cover
ZANIB MIAN
Illustriert von Kyan Cheng
Aus dem Englischen übersetzt von Ann Lecker
BAND 4
Für alle Kinder, die sich in allen Höhen und Tiefen
des Lebens stets von ihrer besten Seite zeigen.
OMAR
Meistens komme ich aus der
Patsche, in der ich sitze, auch
wieder heraus – irgendwann!
Ich habe
immer
einen Plan
Ich helfe
anderen
supergerne
Manchmal tue
ich genau
das Falsche
CHARLIE
Niemand hat ihn
jemals superwütend
gesehen
Erkennt sehr
gut Muster
DANIEL
Gibt sich weiter
Mühe, brav zu
bleiben
Kann uns immer
zum Lachen
bringen
MR MCMASTER
Schuldirektor
Liest lang-
weilige Bücher
Auch bekannt als
Mr McGrusel
Kann super-
launisch sein
ELLiE SARAH
JAYDEN ADAM
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Kann sehr lange
den Atem anhalten
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KAPITEL 1
Das Brüllen brach durch die Mucksmäuschenstille
des Klassenzimmers. Mit diesem Geräusch began-
nen die
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R!
SCHLIMMSTEN
ZWEI WOCHEN
MEINES LEBENS.
Wir waren im Computerlabor und mein bester
Freund Daniel wollte mir unbedingt das verrückte
neue Video zeigen, von dem er die ganze Zeit
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geredet hatte. Darin rettet ein Löwe eine Frau, mit
der er befreundet ist, vor einer Hyäne. Ich hatte
ihm gesagt, dass er mir den Link einfach schicken
sollte, damit ich mir das Video zu Hause ansehen
konnte. Denn ich wusste, dass unser Computer-
lehrer Mr Philpott total
ausflippen
würde, wenn er uns dabei erwischte.
Doch Daniel erwiderte: „Aber ich halte nie im
Leben den
GANZEN Tag durch, wenn ich es
dir nicht zeigen kann.
Es ist sowieso nur eine
Minute lang.“ Dann
drückte er auf Play und
schaute wie mein klei-
ner Bruder Esa, wenn
er gepupst hat und
darauf wartet, dass alle
es riechen.
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Aber es war die ÜBELSTE Idee aller Zeiten,
weil
wir im Unterricht keine
Videos schauen dürfen,
wir vergessen hatten, unsere
Kopfhörer einzustecken,
und
ALLE mithörten,
DIE LAUTSTÄRKE
VOLL AUFGEDREHT
WAR.
Ellie schrie sogar und schreckte auf ihrem Stuhl
hoch, bis sie begriff, dass es nur ein Video war. Sie
hatte wohl geglaubt, ein echter Löwe wäre irgend-
wie durch die Tür spaziert.
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Unser anderer bester Freund Charlie starrte von
der anderen Seite des Zimmers, wo er mit Adam
zusammenarbeitete, zu uns herüber.
SEINE AUGEN
WURDEN DREIMAL
SO GROß.
Mr Philpott ließ den Blick über die Computer um
uns herum schweifen, während er überlegte, wen er
anschreien sollte.
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R!
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Da du Mr Philpott noch nicht kennst, erzähle ich
dir ein wenig von ihm. Erinnerst du dich noch an
Mrs O’Malley, die Vertretungslehrerin, die wir ein-
mal statt unserer wunderbaren Mrs Miller
hatten? Die so richtig gemein war?
Na ja … Im Vergleich zu
Mr Philpott war sie ein in
Zuckerwatte gewickeltes
kleines Lamm mit einer
Portion superleckerer
Streusel obendrauf.
Wenn Mr Philpott schrie,
konnte man ihn auf der anderen
Seite des Schulgebäudes hören. Und
selbst wenn er einen nicht persönlich anschrie,
schlotterte
vor
man
Angst.
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Zum Glück – und das war der einzige Grund,
warum wir uns trotz Mr Philpott in die Schule
trauten – passierte es nur ab und zu. Offenbar
brachten ihn nur manche Dinge zum Ausrasten und
andere nicht so. Wir waren noch nicht dahinter-
gekommen, welche Dinge speziell, aber Charlie
arbeitete daran. Weil Charlie Mathe so gern mag,
erkennt er überall Muster und gemeinsame
Faktoren. Er sagte: „Bei jeder von Mr Philpotts
Explosionen muss es einen gemeinsamen Faktor
gegeben haben. Wir müssen einfach herausfinden,
welcher das ist, damit wir seine Ausbrüche
NIE
WIEEEEDER
heraufbeschwören.“
Doch mit dem Video war es uns wohl schon
ge lungen. Ich erkannte den Schrecken in Daniels
Blick, als Mr Philpott mit großen, dröhnenden
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Schritten auf uns zumarschiert kam. Daniel war
früher ein megatyrannischer
UNRUHESTIFTER
gewesen, aber diese Zeiten sind vorbei. Er hatte
schon seit Ewigkeiten keinen Ärger mehr gehabt
und ich weiß, wie froh er darüber ist. Doch jetzt
würde er wieder im Büro des Schuldirektors landen,
wie es früher STÄNDIG der Fall war, als wir noch
keine Freunde waren.
Ich bemerkte, wie ihm eine Träne
über die Wange lief und er sich
die Ohren zuhielt, um sich gegen
Mr Philpotts Orkan zu wappnen.
Da wusste ich, dass ich etwas
unternehmen musste …
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KAPITEL 2
Ich sah Mr Philpott
an, der wie immer
kurze Hosen und
Sandalen trug. Beim
Anblick seiner knub-
beligen Knie stellte
ich ihn mir als
vor, der mit giftigen Warzen übersät war. Dieser
Oger würde gleich meinen Freund verschlingen.
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Ich stand ganz schnell auf. Obwohl sich meine
Beine sehr
wackelig
wackelig anfühlten, brachte ich
den Mut auf zu sagen:
Die ganze Klasse
starrte mich an.
ICH
„ICH
WARS!
WAR’S!“
Ich hob die Hand, damit Mr Philpott auf jeden
Fall wusste, mit wem er schimpfen musste.
„Du???“, fragte er. Er klang, als würde er es nicht
glauben.
„Ja, ich, Mr Philpott. Ich war’s. Sie können mir
ins Gesicht schreien, wenn Sie wollen.“
Darüber musste ein Junge hinten im Raum ki-
chern, ließ es aber schnell wieder bleiben, als Mr
Philpott seine giftigen Warzen in seine Richtung
wandte.
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Also insgesamt etwa sechzig Augäpfel.
Aus dem Augenwinkel konnte ich Daniel sehen.
Er nahm die Hände von den Ohren und legte sie
auf seinen Mund, um seinen Schock darüber zu
verbergen, was ich gerade tat.
Mr Philpott schrie nicht.
Stattdessen sagte er:
„Kann ich dich bitte
draußen sprechen?“
Und so folgte ich ihm, als er auf die Tür
zumarschierte. Ich drehte mich zu Daniel um,
der gleichzeitig erleichtert, verängstigt
und superverwirrt aussah.
Draußen vor dem Klassenzimmer sagte
Mr Philpott: „Also, junger Mann, was ist
bloß in dich gefahren? Was sollte dieses
ganze Theater? Das sieht dir überhaupt
nicht ähnlich.“
SCHWARZES BRETT
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„Ich weiß, Mr Philpott. Es tut mir leid. Es war so
was wie ein Versehen. Ich wollte meinen
fangen, der wie von Zauberhand in die Luft auf-
gestiegen war, und dann …“, brabbelte ich vor mich
hin, während ich überlegte, wie ein Video aus Ver-
sehen losgehen könnte.
„Na schön. Na schön. Mach das bitte nie wieder,
Omar. Du bist ein guter Junge.
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Und das war’s! Kein Besuch beim Schuldirektor,
kein erderschütterndes Brüllen, kein gar nichts.
Mit einem breiten, erleichterten Lächeln ging
ich wieder rein und zurück an meinen Platz neben
Daniel. Er konnte jetzt weiterhin „Daniel-der-
frühere-Unruhestifter-aber-mittlerweile-total-
fantastische-brave-Junge“ sein statt „Daniel-
der-freche-Junge-der-wieder-auf-die-schiefe-Bahn-
gerät“. Das gab mir ein
echt supertolles
Gefühl.
Ich hatte meinem Freund geholfen und alles hatte
sich zum Guten gewendet.
In der Pause sagte Charlie als Erstes zu mir:
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Omar,
DU bist
ein
Held!“
Daniel meinte: „Ich kann nicht
fassen, dass du für mich die
Schuld auf dich genommen
hast! Es war so verrückt!
Ich habe immer gewusst,
dass du cool bist. Aber ich
hätte nie gedacht, dass ich
jemals einen Freund
haben würde, der
sich für mich in
SCHWIERIG-
KEITEN
bringt.“
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Ich war plötzlich ganz verlegen und schüchtern,
weil Daniel und Charlie eine große Superhelden-
sache draus machten. Deshalb schwang ich mich in
einen Handstand, um sie abzulenken. Ich hatte zu
Hause geübt und bei meinem Ziel, richtig gut zu
werden, nur eine Lampe kaputt gemacht (die Stand-
pauke, die ich von Papa bekommen hatte, war die
Sache absolut wert gewesen).
Es klappte. Charlie und Daniel klatschten Beifall
und probierten selbst
Ha dsde,
die ihnen aber nicht hundertprozentig gelangen.
Kurz darauf kamen andere Kinder aus unserer
Klasse zu mir und fragten, was passiert war. Als
sie erfuhren, dass ich das Löwenvideo gar nicht abge-
spielt und nur die Schuld auf mich genommen hatte,
damit Daniel keinen Ärger bekam, sahen sie mich alle
an, als hätte ich einen Regenbogen gerülpst.
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Den Rest des Tages VERWÖHNTEN mich
alle meine Klassenkameraden. Am besten war:
• Sarah lie
ß
mich in
der Essensschlange vor.
Jayden schenkte mir
seinen Pokémon-Stift.
Und Adam fragte zum
allerersten Mal, seit ich
an dieser Schule war,
ob ich mit ihm Fu
ß
ball
spielen wollte.
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KAPITEL 3
Zu Hause erzählte ich meiner nervigen großen
Schwester Maryam nicht, was in der Schule passiert
war. Aber weil sie mich so gut kennt, bemerkte sie,
dass etwas anders war.
„Was ist denn mit dir los? Bist du größer oder
glücklicher oder so was Komisches?“
„Bin ich nicht“, gab ich zurück. Mein Geheimnis
grinste mir aus den Augen, obwohl meine Lippen
schnurgerade blieben.
„Wahrscheinlich hast du in
der Schule irgendeine
Str e ber-
Wissenschaftsfrage richtig beantwortet und
gibst jetzt damit an!“, sagte sie und marschierte
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davon, um zu zeigen, dass es ihr sowieso egal
war.
Maryam findet es total doof, dass ich Wissen-
schaft mag wie Mama und Papa, die beide Wissen-
schaftler sind. Denn sie hat überhaupt keine Lust
darauf und vermasselt immer unsere sonntäglichen
Wissensworkshops – da macht
unsere Familie bei uns zu Hause in der Küche
witzige Experimente.