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Heimat-Heidi
– Staffel 3 –

E-Book 21-30

Stefanie Valentin

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-371-2

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Ein weiblicher Hallodri

Kathrin stürzt die Burschen in Verwirrung

»Wann kommt die Mutti nach Haus’?« Steffi Berger sah ihre Großmutter fragend an.

Die sah auf die Uhr und zog die Augenbrauen zusammen. »Was machst denn du schon wieder hier? Müßtest du jetzt net in der Schule sein?«

Steffi reagierte unwirsch.

»Wo die Mutti ist möcht’ ich wissen.«

»Was ist denn los?« Luise, die Seniorchefin des Bergerhofs sah ihre Enkelin irritiert an.

Im gleichen Moment rannen dem hübschen Mädchen Tränen übers Gesicht.

»Aber, Kind…!« Luise ging auf ihre Enkelin zu, wollte einen Arm um sie legen, aber Steffi schüttelte den Kopf.

»Nein«, schluchzte sie, »sag mir nur, wo die Mutti ist…!«

Luise zögerte, doch dann war ihr klar, daß aus Steffi jetzt ohnehin nichts herauszubekommen sein würde.

»Deine Mutti ist in Oberstdorf beim Steuerberater«, antwortete sie.

»Wann kommt sie zurück?«

Luise sah noch mal auf die Uhr. »Sie müßt’ jeden Augenblick wieder da sein. Vielleicht kann ich dir ja…«

Doch Steffi hörte nicht zu, drehte sich auf dem Absatz um und verließ rennend die Küche des Bergerhofs.

Luise wußte, daß Mädchen in Steffis Alter schon mal Probleme mit sich selbst hatten. Ihre Enkelin würde bald achtzehn werden und stand außerdem kurz vor dem Abitur, was zusätzlich nervig war. Aber, und das spürte Luise überdeutlich, Steffi war nicht wegen eines der üblichen Teenagerprobleme so neben der Spur, es war mehr. Was Steffis Gedanken allerdings so durcheinander gebracht hatte, wußte sie nicht, und das machte ihr die meisten Kopfzerbrechen, denn Luise war im allgemeinen das, was man eine gutinformierte Frau nannte.

Sie überlegte einen Augenblick, ging dann zum Telefon, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer. Als sich kurz darauf die Kanzlei eines Oberst­dorfer Steuerberaters meldete, fragte sie nach ihrer Schwiegertochter.

»Ist die Heidi noch da?« wollte sie wissen.

»Sie ist eben gegangen«, antwortete die Sekretärin, »soll ich nachschauen, ob ich sie noch erreichen kann?«

»Nein, lassen S’ nur«, erwiderte Luise, »sie wird dann eh bald nach Haus’ kommen.«

»Sie wollt’ noch in die Apotheke«, sagte die Sekretärin, »vielleicht rufen S’ dort an.«

Luise bedankte sich und legte den Hörer auf.

Bei der Hirschapotheke, deren Besitzer Justus’ Freund Heidi schon seit langem verehrte, stellte diese immer den Wagen ab, plauderte einige Minuten mit ihm, um sich dann wieder auf den Nachhauseweg zu begeben, gar so gerne war sie nicht weg von der Sonnleiten.

Luise ging zurück in die Küche. Sie war so etwas wie die Küchenchefin, denn sie organisierte dort alles, und nach ihren Vorgaben wurde dort das Essen für die Gäste zubereitet.

Sie hatte sich gerade eine Schürze umgebunden, wollte mit Gemüseputzen beginnen, als sie Steffi aus dem Haus gehen sah. Man mußte keine große Menschenkennerin sein, um auch jetzt zu erkennen, daß mit ihr was nicht stimmen konnte, ihre Körperhaltung unterschied sich deutlich von der sonstigen.

Luise zögerte, wollte Steffi nicht zu sehr belatschern, denn dann blockte die total. Doch als ihre

Enkelin aus ihrem Blickwinkel verschwunden war, legte sie das Gemüse beiseite und ging hinaus.

»Was ist denn mit der Steffi los?« fragte Heidi, als sie wenige Augenblick später aus dem Wagen stieg. »Vor allem, was macht sie um die Uhrzeit hier zu Haus’? Warum ist sie net in der Schul’?«

Luise zuckte mit den Schultern. »Das kann ich dir leider net sagen, vor einer halben Stund’ stand sie plötzlich da, wollte wissen, wo du bist, hat keine Auskunft geben wollen, warum sie dich dringend sprechen wollt’, hat schließlich zu weinen angefangen und ist hinausgerannt.«

»Bei allen Heiligen«, murmelte die Bergerhof-Heidi, »was ist denn da passiert? Irgendwas muß doch passiert sein, sonst würd’ die Steffi doch net aus der Schul’ zurückkommen und weinend aus dem Haus rennen.«

Luise atmete tief durch, dann zuckte sie mit den Schultern.

»Ich weiß es net«, sagte sie, »jedenfalls war sie ziemlich durcheinander.«

»Ob was mit der Schul’ ist?« Heidi sah ihre Schwiegermutter fragend an.

Die stutzte. »Daran hab’ ich noch gar net gedacht. Was könnt’ denn sein mit der Schul’?«

»Na ja«, murmelte Heidi, »die Steffi geht immerhin mit Riesenschritten aufs Abi zu. Net, daß sie nachher gar net zugelassen wird.«

»Net zugelassen wird?« fragte Luise. »Was meinst du denn damit?«

»Es gibt eine Zulassungskonferenz«, antwortete Heidi, »da wird geregelt, wer zum Abi zugelassen wird. Möglicherweise war die gestern und die Steffi hat heut’ morgen erfahren, daß man sie net zugelassen hat.«

Luise starrte ihre Schwiegertochter benommen an. »Was willst du damit andeuten?«

»Ich deut’ nix an«, erwiderte Heidi, die inzwischen sehr nachdenklich wirkte, »ich denk’ nur, daß man sie vom Abi ausgeschlossen haben könnt’.«

»Und warum sollt’ man das getan haben?« Luise schüttelte den Kopf. »Also das kann ich mir net vorstellen.«

»Es muß aber einen Grund geben«, sagte Heidi, »warum meine Tochter um die Zeit so aufgelöst nach Haus’ gekommen ist. Sie war doch aufgelöst, oder?«

Luise nickte. »Das kann man sagen…!«

»Ich hab’s«, murmelte Heidi.

»Was hast du?«

»Ich ruf’ den Huber an.«

»Ihren Mathelehrer?«

Heidi nickte. »Genau den. Der hat heut’ frei. Die Steffi hat es mir letztens gesagt. Er wird also Zuhaus’ sein.«

»Und was willst du von dem?« fragte Luise.

»Der war bei der Konferenz«, antwortete Heidi, »er kann mir sicher sagen, ob man die Steffi vom Abi ausgeschlossen hat.«

Da atmete Luise tief durch. »Hoffentlich ist’s nur das…!«

»Wie bitte?« Heidi hatte den Telefonhörer schon in der Hand. Sie sah Luise irritiert an. »Was willst du damit sagen?«

»Daß es Schlimmeres gibt, als net zum Abi zugelassen zu werden.«

Heidi legte den Hörer zurück auf die Gabel, ging auf ihre Schwiegermutter zu, sah sie überaus aufmerksam an. »Hast… ich mein’, hast du einen Verdacht?«

Luise zögerte, dann schüttelte sie langsam den Kopf.

»Luise«, murmelte Heidi, »jetzt hör auf zu mauern. Sag, was dir durch den Kopf geht. Es geht um deine einzige Enkelin. Da hört der Spaß auf.«

Luise nickte. »Ich weiß, deshalb fürcht’ ich mich ja ein bissel.«

»Vor was fürchtest du dich…?« Heidi spürte, wie ihr Herz rascher zu schlagen begann.

»Daß die Steffi in eine dunkle Geschicht’ g’raten ist«, antwortete Luise leise, »eine Geschicht’, der ich zuerst keine Bedeutung beigemessen hab’.«

»Um was für eine Geschicht’ handelt es sich?« Heidis Mund wirkte trocken.

»Sie ist letztens mal mit einem jungen Burschen hergekommen«, sagte Luise.

»Ja und…?«

»Es war der Sohn vom Laubacher-Ferdl«, erwiderte Luise. »Deswegen hab’ ich dir nix davon gesagt…!«

*

Kathrin Blenk kam die Treppe heruntergerannt, wobei sie die letzten Stufen heruntersprang, dann ging sie in die überaus geräumige Küche des alten Oberallgäuer Bauernhauses.

»Hallo, Großmutter«, sagte sie, »wieso bist du net droben in deinem Zimmer? Um die Zeit ruhst du dich doch immer ein bissel aus.«

»Ich bin zwar schon dreiundachtzig«, antwortete Maria Blenk, »aber deshalb muß ich noch lange net jeden Mittag im Bett liegen und schlafen.«

Kathrin lachte, ging zu der groß gewachsenen, schmal gebauten Altbäuerin und küßte ihr übermütig auf beide Wangen.

»Da hast recht«, sagte das außergewöhnlich hübsche junge Mädchen, »aber nach dem Mittag hier in der Küche stehen und den Kaffee herrichten, das mußt auch net grad’.«

»Und wenn ich’s gern mach’…?« Maria Blenk lachte ihre Enkelin freundlich an.

Die lachte zurück. »Dann machst es halt. Ich muß mich eh ein bissel sputen.«

»Hast was vor?« Maria sah Kathrin fragend an.

Die nickte. »Ich fahr’ gleich nach Vorderstein.«

»Aha, und wohin da, wenn man fragen darf?«

»Zum Bergerhof.«

»Da schau her, ins Gasthaus willst. Und das mitten in der Woch’.«

Kathrin lachte. »Ist es net schrecklich? Ein junges Madel wie ich geht mitten in der Woch’ in einen Gasthof. Und das auch noch nachmittags, wo man zu arbeiten hat.«

»Du bist mir eine«, erwiderte ihre Großmutter, »wenn ich an meine Jugend denk’, oje, das hätt’s da net gegeben. Aber zum Glück sind die Zeiten anders geworden. Ein junges Madel wie du kann sich da viel besser entfalten.« Dann umspielte ein etwas amüsiertes Lächeln ihre Mundwinkel. »Bist vielleicht mit dem Berni verabredet?«

Im gleichen Moment zog Kathrin die Augenbrauen zusammen. »Mit welchem Berni?«

»Also jetzt ist’s aber gut«, sagte ihre Großmutter, »jetzt willst dich nimmer an den Kogler-Berni erinnern. Das ist jetzt gelungen.«

»Wieso sollt’ ich mich denn an ihn erinnern?« Kathrin sah ihre Großmutter neugierig an.

»Weil du letztens mal so von ihm geschwärmt hast«, antwortete diese.

»Ich soll von einem Mann geschwärmt haben?« Kathrin lachte.

»Net von einem Mann«, erwiderte ihre Großmutter, »von einem Bursch. Der Berni ist eher noch ein Bursch und ein lieber dazu.«

»Du schwärmst von ihm«, erwiderte Kathrin. »Seit wann stehst du denn auf jüngere Männer?«

»Also jetzt ist’s gut«, entgegnete Maria Blenk, »setz bitt’ schön Kaffeewasser auf, ich schneid’ den Kuchen an.«

»Daß ihr immer Kuchen essen müßt«, murmelte Kathrin.

»Du achtest lieber auf deine Figur, oder?«

»Und wenn’s so wär’?«

»Da ist nix gegen zu sagen«, erwiderte die Altbäuerin, »Ich hab’ früher auch auf meine Figur geachtet.«

»Da schau her…!« Kathrin tat erstaunt.

»Ja, das hab’ ich«, fuhr ihre Großmutter fort, »aber ich hatt’ immer wen im Blickwinkel dabei.«

»Wie soll ich das denn verstehen?« Kathrin sah ihre Großmutter fragend an.

»Daß ich deinem Großvater um alles in der Welt gefallen wollt’«, antwortete diese.

»Aha…!«

»Und bei dir ist net der Ge­danke an den Berni im Hinterkopf?«

»Was hast denn du immer mit dem Berni?« fragte Kathrin. »Ich will mich in meiner Haut wohl fühlen, das ist schon alles. Außerdem bin ich viel zu jung, um mein Herz schon an einen einzigen Mann zu hängen.«

»Was soll das denn heißen?« Fast ein wenig erschrocken sah Maria Blenk ihre Enkeltochter an.

»Daß ich mich momentan ein bissel umschau’ unter den Männern, die zur Verfügung stehen«, antwortete diese.

Ihre Großmutter bekam vor Staunen den Mund nicht zu. Sie sah Kathrin benommen an und sagte dann: »Jetzt willst mich an der Nas’ herumführen, oder?«

Das hübsche Mädchen schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollt’ ich dich denn an der Nas’ herumführen?«

»Na, du meinst doch net ernst, was du eben gesagt hast.«

»Daß ich mich unter den zur Verfügung stehenden Männern ein bissel umschauen will?« Kathrin konnte ein Lächeln nur mühsam unterdrücken.

Ihre Großmutter nickte. »Genau das mein’ ich.«

»Doch.« Kathrin sah nun nicht mehr so amüsiert wie vorher drein, »ich will ein bissel was vom Leben haben, verstehst? Net so auf einen Mann fixiert sein, sondern Spaß haben, das ist bei mir angesagt.«

Es dauerte einen Moment, bis Maria Blenk reagierte. Sie ließ erst mal Luft ab, dann wiegelte sie den Kopf.

»Ich an deiner Stell’ wär’ da ein bissel vorsichtig«, sagte sie.

»Wieso…?«

»Na, wenn du dich in einen der Burschen verliebst, dann ist dein schöner Plan über den Haufen geworfen.«

»Wieso? Dann kann ich doch einfach aufhören mit dem Hallodrileben.«

»Das ist der springende Punkt«, hakte ihre Großmutter ein. »Wenn man sich dann in wen verliebt hat, kann es unter Umständen schwer sein, sich ins Verliebtseinleben hineinzufinden oder aber…«

»Ja?«

»Oder aber man glaubt dir net«, antwortete ihre Großmutter.

»Was heißt das, man glaubt mir net?«

»Daß der Bursch, in den du dich dann verliebt hast, meint, er wär’ einer unter vielen, wenn du verstehst was ich mein’. Manche Männer haben da ihre ganz besonderen Befindlichkeiten…!«

*

»Was war denn los heut’ morgen?« Die Bergerhof-Heidi sah ihre Tochter aufmerksam an.

Die wirkte am Nachmittag cool, ihr Gesicht zeigte nicht wie am Morgen Emotionen, deshalb sah sie ihre Mutter mehr oder weniger erstaunt an und fragte: »Was meinst du denn?«

Die Berger-Heidi runzelte die Stirn. Sie war nicht mit der Art ihrer Tochter einverstanden, das sah man ihr überdeutlich an.

»Du erinnerst dich nicht«, fragte sie, »daß du heute vormittag aufgelöst da hereingeschneit bist, wohlgemerkt während der Schulzeit, und wissen wolltest, wo ich bin?«

»Das… das hat sich erledigt«, antwortete Steffi.

»Für dich vielleicht«, erwiderte die Berger-Heidi, »für mich nicht. Ich möcht’ schon gern wissen, was passiert war.«

»Was sollt’ denn schon passiert sein?« fragte Steffi, wobei sie mit den Schultern zuckte.

»Genau das möcht’ ich ja gern wissen«, antwortete ihre Mutter. »Also, ich warte…?«

»Ich… ich war halt ein bissel daneben«, antwortete Steffi. »Es muß doch net immer gleich wer weiß was passiert sein.«

»Steffi…«, Heidi zeigte mit einer Kopfbewegung in Richtung eines Sessels, »bitte nimm Platz. Wir müssen uns sowieso mal unterhalten.«

Da verdrehte Steffi die Augen, man sah ihr überdeutlich an, wie lästig ihr die in Aussicht gestellte Unterhaltung war. »Muß das sein?«

»Ja, das muß sein«, antwortete ihre Mutter, »und du weißt auch, daß es sein muß. Wenn ich allein an deine schulischen Leistungen denke, dann wird mir angst und bange.«

»Ich hab’ jetzt keine Lust, über die Schule zu reden«, erwiderte Steffi.

»Ich aber«, entgegnete ihre Mutter. Einen Augenblick war es still, dann fuhr Heidi fort: »Ich hab’ heute, als du vollkommen unmotiviert hier aufgetaucht und dann weinend davongerannt bist, deinen Mathelehrer angerufen.«

»Den Huber…?« Binnen Sekundenbruchteilen strahlte Steffis Gesicht knallrot.

Ihre Mutter nickte. »Ja, den Huber. Er ist übrigens ein sehr angenehmer Mann. So ganz anders, als du ihn beschrieben hast.«

»Also das find’ ich gar nicht gut, derart hinter mir herzutelefonieren! Was wolltest du denn von ihm?« Steffi sah ihre Mutter gespannt an.

»Da du einer Antwort ausgewichen bist«, entgegnete Heidi, »hab’ ich mir natürlich Sorgen gemacht. Zuerst dachte ich, du seist nicht zum Abi zugelassen worden. Aber die Zulassungskonferenz war noch gar nicht.«

»Was hat der Huber denn gesagt…?« Man merkte Steffi an, wie gespannt sie war.

»Was meinst du denn?« Die Berger-Heidi sah ihre Tochter aufmerksam an.

»Nichts meine ich«, erwiderte diese.

»Aha…!« Heidi nickte ein paarmal ziemlich erstaunt. »Dann müssen wir uns im Grund genommen nicht weiter darüber unterhalten.«

»He…?« Die Augenbrauen zusammengekniffen musterte Steffi ihre Mutter.

»Wenn du mir nichts zu sagen hast«, entgegnete diese, »dann müssen wir nicht weiterreden. Ich schätz’ mal, daß du Probleme hast. Heute vormittag waren sie so mächtig, daß du nach Hause gekommen bist, um mit mir zu sprechen. Jetzt scheinen die Probleme nimmer ganz so drückend zu sein, trotzdem wüßt’ ich gerne, was dich so aufgelöst hat nach Hause kommen lassen.«

»Aufgelöst…!« Steffi zuckte mit den Schultern. »Also so war’s auch nicht.«

»Deine Großmutter hat erzählt, daß du weinend davongerannt seist«, erwiderte Heidi. »Und weinen sehen, hab’ ich doch schon sehr lange nimmer. Es muß also was sein, was dich emotional sehr berührt hat.«

Steffi hatte noch immer nicht Platz genommen. Sie war ein sehr hübsches Mädchen, oft kindlicher, als sie mit ihren fast achtzehn Jahren hätte sein müssen.

Sie sah vor sich auf den Fußboden, begann mit den Fußspitzen Figuren zu malen, sah dann ihre Mutter an, wobei ihre Augen feucht schimmerten.

»Ist es möglich, daß wir später darüber reden?« fragte sie. »Ich krieg’s momentan nicht auf die Reihe. Es ist auch nicht so schlimm, wie ich zuerst vermutet habe. Und du und die Großmutter, ihr müßt euch auch keine Sorgen machen.«

Die Bergerhof-Heidi sah ihre Tochter einen Augenblick unentschlossen an, dann stand sie auf, ging zu ihr, lächelte und nahm sie in die Arme.

»Na klar können wir später reden«, sagte sie, »ich freu’ mich, daß du heute vormittag, mit welchen Problemen auch immer, zu uns nach Haus’ gekommen bist. Daß ich immer ein offenes Ohr und Verständnis für dich hab’, das weißt du ja. Kann… kann ich jetzt irgendwas für dich tun?«

Steffi überlegte einen langen Moment, dann schüttelte sie den Kopf.

»Nein, soweit ist alles okay«, sagte sie. Doch dann sah sie ihre Mutter bittend an. »Das heißt, etwas gäb’s schon, was du für mich tun könntest.«

»Was denn?«

»Du könntest mir sagen, was der Huber über mich gesagt hat«, antwortete Steffi. »Du weißt ja, ich versteh’ mich nicht ganz so gut mit ihm. Das hängt aber hauptsächlich mit dem Fach, das er unterrichtet, zusammen. Mathe, wenn ich das Wort schon hör’.«

»Also ich fand den Bernd Huber sehr nett«, antwortete Heidi. »Er kam mir sehr locker vor, hat gescherzt und gemeint, du hättest gerade in Mathe Fortschritte gemacht.«

»Echt…?«

Heidi nickte. »Ja, echt. Aber in letzter Zeit sei ihm aufgefallen, daß du unkonzentriert seist. Er hat das Gefühl, daß dich irgendwas bedrückt…!«

*

Markus Gallner hatte Jura studiert, vor anderthalb Jahren das erste Staatsexamen abgelegt, und war nun in der Referendarzeit, die noch ein halbes Jahr dauern würde. Dann würde das zweite Staatsexamen folgen, und er würde seinem Traum, einer eigenen Anwaltskanzlei vorzustehen, ein Stück näher gekommen sein.

Seine Eltern bewirtschafteten den Föhrenhof in Hinterjoch, einem Ortsteil der Gemeinde Alptal.

Markus hatte den Rest seiner Referendarzeit am Amts- und Landgericht in Kempten zu leisten, was er sehr gerne tat, denn sein Großvater mütterlicherseits war dort viele Jahre als Richter tätig gewesen.

Markus fuhr jeden Abend nach Hause auf den Föhrenhof, wo er sehr gerne lebte, denn der Föhrenhof war sehr schön gelegen, und man lebte heute ausschließlich vom Fremdenverkehr, was nichts anderes heißt, als daß in einem Anbau des sehr großen Hofs fünf sehr moderne Ferienwohnungen untergebracht waren.

Als Markus an jenem Nachmittag, es war Freitag und noch sehr früh, nach Hause kam, erwartete ihn seine Mutter bereits.

»Du Markus…?«

»Ja?«

»Der Kogler-Berni ist dagewesen«, sagte Hanna Gallner, »er hat wissen wollen, ob du heut’ abend mit hinüber in den Bergerhof kommen würdest?«

»Gibt’s da was Besonderes?« wollte der fesche junge Bursche wissen.

»Ich glaub’ nicht«, antwortete seine Mutter, »der Berni wird nur alte Zeiten auffrischen wollen.«

»Bewirtschaftet er inzwischen den Hof?« Markus sah seine Mutter fragend an.

Die nickte. »Seit einem Jahr etwas.«

»Leben die immer noch von der Almwirtschaft?«

»Ja, das tun sie«, antwortete Hanna Gallner. »Sogar der alte Irg ist noch als Senn für sie droben auf der Alm.«

Markus nickte. Er hatte sich zwar vorgenommen, am Wochenende einiges zu arbeiten, aus dem Grund hatte er einige Akten mit nach Hause gebracht, aber der Berni und er waren früher unzertrennlich gewesen. Jetzt sahen sie sich nur mehr sporadisch, doch als er den Berni vor einigen Tagen zufällig getroffen hatte, hatten sie verabredet, mal einen Abend zusammen zu verbringen.

»Ich geh’ mal rasch hinüber«, sagte Markus.

Berni Kogler bewirtschaftete den Nachbarhof, den man nach zwanzig Minuten scharfen Gehens erreichen konnte.

Auf Markus’ Stirn standen einige ganz kleine Schweißperlen, als er dort angekommen war.

»Na, Alter…?« Berni kam grinsend aus dem Haus. »Bist wieder so richtig im Land?«

Markus wiegelte den Kopf. »Ja, mehr oder weniger. Daß ich momentan in Kempten bin, weißt ja.«

»Hat deine Mutter dir gesagt, daß wir heut’ abend hinüber in den Bergerhof gehen?« Berni sah seinen Spezl aus Kinder- und Jugendtagen fragend an.

Der nickte. »Deswegen bin ich da.«

»Kommst mit?« fragte Berni. »Es ist immer recht nett. Und einige der Burschen sind schon ganz gespannt auf dich. Ihr habt euch jahrelang nimmer gesehen.«

»Wer denn zum Beispiel?«

»Na, der Hausner-Wiggerl, der Thomas, und vor allem der Hans, der hat inzwischen den Hof seines Vaters an den Rabenköpfen übernommen.«

»Die gibt’s alle noch?« Markus lachte. »Ich Depp. Sicher gibt es sie noch. Und sie sind alle gespannt auf mich?«

Berni nickte. »Und wie.«

»Herrschaftseiten«, murmelte Markus, »jetzt wird mir richtig komisch.«

Berni grinste. »Und die Madeln erst. Sie sind noch mehr gespannt.«

»Madeln…?« Markus sah seinen ehemaligen Spezl fragend an.

»Na, die Ulrike vor allem«, antwortete der, »daß die schon immer einen Faible für dich hatte, weißt du hoffentlich noch.«

»Ach ja?« Markus tat erstaunt. Dann lachte er. »Wie geht’s der Uli denn?«

»Gut, sie ist fest liiert und wird wohl bald heiraten.«

»Da schau her.« Markus atmete tief durch. »Irgendwie wird mir jetzt wirklich ganz komisch.« Dann sah er Berni an. »Und du? Bist du auch irgendwie liiert?«

Berni wiegelte seinen Kopf. »So würd’ ich’s net nennen.«

»Wie denn?«

»Ich bin interessiert«, antwortete Berni.

»Und das Madel?«

»Eher net. Aber gar so sehr verliebt bin ich eh net. Ich muß halt noch auf die Richtige warten.«

Markus nickte. »So geht mir’s auch.« Dann lächelte er. »Aber das Warten kann auch noch sehr spannend werden.«

Berni grinste. »Hoffen wir’s. Aber bitt’ schön net zu spannend. Denn Spannung in Liebesdingen ist oft net besonders schön…«

*

»Und er kommt wirklich?« Ulrike Schmidt rutschte unruhig auf ihrem Stuhl hin und her, während ihr Freund die Augenbrauen hochzog.

»Er kommt wirklich«, antwortete Berni.

»Wie schaut er denn aus?« wollte Ulrike wissen.

Berni grinste. »Unverschämt gut, wie immer halt.«

Ulrikes Freund verzog inzwischen sein Gesicht, was Ulrike nicht verborgen blieb. Sie beugte sich zu ihm, küßte ihm zärtlich auf die Wange und flüsterte ihm ins Ohr: »Der Markus war früher mein Freund, das weißt du doch. Aber alles war nur rein platonisch. Wir waren doch noch viel zu jung und hatten keine Ahnung, was los war. Du mußt dir keine Sorgen machen…« Dann biß sie ihm zärtlich ins Ohrläppchen.

Drei Tische waren in der alten Gaststube des Bergerhofs zusammengestellt. Die Clique um Berni traf sich nicht oft, vielleicht einmal alle sechs Wochen, aber dann immer im Bergerhof, weil dort die Atmosphäre am angenehmsten war.

»Und er ist am Amtsgericht in Kempten?« Wiggerl Hautner sah Berni fragend an.

Der nickte. »Ja, ein halbes Jahr hat er noch Referendarzeit, irgendwann wird er dann seinen Traum wahrmachen und eine Anwaltskanzlei eröffnen.«

Ulrike nickte. »Davon hat er schon erzählt, da war er grad mal sechzehn.« Dann sah sie auf die Uhr. »Wo er nur bleibt?«

Ein junges Madel war ans Fenster gegangen und sah hinaus.

»Ist er etwa einsfünfundachtzig, schlank, hat brünette Haare, schaut irre aus und hat einen total lässigen Gang?« fragte sie.

Ulrike nickte. »Das ist er. Herrschaftseiten, jetzt bin ich vielleicht gespannt.«

Danach war es mucksmäuschenstill in der alten Gaststube des Bergerhofs, alle starrten in Richtung Tür. Doch die wurde nicht geöffnet.

»Kruzitürken…!« Berni stand auf. »Ich schau’ jetzt mal, wo er bleibt.«

Wenige Minuten später kam er zurück und lächelte. »Er kommt gleich. Er ist erst Heidi und Luise begrüßen gegangen.«

»Was sich gehört, hat er immer gewußt«, murmelte Ulrike, »schon als junger Bursch.«

Dann, als sich alle wieder unterhielten, kam Markus. Mit der Bergerhof-Heidi, die ihn begleitete.

Ulrike blieb einen Moment sitzen, dann drückte sie ihrem Freund die Hand und flüsterte ihm zu: »Ich muß ihn begrüßen…!« Dann stand sie auf, ging zu Markus, sah ihn einen Moment aus glänzenden Augen an, dann fiel sie ihm um den Hals.

»Wie lang’ haben wir uns nimmer gesehen?« fragte sie. »Doch sieben oder acht Jahr’ nimmer.«

Markus lächelte sie an. »So ungefähr. Gut schaust du aus. Ich hab’ gehört, du würdest bald heiraten wollen. Wo ist denn der Glückliche?«

»Komm«, sagte Ulrike, »ich stell’ ihn dir vor. Das ist Armin, der Mann, den ich liebe und heiraten will. Und das ist Markus, für den ich mal total geschwärmt hab’. Hast du das eigentlich gewußt?«

Markus lachte. »Na klar, was meinst du, wie stolz ich darauf war.«

»Das hast du mir nie gesagt…!«

»So was sagt man doch nicht«, erwiderte Markus. Dann begrüßte er der Reihe nach alle anderen. Viele kannte er, einige noch nicht. »Wer bist du?« fragte er, als er vor einem jungen Mädchen stand. Sie saß neben Berni.

»Das ist die Kathrin«, antwortete der. »Kathrin Blenk, du kennst sicher ihre Großmutter. Sie…«

»Wieso läßt du die Kathrin denn nicht selbst antworten?« fragte Markus, der sie noch nicht aus den Augen gelassen hatte.

»Meine Großmutter bewirtschaftet ganz in der Nähe einen Hof«, sagte Kathrin.

Markus zeigte auf den Stuhl neben ihr und fragte, ob er sich dorthin setzen dürfe?

Kathrin rückte samt Stuhl ein Stück in Richtung Berni, dann nickte sie.

Markus erzählte ein wenig von sich, fragte dies und das, und nach einer Weile schlug der Kogler-Berni vor, irgendwann zusammen auf eine Alm zu gehen, um dort ein wenig zu feiern.

»Wir könnten auf unsere Alm gehen«, sagte Hans, »der Markus kennt den Irg noch von früher, und der hat oft genug nach ihm gefragt. Also ich würd’ für’s Essen sorgen.«

»Ich stift’ die Getränke«, sagte die Bergerhof-Heidi, die bis dahin stumm dabeigestanden war.

»Sagt’s mir, wann das Fest stattfinden soll, dann kommt wer vorbei und holt ab, was ihr braucht. Ist das recht?«

Zustimmendes Gemurmel zeigte, daß der Vorschlag gut aufgenommen worden war.

Nach zwei Stunden etwa sah Markus auf die Uhr, dann stand er auf.

»Ich muß leider gehen«, sagte er, »es war echt super, euch alle wieder mal zu sehen.« Dann lächelte er Kathrin an seiner Seite an. »Und neue Gesichter zu sehen, ist immer gut.«

Dann stand er auf, lächelte in die Runde und meinte, er freue sich riesig auf das kleine Almfest beim Irg.

»Ich würd’ gern irgendwas beisteuern«, sagte er zum Schluß, »hat wer eine Idee?«

Da grinste Hans. »Wenn du dem Irg seinen Tabak mitbringst, dann meint der, die Zeit wär’ stehengeblieben.«

Markus nickte. »Das tu’ ich.« Gleich darauf war er verschwunden.

»Was hat es denn mit dem Tabak auf sich?« wollte Kathrin wissen.

»Der Markus hat schon früher dem Irg von seinem Taschengeld Tabak gekauft und mit auf die Alm genommen«, antwortete Hans. »Unser Senn steht total auf ihn, noch heut!«

Da sah Berni in die Runde und murmelte mit einem Lächeln um die Mundwinkel. »Net nur der Senn steht noch heut’ auf ihn…!«

*

Der Laubacher-Ferdl hatte früher einen Ausschank, wo stets Betrieb war. Das heißt, Sommertags an den Touristenwegen und im Winter an den Pisten.

Seit einigen Jahren betrieb er eine kleine Gastronomie in Balding, wo nicht gerade das beste Publikum verkehrte. Um es auf den Punkt zu bringen, man begegnete dem Ferdl einem sehr ausgesuchten Publikum, was nichts anderes heißt, als daß z.B. Kleinganoven und ihre Hehler beim Ferdl ihre Geschäfte besprachen.

Der Laubacher-Ferdl war fünfundfünfzig, sah wesentlich älter aus, was seinem ohne Zweifel ausufernden Lebenswandel zuzuschreiben war.

Der Ferdl hatte einen Sohn, Gregor, dem man nichts dergleichen ansah, und der momentan mit einer Aushilfe den Gastronomiebetrieb aufrecht erhielt.

»Zieh dich um«, sagte er zu seinem Vater, »wenn wer kommt und dich so sieht, ist’s net gut für’s Geschäft.«

Der Ferdl sah an sich herunter, dann stand er kommentarlos auf und verließ die Gaststube. Zu der Zeit waren eh nur sehr wenige Gäste da.

Dann wurde die Tür geöffnet und die Berger-Steffi kam herein. Sie sah sich um, ob ein Bekannter da war, als dies nicht der Fall war, atmete sie deutlich auf.

»Ich muß dich sprechen«, sagte sie zu Gregor.

»Jetzt?« Dem war der Besuch lästig.

Steffi nickte. »Ich… ich muß das Geld zurück haben. Ich krieg’ sonst den größten Ärger.«

»Was machst du dich so an?« Gregor tippte sich an die Stirn. »Es ist doch dein Geld, oder?«

»Ja, schon«, antwortete Steffi, »aber meine Mutter, vor allem meine Großmutter versteht da keinen Spaß. Ich war nicht ganz gescheit in der Birne, als ich dir das Geld gegeben hab’.«

»Tja«, Stefan grinste übers ganze Gesicht, »das tut mir jetzt aber leid. Hast denn du den Zettel noch, wo ich dir die Schuld anerkenn’?«

Einen Augenblick zögerte Steffi, dann sah sie unter sich und sagte: »Ich hab’ den Zettel verloren. Aber mein Geld, das krieg’ ich doch trotzdem, oder?«

Gregors Grinsen wurde noch breiter. »Das muß ich mir erst mal überlegen. Du hast ja jetzt nichts mehr in Händen. Ich könnt’ mich ganz entspannt zurücklehnen und die Zeit genießen. Wieviel Geld war es überhaupt?«

»Dreitausend Mark«, antwortete Steffi rasch.

»Phhh…!« Stefan wiegelte seinen Kopf. »Wegen der paar Kröten machst du so einen Aufstand?«

»Wenn es für dich nur ein paar Kröten sind«, erwiderte Steffi, »dann kannst du sie mir ja geben.«

»Das wird ein bissel schwierig«, entgegnete Gregor.

»Wieso?« Steffi starrte ihn benommen an. »Du hast doch gesagt, daß das Geld heut’ da ist. Ich hab’ mich darauf verlassen, und jetzt machst du einen Rückzieher.«

»Ich werd’ die paar Kröten schon besorgen«, erwiderte Gregor, der bis dahin freundlich gewesen war. Doch dann schaltete er binnen eines Augenblicks auf Konfrontation. »Jetzt hau schon ab. Ich kann wen wie dich da net brauchen. Wenn ich das Geld hab’, dann sag’ ich dir schon Bescheid.«

Steffi Berger begann leise zu weinen.

»Gregor…?« murmelte sie dann mit leise klingender Stimme.

»Ja?«

»Ich… ich hab’ dir damals geglaubt, als du sagtest, daß du das Geld für eine Operation eines afrikanischen Freundes brauchst. Was… was hast du damit gemacht? Hast du, wie es viele sagen, Drogen damit eingekauft?«

Im gleichen Moment war alle Freundlichkeit aus Gregor Laubachers Gesicht verschwunden.

»Wenn du nicht auf der Stelle verschwindest«, preßte er zwischen den Zähnen hervor, »dann werf’ ich dich höchstpersönlich auf die Straße. Hau ab… ich meld’ mich bei dir. Gibst du keine Ruhe, dann kriegst du keinen Pfennig zurück, verstehst du, keinen Pfennig. Ich bin mal gespannt, was deine Mutter und Großmutter sagen, wenn ich ihnen steck’, daß dein Gespartes in Drogen angelegt worden ist…!«

*

»Und du kennst ihn wirklich so gut wie du gesagt hast?« Kathrin sah Berni aufmerksam an.

Der nickte. »Ja, natürlich kenn’ ich ihn so gut. Er war mein bester Spezl und ich seiner.«

Die beiden saßen im Oberstdorfer Café Mozart, wo Kathrin schon mal aushilfsweise bedient hatte.

»Na ihr beiden Hübschen?«

Adrian lächelte freundlich. »Wartet ihr auf wen? Ihr schaut so bestellt und nicht abgeholt aus.«

»Kennst du Markus Gallner?« Kathrin sah den Betreiber des überaus beliebten Cafés in der Innenstadt Oberstdorfs fragend an. Der nickte. Klar, wieso?«

»Kommt er schon mal her?«

Adrian schüttelte den Kopf. »Früher, zu seiner Schulzeit, da war er täglich da. Heute kaum noch, fast gar nicht mehr, warum fragst du?«

»Nur so…«

Adrian grinste. »Hat er auch dich verzaubert wie schon viele andere Madeln früher?«

Kathrin lachte und winkte ab. »Mich verzaubert niemand. Ich bin diejenige, die die Musik bestellt.«

»Na, dann mal ran!« Adrian lachte. »Ich wünsch’ dir viel Vergnügen.«

Kathrin trank ihren Cappuccino aus und stand auf, wobei sie den Kogler-Berni ansah. »Bleibst du noch?«

Der junge Bursche schüttelte den Kopf. »Nein, ich muß eh nach Hause.«

»Nimmst du mich mit?«

Berni nickte. »Kein Problem.«

Dann verließen die beiden das Café und schlenderten bis zum Parkplatz, wo Berni seinen Wagen geparkt hatte.

Als sie in den Wagen gestiegen waren, räusperte er sich und sah Kathrin von der Seite an.

»Ist was?« fragte diese.

»Ich würd’ dich gern was fragen…«

»Was denn?«

»Ob du den Markus anmachen willst?«

Kathrin lachte. »Wie kommst du denn da drauf?«

»Es hat sich eben so angehört.«

Kathrin schwieg. Nach einer Weile fragte sie: »Wenn es so wäre, also wenn ich den Markus anmachen wollt’, hättest du dann einen Tip für mich?«

»Also hab’ ich doch richtig gedacht, oder?« Berni sah Kathrin von der Seite an.

Wieder fuhren sie eine Weile schweigend in Richtung Vorderstein.

»Der Markus mag Madeln, die ein bissel keß sind«, sagte Berni in das Schweigen hinein.

»Du meinst aufgetakelt?« Erstaunt sah das hübsche Mädchen ihren Begleiter an.

Der schüttelte den Kopf. »Nein, ganz im Gegenteil. Er mag ganz natürliche Madeln, die aber net auf den Kopf gefallen sind. Und mit kess mein’ ich, daß sie ein bissel forsch sein dürfen, wenn du verstehst, was ich damit sagen will.«

»Wenn ich ehrlich bin, dann versteh’ ich’s net…!«

»Das ist auch wichtig«, fuhr Berni fort.«

»Was ist auch wichtig?«

»Daß du immer ehrlich bist«, antwortete Berni. »Wenn ihn wer anflunkert, das mag der Markus net.«

Dann fuhren sie schweigend weiter, bis Berni seinen Wagen vor dem alten Bauernhaus im Weißbachtal stoppte.

»Wie hast du das denn eben gemeint mit dem kess und forsch sein?« fragte Kathrin dann.

»Daß du ruhig mal einen anderen Burschen anmachen darfst«, antwortete Berni. »Irgendwie hat ihn das immer auf den Plan gebracht, wenn er sich für ein Madel interessiert hat. Spätestens dann ist er immer auf den Geschmack gekommen.«

Daraufhin saßen die beiden noch eine ganze Weile stumm nebeneinander. Bis Kathrin den jungen Burschen anlächelte.

»Berni?«

»Ja?«

»Du bist echt nett.«

Berni grinste. »Ich weiß.«

»Du… ich mein’, du magst mich doch auch, oder? Ich mein’, ein Madel spürt das doch.«

Berni nickte. »Ja, das stimmt, ich mag dich. Vielleicht ist’s sogar ein bissel mehr.«

»Und du sagst mir trotzdem, wie ich es gescheit anstell’, den Markus anzumachen?«

Berni verzog seinen Mund zu einem Lächeln und nickte. »Findest du das komisch?«

»Ja«, antwortete Kathrin, »das find’ ich komisch. Du hast doch gar keinen Grund aufzugeben.«

Berni grinste. »Also das seh’ ich anders.«

»Wie meinst du das?«

»Ich mag dich«, antwortete der junge Bursche, »aber wie du den Markus letztens angeschaut hast, also das war mehr als ich dir gefühlsmäßig zu bieten hätt’…«

*

Markus Gallner kam an jenem Abend spät nach Hause, weil er sich mit zwei aktuellen Fällen beschäftigt hatte. Markus gehörte zum Stab des Oberstaatsanwalts und hatte einen festen Aufgabenbereich.

»Na, Kollege Gallner«, hatte der Oberstaatsanwalt zu ihm gesagt, »wie kommen S’ denn zurecht bei uns?«

»Ich fühl’ mich wohl hier«, hatte Markus geantwortet.

Daraufhin hatte der Oberstaatsanwalt gelacht. »Diese Antwort hätt’ von Ihrem Großvater stammen können. Alle anderen Referendare antworten, es sei sehr interessant hier. Ich hab’ das schon mehrfach getestet.«

»Haben Sie meinen Großvater gut gekannt?« hatte Markus wissen wollen.

Der Oberstaatsanwalt hatte genickt. »Ich war ein junger Bursch wie Sie jetzt, da bin ich ihm zum ersten Mal begegnet. Auch in der Referendarzeit. Er zog sehr enge Grenzen, was Recht und Gesetz betraf. Aber er konnte auch, in Ausnahmefällen, schon mal mehrere Augen zudrücken.«

Markus stieg aus dem Wagen, den er direkt vor dem Haus seiner Eltern, neben den Wagen einiger Feriengäste, parkte.

»Du kommst heut’ aber spät«, sagte seine Mutter. »Hast du schon gegessen?«

Markus schüttelte den Kopf. »Noch nicht. Aber ich mag auch nix mehr. Übrigens hab’ ich vorhin mit dem Oberstaatsanwalt gesprochen. Er hat gesagt, er hätt’ den Großvater gut gekannt.«

»Oberstaatsanwalt Kaul?« Hanna Gallner sah ihren Sohn fragend an.

Der nickte.

Da lächelte seine Mutter. »Der Oberstaatsanwalt und dein Großvater mochten sich nicht besonders, aber sie hatten sehr viel Respekt voreinander. Kommst du mit Kaul aus?«

Markus nickte noch mal. »Ja, unser Verhältnis ist okay.«

»Komm mal mit«, sagte seine Mutter daraufhin, »ich will dir mal was zeigen.«

»Was denn…?«

»Ich hab’s drinnen in der Stube im Schrank«, antwortete Hanna Gallner.

Dann ging sie vor, betrat die sehr geschmackvoll eingerichtete Stube, öffnete den Schrank, dann nahm sie einen Schlüssel zur Hand, schloß eine Schublade auf und zog sie heraus. Sie entnahm der Schublade ein kleines Kästchen und stellte es auf den Tisch.

»Weißt du, was drinnen ist?« fragte sie dann.

Markus schüttelte den Kopf.

»Einige Dinge aus dem Nachlaß deiner Großeltern, also meiner Eltern«, fuhr Hanna Gallner fort. »Einmal ein Foto, das deinen Großvater zeigt, wie er verabschiedet wird. Oberstaatsanwalt Kaul ist auch drauf. Er war damals in deinem jetzigen Alter.« Dann öffnete sie das bernsteinbesetzte Kästchen, nahm ein Bündel Briefe heraus und einige Fotos, die sie allesamt vor ihren Sohn hinlegte.

Markus sah sie der Reihe nach aufmerksam durch, schließlich zeigte er auf ein kleines Etui, das auch noch in dem bernsteinbestückten Kästchen stand. »Was ist da drin?«

»Ein Ring«, antwortete Hanna Gallner, »es war der Ring, den dein Großvater deiner Großmutter zur Hochzeit geschenkt hat. Ich… ich hab’ ihn aufgehoben, weil ich ihn mal deiner Frau geben möcht’.«

Daraufhin war es lange still, bis Markus sich räusperte und fragte: »Darf ich den Ring mal sehen?«

Seine Mutter nahm das kleine Etui und gab es Markus. »Aber bitte nur öffnen und anschauen. Herausnehmen werd’ ich ihn dann zu gegebener Zeit.«

Als Markus das Etui öffnen wollte, zögerte er, dann gab er es seiner Mutter zurück.

»Ich möcht’ den Ring nicht sehen«, murmelte er.

»Warum nicht?« Erstaunt sah Hanna ihren Sohn an.

»Irgendwie bin ich offensichtlich abergläubisch«, antwortete der. »Ich denk’ mal, ich sollt’ ihn nicht sehen, bevor ich nicht weiß, welches Madel ich zur Frau nehmen möcht’…!«

*

»Die Steffi rennt immer noch mit so einer Leichenbittermiene herum«, sagte Luise am gleichen Abend zu ihrer Schwiegertochter. »Irgendwas hat sie und rückt net heraus damit.«

Heidi nickte. »Ich weiß wohl. Jetzt hatte ich mal den Eindruck, daß sie reden würd’, aber dann ist sie wieder abgezogen.«

»Willst du sie net darauf ansprechen?«

»Nein. Und ich bitte dich, es auch nicht zu tun. Wir müssen lernen ihr zu vertrauen. Sie wird schon kommen und sagen, was sie bedrückt.«

»Hoffentlich ist es dann net zu spät…!« Luises manchmal pessimistische Art kam auch jetzt wieder durch.

»Jetzt malen wir mal nicht alles in Schwarz«, erwiderte Heidi, »sondern freuen uns, daß es uns gutgeht. Was sagst du denn zu Markus Gallner?«

»Er ist ein fescher Bursch’«, antwortete Luise.

Heidi nickte. »Das ist wohl wahr. Und wie er sich letztens bei seinen ehemaligen Spezln zurechtgefunden hat, also das hat mir gefallen und denen wohl auch.« Dann lächelte sie. »Die Ulrike hat sogar eine kleine Träne verdrückt.«

»Du meinst, sie wär’ noch immer in den Markus verliebt?« Luise sah fast ein wenig erschrocken drein.

»Nein, nein«, Heidi schüttelte den Kopf, »das nicht. Verliebt ist sie in den Armin und zwar ganz doll. Aber die Begegnung mit Markus, den sie mal angeschwärmt hat, war wohl doch was ganz Besonderes für sie.«

»Und jetzt wollen S’ wirklich so was wie ein Almfest veranstalten«, fragte Luise, »um dem Markus ordentlich zu begrüßen?«

»Almfest soll das keines werden«, antwortete Heidi, »sie besuchen lediglich den alten Irg auf seiner Alm und dazu stellen wir die Speisen.«

»Da schau her…!« Luise lachte.

»Jedenfalls freu’ ich mich, daß der Markus seine Art beibehalten hat und net meint, er wär’ jetzt was Besseres.« Heidi zuckte mit den Schultern. »Ganz so üblich ist das nämlich net in der heutigen Zeit.«

Luise nickte. Doch sie hatte was anderes im Kopf, als über Markus Gallner nachzudenken.

»Daß die Steffi letztens mal mit dem Sohn vom Laubacher-Ferdl hier gewesen ist«, sagte sie, »hast du das schon gewußt?«

»Ja, du hast es mir gesagt«, antwortete Heidi.

»Und? Schrillen da net deine Alarmglocken?«

»Warum sollten sie schrillen?«

»Na, du bist gut. Die Gaststube vom Ferdl ist hier in der Gegend so was wie Treffpunkt der Ganoven und ihres Anhangs. Es verirren sich sonst nur Touristen hin, Einheimische so gut wie net.«

»Das heißt aber doch nicht, daß die Steffi jetzt im Kriminellen Milieu gelandet ist«, erwiderte Heidi.

»Das weiß ich auch«, sagte Luise, »aber ich fürcht’ mich halt ein bissel.«

»Das tu’ ich auch«, erwiderte Heidi, »was aber net heißt, daß ich ihr net vertrau’.«