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Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

Epilog

Leserkontaktseite

Kommentar

Glossar

Clubnachrichten

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Nr. 2781

 

SHIVAS FAUST

 

Halut vor dem Untergang – Lordadmiral Monkey stürzt sich in den Einsatz

 

Michelle Stern

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

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Seit die Menschheit ins All aufgebrochen ist, hat sie eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Längst sind die Terraner in ferne Sterneninseln vorgestoßen, wo sie auf raumfahrende Zivilisationen und auf die Spur kosmischer Mächte getroffen sind, die das Geschehen im Universum beeinflussen.

Mittlerweile schreiben wir das Jahr 1517 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ). Die Milchstraße steht weitgehend unter dem Einfluss des Atopischen Tribunals. Dessen Richter behaupten, nur sie könnten den Weltenbrand aufhalten, der sonst unweigerlich die Galaxis zerstören würde. Auf diese Weise zementiert das Tribunal in der Milchstraße seinen Machtanspruch, während der Widerstand dagegen massiv aufrüstet.

Die beiden Atopischen Richter der Milchstraße können allerdings auf ein Heer an Helfern zurückgreifen. Ihr militärisch-exekutiver Arm sind die Onryonen, die es verstehen, die Ordo durchzusetzen. Ein militärisches Hilfsmittel dazu sind Linearraumtorpedos, ein politisches die Aufteilung der Galaxis in Sektoren, und ein weiteres die Ordischen Stelen, die zur Rechtsprechung eingesetzt werden und das Vertrauen in die Atopische Ordo stärken sollen.

Von den Milchstraßenvölkern haben sich die Tefroder eindeutig für die Atopen ausgesprochen, während andere noch zurückhaltend sind oder sogar offene Ablehnung zeigen. Eines der ältesten Völker, das vor über 50.000 Jahren für die Vertreibung der Tefroder aus der Galaxis sorgte, sind die Haluter. Sie trifft nun SHIVAS FAUST ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Monkey – Dem Lordadmiral wird der Boden unter den Füßen heiß.

Ova Rakane – Der Sohn Blo Rakanes ist Feuer und Flamme.

Matos Mashuu – Der Terrorist der Gruppe »Sorgfalt« hat zündende Pläne.

Yason Khan – Der Halutologe will sich nicht die Finger verbrennen.

Prolog

Zukunft

 

Die Zukunft war ein seltsames Ding. Sie beugte sich dem, der stark war und sie zu unterwerfen wusste wie ein Tier mit rohem Bewusstsein, dem nichts galt als Überlegenheit. Gleichzeitig war sie unbestechlich wie eine Positronik, ergab sich analog einer mathematischen Berechnung. Es folgte Schritt auf Schritt, eins und eins ergab zwei, zwei und eins drei und immer so fort bis zur Unendlichkeit. Jedes winzige Detail war wichtig und ergab die Summe dessen, was kam. Gleich einer Maschinerie, die, einmal in Gang gesetzt, unaufhaltsam lief.

Oft genug hatte er das beobachtet.

Wenn er etwas wahrhaft gewollt, mit jeder Faser des Körpers, jedem Gedanken, jeder Emotion darauf hingearbeitet hatte, hatte er sein Ziel erreicht, so sicher und zuverlässig wie eins und eins zwei war. Ob es sich um ein Glas Wasser, den Erhalt eines bestimmten Kommandos, die Eroberung einer Frau, den Aufstieg an die Spitze einer Gruppe oder den Tod eines Feindes wie Ontar Pak handelte, spielte dabei keine Rolle.

Es war wichtig, das Ziel klar ins Auge zu fassen, sich vorzustellen, dass es bereits erreicht war, und sich in den kommenden Erfolg zu hüllen wie in einen Kampfanzug, der gegen die Angriffe des Zweifels schützte.

Was geschehen würde, würde geschehen.

Daran hielt er sich fest und visualisierte, dass es vollbracht war.

Die einzelnen Schritte waren getan, die Maschine programmiert, das Tier gefüttert. Seine Leute wussten, was zu tun war, und sie hatten die Faust eines Gottes im Gepäck: SHIVAS FAUST.

Der Hammerschlag des Schicksals würde kommen. In seinem Kopf war dieser Schlag längst geführt, zum Wohle Tefors. Denn nur, wenn er das Ziel einprogrammierte, würde auch das ferne Ergebnis der Rechnung die Summe ergeben, die er sich mehr wünschte als ein Leben in Bequemlichkeit und ein hohes Alter.

Er war Matos Mashuu, der Zerstörer Haluts.

Der Vernichter der Haluter.

1.

Entdecker

Halut, im Isolon

 

Cha konzentrierte sich auf ihre Hand über dem schwarzen Gestein. Drei Finger zerflossen und verschmolzen zu einer Fläche. Das Weiß der Haut veränderte sich in ein warmes Violett, geädert von zahlreichen Falten und Linien, die ein kompliziertes Flechtwerk bildeten.

To hockte neben ihr und schaute mit halb ausgefahrenen Augenstielen interessiert zu. Er sagte dabei kein Wort. Cha wusste, dass ihm ihre Gabe unheimlich war. Erbschaden nannten es die Alten, und das klang unfreundlich, wie etwas, das unerwünscht war und geheilt oder mit dem Lichtskalpell weggeschnitten gehörte.

Cha mochte ihre Gabe. Wenn sie ihre Hand veränderte und sie in ein lappenartiges Gebilde verformte, war ihr, als könne sie eins mit dem Stein jenseits der Hautoberfläche werden. In der Hocke betastete sie das Gebilde am Boden. Sie spürte jede Erhebung, jede Senke und Rille, selbst wenn sie fein wie die weißen Hautfäden am Kugelkopf der uralten Rina war.

Genau unter dem Punkt, der zuvor die Kuppe ihres Mittelfingers gewesen war, spürte Cha eine millimeterdicke Unebenheit.

»Hier ist die Farbe dünner. Gib mir das Blau.«

To reichte ihr die steinerne Schale, die er für sie gefüllt und auf den Grund der Verborgenen Kaverne getragen hatte. Andere mochten den Maschinen dienen. To dagegen diente die meiste Zeit ihr, und das war schön. In einer der kommenden Dunkelheiten, wenn die Punktbänder erloschen, würde sie sich womöglich trauen, ihn zu fragen, ob er mehr wollte, als ihr zu dienen, und sie eine Gemeinschaft bilden könnten.

Vielleicht würde er einfach Ja sagen, so selbstverständlich, wie er ihr die blaue Farbe reichte. Doch wenn er Nein sagte, wäre alles verdorben. Dann würde er ihr nicht mehr die Schale halten und sie begleiten, wenn sie ihrer Lieblingsbeschäftigung nachging. Davor hatte Cha mehr Angst als vor der Augenstarre, die viele Maschinenhüter im Laufe ihres Lebens bekamen. War es nicht besser, das zu behalten, was man hatte, als alles zu verlieren, weil man zu viel verlangte?

Vorsichtig griff Cha nach der Steinschale. Sie tauchte einen Zipfel der ineinander verflossenen Finger hinein, bis er von der Farbe getränkt war, und arbeitete die flüssigen Partikel in das Kunstwerk ein. Die verästelte Linie saugte es gierig auf, wie ein hungriger Bukkriecher.

Das Blitz-Bild vor ihr war älter als die meisten Bildnisse, die sie kannte. Und es war viel älter als sie. Manchmal störte Cha das. Dann fühlte sie sich entsetzlich jung in einer Welt aus Stein, die für die Ewigkeit gemacht war. In schlechten Momenten wandte sie sich an die starren, dummen Wände und flüsterte ihnen in gespieltem Hohn Beleidigungen zu, weil sie laufen, sprechen und sogar tanzen konnte, während die harten, immer gleich bleibenden Dinger dazu verdammt waren, an Ort und Stelle zu verharren.

In Wahrheit fühlte Cha Neid auf die tote Welt, die unendlich alt war und alles wusste, ohne je etwas davon preiszugeben. Wenn sie wenigstens verstünde, warum ihre Welt erschaffen worden war und was ihr Dasein bedeutete.

Sie fuhr die Stiele der Augen weit aus, betrachtete das Bildnis mit Abstand und tauchte die Hand erneut in die Farbe. Die Aufgabe, die sie zu erfüllen hatte, war klar umrissen. Sie war die Hüterin der Verborgenen Kammer und des Kegels des blauen Schreckens. Für Cha war die kegelförmige Kaverne alles andere als schrecklich. Im Gegenteil hatte sie sich diese Aufgabe gesucht, fernab der Plantagen und der riesigen Hallen, in denen sich Maschine an Maschine reihte, eingehüllt in Kunststoff, geschützt und bewahrt für ein Irgendwann, das womöglich nie kam.

»Brauchst du mich noch?«, unterbrach To ihre Gedanken. »Ich muss zur Plantage, Zi ablösen.«

»Nein, geh ruhig.«

Sie wollte, dass er blieb, dass er ihr Gesellschaft leistete im stillen Dämmer des heiligen Kegels. Wenn sie allein war, fühlte sie sich unwohl. Aber sie wollte es ihm nicht zeigen. Sie galt als anders als die meisten Maschinenväter und -mütter. Als mutiger, aber auch als verrückt.

Wer teilte schon die Welt in männlich und weiblich? In Mütter und Väter? Sie waren alle gleich, jeder konnte in sich Nachwuchs zeugen, wenn er Glück hatte. Doch sie hatte die alten Aufzeichnungen gesehen, von den Besuchern. Von denen, die männlich und weiblich waren, sich zweigeteilt verstanden und die wie sie und die anderen Hüter zwei statt vier Arme aufwiesen.

Die Besucher hatten Daten dagelassen, und die Daten waren gehegt und gepflegt worden, genau wie die Maschinen. Es hieß, die Fremden hätten die Maschinenhüter vor Urzeiten gerettet, noch vor der Katastrophe im Oben, dem blauen Schrecken.

Inzwischen gab es viele, die sich in Zweier- oder Dreiergruppen zusammenschlossen. Es hatte Vorteile, wenn man ein Team bildete. Den Alten war dieses Verhalten fremd. Auch Chas Verständnis, von sich als Frau zu sprechen, war für sie abnorm. Das war auch wie ein Erbschaden, wie die Hand, die sie verformen konnte. Etwas, das weggeschnitten gehörte.

Cha schaute To nach, der schwankend die Treppen hinaufstapfte. In der kleinen Kaverne gab es keine technischen Hilfsmittel. Die Wege hinauf mussten zu Fuß bewältigt werden.

To ging schnell und trotz des Pendelns sicher. Er suchte mit dem Blick die nächste Stufe – immer die nächste Stufe. An den zahlreichen Kunstwerken der Wände zeigte er kein Interesse. Dabei waren diese Bilder und Zeugnisse das Schönste, was das Unten zu bieten hatte. Dort fanden sich Abbildungen von mächtigen Wesen mit doppeltem Armpaar, die wie Götter über das Unten und Oben wachten. Auch mehrere Bildnisse von Zweigeschlechtlichen waren dort verewigt, die Cha fasziniert hatten, seit sie denken konnte.

Die Alten sagten, diese Kaverne sei jung. Ein Zeugnis der neuen Geschichte, geschaffen durch den Retter. Aber was bedeutete das, wenn selbst das Junge entrückt war und keiner ihr klare Auskunft darüber gab?

Sorgfältig schüttete Cha die restliche Farbe zurück in die Schale. Sie konnte jeden einzelnen Tropfen ausscheiden. Nie ging etwas verloren.

»Nie, nie, nie«, murmelte Cha und dachte dabei nicht nur an die Farbe.

Nie redeten die Alten über das Frühe und ganz Frühe. Die Zeit vor der Zeit. Doch es musste diese Zeit gegeben haben. Die Regeln im Unten waren einfach. Erstens: Dien den Maschinen! Zweitens: Leb in Frieden! Drittens: Stell keine Fragen!

Das Verwirrende für Cha war, dass außer ihr tatsächlich kaum jemand Fragen stellen wollte. Höchstens die Nachtträumer, die sich von den Maschinenhütern abgespalten hatten. Doch deren Fragen drehten sich nie um das Gestern oder um Existenzielles.

Auch die Nachtträumer hatten einfache Regeln. Erstens: Dien den Maschinen, die du zum Überleben und für deine Bequemlichkeit brauchst! Zweites: Leb so angenehm wie möglich! Drittens: Stell nur Fragen, wenn du dadurch dein Leben erleichtern kannst!

Während die Maschinenhüter glaubten, dass irgendwann welche vom Oben kommen würden, waren die Nachtträumer davon überzeugt, dass es kein Oben mehr gab und nie wieder eins geben würde. Seitdem das Fenster zum Oben verschwunden war, existierte für sie die Welt über ihnen nicht mehr. Deshalb war es für sie unwichtig, sämtliche Maschinen zu warten, die irgendwann einmal einen Sinn für das Oben gehabt haben mochten.

Chas Freundin Karu war zu den Nachtträumern übergelaufen und wohnte nun in der Nähe von Plantage Zwei. Für Cha war das keine Alternative. Die Nachtträumer hatten nicht einmal eine Aufgabe. Sie lebten einfach vor sich hin, schliefen, dösten und aßen, bekamen hin und wieder Nachwuchs und taten sonst einfach nichts.

Überhaupt waren alle im Unten genügsam. Nur nach der Zeit des blauen Schreckens, so sagten die Alten, hätten einige die Erlebnisse und die Flucht ins Tiefenschwarz verarbeiten müssen. Damals hatte sich die Gruppe der Verwirrten gebildet, die in Trauer den Verlust des Obens und des Untens beklagten. In Cha, so sagten die Alten weiter, wäre diese Verwirrung sehr groß, obwohl sie kein Kind dieser Periode sei. Sie sei zur falschen Zeit geboren. Doch auch für Cha gab es eine sinnvolle Aufgabe: eben das Hüten der verborgenen Kaverne, des einzigen Raums im Unten, auf dem Weg zum Tiefenschwarz, in dem sich die Verwirrten verewigt hatten, um ihrer Trauer Herr zu werden.

Schnelle, polternde Schritte erschreckten Cha. Sie hallten trotz der vielen Vorsprünge und Reliefs in den Wänden so laut, dass ihr die Farbschale zu entgleiten drohte, weil sie sich die Ohren im Reflex zuhalten wollte.

To tauchte oben an der Treppe auf, außer Atem und gerötet im Gesicht. Der Rock war auf seinen Hüften verrutscht und saß schief. Er hob beide Arme und winkte hektisch. »Cha! Beim Retter! Komm zum Vier-Fenster! Das musst du sehen! Die stummen Stelen ... sie singen!«

 

*

 

»Wahnsinn!« Yason Khan fühlte ein Kribbeln im ganzen Körper. »Es hat funktioniert!«

Das Such-und-Ruf-Transmittersystem hatte ihn und seinen Kollegen Rykamoon zielsicher in die Tiefe abgestrahlt. Das akonische Machwerk hatte das unterirdische desaktivierte Transmittergerät im Isolon über mehrere Tausend Kilometer hinweg gefunden und im zweiten Schritt durch gezielte Steuerimpulse und Kodealgorithmen aktiviert – und das aus der Ferne! Über den mit dem System verbunden Transmitter waren sie in die Tiefe gelangt, zu einem unbekannten Gegenstück, das seit Jahrhunderten kein Haluter genutzt hatte.

Der terranische Professor Yason Khan und der tefrodische Wissensmeister Gidys Rykamoon erreichten die Unterwelt Haluts, die seit dem Terraforming des Planeten und der Wiederbesiedelung vor knapp vierhundert Jahren tabu gewesen und für viele Haluter im Vergessen versunken war.

Khan stand auf einer vier mal vier Meter großen, quadratischen Basisplattform zwischen zwei Projektorsäulen, kaum größer als er selbst, die wie geschichtete Isolatoren gestaltet waren. Über ihm wölbte sich ein parabelförmiger Lichtbogen, der an seiner höchsten Stelle fünf Meter maß und ein Tor in eine andere Welt bildete: ins Isolon.

»Das ist ... dass ich das erleben darf«, flüsterte Wissensmeister Rykamoon ergriffen.

Wie Khan war Rykamoon Halutologe. Obwohl sie in ihren Theorien selten einer Meinung waren und sich fachlich oft in die Haare gerieten, hätte Khan seinen rundlichen Kollegen am liebsten umarmt und an sich gedrückt. Doch da Rykamoon es aus Bequemlichkeit vorgezogen hatte, sich samt seinem Schwebestuhl transmittieren zu lassen, verzichtete Khan darauf, dem Impuls nachzugeben, und begnügte sich damit, dem Kollegen eine Hand auf die Schulter zu legen.

Das war ihr gemeinsamer Moment. Sie entdeckten Neuland. Ein ganzes Reich, in dem Geheimnisse der Vergangenheit bewahrt worden sein könnten. Geheimnisse, die er und Rykamoon dem Isolon behutsam abgewinnen wollten, wie man mit dem Pinsel die Staubschicht von einem uralten Artefakt strich.

Khan blinzelte mehrmals in die Helligkeit. Das abgrundtiefe Schwarz des Abstrahlfelds machte das kegelförmige Licht, das aus den Scheinwerfern des vorausgeschickten Erkundungsroboters fiel, umso heller und brachte die Wand zum Funkeln, als wären im rötlichen Braun Myriaden Diamantsplitter eingeschlossen.

Der Transmitter befand sich in einer gewaltigen Kaverne aus dunklem Gestein mit zahlreichen Vorsprüngen und Formen, die wie im Lehrholo eines Schülers der Geometrie sauber nebeneinander lagen. Khan sah Halbkugeln, Quader, Pyramiden, Würfel und mehrseitige Prismen. Jedes der Gebilde war groß wie ein menschlicher Kopf. Schon der erste Blick zeigte, dass die Objekte sauber aus dem Fels herausgearbeitet worden waren, mit der Präzision von Maschinen.

Die gesamte Kaverne maß gut achtzig Meter. Achtzig Meter voller Wunder, die mehr versprachen, denn wenn dieser Raum intakt und statisch sicher war, waren es vermutlich auch die zahlreichen anderen Hohlräume, die sie von der Oberfläche aus angemessen hatten. Trotz des Blitzerangriffs und der gewaltigen Vernichtungskräfte, die damals auf Halut eingewirkt hatten.

Ob es noch Humidors gab? Das war die alles entscheidende Frage. Falls nach wie vor Humidors auf Halut lebten, würde es in ihren Sagen und Legenden zahlreiche Antworten und neue Hinweise auf die teils widersprüchliche Geschichtsschreibung Haluts und der Haluter geben.

Khan sah seinen neusten Fachartikel mit bahnbrechenden, historischen Belegen schon vor sich und schielte zu Rykamoon, der sicher ähnlichen Gedanken nachhing.

Ein aufdringliches Piepen erklang und erinnerte ihn daran, aus dem Abstrahlfeld in den Raum zu treten, damit die restlichen Mitglieder der Expedition transmittieren konnten. Da Rykamoon mit leicht geöffnetem Mund dasaß und nicht reagierte, wie ein Kind, das zum ersten Mal verwirrt am Ende eines Laufbands innehielt, schob Khan den Schwebestuhl kurz entschlossen vorwärts. Der SCOOT-FZ-23 bot einen Widerstand wie ein Rollwagen.

»Faszinierend, oder?« Rykamoons Stimme klang aufgekratzt. »Wir wussten ja schon, dass die Kavernen dem Blitzerangriff getrotzt haben müssen, aber wirklich da zu sein ... Das SRT-System hat meine Erwartungen übertroffen.«

»Oh ja. Du bist großartig! Dieser Einsatz war die beste Idee des Jahrhunderts!«

Rykamoon hob den Kopf und grinste ihn an. Sein rundes Gesicht schien um Jahre jünger. »Ich weiß, Herr Professor. Ich habe nur hervorragende Ideen. Deshalb solltest du auch mehr von meinen Abhandlungen lesen und weniger von deinen verfassen. Das wäre ein Segen für die Wissenschaft.«

»Lass die Sticheleien. Der Moment ist dafür zu erhaben.«

»Den Moment, der darüber erhaben ist, kann nicht mal ES erschaffen.« Trotz dieser Antwort verzichtete Rykamoon auf weitere Seitenhiebe. Er schloss die Augen und atmete ein, dass sich sein Brustkorb unter dem Schutzanzug hob.

Auch Khan sog die trocken schmeckende Luft auf, in der er trotz des Anzugs und Filtersystems eine metallische Note ausmachte. Vermutlich war das Einbildung. Laut den Werten im Helmdisplay war die Atmosphäre erstaunlich gut. Im Grunde konnten sie die Helme abnehmen. Was sie dagegen nicht vergessen durften, war die Gravitationskontrolle. Auch in dieser Tiefe herrschten 3,6 Gravos.

Hinter ihm tauchten vier weitere Gestalten in der geisterhaften Schwärze auf: der Haluter Stocho Henitis, der Konstrukteur Watrim Zaphis, sein Assistent Jergo Dahir und Khans Assistentin Tevermon. Ein Haluter, zwei Akonen und eine Ferronin. Sie standen dicht gedrängt. Es war ein ungewöhnliches Bild. Der Haluter überragte seine Begleiter wie ein Berg.

Der Rest des Teams hatte Rykamoon und Khan den Vortritt gelassen, damit sie den Triumph des ersten Betretens des Isolons seit dem Blitzerangriff ganz für sich beanspruchen durften.

»Oh.« Der Laut, den Archivar Stocho Henitis scheinbar noch während der Rematerialisierung ausstieß, war trotz seiner Lautstärke gedämpft. Khan fragte sich, ob die zahlreichen Gebilde an den Wänden für eine veränderte Akustik sorgten. Womöglich waren die Humidors besonders geräuschempfindlich. Es gab Aufzeichnungen, die darauf hinwiesen.

Stocho Henitis stieg bedächtig von der Plattform, mit einer Vorsicht, die man einem Riesen von über drei Metern und zwei Tonnen Gewicht schwer zutraute. Er blieb stehen und betrachtete die Formen der Wände.

Die beiden Akonen blickten sich flüchtig im Raum um und wandten sich den Säulen des Transmitters zu. Watrim Zaphis hatte das Such-und-Ruf-Transmittersystem entwickelt und war von daher natürlich Spezialist auf dem Gebiet.

»Ein ganz erstaunliches Gerät«, sagte Watrim Zaphis.

Sein Begleiter, Jergo Dahir, nickte zustimmend und zog ein Messgerät aus der Tasche des Schutzanzugs. Er trat zusammen mit Zaphis aus dem Torbogengerät und umrundete es interessiert.

Tevermon lächelte und drehte sich langsam im Kreis.

Khan war froh, dass seine Assistentin mitgekommen war. Sie war eine Positronikspezialistin und verstand weit mehr von Transmittern als er. Trotz aller Entdeckerfreude war der Gedanke unheimlich, in dieser Tiefe festzusitzen, falls etwas schiefging.

Rykamoon breitete die Arme aus. »Willkommen im Isolon!«

Der Archivar lachte verhalten. »So wie Sie das sagen, könnte man meinen, Sie hätten es gebaut. Aber mein Planhirn sagt mir, dass dafür andere zuständig waren.«

Khan stellte sich neben Rykamoon. »Brechen wir auf! Wir müssen herausfinden, ob es noch Lebewesen im Isolon gibt!«

»Meinen Sie nicht, die Humidors hätten so lange gewartet, dass es auf ein paar Momente nicht ankommt?«

»Nein«, sagte Rykamoon dreist.

Der Riese beugte sich vor – eine Geste die wegen seines gewaltigen Körpers bedrohlich wirkte und Assoziationen von einstürzenden Wohntürmen weckte. »Nein?«, fragte er nach.

»Nein«, entgegnete Rykamoon, und Khan hielt es dem Kollegen zugute, dass weder seine Stimme zitterte noch seine Stirn nass von Schweiß war.

»Also gut. Gehen Sie voran. Aber schicken Sie den Roboter vor. Man weiß ja nie.«

Khan musste sich zusammenreißen, um nicht zu rennen. Rykamoon grinste ihn an. In seinem Schwebestuhl hatte er einen klaren Vorteil. Er hielt einen stabförmigen Multi-Orter in der Hand und startete die Suche. Über dem Gerät tauchte ein transparentes Holo auf.

Stocho Henitis zuckte hinter ihnen zusammen, noch ehe Khan das Piepsen hörte und das Bild erfasste. Die Wahrnehmung des Haluters war schneller als die von Lemurerabkömmlingen.

»Humidors«, hauchte Rykamoon. Das Grinsen verschwand aus seinem Gesicht und wich einem Ausdruck von Andacht, der darauf so fehl am Platz wirkte wie ein Servoroboter bei einer demokratischen Abstimmung.

»So ist es«, bestätigte Henitis. »Sie müssen die Jahrhunderte überdauert haben.«

In Yason Khan jubilierte es. Es gab Humidors unter Haluts Oberfläche. Irgendwie hatten diese Geschöpfe überlebt, denen ein hartes Schicksal beschieden gewesen war. Laut der geretteten Daten hieß es, sie seien ein Hilfsvolk der Uleb gewesen. Lange Zeit hatten die Haluter sie für treue Diener gehalten, und das waren sie auch gewesen. Doch die Uleb hatten einen Weg gefunden, auf die Humidors einzuwirken: Sie reaktivierten mit ihrer Hilfe die Bestienkonditionierung, die aus den friedfertigen Halutern wahre Monster machte, denen sich nichts und niemand in den Weg stellen wollte – schon gar kein Lemurerabkömmling.