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Fürstenkrone
– Box 25 –

E-Book 131-135

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Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74099-541-6

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Eine Liebe, die nie vergeht

Beatrice und Benedikt können ohne einander nicht sein!

Roman von von Kampen, Jutta

Im Schloßhof von Kronstein versammelten sich die Teilnehmer der Fuchsjagd. Die Herren trugen rote Röcke, weiße Hosen und hohe schwarze Stiefel und die Damen schwarze Reitjacken. Die elegantesten Teilnehmer waren wie jedes Jahr die Fürstin-Mutter, Margareta von Kronstein, und ihre Cousine, die Gemahlin ihres verstorbenen Vetters, Gräfin Helena von Auen. Diese beiden Damen ritten im Damensattel, mit langem Schleppkleid und kleinem Zylinder. Sie waren beide hervorragende Reiterinnen – auch wenn sie davon absahen, die schwierigsten Hindernisse zu springen. Schließlich hatten sie beide die Fünfzig längst hinter sich gelassen. Und wie jedes Jahr behaupteten sie auch beide lachend, den Wettstreit ohnehin nur unter sich auszutragen.

»Nächstes Jahr mache ich euch beiden Konkurrenz!« sagte vergnügt die bildschöne Verlobte des Gastgebers zu ihrer zukünftigen Schwiegermutter.

»Das hast du schon vergangenes Jahr versprochen«, zog die Fürstin sie amüsiert auf und betrachtete sie mit liebevollem Stolz. Was für ein schönes Paar würden die beiden abgeben! Ihr Sohn und seine Verlobte, die Prinzessin Beatrice von Lindenburg. Sie hatte einen erstklassigen Sitz, als wäre sie mit dem Pferd verwachsen. Es war eine wunderschöne Fuchsstute mit drei weißen Fesseln und einer sternförmigen Blesse. Ein überaus edles und hoch gezüchtetes Tier, das unter seiner eleganten Reiterin nervös tänzelte.

»Schau dir doch nur Stella an«, kam Gräfin Helena der Prinzessin zur Hilfe. »Ich finde es leichtsinnig, daß du überhaupt auf einem so nervösen Tier an einer so schwierigen Jagd teilnimmst!«

»Ach was, liebe Tante! Stella ist nur ungeduldig!« meinte Beatrice und klopfte den glänzenden Hals der Stute.

Sie nickte den beiden Damen zu und begann auf einem weniger frequentierten Platz ein paar Dressurfiguren mit Stella zu reiten, um das Pferd zu beschäftigen und damit zu beruhigen.

Die beiden Damen sahen ihr nach. Sie dachten beide das gleiche: Was für ein bildschönes Mädchen! Ihre erstklassige Figur wurde von den knappen Reithosen und der vorzüglich geschnittenen Jacke betont. Ihr reiches, goldblondes Haar hatte sie unter der Reitkappe verborgen. Ihr schmales, schönes Gesicht war von klassischem Ebenmaß, eine feine, kleine Nase, weiche, rote, kaum merklich geschminkte Lippen und wunderschöne dunkelblaue Augen unter dichten schwarzen Wimpern und sehr fein gezeichneten Brauen.

»Sie passen gut zusammen«, sagte Gräfin Helena anerkennend – und meinte Beatrice und ihr edles Reitpferd.

»Ja«, stimmte Margareta mit lächelndem Stolz zu – und meinte Beatrice und ihren Sohn, den jungen Fürsten Benedikt, der heute selbst als Fuchs ritt und eben mit einer Handbewegung den Haushofmeister aufforderte, die Lakaien mit dem Bügeltrunk loszuschicken.

Benedikt sah aus, wie man sich den Sproß eines so alten, vornehmen Geschlechtes vorstellt: hochgewachsen, schlank und dunkel, mit rassig dunklem Gesicht, gebogener Nase, leidenschaftlichem Mund und schönen, dunklen Augen unter dichten Brauen und Wimpern – die ebenso streng wie zärtlich blicken konnten. Besonders wenn er zufällig in Richtung seiner Verlobten schaute.

So gut die beiden auch von Herkunft und Erziehung zusammen paßten – es war eine reine Liebesheirat. Sie hatten sich auf einer Party getroffen, ohne zu wissen, wer sie waren – und vom ersten Moment an war es für beide klargewesen: der – oder keiner! Das nicht nur ihre Herzen, sondern auch alles andere zusammen stimmte, war ein großer Glücksfall, für den beide aufrichtig dankbar waren.

Jetzt kamen die in Livreen in den Farben des Hauses Kronstein gekleideten Diener die breite Schloßtreppe herunter. Sie trugen große Silbertabletts, in welche das fürstliche Wappen graviert war und auf denen gefüllte Champagnergläser standen, oder für Reiter, die einen stärkeren Trunk wünschten, silberne Schnapsbecher.

Fürst Benedikt, der einen sehr zuverlässigen und ebenso schnellen Rapphengst ritt, hob das Glas:

»Hals- und Beinbruch! Und eine frohe Jagd!«

Die Kapelle der fürstlichen Jäger, in grünen Röcken und Rokokoperücken, wie sie auch die Lakaien trugen, stimmte auf den Jagdhörnern einen heiteren Marsch an. Benedikt reichte sein leeres Glas dem neben ihm stehenden Haushofmeister und gab ihm noch ein paar kurze Anweisungen. Dann hob er grüßend die Hand und verließ als erster den Schloßhof. An seine linke Schulter war der Fuchsschwanz geheftet.

Hastig leerten alle die Gläser und reichten sie den wartenden Dienern. Dann versammelten sie sich hinter der bereits ungeduldig jaulenden Meute.

Als nächster startete Freiherr von Gleichen mit den weißen, braun und schwarz gefleckten Hunden. Er war der einzige im Land, der sich noch so eine große Meute hielt.

Fürstin Margareta hielt sich etwas zurück. Als Gastgeberin ritt sie zumindest während des ersten Teiles der Jagd im letzten Drittel der Reiter, um zur Stelle zu sein, wenn jemand stürzte oder den Anschluß verpaßte. Gräfin Helena schloß sich ihr an.

»Wo ist Beatrice?« fragte sie und sah sich um.

Die Fürstin lachte.

»Sie will heute unbedingt den Fuchs fangen«, erwiderte sie. »Nächstes Jahr ist sie die Gastgeberin – und da darf sie nicht mehr mit den anderen Teilnehmern konkurrieren.«

Die Gräfin lächelte verständnisvoll.

»Schade, daß Hermia nicht kommen konnte«, sagte die Fürstin.

Ihre Cousine runzelte ärgerlich die Stirn.

»Sie macht mir Kummer«, gestand sie dann. »Sie ist inzwischen über Dreißig und will sich einfach nicht zu einer Heirat entschließen!«

»Niemand kann das verstehen – so attraktiv, wie sie ist«, meinte die Fürstin. »Ist sie vielleicht in jemanden verliebt, der verheiratet oder verlobt ist?«

»Sie behauptet, nein«, gab Helena ärgerlich zur Antwort. »Bitte, verdirb mir nicht die Laune, indem du mich an meine ungeratene Tochter erinnerst!« Und sie gab ihrem braunen Wallach die Sporen, so daß er sogleich in einen raschen Galopp fiel.

Fürstin Margareta sah ihr einen Moment nachdenklich nach. Natürlich redete man über die bezaubernde Hermia mit ihren nachtschwarzen Haaren und den grünen Nixenaugen. Sie gehörte zu den reizvollsten Mitgliedern des hohen Adels und hatte an jedem Finger zehn Verehrer, die sie jeden Tag gern geheiratet hätten. Aber zum Kummer ihrer Mutter konnte sie sich nicht entschließen. Sie verstand sich besonders gut mit Benedikt.

Ob sie vielleicht in ihn verliebt war?

Die Fürstin trabte an. Es täte ihr leid um Hermia, wenn dies der Grund wäre. Sie war schön, klug und liebenswert. Aber Beatrice war diejenige, welche Benedikt liebte!

*

Fürstin Margareta hatte recht. Beatrice galoppierte an der Spitze der Kavalkade. Es waren zehn Reiter, die um den Sieg kämpften.

Stella war für ihre relativ geringe Größe und zierliche Gestalt unglaublich schnell und vor allem ehrgeizig.

»Sie ist noch ehrgeiziger als du!« rief Hanno von Seitz Beatrice zu. »Aber es wird ihr nichts helfen!« Und er berührte seine große Hannoveranerin leicht mit der Gerte, so daß sie sich streckte und an Stella vorbeizog.

»Nein!« schrie Beatrice lachend. »Ich gewinne heute! Nächstes Jahr muß ich als letzte reiten!«

»Erwarte nicht, daß ich mein Pferd kavaliersmäßig zurückhalte«, erwiderte Hanno und berührte sein Reittier nochmals mit der Gerte, woraufhin die erneut beschleunigte. Aber nun gab auch Beatrice ihrer Stella die Gerte zu spüren und verstärkte den Schenkeldruck.

Stella legte böse die Ohren zurück und fletschte die Zähne. Als die Hannoveranerin ihr zu nahe kam, schnappte sie nach ihr.

Hanno Seitz lachte schallend.

»Pfui, was seid ihr unfair!«

Beatrice lachte, mit und auf die scherzenden Rufe der anderen Reiter hin, versetzte sie Stella einen strafenden, leichten Schlag mit der Gerte auf die Kruppe.

Aber die ehrgeizige Stute besaß keinen Humor, sie wollte an die Spitze, schnappte erneut nach Hannos bravem Pferd und keilte in alle Richtungen aus.

Da sie in scharfem Galopp ritten, hatte Beatrice das nicht erwartet. Sie war im englischen Jagdsitz geritten, um möglichst leicht zu sein – was aber bedeutete, daß ihr Sitz nicht so fest war, als wenn sie den Galopp ausgesessen hätte, und als Stella sich jetzt auch noch aufbäumte und mit den Vorderhufen nach ihrer Konkurrenz schlug, stürzte Beatrice aus dem Sattel.

Den knapp hinter ihr galoppierenden Reitern gelang es, die Pferde ausweichen zu lassen. Doch Stella war wie verrückt. Sie schlug noch einmal aus und traf Beatrice schmerzhaft in den Leib, daß sie aufschrie. Dann raste das Pferd weiter hinter der Meute her, überholte sie, und erreichte kurz darauf den Fuchs, Fürst Benedikt.

Als dieser sah, daß Stella Beatrice abgeworfen hatte, verhielt er einen Moment. Doch zum Reiten gehört auch ein Sturz, und er unterdrückte seine Sorge und galoppierte weiter. Stella hatte ihn überholt und ging als erste durch das Ziel, wo bereits einige ältere Herrschaften, die nicht mehr reiten mochten, in Jagdwagen warteten.

Hanno von Seitz war Sieger der Reitjagd. Er nahm die Trophäe befriedigt entgegen und war voller Verständnis, daß Benedikt sich nicht lange mit Gratulationen aufhielt, sondern zu dem Unfallort zurückritt.

Nur die ersten zehn Reiter waren bisher im Ziel eingetroffen. Benedikt gab seinem Hengst die Sporen, und der flog dahin. Endlich sah er die restlichen ungefähr fünfzig Reiter, die sich alle um den Unglücksort scharten. Er fühlte, wie sich ihm das Herz zusammenkrampfte.

Es konnte doch nicht sein, es durfte doch nicht sein, daß Beatrice einen wirklich schweren Unfall gehabt hatte!

Totenbleich kam er an, sprang von seinem Pferd und drängte sich durch die Menge. Die Zügel warf er einem der Freunde zu, die ihn blaß und bekümmert ansahen.

Neben Beatrice kniete seine Mutter.

»Der Notarzt ist schon verständigt«, sagte sie leise zu ihm. Dann stand sie auf und bat die Gäste, doch zum Ziel weiterzureiten. »Wir behindern den Arzt nur«, mahnte sie, und bedrückt zogen sich alle zurück.

Niemand hatte mehr Lust auf einen Wettkampf und einen schnellen Galopp. Man ritt mit langen Zügeln in leichtem Trab. Und alle hatten nur den einen Wunsch, daß es weniger schlimm war, als es aussah.

Beatrice lag mit geschlossenen Augen auf der Erde. Sie war halb bewußtlos, nahm alles um sich nur halb zur Kenntnis. Da war Benedikt! Das war die Hauptsache! Sie fühlte einen dumpfen Schmerz. Doch er war so weit weg, daß sie nicht einmal mit Sicherheit sagen konnte, ob es wirklich weh tat.

Benedikt rief ihren Namen – sie war zu müde, um zu antworten. Aber sie wollte ihn wenigstens anlächeln. Sie ahnte nicht, daß es eine erschreckende Grimasse wurde.

Dann hörte sie eine Menge fremder Stimmen um sich, und jemand sprach von Blutverlust und inneren Verletzungen. War von ihr die Rede? Man hob sie hoch und trug sie – trug sie –

Benedikt stand sprachlos da. Er starrte wie benommen auf die riesige Blutlache am Boden.

Beatrices weiße Reithosen waren blutgetränkt. Dafür war ihr Gesicht so weiß wie Schnee.

»Mein Gott! Mein Gott!« flüsterte er immer wieder tonlos.

Die Fürstin sprach leise und hastig mit dem Arzt. Dann trat sie neben ihren Sohn.

»Benedikt, der Doktor sagt, daß es keine lebensbedrohliche Verletzung zu sein scheint. Das ist doch die Hauptsache.«

»Ja«, sagte er heiser.

»Sie bringen sie mit dem Hubschrauber in die Universitätsklinik.«

»Ja«, sagte er wieder nur.

»Hör zu«, fuhr sie fort. »Du reitest jetzt nach Hause. Laß dich vom Chauffeur in die Klinik bringen. Ich kümmere mich um alles hier.«

»Ja«, murmelte er und rührte sich nicht.

Die Fürstin winkte einen der engsten Freunde herbei und bat ihn, Benedikt zurück zum Schloß zu begleiten und dafür zu sorgen, daß er unter keinen Umständen selbst fuhr. Graf Arco versprach es.

Man führte den Hengst heran, und Benedikt stieg in den Sattel.

»Wo ist Beatrice?« fragte er plötzlich. Es war, als erwache er aus einem Alptraum.

»Man bringt sie in die Universitätsklinik«, erinnerte ihn der Graf.

»Ich muß zu ihr!« stieß Benedikt hervor, gab dem Hengst die Sporen und preschte in so rasendem Galopp los, daß der alte Herr ihm nicht folgen konnte.

Immerhin kam er zurecht, um zu verhindern, daß Benedikt selbst fuhr.

Zuerst wollte er protestieren, doch als er im Wagen saß, war er froh darüber, nicht auf die Straße achten zu müssen.

Als er im Krankenhaus ankam, glaubten die Ärzte, er wäre ebenfalls krank, so mitgenommen sah er aus.

Das Ereignis, das so fröhlich und vielversprechend begonnen hatte, nahm ein trauriges Ende.

Man zog zum Diner nicht die festlichen Kleider an, wie vorgesehen, sondern aß die köstlichen Speisen fast wortlos, noch im Reitdreß. Dann zog man sich zurück, der Fürstin immer wieder sein Mitgefühl versichernd.

Als letzte verabschiedete sich Gräfin Helena.

»Wenn du nicht allein bleiben möchtest…«, bot sie mitfühlend an.

»Danke. Das ist lieb. Aber ich glaube, es ist besser, wenn ich Benedikt allein erwarte!«

Helena umarmte sie.

»Laß mich wissen, was Beatrice fehlt«, bat sie.

Margareta nickte.

Sie war froh, als sie endlich allein war.

Der Arzt hatte schwere, innere Verletzungen befürchtet. Sie hatte nichts davon zu Benedikt gesagt.

Aber sie hatte Angst. Schreckliche Angst.

*

Beatrice war noch am Tage des Unfalls operiert worden. Ihr Zustand erlaubte keine Verzögerung. Trotzdem war das Ergebnis deprimierend. Es dauerte zwei Tage, bis sie wieder ansprechbar war.

Als sie die Augen öffnete, sah sie in das kalkweiße, verhärmte Gesicht Benedikts, der neben ihr saß. Es dauerte, bis sie sich zurechtfand, aber allein sein Anblick genügte, um sie wissen zu lassen, daß es schlecht um sie stand.

»Ich – will alles wissen. Genau. Die Wahrheit!« verlangte sie mit schwacher Stimme.

»Ich liebe dich!« erwiderte er mit verzweifelter Dringlichkeit.

Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr sogar in dieser Situation schönes Antlitz.

»Das ist das Wichtigste«, erwiderte sie leise und versuchte, seine Hand zu drücken. Er beugte sich über sie und küßte sie zart und vorsichtig, als wäre sie aus Glas.

»Bitte, bemühe dich nicht, mich abzulenken. Früher oder später erfahre ich doch alles. Und eigentlich ist es mir lieber, du sagst es mir.« Und weil statt einer Antwort Tränen in seine Augen traten und langsam über die Wangen liefen, fuhr sie traurig fort: »Meine Beine – ich spüre sie nicht…«

»Das kann sich geben, sagte Prof. Hogarth«, stieß er hervor.

Sie betrachtete eine Weile schweigend seinen Kopf, der auf ihrer Hand lag. Seine Schultern zuckten. Er weinte, und das tat ihr fast mehr weh, als die Wundschmerzen, die sich langsam bemerkbar machten.

»Ich liebe dich«, wiederholte er verzweifelt! »Ich will keine andere Frau! Lieber verzichte ich auf alles! Titel! Vermögen!« Beatrice verstand. Auch sie war mit den alten Traditionen aufgewachsen.

»Ich hatte innere Verletzungen«, sprach sie es für ihn aus. »Ich – kann keine Kinder mehr bekommen!«

»Es ist mir gleich, Liebste! Nur du zählst für mich!« versicherte er heftig.

Beatrice glaubte ihm. Aber sie wußte, daß irgendwann sich sein Pflichtgefühl melden würde. Und vielleicht würde er es auch eines Tages leid sein, eine gelähmte Frau zu haben. Eine Frau, die ihn nicht auf die Feste und andere Anlässe begleiten konnte, die er in seiner Stellung zu besuchen verpflichtet war. Eine Frau, die niemals die Aufgaben der amtierenden Fürstin Kronstein erfüllen konnte. Eine Frau, die nicht mit ihm lachen und reiten und skifahren und Tennis spielen konnte – und die vor allem nicht mehr die Geliebte sein konnte, die ein junger, temperamentvoller Mann von vierunddreißig Jahren wie er einfach brauchte.

Und wenn er sich eines Tages, weil er es nicht mehr aushielt, für diese Dinge eine andere suchte – was keineswegs bedeuten mußte, daß er sie deshalb weniger liebte! –, wie würde sie das ertragen?!

»Ich liebe dich auch«, sagte sie leise. »Mehr als alles auf der Welt. Aber wir beide wissen, daß das keine Sicherheit ist, daß es für ein Leben genügt.«

»Wie kannst du so etwas sagen?!« schrie er geradezu wütend und sprang auf und rannte in dem Krankenzimmer hin und her. »Wie kannst du zweifeln –«

»Ich zweifel doch nicht. Ich weiß nur, daß wir beide pflichtbewußte Menschen sind. Daß wir wissen, was wir unseren Familien und Traditionen schulden. Und das würde alles für uns untragbar schwer machen.«

»Nicht für mich! Ich liebe dich zu sehr«, behauptete er. Aber Beatrice sah ihn nur an. Sie wußte, daß im Grunde auch er wußte, daß sie recht hatte.

Sie gab ihm keine Antwort, und sie schwiegen beide eine Weile.

Endlich seufzte sie: »Ich bin sehr müde, Benedikt. Und die Schmerzen sind sehr unangenehm. Bitte rufe die Schwester. Und – ich möchte jetzt schlafen.«

»Verzeih!« Er stand schwerfällig auf. »Ich sollte es dir leichter machen, und statt dessen jammere ich dir vor. Du bist die Stärkere! Ich sollte mich schämen!«

»Was für ein Unsinn!« Es gelang Beatrice zu lächeln. »Es ist inzwischen doch bekannt, daß die Frauen das stärkere Geschlecht sind!«

Er ergriff erneut ihre Hände.

»Liebste – ich – !«

»Bis morgen, Benedikt! Und sage bitte der Schwester Bescheid!«

Er riß sich los.

Kurz darauf trat die diensthabende Schwester ein.

»Ich muß so bald wie möglich den Professor sprechen!« verlangte Beatrice und lehnte das Schmerzmittel ab. »Ich muß klar denken können«, sagte sie ruhig.

Und die Schwester bewunderte insgeheim die ungeheure Disziplin der schönen Prinzessin, denn es war ihr klar, daß sie ziemliche Schmerzen haben mußte. Und auch, daß sie Bescheid zu wissen schien.

Wenige Minuten später erschien Prof. Hogarth bei seiner illustren Patientin. Er begrüßte sie förmlich. Dann erkundigte er sich nach ihrem Befinden.

»Schlecht«, erwiderte Beatrice und schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. »Ich habe große Schmerzen.«

»Wundschmerzen«, glaubte der Professor erklären zu müssen, »Sie bekommen ein Mittel – und in ein paar Tagen ist es überstanden.«

»Ich weiß, daß diese Schmerzen das geringste Übel sind«, gab sie ihm fast ungeduldig zur Antwort. »Auf meine Fragen sagte mir Fürst Kronstein, daß es eine Chance gibt, daß ich eines Tages wieder gehen kann?« Als der Professor mit der Antwort zögerte, drängte sie ihn ungeduldig: »Bitte, sagen Sie mir die Wahrheit!«

Man sah ihm an, wie schwer es ihm fiel, dieser schönen jungen Frau die ganze trostlose Wahrheit zu verraten.

»Man darf nie die Hoffnung aufgeben«, begann er schließlich vorsichtig. »In den USA ist ein Kollege, der in solchen Fällen Erfolge aufzuweisen hat. Natürlich kann auch er nichts versprechen, aber ich hätte Ihnen ohnehin geraten, Prof. White aufzusuchen. Ich werde ihn über Ihren Fall genau informieren. Auf alle Fälle müssen Sie sich auf eine langwierige Behandlung einstellen, Prinzessin Lindenburg!«

Sie nickte. Der Professor wollte sich verabschieden. Aber sie hielt ihn zurück.

»Und – das andere?«

Er wollte nicht verstehen.

»Sie wissen, was ich meine! Auch hier möchte ich die ganze Wahrheit erfahren«, sagte Beatrice streng. »Besteht eine, wenn auch nur geringe Chance, daß ich Kinder haben kann?«

Hogarth befeuchtete sich die Lippen. Er wußte, was das für eine Dame auf diesen Kreisen bedeutete. Er war schon öfter mit den strengen, dynastischen Gesetzen konfrontiert worden.

Wieder erriet Beatrice die Antwort.

»Auch nicht – mit künstlicher Befruchtung?« fragte sie.

»Nein, Prinzessin, nicht die geringste Chance. Die Verletzungen waren zu schwer. Wir mußten leider alles entfernen.«

»Ich verstehe«, sagte sie leise. »Danke, daß Sie mir alles aufrichtig mitgeteilt haben. Nun habe ich noch eine Bitte!« Sie lächelte ihn an, und wieder dachte er, wie schön sie wohl erst sein mußte, wenn sie sogar in diesem Zustand so bezaubernd aussah!

»Unter diesen Umständen muß ich natürlich meine Verlobung lösen. Der Fürst wird darauf nicht eingehen wollen, aber – es ist auf die Dauer sicher das einzig Mögliche. Deshalb möchte ich Sie dringend bitten, ihm nicht die Adresse dieses amerikanischen Professors zu geben, den ich allerdings unbedingt aufsuchen möchte. Teilen Sie mir bitte mit, wann Sie ihn erreicht haben und wann ich zu ihm kommen kann.«

Hogarth runzelte die Stirn.

»Der Fürst wird die Adresse auch anderweitig unschwer herausfinden!«

»Oh, ich werde ihm erzählen und ihn bitten, mir nicht nachzukommen. Es soll eine Überraschung werden. Dann wird er sicher darauf eingehen!«

»Gut, ich werde ihm genau dies sagen!« Hogarth nickte.

»Danke.« Beatrice lächelte verzerrt. »Und wenn ich jetzt das Schmerzmittel haben könnte – ?«

»Natürlich«, sagte er und legte einen Moment mitfühlend die Hand auf ihren Arm. »Sie sind bewundernswert tapfer, Prinzessin!«

»Danke«, murmelte sie und schloß die Augen. Er sollte rasch gehen, damit sie endlich weinen konnte.

*

Fürstin Margareta saß in ihrem Boudoir und versuchte vergeblich, sich auf den Roman zu konzentrieren, den sie gerade las. Doch immer wieder glitten ihre Gedanken zu jener Reitjagd, auf der das Glück von so vielen Menschen zerstört wurde. Was war aus Benedikt in den vergangenen Monaten geworden!

Der elegante junge Fürst, voller Temperament, neuer Ideen, Frohsinn und Liebe zu allem, was schön war! Heute glich er einem Schatten seiner selbst. Er schien um Jahre gealtert. Er erfüllte zwar nach wie vor vorbildlich seine Pflichten – aber wohin war seine ansteckend gute Laune?

An Beatrice mochte sie lieber gar nicht denken. Was war aus dieser schönen jungen Frau geworden, die nie einem Menschen etwas zu Leide getan hatte? Ein armseliger Krüppel! Sie, die alle beneidet hatten – eine Märchenprinzessin! Und jetzt?

Die Fürstin lachte bitter auf.

Genau wie ihr Sohn vermied sie es weitgehend, unter Menschen zu gehen. Nur Gräfin Helena Auen besuchte sie hin und wieder. Auch sie war voller Kummer über ihre Tochter, die sich nach wie vor beharrlich weigerte zu heiraten – dabei war sie bereits Anfang Dreißig! Welches Unglück mochte der Grund dafür sein?

Es klopfte, und im gleichen Moment öffnete sich die Tür. Benedikt kam herein.

»Man sagte mir, du hättest dich zurückgezogen. Störe ich dich?«

Seine Mutter betrachtete ihren gut aussehenden Sohn, und das Herz zog sich ihr zusammen. Er war totenbleich. Hatte er Nachricht aus den Staaten erhalten?

»Setz dich«, forderte sie ihn auf und sah ihn mit all ihrer Liebe an. »Du störst mich doch nie, Benedikt!« Sie wagte nicht zu fragen, was ihn zu dieser ungewöhnlichen Zeit zu ihr trieb.

Jetzt zog er einen Brief aus der Tasche. Er starrte ihn einen Moment schweigend an.

»Nachricht von Beatrice?« erkundigte sich die Fürstin vorsichtig.

»Ja«, erwiderte er knapp und schwieg wieder. Dann riß er sich zusammen, richtete sich aus seiner zusammengesunkenen Haltung auf. Und berichtete mit einer seltsam tonlosen Stimme.

»Sie hat mir auch das Untersuchungsergebnis des Professors beigelegt. Die Operation ist – ohne ersichtliches Ergebnis verlaufen. Sie wird – nie wieder –« Er verstummte und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Mein Gott«, flüsterte die Fürstin erschüttert.

Eine Weile schwiegen beide, dann fuhr Benedikt fort, jedes Wort kostete ihn Anstrengung und Überwindung.

»Sie – löst – mit diesem Brief – unsere Verlobung. Sie will mich nicht mehr sehen, um es uns beiden – leichter zu machen.« Er lachte bitter auf, dann sprang er von dem Sessel auf und rannte zum Fenster, das er weit öffnete.

Mit tiefen Atemzügen atmete er die frische Frühlingslust ein.

Frühling! Die Natur erwachte. Und Beatrice –

»Sie war immer schon ein großartiger Mensch«, sagte die Fürstin.

»Ja!« stieß Benedikt hervor, so, als schmerze ihn jedes Wort körperlich. »Ja. Sie – erinnert mich an meine Pflichten. Sie schreibt –« Er brach ab. Dann, noch immer mit dem Rücken seiner Mutter zugewandt, sagte er: »Du kannst es ja selbst lesen, wenn du möchtest.«

»Nein, mein Lieber. Ich verstehe dich und Beatrice auch so.«

Nach einigen Minuten schloß der Fürst das Fenster. Auch der Frühling konnte sehr kalt sein.

»Ich weiß, es muß weitergehen. Irgendwie. Bitte, Mutter…«

Mutter? Sonst sagte er zärtlich Mama zu ihr!

»Bitte, Mutter, wähle du eine passende Frau für mich aus! Ich weiß, daß ich mich auf dich verlassen kann.«

»Benedikt!« rief die Fürstin und verstummte sogleich wieder. Sie konnte ihm jetzt doch nicht sagen, wie unendlich erleichtert sie über seine Entscheidung war!

»Und bitte, Mutter, sorge dafür, daß sie mich nicht liebt. Ich würde ihre Gefühle niemals erwidern können, und das wäre mehr als unfair einem Menschen gegenüber, der einem womöglich ähnliche Gefühle entgegenbringt, wie ich –« Seine Stimme brach. Er konnte den Namen nicht aussprechen, ohne seine Beherrschung zu verlieren, ohne in Verzweiflung zu versinken.

Ohne seine Mutter noch einmal anzusehen, verließ er ihr Boudoir.

Fürstin Margareta faltete die Hände zu einem stillen Dankgebet. Sie dankte Beatrice für ihre großmütige Haltung, sie dankte dem Himmel für Benedikts Entscheidung.

Bestimmt würde er nie wieder eine Frau so lieben, wie er Beatrice geliebt hatte und wahrscheinlich immer noch liebte, aber vielleicht würde er sie gern haben, schätzen, und ganz gewiß würde er die Kinder lieben, die sie ihm schenkte und die den Fortbestand des alten Namens sichern würden.

Sie sollte eine Frau für ihn wählen? Die Fürstin hatte sich bereits entschieden, vorausgesetzt, daß die Erwählte zustimmte! Sie griff nach dem Telefon. Auch wenn es Mittagszeit war, mit diesem Anliegen, diesen Nachrichten durfte sie ihre liebste Freundin und entfernte Verwandte, die Gräfin Helena Auen, auch jetzt stören.

*

»Ah, was war das wieder für ein herrlicher Morgen! Guten Morgen, liebste Mama!« Gräfin Hermia betrat das Frühstückszimmer in welchem ihre Mutter, noch im seidenen Morgenmantel, aber bereits frisiert, dezent geschminkt und mit ihrem unvermeidlichen Perlschmuck, an dem reizend gedeckten Tisch saß. Wie immer waren Porzellan, Blumenstrauß, Tischdecke und die kleinen Damastservietten mit dem gräflichen Monogramm perfekt aufeinander abgestimmt. Auch der Morgenmantel von Gräfin Helena harmonierte mit den zarten Pastelltönen des mit norddeutschen Biedermeiermöbeln eingerichteten Raumes.

Hermia ließ sich in den Sessel gegenüber ihrer Mutter fallen, nachdem sie diese liebevoll auf die zart gepuderte Wange geküßt hatte. Sie erriet unschwer, um was es sich handelte: ein neuer Heiratskandidat! Das ging so, seit sie zwanzig war. Und inzwischen war sie zweiunddreißig!

Sie verstand ihre Mutter. Sie sorgte sich um sie. Sie fürchtete, sie könnte eines Tages allein und einsam zurückbleiben. Dazu unversorgt, wenn einmal die Pension ihres Vaters wegfallen würde. Denn sie gehörten einem unbemittelten Zweig der fürstlichen Familie Auen an.

Die Gräfin musterte ihre Tochter mit bekümmertem Stolz. Sie war eine so wunderschöne junge Frau – und all diese Schönheit, Klugheit und Liebenswürdigkeit sollte verschwendet sein? Nicht an eine Tochter, an einen Sohn weitergegeben werden? Ihre gleichmäßig blasse Haut war zart gebräunt und frisch durchblutet – sie kam von einem ihrer morgendlichen Waldspaziergänge. Sie hatte Forstwirtschaft studiert und auch den Jagdschein gemacht, obgleich sie mehr an der Hege als an der Jagd selbst interessiert war. Es sei denn, ein verletztes oder krankes Wild mußte von seinen Qualen erlöst werden. Die knappen Lederkniebundhosen zeigten ihre fabelhafte Figur, die moosgrüne Bluse betonte die Smaragdfarbe ihrer Augen, in denen jetzt Pünktchen tanzten. Natürlich: sie amüsierte sich wieder einmal über ihre alte Mutter, die nie aufgab…

»Nun, Mama, wer ist es denn dieses Mal?« fragte Hermia und biß lachend in ihr Frühstücksbrot.

»Höre mich wenigstens bis zu Ende an!« sagte die Gräfin ärgerlich.

»Aber das tue ich doch immer, Mama!« gab Hermia zur Antwort und lachte wieder.

»Aber du sagst immer schon nein, bevor du auch nur nachgedacht hast!« ärgerte sich ihre Mutter.

»Mach es nicht so geheimnisvoll«, meinte Hermia und hoffte, die lästige Geschichte rasch hinter sich zu bringen.

»Tante Margareta hat angerufen –«

Erstaunt hob Hermia den Kopf und sah ihre Mutter erwartungsvoll an.

»Du meinst – Margareta Kronstein?«

»Ja. Benedikt kommt vorbei. Er will um dich anhalten.«

Hermia legte ihr Brötchen auf den Teller zurück und sah ihre Mutter fassungslos an.

»Benedikt?« Das konnte nur eines bedeuten!

»Ja«, gab die wieder zur Antwort, kurz und ärgerlich, weil die Geschichte sie selbst tief berührte. »Beatrice hat die Verlobung gelöst. Sie kann weder Kinder haben noch jemals wieder gehen.«

»Oh, mein Gott, das ist ja furchtbar! Die Ärmste!« rief Hermia erschüttert. »Und der arme Benedikt! Jetzt muß er irgend jemanden heiraten, den er nicht liebt – nur auf Grund dieser dummen, überholten Traditionen!«

»Hermia!«

»Aber so ist es doch!« beharrte diese ungerührt auf ihren Ansichten.

»Er kennt eben seine Pflichten. Er weiß, daß man nicht nur Vorteile von seiner Herkunft hat, sondern, daß die damit verbundenen Verpflichtungen nicht weniger groß sind.«

»Liebste Mama, das weiß ich auch!« erwiderte Hermia, nun gleichfalls ärgerlich.

»Dann ist es ja gut!« sagte ihre Mutter. »Du magst ihn doch? Er ist einer der wenigen, über die du dich nie lustig gemacht hast.«

»Er gab dazu keinen Anlaß«, erwiderte Hermia kühl. »Ich mag und schätze ihn – genau wie ich Beatrice mag und schätze und ihr Verhalten jetzt ehrlich bewundere. Denn zwischen den beiden war es eine ganz große Liebe…« Ihr Blick verlor sich, und ihre grünen Augen wurden ganz sanft. Dann tat sie einen tiefen Atemzug. »Und deshalb ist es auch so besonders schlimm. Aber heiraten – will ich ihn trotzdem nicht!«

»Ich bitte dich, Hermia, höre ihn wenigstens an und werde nicht unhöflich.«

»Das werde ich beim ersten Mal nie, liebste Mama! Nur wenn der Verehrer zum dritten Mal kommt und einfach unbelehrbar ist, dann reißt mir gelegentlich die Geduld und ich werde deutlich, um endlich meine Ruhe zu haben.« Sie sah das bekümmerte Gesicht ihrer Mutter und lachte ein wenig traurig. »Wir leben doch so gut zusammen, Mamilein! Warum kann es nicht so bleiben?«

»Und wenn ich einmal nicht mehr lebe?«

»Unsinn! Du wirst mindestens hundert!«

»Ich bezweifle, daß ich mir das wünsche!« erwiderte die Gräfin. »Aber ganz bestimmt bin ich nicht beruhigt, wenn ich mit hundert Jahren sterbe und du dann mit achtzig allein dasitzt!«

Bei der Vorstellung mußten sie freilich beide lachen.

»Ich verspreche dir, daß ich mich hervorragend benehmen werde«, versicherte Hermia scherzend. »Benedikt und ich haben uns immer sehr gut verstanden. Und auch Beatrice gehörte zu den wenigen Standesgenossinnen, die mir nicht zu beschränkt und voreingenommen waren. Mache dir also keine Sorgen. Ich sage und tue ganz bestimmt nichts, was ihn kränken könnte.«

*

Es war ein schönes, großzügig gebautes Mietshaus aus der Zeit um die Wende des 19. Jahrhunderts, in dem die Gräfin Auen zusammen mit ihrer Tochter seit dem Tod ihres Mannes eine herrschaftliche Wohnung bezogen hatte. Die Fenster der Wohnräume blickten auf einen Park, und der Lärm der Großstadt drang nicht durch die soliden Mauern.

Nach einigem Suchen fand Benedikt einen Parkplatz für seinen Wagen und stieg mit einem tiefen Seufzer aus, bewaffnet mit einem Blumenstrauß für Gräfin Helena und in der Tasche seines Jacketts einen wunderschönen Diamantring für Hermia, falls sie »Ja« sagen sollte.

Er war mit dem Vorschlag seiner Mutter einverstanden gewesen, auch wenn er es sich immer noch nicht vorstellen konnte, jemals mit einer anderen Frau als Beatrice verheiratet zu sein.

Er mochte und schätzte Hermia. Sie wäre ihm als Gemahlin lieber als viele andere. Aber – sie war nicht Beatrice!

Er läutete, und gleich darauf ertönte der elektrische Türöffner. Die Wohnung befand sich im ersten Stock, er kannte sie, er war nicht zum ersten Mal hier. Doch heute ging er zu Fuß die elegant geschwungene Treppe hinauf und verzichtete darauf, den altmodischen, schmiedeeisernen Lift zu benutzen.

Hermia stand in der offenen Wohnungstüre und sah ihm entgegen. Als sie den prächtigen Strauß Sommerblumen erblickte, trat ein etwas gequältes Lächeln auf ihre Züge.

»Für deine Mutter!« sagte er und sie atmete so sichtlich auf, daß sie beide lachen mußten.

Sie nahm ihm die Blumen ab und bat ihn in den Salon, während sie eine Vase auswählte und den Strauß hineinsteckte.

»Mama hat sich taktvoll zurückgezogen«, erzählte sie nebenbei. »Sie macht irgendwelche Besorgungen in der Stadt.«

»Aha«, war Benedikts Kommentar.

»Es wäre komisch, wenn der Grund unseres Treffens nicht so tragisch wäre«, sagte Hermia nun und forderte ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen auf. »Ich weiß, weshalb du hier bist.«

»Das nehme ich an«, erwiderte Benedikt. »Aber bevor ich dich frage, muß ich dir noch etwas sagen, damit du dir überlegen kannst, ob du unter diesen Umständen überhaupt einverstanden bist.«

»Sehr gut«, gab Hermia gelassen zur Antwort. »Ich muß dir nämlich auch etwas sagen. Aber bitte: fang du an! Mama beschwor mich, höflich zu sein!« Sie lachten wieder beide, und beide dachten, daß, wenn sie sich unter anderen Umständen getroffen hätten, vielleicht – … aber es war nun einmal so, wie es war.

»Ich habe dich immer schon sehr schön und anziehend gefunden, amüsant und liebenswert und klug und alles, was du willst – aber ich liebe dich nicht!« begann Benedikt seinen Heiratsantrag. »Ich liebe Beatrice, und daran wird sich nie etwas ändern. Aber sie hat die Verlobung gelöst und will mich nie wieder sehen, weil sie, wie auch meine Mutter und sicher viele andere, die Ansicht vertritt, daß ich an meine Pflichten als Kronstein denken muß.«

Hermia nickte stumm.

»Von allen jungen Damen, die in Frage kommen, bist du diejenige, die mir am besten gefällt. Darum sage ich dir das auch alles, denn es wäre unanständig, wenn du womöglich enttäuscht wärest, daß ich dich nicht aus Liebe, sondern nur aus Pflichtbewußtsein heirate. Ich würde mich sehr freuen und mich geehrt fühlen, wenn du diesen seltsamen Antrag annehmen würdest und bereit wärest, meine Frau zu werden. Aber ich werde dir auch weiterhin in Achtung und Freundschaft verbunden sein, wenn du ihn aus mir durchaus begreiflichen Gründen ablehnst.«

Hermia sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Dann sagte sie: »Ich vertraue dir jetzt etwas an, was ich noch keinem Menschen verraten habe, auch nicht meiner Mutter, vor der ich sonst keinerlei Geheimnisse habe. Und ich möchte dich bitten, mit niemandem, auch nicht mit deiner zukünftigen Gemahlin, wer immer es ist, darüber zu reden.«

»Selbstverständlich«, versicherte Benedikt, der jetzt doch neugierig wurde.

»Ich weiß nicht, ob du auch zu denjenigen gehörst, die sich immer wieder gewundert haben, weshalb ich auch glänzende Partien ausschlug, obgleich ich mir es dem Anschein nach doch nicht leisten kann.«

»Nun, du wirst sie nicht geliebt haben«, meinte Benedikt.

»So ist es«, gab Hermia zu. »Ich liebe jemanden, der als Ehemann für mich nicht in Frage kommt. Ich bin ein Leben gewöhnt, das er mir niemals bieten kann, und ich weiß nicht, ob ich mich ihm so anpassen könnte. Ich weiß auch nicht, ob er sich in meinen Kreisen zurecht finden würde. Seine Bildung, seine Interessen sind von den meinen allzu verschieden. Trotzdem lieben wir uns über alles. Eines weiß ich aber sicher: es würde meine Mutter todunglücklich machen. Vielleicht, falls ich sie überlebe, werde ich ihn eines Tages heiraten. Mit fünfzig oder sechzig Jahren«, schloß sie schmunzelnd.

Benedikt sah sie überrascht an. Dann schluckte er und fragte:

»Kenne ich ihn?«

»Möglicherweise«, gab sie mit einem amüsierten Lächeln zur Antwort. »Er ist einer der Jäger des Fürsten Ö. Er heißt Philip Senger.«

»Ja, doch«, sagte Benedikt. »Ich glaube, ich erinnere mich. So ein großer, blonder junger Mann. Sehr sympathisch –« Er brach ab, weil es so dumm klang.

Hermia lachte.

»Ja. Das finde ich auch.«

»Dann gibst du auch mir einen Korb.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Das tut mir leid.«

»Ich habe darüber nachgedacht, seit meine Mutter mir erzählte, daß deine Mutter bei ihr angerufen hätte.« Sie sah ihn forschend an. »Ich weiß nicht, wie weit du mit dem einverstanden bist, was ich dir jetzt vorschlage. Und dann – muß ich natürlich auch noch mit Philip reden.«

»Wir haben uns vorgenommen, ganz aufrichtig mit einander zu sein – und anders geht es wohl auch nicht unter diesen ausgefallenen Umständen«, fand Benedikt.

»Du hast recht«, stimmte Hermia ihm zu. »Ich bin zweiunddreißig. Und ich möchte gern Kinder haben. Allzu viel Zeit bleibt mir da nicht mehr. Ich habe dir die Gründe genannt, weshalb ich Philip trotz aller Liebe, die uns verbindet, nicht heiraten möchte. Und auch keine Kinder von ihm haben will. Könntest du dir vorstellen, daß wir heiraten, Kinder haben – um dir deine Erbfolge zu sichern und mir meinen Kinderwunsch zu erfüllen – und daß wir uns dann in Anstand und Freundschaft trennen, wenn wir feststellen, daß wir immer noch an unserer bisherigen Liebe hängen?«

Benedikt sah Hermia überrascht an.

»Du wärest bereit, sozusagen auf Zeit meine Frau zu werden?«

»Kannst du dir so eine Verbindung vorstellen?«

»Warum nicht?« Er lachte. »Besonders, wenn wir uns eines Tages im Guten trennen. Schrecklich finde ich nur diese Scheidungen, bei denen beide haßerfüllt auf

einander herumhacken. Denn das geht immer an den Kindern aus.«

»Und damit wäre ich auf keinen Fall einverstanden!« erklärte Hermia bestimmt.

»Und du glaubst, dein Philip würde zustimmen?«

»Er weiß, daß ich ihn nicht heiraten will. Aber ganz bestimmt wird er alles andere als begeistert sein, wenn ich ihm erzähle, daß ich dich zu heiraten bereit bin.«

»Und wenn er sich dann von dir trennt?« fragte Benedikt, der sich beim besten Willen nicht in die Rolle des Jägers versetzen konnte.

»Er wird sich nicht von mir trennen, denn –«, sie lächelte Benedikt an, »ich werde mich auch nicht von ihm trennen. Auch nicht – während unserer Ehe. Ich hoffe, du findest bei dir eine Stellung für ihn.«

»Als Jäger?« fragte der Fürst zweifelnd.

»Er hat nichts anderes gelernt«, gab ihm Hermia zur Antwort.

»Aber –«, er sah sie etwas verlegen an, da er nicht wußte, wie er sich am besten ausdrücken sollte. »Die Erbfolge –«

»– wird selbstverständlich von dir ohne fremde Hilfe gesichert«, sagte Hermia und lachte. »Das verspreche ich dir aufrichtig.«

Benedikt streckte ihr die Hand hin, und sie schlug ein.

Jetzt grinste auch er und zog das kleine Etui mit dem Verlobungsring aus der Jackentasche.

»Auch wenn es nicht eine herkömmliche Ehe wird –, ich glaube, wir werden uns sehr gut verstehen!« meinte er. »Und selbstverständlich darf und wird niemand erfahren, was wir heute besprochen haben!«

»Natürlich nicht! Schon wegen unserer Kinder!« erwiderte Hermia ernst. »Ich fahre jetzt zu Philip und rede mit ihm. Bitte, warte noch so lange mit dem Drucken der Hochzeitsanzeigen!«

Was für eine seltsame Verbindung, dachte Benedikt, als er die Wohnung verließ.

Doch so schien ihm eine Heirat möglich, ohne daß er seine Liebe zu Beatrice verriet.

Hoffentlich gelang es Hermia, ihren Philip zu überzeugen.

Und hoffentlich gelang es ihm, Beatrice zu finden und ihr alles zu erklären. Diesen Kompromiß auf Zeit.

*

Philip Senger stand vor der Jagdhütte, die mitten in den Waldungen des Fürsten Ö. lag. Sein Dienstherr war verwundert gewesen, daß ein Mann wie dieser Jäger so abgelegen wohnen wollte, doch es war ihm nur recht. Hier hatte er alles bestens unter Kontrolle, auch die Sonntags-Ausflügler, die lärmend durch die Wälder zogen, oder die heimlichen Wilderer, von denen es auch immer noch genug gab.

Philip hatte einen anderen Grund, weswegen er eine so abgeschiedene Behausung gewählt hatte. Er wartete auf die Frau, der er seit mehr als zehn Jahren verfallen war.

Ja, man konnte es nur so nennen – denn als er sie damals zum ersten Mal sah, war er mit seinen sechsundzwanzig bestimmt kein heuriger Hase mehr gewesen. Und inzwischen war er achtunddreißig – und konnte noch immer an keine andere denken, auch wenn er sich unzählige Male vorsagte, daß es verrückt und völlig aussichtslos war und daß sie niemals ein Paar werden könnten.

Er, der einfache Jäger – und sie, die hochgeborene Gräfin.

Dabei hatte er unter den Frauen und Mädchen alle Chancen, die man sich nur vorstellen konnte, aber er wies sie mit einem kalten Lächeln ab und galt als hochmütig, arrogant – und ein bißchen verrückt.

Verrückt war er bestimmt, dachte er und lachte vor sich hin. Aber anders, als alle dachten!