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Regula Windlinger, Ueli Hostettler

SCHULLEITUNGSHANDELN IM KONTEXT

Zum Stand der geleiteten Schulen im Kanton Bern aus

der Perspektive der Schulleitenden, der Lehrpersonen

und der Kollegien

ISBN 978-3-0355-0223-7

eISBN 978-3-0355-0234-3

1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 hep verlag ag, Bern

www.hep-verlag.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung
Schulleitungshandeln als Gegenstand der Forschung

2 Wer sind die Schulleitenden?
Persönliche Merkmale, Rekrutierung, Aus- und Weiterbildung

3 Wo arbeiten Schulleitende?
Schulmerkmale, Leitungsmodelle und Rahmenbedingungen

4 Mit wem arbeiten Schulleitende zusammen?
Merkmale der Lehrpersonen und der Kollegien

5 Was machen Schulleitende?
Tätigkeiten, Arbeitszufriedenheit und Belastung

6 Wie sehen Schulleitende sich in ihrer Rolle?
Berufliches Selbstverständnis und Einschätzung der beruflichen Rolle

7 Wie führen Schulleitende?
Führungsstil und Einbezug schulischer Akteure

8 Schlussbetrachtung
Zur Wirkung von Schulleitungshandeln entlang des Emotionspfads

9 Literatur

10 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Wir bedanken uns beim Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für die finanzielle Unterstützung des Projekts und bei der PHBern für die Bereitstellung der Infrastruktur und weiterer Ressourcen. Allen Schulleitenden und allen Lehrpersonen im Kanton Bern, die ihre wertvolle Zeit für dieses Projekt zur Verfügung gestellt haben, danken wir mit Nachdruck für ihr Interesse, ihre Unterstützung und ihr Engagement. Unser Dank geht ebenso an unsere beiden Praxispartner, den Verband Schulleiterinnen und Schulleiter des Kantons Bern (vslbe) und die Abteilung Kindergarten- und Schulaufsicht deutsch der Erziehungsdirektion des Kantons Bern. Schließlich bedanken wir uns bei allen Personen, die uns im Projektverlauf in der einen oder anderen Weise unterstützt haben.

Regula Windlinger, Ueli Hostettler
Bern, im Juli 2014

1 Einleitung
Schulleitungshandeln als Gegenstand der Forschung

Die Einrichtung von geleiteten Schulen und die Herausbildung der Profession Schulleiterin/Schulleiter haben in den vergangenen Jahren die Volksschulen in der Schweiz grundlegend verändert (die Volksschule umfasst nach der OECD-Klassifizierung die Bereiche Elementar, Primar und Sekundar I). Diese Veränderungen sind Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die unter dem Druck der gesellschaftlichen Umwälzungen im Zeichen des New Public Management zur Etablierung eines «Output-Steuerungsmodells» in Bildungssystemen geführt hat. Damit rückte die Einzelschule als Gestaltungs- und Handlungseinheit auf der Mesoebene des Bildungssystems ins Zentrum der Aufmerksamkeit (Fend 2008). Die nun «geleitete Schule» wird als «multikausales Geschehen» (Wissinger 2007) verstanden, das von Eigenverantwortung, Führung und Management geprägt ist. Der gesellschaftliche Auftrag, Schüler und Schülerinnen individuell bestmöglich zu fördern und so zur Sicherung eines demokratischen und leistungsorientierten Gemeinwesens beizutragen, bedeutet für die Akteure der Schule vor allem, guten Unterricht zu ermöglichen und zu erteilen. Dabei liegt in der Einzelschule die Steuerungsverantwortung bei der Schulleitung (Pont et al. 2008) und ihr professionelles Handeln vereint Management und Leadership (Dubs 2005; Hoy, Miskel 2001; Leithwood 2005). Eine wichtige Aufgabe ist dabei, das Zusammenspiel der schulinternen Prozesse zu fördern und «Inkohärenz» abzubauen (Fullan 2007). Diese Funktion und Rolle der Schulleitung ist historisch betrachtet neu (Bonsen 2010) und aus ihr entwickelt sich auch die Profession des «Schulleiters»/der «Schulleiterin» (Huber 2003), die es in dieser Form früher nicht gegeben hat. Das Handeln von Schulleitenden im Kontext der Volksschule des deutschsprachigen Teils des Kantons Bern steht im Zentrum der folgenden Betrachtungen.

Problemlage und Stand der Forschung

In der angelsächsischen Welt sind Fragen zu Schulleitung, Effektivität und Qualität von Schule seit den 1960er Jahren Gegenstand intensiver, insbesondere quantitativer Forschung (Hoy, Miskel 2001). Davon zeugt eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur zum Thema (Leithwood et al. 2004). Im deutschsprachigen Raum dagegen ist diese Forschung noch wenig ausgeprägt (Bonsen 2010; Bonsen, Pfeiffer 1998; Wissinger, Huber 2002). So bezeichnet Pfeiffer (2002, S. 21) die Forschung zur geleiteten Schule und der Schulleitung als «defizitär» und Bonsen (2006, S. 194) beurteilt sie als «schmal», weil, wie er feststellt, in Deutschland die «noch relativ zurückhaltend umgesetzte schulische Selbständigkeit […] bislang noch kaum hinsichtlich ihrer Wirksamkeit auf die Schuleffektivität erforscht» worden ist (2010, S. 281).

Als Indikator für Qualität steht in den meisten dieser Untersuchungen die Verbesserung der Lernleistung von Schülern und Schülerinnen im Vordergrund – «die Schülerleistungen wurden sozusagen als ‹ultimatives Kriterium› für die Effektivität von Schule in Form von standardisierten Tests erhoben» (Bonsen et al. 2002, S. 26). Obschon sich im Rahmen des gesellschaftlichen Auftrags von Schule spontan auch andere Qualitätsindikatoren von Schulleitungshandeln – etwa die Förderung von soft skills der Lernenden, die Zufriedenheit der Lehrpersonen oder Merkmale der Organisation – vorstellen lassen, bildet die Leistung der Schüler «fraglos den wichtigsten Bezugspunkt der empirischen Schulforschung und somit auch der Schulleitungsforschung ab» (Bonsen et al. 2002, S. 27). Die Forschungsergebnisse zeigen, dass ein Zusammenhang zwischen Schulleitungshandeln und den Leistungen der Schülerinnen besteht und dass die Schulleitung eine zentrale Rolle für die Entwicklung und Qualität der Schule spielt (Leithwood et al. 2010; Huber, Muijs 2010; Robinson et al. 2008). Deshalb wird in der Wissenschaft heute eher über die Stärke dieses Zusammenhangs diskutiert.

Qualitative Studien, die in der Regel auf Einzelfallstudien beruhen und oft in exemplarisch guten Schulen durchgeführt wurden (siehe etwa Gezi 1990; Reitzug, Patterson 1998), zeigen diese Beziehungen ebenso auf wie quantitative Ansätze, lassen sich aber in der Regel nur schwer generalisieren. Für Leithwood et al. (2004, S. 70), die eine Vielzahl von quantitativen und qualitativen Studien aus den 1980er und 1990er Jahren beurteilt haben, ist das Schulleitungshandeln nach dem Unterricht die zweitwichtigste innerschulische Einflussgröße auf den Lernerfolg der Schüler. Konsens besteht auch darüber, dass die Wirkung von Schulleitungshandeln auf diese Lernleistung eine indirekte ist. Laut Bonsen (1998) handelt es sich dabei um einen «mittleren Effekt». Die Stärke der indirekten Beziehung wird in Metaanalysen unterschiedlich ausgewiesen (Hallinger, Heck 1998; Heck, Hallinger 2005). So haben Robinson et al. (2008) 27 Studien untersucht und Effekte gefunden, die von «schwach» (ES=.11) bis «moderat» (ES=.42) streuen. Marzano et al. (2005, S. 31) weisen eine ihrer Ansicht nach bedeutsame Korrelation (r=.25) in ihrer Metaanalyse aus, die 69 Studien umfasst, welche sich auf 2802 Schulen und 1,4 Mio. Schüler und Schülerinnen beziehen. Witziers et al. (2003), auf der andern Seite, untersuchten 37 Studien (davon 25 außerhalb der USA) und fanden indes keine statistisch bedeutsame Korrelation zwischen dem Handeln von Schulleitenden und Schuleffektivität (r=.02).

Der Einfluss der Schulleitung auf die Rahmenbedingungen von Schule und Unterricht erfolgt über die Lehrpersonen als Einzelpersonen und als Mitglieder professioneller Gemeinschaften (Kollegien). Das Handeln der Schulleitung umfasst dabei Tätigkeiten, welche die Ziele, die Kultur, das Klima und die Strukturen der Schule so verändern, dass gute Rahmenbedingungen für erfolgreichen Unterricht entstehen. So wirkt die Schulleitung in erster Linie über die «Arbeit am System» und damit indirekt auf den Unterrichtserfolg. Sie kann Bedingungen schaffen, unter denen die Lehrpersonen optimal wirksam sein können, was sich dann wiederum auf die Leistung der Schülerinnen auswirkt.

Für Huber und Muijs (Huber, Muijs 2010, S. 70, Übersetzung UH und RW) ist deshalb «die Frage, die gestellt werden sollte, […] heute also nicht mehr, ob Schulleitungen einen positiven Effekt haben, sondern welche Mittel sie einsetzen und über welche Wege sie einen solchen Effekt erzielen». Das heißt auch, dass die Forschung stärker die vermittelnden Variablen finden und beschreiben soll, die durch die Schulleitung beeinflusst werden können und die dann wiederum einen Effekt auf die Schüler haben (Leithwood, Mascall 2008, S. 556).

Es gibt etliche Studien, welche die Wirkung der Schulleitung auf den Unterrichtserfolg durch einzelne vermittelnde Variablen getestet haben. Leithwood et al. (2010) haben sich einen Überblick über diese Studien verschafft (Abbildung 1).

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Abbildung 1: Vier-Pfad-Modell von Leithwood et al. (2010)

In ihrer Darstellung ordnen sie die vermittelnden Variablen analytisch vier verschiedenen Pfaden zu. Weil sich diese Variablen auch gegenseitig beeinflussen, operieren Wirkungen entlang der Pfade in der Praxis aber sicherlich nicht unabhängig voneinander. Die Schulleitung kann mit ihrem Handeln auf den Unterrichtserfolg Einfluss nehmen,

— über das Wissen und die Fähigkeiten der Lehrpersonen bezüglich Unterrichten und Lernen (über interne Weiterbildungen, Pädagogische Konferenzen usw.);

— indem sie die Aufmerksamkeit auf Emotionen und Einstellungen der Lehrpersonen richtet, wie die Selbstwirksamkeit, die Zufriedenheit, das Arbeitsklima; beispielsweise kann die Kollektive Selbstwirksamkeit des Kollegiums positiv beeinflusst werden, wenn im Kollegium Kooperation angeregt wird, Unterstützung vorhanden ist, die Schulleitung als Vorbild wirkt;

— durch die Gestaltung von Strukturen und Abläufen der Schule, beispielsweise die Förderung der innerschulischen Zusammenarbeit in Unterrichtsteams und die Gestaltung der organisatorischen Innenarchitektur der Schule;

— durch Einflussnahme auf das familiäre Umfeld, etwa in der Gestaltung der Zusammenarbeit mit den Eltern (Neuenschwander 2010).

Nach Leithwood et al. (2008) gibt es Kernaufgaben von Schulleitenden, welche die Basis für erfolgreiche Führung bilden, und die über die vier beschriebenen Pfade Wirkung zeigen. Diese Kernaufgaben lassen sich vier Kategorien zuordnen: das Entwickeln von Visionen und die Festlegung der Ausrichtung zukünftiger Schulentwicklung, das Verstehen von Menschen und die Entwicklung ihrer Fähigkeiten, die (Um)Gestaltung der Organisation und das Fokussieren auf das Lehren und Lernen.

Dabei betonen die Autoren, dass nicht diese Aufgaben an sich, aber die Art und Weise, wie sie umgesetzt werden, stark vom internen und externen Kontext der Schule abhängig sind. Kontext ist also in zweierlei Hinsicht zu verstehen. Zum einen ist dies der Kontext der Schule, welcher in übergeordneter Weise die für die Schule geltenden äußeren Rahmenbedingungen setzt (z. B. gesetzliche Grundlagen, Organisationsform, gesellschaftlicher Hintergrund, sozioökonomische und kulturelle Umstände), zum andern der innere Einzelschulkontext (z. B. Schulklima, Kooperationsformen usw.). Erfolgreiche Schulleitende können den Zustand ihrer Schule «lesen» und entsprechend handeln.

Die hier beschriebene Studie berücksichtigte die durch die Forschung beschriebenen innerschulischen Wirkungszusammenhänge und untersuchte vor allem Aspekte des Emotionspfades (emotions path). Dazu wurde die systematisch in einer Befragung der Schulleitenden und der Lehrpersonen erhobene Information zur Selbstwirksamkeit, zur Arbeitszufriedenheit, zum Organizational Citizenship Behavior, zum Arbeitsklima und zur Kollektiven Selbstwirksamkeit genutzt. Laut Bandura (1977) meint Selbstwirksamkeitserwartung die Überzeugung einer Person, mit zukünftigen Herausforderungen umgehen zu können. Im Kontext der Schule sind das berufliche Herausforderungen innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Die Kollektive Selbstwirksamkeit (Schwarzer, Jerusalem 1999) ist das Ausmaß des Vertrauens einer Gruppe (im schulischen Kontext des Kollegiums) in ihre Handlungskompetenz, also Überzeugungen bezüglich der Bewältigung zukünftiger herausfordernder Ereignisse, welche die ganze Gruppe betreffen. Arbeitszufriedenheit bezeichnet die Einstellung einer Person zu ihrer Arbeitssituation, welche sowohl emotionale als auch kognitiv-abwägende Bewertungen beinhaltet (Ammann 2004). Der Begriff Organizational Citizenship Behavior umfasst die Bereitschaft, sich über die formalen Verpflichtungen der beruflichen Tätigkeit hinaus für die Organisation und die Kollegen und Kolleginnen einzusetzen. Auf die Schule bezogen ist es das Ausmaß, in welchem Lehrpersonen bereit sind, freiwillig Lernenden, Lehrpersonen und anderen zu helfen (DiPaola, Hoy 2005). Unter Schulklima wird hier in erster Linie die Qualität der Kooperation zwischen den Akteuren Schulleitung, Lehrpersonen und Schüler und Schülerinnen verstanden (Hoy et al. 2002).

Geleitete Schulen im Kanton Bern