I.

Harald Kaas war sechzig Jahre alt geworden. Er führte nicht mehr sein flottes, von jeglicher Kritik unbehelligtes Junggesellenleben. Man sah seinen Lustkutter des Sommers nicht mehr an der Küste, seine Winterreisen nach England und nach dem Süden hatten aufgehört; ja, man begegnete ihm nur noch selten in seinem Klub in Kristiania.

Auch füllte seine Riesengestalt nicht mehr wie in alten Zeilen die Türöffnung aus. Obeinig war er stets gewesen, aber der Winkel war größer geworden. Auch die Herkuleslinie des Rückens war jetzt rund, und er ging gebeugt. Seine Stirn war eine der breitesten gewesen; keines andern Hut paßte für seinen Kopf. Jetzt war sie auch eine der höchsten. Er hatte nämlich kein Haar mehr, außer einem kleinen Büschel an den Ohren und einem dünnen Kranz im Nacken. Jetzt ergriff er das Branntweinglas gewöhnlich mit beiden Händen – sie zitterten ihm. Selbst die Zähne, die klein aber stark und von Tabak geschwärzt waren, fingen an auszufallen. Er war stets mit halb geschlossenen Händen gegangen, als hielten sie etwas fest; jetzt krümmten sie sich, sie konnten sich nicht mehr ganz ausstrecken. Den kleinen Finger an der Linken hatte ihm ein Riese, den er zu Boden streckte, aus Dankbarkeit abgebissen. Kaas erzählte das Ereignis so, daß er den Burschen gezwungen habe, ihn gleich darauf zu verschlingen. Jetzt war es seine Lieblingsbeschäftigung, den Stummel zu streicheln. Oft ward dies die Einleitung zu Erzählungen von seinen Heldentaten, die größer und größer wurden, je mehr er alterte und müßig dasaß.

Seine kleinen, lauernden Augen lagen tief im Kopf und sahen einen so forschend an. Es lag Macht in seiner Persönlichkeit und scharfer Verstand in seinem Schädel; so besaß er auch ein hervorragendes mechanisches Talent. Seine unerschütterliche Selbstbewunderung war nicht ohne Größe, und der Nachdruck, mit dem sich Körper und Geist zu erkennen gaben, machten ihn zu einem der Originale des Landes. Weshalb war nicht mehr aus ihm geworden?

Er wohnte auf seinem Gute Helleberg, er hatte große Wälder an der Küste entlang und zinspflichtige Bauernhöfe flußaufwärts.

Einstmals hatte es der Familie Kurt gehört und war insofern jetzt an sie zurückgefallen, als es eine allgemein bekannte Tatsache war, daß sein Vater kein Kaas, sondern ein Kurt gewesen. Er vereinte den alten Familiensitz wieder in einer Hand; über die Art und Weise und die Mittel könnte man ein Buch schreiben.

Das Wohnhaus lag an einer von mehreren Werdern umkränzten Bucht; außerhalb derselben lagen noch mehr Werder und das offene Meer. Ein unendlich langes Gebäude, auf einer alten Riesenmauer neu erbaut, der östliche Flügel nur halb eingerichtet, der linke Harald Kaas als Wohnung dienend – hier lebte er sein wunderliches Leben. Beide Flügel waren verbunden durch zwei eingemauerte Galerien, eine über der andern, mit Treppen an beiden Enden. Sonderbarerweise lagen diese Galerien nicht nach dem Meere, also nach Süden, sondern nach den Feldern und Wäldern, also nach Norden hinaus.

Zwischen den beiden Flügeln, inwendig im Hause, war neutrales Gebiet, nämlich ein großer Speisesaal unten und ein großer Tanzsaal oben; in den letzten Jahren war keiner dieser Räume benützt worden.

Harald Kaas' Wohnung bezeichnete von außen der gewaltige Kopf eines Elentiers mit ungeheuren Hörnern, der über der Galerie angebracht war. In der Galerie selber hingen Köpfe von Bären und Wölfen und Füchsen und Luchsen, sowie ausgestopfte Land- und Wasservögel. In der Vorhalle bedeckten Felle und Gewehre die ganzen Wände. Auch die Zimmer waren voll von Fellen und zeichneten sich durch einen strengen Geruch nach Wild und kaltem Tabak aus; er selber nannte das »Mannsgeruch«. Niemand, der einmal die Nase hineingesteckt hatte, vergaß ihn je wieder. Kostbare, feine Felle an den Wänden, Fellteppiche an den Fußböden, selbst das Bett bestand aus lauter Fellen: Harald Kaas lag und saß in Fellen, ging in Fellen, und alle diese Felle bildeten willkommenen Stoff für die Unterhaltung, insofern als er selber jedes einzelne Tier geschossen und abgezogen hatte. Freilich gab es Leute, die behaupteten, daß die meisten Felle bei Brandt und Compagnie in Bergen gekauft, und daß nur die Jagdgeschichten hier geschossen seien. Ich meinerseits glaube, daß das Übertreibung ist. Wie sich die Sache nun aber auch verhalten mochte, so machte es immerhin einen gewaltigen Eindruck, wenn Harald Kaas in seinem hölzernen Stuhl am offenen Feuer saß, die Füße auf dem Bärenfell, und das Hemd öffnete, um uns die Narben auf seiner behaarten Brust zu zeigen. Was für Narben waren das? Sie rührten von den Zähnen des Bären her; damals, als Kaas dem Untier das Messer bis an den Schaft ins Herz getrieben. Alle die seltenen Krüge und Schränke und geschnitzten Stühle lauschten der Erzählung in gewohnter Ruhe.

Harald Kaas zählte sechzig Jahre, als er im Monat Juli mit vier Damen in die Bucht gesegelt kam: er hatte sie vom Dampfer abgeholt. Sie sollten bis in den August bei ihm bleiben. Eine ältere und drei jüngere, alles Verwandte von ihm: sie sollten im oberen Stockwerk wohnen. Dort hörten sie ihn unter sich gehen und grunzen und waren zu Anfang sehr ängstlich. Drei von ihnen hatten auch ihre Bedenken gehabt, seine Einladung anzunehmen, und diese Bedenken verringerten sich nicht, als sie Kaas am nächsten Morgen splitternackt von der See heraufwandeln sahen. Sie schrien und krochen zusammen in ihren Nachtgewändern und berieten, ob es nicht das richtigste sei, sofort wieder abzureisen. »Du hättest uns nicht rufen sollen, Tante, dann hätten wir es nicht gesehen«: dann mußten sie alle unwillkürlich lachen, und damit war der Sache die Spitze abgebrochen.

Beim Frühstück waren sie ja freilich sehr zurückhaltend: als ihnen aber Harald Kaas von einer alten, schwarzen Stute erzählte, die er besitze und die in einen jungen, braunen Hengst beim Propst verliebt sei und die wie besessen um sich schlage, sobald ein anderer Hengst Annäherungsversuche mache, dagegen den Kopf verliebt auf die Seile lege und »wiehere wie ein feines Fräulein«, sobald der Propsthengst zu hören sei, nun ja, da meinten die Damen, es sei wohl das beste, jetzt gleich zu kapitulieren. Hatten sie sich aus Neugier hierher verirrt, so mußten sie die Natur ertragen, wie Harald Kaas zu sagen pflegte (mit dem Nachdruck auf der ersten Silbe). Und doch ängstigten sie sich in der nächsten Nacht fast die Seele aus dem Leibe: er schoß gerade unter ihren Fenstern.

Die Tante behauptete sogar, er habe durch ihr offenes Fenster geschossen. Sie schrie laut auf, und die anderen fuhren aus dem Schlaf: sie waren aus den Betten, ehe sie sich's versahen. Und dann lehnten sie sich zu den Fenstern hinaus und spähten, obwohl die Tante versicherte, man werde sie erschießen. Sie mußten doch sehen, was es war. Ja, da drinnen zwischen den Kirschen- und Apfelbäumen sahen sie ihn eine Weile darauf mit dem Gewehr umhertraben und hörten ihn fluchen. Alle krochen, zum Tode erschreckt, wieder ins Bett. Am nächsten Morgen erfuhren sie, daß er mit Hagel auf die nächtlichen Freier geschossen habe: einer von ihnen habe eine halbe Ladung in die Waden bekommen, das sei ihm, hol mich der Teufel, sehr gesund. Es sei nicht die Sache an sich: er könne gern auf Freierei ausgehen, nur nicht hier. »Denn für den Bedarf auf unserem Hof sind wir Kerle genug: das besorgen wir selber.« Die vier Damen saßen da wie eben angezündete Stearinkerzen auf einem Kirchenleuchter, bis eine von ihnen brüllend aufsprang. Und dann brüllten sie alle.

Die vier Damen langweilten sich nicht. Dazu war Harald Kaas viel zu reichhaltig an Unglaublichkeiten. Auch herrschte Stimmung in den großen Wäldern, die keine Axt berührt hatte, seit Harald Kaas Herr des Gutes war. Am Flusse entlang gab es die schönsten Spaziergänge und im Flusse selber Fische in Menge. Sie badeten, machten amüsante Fahrten mit dem Kutter und zu Wagen in der Umgegend, obwohl die Fahrgelegenheiten nicht die neuesten waren.

Das jüngste der Mädchen, Kirsten Ravn, fing an, sich von den anderen zurückzuhalten. Es hatte sie eine Leidenschaft für den östlichen, unfertigen Flügel erfaßt: dort verbrachte sie lange Stunden allein am offenen Fenster. Dort standen Bäume, große Linden, unbeschnitten, mystisch. »Sie sollten einen Altan hier nach der See hinaus bauen«, sagte sie zu Kaas; »sehen Sie, wie die See unter den Linden glitzert!« Was sie sich einmal in den Kopf gefetzt hatte, gab sie so leicht nicht wieder auf, und als sie dann zum vierten- und zum fünftenmal damit kam, versprach er, es zu tun. Kaum aber hatte sie dies erreicht, als sie weiterging. »Unter dem ersten Altan muß noch ein zweiter, breiterer angebracht sein«, sagte sie mit ihrer sanften Stimme. »Und der muß eine Treppe zu beiden Seiten haben, die ins Grüne hinabführt: das Grün ist gerade hier so herrlich.« Schon allein die ganz unerhörte Kühnheit, so etwas von ihm zu verlangen, imponierte ihm. Endlich gab er auch hierin nach.

»Die Zimmer müssen eingerichtet werden«, befahl sie in vollem Ernst. »Das, was auf den Altan hinausgeht, der hier unten gebaut werden wird, in ölfarbenem Tannenholz, und der Fußboden muß gebohnert werden.« Sie streckte ihre lange, feine Hand aus und zeigte. »Alle Fußböden müssen gebohnert werden. Zu dem oberen Zimmer werde ich Ihnen die Zeichnung liefern. Ich habe die Sache genau durchdacht« – und ihre großen, verwunderten Augen tapezierten die Wände, stellten die Möbel zurecht, hängten Gardinen in eigenartigen Mustern auf. »Ich weiß auch, wie die anderen Räume sein sollen«, fügte sie hinzu, ging hinein und hielt sich in jedem eine Weile auf. Er folgte wie ein altes Pferd am Zügel. Als die vier Damen die Hälfte der Zeit dort gewesen waren, vernachlässigte er mit der größten Gemütsruhe drei von ihnen.

Seine tiefliegenden Augen zwinkerten in lebhafter Bewegung, wenn sie dahergegangen kam; er suchte die Augen der anderen, um ihre Bewunderung der seinen hinzufügen zu können: er umkreiste sie wie ein alter photographischer Apparat, der sich selber aufstellen kann. Als sie eines Tages ein französisches Lehrbuch der Mechanik aus seinem Bücherschrank genommen hatte und es nicht nur verstand, sondern sagte, die Mechanik sei wohl im Grunde das, wofür sie Anlage habe, da war er geliefert. Sobald sie seit jenem Tage nur sichtbar wurde, löschte er seine eigene Persönlichkeit sowohl im Handeln als auch im Reden aus. Gleich des Morgens, wenn sie in einer ihrer originellen Morgentoiletten erschien, lachte er still vor sich hin, oder er starrte, starrte und sah zu den anderen hinüber. Sie sprach nicht viel, aber jedes Wort, was sie sagte, erregte seine Bewunderung. Ganz hingerissen war er, wenn sie schweigend dasaß und sich um niemand kümmerte; dann glich er einem alten Papagei, der den Kopf schief auf die Seite legt in Erwartung eines Stück Zuckers. Seine Wäsche war stets blendend weiß; sonst machte er sich keinerlei Umstände mit seiner Toilette. Jetzt aber stolzierte er in einem bastseidenen Rock umher, den er sich einmal in Algier gekauft, aber gleich weggehängt hatte, weil er ihm zu eng war. Er sah darin aus wie eine beschnittene Buchsbaumhecke.

Wer war denn aber diese einundzwanzigjährige Löwenbändigerin, die, ohne es nur im geringsten zu wollen, ja, ohne sich überhaupt die geringste Mühe zu machen – sie war nämlich die stillste von ihnen allen – das stärkste Tier des Waldes zwang, sich in den Sand auf den Bauch zu legen, und sie in weltvergessener Demut anzustarren.

Beachte sie, wie sie jetzt dasitzt mit ihrem aufgelösten, glänzenden Haar, rot vom schönsten Dunkelrot; beachte ihre breite Stirn und hohe Nase, vor allem aber diese großen, verwunderten Augen! Schau ihn an, diesen ihren Hals und seine Fortsetzung; folge den Linien der langen Taille, des schlanken Wuchses! Betrachte genau das Renaissancekleid, das sie trägt, seinen Schnitt, seine Farbe, und du wirst sehr neugierig sein, denn sie ist etwas ganz für sich.

Kirsten Ravn verlor ihre Mutter an dem Tage, als sie geboren wurde, und ihren Vater, als sie fünf Jahre zählte. Er hinterließ ihr ein hübsches Vermögen unter der ausdrücklichen Bedingung, daß das Kapital nicht angerührt werde, und daß die Zinsen von ihr allein verbraucht würden, sie mochte sich verheiraten oder nicht. Auf diese Weise dachte er, ihren Charakter zu beeinflussen. Sie ward von drei verschiedenen Mitgliedern der weitverzweigten Familie erzogen, die man viel eher einen Volksstamm hätte nennen können, da sie kein weiteres gemeinsames Kennzeichen besaß als den Trieb, jeder seinen eigenen Weg zu gehen. Wo zwei Ravns zusammentreffen, sind sie sich in der Regel über alles uneinig, worüber sie sprechen; doch halten sie, wie gesagt, unauflöslich zusammen. Ja, in ihren Augen gibt es eigentlich keine andere Familie, die »amüsant« ist – das Lieblingsadjektiv aller Ravns.

Kirsten war ein rezeptives Talent; sie las alles und behielt alles, was eigentlich bedeutet, daß sie einen logischen Kopf hatte, denn behalten ist ja gleichbedeutend mit ordnen. Sie war infolgedessen Nummer eins in allem, was sie anfaßte; dies und dann der Umstand, daß sie bei anderen war, die ein wenig in ihr spekulierten, ihr folglich schmeichelten, beeinflußte ebenso frühzeitig ihren Charakter wie das Geld es tat. Sie war in keiner Weise hochmütig, das waren die Ravns niemals, aber mit zehn Jahren wollte sie nicht mehr spielen; sie ging in den Wald und dichtete Heldenlieder. Mit zwölf Jahren wollte sie nur in Seide gehen, und trotz einer Tante mit Locken und vielen Spitzen und schrecklich vielen Worten setzte sie es durch. Sie war schlank und zierlich in ihrer Seide und nach wie vor Nummer eins. Sie machte Verse, die von Ritter Aage und Jungfer Else, von Vögeln und Blumen und großem Herzeleid handelten. Nachdem sie in den Kreis der Erwachsenen getreten war, wo andere junge Damen, denen ihre Mittel es erlauben, Seide anlegen, schloß sie mit der ihren ab. Sie war des »Glatten und Glänzenden« überdrüssig, ja, sie schwärmte jetzt für feine Wolle und teuren Samt in allen Farben. Kleider im Renaissancestil waren ihr die liebsten und der Gegenstand ihres Studiums. Sie trug sie vorn ausgeschnitten wie auf Leonardos und Raffaels weiblichen Porträts, legte es auch in anderer Weise darauf an, diesen zu gleichen. Sie schrieb keine Gedichte mehr, sondern Erzählungen, streng stilisiert, mit sprachlichem Feingefühl, aber keineswegs unmittelbar. Sie waren kurz, mit einer mehr oder weniger klaren Pointe. Erzählungen von einer achtzehnjährigen Dame pflegen kein Aufsehen zu erregen; diese waren aber in hohem Grade kühn. Ihr einziger Zweck war offenbar, Ärgernis zu erregen. Sie nannte ihren Namen nicht, sondern nahm das Pseudonym »Pus« an; es war indessen so verführerisch, zu verraten, daß der Autor, der in einer Zeit, wo alle Autoren so gern Ärgernis erregen wollen, dies mit der meisten Ruhe fertig brachte, eine fein erzogene Dame aus einer der besten Familien des Landes und nur achtzehn Jahre alt war. Bald wußten alle, daß Pus das junge Mädchen mit dem aufgelösten roten Haar, »die hohe Renaissance mit dem Tizianhaar« war. Das Haar war sehr reich, leicht gelockt und schimmernd; es lag aufgelöst über Schultern und Brust, eine Mode, die sie aus der Kinderzeit beibehalten hatte. Die Augen betrachteten alles, als sähen sie es zum erstenmal und waren auffallend groß; der untere Teil des Gesichts entsprach jedoch nicht der breiten Anlage nach oben zu. Die Kiefern gaben nach, die hohe Nase ließ den Mund kleiner erscheinen, als er war, und das Kinn existierte eigentlich nur als Anweisung auf ein zweites darunter, und dieses zweite gab wiederum eine süße Anweisung auf den Hals, besonders wenn der Kopf vornüber gebeugt war, was gewöhnlich der Fall zu sein pflegte. Diese doppelte Anweisung verdiente der Hals auch wirklich; er war fein von Farbe, edel und rund in der Zeichnung und wundervoll auf der Büste befestigt; aus dem Grunde konnte sie es nie übers Herz bringen, diese beiden Teile zu trennen, sondern ging mit entblößter, oberer Brust, denn auch diese war weiß und hoch gewölbt. Der Rand des Kleides schloß wie gegossen, etwas, worauf sie genau acht gab. Die Brüste saßen tief und waren nicht hervortretend, aber ihre feste Form, die schlanke Taille, darunter die keineswegs starken Hüften in dem strammen Kleide, ihre Haltung, der runde Arm, die lange Hand machten sie so elegant und apart, daß man sich nicht damit begnügte, zu sehen, man mußte sie studieren. Zog man alle Finessen des Kleides, alle Schmucksachen mit in Betracht, so begriff man, welche Intelligenz, welch künstlerischer Sinn hier angewendet war.

Sie war freundlich im Verkehr, gleichmäßig und still, stets durch irgend etwas in Anspruch genommen, mit immer verwunderten Augen. Die diskreten, wohlerwogenen Worte, die sie äußerte, waren nicht zahlreich; sowohl das als auch ihr ganzes Auftreten bewirkten, daß sich die Leute nicht recht an sie heranwagten. Besonders diejenigen, die wußten, wie klug die junge Dame war und welche Kenntnisse sie besaß.

Freundinnen hatte sie eigentlich nicht; aber die große, sie umschwärmende Familie sorgte für Verkehr, Freundschaft, Schmeicheleien, Lustigkeit und Schutz – sie mußte ins Ausland, um allein sein zu können. Sie war die Prinzessin der Familie; man huldigte ihr nicht nur, man wollte sie auch auf Leben und Tod verheiraten, was ihr durchaus zuwider war. Von ihren Zinsen hatte sie seit ihrer Kindheit eine bedeutende Summe zurückgelegt, aber lange nicht das, was die Familie daraus machte. Die Sage von diesem Reichtum trug nicht wenig dazu bei, daß »alle in sie verliebt waren«, nicht allein die ledigen Familienglieder männlichen Geschlechts – das war ganz selbstverständlich –, sondern auch Künstler und Kunstmatadore, besonders die blasierten, umschwärmten sie, la jeunesse dorée (die in Norwegen einfach genug ist), ohne Ausnahme.

Ein lebendes Kunstwerk von so und so hohem Preis, bewundert, pikant – sie wollten es nach Hause tragen, als ihr Eigentum und es unter vier Augen genießen. Es mußte in ihr eine reichere Intensität sein als in jeder anderen, ein diskretes Sichzurückziehen in einen einzigen – der unerreichbare Traum der Weltmüden. Mit ihr konnten sie ein bis zum äußersten stilvolles Leben in Kunst, Geschmack, Bequemlichkeit führen; ihre Bildung war ja die allerfeinste und so völlig vorurteilsfrei – unser kleines Land kannte in jenen Tagen kein verlockenderes Ziel. Sie wußten, wenn sie sie sahen, nicht, was sie tun oder wie sie sich anstellen sollten, in Profil oder in ganzer Stellung, ob sie lächeln oder ernsthaft aussehen, ob sie reden oder schweigen sollten. Ich sah einmal eine sehr hohe Windhündin von einer Menge kleiner Hunde umgeben, von denen keiner groß genug war. Weshalb hat keinen Maler dieser komische Vorwurf gefesselt? Sie sehnsuchtsvoll dahineilend wie eine kranke Ballade, ohne zu finden! Die anderen sehnsuchtsvoll hinterdrein keuchend, trunken von Geruch und Begier, bald in rasendem Kampf, der zu nichts nütze ist, nur zu erhöhter Qual.

Das Bild stimmt nicht, aber es ist absichtlich gewählt. Was diese müßigen Freier ihren Erzählungen, ihrer eigentümlichen Kleidung, ihren verwunderten Augen und ihrer stillen Träumerei unterschoben, war nicht das Allerfeinste; dadurch nährten sie ihre Hoffnung und ihre Energie. Dann aber stelle man sich ihre grenzenlose Enttäuschung vor, als es im Herbst verlautete, daß – Fräulein Kirsten Ravn sich mit Harald Kaas vermählt habe.

Man lachte laut vor Wut, man höhnte, man schrie. Man hatte anfänglich keine andere Erklärung, als daß dieser kahlköpfige Geier gewagt habe, was sich die anderen nicht erkühnt hatten.

Andere hingegen, die sie kannten und die größte Achtung vor ihr hatten, waren nicht weniger entsetzt. Sie waren mehr als enttäuscht, das Wort ist viel zu milde – viele trauerten wirklich. Was in aller Welt hatte dies bewirkt? Alle, außer ihr selber, wußten ja im voraus, daß damit ihr Leben ruiniert war. Auf Kirsten Ravns unabhängige Stellung, ihren starken Charakter, ihren seltenen Mut, auf ihr Wissen, ihre Begabung, ihre Energie hatten viele, besonders Frauen, eine Zukunft aufgebaut, auch in bezug auf die Frauenfrage: sie hatte ja schon rücksichtslos dafür geschrieben. Ihr Trachten nach Originalität, nach Paradoxen müsse sich ja abschleifen, dachten sie, sobald der Kampf sie mehr in den Vordergrund schob; schließlich würde sie eine der ersten Vorkämpferinnen für die Sache werden. Das Edle, Feine war stark bei Kirsten, es würde schließlich die Alleinherrschaft erringen.

Aber nun?

Die wenigen, die das Versehen des Lebens zu erklären suchen, statt sie zu verdammen, meinten – wenigstens einige von ihnen taten es – daß der Trotz in ihren Erzählungen, der Oppositionsdrang im ganzen wohl auf eine Eitelkeit deuteten, die zu Verirrungen führen könne. Andere behaupteten, sie sei im wesentlichen eine romantische Natur, die durchgehends die eigenen Kräfte wie auch die Verhältnisse im Leben überschätzte. Wiederum andere hatten gehört, die beiden Ehegatten lebten jeder in seinem Flügel, jeder mit seiner Dienerschaft, jeder von seinem Vermögen, ferner, daß sie gerade jetzt den Flügel nach ihrem eigenen Kopf mit eigenen Mitteln einrichte und so