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Marcus Wadsak

Klimawandel

Fakten gegen
Fake & Fiction

Unter Mitarbeit von Georg Renöckl

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Besuch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der ORF-Wetterredaktion im Herbst 2019

Ich habe Marcus Wadsak im ORF-Studio besucht und war beeindruckt von seiner Arbeit als Meteorologe und Fernsehmoderator. Er kann die Zusammenhänge von Wetter und Klimakrise wirklich gut erklären.

Alexander Van der Bellen

Inhalt

Einleitung

I. Es wird wärmer.

2018

Rekorde am laufenden Band

2019

Juni-Hitzerekorde

Alles nur Zufall?

II: Warum wird es wärmer?

Der Treibhauseffekt

Wie wir den Treibhauseffekt verstärken

War es früher nicht schon einmal viel wärmer?

Ein kurzer Exkurs: Wissenschaft, Politik und Klimawandel

III. Was passiert jetzt bei uns? Was wird noch passieren?

Der Klimawandel in den Schlagzeilen …

… und in der Wirklichkeit

Veränderte Strömungsmuster

Hitzewellen

Dürreperioden

Hochwasser

Gletscherschmelze

Anstieg des Meeresspiegels

Kipppunkte und Rückkopplung

IV. Was können wir tun?

Mit Herz und Verstand handeln

Gegenmaßnahmen

Minderungsmaßnahmen

Mobilität

Ernährung

Konsum

Politik

Anpassungsmaßnahmen

Landwirtschaft

Tourismus

Stadt- & Raumplanung

Minderung und/oder Anpassung?

Klima, Tabasco und Psychologie

V. Schlusspunkt

Quellen

Abbildungsverzeichnis

Einleitung

Vielleicht fragen Sie sich gerade, wie der Wettermann aus dem Fernsehen eigentlich dazu kommt, über das Klima zu reden und sogar ein Buch darüber zu schreiben.

Nun, der Klimawandel beschäftigt mich seit 1990. In diesem Jahr habe ich mit dem Studium der Meteorologie begonnen, und die Klimatologie ist ein Teil davon. Im Lauf meines Berufslebens entschied ich mich dann zwar für das Wetter, interessierte mich aber weiterhin für das Klima und seine Veränderungen. Deren Folgen hatte ich schließlich bereits als Student zu spüren bekommen, als ich in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre während der Ferien als Bademeister jobbte. Es waren die ersten Sommer, besonders 1992 und 1994, mit ungewöhnlich vielen Hitzetagen, jedenfalls im Vergleich zu früher. Mir ist das sehr zugutegekommen, da ich viele Überstunden machen konnte: Die Bäder waren von früh bis spät voll, und ich verdiente richtig gut. Was wir damals als extrem erlebt haben, ist jedoch aus heutiger Sicht schon wieder normal.

Das Thema Klimawandel fühlte sich vor etwa dreißig Jahren für die meisten Menschen räumlich und zeitlich noch sehr weit weg an. Man sah immer wieder Bilder von abgemagerten Polarbären auf dahinschmelzenden Eisschollen und wusste, dass uns das eines Tages noch beschäftigen würde. Als besonders dringend oder nahe empfanden wir das jedoch nicht.

2006 habe ich meinen ersten Vortrag über den Klimawandel gehalten. Gelegentlich hört man ja, es würde bei solchen Gelegenheiten Katastrophenstimmung oder so etwas wie eine „Klimapanik“ verbreitet. Ein Blick auf meine Unterlagen von einst zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist: Die Studien, auf die ich mich bei der Vorbereitung gestützt hatte, waren sogar sehr vorsichtig und keineswegs übertrieben. Sie stammten vom IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), auch Weltklimarat genannt. Dieser wurde ins Leben gerufen, um den wissenschaftlichen Forschungsstand zum Klimawandel, dessen Ursachen und Folgen zusammenzutragen. Diese Zusammenfassungen dienen weltweit der Politik und der Wirtschaft als Entscheidungsgrundlage. Die regelmäßig erscheinenden Sachstandberichte des IPCC gelten als glaubwürdigste Darstellungen zum Thema. Dafür wurde ihm 2007 sogar der Friedensnobelpreis verliehen.

Der IPCC hat sehr konservativ geschätzt, wie die globale Erwärmung ablaufen würde: Was wir heute messen, liegt am oberen Rand des damaligen Vorhersagebereichs.

Im Lauf der Jahre sind das Interesse an Vorträgen und der Wunsch nach mehr Informationen zum Klimawandel ständig größer geworden, in den letzten drei Jahren ist die Nachfrage regelrecht explodiert. Ich könnte heute mehr als einen Vortrag pro Woche halten – dabei haben sich die Inhalte seit 2006 eigentlich kaum verändert: Die Prognosen waren da, die Auswirkungen waren klar, und wir kannten bereits die Möglichkeiten, wie man das Schlimmste hätte verhindern können.

Das heißt: Alles, worüber wir heute viel intensiver und dringlicher diskutieren müssen, wissen wir seit vielen Jahren. Es hat aber sehr lange gedauert, bis das Thema endlich in der Öffentlichkeit angekommen ist. Durch die späte Reaktion haben wir wertvolle Zeit verstreichen lassen, in der wir bereits das Richtige hätten tun können. Es würde uns heute sehr helfen.

Mittlerweile beginnen wir die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels schon bei uns in Österreich und überall in Mitteleuropa zu spüren. Berichte über die oft dramatischen Folgen der Erwärmung der Atmosphäre finden fast täglich ihren Platz in den Medien.

Ich sehe heute eine meiner Aufgaben darin, die Kommunikation zum Thema Klimawandel zu verbessern und meinen Beitrag dazu zu leisten. Daher habe ich vor drei Jahren eine internationale Plattform zum Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen auf der ganzen Welt mitgegründet. Sie heißt Climate without Borders und ist ein Netzwerk von TV-Meteorologinnen und Meteorologen sowie Wettermoderatorinnen und Wettermoderatoren – gemeinsam haben wir täglich etwa 375 Millionen Zuseherinnen und Zuseher. Wir wollen das Bewusstsein für das Klima stärken und eine breite öffentliche Unterstützung für Klimaschutzmaßnahmen schaffen. Fernsehmeteorologen erfreuen sich großer Popularität, erreichen viele Menschen und haben eine hohe Glaubwürdigkeit. Dazu können sie ihren Zuseherinnen und Zusehern komplexe Zusammenhänge verständlich und anschaulich erklären. Climate without Borders hat Mitglieder auf allen Kontinenten dieser Erde und führt zu einem regen Austausch von Erfahrungen, aktuellen Ereignissen und Best-Practice-Beispielen für eine gelungene Klimakommunikation.

Sehr erfreulich finde ich, dass sich nun auch vermehrt junge Menschen an der Diskussion beteiligen. Einen bedeutenden Beitrag leisten Greta Thunberg und die „Fridays for Future“-Bewegung: Schülerinnen und Schüler kommen jetzt mit ihren Sorgen und Forderungen nach Hause, und die Eltern müssen mit ihnen reden. Es ist ein wichtiges Gespräch, das dadurch zwischen den Generationen begonnen hat.

Das Jahr 2019 wurde von weltweiten Klimademonstrationen geprägt. Es war aber auch für mich persönlich ein aufregendes Jahr. Schon im Frühjahr durfte ich beim Austrian World Summit in der Wiener Hofburg vor über zehntausend Menschen über den Klimawandel sprechen.

Dieses jährlich stattfindende Gipfeltreffen wird vom Netzwerk R20 Regions of Climate Action organisiert, bei dem 560 regionale und subnationale Regierungen gemeinsam daran arbeiten, ihren Energieverbrauch und Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren.

Auf der Bühne standen auch António Gutierrez, Arnold Schwarzenegger und Greta Thunberg. Wenig später hat mich Bundespräsident Alexander Van der Bellen vor seiner Abreise zum Klimagipfel nach New York besucht, um auch mein Know-how dorthin mitzunehmen.

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Mit voller Kraft gegen den Klimawandel

In die Diskussion um den Klimawandel ist in den letzten beiden Jahren also viel Bewegung gekommen. Gleichzeitig ist es schwierig geworden, an gute Informationen zu gelangen. Man findet im Internet unendlich viel zum Thema – viel Gutes, aber auch einiges Irreführende, darunter bewusst gestreute Falschinformation. Es ist für einen Laien oft schwierig, Richtig von Falsch zu unterscheiden. Auch persönliche Erinnerungen verzerren manchmal die Wirklichkeit. Weiße Weihnachten bleiben uns dauerhaft im Gedächtnis, selbst wenn es sie nur einmal gegeben hat – wir glauben dann, es war immer so. Und der eine oder andere Sommer war in Wirklichkeit gar nicht so heiß, wie man es doch ganz sicher erlebt zu haben meint. Sogar mit Zahlen, Daten und Fakten ist es oft schwer, gegen fest verankerte Erinnerungen anzukommen.

Das Buch, das Sie nun in Händen halten, soll Ihr bereits vorhandenes Wissen zum Klimawandel ergänzen und Ihnen dabei helfen, in der Diskussion um den Klimawandel, seine Ursachen und seine Folgen den Überblick zu behalten sowie gesicherte Informationen von Un- und Halbwahrheiten zu unterscheiden. Es steht auf der Grundlage der besten und aktuellsten Erkenntnisse der Wissenschaft, ist dabei aber kompakt und – hoffentlich! – leicht verständlich. Es ist als Gesprächsbasis für jedermann und jedefrau gedacht – denn vom Klimawandel betroffen sind wir schließlich alle.

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2018

„Das Wetter spielt verrückt.“ Sehr oft hörte ich in den letzten Jahren diesen Satz, und er stimmt: Wir erleben immer häufiger Dinge, die es noch nie zuvor gegeben hat. Zum Beispiel im Jahr 2018, einem aus meteorologischer Sicht in vielerlei Hinsicht bemerkenswerten Jahr. Zum einen, was die Zahl der Sommertage betrifft. So nennen wir Meteorologen – unabhängig von der tatsächlichen Jahreszeit – Tage mit über 25° C. Im Jahr 2018 hatten wir in Andau im Burgenland 127 solche Tage. Der alte österreichische Rekord, gemessen in Leibnitz im Jahr 2003, lag bei 120 Tagen. Das bedeutet, wir hatten 2018 eine ganze Woche Sommer mehr als im Hitzesommer vor 15 Jahren – und der war ja auch schon alles andere als normal. Ähnliches ließ sich an anderen Orten beobachten: Eisenstadt hat im langjährigen Durchschnitt 66 Sommertage, im Jahr 2018 waren es 110. Das ist nicht ein bisschen mehr, das ist gewaltig.

Temperaturabweichung

vom Klimamittel 1901–2000

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2018 hielt aber noch einige Verrücktheiten mehr bereit: Im Februar und im März gab es echte Kältewellen, einmal bin ich auf dem Neusiedler See ins Eis eingebrochen. Wenig später, am 2. April, hat eine durchgehende Wärmephase bis in den November hinein begonnen, ein unendlich langer Sommer. In Eisenstadt betrug die Temperaturabweichung vom Mittel 2° C, doch nicht nur im Burgenland war es zu heiß. Es war in Österreich im Jahr 2018 ausnahmslos überall zu warm. Manche Gebiete lagen sogar bis 2,7° C über dem Schnitt, etwa der Donauraum oder das Weinviertel. Keine einzige Region wies in diesem Jahr eine unterdurchschnittliche Temperatur auf. Damit hat sich 2018 an die Spitze gesetzt: Es war das wärmste Jahr in der 250-jährigen Messgeschichte.

Bei meinen Vorträgen zum Klimawandel höre ich erstaunlich oft den Satz: „Das hat es doch früher auch schon gegeben.“ Nun, neue Rekorde bedeuten schlicht und ergreifend das Gegenteil, nämlich: „Das hat es so noch nie zuvor gegeben.“ Was wir gerade erleben, ist etwas, das weder wir noch sonst jemand in den letzten 250 Jahren in Österreich erlebt hat: Es gab ganz einfach noch nie ein Jahr, das so warm war wie 2018. Es ist mir wichtig, das hier zu Beginn des Buches in aller Deutlichkeit zu sagen, und das sollten Sie auch im Hinterkopf behalten.

Rekorde am laufenden Band

Wenn Sie sich die obige Grafik mit der Temperaturentwicklung über die letzten 250 Jahre anschauen, dann sehen Sie, dass sich die längste Zeit über warme und kalte Jahre abwechseln und die Temperaturen mit geringen Abweichungen um ein wohldefiniertes Mittel pendeln. Im Jahr 2000 hat sich das radikal geändert. Seither gibt es nur noch Jahre, die überdurchschnittlich warm sind. Auf meine Familie und mich übertragen, heißt das etwa Folgendes: Meine beiden älteren Kinder, die 1999 und 2000 geboren sind, haben noch nie ein durchschnittliches Jahr in Österreich erlebt. Jedes einzelne Jahr in ihrem Leben, das mittlerweile auch schon an die zwanzig Jahre dauert, war überdurchschnittlich warm. Zum Vergleich: 1975, als ich vier Jahre alt war, hatte es an keinem einzigen Tag in Wien 30 °C. Das ist zwar das einzige Jahr in dieser Zeitreihe, doch in meiner Kindheit war es normal, dass die Temperatur an rund zehn Tagen 30° C erreichte, das war dann schon ein guter Sommer. Mittlerweile leben wir in einer Zeit mit über 35 heißen Tagen, an denen es 30° C und mehr hat.

Schauen wir uns jetzt die zehn wärmsten Jahre in Österreich an:

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Von diesen zehn Rekordjahren sind neun seit 2000 aufgetreten, nur eines davor: 1994, und das ist auch nicht so lange her.

Wenn Sie also, die Sie jetzt dieses Buch lesen, fünfundzwanzig Jahre oder älter sind, dann haben Sie die zehn wärmsten Jahre, die es in Österreich jemals gegeben hat, miterlebt.

2019

2019 hat sich dieser Trend auf dramatische Weise fortgesetzt, gleich im Februar wurden neue Rekorde aufgestellt:

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Noch nie war es in Österreich im Februar so warm wie in Güssing mit 24,2° C. Wir waren damit nicht allein: Rekordtemperaturen wurden in diesem Februar 2019 europaweit gemessen, und zwar in Belgien, den Niederlanden, in Luxemburg, Großbritannien und Schweden.

Man kann es nur wiederholen: Wir erleben derzeit extreme Wetterereignisse und Temperaturen, die es noch nie zuvor gegeben hat. Auch der März, der diesem außergewöhnlichen Februar folgte, war deutlich zu warm – mit ihm endete die wärmste 12-Monate-Messperiode der Geschichte.

Nie zuvor war es durchgehend so warm wie in den Monaten von April 2018 bis März 2019. Sogar der Jänner 2019 mit seinen Schneemassen war überdurchschnittlich warm, die Temperatur lag 0,5° C über dem Schnitt. Erst der Mai 2019 lief gegen den Trend: Er war zu kalt und zu nass, das ist vielen noch in Erinnerung. Darauf folgte aber gleich wieder ein Juni, der alles in den Schatten gestellt hat, und zwar mit einer Temperaturabweichung von +4,7° C. Es sind also massenhaft Rekorde gefallen, es war der heißeste, trockenste und sonnigste Juni der Messgeschichte.

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