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Die großen Western Classic
– 50 –

Faustrecht

… und einer nach dem anderen musste sterben

John Gray

Impressum:

Epub-Version © 2020 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74096-874-8

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»Komm raus, McCluse!« Die Stimme drang scharf wie ein Peitschenknall durch den anbrechenden Morgen. »Wir warten immer noch, McCluse. Seit gestern Mittag stehen wir auf der Straße und warten, dass du kommst. Wir werden noch länger warten!«

Der Mann im Schankraum des Saloons zog fröstelnd die Schultern hoch. Er stand an einem der Fenster und blickte hinaus. Im grauen Nebel sah er die Gestalten. Sie standen auf der anderen Seite der Main Street. Ihre Hände lagen auf den Revolverkolben.

»Kommt doch und holt mich! Euer Weg ist genauso weit!«, rief der Mann. Er wandte sich vom Fenster ab.

Gus McCluse war ein Mann in den Dreißigern. Er war groß und schwer gebaut. Seine Schultern waren breit, das Gesicht war kantig und von Bitterkeit gezeichnet. Seine wasserhellen Augen wirkten leer und schienen in die Ferne gerichtet. Mit schweren Schritten ging er durch den Schankraum.

Die Frau hinter der Theke blickte ihm entgegen.

»Draußen stehen sie«, sagte der Mann spröde. »Sie warten noch immer auf mich.«

Die Frau langte nach einer Flasche und schenkte dem Mann ein Glas voll. Matt schimmerte die bernsteinfarbene Flüssigkeit in dem dickwandigen Glas. Gus McCluse nahm das Glas und setzte es an die Lippen. Er trank es mit einem Schluck leer und stellte es hart auf die polierte Messingplatte der Theke zurück.

»Sie sind vier. Ich bin allein.«

»Du hast schon einmal gegen vier Männer gekämpft.«

»Da war alles anders.«

»Wir wollten fortgehen von hier, Gus. Noch gestern sprachen wir davon.«

»Das wollten wir, June.« Er blickte sie nicht an. Seine Hände lagen geballt auf der Theke.

»Dann lass uns gehen, Gus, aber nicht vorn raus, sondern hinten, über den Hof.«

»Ich laufe nicht weg, June«, sagte er fest.

»Nein.« Sie nickte grimmig. »Das tust du nicht. Lieber lässt du dich zusammenschießen.«

»Sie würden uns verfolgen. Es hätte keinen Sinn, jetzt wegzulaufen. Gib mir noch einen Whisky, June.« Er atmete schwer. »Wir wollten frei sein von allem, June. Wie könnten wir das, wenn ich jetzt weglaufe?«

»Wir wollten so viel, Gus. Aber wir können nichts, wenn du tot bist …«

»Das ist richtig, June.«

Er sprach, als bliebe jedes Wort zwischen seinen Zähnen hängen und müsste erst über die Lippen gepresst werden.

»Wir hatten uns so viel vorgenommen, Gus.« Die Frau hatte sich selbst einen Whisky eingeschenkt, trank aber nicht, sondern spielte nur mit dem Glas in den Händen. »Wir wollten glücklich sein, Gus.«

»Man will immer zu viel.« Er trank sein Glas leer und wandte der Theke den Rücken. Wieder ging sein Blick durch eines der Fenster hinaus in den Morgennebel. »Draußen stehen sie, und sie warten auf mich, weil sie mich töten wollen, diese Narren.«

Die Frau krampfte die Hände zusammen. Ihre Lippen zitterten. Sie versuchte, ihre Stimme fest klingen zu lassen: »Was wird aus uns, Gus? Du …, du hast viel von einem Leben ohne Angst und Hass geträumt, Gus. Wir beide wollten es uns aufbauen.« Sie schluckte schwer. »Es war schön, wenn wir zusammen waren, Gus. Und es ist ein gutes Gefühl, das uns verbindet. Willst du es zerstören?«

Er hatte sein leeres Glas genommen und einige Schritte von der Theke weggemacht. An einem der gescheuerten Tische blieb er stehen.

»Was taugen unsere Träume, June?«, murmelte er nach einiger Zeit.

»Sie geben uns Hoffnung, Gus«, antwortete sie. Ihre Augen brannten und wurden feucht. Sie konnte die Tränen nicht unterdrücken.

»Und was taugt unsere Hoffnung?«

Sie hörte seine raue Stimme. Aber sie schwieg. Er setzte das Glas ab und drehte sich nicht um. »Man belügt sich nur selbst«, sagte er dumpf vor sich hin. »Wir belügen uns alle. Hoffnung? Eine Lebenslüge ist das. Schau aus dem Fenster. Dort steht die Wirklichkeit …«

Sie schwieg noch immer.

»Sie trauen sich nicht herein«, redete er weiter. »Sie warten, dass ich komme. Sie wissen, dass sie keine Chance hätten, wenn sie kämen, um mich zu holen. Sie wollen warten, bis ich aus der Schwingtür trete, dann wollen sie mich niederknallen. Sollen sie warten. Ich werde bleiben. Wir werden sehen, wer mehr Geduld hat.«

»Komm endlich raus, McCluse!«

Wieder die scharfe Stimme von der Straße.

Gus McCluse zuckte leicht zusammen. Dann lachte er. Es klirrte wie splitterndes Eis.

»Sie treten für Mörder ein, für hundsgemeine Frauen- und Kindermörder, die wollen sie rächen. Sie wollen mich töten, weil ich das getan habe, was jeder Mann in Texas getan hätte. Und sie schämen sich nicht einmal.«

Er sagte es leise. Langsam bewegte er sich durch den Schankraum. Sägemehl knirschte unter den Absätzen seiner Stiefel.

Als er die Fensterfront wieder erreicht hatte, zog er langsam seinen Revolver aus der Halfter. Es war ein langläufiger Armycolt.

»Gus!« Die Stimme der Frau klang grell, als sie die Waffe in seiner Faust sah. »Gus, willst du hinausgehen?«

»Nein.« Er wechselte mit bedächtigen Bewegungen die Zündhütchen auf den Pistons aus. »Das könnte denen so passen.« Er fröstelte wieder und starrte hinaus, mit Blicken, die waren wie kaltes Feuer.

Noch immer war es still in der Stadt. Zäh wie ein Brei lag der Nebel über Stratford.

Er senkte den Kopf gegen das raue Holz des Fensterrahmens. Gedanken durchschossen ihn. Bilder tauchten vor ihm auf, sie wechselten in rascher Folge vor seinen Augen. Und die Ereignisse der letzten Monate liefen in diesen langen, zäh verstreichenden Minuten noch einmal ab.

*

Die Männer ritten von Westen heran, als die Sonne am höchsten Punkt des Himmels stand.

Die einsame Farm lag nicht weit von den Ufern des Red River. Ein Windrad drehte sich mit leisem Quietschen und pumpte Wasser in die schmalen Gräben, die viele Maisfelder durchschnitten, auf denen die zahllosen goldgelben Kolben in ihrer Schwere die starken Stängel neigten und zum Abernten bereitstanden. Dem Maisfeld am Haus schloss sich ein Wald aus Redwoodfichten und Kiefern an, über den Wipfeln der Bäume schwebte ein Bussard dem farblos flimmernden Himmel zu.

Vom Fluss her kam eine Frau. Sie trug einen Wäschezuber bei sich. Neben ihr her tollte ein blonder, etwa sechsjähriger Junge.

Die Frau war noch jung, Ende der zwanzig vielleicht. Ihre schlanke Gestalt wurde von einem schlichten blassblauen Leinenkleid betont. Unter einem Kopftuch drangen die Strähnen goldblonden Haares hervor und fielen auf die Schultern. Ihr Gesicht war noch glatt und unverbraucht.

Sie hörte die Reiter von Westen, die den Fluss entlangkamen und ihre Pferde herumzogen, als sie die kleine Farm erblickten, und beschleunigte ihre Schritte. Hastig strebte sie dem Haus zu.

»Sammy! Sammy, komm her! Komm sofort her, Sammy! Lauf zum Haus!«

Sie rief nach dem Jungen. Der blickte aus seinen großen dunklen Kinderaugen auf die Reiter und folgte dann dem Ruf der Mutter. Er eilte mit gerötetem Gesicht zum Farmhaus. In der Tür erschien ein Mann.

Er war groß und schwer gebaut. Seine breiten Schultern verrieten Kraft, sein kantiges Gesicht zeugte von Willensstärke. Aus schmalen wasserhellen Augen blickte er den Männern entgegen.

Außer Atem erreichte der Junge das Haus. Gus McCluse hielt ihn auf und blickte ihn ernst an. »Geh ins Haus, Sammy.«

»Hat Mam Angst vor den Männern, Daddy?« Seine helle Stimme fragte es ohne Arg.

Gus McCluse strich seinem Sohn über das Haar. »Nein, Sammy. Geh jetzt ins Haus.«

»Warum darf ich nicht dableiben, Daddy. Ich möchte die Reiter auch sehen.« Flehend blickte er den Vater an.

Der Farmer schüttelte den Kopf. »Ich werde dir später alles erzählen. Ein guter Mann gehorcht seinem Vater, Sammy. Und du bist doch ein Mann, nicht wahr?«

Der Kleine nickte ernst und ging zögernd an seinem Vater vorbei ins Haus. Maria McCluse erreichte ihren Mann.

»Geh auch ins Haus, Maria«, sagte der Farmer sanft.

»Das sind Strauchdiebe, Gus. Hol dein Gewehr.« Sie setzte den Wäschezuber ab.

»Das würde alles nur schlimmer machen. Sieh sie dir an, Maria. Die können besser schießen als ich. Wenn ich ein Gewehr hätte, wäre ich sehr schnell tot. Jetzt geh ins Haus und gib auf Sammy acht. Ich werde das hier erledigen.«

»Sei vorsichtig, Gus, bitte!« Sie legte ihre Rechte kurz auf seine Schultern und verschwand dann im Innern des Farmgebäudes.

Die Reitergruppe erreichte den Farmhof. Die Männer ritten jetzt im Schritt und zügelten neben einem leeren Korral ihre Tiere.

»Howdie, Farmer.«

Ein unrasierter, grobschlächtig gebauter Mann beugte sich im Sattel vor und stieß sich den Hut in den Nacken. Die vier anderen Männer blieben reglos auf ihren Pferden hocken. Ihre Gesichter waren leer und hart, ihre Augen schauten kalt und leblos.

Gus McCluse wartete ab.

»Ich bin Major der Armee der konföderierten Staaten von Amerika«, rief der Unrasierte mit großartiger Geste. Gus McCluse erkannte erst jetzt, dass die Männer graue Armeehosen mit gelben Streifen trugen. Der Anführer hatte eine Kokarde an seinen Stetson geheftet.

»Es ist mir eine Ehre, Major.« Gus McCluse atmete schwer. Guerillas, dachte er. Das sind Guerillas, um Gottes willen. Hoffentlich reiten sie wieder …

»Ist die Front hierher verlegt worden?«, fragte er dann und versuchte, zu grinsen.

»Das könnte den verdammten Yankees so passen. Aber so weit sind wir noch nicht, Farmer.« Der Mann lachte heiser. »In spätestens drei Monaten sind die Unionstruppen geschlagen und zum Teufel gejagt. Es wird schon der große Aufmarschplan vorbereitet, und die Reservetruppen stehen bereits abmarschbereit. Du wirst sehen, Farmer, bald gehört uns, dem Süden, ganz Amerika. – Wir sind ein Armeetrupp im Hinterland. Das ist genauso wichtig. Wir müssen Vorräte beschaffen, Lebensmittel und Geld, damit die Truppe an der Front kämpfen kann und ihr die Munition nicht ausgeht.«

Gus McCluse nickte schweigend. Seine Augen wurden schmal. Er musterte die abgerissene Erscheinung der Männer. Seine Blicke blieben auf den Kolben der Navy Colts hängen, die sie in tiefgeschnallten, von Hand ausgeschnittenen Armeehalftern trugen. Der Anführer hatte einen 44er Remington im Gürtel.

»Wollen Sie bei mir Lebensmittel und Geld beschaffen?«, fragte Gus McCluse.

»So ist es, Farmer.«

McCluse schluckte schwer. Dann befeuchtete er sich die Lippen und sagte: »Wir haben selbst nichts, Major. Tut mir leid, aber bei uns könnten Sie höchstens noch etwas dalassen.«

Das Gesicht des anderen wurde ernst. »Soll das heißen, Sie wollen nichts geben? Obwohl Ihre Felder in vollster Blüte stehen? Zehntausende von armen ausgehungerten Soldaten, die für die konföderierte Sache kämpfen, liegen im Dreck an der Front und haben manchmal tagelang außer heißem Blei, Granatsplittern und Kartätschen der Yankees nichts zu schlucken, während ihr hier wie die Maden im Speck lebt. Und ihr wollt nichts geben? – Warum sind Sie eigentlich nicht an der Front und tragen den grauen Rock, Farmer? Ein guter Südstaatler gehört in diesen schweren Tagen in die Uniform. Stattdessen halten Sie sich hier den Hintern warm und wollen nicht mal einen Tribut für den Krieg zahlen?« Jetzt schrie er und richtete sich steil im Sattel auf. »In meiner Eigenschaft als Major der konföderierten Armee beschlagnahme ich im Namen der Regierung alles, was sich auf dieser Farm befindet. Was davon im Einzelnen benötigt wird, werden meine Leute feststellen. – Absitzen, die Farm durchsuchen!«, befahl er hart.

Gus McCluse hakte die Daumen hinter den Hosengurt und stellte sich breitbeinig vor die Haustür. Seine Züge verfinsterten sich nun, und seine Stimme hob sich: »Hören Sie zu, Mister! Bis jetzt habe ich mir Ihren Blödsinn ruhig angehört. Aber jetzt ist Schluss. Reiten Sie weiter und führen Sie Ihr Theater woanders auf. Vielleicht nimmt Ihnen das jemand ab oder es lässt sich jemand einschüchtern. Major nennen Sie sich? Dass ich nicht lache. Ein Strauchdieb sind Sie, einer von denen, die sich ein feines Leben machen, während die gesunden Männer an der Front sind. Sie gehören zu den Banditen, die seit Kriegsbeginn das Land durchstreifen, in dem es kaum noch Männer gibt, weil alle in der Armee sind. Sie rauben die einsamen Farmen und Ranches aus. – Beschlagnahmen wollen Sie etwas? Ha! Scheren Sie sich zum Teufel, Mister, warten Sie nur: Wenn der Krieg vorbei ist, wird man Galgenvögel wie euch an die nächsten Bäume knüpfen!«

Die Reiter warfen sich rasche Blicke zu.

»Er beleidigt uns, Clint«, murmelte einer mit gespielter Ruhe.

»Er beleidigt gute, konföderierte Soldaten, die für ihn und seinesgleichen in diesem Krieg die Knochen hinhalten«, krächzte der falsche Major. »Was fällt dir denn ein, Mann, he? Ich kann dich sofort standrechtlich erschießen lassen!«

»Ermorden kannst du mich vielleicht, Bandit. Nichts weiter. – Ich habe keine Waffe!« Gus McCluse hob die Hände leicht an. Die Reiter glitten aus den Sätteln und kamen näher.

»Schluss mit dem Theater!«, schrie der Farmer jetzt. »Keinen Schritt weiter. Macht, dass ihr davonkommt! Guerillas seid ihr, weiter nichts. Ein Dreck seid ihr. Ihr raubt das ganze Land aus, weil niemand da ist, der euch hindern kann. Ihr füllt euch die Taschen, während wir hier arbeiten, damit überhaupt noch so etwas wie eine Versorgung der Truppe zustande kommt, während die anderen in den Schützengräben liegen und für eine wahnwitzige Sache kämpfen. Geier seid ihr, die auf einem halbtoten Körper herumhacken!«

»Wie spricht der denn mit uns, der Schollenbrecher?«, sagte einer der Männer. »Was nimmt der Kerl sich heraus?«

»Er nennt den Krieg gegen die Yankees eine wahnwitzige Sache und die Konföderation einen halbtoten Körper«, zischte der Guerilla-Major. »Wir werden ja sehen, was auf dieser Farm zu holen ist. Geh zur Seite, Mann!«

Gus McCluse blieb stehen. Die Guerillas stampften auf ihn zu. In ihren Gesichtern lag plötzlich ein seltsamer Zug, der Gus McCluse einen Schauer über den Rücken jagte. Dann hatten sie ihn erreicht.

Einer schlug zu. Der Farmer wich aus und hob sein rechtes Bein. Er trat nach dem Kerl. Der Stiefel traf den Mann. Der Bursche schrie und kam aus dem Gleichgewicht. Mit verzerrtem Gesicht stürzte er zu Boden.

Aber Gus McCluse krümmte sich zusammen. Hiebe trafen ihn im Leib. Grellfarbene Kreise begannen sich vor seinen Augen zu drehen. Schwindel erfüllten ihn. Schleier der Betäubung drohten, ihn zu übermannen.

Der Schmerz durchschoss ihn wie eine auflodernde Flamme. In seinen Schläfen raste das Blut.

Gus McCluse stieß seinen Kopf vor und rammte ihn einem der Banditen in den Magen. Der Mann stöhnte und stürzte gurgelnd auf den Rücken. McCluse überwand den Schmerz und richtete sich auf. Im selben Moment traf ihn ein rechter Haken.

Der Farmer warf beide Arme halt­suchend in die Luft und bekam einen weiteren Schlag, der ihm die Luft aus dem Körper presste. Krachend stürzte Gus McCluse gegen den linken Türrahmen. Das Holz prellte sein Rückgrat. Ein glühendes Stechen durchfraß ihn in Sekundenbruchteilen, und er hatte das Gefühl, auseinanderzubrechen. Mit der Betäubung kämpfend und nach Atem ringend rutschte er am Türrahmen herunter. Ein vorstehender Holzspan riss sein Hemd am Nacken ein Stück auf und ritzte seine Haut.

»Hebt ihn auf!«