Ede war früh auf und bediente seine Kunden. Dann und wann sah er nach der kleinen im Nebenzimmer hängenden Uhr, die schon auf ein Viertel nach acht zeigte.
"Wo der Alte nur bleibt?"
Ede durfte die Frage schon thun, denn für gewöhnlich erschien Hradscheck mit dem Glockenschlage sieben, wünschte guten Morgen und öffnete die nach der Küche führende kleine Thür, was für die Köchin allemal das Zeichen war, daß sie den Kaffee bringen solle. Heut aber ließ sich kein Hradscheck sehn, und als es nah an neun heran war, steckte statt seiner nur Male den Kopf in den Laden hinein und sagte:
"Wo he man bliewt, Ede?"
"Weet nich."
"Ick will geihn un en beten an sine Dhör bullern."
"Joa, dat dhu man."
Und wirklich, Male ging, um ihn zu wecken. Aber sie kam in großer Aufregung wieder. "He is nich doa, nich in de Vör- un ook nich in de Hinner-Stuw. Allens open un keene Dhör to."
"Un sien Bett?" fragte Ede.
"Allens glatt un ungeknüllt. He's goar nich in west."
Ede kam nun auch in Unruhe. Was war zu thun? Er, wie Male, hatten ein unbestimmtes Gefühl, daß etwas ganz Absonderliches geschehen sein müsse, worin sie sich durch den schließlich ebenfalls erscheinenden Jakob nur noch bestärkt sahen. Nach einigem Berathen kam man überein, daß Jakob zu Kunicke hinübergehn und wegen des Abends vorher anfragen solle; Kunicke müss' es wissen, der sei immer der Letzte. Male dagegen solle rasch nach dem Krug laufen, wo Gensdarm Geelhaar um diese Stunde zu frühstücken und der alten Krüger'schen, die manchen Sturm erlebt hatte, schöne Dinge zu sagen pflegte. Das geschah denn auch alles, und keine Viertelstunde, so sah man Geelhaar die Dorfstraße herunter kommen, mit ihm Schulze Woytasch, der sich, einer abzuhaltenden Versammlung halber, zufällig ebenfalls im Kruge befunden hatte. Vor Hradscheck's Thür trafen Beide mit Kunicke zusammen. Man begrüßte sich stumm und überschritt mit einer gewissen Feierlichkeit die Schwelle.
Drin im Hause hatte sich mittlerweile die Scene verändert.
Ede, der noch eine Zeit lang in allen Ecken und Winkeln umhergesucht hatte, stand jetzt, als die Gruppe sich näherte, mitten auf dem Flur und wies auf ein großes Ölfaß, das um ein Geringes vorgerollt war, nur zwei Fingerbreit, nur bis an den großen Eisenring, aber doch gerade weit genug, um die Fallthür zu schließen.
"Doa sitt he in," schrie der Junge.
"Schrei' nicht so!" fuhr ihn Schulze Woytasch an. Und Kunicke setzte mit mehr Derbheit, aber auch mit größerer Gemüthlichkeit hinzu: "Halt's Maul, Junge."
Dieser jedoch war nicht zur Ruh zu bringen, und sein bischen Schläfenhaar immer mehr in die Höh' schiebend, fuhr er in demselben Weimertone fort: "Ick weet allens. Dat's de Spök. De Spök hett noah em grappscht. Un denn wull he 'rut un kunn nich."
Um diese Zeit war auch Eccelius aus der Pfarre herüber gekommen, leichenblaß und so von Ahnungen geängstigt, daß er, als man das Faß jetzt zurückgeschoben und die Fallthür geöffnet hatte, nicht mit hinuntersteigen mochte, sondern erst in den Laden und gleich darnach auf die Dorfgasse hinaus trat.
Geelhaar und Schulze Woytasch, schon von Amtswegen auf bessre Nerven gestellt, hatten inzwischen ihren Abstieg bewerkstelligt, während Kunicke, mit einem Licht in der Hand, von oben her in den Keller hineinleuchtete. Da nicht viele Stufen waren, so konnt' er das Nächste bequem sehn: unten lag Hradscheck, allem Anscheine nach todt, ein Grabscheit in der Hand, die zerbrochene Laterne daneben. Unser alter Anno-Dreizehner sah sich bei diesem Anblick seiner gewöhnlichen Gleichgültigkeit entrissen, erholte sich aber und kroch, unten angekommen, in Gemeinschaft mit Geelhaar und Woytasch auf die Stelle zu, wo hinter einem Lattenverschlage der Weinkeller war. Die Thür stand auf, etwas Erde war aufgegraben, und man sah Arm und Hand eines hier Verscharrten. Alles andre war noch verdeckt. Aber freilich, was sichtbar war, war gerade genug, um alles Geschehene klar zu legen.
Keiner sprach ein Wort, und mit einem scheuen Seitenblick auf den entseelt am Boden Liegenden stiegen alle drei die Treppe wieder hinauf.
Auch oben, wo sich Eccelius ihnen wieder gesellte, blieb es bei wenig Worten, was schließlich nicht Wunder nehmen konnte. Waren doch alle, mit alleiniger Ausnahme von Geelhaar, viel zu befreundet mit Hradscheck gewesen, als daß ein Gespräch über ihn anders als peinlich hätte verlaufen können. Peinlich und mit Vorwürfen gegen sich selbst gemischt. Warum hatte man bei der gerichtlichen Untersuchung nicht besser aufgepaßt, nicht schärfer gesehn? Warum hatte man sich hinters Licht führen lassen?
Nur das Nöthigste wurde festgestellt. Dann verließ man das durch so viele Jahre hin mit Vorliebe besuchte Haus, das nun für jeden ein Haus des Schreckens geworden war. Kunicke schritt quer über den Damm auf seine Wohnung, Eccelius auf seine Pfarre zu. Woytasch war mit ihm.
"Das Küstriner Gericht," hob Eccelius an, "wird nur wenig noch zu sagen haben. Alles ist klar und doch ist nichts bewiesen. Er steht vor einem höheren Richter."
Woytasch nickte. "Höchstens noch, was aus der Erbschaft wird," bemerkte dieser und sah vor sich hin. "Er hat keine Verwandte hier herum und die Frau, so mir recht is, auch nich. Vielleicht, daß es der Pohlsche wiederkriegt. Aber das werden die Tschechiner nich wollen."
Eccelius erwiderte: "Das alles macht mir keine Sorge. Was mir Sorge macht, ist blos das: wie kriegen wir ihn unter die Erde und wo. Sollen wir ihn unter die guten Leute legen, das geht nicht, das leiden die Bauern nicht und machen uns eine Kirchhofs-Revolte. Und was das Schlimmste ist, haben auch Recht dabei. Und sein Feld wird auch keiner dazu hergeben wollen. Eine solche Stelle mag niemand auf seinem ehrlichen Acker haben."
"Ich denke," sagte der Schulze, "wir bringen ihn auf den Kirchhof. Bewiesen ist am Ende nichts. Im Garten liegt der Franzos, und im Keller liegt der Pohlsche. Wer will sagen, wer ihn da hingelegt hat? Keiner weiß es, nicht einmal die Jeschke. Schließlich ist alles blos Verdacht. Auf den Kirchhof muß er also. Aber seitab, wo die Nesseln stehn und der Schutt liegt."
"Und das Grab der Frau?" fragte Eccelius. "Was wird aus dem? Und aus dem Kreuz?"
"Das werden sie wohl umreißen, da kenn' ich meine Tschechiner. Und dann müssen wir thun, Herr Pastor, als sähen wir's nicht. Kirchhofsordnung ist gut, aber der Mensch verlangt auch seine Ordnung."
"Brav, Schulze Woytasch!" sagte Eccelius und gab ihm die Hand. "Immer 's Herz auf dem rechten Fleck!"
* * *
Geelhaar war im Hradscheck'schen Hause zurückgeblieben. Er hatte den Polizei-Kehrmichnichtdran und machte nicht viel von der Sache. Was war es denn auch groß? Ein Fall mehr. Darüber ging die Welt noch lange nicht aus den Fugen. Und so ging er denn in den Laden, legte die Hand auf Ede's Kopf und sagte: "Hör', Ede, das war heut ein bischen scharf. So zwei Dodige gleich Morgens um neun! Na, schenk' mal 'was ein. Was nehmen wir denn?"
"Na, 'nen Rum, Herr Geelhaar."
"Nei, Rum is mir heute zu schwach. Gieb erst 'nen Kognak. Und dann ein' Rum."
Ede schenkte mit zitternder Hand ein. Geelhaar's Hand aber war um so sicherer. Als er ein paar Gläser geleert hatte, ging er in den Garten und spazierte drin auf und ab, als ob nun alles sein wäre. Das ganze Grundstück erschien ihm wie herrenloser Besitz, drin man sich ungenirt ergehen könne.
Die Jeschke, wie sich denken läßt, ließ auch nicht lang auf sich warten. Sie wußte schon alles und sah mal wieder über den Zaun.
"Dag, Geelhaar."
"Dag, Mutter Jeschke ... Nu, was macht Line?"
"De kümmt to Martini. Se brukt sich joa nu nich mihr to jrulen."
"Vor Hradscheck?" lachte Geelhaar.
"Joa. Vor Hradscheck. Awers nu sitt he joa fast."
"Das thut er. Und gefangen in seiner eigenen Falle."
"Joa, joa. De oll Voß! Nu kümmt he nich wedder rut. Fien wihr he. Awers to fien, loat man sien!"
* * *
Was noch geschehen mußte, geschah still und rasch, und schon um die neunte Stunde des folgenden Tages trug Eccelius nachstehende Notiz in das Tschechiner Kirchenbuch ein:
"Heute, den 3. Oktober, früh vor Tagesanbruch, wurde der Kaufmann und Gasthofsbesitzer Abel Hradscheck ohne Sang und Klang in den hiesigen Kirchhofsacker gelegt. Nur Schulze Woytasch, Gensdarm Geelhaar und Bauer Kunicke wohnten dem stillen Begräbnißakte bei. Der Todte, so nicht alle Zeichen trügen, wurde von der Hand Gottes getroffen, nachdem es ihm gelungen war, den schon früher gegen ihn wach gewordenen Verdacht durch eine besondere Klugheit wieder zu beschwichtigen. Er verfing sich aber schließlich in seiner List und grub sich, mit dem Grabscheit in der Hand, in demselben Augenblicke sein Grab, in dem er hoffen durfte, sein Verbrechen für immer aus der Welt geschafft zu sehn. Und bezeugte dadurch aufs Neue die Spruchweisheit: 'Es ist nichts so fein gesponnen, 's kommt doch alles an die Sonnen.'"
Vor dem in dem großen und reichen Oderbruchdorfe Tschechin um Michaeli 20 eröffneten Gasthaus und Materialwaarengeschäft von Abel Hradscheck, so stand auf einem über der Thür angebrachten Schilde, wurden Säcke, vom Hausflur her, auf einen mit zwei magern Schimmeln bespannten Bauerwagen geladen. Einige von den Säcken waren nicht gut gebunden oder hatten kleine Löcher und Ritzen, und so sah man denn an dem, was herausfiel, daß es Rapssäcke waren. Auf der Straße neben dem Wagen aber stand Abel Hradscheck selbst und sagte zu dem eben vom Rad her auf die Deichsel steigenden Knecht: "Und nun vorwärts, Jakob, und grüße mir Ölmüller Quaas. Und sag' ihm, bis Ende der Woche müßt' ich das Öl haben, Leist in Wrietzen warte schon. Und wenn Quaas nicht da ist, so bestelle der Frau meinen Gruß und sei hübsch manierlich. Du weißt ja Bescheid. Und weißt auch, Kätzchen hält auf Komplimente."
Der als Jakob Angeredete nickte nur statt aller Antwort, setzte sich auf den vordersten Rapssack und trieb beide Schimmel mit einem schläfrigen "Hüh" an, wenn überhaupt von Antreiben die Rede sein konnte. Und nun klapperte der Wagen nach rechts hin den Fahrweg hinunter, erst auf das Bauer Orth'sche Gehöft sammt seiner Windmühle, womit das Dorf nach der Frankfurter Seite hin abschloß und dann auf die weiter draußen am Oderbruch-Damm gelegene Ölmühle zu. Hradscheck sah dem Wagen nach, bis er verschwunden war, und trat nun erst in den Hausflur zurück. Dieser war breit und tief und theilte sich in zwei Hälften, die durch ein paar Holzsäulen und zwei dazwischen ausgespannte Hängematten von einander getrennt waren. Nur in der Mitte hatte man einen Durchgang gelassen. An dem Vorflur lag nach rechts hin das Wohnzimmer, zu dem eine Stufe hinaufführte, nach links hin aber der Laden, in den man durch ein großes, fast die halbe Wand einnehmendes Schiebefenster hineinsehen konnte. Früher war hier die Verkaufsstelle gewesen, bis sich die zum Vornehmthun geneigte Frau Hradscheck das Herumtrampeln auf ihrem Flur verbeten und auf Durchbruch einer richtigen Ladenthür, also von der Straße her, gedrungen hatte. Seitdem zeigte dieser Vorflur eine gewisse Herrschaftlichkeit, während der nach dem Garten hinausführende Hinterflur ganz dem Geschäft gehörte. Säcke, Citronen- und Apfelsinenkisten standen hier an der einen Wand entlang, während an der andern übereinandergeschichtete Fässer lagen, Ölfässer, deren stattliche Reihe nur durch eine zum Keller hinunterführende Fallthür unterbrochen war. Ein sorglich vorgelegter Keil hielt nach rechts und links hin die Fässer in Ordnung, so daß die untere Reihe durch den Druck der obenaufliegenden nicht ins Rollen kommen konnte.
So war der Flur. Hradscheck selbst aber, der eben die schmale, zwischen den Kisten und Ölfässern freigelassene Gasse passirte, schloß, halb ärgerlich halb lachend, die trotz seines Verbotes mal wieder offenstehende Fallthür und sagte: "Dieser Junge, der Ede. Wann wird er seine fünf Sinne beisammen haben!"
Und damit trat er vom Flur her in den Garten.
Hier war es schon herbstlich, nur noch Astern und Reseda blühten zwischen den Buchsbaumrabatten, und eine Hummel umsummte den Stamm eines alten Birnbaums, der mitten im Garten hart neben dem breiten Mittelsteige stand. Ein paar Möhrenbeete, die sich, sammt einem schmalen mit Kartoffeln besetzten Ackerstreifen, an eben dieser Stelle durch eine Spargel-Anlage hinzogen, waren schon wieder umgegraben, eine frische Luft ging, und eine schwarzgelbe, der nebenanwohnenden Wittwe Jeschke zugehörige Katze schlich, muthmaßlich auf der Sperlingssuche, durch die schon hoch in Samen stehenden Spargelbeete.
Hradscheck aber hatte dessen nicht Acht. Er ging vielmehr rechnend und wägend zwischen den Rabatten hin und kam erst zu Betrachtung und Bewußtsein, als er, am Ende des Gartens angekommen, sich umsah und nun die Rückseite seines Hauses vor sich hatte. Da lag es, sauber und freundlich, links die sich von der Straße her bis in den Garten hineinziehende Kegelbahn, rechts der Hof sammt dem Küchenhaus, das er erst neuerdings an den Laden angebaut hatte. Der kaum vom Winde bewegte Rauch stieg sonnenbeschienen auf und gab ein Bild von Glück und Frieden. Und das alles war sein! Aber wie lange noch? Er sann ängstlich nach und fuhr aus seinem Sinnen erst auf, als er, ein paar Schritte von sich entfernt, eine große, durch ihre Schwere und Reife sich von selbst ablösende Malvasierbirne mit eigenthümlich dumpfem Ton aufklatschen hörte. Denn sie war nicht auf den harten Mittelsteig, sondern auf eins der umgegrabenen Möhrenbeete gefallen. Hradscheck ging darauf zu, bückte sich und hatte die Birne kaum aufgehoben, als er sich von der Seite her angerufen hörte:
"Dag, Hradscheck. Joa, et wahrd nu Tied. De Malvesieren kümmen all von sülwst."
Er wandte sich bei diesem Anruf und sah, daß seine Nachbarin, die Jeschke, deren kleines, etwas zurückgebautes Haus den Blick auf seinen Garten hatte, von drüben her über den Himbeerzaun kuckte.
"Ja, Mutter Jeschke, 's wird Zeit," sagte Hradscheck. "Aber wer soll die Birnen abnehmen? Freilich wenn Ihre Line hier wäre, die könnte helfen. Aber man hat ja keinen Menschen und muß alles selbst machen."
"Na, Se hebben joa doch den Jungen, den Ede."
"Ja, den hab' ich. Aber der pflückt blos für sich."
"Dat sall woll sien," lachte die Alte. "Een in't Töppken, een in't Kröppken."
Und damit humpelte sie wieder nach ihrem Hause zurück, während auch Hradscheck wieder vom Garten her in den Flur trat.
Hier sah er jetzt nachdenklich auf die Stelle, wo vor einer halben Stunde noch die Rapssäcke gestanden hatten, und in seinem Auge lag etwas, als wünsch' er, sie stünden noch am selben Fleck oder es wären neue statt ihrer aus dem Boden gewachsen. Er zählte dann die Fässerreihe, rief, im Vorübergehen, einen kurzen Befehl in den Laden hinein und trat gleich danach in seine gegenüber gelegene Wohnstube.
Diese machte neben ihrem wohnlichen zugleich einen eigenthümlichen Eindruck, und zwar, weil alles in ihr um vieles besser und eleganter war, als sich's für einen Krämer und Dorfmaterialisten schickte. Die zwei kleinen Sophas waren mit einem hellblauen Atlasstoff bezogen, und an dem Spiegelpfeiler stand ein schmaler Trumeau, weißlackirt und mit Goldleiste. Ja, das in einem Mahagoni-Rahmen über dem kleinen Klavier hängende Bild, allem Anscheine nach ein Stich nach Claude Lorrain, war ein Sonnenuntergang mit Tempeltrümmern und antiker Staffage, so daß man sich füglich fragen durfte, wie das alles hierherkomme? Passend war eigentlich nur ein Stehpult mit einem Gitter-Aufsatz und einem Kuckloch darüber, mit Hilfe dessen man, über den Flur weg, auf das große Schiebefenster sehen konnte.
Hradscheck legte die Birne vor sich hin und blätterte das Kontobuch durch, das aufgeschlagen auf dem Pulte lag. Um ihn her war alles still, und nur aus der halboffenstehenden Hinterstube vernahm er den Schlag einer Schwarzwälder Uhr.
Es war fast, als ob das Ticktack ihn störe, wenigstens ging er auf die Thür zu, anscheinend um sie zu schließen; als er indeß hineinsah, nahm er überrascht wahr, daß seine Frau in der Hinterstube saß, wie gewöhnlich schwarz aber sorglich gekleidet, ganz wie Jemand, der sich auf Figurmachen und Toilettendinge versteht. Sie flocht eifrig an einem Kranz, während ein zweiter, schon fertiger an einer Stuhllehne hing.
"Du hier, Ursel! Und Kränze! Wer hat denn Geburtstag?"
"Niemand. Es ist nicht Geburtstag. Es ist blos Sterbetag, Sterbetag Deiner Kinder. Aber Du vergißt alles. Blos Dich nicht."
"Ach, Ursel, laß doch. Ich habe meinen Kopf voll Wunder. Du mußt mir nicht Vorwürfe machen. Und dann die Kinder. Nun ja, sie sind todt, aber ich kann nicht trauern und klagen, daß sie's sind. Umgekehrt, es ist ein Glück."
"Ich verstehe Dich nicht."
"Und ist nur zu gut zu verstehn. Ich weiß nicht aus noch ein und habe Sorgen über Sorgen."
"Worüber? Weil Du nichts Rechtes zu thun hast und nicht weißt, wie Du den Tag hinbringen sollst. Hinbringen sag' ich, denn ich will Dich nicht kränken und von Zeit todtschlagen sprechen. Aber sage selbst, wenn drüben die Weinstube voll ist, dann fehlt Dir nichts. Ach, das verdammte Spiel, das ewige Knöcheln und Tempeln. Und wenn Du noch glücklich spieltest! Ja, Hradscheck, das muß ich Dir sagen, wenn Du spielen willst, so spiele wenigstens glücklich. Aber ein Wirth, der nicht glücklich spielt, muß davon bleiben, sonst spielt er sich von Haus und Hof. Und dazu das Trinken, immer der schwere Ungar, bis in die Nacht hinein."
Er antwortete nicht, und erst nach einer Weile nahm er den Kranz, der über der Stuhllehne hing, und sagte: "Hübsch. Alles, was Du machst, hat Schick. Ach, Ursel, ich wollte, Du hättest bessere Tage."
Dabei trat er freundlich an sie heran und streichelte sie mit seiner weißen, fleischigen Hand.
Sie ließ ihn auch gewähren, und als sie, wie beschwichtigt durch seine Liebkosungen, von ihrer Arbeit aufsah, sah man, daß es ihrer Zeit eine sehr schöne Frau gewesen sein mußte, ja, sie war es beinah noch. Aber man sah auch, daß sie viel erlebt hatte, Glück und Unglück, Lieb' und Leid, und durch allerlei schwere Schulen gegangen war. Er und sie machten ein hübsches Paar und waren gleichaltrig, Anfang vierzig, und ihre Sprech- und Verkehrsweise ließ erkennen, daß es eine Neigung gewesen sein mußte, was sie vor länger oder kürzer zusammengeführt hatte.
Der herbe Zug, den sie bei Beginn des Gesprächs gezeigt, wich denn auch mehr und mehr, und endlich fragte sie: "Wo drückt es wieder? Eben hast Du den Raps weggeschickt, und wenn Leist das Öl hat, hast Du das Geld. Er ist prompt auf die Minute."
"Ja, das ist er. Aber ich habe nichts davon, alles ist blos Abschlag und Zins. Ich stecke tief drin und leider am tiefsten bei Leist selbst. Und dann kommt die Krakauer Geschichte, der Reisende von Olszewski-Goldschmidt und Sohn. Er kann jeden Tag da sein."
Hradscheck zählte noch anderes auf, aber ohne daß es einen tieferen Eindruck auf seine Frau gemacht hätte. Vielmehr sagte sie langsam und mit gedehnter Stimme: "Ja, Würfelspiel und Vogelstellen ..."
"Ach, immer Spiel und wieder Spiel! Glaube mir, Ursel, es ist nicht so schlimm damit und jedenfalls mach' ich mir nichts d'raus. Und am wenigsten aus dem Lotto; 's ist alles Thorheit und weggeworfen Geld, ich weiß es, und doch hab' ich wieder ein Loos genommen. Und warum? Weil ich heraus will, weil ich heraus muß, weil ich uns retten möchte."
"So, so," sagte sie, während sie mechanisch an dem Kranze weiter flocht und vor sich hin sah, als überlege sie, was wohl zu thun sei.
"Soll ich Dich auf den Kirchhof begleiten," frug er, als ihn ihr Schweigen zu bedrücken anfing. "Ich thu's gern, Ursel."
Sie schüttelte den Kopf.
"Warum nicht?"