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Nr. 3091

 

Erdmantel

 

Die Bastion der Staubfürsten – das große Theater der Evolution

 

Christian Montillon

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Rückkehr

2. Die Chroniken der SCHATZSUCHER Teil 1

3. Befreiung zum Tode

4. Phobos

5. Am Ziel

6. Die Saat geht auf

7. Das große Theater

8. Die späten Jahre

9. Das Staub-Faktotum

10. Der Name mit zwei Gesichtern

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Der Deccar-Wurm

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner. Mit ihren Raumschiffen sind sie in die Tiefen des Universums vorgestoßen und dabei immer wieder außerirdischen Lebensformen begegnet; ihre Nachkommen haben Tausende von Planeten besiedelt und sich den neuen Umwelten angepasst.

Perry Rhodan ist der Mensch, der den Terranern diesen Weg zu den Sternen eröffnet und sie seitdem begleitet hat. Nun steht er vor einer seiner größten Herausforderungen: Er wurde mit seinem Raumschiff, der RAS TSCHUBAI, vorwärts durch die Zeit in eine Epoche katapultiert, in der Terra und Luna verloren und vergessen zu sein scheinen.

Mittlerweile hat er in einem Zwilling unseres Universums die beiden Himmelskörper wiederentdeckt. Nun muss er nur noch einen Weg finden, sie zurückzubringen. Die Staubfürsten sind ihm dabei eine große Hilfe. Sie statten Rhodan mit einem Staubkonzess aus, der ihm die Aktivierung einer Maschine erlaubt, die den Rücktransfer von Erde und Mond bewirken kann.

Aber diese Maschinerie ist im Inneren Terras verborgen. Rhodans Weg führt ihn deshalb durch den ERDMANTEL ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Sichu Dorksteiger – Die Wissenschaftlerin hat einen Plan.

Anzu Gotjian – Eine Technikerin, die anders sein möchte.

Perry Rhodan – Der Terraner kämpft gegen die Wasserschatten.

Milton Chu – Der Mäzen und seine wahre Geschichte

»Wer auf den Krieg vorbereitet ist,

kann den Frieden am besten wahren.«

Anonyme Sammlung

altterranischer Weisheiten,

Kapitel 216: George Washington

 

1.

Rückkehr

 

Anzu Gotjian war entsetzlich müde. Trotzdem wollte sie sich keine Ruhe gönnen, egal, ob Perry Rhodan es ihr befohlen hatte.

Befohlen!

Sie fand es zwar verrückt, hatte sich jedoch in ihr winziges Quartier im Gäonautikum PERSEPHONE zurückgezogen und sich hingelegt. Nun starrte sie die Decke an, dachte nach und fragte sich, ob sie mit ihrem Schicksal hadern, entsetzt oder begeistert sein sollte.

Sie hatte sich auf Transmittertechnologie spezialisiert, weil Forschung sie faszinierte.

Weil sie eine nüchterne Herangehensweise und ein sachliches Verständnis für Technologie hatte. Ihre Eltern hatten sich schon darüber gewundert, als sie mit fünf Jahren die defekte Heimpositronik im Alleingang repariert hatte.

Weil niemand in ihrer Familie oder deren Freundeskreis jemals eine Karriere an der Universität von Terrania und anschließend in der Solaren Flotte auch nur in Betracht gezogen hatte und Anzu gerne anders sein wollte.

Es gab tausend Gründe, aber dazu gehörte garantiert nicht, sich mit Vorliebe in haarsträubende und lebensgefährliche Abenteuer zu stürzen.

Hätte sie es wissen müssen, als sie mit Perry Rhodan gemeinsam diese Mission antrat? Mit dem legendärsten Terraner unterwegs zu sein, sprengte den Rahmen, egal, ob es nach oben ging, ins All ... oder nach unten, ins Erdinnere. Haarsträubende und lebensgefährliche Erlebnisse waren an seiner Seite vorprogrammiert.

Anzus Kopf schwirrte. Ihre Aufgabe bestand darin, tiefer in den Erdmantel vorzudringen, als es je ein Mensch vor ihnen getan hatte. Ihr Ziel war, einen Weg zu finden, die Erde und den Mond in den ersten Zweig des Dyoversums zurückzuversetzen, und damit das Schicksal von Milliarden Individuen zu verändern. Aber eine Geheimstation von Überwesen hatte ihr Gäonautikum gestoppt. Sie waren von Wasserschatten-Robotern angegriffen worden, saßen immer noch irgendwo im Erdmantel fest und ...

... und da sollte sie sich hinlegen und schlafen?!

»Für dich mögen derlei Erlebnisse Alltag sein, Perry«, murmelte sie vor sich hin. »Für mich stellt das mal eben meine ganze Welt auf den Kopf!«

»Benötigst du Hilfe?«, tönte die Stimme der Kabinenpositronik. »Ich kann deinen Befehl nicht zuordnen.«

Oh ja, dachte Anzu, ich brauche Hilfe! Jedoch garantiert nicht von einer seelenlosen Maschine. »Desaktiviere dich!«, forderte sie. »Ich habe mit mir selbst gesprochen.«

»Gerne«, meldete der Rechner. In Anzus Ohren hörte es sich spöttisch an. Sie musste es sich einbilden.

Bestimmt.

Am liebsten wäre sie aufgestanden, hätte Perry an den Schultern gepackt, ihn durchgeschüttelt und ihn gefragt, wie sie in einer solchen Situation zur Ruhe kommen sollte. Stattdessen entschloss sie sich, nicht länger die Decke anzustarren.

Also drehte sie sich auf die Seite.

Und starrte die Wand an.

Sie überlegte, ob sie Shiviob, diesen alten Griesgram von einem Mediker, aufsuchen und ihn um ein Schlafmittel bitten sollte. Befehl vom Chef, könnte sie sagen.

Praktisch im gleichen Moment schlief sie ein.

 

*

 

Als sie die Augen aufschlug, fühlte sie sich gut. Entspannt und ... zufrieden. Eine interessante Erfahrung; sie war so aufgeputscht gewesen, dass sie ihre extreme Erschöpfung gar nicht gespürt hatte.

Wenn sie nun an das Abenteuer in der Station der geheimnisvollen Candad-Suil zurückdachte, empfand sie keine Angst, sondern ... ja was? Erfüllung? Ausgeglichenheit? Genugtuung? Sie hatte für die anderen Mannschaftsmitglieder gekämpft, für die Gesamtmission, für ihr Überleben.

Und ja, darauf konnte sie als Transmittertechnikerin, deren Alltag völlig anders aussah, verdammt stolz sein!

Diese jähe Begeisterung und das extreme Selbstbewusstsein dahinter überraschten sie selbst. Wie spannend, neue Seiten an sich zu entdecken. Zumal, wenn sie sich so gut anfühlten.

Sie sah auf die Uhr. Sie hatte eine knappe Stunde geschlafen und fühlte sich ausgeruht.

Anzu setzte sich auf die Bettkante, öffnete das einzige Schränkchen in ihrer winzigen Kabine und griff nach der Flasche darin: ihr selbst gemachtes Ingwerchilifeuer, der ultimative Wachmacher.

Sie nahm einen Schluck, und wie üblich schien ihr die Kehle in Flammen zu stehen. Das Gebräu enthielt keinen Tropfen Alkohol – Anzu vertrug kaum ein Gläschen Wein, ohne butterweiche Knie zu bekommen –, aber die natürliche Schärfe belebte die Sinne. Es half ihr stets beim Denken, wenn sie vor besonders kniffligen Aufgaben stand.

Anzu verließ ihre Kabine und ging durch den ebenso engen wie kurzen Korridor zum Aufenthaltsraum der PERSEPHONE.

Genau wie erwartet hielten sich die meisten ihrer Einsatzkollegen dort auf. Sie setzte sich neben Iwa Mulholland, die Mutantin, in der jedes männliche Wesen Iwán, den Mutanten sah.

Iwa sah sie an und nickte. Anzu mochte sie, zerbrechlich, wie sie war, und doch mit mächtigen Gaben gesegnet. Wobei Anzu sich fragte, ob Iwa ihre Fähigkeiten selbst als Segen ansah oder eher als Belastung. Iwa jedenfalls redete nicht darüber, blieb zurückgezogen und verschlossen.

Perry Rhodan saß ihr am Tisch gegenüber, neben seiner Frau Sichu Dorksteiger.

Anzu tippte sich an eine imaginäre Hutkrempe. »Befehl ausgeführt!«

Auf Sichus apart grüner Gesichtshaut verschob sich ein goldener Fleck, als sie fragend die Augenbrauen zusammenzog. »Hast du ihr einen Geheimauftrag gegeben?«

Rhodan grinste breit. »Nicht der Rede wert.«

»Und doch war es gar nicht so einfach«, meinte Anzu. »Wie sieht es mit unserem Gast aus?« Sie hatten in der feindlichen Station, der Sonde der Candad-Suil, einen Thesan namens Zaradon Genuthu befreit – ein Wesen, das aller Wahrscheinlichkeit nach mehr über die Hintergründe von all dem wusste, was Terra widerfahren war.

»Noch immer bewusstlos«, erklärte Rhodan. »Donn greift mit seiner Gabe in Genuthus Stoffwechsel ein, um ihn zu stärken und die Heilung zu beschleunigen. Und natürlich ist Shiviob bei ihm und versucht, mit seinen medizinischen Mitteln zu helfen. Wir brauchen ihn bei Bewusstsein, und das möglichst schnell. Die Zeit läuft uns davon.«

»Aber die Sonde lässt uns unbehelligt?«

»Wenn wir vernachlässigen, dass uns die Strahlung nach wie vor lahmlegt, gibt es keine neuen Angriffe. Das könnte sich jederzeit ändern. Dennoch dürfen wir nicht überhastet vorgehen. Wir mussten nachdenken und die Lage analysieren. Außerdem brauchte Iwán Erholung. Ihm stehen mindestens zwei Sprünge bevor, und er darf nicht schon völlig erschöpft und ausgelaugt in die Mission starten.«

»Wenn du zurückgehst in die Sonde der Candad-Suil, will ich wieder dabei sein«, hörte Anzu sich selbst sagen.

Warum rede ich eigentlich schneller, als ich denke?, dachte sie.

»Bist du dir sicher?«, fragte Sichu Dorksteiger. »Der Einsatz dort ...«

»... wird gefährlich, ich weiß. Wahrscheinlich noch gefährlicher als beim ersten Mal. Aber ich habe die Station gesehen, die Pfützen und die Wasserschatten, und das qualifiziert mich vor allen anderen. Ich werde mich bei einer Rückkehr sofort zurechtfinden, statt mir zunächst einen Überblick verschaffen zu müssen. Zumal wir keine Einsatzspezialisten oder Soldaten dabeihaben, richtig?«

»Sagen wir es so«, meinte Rhodan, »Donn Yaradua hat einige Erfahrung gesammelt und ...«

»Er wird hier gebraucht, um Zaradon Genuthus Heilung weiter zu unterstützen«, fiel Anzu ihm ins Wort. Ja, er mochte Perry Rhodan sein, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ihn mit Samthandschuhen anfasste.

Und wieder dieses Grinsen. Er schien sich wohlzufühlen. »Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mich ab und zu aussprechen lassen würdest, Anzu.«

»Oh. Entschuldige, ich ...«

»Kein Problem. Und jetzt sind wir quitt. Ernsthaft – ja, wir müssen in die Station zurück. Es wird ein Kampfeinsatz, und wir gehen ganz gezielt dorthin, um die Anti-Hyperstrahlenquelle zu zerstören, die unser Gäonautikum blockiert. Ich rechne mit Widerstand und Gewalt.«

»Ich habe mich beim letzten Mal nicht schlecht geschlagen«, sagte Anzu, »dafür, dass ich nie zuvor in einer echten Kampfsituation war. Richtig?«

»Sagen wir es so: Ich kenne Menschen, die in deiner Lage in Panik ausgebrochen wären. Und das kann ich niemandem verübeln.«

Anzu erinnerte sich nur zu gut an die schwarzen und doch wabernden Kampfroboter, die sich aus den Pfützen schoben – die Wasserschatten. Und an die Transmitterfelder, die sie vor sich aufgebaut hatten, um darin die Lebensenergie raubenden Bleichsterne materialisieren zu lassen. An die Mattheit und das Sirren der Schutzschirme, die tödlichen Energiestrahlen und die Frage, ob sie dort lebend herauskommen konnten.

»Du wirst Unterstützung brauchen«, sagte sie. »Und vielleicht sind wir schnell genug, sodass es nicht zu massiven Angriffen kommt – Iwa bringt uns hin, wir deponieren ein paar Bomben, Iwa springt mit uns zurück.«

»Rechne nicht damit, dass es so glattläuft.«

»Tue ich nicht«, gab Anzu zu. Das wäre Torheit. »Ganz davon abgesehen werden wir nicht gerade besonders viele passende Bomben mit uns führen, richtig?«

»So ist es«, bestätigte Rhodan. »Und das ist ein weiterer Grund, warum wir noch nicht zu der neuen Mission aufgebrochen sind. Wir brauchten Zeit für die Vorbereitung.«

»Ich habe mit Ribu Ziskowski und Stouk da Thortun einen Plan ausgearbeitet«, erläuterte Sichu Dorksteiger. »Die beiden basteln noch. Wir extrahieren Sprengmaterial aus den Waffen eines der TARA-Roboter und kombinieren es zu wirkungsstarken Bomben. Die Arbeiten dürften in wenigen Minuten abgeschlossen sein. Es ist sozusagen der Countdown bis zum Aufbruch.«

»Können wir nicht direkt einen der Kampfroboter mitnehmen?«, fragte Anzu.

»Unmöglich«, erklärte Iwa Mulholland. »Du weißt, dass ich höchstens zwei Begleiter transportieren kann. Es ist eine Frage der Masse, die ich während des Wehgangs mit mir schleppen muss. Und ein TARA-Roboter ist viel zu schwer.« Die Mutantin breitete beide Hände aus. »Nicht die geringste Chance.«

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Illustration: Dirk Schulz

Wäre ja auch zu schön gewesen. »Darf ich eine Frage stellen?«

Rhodan nickte. »Nur zu.«

»Ihr sagt, ihr habt den Einsatz bereits genau geplant?«

»Haben wir. Wir dürfen keine Zeit verschwenden. Wir warten nur auf die Fertigstellung der Bomben und darauf, dass Donn seine Einschätzung abgibt, ob der Thesan bald zu Bewusstsein kommt. Wenn ja, kann er uns vielleicht wertvolle Informationen geben, wenn nein, gehen wir trotzdem.«

»Ich jedenfalls bin bereit«, sagte Iwa. Sie hatte sie auch beim ersten Vorstoß mit ihrer speziellen Teleportationsgabe in die Station der Fremden gebracht.

Anzu sah Perry Rhodan an. »Wolltest du mit Iwa allein in den Einsatz gehen?«

»Insgesamt zu dritt«, antwortete er.

»Und wer hätte ...«

»Die einzige Person, die über Erfahrung mit Sonden der Candad-Suil verfügt.« Er lehnte sich im Stuhl zurück. Die Lehne knarrte. »Und die sich beim ersten Einsatz gut bewährt hat und der ich deshalb befohlen habe, sich auszuruhen.«

Das machte Anzu fassungslos. »Du wolltest mich sowieso mitnehmen?«

Er grinste.

Schon wieder.

 

*

 

Platzmangel wurde im Gäonautikum großgeschrieben; die beiden Konstrukteure Ribu Ziskowski und Stouk da Thortun hatten versucht, alles auf engstem Raum unterzubringen, um das Gefährt so klein wie möglich zu halten. Umso weniger Gestein und Masse musste auf dem Weg ins Erdinnere desintegriert und wieder verfestigt werden, um der PERSEPHONE das Vorwärts- oder Tieferkommen zu ermöglichen.

Eine Krankenstation gab es nicht, weshalb der Ara Shiviob kurzerhand den knappen Platz bei den Notfalltransmittern zum Lager für seinen unerwarteten Patienten hergerichtet hatte.

Dort kannte sich Anzu bestens aus – es war ihre ureigene Wirkungsstätte an Bord. Schließlich sollte sie als Transmitterspezialistin dafür sorgen, dass die Geräte stets funktionierten und im Notfall die Evakuierung der Besatzung an die Erdoberfläche ermöglichten. Die Technologie war auch perfekt in Schuss ... was nichts nützte, solange von der Sonde der Candad-Suil die Störimpulse ausgingen, die eine Verbindung mit den Gegenstationen verhinderten, den Empfangstransmittern.

Sie eilte die eng gewundene Treppe in den Transmitterraum nach unten, dicht gefolgt von Perry Rhodan. Shiviob hatte sie angefunkt und zu sich gebeten.

Nun beugte sich der Ara über seinen Patienten. Seitlich, in einer Ecke des Raumes, neben dem Transmitter, saß Donn Yaradua in einem Stuhl. Seine Augen waren geschlossen, die Arme lagen auf den Lehnen. Er sah aus, als schliefe er.

Shiviobs spitzförmige Glatze glänzte im grellen Licht. Er sah auf. »Er kommt bald zu sich.«

»Wie bald ist bald?«, fragte Rhodan.

»Das kann ich nicht genau sagen.«

»Schätze nach deinem besten Gewissen!«

Der Ara zögerte. »Höchstens noch dreißig Minuten. Donn Yaraduas Mutantenkräfte unterstützen den Vitalisierungsprozess auf ganz erstaunliche Weise. Die Gehirnwellenanalyse ist faszinierend.«

»So lange dürfen wir nicht warten«, sagte Rhodan.

»Jetzt oder nie«, ergänzte Anzu, die nur hoffen konnte, dass Rhodan sich ebenso wenig für Details der Gehirnwellenanalyse interessierte wie sie.

»Deine Cowboymentalität in allen Ehren«, konterte der Mediker, »aber hier haben wir es mit Medizin zu tun und nicht mit ...«

»Schon gut, ich verstehe«, fiel sie ihm ins Wort.

»Kannst du ihn aufwecken?«, fragte Rhodan. »Sofort?«

Shiviob zögerte. »Es ist möglich, jedoch aus medizinischen Gründen nicht empfehlenswert.«

»Kannst du es verantworten? Wird er schwere Schäden davontragen? Als wir ihn von den Xenobots befreit und ihn dadurch aufgeweckt haben, sagte er, er würde bald sterben. Was ...«

»Ich weiß es nicht!«, fiel der Mediker ihm ins Wort. »Ich habe mir darüber lange den Kopf zerbrochen. Seine Physiologie ist mir fremd.« Er ging zwei Schritte zurück, lehnte sich gegen die Wand. Seine Mundwinkel hingen hinab. »Er ist ein Thesan! Ist dir klar, was das bedeutet? Ich weiß viel zu wenig über seine Körperfunktionen! Mir fehlen Vergleichswerte. Ich beobachte und ziehe meine Schlussfolgerungen, ich vermag sehr vorsichtig einzuwirken und zu behandeln, aber ich bin kein Hellseher! Hahaha!« Das Lachen sprach er aus, und kein Funken Humor schwang darin mit. »Vielleicht ganz im Unterschied zu ihm! Können Thesanit nicht in die Zukunft sehen?«

»Manche von ihnen, die Lashas, erhaschen etwas, unter besonderen Umständen«, sagte Rhodan. Der Begleiter dieses Mannes, Jathao Vanoth, war ein solcher Lasha gewesen. »Doch darum geht es nicht. Kannst du ihn aufwecken oder nicht?«

»Habe ich das nicht bereits gesagt?«, konterte der Mediker. »Ich könnte – aber ich ...«

»Ich werde es tun!« Donn Yaradua öffnete überraschend die Augen und stand auf. »Ich bin mir sicher, dass der Thesan es gut überstehen wird. Ich habe mit meiner Gabe auf seinen Stoffwechsel zugegriffen und seine Heilung unterstützt. Ich gebe ihm einen belebenden Impuls, der ihn aufweckt.«

»Tu es!«, forderte Rhodan.

Donn trat an den reglosen Patienten heran, legte ihm eine Hand auf den Brustkorb. Der Thesan trug einen Ganzkörperanzug aus rotem Stoff, der eng anlag und Arme und Beine umschloss, ja sogar die Füße völlig bedeckte, so eng, dass jeder Zeh einzeln sichtbar war.

»Ich versuche es«, murmelte Donn.

Ein Ruck ging durch den Körper des Fremden. Der Thesan sog Luft ein und setzte sich auf, als hätte er einen Stromschlag erhalten.

 

*

 

Zaradon Genuthu ähnelte einem extrem blassen Terraner, war allerdings sehr hager. Das dunkle, fast schwarze Haar ließ das Gesicht mit den hellen, wasserblauen Augen noch bleicher aussehen.

»Wo bin ich?«, fragte er, während sein Oberkörper schwankte und nach hinten fiel.

Shiviob fing ihn auf und legte ihn sanft auf der Pritsche ab. »In Sicherheit. Ich habe dich behandelt.«

Die Translatoren konnten die Sprache der Thesanit dank Rhodans Kontakt mit Zemina Paath problemlos übersetzen. »Dein körperlicher Zustand ist einigermaßen stabil.«

»Wir haben dich in unser Fahrzeug gebracht«, sagte Perry Rhodan. »Erinnerst du dich?«

»Ja.« Genuthus Blick wanderte zu dem Mediker, dann zu Anzu. »Es war noch jemand dabei. Ein Mutant. Er hat uns aus der Sonde teleportiert. Wo ist er? Wir müssen zurückkehren!«

»Ganz in der Nähe. Er wartet darauf, uns zurückzubringen, um die Anti-Hyperstrahlenquelle zu zerstören. Aber ohne dich. Du bist zu sehr geschwächt. Erst danach sind wir in der Lage, uns wieder frei zu bewegen und auch dich endgültig in Sicherheit zu bringen.«

»Für mich gibt es keine Sicherheit mehr«, widersprach der Thesan. »Ihr habt mich befreit und damit meinen Tod eingeleitet.«

Die Nüchternheit, mit der er diese für ihn niederschmetternden Worte vorbrachte, erstaunte und erschreckte Anzu gleichermaßen. Aber wieso war er so überzeugt, dass er sterben musste?

»Soweit ich deinen Körper medizinisch untersuchen kann, wirst du gesunden«, sagte Shiviob. »Gerüchte über deinen bevorstehenden Tod halte ich für stark übertrieben.«

Genuthu hob eine Hand – eine schwache Abwehrbewegung. »Später. Ihr wollt also in die Sonde zurückkehren und habt mich deshalb aus der Ohnmacht geholt?«

Perry Rhodan bestätigte.

»Das ist gut. Sehr gut. Wenn ihr es nicht tut, werden die Maschinen der Candad-Suil uns entweder bis in alle Ewigkeit hier festhalten oder zu härteren Mitteln greifen.«

»Warum haben sie nicht schon längst zugeschlagen?«, fragte Anzu.

»Vielleicht, weil ihr euch still verhaltet«, sagte Zaradon Genuthu. »Aber erstens kann sich das jederzeit ändern, und zweitens kann ich nicht denken wie sie. Kein Lebewesen kann das! Sie ... sie sind un-berechenbar!«

»Es sind Maschinen«, sagte Anzu.

»Sie gehören zu den Candad-Suil!« Im Verhalten des Thesan gab es keine Spur der ruhigen Gelassenheit mehr, die er angesichts seines eigenen bevorstehenden Todes an den Tag gelegt hatte. Die Vorstellung dieser fremdartigen Entitäten erschütterte ihn offenbar bis ins Mark. Er sah auf unbestimmte Weise alt und erschöpft aus.

Anzu jagte bei dieser Beobachtung ein Schauer über den Rücken.