Tibetische Märchen
Märchen der Welt
Herausgegeben von Josef Guter
FISCHER E-Books
Josef Guter, Märchenforscher und -sammler, stammt aus Vöhringen-Iller in Schwaben und wurde 1929 geboren. Sein Spezialgebiet sind fernöstliche Märchen; diese Länder hat er wiederholt bereist.
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Dieses E-Book ist der unveränderte digitale Reprint einer älteren Ausgabe.
Erschienen bei FISCHER E-Books
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2014
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Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-403122-4
Vor langer Zeit lebten einmal ein Mann und eine Frau in den Bergen in großer Armut, denn auf dem steinigen Boden konnten sie nur wenig Gerste ernten, und an den kargen Hängen wuchsen nur Bäume mit kleinen Früchten.
Im Alter schwanden nun ihre Kräfte, aber sie mußten ihre Äcker bestellen und das Holz selber sammeln, denn sie hatten keine Kinder. Der Rücken des Mannes war allmählich krumm geworden, denn er mußte immer wieder Frondienste auf den Gütern des Chungpon leisten, der in der ganzen Gegend die Steuern für den König eintrieb. Die Frau des alten Mannes ging auch ganz gebückt, denn sie war von früh bis spät auf den Beinen und rastete nie.
Oft und oft hatte sie zum Gott der Berge um ein Kind gebetet, aber wie sie auch flehte, die Gottheit erhörte sie nicht. Eines Tages aber merkte sie, daß ihr inbrünstiges Klagen an das Ohr des Gottes gedrungen war und sie trotz ihres Alters noch ein Kind erwartete.
Die beiden Alten verlebten ihre Tage nun in spannender Erwartung und konnten es kaum fassen, daß ihr Flehen den Gott der Berge erweicht hatte.
Nachdem sieben Monate vergangen waren, fühlte die Frau, daß ihre Stunde gekommen war. Was sie aber nun gebar, das war kein Menschenkind, nein, es war ein Frosch, ein grünes Fröschlein mit zwei Augen wie zwei Perlen.
Die beiden Alten erschraken zutiefst. Die Frau weinte bitterlich. Sie konnten es beide gar nicht fassen, daß der Gott der Berge ein solches Spiel mit ihnen trieb.
»Welch eine Schande!« rief der Mann und war aufs äußerste erbittert. »Der Frosch muß sofort aus dem Haus, dann wird es wenigstens niemand erfahren!«
Wie die Frau nun aber das Fröschlein anblickte, da bekam sie Mitleid mit ihm. Trotz aller Enttäuschung sagte sie doch zu ihrem Mann: »Ein Frosch will ins Wasser. Bring ihn doch zu dem Tümpel hinter unserem Haus, dort kann er leben und stört uns nicht. Dort quaken ohnehin die Frösche, wenn einer mehr dort quakt, fällt es niemandem auf!«
Der alte Mann hob den Frosch hoch und wollte ihn zu dem Tümpel bringen. Da, was war das? Das kleine Fröschlein fing an mit menschlicher Stimme zu sprechen und sagte: »Liebe Eltern, bitte werft mich nicht ins Wasser, laßt mich bei euch bleiben, denn zu euch gehöre ich!«
Der Mann hätte vor Schreck fast den Frosch auf den Boden fallen lassen, aber er fing sich und setzte den Frosch behutsam auf den Tisch.
»Hast du gehört«, rief der Alte, »der Frosch hat gesprochen. Er hat wahrhaft gesprochen. Weib, hast du so etwas schon gehört?« Die Alte war ebenso fassungslos wie ihr Mann, beide stierten sie das Fröschlein an, als käme es aus einer anderen Welt.
»Liebe Eltern«, ließ sich der Frosch erneut vernehmen, »jetzt bin ich noch klein, aber wenn ich einmal groß bin, dann werde ich euch viel helfen können!«
»Mann«, sagte die Frau, »dies ist kein gewöhnlicher Frosch, wer so redet, hat ein gutes Herz. Wir sollten ihn hierbehalten, wer weiß, was es mit ihm auf sich hat.«
Und so behielten die beiden Alten den Frosch, gewannen ihn lieb und sorgten für ihn, wie für ein Kind. Die Jahre gingen dahin, und die beiden Alten mühten sich wie eh und je.
An seinem dritten Geburtstag sagte der Frosch: »Liebe Eltern, ihr plagt euch ab hier in den Bergen und kommt auf keinen grünen Zweig. Das soll sich ändern. Was ihr braucht, ist eine tüchtige Schwiegertochter, die euch zur Hand gehen kann.
Die beiden Alten sahen den Frosch verständnislos an.
Da sagte der Frosch: »Mütterlein, ich bring dir eine fleißige Schwiegertochter nach Hause, dann brauchst du dich nicht mehr so zu plagen. Der Chungpon hat drei schöne Töchter, und die tüchtigste von den dreien will ich freien. Bitte dünste mir einen großen Mehlkloß, den nehme ich mit auf die Reise, denn es ist weit bis zur Burg des Chungpon.«
»Er macht einen Spaß«, sagte der Mann, »aber er meint es gut mit uns, er möchte uns helfen!«
Und die Frau sagte liebevoll: »Bleibe bei uns, Froschkind, wenn du unter die Menschen gehst, so könnte dir leicht etwas zustoßen!«
Die Frau meinte nämlich, der Frosch wolle nur einen kleinen Ausflug machen.
»Nein, nein, liebe Eltern, das ist kein Spaß, ich werde auf jeden Fall losziehen und ihr werdet sehen, daß ich euch eine tüchtige Schwiegertochter nach Hause bringe!«
Die beiden Alten konnten sich die Rede des Frosches nicht ganz erklären, aber sie erkannten, daß man ihn von der Reise nicht abhalten konnte, die er sich vorgenommen hatte.
Die Alte dünstete einen großen Mehlkloß, packte ihn für den Frosch in einen Schnappsack und sagte: »Wenn du schon gehen willst, dann sei wenigstens vorsichtig. Ich fürchte aber, wenn du mit Menschenstimme zu reden anfängst, dann könnten dich die Leute für einen Kobold halten und mit Asche bestreuen!«
Der Frosch warf sich den Schnappsack mit dem Mehlkloß über den Rücken, beruhigte nochmals seine Mutter und sagte: »Mütterchen, niemand wird es wagen, mich mit Asche zu bestreuen, ich bin vorsichtig und werde nichts beginnen, was euch beiden Sorgen bereiten könnte.«
Mit diesen Worten nahm der Frosch Abschied, hüpfte von Stein zu Stein die Bergpfade hinab und wanderte dem Tal zu. Am Ende des langen Tales lag auf einem Hügel die Burg des Chungpon. Von weitem schon sah man den hohen Turm. Der Frosch hüpfte und marschierte munter voran, und so stand er bereits recht bald vor dem Burgtor.
»Chungpon, mach auf!« rief er mit kräftiger Stimme. Ein Diener schaute aus dem Fenster und sah den Frosch. Als dieser wieder mit lauter Stimme rief: »Chungpon, mach auf!« da rannte der Diener zu seinem Herrn und meldete ihm, daß ein Fröschlein vor dem Burgtor stehe und Einlaß begehre.
Der Gebietsrichter, der neben dem Chungpon saß, meinte mit bedenklicher Miene: »Wenn das ein Frosch ist, der reden kann, dann wird es wohl ein Kobold sein. Wir sollten schleunigst Asche über ihn streuen, dann verschwindet er und richtet keinen Schaden an.«
Der Chungpon war ganz anderer Meinung: »Ein Frosch mit Menschenstimme kann ein guter Geist sein, ein Bote aus dem Palast des Drachenkönigs, denn beide leben im feuchten Element mit vielen anderen Wasserwesen. Dieser Gast ist wohl sonderbar, aber es wird eine besondere Bewandtnis mit ihm haben. Holt Milch und besprengt das Fröschlein mit Milch, das ist die richtige Begrüßung!«
Die Diener gingen und besprengten den Frosch mit Milch zum Zeichen des Willkommens. Der Chungpon war neugierig geworden und kam nun selbst zum Tor.
»Bist du der Bote des Drachenkönigs? Was bringst du mir für eine Nachricht, ich hoffe eine recht gute!« sprach der mächtige Chungpon.
»Nein, mich schickt nicht der Drachenkönig. Ich bin selbst gekommen, aus eigenem Willen und Entschluß«, sagte das Fröschlein.
»Und was ist dein Begehr?«
»Mächtiger Chungpon, Ihr habt drei Töchter in Eurem Hause. Eine davon will ich freien. Gebt mir eine von den dreien! Ich verspreche Euch, ich werde sie gut halten und Euch ein treuer Schwiegersohn sein!« So sprach der Frosch.
Da verschlug es allen die Sprache, denn hinter dem Chungpon waren der Vogt und alle Diener inzwischen zum Tor gekommen.
Der Chungpon, der bisher zu dem Frosch ganz freundlich gewesen war, fuhr zornig auf und sagte: »Was, ein Frosch will eine meiner Töchter freien, das ist ja unglaublich! Hier am Burgtor ist schon mancher Freier abgewiesen worden, darunter reiche Edelleute, und nun kommt ein nackter Frosch daher und will mein Schwiegersohn werden. Das ist ja wohl ein schlechter Scherz!«
»Meine Bitte gewährst du mir also nicht? Das ist ja zum Lachen.«
»Dann lach doch!« rief der Chungpon, »wenn es dir zum Lachen ist!«
Da öffnete der Frosch sein breites Maul und fing an zu lachen. Zuerst war es ein breites, ein volles Lachen, dann schwoll es an, wurde ohrenbetäubend und markerschütternd, daß der Erdboden erbebte. Die Mauern bekamen Risse, der Burgturm wankte, so lachte der Frosch.
Und als er sich nur ein wenig zur Seite drehte und ins Tal hinuntersah, dabei aber dieses fürchterliche Lachen nicht unterbrach, da erhob sich ein Sandsturm in der Landschaft, Steine hagelten auf das Dach der Burg und die Sonne ward ganz verfinstert. In heilloser Angst rannten der Chungpon, der Vogt und die Diener ins Innere der Burg und suchten sich dort in Sicherheit zu bringen. Da wankten die Wände, Gesims brach ab, die Decke bröckelte und drohte, den hilflos umherstolpernden Leuten auf den Kopf zu fallen. Wer es konnte, der griff sich einen Eimer, einen Kochkessel oder eine Pfanne und stülpte sich diese als Schutz über den Kopf.
Der Chungpon dachte, das letzte Stündlein habe für ihn schon geschlagen, aber er riß in letzter Verzweiflung das Fenster auf und rief hinaus: »Frosch, hör auf zu lachen! Schnell, hör auf! Meine älteste Tochter sollst du haben, aber hör auf!«
Augenblicklich hörte der Frosch zu lachen auf. Das Beben ebbte ab, der Sandsturm legte sich, die Risse in den Mauern schlossen sich wieder, und der Turm stand wieder gerade. Die Finsternis war verflogen, und die Sonne schien wieder über dem Tal, als wäre nichts gewesen.
Alle, die in der Burg lebten, waren zitternd unter die Tische gekrochen, allen saß der Schreck in den Gliedern, am meisten dem Chungpon selbst.
Ohne sich lange mit seiner Frau zu beraten, rief er eilends seine älteste Tochter herbei und vermählte sie in größter Hast mit dem Frosch. Und ehe sich das Mädchen versah, war es die Frau eines grünen Frosches geworden. Ohne Verzug wurde die Mitgift zusammengerafft, auf ein Packpferd geladen, dann eine Stute für die Braut gesattelt, und ohne viele Worte wurden die beiden verabschiedet.
Als die älteste Tochter gehört hatte, daß sie mit einem Frosch verheiratet werden und sofort mit ihm gehen sollte, da griff sie sich im Hof schnell den Drehstein der Handmühle und versteckte ihn unter ihrem Gewand.
Gegen ihren Vater hatte sie sich nicht wehren können, und sie wußte ja, daß er dies nie getan hätte, wenn nicht dieses fürchterliche Lachen ihn dazu gezwungen hätte, aber einen Frosch, nein, den wollte sie in keinem Falle zum Manne haben.
Der Frosch hüpfte der Stute mit der Braut und dem Packpferd fröhlich voran, schritt dabei aber so kräftig aus, daß ihm die beiden Pferde mit ihrer kostbaren Fracht kaum folgen konnten.
Die Braut hielt die Zügel der Stute straff in ihren Händen. Sie dachte, mit einem Huftritt mache ich ihm den Garaus. Mit einem Mal ritt sie so schnell und dicht an den Frosch heran, daß er von den Hufen der Stute zertreten werden mußte, aber der kleine Bräutigam sprang schnell zur Seite und war schon wieder ein gutes Stück dem kleinen Zug voraus.
So zogen sie ein Weilchen schweigend weiter. Als das Mädchen nun den Frosch so arglos vor ihr herhüpfen sah, holte sie den Drehstein unter ihrem Kleid hervor und warf ihn mit gehörigem Schwung dem Frosch an den Kopf.
Schnell schwenkte das Mädchen die Stute herum, nahm auch das Packpferd am Zügel und galoppierte nach Hause.
»Halt, halt, nicht so schnell, Tochter des Chungpon. Wo willst du hin?«
Und da lief auch schon der Frosch heil und unversehrt hinter ihr her und war ihr schon wieder dicht auf den Fersen. Die älteste Tochter des Chungpon bekam es nun mit der Angst. War dieser Frosch ein Dämon? Sie hielt das Pferd an. Was sie nicht ahnen konnte: Der Frosch war durch das Loch des Drehsteins hindurchgehüpft, als der Stein geflogen kam.
Der Frosch blickte das Mädchen traurig aus seinen Perlenaugen an und sagte: »Dich zieht es nach Hause. Ich sehe, wir sind nicht füreinander bestimmt. Ich werde dich zurückbringen!«
Und mit diesen Worten schritt der Frosch wieder voran, aber diesmal dorthin, woher sie eben gekommen waren.
In der Burg hatte es den Chungpon schon längst gereut, daß er so schnell seine älteste Tochter dem Frosch anvermählt hatte. Als er nun sah, daß die Tochter wieder durchs Burgtor ritt, glaubte er, sie sei ihrem Bräutigam glücklich entkommen, aber er wurde gleich eines Besseren belehrt, denn der Frosch hüpfte mit in den Hof herein.
»Chungpon«, sprach der Frosch, »diese Tochter bringe ich Euch wieder zurück, sie ist nicht für mich vom Gott der Berge vorgesehen. Gebt mir eine andere zur Frau!«
»Was fällt dir ein, du Schreihals!« schrie da der Chungpon den Frosch an, »erst nimmst du mir meine älteste Tochter weg und jetzt fällt dir ein, noch eine von den beiden andern zu fordern. Du bist wohl von Sinnen!«
»Heißt das, Ihr wollt meinen Wunsch nicht erfüllen?«
»Niemals, nie!« schrie der Chungpon.
»Nun, dann werde ich aber weinen!«
Der Chungpon dachte, das Lachen war schlimm. Das Weinen ist aber das Gegenteil von Lachen, also kann dies wohl nicht gefährlich sein. Und so sagte er, noch bebend vor Wut, zu dem Frosch: »Dann weine doch, wenn dir danach zumute ist, weine nur immerzu, eine Braut wirst du von mir nicht mehr bekommen!«
Da schluchzte der Frosch auch schon auf und fing zu weinen an. Zuerst war es ein Weinen wie von Kindern, dann schwoll es an und wurde zum Heulen, dann, als die ersten Tränen aus den Perlenaugen des Frosches tropften, da fing es an zu regnen, zu gießen, aus einem kräftigen Schauer wurde ein Wolkenbruch. Der Himmel verfinsterte sich. Niemals hatte man solche Gewitterwolken über dem Tal gesehen. Blitze zerrissen die Finsternis, ein Donnerschlag krachte nach dem anderen, und aus den Bergen brachen sich Sturzbäche ihre Bahn und überschwemmten das ganze Tal. Die Bäche schwollen an zu Strömen. Je mehr der Frosch weinte, desto höher stiegen die Fluten.
Bald schlugen Wellen an den Mauern der Burg empor, wie die Brandung eines riesigen Meeres hörte es sich an, was da alles heranbrauste an salzigen Wassern.
Der Chungpon war mit den Seinen und mit der ganzen Dienerschaft in den Burgfried geflüchtet, aber er sah schon die Wasser den Innenhof der Burg überfluten, und das Wasser stieg weiter. Verzweifelt brüllte der Chungpon gegen das Tosen des Windes und gegen das Brausen der Wogen an und rief zu dem Frosch hinunter: »Hör auf, Frosch, hör auf! Es ist genug! Du erhältst meine zweitälteste Tochter zur Frau!«
Der Frosch hörte auf zu weinen. Da legten sich die Winde, die Wasser liefen ab, die Sturzbäche wurden zu kleinen Rinnsalen, und das ganze Tal lag bald wieder so da, wie es immer gewesen war.
Der Chungpon konnte nicht anders, er mußte seine zweitälteste Tochter rufen und sie schleunigst dem Frosch als Braut zuführen.
Die Mitgift lud man wieder auf ein Packpferd, die zweite Tochter bestieg eine für sie ausgesuchte Stute, und Braut und Bräutigam zogen von dannen.
»Nur schnell weg mit dem Frosch«, dachte der Chungpon, »bevor er erneut zu weinen anfängt!«
Die Zweitälteste konnte sich überhaupt nicht an den Gedanken gewöhnen, einen Frosch nun zum Mann zu haben. Als sie aufs Pferd stieg, hatte sie den zweiten kleinen Mühlstein im Hofe gesehen. Schnell hatte sie ihn aufgehoben und unter ihrem Gewand versteckt. Auf dem weiten Weg zum Hause des Bräutigams versuchte auch die Zweitälteste, den Frosch durch die Hufe ihres Pferdes zertrampeln zu lassen.
Und als sie damit keinen Erfolg hatte, warf sie in einem günstigen Augenblick den Mühlstein nach dem Frosch. Völlig überzeugt davon, daß er tot sei, riß sie die beiden Pferde herum und galoppierte nach Hause.
Es dauerte aber gar nicht lange, da hörte sie hinter sich das Fröschlein rufen: »Halt ein, wohin reitest du, halt ein!«
Sie war völlig verwirrt und hielt ihr Pferd an. Da trat der Frosch vor sie hin und sagte: »Dich zieht es nach Hause. Ich sehe schon, wir beide sind nicht füreinander bestimmt. Ich werde dich wieder zu deinem Vater bringen!«
Ohne zu zögern ergriff der Frosch den Zaum ihres Pferdes und geleitete sie nach Hause. Bei der Burg angekommen, grüßte der Frosch den Chungpon freundlich und sagte, die Zweitälteste sei auch nicht die richtige Frau für ihn, er bitte daher um die Hand der Jüngsten.
Da geriet der Chungpon außer sich vor Zorn. Er drehte sich mehrmals um sich selbst, lief hochrot an im Kopf und schrie: »Dieser Quakhals aus einem Tümpel wagt es, mir so etwas zu bieten! Holt sich zuerst meine älteste Tochter, bringt sie zurück, entführt mir die Zweitälteste, kommt wieder hier an mit ihr und will nun die Jüngste! Wer im ganzen Land hat so eine Schmach schon erlebt? Edelleute habe ich als Freier abgewiesen, und nun kommt dieser grüne Kerl aus einem Wasserloch und hält mich zum Narren!«
Bei allem Zorn wagte der Chungpon aber dennoch nicht, die Hand gegen den Frosch zu erheben.
»Was wollt Ihr denn eigentlich«, sagte der Frosch, »die Älteste wollte zu Euch zurück und auch die Zweitälteste wollte nicht mit mir gehen. Beide Töchter habt Ihr wieder zu Hause. Nun gebt mir schon Eure Jüngste, dann ist alles gut, Ihr seid dann mein Schwiegervater und ich Euer Schwiegersohn!«
»Was fällt dir ein! Dieser Frosch will jetzt auch noch die Jüngste haben! Nie und nimmer! Jetzt ist Schluß mit allem!«
Darauf entgegnete der Frosch ganz ruhig und gelassen: »Ihr gebt mir die Jüngste nicht? Gut, dann will ich hier ein wenig springen, daß du siehst, wie gut dein zukünftiger Schwiegersohn springen kann!«
»Mein Schwiegersohn!« schrie da der Chungpon, »das könnte dir so passen! Spring nur, wen kümmert’s? Dein Gehüpfe, das kennen wir schon!«
Da fing der Frosch zu hüpfen an. Erst sprang er nur eine Elle hoch, da begann schon die Erde zu zittern. Dann sprang er bis zur Nase des Chungpon hoch und löste damit ein Erdbeben aus, wie man es noch nie erlebt und gehört hatte. Steine flogen hoch in die Luft, in der Ferne sah man die Berge wanken und in sich zusammenstürzen, die Burg erzitterte in ihren Grundfesten und drohte jeden Augenblick einzustürzen.
Der Chungpon war bereits unter einem Haufen voller Steine und Schutt begraben worden, aber sein Kopf schaute noch aus den Trümmern heraus, er lebte noch und rief in Todesangst: »Nimm sie dir, nimm die Jüngste, aber halt still!«
Das Fröschlein hörte auf zu springen. Die Burg stand wieder still, die Erde beruhigte sich, die Berge wankten nicht mehr, alle Risse in den Wänden verschwanden, und das Tal lag wieder so ruhig und still im Sonnenschein, als wäre nie etwas gewesen.
Nun war der Chungpon am Ende. Völlig niedergeschlagen mußte er seine Jüngste dem Frosch überlassen. Schleunigst wurde das Mädchen geholt, dem Frosch anvermählt, auf eine Stute gesetzt und die Mitgift auf ein Packpferd geladen.
Als die Jüngste aus dem Tore ritt, tröstete sich der Chungpon bei dem Gedanken, daß sie alsbald wohl wieder mit ihrem Pferd und all ihren Sachen erscheinen würde, genauso wie die Älteste und die Zweitälteste. Wer wollte schon einen Bräutigam aus einem Wasserloch! So dachte es sich der Chungpon. Die jüngste Tochter war aber von einem ganz anderen Wesen als ihre beiden Schwestern, sie war schön und liebreizend wie sie, aber sie war auch herzensgut und von reiner Sinnesart, wie man nicht gleich jemanden unter den Menschen findet.
Als sie dem Fröschlein angetraut wurde, dachte sie bei sich: »Was ist dies doch für ein hübscher grüner Kerl!« Und da sie seine Zauberkräfte wohl erkannt hatte, war sie bereits sehr gespannt, was nun weiter geschehen würde.
Und so zog nun die kleine Karawane frohgemut zum Tor hinaus. Auf dem Weg zum Haus der beiden Alten lachte dem Frosch das Herz im Leibe, denn er hatte längst gemerkt, daß die jüngste Tochter ganz willig mit ihm kam.
»Mütterchen und Väterchen werden sich über ihre Schwiegertochter aber freuen«, dachte er bei sich und schritt den beiden Pferden munter voran.
Als der Frosch mit seiner Braut nun im Tal durch die Dörfer zog, blickten die Leute ihm erstaunt nach und waren fassungslos darüber, daß ein Frosch so eine schöne Braut hatte gewinnen können. Zu Hause angekommen, saßen die beiden Alten zuerst völlig sprachlos da und schauten nur immer wieder das Mädchen an.
»Das ist nun eure Schwiegertochter«, sagte stolz das Fröschlein und ließ vor Freude seine Beine von der Fensterbank baumeln, auf die er gehüpft war.
Die beiden Alten gewannen das Mädchen bald von Herzen lieb. Flink und emsig ging die junge Frau jeden Tag an die Arbeit, und die beiden Alten hatten eine so gute Schwiegertochter, wie sie es sich gar nicht besser wünschen konnten.
In dem kleinen Häuschen war Frohsinn eingekehrt. Durch den Fleiß der Schwiegertochter konnten sie viel aussäen und auch viel ernten und litten keine Not. So ging der Sommer schnell dahin, und das Herbstfest nahte heran.
Dieses Fest dauerte sieben Tage, man brachte dem Gott der Berge Rauchopfer dar, man tanzte zum Klang der Pauken und Schellen, man aß und trank, und man hielt ein großes Pferderennen ab. An diesen Tagen trafen sich die Leute aus der ganzen Gegend, und die jungen Burschen suchten sich bei den Tänzen ihre Bräute aus.
Aus nah und fern kamen die Leute mit ihren Pferden und Packeseln, denn man schlug die Jurten auf, so daß alle Leute gemeinsam das siebentägige Fest erleben konnten.
Die beiden Alten wollten sich das Fest auch nicht entgehen lassen und baten ihre Schwiegertochter, einen großen Beutel voller Klöße zu dünsten, daß sie alle eine gute Wegzehrung hätten. Die junge Frau freute sich gleichfalls auf die willkommene Abwechslung.
Als es nun zum Aufbruch ging, wollte aber das Fröschlein nicht mitkommen.
»Ich hüte lieber das Haus«, sagte der Frosch, »die Reise ist mir zu anstrengend. Meine Beine sind kurz, und der Weg ist so weit. Macht euch ein paar schöne Tage. Ich bleibe hier!«
Wie sie den Frosch auch drängten, er blieb zu Hause und kam nicht mit. Am Festplatz angekommen, wurden die beiden Alten und ihre schöne Schwiegertochter achtungsvoll begrüßt. Man erzählte sich viel und war guter Dinge.
An den letzten drei Festtagen fand das Wettrennen statt. Alle Leute verfolgten gespannt das Rennen und ließen jedesmal den Sieger mit anerkennenden Rufen hochleben. Hatte einer der jungen Männer das Rennen gewonnen, so wurde er von Mädchen umringt, die jubelnd um ihn tanzten und ihn als Ehrengast in die Jurten ihrer Eltern führten.
Dort wurde dann dem Sieger Gerstenbier gereicht, das die Leute zu Hause gebraut und eigens zu diesem Fest mitgebracht hatten. Der wichtigste Tag war immer der letzte bei diesem Fest.
Nun traten die Sieger der beiden vorangegangenen Tage gegeneinander an, aber wer es sich zutraute, der konnte an diesem entscheidenden und letzten Rennen auch noch teilnehmen.
Wie nun alle Reiter sich zum Start allmählich versammelten, teilte sich die Menge am Eingang des Festplatzes und gab eine Gasse frei: Ein bewunderndes Gemurmel war zu hören.
Auf einem edlen schwarzen Roß kam ein unbekannter Jüngling geritten, der von vornehmer Herkunft sein mußte, denn sein Gewand war von feinster grüner Seide, seine Stiefel von seltenstem Leder. Das Zaumzeug des Rappen war mit goldenem Zierat besetzt, der Sattel mit Silber beschlagen, und an seiner Flinte konnte man Einlagen aus Korallen bewundern.
Die Augen des Reiters blickten hell und erwartungsvoll in die Menge, alle bewunderten den herrlichen Reiter, der durch sein freundliches Antlitz sofort alle für sich einnahm. Als er sehr höflich darum bat, an dem Rennen teilnehmen zu dürfen, wurde ihm dies sofort mit Freuden gewährt.
Er begab sich zum Startplatz. Zum größten Erstaunen der Zuschauer aber sprengte er nicht gleich los, als der Startschuß gegeben wurde, sondern rückte erst einmal seinen Sattel zurecht. Die anderen Reiter waren sofort losgesprengt und ritten in höchstem Galopp auf das Ziel zu. Tief beugten sie sich über die Mähnen ihrer Pferde und trieben sie mit ihren Peitschen zu höchster Geschwindigkeit an.
Der Reiter im grünen Gewand hatte sich inzwischen auch in den Sattel geschwungen und galoppierte nun los. Als er über dem Festplatz einen Adler kreisen sah, lud er seine Flinte und holte ihn, aus dem Sattel zielend, mit einem Schuß vom Himmel. Wohl ritt er immer noch hinter den andern her, aber er schoß gleich danach noch einen Falken und einen kleineren Adler. Kaum krachte die Büchse, da stürzten die Raubvögel auch schon zu Tode getroffen zur Erde.
Nun ritt er kräftiger aus, überholte die anderen Reiter, beugte sich aber während des rasenden Ritts aus dem Sattel, riß mehrere Glockenblumen am Rande der Rennbahn aus, pflückte noch einige Chrysanthemen und streute sie lachend in die jubelnde Menge.
Behend saß er schnell wieder im Sattel, trieb seinen Rappen an und jagte nun wie ein Pfeil dahin. Die Hufschläge seines Pferdes hörten sich wie Trommelwirbel an, zuletzt konnte man den Reiter überhaupt nicht mehr sehen, denn eine graugelbe Staubwolke, die hinter ihm aufwirbelte, verdeckte ihn ganz.
Weit vor allen anderen ging der fremde Reiter durchs Ziel. Die Zuschauer standen mehrere Augenblicke ganz benommen still, so etwas hatte noch niemand gehört und noch niemand gesehen. Als sich alle Leute selbst wieder gefangen hatten, brauste ein gewaltiger Jubel auf. Der Festplatz hallte wider von anerkennenden Rufen.
Und jung und alt fragte sich, wer dieser Jüngling sei und woher er komme. Aber selbst die alten Lamas, die aus ihren Tempeln zu diesem Fest gekommen waren, wußten auf diese Fragen keine Antwort.
»Hast du gesehen, wie er die Blumen pflückte?« rief eine Frau einer Bekannten zu und hielt eine Glockenblume hoch, die ihr der Jüngling zugeworfen hatte.
»Und wie er die Adler schoß!« rief voller Bewunderung ein bekannter Jäger.
»Und auch noch den Falken!« rief ein anderer und konnte sich vor Verwunderung kaum beruhigen. Durch die Reihen der Mädchen ging ein Raunen und Wispern: »Wie schön er ist!«
»Und dieser Wuchs, diese Gestalt!«
»Wer hat je so einen prächtigen Reiter gesehen?«
»Ob er wohl schon eine Braut hat?«
Die Mädchen waren in ihrer Begeisterung kaum zu halten, sie umringten den fremden Reiter, tanzten um ihn herum, und jede wollte ihn zu ihren Eltern in die Jurte ziehen.
Das Gerstenbier floß in Strömen.
Als nun am Abend die große Ehrung für den Sieger stattfinden sollte, war von dem fremden Reiter nichts mehr zu sehen. Eilends war dieser nämlich auf sein Roß gestiegen und durchs Tal davongeritten, ohne ein Wort des Abschieds und ohne seinen Siegerpreis in Empfang zu nehmen.
»Da!« rief ein junger Mann und zeigte auf eine Staubwolke, die in der Ferne noch sichtbar war und die kleiner und kleiner wurde, bis sie ganz im Schein der Abendsonne verschwand.
Die beiden Alten und ihre Schwiegertochter rätselten genauso herum wie alle anderen, warum denn der fremde Jüngling so schnell davongeeilt sei.
Schließlich meinte die junge Frau, er werde wohl weit entfernt wohnen und habe plötzlich gemerkt, daß es schon Abend geworden war.
Der Reiter ging auch ihr nicht mehr aus dem Kopf, sie mußte sich eingestehen, daß solch ein edler junger Mann ihr Herz wohl verwirren könnte. Dann aber sagte sie sich, sie sei schließlich mit dem Frosch verheiratet, und alles andere sei ohnehin nur ein Traum.
Die beiden Alten und sie selbst machten sich auch auf den Heimweg und sahen schon von weitem, daß das Fröschlein wohlgemut ihnen entgegenhüpfte, als sie in die Nähe ihres Häuschens kamen. Begeistert erzählten sie von dem Fest, von den vielen Leuten, dem schmackhaften Gerstenbier und vor allem von dem Pferderennen und berichteten ganz ausführlich von den Kunststücken des jungen Reiters.
»Und da schoß er aus dem Sattel einen Adler!« rief die junge Frau.
»Und hinterher noch einen kleineren und einen Falken!« sagte der Frosch, und alle drei waren erstaunt, woher er diese Dinge schon in so kurzer Zeit erfahren haben könnte.
Die Monate eilten dahin, das Rad des Jahres drehte sich schnell, und wieder rückte das Herbstfest heran. Alle Leute freuten sich schon auf dieses Ereignis, brauten Gerstenbier und dünsteten Klöße, um eine gute Wegzehr zu haben.