Griechische Inselmärchen
Märchen der Welt
Herausgegeben von Constanze Ott-Koptschalijski
FISCHER E-Books
Constance Ott-Koptschalijski studierte Germanistik und Geschichtswissenschaft (M.A.) in Wien.
In der Reihe ›Märchen der Welt‹ hat sie zudem ›Märchen aus Griechenland‹ sowie ›Märchen und Mythen vom Fliegen‹ herausgegeben.
www.fischerverlage.de
Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403118-7
Auf der Peloponnes
dunkelhäutiger Diener
Für Leander
Es war einmal ein Märchen, das erzählte von Großmütterchen und Großväterchen. Die beiden waren schon ziemlich alt und sehr arm. Sie besaßen einen kleinen Garten und ein winziges Häuschen. Viele Sachen waren nicht mehr drinnen, recht ärmlich war es. Früher einmal, als die beiden noch jung waren, da gingen sie täglich aus dem Haus, um zu arbeiten und davon zu leben. Sie waren stets fleißig gewesen. Jetzt sind sie alt und gebrechlich, da will sie niemand mehr nehmen, weil sie nicht mehr ordentlich zupacken können, so wie früher.
Also, sie mühen sich ab im Alter. Im Winter bekamen sie ihre Armut besonders hart zu spüren, sie litten an Hunger, denn im Garten gab es kein Gemüse, keine Früchte, und es gab auch nichts, was sie verkaufen könnten und wofür sie Geld bekommen hätten.
Eines Tages wurde die alte Großmutter krank und gebrechlich. »Hm, ich habe großen Hunger«, klagt sie ihrem Mann, »geh in den Garten hinaus, vielleicht findest du etwas, was wir kochen können.«
»Aber, aber, was soll ich denn finden? Dort wächst ja überhaupt nichts um diese Jahreszeit!«
»Geh, Mann, vielleicht findest du doch etwas. Irgendwas, gleichgültig was. Vielleicht auch nur ein wenig wilde Zichorien. Da drüben, wo das Wasser rinnt, da wächst so etwas frühzeitig, weil es feucht ist.«
Dem alten Mann blieb nichts anderes übrig, als nach irgendwas Eßbarem zu suchen.
Und sieh da, er fand tatsächlich ein paar wilde Zichorien.
Und zufällig, während er dort weiter herumsuchte, fand er auch eine große Bohne: »Oh, so eine köstliche Bohne! Aber ohne Zähne kann ich sie wohl nicht essen. Macht nichts, ich werde sie im Garten einpflanzen, dann werden wir zumindest das zu essen haben, was da herauswächst in seiner Zeit.«
Also, er pflanzte die Bohne ein und kehrte nach Hause zurück. Die alte Frau freute sich, weil sie wilde Zichorien zu essen hatte. Sie aßen und tranken Wasser dazu, und es ging ihnen wieder besser.
»Du weißt noch gar nichts davon, Großmutter! Aber ich habe beim Wasser eine große Bohne gefunden. Sie ist so groß wie mein Daumen.«
»Wo ist sie? Ich will sie sehen.«
»Ich habe sie gleich in unserem Garten eingepflanzt.«
Am nächsten Tag wurde die Großmutter wieder sehr hungrig.
»Ach, ich habe Hunger! Geh in den Garten und schau nach, vielleicht ist aus der Erde eine Bohnenpflanze herausgewachsen. Dann können wir die kleinen Bohnen einsammeln, sie kochen und davon eine Mahlzeit zubereiten.«
»Bist du völlig verrückt geworden, Frau?« ruft der Alte zornig. »Ich habe die Bohne erst gestern eingepflanzt! Was glaubst du denn, was da heute bereits herausgewachsen sein soll?«
»Mein lieber Mann«, erwidert die Großmutter, »geh und schau. Ich habe so eine Vorahnung, daß du kleine Bohnen finden wirst. Geh, geh, denn ich habe sehr viel Hunger.«
»Also, dann geh ich wieder wilde Zichorien suchen«, denkt der Mann bei sich.
Er nimmt einen Korb und geht in den Garten hinaus. Als er dort vorbeikommt, wo er am Vortag die Bohne eingepflanzt hat, plötzlich …? Was kriegt er da vor die Augen?
Ein Baum, ein riesengroßer Baum ragt in den Himmel empor!
»Meine alten Augen! Sehe ich richtig, oder ist das alles nur eine Einbildung?«
Er sah richtig, es war ein gewaltiger Bohnenbaum, so groß wie eine Platane, beladen mit frischen Bohnenschoten, so lang wie eine Elle war jede einzelne davon. Der Mann kniete davor nieder. »O Wunder! Großartig bist du, mein Herr, mein Gott, und deine Werke sind rühmenswert. Aber werde ich es mit meinen alten Knochen schaffen, da hinaufzukommen, denn der Baum ist gar so hoch und gar so breit?«
Er versucht, versucht, und es ist ihm plötzlich, als ob er Flügel hätte, so leicht hebt er von der Erde ab, fliegt auf und schwebt mühelos nach oben bis zur Baumkrone hinauf. Der Alte fliegt wie ein Vogel! Kann ein Mensch so fliegen? Großväterchen kann, ein Märchen ist es. Und unversehens ist er im Himmel! Und was erblickt er dort? Kann der Alte in den Himmel schauen? Großväterchen kann, ein Märchen ist es. Er sieht Gott auf seinem Thron. Tief beugt er seinen Kopf vor ihm und betet ihn an, genauso, wie er es einmal gelernt hat.
»Was suchst du hier?« fragt ihn der Herr. »So und so ist es, mein Gott!« antwortet der Großvater und erzählt die ganze Geschichte.
»Es war mein Wille, daß du die Bohne findest. Du warst in deinem ganzen Leben immer ein guter Mensch und verdienst es, im Alter ein besseres Leben zu haben.«
Er zieht eine kleine Mühle aus der Tasche seines Gewandes hervor und sagt: »Nimm hier diese kleine Mühle. Was immer euer Magen begehrt, das ihr essen und trinken wollt, das sollt ihr haben. Sprich nur die Worte: ›Kleine Mühle, bringe uns dieses und jenes!‹, dann drehe ihr Händchen einmal herum, und du wirst alles fix und fertig vor dir sehen.«
Der alte Mann nimmt die kleine Mühle, bedankt sich bei Gott, und, eins, zwei gleitet er hinunter vom Bohnenbaum zur Erde herab, als ob er Flügel hätte.
Unten angekommen beguckt er das göttliche Geschenk neugierig, dann spricht er: »Kleine Mühle, bringe mir Brot und ein Stück gebratenes Fleisch.« Er dreht das Händchen einmal und sieht vor sich stehen, was er sich gewünscht hat. Auf der Stelle setzt er sich nieder und ißt, dann erst geht er nach Hause. Die Großmutter erblickt ihn und bemerkt auch, daß er keinen Korb mehr in der Hand trägt. »Wieso hast du nichts gebracht? Wo ist der Korb? Ich habe schrecklichen Hunger und werde sterben, wenn ich nicht bald etwas zwischen die Zähne bekomme!«
»Was wünschst du zu speisen, sag, sag?«
»Ha, was soll ich sagen, was ich mir zu speisen wünsche? Wir haben ja nicht einmal ein Stück Brot, an dem man nagen könnte!«
»Ich habe dich gefragt, was du dir wünschst.«
»Na gut, wenn du es unbedingt hören willst! Also, ich wünsche mir eine gefüllte Henne, etwas gebratene Leber, ein im Ofen gebackenes Lamm und alles ordentlich mit Oregano gewürzt. Weiters köstliches Kataífi und Chalvás (= Süßspeisen), aber reichlich davon, denn es ist schon eine Ewigkeit her, daß ich Süßes gegessen habe. Nun, Großväterchen, was habe ich jetzt davon, daß ich meine Wünsche geäußert habe?«
»Du wirst gleich sehen! Kleine Mühle, schaffe herbei, was sich unser hungriges Großmütterchen gewünscht hat«, redet der Mann laut und dreht das Händchen der Mühle einmal. Da sieht plötzlich die Großmutter einen ganzen Haufen Speisen vor sich. Sie traut ihren Augen nicht! Alles, was sie eben aufgezählt hat, steht warm und dampfend vor ihr auf dem Tisch.
»Bringe uns noch, kleine Mühle, Brot und Wein, Äpfel und Aprikosen, Kirschen und Weintrauben«, spricht der Alte.
»He, he, aber, aber … es ist schon genug, Mann!« ruft die alte Großmutter vor Schreck und Aufregung.
Ihre Augen gehen über beim Anblick der köstlichen Speisen, der Getränke, der Süßigkeiten und der Früchte! Und ihre Nasenflügel sind voll von den wunderbaren Gerüchen.
Sie begann nach Herzenslust zu essen und fragte den Großvater, wo er diese kleine Mühle gefunden habe, dieses Wunderwerk! Der Mann erzählte ihr, wie es ihm mit der Bohne ergangen sei, die er am Tag zuvor gepflanzt habe.
»Siehst du! Habe ich es dir nicht vorhergesagt? Habe ich nicht gesagt, daß du frische Bohnen finden wirst? Wenn ich mit dir rede, Mann, dann sollst du auf mich hören! Du wirst nicht mehr sagen, daß ich verrückt geworden bin.«
Es ging ein ganzer Monat vorbei, zwei Monate, drei Monate, … zehn Monate. Und Speisen und wieder Speisen brachte die Mühle heran, die Mägen der beiden Alten füllten sich. Die alten Leute fühlten sich wieder jung, weil sie immer genug zu essen hatten.
Eines Tages hatte die Großmutter einen Geistesblitz, sie sagte: »Ich möchte, daß wir die kleine Mühle vergolden lassen«, sagt sie. »Ja sicher, das will ich! Wieso nicht? Sie verpflegt uns, verwöhnt uns, als ob wir König und Königin wären. Wir verkaufen auch ihre Speisen und können uns davon besorgen, was wir wollen. Sie ist es wert, daß wir sie vergolden.«
»He, he! Laß es gut sein, Frau. Gott hat sie uns so gegeben, und so soll sie auch bleiben!«
»Nein, ich will sie vergoldet haben! Du sollst auf mich hören, Großvater, du wirst sehen!«
»Du sollst die kleine Mühle lassen, wie sie ist, das sage ich dir, Frau! Kennst du nicht das Sprichwort: Die Henne hat vor lauter Wühlen im Misthaufen ihre Augen verloren! Das bedeutet für uns, wir sollen die Sachen nicht verändern, sondern sie unverändert lassen. Daher laß du die Mühle wie sie ist.«
Die Frau hörte nicht auf seine Worte, sie vernahm sie nicht einmal mehr.
Eines Morgens, heimlich, nimmt sie die Mühle, steckt sie in einen Sack und bringt sie zu einem Goldschmied.
»Warum willst du die kleine Mühle vergoldet haben, Großmütterchen?« fragt der sie neugierig. »Es geschieht zum ersten Mal, daß eine kleine Mühle zu Gold wird. In den Häusern der Wohlhabenden und Reichen, sogar in den Palästen der Könige haben die Leute keine goldenen Mühlen.«
Die Großmutter wird zornig: »Ba, Meister! Aber es ist auch das erste Mal, daß es in der Welt so eine Mühle gibt wie diese! Was weißt du schon davon?« ruft sie.
»Was ist so besonders an ihr?«
Daraufhin erzählt sie ihm alles über die Mühle, der hört genau zu: »Ja, wenn das so ist, dann werde ich sie dir selbstverständlich vergolden.«
»Beeile dich aber, denn am Abend muß sie schon wieder zu Hause sein!«
»Es wird sein«, sagt der zu ihr. Die Alte läuft weg.
Der Goldschmied geht, er kauft sich so eine kleine Mühle, vergoldet sie und schickt sie ins Haus der Großmutter. Die ist überaus stolz auf das kleine, goldene Kunstwerk, als sie sieht, wie es glitzert, wie es glänzt! Kostbar und edel sieht es aus, und die ganze Stube erstrahlt davon!
Hm, alte Großmutter, … hm, hm! Ohne sie auszuprobieren, stellt sie die goldene Mühle einfach in die Ecke, in der sie immer zu stehen pflegt. Wunderbar sieht sie aus!
Hm, also, … am Abend kommt der alte Mann zurück, er setzt sich zu Tisch, sagt: »Bring mir, kleine Mühle, ein wenig Brot, Käse, Oliven und einen Ouzo.«
Nichts passiert!
»Bring mir, kleine Mühle, das und das.«
Nichts!
Die goldene Mühle brachte nichts, sie rührte sich nicht, überhaupt nicht mehr! Hm, hm, Großvater und Großmutter!
»Och! Och! Was ist mit dir, kleine Mühle? Warum bringst du uns heute nichts zu essen? Ich bin hungrig! Du bist doch nicht etwa kaputtgegangen, oder?« sprach er zu ihr.
Die Großmutter tat so, als ob sie von nichts wüßte. Der Mann wollte keinen Streit mit ihr anfangen und schenkte der kleinen Mühle weiter keine Aufmerksamkeit. Sie aßen ihre Eßvorräte, was eben so übriggeblieben war, sie wurden satt.
Am nächsten Tag, schon früh am Morgen, guckt der alte Mann zur Haustür hinaus. Wohin mag er wohl gehen?
Zu dem mächtigen Bohnenbaum. Großväterchen steigt auf, er wird ein Vogel, er fliegt hoch zu Gott in den Himmel. Es ist ein Märchen! Er kniet nieder vor ihm, betet ihn an und sagt: »O mein Herr, o mein Gott! Eine lange Zeit ist es uns gut ergangen dank deiner Güte. Aber die kleine Mühle ist kaputt. Was soll ich tun?«
Der Herr lächelt nur darüber. Er schlägt mit seinem Stab gegen den Himmelsboden und siehe da, plötzlich steht ein winziges, neugeborenes Lämmchen vor ihnen. Jetzt spricht Gott zu dem alten Mann: »Nimm dieses Lamm als Ersatz für die kleine Mühle. Es wird dir zwar keine Speisen bringen, dafür kann es Gold machen. Du wirst mit den Goldstücken einkaufen und gut davon leben.«
Der Mann bedankt sich bei Gott, dem Herrn, betet ihn an, nimmt das kleine Lämmchen zärtlich in seine Arme und schwebt damit zur Erde hinunter. Eins, zwei, drei, der Alte pocht an seine Haustür, glücklich!
Bam! Nun gab es ein Goldstück. Bam! Nun gab es zwei Goldstücke. Der Mann stellte also das kleine Lämmchen auf den Fußboden und siehe da, es machte tatsächlich Goldstücke statt Speisen und Getränke.
»Ah! Ah! Was ist denn das? Was hast du da gebracht?« fragt die Großmutter und sprang wie ein junges Mädchen um das Tierchen herum. »Ich bin wieder auf den Bohnenbaum geklettert und zu unserem Herrgott aufgestiegen. Ich habe ihm erzählt, daß die kleine Mühle kaputtgegangen ist. Er hatte Mitleid mit uns und hat uns dieses Lämmchen gegeben, das, statt Speisen zu bringen, Goldstücke macht. Du mußt diesmal sehr vorsichtig sein, Großmutter! Achte darauf, daß es ja nie wegläuft aus unserem Haus, damit es die anderen Leute nicht stehlen.«
»Ich bin doch nicht verrückt! Ich werde aufpassen wie auf mein eigenes Augenlicht. Und mehr noch!«
Dann machten die beiden Alten Feuer, kochten Kaffee und waren guter Dinge.
Sie hatten lange Zeit viel Freude mit dem Lämmchen. Der alte Mann brachte jeden Tag Gras aus dem Garten für das kleine Geschöpf, frisch und viel, es fraß munter vor sich hin und machte immer einen Haufen Geld.
Die alte Frau sammelte die Goldstücke sorgfältig auf und warf sie – kling! klang! klung! – in eine große Schüssel.
Eines Tages wurde dem alten Mann eine Arbeit angeboten, und er mußte für ein paar Tage in die Hauptstadt unserer Insel reisen, nach Mitilíni.
»Höre, du! Hüte unser Goldlämmchen wie dein Augenlicht, solange ich in Mitilíni bin!« sagt er zu seiner alten Frau, ehe er von daheim weggeht.
»Bleibe ruhig und mach dir keine Sorgen«, antwortet sie ihm. Nachdem der Mann das Haus verlassen hatte, setzte sich die Großmutter auf die Bank vor dem Haus und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Und während sie so dasaß, hatte sie wieder einen Geistesblitz. »Ach, ohne genügend Sonne, ohne frische Luft vom Berg, ohne saftiges Gras wird unser Lämmchen nicht wachsen und nicht gedeihen! Ich werde es hinauf in die Berge bringen. Wieso auch nicht? Es versorgt uns, verwöhnt uns, als ob wir König und Königin wären. Wir können mit den Goldstücken kaufen, was wir wollen. Das kleine Lamm ist es wert, es braucht Bergluft!« Also nimmt sie das Tierlein, bringt es kurzerhand zu einem Hirten und sagt zu ihm: »He, Hirte! Ich habe dir dieses Lämmchen gebracht, damit es hier gut gedeiht und schneller größer wird. Aber achte darauf, daß ihm nichts geschieht. Hüte es wie dein Augenlicht! Hier hast du fünf Goldstücke dafür.«
»Ja, Großmutter! Mit Freude mache ich das!« rief der Hirte und griff wie verrückt nach den Goldstücken. Er rieb sich die Hände, denn so viel Gold steckte noch nie in seiner Hosentasche. Die Tage vergingen, … acht, neun, zehn, dann kam die alte Frau wieder zu dem Hirten.
»He du, ist das kleine Lamm inzwischen gediehen und gewachsen? Ich bin gekommen, um es wieder zurückzunehmen.«
»Ah, Großmutter! Ich habe dich schon erwartet. Schau nur, wie groß dein Lämmchen geworden ist hier bei mir. So habe ich es gemacht. Sieh her!« sagt der Hirte.
Er läuft durch seine Herde, nimmt irgendein großes Lamm und stellt es der alten Frau vor die Füße. Hm, die ist sehr verwundert, sie schüttelt den Kopf: »Bo, bo! Wie groß das Lämmchen in den zehn Tagen geworden ist? Ich kann es kaum glauben! Aber ich habe mir gedacht, daß es Bergluft braucht und viel frisches Gras. Du hast dir die fünf Goldstücke wirklich verdient.« Zufrieden packt sie das große Lamm und geht weg.
Sie nimmt eine Straße, nimmt eine andere, trifft eine Nachbarin, sie reden, es wird dunkel, und die Großmutter kehrt nach Hause zurück. Das gute Lamm macht gleich einen Haufen Goldstücke, die Alte sammelt sie zusammen und gibt sie in die Schüssel. Und da! Wieder rollen ein paar Goldstücke auf den Boden.
Hm, … da kommt auch schon der alte Mann von seiner Reise nach Hause.
»Da, da! Guck dir einmal an, Großväterchen, wie es unserem Lamm ergangen und was es eben gemacht hat!« Der dreht sich um und sieht ein großes Lamm und Goldstücke daneben.
»Oho, was ist das? Das ist doch nicht unser Lamm! Dieses hier ist dreimal so groß. Wo bist du wieder hingegangen, Frau, so daß jemand unser Goldlämmchen stehlen und dir dieses dafür geben konnte?«
Die Großmutter schwieg, sie tat so, als ob sie nichts wüßte und nicht einmal bis drei zählen könnte.
»Hm, du Frau, alter Mensch! Ich gehe jetzt und werde alles dem Herrgott erzählen, damit er den gemeinen Dieb bestraft!« sagt er traurig.
Er stand auf, lief zum Bohnenbaum, stieg auf zu Gott, betete ihn an und klagte ihm seine Sorgen.
»O Herr, o mein Gott! So und so ist es uns ergangen mit dem kleinen Lamm! Wir haben noch Goldstücke versteckt, so viele, daß es für unser ganzen Leben reicht und sogar noch etwas übrigbleibt. Aber wieso haben Diebe das Lämmchen vor unserem Haus gestohlen? Wie konnte das geschehen? Das Goldlämmchen war doch unser geheimer Stolz. Du mußt den Gauner, den Dieb bestrafen, mein Gott?«
Diesmal lächelte der Herr nicht, sondern sprach zu dem alten Mann: »Höre! Nichts ist so gewesen, wie du denkst. Die kleine Mühle ist nicht einfach kaputtgegangen, und auch euer Goldlämmchen hat niemand vor eurem Haus gestohlen. Was ist wirklich geschehen? Deine Frau hat die Mühle zum Goldschmied gebracht und das Lamm zum Hirten! Die haben beide den Wert erkannt und der eine hat die Mühle, der andere das Lamm für sich behalten. Also muß deine alte Frau bestraft werden, weil sie hinter deinem Rücken macht, was sie nicht tun soll und dir nichts sagt. Aber ich habe Mitleid mit dir und deshalb, da sie dir nahe ist, wird auch ihr verziehen werden. Nimm hier diesen Gehstock, laufe damit zu dem Goldschmied und verlange von ihm, daß er dir die kleine Mühle wieder zurückgibt. Wenn er sie dir nicht mehr geben will, dann sage: ›Wrrr, wrrr, Gehstock!‹ Ebenso wirst du auch mit diesem Hirten verfahren. Hast du mich verstanden?«
»Ich habe verstanden, Herr!« erwidert der. Er betet Gott an, steigt ab zur Erde und …, was glaubt ihr, daß der jetzt macht? Zum Goldschmied läuft er, der alte Mann!
»He, he, Kerl! Gib mir auf der Stelle meine kleine Mühle zurück, die dir meine Frau gebracht hat und die du Nichtsnutz vertauscht hast. Wird’s bald?«
»Welche Mühle? Welche Mühle? Ah, die habe ich doch am gleichen Tag vergoldet und ihr zurückgegeben! Was willst du noch von mir?«
»Gib mir sofort meine Mühle und laß die Lügen, Dieb!«
»He, du! Laß mich in Ruhe, du alter Trottel! Du kommst einfach daher und nennst mich einen Dieb, einen Lügner, einen Nichtsnutz? Was fällt dir ein!«
»Ach, du bist wohl ein ehrlicher Mann, Herr Goldschmied? So, so? Hältst du dafür auch einer Tracht Prügel stand? Gut! Wrrr, wrrr, Gehstock!«
Hui, hui! Der göttliche Gehstock schwingt sich in die Höhe! Da gibt es tüchtig Schläge. Bam! Einen auf den Kopf. Bam! Einen auf den Rücken. Bam, bam, bam! Und überall hin.
»Och, och! Ich bin verloren, bin verloren!« brüllt der Goldschmied und stöhnt vor Schmerz. Und da er sieht, daß der Gehstock nicht aufhört, auf ihn einzuschlagen, und daß er ihn auch nicht zu fassen bekommt, schreit er: »So hilf mir doch!« ruft er, »rette mich! Ich werde dir die Mühle gleich zurückgeben.«
»Hier, Gehstock!« spricht der alte Mann. Der Gehstock verschwindet sofort wieder unter der Jacke des alten Mannes. Der Goldschmied seinerseits, verbleut und gedemütigt, holt die kleine Mühle hervor und gibt sie dem Alten, der probiert sie aus und wirklich, es ist die richtige!
Danach eilte er schnurstracks zu dem Hirten am Berg. Das gleiche spielte sich dort oben ab. Bam! Der göttliche Gehstock machte dem wahrlich Feuer unter dem Hintern. Bam! Das hatte der Hirte noch nie erlebt.
Verbleut und gedemütigt holte auch er das Lämmchen hervor, der alte Mann probierte es aus, und? Es war tatsächlich sein Goldlämmchen! Er lief damit nach Hause.
»He, Frau, hier! Schau, was ich mitgebracht habe. Erkennst du jetzt, was du angerichtet hast? Du hast dich vor Gott mit deiner Dummheit lächerlich gemacht, weil du nicht auf meinen Rat, auf mein Sprichwort gehört und weil du mir nicht die Wahrheit gesagt hast. Doch unser Herrgott ist gerecht zu dir und gut. Er hat Mitleid mit mir gehabt und mir geholfen, damit die Wahrheit ans Licht kommt und die Ungerechtigkeit bestraft wird. Ich habe meine kleine Mühle zurückbekommen und das Goldlämmchen, die du mit deinen zwei Händen in die Hände der Diebe gegeben hast.«
»Vergib mir, mein Gott«, schrie die alte Frau, »und du, mein Mann, vergib mir auch! Ich werde nie wieder etwas hinter deinem Rücken tun. Nie, nie! Ich verspreche es!«
Jawohl! Die beiden Alten behielten nun die kleine Mühle, das Lämmchen und den Gehstock und verbrachten damit goldene Alterstage, besser als die Könige! Und hiermit hat die Geschichte von Großmütterchen und Großväterchen ein Ende gefunden.
[Märchen aus Lesbos]
Ich bin ein Märchen! Ich werde ein Märchen erzählen. Wenn ich erzähle und dann aufhöre, so wollt ihr noch eines, und wenn ich wieder eines erzähle, wollt ihr ein längeres und schöneres haben. Und dann?
Es war einmal ein Schneider, der lebte mit seiner Frau in der Nähe des königlichen Schlosses. Der Königssohn saß oft am Fenster und staunte nicht schlecht über die Schönheit und Anmut der Schneidersfrau, und er bestaunte sie sehr. Doch der Schneider war eifersüchtig, sehr eifersüchtig. Also schloß er die Seine im Haus ein von frühmorgens, wenn er wegging, bis zu jener Zeit des Tages, zu der er zurückzukehren pflegte, erst dann öffnete er die Tür wieder.
Eines Tages nun, zum Unglück des Schneiders, beobachtete der Königssohn die Frau wieder von seiner Veranda aus, die dem Haus gegenüberlag, als sie gerade einen Teppich ausschüttelte. Und wieder erblickte er die Schöne, einmal hier, einmal dort. Schließlich beschloß er, sie zu fragen, ob sie alleine sei, damit er mit ihr ins Gespräch kommen konnte. Er tat das, aber die Frau war sehr anständig, und sie hatte auch Angst vor ihrem Mann, daß der etwas bemerken könnte.
So geschah es, daß sich der Sohn des Königs Hals über Kopf in die schöne Schneidersfrau verliebte.
»Oh! Oh! Was soll ich tun?« dachte er. Einmal ging er, suchte und fand eine alte Frau, die viel von Liebesdingen verstand. Er versprach ihr eine Menge Goldstücke in einem Säckchen, wenn sie es zuwege brächte, daß sich die Frau des Schneiders in ihn verlieben würde.
Sie sagte: »Mein Königssohn, mache dir keine Sorgen. Davon verstehe ich etwas, das ist meine Arbeit!«
Und wirklich, gleich am anderen Morgen, just zu dem Zeitpunkt, als der Schneider die Haustür hinter seiner Frau zusperren wollte – klack! klack –, da trat die Alte an die Tür. Sie fängt zu reden an: »Guten Morgen!« sagt sie scheinheilig zu dem Schneider. »Weißt du, daß deine Garúfo (das ist nämlich der Name der Schneidersfrau) meine Nichte ist? Es sind so viele Jahre vergangen. Ich habe sie nicht gesehen, und sie wird sich auch nicht mehr an mich erinnern. Sie war damals noch ein junges Mädchen.«
Der Schneider konnte dabei wahrlich nicht an etwas Schlechtes denken. »Willst du sie sehen, Tante? Jetzt ist meine Zeit zum Arbeiten. Wenn du keine Eile hast, dann werde ich euch zusammen einschließen, und ihr könnt bis zum Abend miteinander sprechen.«
»Ah, ich habe keine Eile«, sagt die alte Frau, »es ist mir sehr recht so. Das ist gerade das, was ich will. Wir werden uns in Ruhe zusammensetzen, es gemütlich haben und uns viel zu erzählen wissen nach so vielen Jahren.« Somit sperrte der Schneider die Alte und die Garúfo im Haus ein und ging weg.
Die Alte setzte sich nieder, sie verweilte, blieb, sie aß, sie trank und erzählte alles; daß der Königssohn in sie verliebt, weil sie schön und anmutig sei, und daß er sie haben wolle. Und die Garúfo war stolz, als sie das hörte: »Oh! Oh! Soll ich das glauben, der Königssohn ist verliebt in mich? Oh!« Und sie redet eifrig zur alten Frau: »Wenn er mich küssen will und niemand darf davon erfahren, dann soll er mit Schaufeln die Erde aufgraben und einen unterirdischen Gang anfertigen lassen.«
Die alte Frau war glücklich, sehr glücklich. Sie konnte es kaum erwarten, bis die Zeit vorbei und es Abend war. Und sobald der Schneider von seiner Arbeit heimgekehrt war, sagte sie »Gute Nacht!« und verschwand.
Schnurstracks lief sie zum Palast des Königs und brachte die freudige Botschaft seinem Sohn. Der zögerte keine Minute. Er übergab ihr sofort die Goldstücke und ließ seinen Dienern befehlen, sie sollen, ganz heimlich, unter der Erde graben, und von da an ging er jeden Tag unter der Erde zur Schneidersfrau. Sie lebten gut, sagt man, und sie verbrachten viele Tage zusammen.
Irgendwann jedoch wollten sie die Heimlichkeiten nicht mehr, und die Frau entschloß sich, ihrem Mann davonzulaufen. Aber das war nicht so einfach. Daher dachten sie nach, sie heckten einen Plan aus. Der ging so: Der Königssohn solle den Schneider zu sich rufen lassen und ein Kleid aus kostbarer Seide für seine Braut bestellen. Er wolle am Sonntag Hochzeit feiern. Und so machten sie es auch. Der Königssohn rief den Schneider zu sich in den Palast und bestellte das Brautkleid. Er sagt ihm auch, er solle besonders gut nähen und auch sein Trauzeuge werden.
Der ahnungslose Schneider! Er lief glücklich zu seiner Frau. Die tat so, als ob auch sie glücklich wäre, und bat ihn, er solle doch ein Stück der kostbaren Seide mitbringen von dem königlichen Kleid. Und so, als der Tag der Anprobe nahte und die Garúfo merkte, daß ihr Mann zum Palast ging, lief sie zur gleichen Zeit unter der Erde auch dorthin. Sie probierte das Brautkleid als Verlobte des Prinzen, aber in Wirklichkeit war sie die Frau des Schneiders. Und der arme Mann sagt auch: »Mein König, deine Braut ist sehr schön. Sie sieht aus wie meine Frau.«
Während der Schneider das Kleid anmaß und schnitt und nähte, nahm er heimlich ein Stück Seide beiseite. Die Königin aber zählte am Ende der Anprobe die Stücke, und dem armen Schneider blieb nichts anderes übrig, als zu lügen und zu sagen, daß er den Stoff aus Versehen in seine Tasche gesteckt habe zusammen mit der Schere. Er war beschämt darüber, und als er nach Hause kam, schimpfte er seine Frau, weil sie ihn dazu angestiftet hatte, ein Stück Seide zu stehlen. Beinahe hätte die Königin glauben können, daß er, der herrschaftliche Schneider, ein Dieb, ein ganz gemeiner Dieb sei. Die Garúfo sagte nichts dazu, und als er sich wieder beruhigt hatte, als er gegessen und getrunken hatte, bat sie ihn nur darum, die ganze Hochzeitszeremonie mit ansehen zu dürfen. Damit war ihr Mann einverstanden, und er gab ihr die Erlaubnis, daß sie am Fenster stehen dürfe, um alles mitanzusehen.
Am Vorabend der Hochzeit jedoch ging der Königssohn zu einem Konditormeister und bestellte bei ihm eine Frau aus Zucker, die ebenso aussah wie seine Braut. Der arbeitete tüchtig die ganze Nacht, am nächsten Tag war die Frau fertig und sah haargenau aus wie die des Schneiders. Am Tag der Hochzeit setzten die königlichen Diener die Zuckerbraut ans Fenster des Schneiderhauses und die wirkliche Braut, die Garúfo, die wird gerade dem jungen König vermählt.
Während der Zeremonie wirft der eifersüchtige Schneider immer wieder einen Blick zum Fenster seines Hauses, und er ist beruhigt, daß er immer seine Frau dort sieht.
Als die Feierlichkeiten zu Ende waren, machte sich das Brautpaar fertig, um wegzufahren, um wegzureisen mit dem königlichen Schiff. Und der Schneider, ohne eine Ahnung zu haben, daß sein Glück schon auf dem Meer davonschwamm, fing zu singen an: »Wie deine schwarzen Augen, wie deine weiße Schürze, so nimmt der Königssohn eine Frau und bringt sie nach Moriá[1].«
Nachdem das Schiff weg war, nachdem er gewunken und gelacht hatte, eilte er vergnügt zu seinem Haus, zu seiner Frau zurück. Er ruft die Schöne, er will sie umarmen, er will sie küssen und ihr von der Hochzeit erzählen!
Aber nichts, er bekommt keine Antwort. Nichts. Er läuft, läuft die Treppe hinauf, und was sieht er? Hier sitzt seine Garúfo, aber sie ist aus Zucker.
Jetzt wird ihm klar, was hinter seinem Rücken gelaufen war! Er beginnt seine Haare zu raufen und zu schreien: »Was ist mir passiert! Was ist mir passiert! Ach, mich hat der Schmerz ergriffen, ich muß Schmerz ertragen!« Er klagt und klagt, klagt nur mehr, aber jetzt ist es zu spät.
[Märchen aus Zákinthos]
Einmal, da lebte ein König. Seine Frau war gestorben, und er hatte nur einen Sohn. Rasch war das Kind zu einem Jüngling herangewachsen und bemerkte eines Tages, daß eine Tür des Palasts immer verschlossen blieb. Neugierig befragt er seinen Vater: »Was ist in diesem Zimmer, Vater? Warum ist die Tür immer verschlossen?«
»Da sind nur die Bücher deines Großvaters aufbewahrt.«
»Ich will sie gerne sehen!«
»Wenn ich sterbe, dann wirst du sie sehen.«
Der Jüngling hörte das, er dachte nach, er blieb mißtrauisch. Er wollte unbedingt die geheimnisvolle Tür öffnen, aber ohne Schlüssel geht das nicht so einfach. Er suchte hartnäckig danach: in zahllosen Schränken, in jeder Schublade, in allen Truhen – überall steckte er seinen Kopf hinein. Und? Er hat nichts gefunden.