und Colitis ulzerosa, einer ähnlichen chronischen Darmentzündung, die nur auf den Dickdarm beschränkt ist.

Der erste Dünndarmabschnitt ist der Zwölffingerdarm (ca. 25 cm lang), gefolgt vom Jejunum (ca. 80-100 cm lang) und dem Ileum (ca. 150 cm lang). Zusätzlich zu den Falten, die man gut mit bloßem Auge sehen kann, hat der Dünndarm auch Zotten, die man erst unter der Lupe erkennt. Diese Zotten sind wie dichte Tentakel einer Seeanemone, die sich fortwährend im Verdauungssaft bewegen. Jede dieser Zotten ist mit einer Schicht Zylinderepithel bekleidet, wodurch sich die Oberfläche deutlich vergrößert. Dadurch kann die Nahrung besser aufgenommen werden.

Im Dünndarm kommt es Tag und Nacht zu Kontraktionswellen, die den Inhalt kontinuierlich weitertransportieren. Der Speisebrei braucht nur etwa zwischen 30 Minuten und 2 Stunden, je nach Konsistenz und Inhalt, bis er an der Ileozökalklappe in den Dickdarm weitergegeben wird.

Der Dickdarm bewegt sich nicht kontinuierlich wie der Dünndarm, sondern nur einige Male jeden Tag.

Der Verdauungstrakt

Die Bewegung des Dickdarms wird durch bestimmte Reize ausgelöst. Einer dieser Reize ist der gastrokolische Reflex: Der Darm bekommt dabei die Information, dass gleich neue Nahrung von oben nachkommt und er Platz schaffen muss. Wenn sich der Magen füllt, wie zum Beispiel beim Frühstück oder durch Flüssigkeit, die kälter oder wärmer als Körpertemperatur ist, kommt der Dickdarm in Bewegung und löst einen Stuhlgang aus. Daher ist ein Stuhlgang direkt nach dem Frühstück ganz normal.

Im Dickdarm wird der Speisebrei durch bakterielle Verdauung weiterzerlegt. Ballaststoffe bzw. Faserstoffe, wie zum Beispiel resistente Stärke, können von Verdauungsenzymen nicht angegriffen werden und landen unverdaut im Dickdarm. Der Dickdarm zersetzt diese Ballaststoffe mithilfe von Bakterien. Hier gärt es, dabei wandeln verschiedene Bakterien die Überbleibsel aus dem Nahrungsbrei in einfache Fettsäuren um, die vom Dickdarm aufgenommen werden und die Bakterien selbst mit Energie versorgen. Durch die bakterielle Tätigkeit entstehen Darmgase. Leichte Blähungen sind also völlig normal und gehören zu einer gesunden Verdauung.

Die Bedeutung des Darmschleims

Die Darmschleimhaut heißt so, weil sie zwischen Magen und Enddarm eine kontinuierliche Schleimschicht produziert. Dieser Schleim schützt den Magen vor Magensäure, den Dünndarm vor Gallen- und Bauchspeicheldrüsensekreten und den Dickdarm vor einem Angriff durch die Darmbakterien.

Die Schleimschicht hat also eine Barriere- bzw. Schutzfunktion. Ist die Schleimbildung gestört, kommen Darmbakterien in direkten Kontakt mit Zellen des Dickdarms und können dort eine Immunreaktion auslösen, wie bei Morbus Crohn. Es gibt Bakterien, die sich von menschlichem Schleim ernähren. Darmbakterien leben also nicht nur von dem, was an Nahrung in den Dickdarm kommt, sondern auch von menschlichen Produkten.

Darmflora – Mikrobiota

Die Bakterien im Dickdarm sind wie eine eigene Welt in uns. ForscherInnen haben berechnet, dass im Darm mehr Bakterien sitzen, als wir Körperzellen haben.

Die Gesamtheit der Darmbakterien wird heute als intestinale Mikrobiota bezeichnet. Der Begriff Darmflora sollte nicht mehr verwendet werden, da es sich nicht um eine Pflanzenwelt in unserem Darm handelt. Das Mikrobiom steht für alle Gene, die diese Bakterien tragen.

Die meisten Bakterien leben im Dickdarm. Im Unterschied zu den anderen Darmabschnitten kann sich die Mikrobiota im Dickdarm einnisten, dort heimisch werden und sich vermehren.

Die erste Besiedelung findet im Rahmen des Geburtsvorgangs statt. Dabei gelangen die mütterlichen Keime ins noch sterile Neugeborene, ein Vorgang, der aber nur bei einer spontanen, also vaginalen Geburt gut funktioniert. Beim Kaiserschnitt wird das Baby steril aus der Gebärmutter geborgen und diese wichtige Initialzündung findet nicht statt. Die zweite Phase der Besiedelung wird durch Stillen, also durch die Muttermilch und durch direkten Hautkontakt, ermöglicht. Laktobazillen sind für die Entwicklung des kindlichen Verdauungsorgans sehr wichtig.

Aus diesem Grund treten vor allem Kinderärzte seit rund fünfzig Jahren für die Unterstützung junger Mütter in Bezug auf das Stillen ein. Stillen hat nachhaltige Effekte auf die Gesundheit des neuen Erdenbürgers. Milchersatzprodukte sollten wirklich nur im Notfall eingesetzt werden und sind kein gleichwertiger Ersatz für Muttermilch.

In den ersten drei Lebensjahren sollte die Besiedelung des Darms mit Bakterien abgeschlossen sein. Die Adaptierung der Darmflora ist aber in keiner Lebensphase wirklich beendet.

Eine gesunde intestinale Mikrobiota zeichnet sich durch Vielfalt aus: 200 bis 500 unterschiedliche Keime sollten es schon sein. Bei praktisch jeder Darmerkrankung, also auch bei Morbus Crohn, kommt es zu einer Reduktion dieser Vielfalt und zur Dominanz einzelner Stämme. Dieser Zustand wird als intestinale Dysbiose bezeichnet. Unser inneres Ökosystem ist sehr empfindlich. Was in den Mund kommt und geschluckt wird, landet auch im Darm. Der Zufluss an Nährstoffen wirkt sich entscheidend auf die Zusammensetzung der Mikrobiota aus.

Tabelle: Die zehn Merkmale einer gesunden Mikrobiota

1.

Menschen sowie alle Säugetiere haben eine kommensale Mikrobiota. Dies bedeutet, dass sie sich vom Speisebrei ernährt. Ernährungsumstellung beeinflusst deshalb die Bakterien.

2.

Die Mikrobiota wird zu Beginn von der Mutter im Geburtskanal übertragen. Die Muttermilch leistet einen weiteren wesentlichen Beitrag.

3.

Die grobe Zusammensetzung ist nach zwei bis drei Jahren vollständig, kann sich aber lebenslang verändern.

4.

Sie lebt mit etwas Abstand zur Schleimhaut (Biofilm).

5.

Sie ist vielfältig (Diversität).

6.

Sie zerlegt komplexe Stärken sowie andere Kohlenhydrate (Verdauungsfunktion).

7.

Sie ernährt die Darmschleimhaut mit Energie (z. B. Buttersäure).

8.

Sie wird vom Menschen toleriert (Immuntoleranz).

9.

Sie beeinflusst den Gesundheitszustand (Darm, Immunabwehr, Körpergewicht, Allergie, Gehirn).

10.

Sie wird durch alles, was geschluckt wird, beeinflusst (Nahrung, Getränke, Medikamente etc.).

Veränderungen der Zusammensetzung der Mikrobiota sind sehr dynamisch: ForscherInnen der Harvard Universität konnten 2014 zeigen, dass diätische Veränderungen eine unmittelbare Auswirkung auf die Zusammensetzung und Stoffwechselaktivität der Mikrobiota haben. Eine Fleischdiät vermehrt galletolerante Mikroorganismen und reduziert die Menge an Keimen, die Pflanzenpolysaccharide verdauen. Diese Untersuchungen zeigen eines klar auf: Du bist, was du isst.

Martin J. Blaser von der New York University meint, dass durch zunehmende Hygiene und häusliche Sauberkeit die komplexe Übertragung der Mikrobiota seit etwa hundert Jahren nur unvollständig erfolgt. Daher wird befürchtet, dass einige Gattungen und Arten bereits ausgestorben sind (Hypothese über das Aussterben der Mikrobiota). Die häufige Anwendung von Antibiotikatherapie, besonders in der frühen Kindheit, trägt das Ihre dazu bei.

Sogar das in unserer Gesellschaft zunehmende Übergewicht lässt sich durch eine an Vielfalt reduzierte Mikrobiota teilweise erklären. Kinder, die in den ersten sechs Lebensmonaten Antibiotika erhalten oder durch Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden, haben ein erhöhtes Risiko, im späteren Leben übergewichtig zu werden. Nicht nur das allgegenwärtige Nahrungsangebot, sondern auch eine bestimmte Zusammensetzung der Mikrobiota ist für die Zunahme an Übergewichtigen in den USA und Europa verantwortlich. Verschiedene Krankheiten sind mit Veränderungen der Mikrobiota assoziiert, unter anderem auch Morbus Crohn.

Verschiedenen Krankheiten in Zusammenhang mit veränderter Mikrobiota

Morbus Crohn und Colitis ulzerosa

Reizdarmsyndrom

Darmkrebs

Fettleber

Übergewicht

Typ-2-Diabetes

Koronare Herzkrankheit

Allergien

Angststörung und Depression

Autismus

WAS VERURSACHT MORBUS CROHN?

Morbus Crohn ist nach seinem Erstbeschreiber Dr. Burrill Crohn benannt, der erstmals eine chronische nicht-spezifisch granulomatöse Entzündung des Dünndarmendes (Ileum terminale) bei PatientInnen des Mount Sinai Hospitals in New York im Jahr 1932 beschrieben hat. Mit seinen beiden Co-Autoren Ginzberg und Oppenheimer bezeichnete Crohn die Erkrankung als regionale Ileitis. Die Arbeit stützte sich auf Beobachtungen von Dr. Kennedy Dalziel aus Glasgow, der schon knapp 20 Jahre zuvor eine ähnliche Krankheit in England beobachtet hatte.

Colitis ulzerosa hingegen war schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts beschrieben worden. Auch gibt es alte griechische Aufzeichnungen über wiederkehrenden blutigen Durchfall, der wahrscheinlich Colitis ulzerosa entspricht. Es wird daher angenommen, dass es Colitis ulzerosa in der Menschheit schon sehr lange gibt.

Bei Morbus Crohn ist man sich da nicht so sicher: Wie kann eine so schwere, unbehandelt zum Tod führende Erkrankung im 19. Jahrhundert und davor übersehen worden sein? Die Annahme liegt nahe, dass es sich um ein neues menschliches Krankheitsbild handelt, das entweder zuvor sehr selten oder nicht vorhanden war. Wenn es sich um etwas Neues handelt, muss auch dessen Ursache etwas Neues sein.

Vererbung bildet die Grundlage für die Erkrankung und für eine familiäre Neigung, d. h. dass die Neigung zu Morbus Crohn von den Eltern auf das Kind weitergegeben wird. Die Wahrscheinlichkeit, an Morbus Crohn zu erkranken, ist etwa 2 in 1.000. Diese Zahl steigt deutlich an, wenn einer der Elternteile selber von Morbus Crohn betroffen ist. Sobald beide Eltern Morbus Crohn haben, ist das Risiko für Kinder zumindest 1 in 10.

Mehr als 70 verschiedene Gene wurden mit der Erkrankung in Zusammenhang gebracht. Viele Gene betreffen die Funktion der Darmbarriere, also die Grenzschicht zwischen menschlichem Körper einerseits und Umwelt im Darm andererseits. Eine weitere Gengruppe betrifft den Umgang mit Darminfektionen bzw. mit Bakterien, die die Darmbarriere durchbrochen haben. Eine dritte Gruppe betrifft das Immunsystem, speziell die Regulation von Entzündungsabläufen im Darm. Praktisch alle genetischen Varianten, die mit Morbus Crohn assoziiert sind, gab es schon vor weit über 1.000 Jahren, damals war die Krankheit aber unbekannt. Diese Gene sind je nach ethnischem Hintergrund sehr unterschiedlich. Insgesamt wird der Einfluss der Vererbung auf die Entstehung von Morbus Crohn nur mit etwa 10–20 % eingeschätzt. 80–90% kommen aus der Umwelt – nämlich von modernen Umweltfaktoren, die es nicht schon immer gab und deren Intensität mit dem Grad der Industrialisierung zugenommen hat.

Das aktuelle Konzept zur Entstehung von Morbus Crohn beruht auf den folgenden Säulen: 1) Vererbung macht etwa 10–20 % aus; 2) spezielle bakterielle Infektionen (zum Beispiel mit adherent invasiven E. coli) und weitere Veränderungen der Mikrobiota; 3) Umweltfaktoren wie Zigarettenrauchen, Medikamente und moderne Ernährung

Die Vererbbarkeit von Morbus Crohn kann man sich ähnlich vorstellen wie die Vererbbarkeit von roten Haaren. So lange Rothaarige in Irland und Schottland gelebt haben, wo die Sonneneinstrahlung nur schwach ist, gab es keine Probleme mit dem hellen Hauttyp. Mit der Besiedelung von Australien begannen aber die Schwierigkeiten. Die australische Sonne ist viel intensiver als die in Irland und so kam es vermehrt zu Sonnenbrand und chronischer Hautschädigung bis hin zum Hautkrebs.

In der vorindustriellen Zeit bestanden Verdauungsprobleme in erster Linie aus gastrointestinalen Infektionen. Diese waren von Beginn an ein ständiger Begleiter der Menschheit und unser Darm mit seinem speziellen Immunsystem hat sich über Millionen Jahre daran anpassen können.

Morbus Crohn PatientInnen haben eine vererbbare Schwachstelle in Bezug auf das Verdauungsorgan. So lange durch den Mund nur Naturstoffe in den Menschen gelangten, kam es zu keiner Erkrankung. Der zunehmende Einsatz von Chemie in Medikamenten und Nahrungsmitteln macht den „Darmrothaarigen“ aber zu schaffen. Der Großteil der Bevölkerung profitiert von den modernen Errungenschaften der Zivilisation, darunter auch der Pharma- und Lebensmittelindustrie, ein kleiner Prozentsatz wird aber möglicherweise geschädigt. Eine evolutionäre Anpassung an Chemie im Verdauungstrakt hat nie stattgefunden und wird auch nie stattfinden.

Lifestyle

Nicht alle Umweltfaktoren, die Morbus Crohn auslösen können, kommen mit der Nahrung in den Mund. Der am besten untersuchte Umweltfaktor ist das Zigarettenrauchen