Vorwort der Herausgeber

Das sogenannte Wachkoma oder apallische Syndrom gehört nicht nur zu den größten Rätseln der Medizin und Neurowissenschaft, sondern ist auch aus ethischer und rechtlicher Sicht eine gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit.

Dieses Buch möchte sich dem Thema aus verschiedenen Perspektiven nähern und so zu einem Dialog über Fachgrenzen hinweg beitragen. Es ist hervorgegangen aus dem Symposium mit dem gleichnamigen Titel, das am 16. Juli 2010 an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München stattfand. Wissenschaftler und Praktiker verschiedener Berufsgruppen stellten dabei ihre Sichtweisen des Wachkomas und der damit verbundenen ethischen Probleme vor und diskutierten sie mit einem Publikum von 150 Fachleuten aus ganz Deutschland. Das Symposium wurde von der Forschungsgruppe „Neuroethik chronischer Bewusstseinsstörungen“ am Klinikum der Universität München in Zusammenarbeit mit dem Münchner Kompetenzzentrum Ethik veranstaltet. Die Referenten der Veranstaltung kamen aus unterschiedlichen Disziplinen der Medizin, den Neurowissenschaften, der Psychologie, dem Recht und der Philosophie und erklärten sich anschließend bereit, ihre Vorträge als Buchkapitel zusammenzufassen. Darüber hinaus konnten zusätzliche Autoren gewonnen werden, um die wichtigen Perspektiven der Kinderheilkunde, der Seelsorge und der Pflege darzustellen.

Das Forschungsprojekt „Neuroethik chronischer Bewusstseinsstörungen“ wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und läuft von 2008 bis 2012 (Förderkennzeichen 01GP0801). Es wurde am Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin am Klinikum der Universität München initiiert und wird geleitet von Dr. Dr. Ralf Jox, der inzwischen am Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der LMU München arbeitet, sowie von Prof. Dr. Gian Domenico Borasio, der seit März 2011 den Lehrstuhl für Palliative Care an der Universität Lausanne inne hat. In enger interdisziplinärer Kooperation mit Arbeitsgruppen in Montréal (Kanada) und Turku (Finnland) wird das Ziel verfolgt, ethische, rechtliche und soziale Herausforderungen chronischer Bewusstseinsstörungen zu identifizieren, ihren Problemgehalt zu analysieren und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Die Forschungsergebnisse sollen Betroffenen, Klinikern, Juristen, Politikern, Ethikern und der Öffentlichkeit zu Gute kommen.

Wir danken den Autoren dieses Buches für ihre bereichernden Beiträge und ihr großes Engagement. Unser Dank gilt insbesondere dem BMBF für die Förderung des Forschungsprojekts, des Symposiums und dieser Veröffentlichung. Wir bedanken uns beim Kohlhammer-Verlag, besonders bei Dr. Ruprecht Poensgen, Dagmar Kühnle und Tillmann Bub, für die Unterstützung bei der Fertigstellung dieses Bandes. Last but not least danken wir allen Mitarbeitern und Kollegen, die uns bei der redaktionellen Überarbeitung der Beiträge unterstützt haben, allen voran Tobias Budick und Hendrik Terwort.

München, im Juli 2011

Ralf J. Jox,
Katja Kühlmeyer,
Gian Domenico Borasio

Das Wachkoma: thematische Einführung und Übersicht über das Buch

Ralf J. Jox

„His brain is the size of a grapefruit. Our instinct is to provide
hope, and to say that because he is alive there is a chance he
will wake up – but this is never going to happen.“
Krankenhausmanager, Sheba Medical Center, Tel Hashomer,
Israel, über den Patienten Ariel Sharon
1

1 Ein prominentes Beispiel

Es ist der Abend des 4. Januar 2005. Der israelische Premierminister Ariel Sharon befindet sich auf seiner Ranch in der Negev-Wüste. Tags darauf soll er sich einem Eingriff am Herzen unterziehen: Ärzte haben festgestellt, dass er ein Loch in der Wand zwischen den Herzvorhöfen hat, ein sogenanntes persistierendes Foramen ovale mit Vorhofseptum-Aneurysma. Sehr wahrscheinlich war dieses Loch für den leichten Schlaganfall verantwortlich, den er wenige Wochen zuvor erlitten hatte. Noch an diesem Abend erleidet Sharon einen zweiten Schlaganfall, nun aber einen viel folgenreicheren, und zwar in Form einer massiven Hirnblutung. Wie sich später herausstellen soll, sind wohl nicht alleine die blutverdünnenden Medikamente, die er einnimmt, die Ursache, sondern es liegt zudem eine unerkannte, Blutungen begünstigende Gefäßerkrankung des Gehirns vor, eine so genannte Amyloidangiopathie. Der Premierminister muss innerhalb weniger Tage dreimal operiert werden, kurze Zeit später ist klar, dass Sharon in einem Wachkoma liegt (Anonym 2010a).

Seit etwa vier Jahren befindet er sich nun in einer Rehabilitationsabteilung des Sheba Medical Center nahe Tel Aviv. Mehrmals musste er in der Zwischenzeit auf einer Intensivstation behandelt werden, überstand eine Lungenentzündung, eine Niereninsuffizienz, eine Notoperation am Darm. Seine Söhne lehnen es ab, über den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen zu diskutieren. Im Gegensatz zu ärztlichen Verlautbarungen berichten sie, dass ihr Vater durch Händedruck reagieren könne. Ein Klinikmanager, der ungenannt bleiben möchte, wird vom Sydney Morning Herald am 6. Januar 2010 mit obigen Worten zitiert, die deutlich machen, wie ambivalent das Behandlungsteam sein eigenes Tun sieht (Anonym 2010b). Sie geben Hoffnung, ohne selbst Hoffnung zu haben, behandeln lebensverlängernd, ohne dass Aussicht auf eine Verbesserung der Lebensqualität bestünde. Welche Rolle mögen dabei Sharons öffentliche Person als hochrangiger Politiker, die moralischen Normen der jüdischen Religion, die Einstellung der Angehörigen spielen?

2 Gesellschaftliche Bedeutung des Wachkomas

Das Schicksal Ariel Sharons kann Menschen jeden Alters treffen. Verglichen mit anderen Krankheiten ist das Wachkoma eher selten. Zwar gibt es für Deutschland keine epidemiologischen Daten, aber aus den Daten anderer westlicher Länder lässt sich extrapolieren, dass in Deutschland jährlich 400–2.000 Menschen in ein Wachkoma geraten und auf Grund der variablen Lebenserwartung 3.000–14.000 Menschen insgesamt in diesem Zustand leben, also 4–17 Patienten auf 100.000 Einwohner (Jennett 2002; Beaumont and Kenealy 2005; Geremek 2009). Wachkomapatienten werden in Deutschland oft in spezialisierten Rehabilitations- oder Intensivpflegeeinrichtungen versorgt, so dass nur wenige unter den Ärzten und anderen Gesundheitsberufen Erfahrung mit der Behandlung dieser Patienten haben.

Umso erstaunlicher ist es, welche gesellschaftliche Wirkung das Wachkoma entfaltet und wie intensiv über Einzelfälle öffentlich diskutiert wird. Seit es einen explizit medizinethischen Diskurs in der Öffentlichkeit westlicher Länder gibt, wurde immer wieder über die Behandlung von Wachkomapatienten intensiv diskutiert, ja sogar erbittert gestritten (Jox 2011a). Dies begann 1975 in den USA mit dem Fall von Karen Ann Quinlan und reicht über die notorische Debatte um Terri Schiavo bis hin zur europäischen Diskussion um Eluana Englaro, die 2009 nach 19 Jahren im Wachkoma starb (Annas 2005; Pence 2007; Luchetti 2010). Zugespitzt lässt sich behaupten, dass die Stärkung der Patientenselbstbestimmung und die Durchsetzung des Rechts auf ein natürliches Sterben wesentlich am Beispiel von Wachkomapatienten erzielt wurden. Dies trifft auch für Deutschland zu, wo quasi sämtliche höchstinstanzlichen Gerichtsurteile zur sogenannten Sterbehilfe Menschen im Wachkoma betrafen (Bundesgerichtshof 1995; Bundesgerichtshof 2003; Bundesgerichtshof 2005; Bundesgerichtshof 2010). In verhältnismäßig vielen Spielfilmen, TV-Dokumentationen und Büchern wird das Thema Wachkoma aufgegriffen, am bekanntesten vielleicht in Pedro Almodóvars Film „Hable con ella“. Ausdruck der öffentlichen Bedeutung des Problems Wachkoma ist sicherlich auch, dass die meisten und bekanntesten Formulare für Patientenverfügungen je einen Absatz zum Wachkoma enthalten, so etwa das Formular des Bayerischen Justizministeriums oder die Textbausteine des Bundesjustizministeriums (Bayerisches Staatsministerium der Justiz und für Vebraucherschutz 2009; Bundesministerium der Justiz 2010).

Die Gründe für das große öffentliche Interesse am Wachkoma sind gewiss vielfältig und vielschichtig. In erster Linie ist es ein ebenso faszinierender wie verstörender Zustand, wenn ein Mensch die Augen offen hat, aber nicht bei Bewusstsein ist – oder sich nicht wie ein Bewusster verhält. Unsere Intuition, die sich aus unzähligen Erfahrungen des Alltags speist, lässt uns Bewusstsein und Lidstellung prima facie immer als eine Einheit denken, da Bewusstsein und Wachheit synchron erscheinen. Jeden Tag schlagen wir die Augen auf, wenn wir morgens aus dem Schlaf erwachen und zu Bewusstsein kommen. Jeden Abend schließen wir die Augen und dämmern meist kurze Zeit später in den Schlaf. Auch bei der Narkose oder dem klassischen Ohnmachtsanfall (Synkope) finden wir diese phänomenologische Einheit wieder. Wir können die Probe aufs Exempel machen: Sehen wir etwa im Zug eine Person uns gegenüber halb liegend und mit geschlossenen Augen sitzen, so gehen wir davon aus, dass sie schläft. Sehen wir eine andere Person in der identischen Pose, aber mit offenen Augen, so meinen wir, dass sie gerade nachdenkt, tagträumt oder Pläne schmiedet, aber jedenfalls wach ist. Wir können uns schwer vorstellen, dass jemand längere Zeit die Augen geschlossen hat, dabei aber wach ist. Aber noch weniger vorstellbar ist es für uns, dass jemand die Augen offen hat bzw. abwechselnd offen und geschlossen, aber dabei nicht bei Bewusstsein ist (was bei der Lidheberparese der Fall sein kann). Und doch ist es medizinisch unbestritten, dass die Wachheit (engl.: wakefulness) und die Bewusstheit (engl.: awareness) zwei neuroanatomisch und funktionell verschiedene Systeme sind, die zwar physiologischerweise zusammenwirken, aber in seltenen Fällen krankheitsbedingt auseinanderfallen können (Jox 2011a). Der Begriff „Wachkoma“ drückt diesen scheinbar paradoxen Zustand aus, denn der altgriechische Wortteil „koma“ bedeutet „tiefer Schlaf“, und Schlafen und Wachen schließen einander ja im Alltagsverständnis aus.

Es gibt aber noch weitere Gründe, wieso das Wachkoma so viel Interesse weckt. Spätestens seit René Descartes (1596–1650) hat die Frage des Bewusstseins die modernen Menschen stets bewegt – und das nicht nur in der Philosophie. Seit es nun die moderne Hirnforschung mit ihren neurophysiologischen und bildgebenden Verfahren gibt, wird die Erforschung des Rätsels „Bewusstsein“ auch naturwissenschaftlich intensiv betrieben. Dabei bringt es der moderne Wissenschaftsbetrieb mit sich, dass immer wieder auch vollmundige Versprechungen und überzogene Sensationsmeldungen in die Öffentlichkeit getragen werden. So betitelte etwa die populärwissenschaftliche Zeitschrift „Gehirn und Geist“ am 22. Juni 2010 einen Artikel: „Messen statt diskutieren! Mit Hilfe von Hirnscans können Forscher feststellen, ob ein Patient im Wachkoma bei Bewusstsein ist oder nicht. Im zweiten Teil der neuen G&G-Rubrik schildert der Neurowissenschaftler Christoph Koch, wie diese und andere Techniken eines Tages helfen können, subjektives Erleben objektiv zu bestimmen“ (Koch 2010).

Öffentliches Aufsehen erregte auch der Fall des Belgiers Rom Houben: Am 21. November 2009 berichtete „Spiegel online“ unter dem Titel „Fehldiagnose: Komapatient war 23 Jahre bei Bewusstsein“, dass der Belgier bei einer Untersuchung mit der Positronenemissionstomographie (PET) eindeutig Aktivierungsmuster zeige, wie sie bei Gesunden vorkämen (Spiegel online 2009). Houben, der 23 Jahre lang als Wachkomapatient behandelt worden sei, könne sich nun sogar mit Hilfe eines Spezialcomputers mitteilen, wie ein ausführlicher Artikel in der Print-Ausgabe des Spiegels vom 23. September 2009 erläutert (Dworschak 2009). Dabei habe er Sätze geschrieben wie „Ich habe geschrien – aber es war nichts zu hören“ oder „Nie vergesse ich den Tag, an dem sie mich entdeckten, meine zweite Geburt.“ Einige Monate später erschien am 13. Februar 2010 erneut im Spiegel ein weiterer Artikel mit dem Titel „Rettung für die Verschütteten: Mit Schädelelektroden wollen Neurologen Kontakt zu Menschen im Wachkoma aufnehmen. Testfall: der Belgier Rom Houben, der 23 Jahre lang unentdeckt dahindämmerte“ (Dworschak 2010). In diesem zweiten Artikel wurde trotz der erneut reißerischen Überschrift irgendwo im Text verschämt richtiggestellt, dass der behandelnde Neurologe sich geirrt hatte, was die Kommunikationsfähigkeit Houbens anging: Die Sätze im Computer seien, wie eine Nachuntersuchung ergeben habe, in Wahrheit von der Logopädin geschrieben worden, die ihm eigentlich nur die Hand beim Schreiben stützen sollte. Seither gab es keine öffentlichen Berichte mehr über Rom Houben. Dieser Fall zeigt anschaulich, wie kritisch sensationelle Meldungen über Durchbrüche in der Bewusstseinsforschung zu rezipieren sind und dass gerade das große öffentliche Interesse am Wachkoma zu bedenklichen Überinterpretationen und vorschnellen Urteilen verleiten kann.

Die Brisanz der wissenschaftlichen Erforschung des Wachkomas liegt letztlich darin begründet, dass sie enorme ethische Konsequenzen für die Behandlung der Patienten haben könnte. Denn wie oben bereits erwähnt, ist das Wachkoma eng verknüpft mit der Frage nach Leben erhalten oder Sterben zulassen. Obwohl das Wachkoma ein über Jahrzehnte andauernder stabiler Zustand sein kann, ja sogar eine Rehabilitation einzelner Körperfunktionen und damit einen Remissionsverlauf zeigen kann, darf nicht vergessen werden, dass das Leben der Patienten von medizinischen Maßnahmen der Lebenserhaltung abhängt und die Lebenserwartung deutlich verkürzt ist. Da Wachkomapatienten in der Regel nicht in der Lage sind, ausreichende Mengen von Flüssigkeit und Nahrung ohne Aspirationsgefahr zu schlucken, benötigen sie eine künstliche Ernährung und Hydrierung, die zumeist über eine PEG-Sonde (perkutane endoskopische Gastrostomie) verabreicht wird. Vor der Einführung der PEG-Sonde in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts gab es daher kaum Wachkomapatienten, die langfristig überlebten (Gauderer et al. 1980). Hinzu kommt, dass Wachkomapatienten – wie im eingangs geschilderten Fall von Ariel Sharon deutlich wird – auf Grund Ihrer Immobilität immer wieder Komplikationen erleiden, die oft mit lebenserhaltenden Maßnahmen und teilweise sogar mit intensivmedizinischen Maßnahmen behandelt werden. Häufige Komplikationen sind Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen, gastrointestinale und entzündliche Komplikationen der PEG-Sonde, unerwünschte Medikamentenwirkungen, Thrombosen und Lungenembolien. Folgezustände der Gehirnschädigung wie epileptische Anfälle oder Spastizität der Extremitäten treten hinzu. Überdies können Wachkomapatienten, zumal wenn sie betagt sind und entsprechende Komorbiditäten haben, wie dies entgegen dem Klischee vom jungen Wachkomapatienten durchaus Realität ist, lebensbedrohliche Krankheiten entwickeln, die mit dem Zustand im Wachkoma gar nichts zu tun haben, z. B. maligne Tumore oder Herzinfarkte. In solchen Krisensituationen stellt sich die grundsätzlich permanent zu stellende Frage nach dem Therapieziel in verschärfter Form (Jox 2011b).

3 Multiperspektivische Beiträge dieses Buches

Vor diesem Hintergrund lässt sich erahnen, weshalb der relativ seltenen Erkrankung des Wachkomas so eine enorme öffentliche Bedeutung und Aufmerksamkeit zukommt. Dabei ist leider zu konstatieren, dass die öffentliche Diskussion über die Behandlung von Wachkomapatienten wie manch anderes medizinethisches Thema sehr emotional, intransigent und zuweilen ideologisch geführt wird (Racine et al. 2008). Auch ist es bei diesem Thema dringend geboten, die verschiedensten Perspektiven von der Ergotherapie bis hin zur Philosophie zusammenzubringen. Ein erster Versuch in diese Richtung soll mit diesem Buch angeregt werden. Basierend auf den multidisziplinären Beiträgen zu einem Symposium, das im Juli 2010 in München stattfand, werden hier verschiedene Experten ihre Sichtweisen auf das Thema Wachkoma vorstellen. Im Folgenden sollen die einzelnen Beiträge kurz skizziert werden.

3.1 Erster Teil: Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis

Der erste und größere Teil des Buches ist den Erkenntnissen und Erfahrungen aus der Wissenschaft und therapeutischen Praxis gewidmet. Athena Demertzi et al. definieren und problematisieren zunächst die Begriffe und plädieren für die neue Bezeichnung „unresponsive wakefulness syndrome“ (Laureys et al. 2010). Sie resümieren die Ergebnisse bildgebender Forschung zu chronischen Bewusstseinsstörungen und erläutern ausführlich, wie das derzeit favorisierte Modell der Ruhenetzwerke verschiedene Bewusstseinszustände des Menschen erklärt (Boly et al. 2008). In einem weiteren Schritt stellen Sie dar, welche Auswirkungen diese wissenschaftlichen Ergebnisse für die medizinische Praxis haben könnten, etwa für die durch eine hohe Fehlerrate charakterisierte Diagnostik oder einen möglichen Kommunikationsaufbau mit Wachkomapatienten. Auch diskutieren sie die Frage der Schmerzwahrnehmung und mögliche Therapieansätze, darunter vor allem die tiefe Hirnstimulation. Abschließend berühren sie die ethische Frage der lebenserhaltenden Medizin und künstlichen Ernährung beim Wachkoma und präsentieren eigene Daten aus einer großen europäischen Umfrage über die Einstellungen von Gesundheitsberufen zur Behandlung des Wachkomas.

Aus einer rehabilitationsmedizinischen Perspektive schildert Andreas Zieger seine Erfahrungen mit der Behandlung von Patienten im Wachkoma. Er stellt dar, wie die Ziele der Lebenssicherung und der sozialen Teilhabe erreicht werden können und warum dies bedeutsam ist. Dabei argumentiert er auf der Basis einer beziehungsmedizinischen Theorie und kommt demgemäß zu einer ganz eigenen Konzeptualisierung des Wachkomas als Rücknahme der menschlichen Existenz auf das „autonome Körperselbst“. Im Umgang mit diesen Patienten komme es daher darauf an, in einem „körpernahen Dialog“ die Semantik dieses autonomen Körperselbst zu dechiffrieren. Weiterhin zeigt Zieger auf, welche therapeutischen Möglichkeiten von Ärzten und Therapeuten eingesetzt werden können. Welche Rehabilitationsergebnisse damit erzielt werden können, stellt er auch mit Hilfe eigener empirischer Daten dar (Zieger 2005). Abschließend führt er aus, weshalb die soziale Teilhabe und Integration von Patienten mit chronischen Bewusstseinsstörungen sozialethisch und -rechtlich ein wichtiges Ziel darstellt und diskutiert die ethische Problematik des Umgangs mit Willensäußerungen von Wachkomapatienten.

Ebenfalls langjährige Erfahrungen aus der Praxis resümiert Marcello Ciarettino für die Perspektive der Pflegenden. Er betont die Bedeutung der Intuition für den pflegerischen Umgang mit Wachkomapatienten und stellt dar, wie Pflegeexperten den von Zieger schon erwähnten „körpernahen Dialog“ praktizieren. Weiterhin zeigt er auf, welche enorme Bedeutung die professionellen Pflegekräfte für die Angehörigen haben – von der Akutsituation auf der Intensivstation über verschiedene Rehabilitationsphasen bis hin zur Palliativbetreuung. Die Angehörigen benötigen einerseits Unterstützung und Hilfe in ihrer eigenen existenziellen Betroffenheit, erwarten andererseits aber auch Rat und Anleitung, um selbst pflegerische Hilfe für ihre kranken Angehörigen leisten zu können.

Die bereits angesprochene Situation der Angehörigen beleuchtet Katja Kühlmeyer, indem sie Ergebnisse einer explorativen Interviewstudie wiedergibt, in der engste Angehörige von Menschen im langjährigen Wachkoma befragt wurden. Anhand dreier kontrastierender Interviews zeigt sie auf, welche Typen von Einstellungen und Umgangsweisen bei den Angehörigen gefunden wurden. Diese drei Fälle unterscheiden sich insbesondere darin, wie die Angehörigen jeweils zu lebenserhaltenden Maßnahmen stehen. Auf der Basis ihrer Daten stellt Kühlmeyer die Hypothese auf, dass die moralische Einstellung und Bewertung der Lebenssituation des Patienten stark vom Krankheitsverständnis und den konkreten Beobachtungen am Patienten abhängen, aber umgekehrt auch diese beeinflussen. Wie die Wachkomasituation verstanden und das Verhalten des Patienten interpretiert wird, sieht sie wiederum eng verbunden mit den persönlichen Belastungen des Angehörigen, die sich aus seiner Beziehung zum Patienten ergeben – sowohl die Beziehung vor der Krankheit als auch die Beziehungsentwicklung seit der Krankheit.

Der erste, auf die Praxis bezogene Teil des Buches endet mit zwei Beiträgen zur speziellen Situation bei Kindern im Wachkoma. Ellen Romein et al. problematisieren die bei Kindern besonders komplexe und hochrelevante Frage der Prognose und Verlaufsbeurteilung. Dabei stellen sie ein selbst entwickeltes Instrumentarium vor, mit dessen Hilfe der Rehabilitationsverlauf bei Kindern und Jugendlichen im Wachkoma beschrieben und dokumentiert werden kann (Remissionsprofil oder „Remi-Pro“). Als Grundlage dient ein Ablaufschema, nach dem die Kinder im Lauf der Rehabilitation sechs Niveaus durchlaufen können, die mit immer mehr Fähigkeiten zur sozialen Teilhabe und Selbständigkeit verbunden sind. Auf jedem Niveau müssen bestimmte Alltagsaktivitäten wieder erlernt werden, wonach auch die jeweiligen Therapieziele ausgerichtet werden. Das Konzept ist fähigkeits- statt defizitorientiert und bezieht auch die Angehörigen in die Erkenntnis des Fähigkeitsniveaus und die Formulierung des Therapieziels mit ein. Die Autoren illustrieren ihr Konzept am konkreten Beispiel eines Mädchens, das mit elf Jahren ins Wachkoma geriet.

Monika Führer verweist in ihrem Beitrag zunächst darauf, dass bei Neugeborenen, Säuglingen und Kleinkindern das enorme neurologische Entwicklungs- und Regenerationspotenzial die klinische Diagnose, Differenzialdiagnose und Prognose der Krankheitsbilder sehr erschwert. Zudem zeigt sie auf, welche sozialen Probleme vor allem für die Eltern der betroffenen Kinder die Situation erschweren, angefangen von pränataler Diagnostik und Auswirkungen auf die Paarbeziehung und Familienplanung bei genetischen Erkrankungen über die Trennung vom Kind während der intensivmedizinischen Behandlung bis hin zu interkulturellen Konflikten bei Migrantenfamilien. Anhand der konkreten Krankengeschichte eines dreijährigen Mädchens mit einer traumatischen Hirnschädigung erläutert sie die Aufgabe der Kinderpalliativmedizin in der Therapiezielfindung und Begleitung der Familie.

3.2 Entscheidungen in gesellschaftlicher Verantwortung

Der Beitrag von Gian Domenico Borasio knüpft an den vorherigen pädiatrischen Artikel an und zeigt zunächst auf, wieso auch bei Erwachsenen das Wachkoma eine palliativmedizinisch relevante Erkrankung darstellt. Sodann diskutiert er, wann und wie beim Wachkoma das Ziel der Rehabilitation und Lebensverlängerung zugunsten ausschließlicher Leidenslinderung verlassen werden kann (Therapiezieländerung). Dabei spricht er insbesondere das kontroverse Thema an, inwiefern beim Wachkoma eine medizinische Indikation für lebenserhaltende Maßnahmen besteht. Im dritten und letzten Teil seines Beitrags nähert er sich dem Thema, wie die Sterbephase unter Verzicht auf künstliche Zufuhr von Nahrung und Flüssigkeit abläuft, informiert über empirische Studien hierzu und gibt palliativmedizinischen Rat zur Sterbebegleitung von Wachkomapatienten.

Die in diesem Artikel bereits durchscheinenden ethischen und rechtlichen Probleme des Wachkomas werden in den folgenden beiden Beiträgen noch einmal ausführlich behandelt. Rebecca Gutwald und Stephan Sellmaier rücken

in ihrem Artikel zwei philosophisch-ethische Fragen ins Blickfeld: (1) Welche Art von Respekt muss der Selbstbestimmung des Wachkomapatienten entgegengebracht werden und wie kann das geschehen? (2) Inwiefern würde sich die ethische Bewertung ändern, wenn die Neurowissenschaft ein eventuell vorhandenes Restbewusstsein nachweisen könnte? Die erste Frage beantworten sie mit der These, dass für Menschen im Wachkoma ein weicher Paternalismus geboten sei, der sich strikt daran orientiere, was der vor der Erkrankung aktualisierten Selbstbestimmung entspreche. Damit wird konkret der Patientenverfügung und dem mutmaßlichen Patientenwillen auf Basis früherer Äußerungen und Lebenseinstellung Priorität eingeräumt vor einer Beurteilung des Patientenwohls ohne Rücksicht auf die Patientenautonomie, wie es der traditionelle (ärztliche) Paternalismus tat. Zur zweiten Fragen zeigen die Autoren auf, dass die Existenz eines möglichen Restbewusstseins zwar als Information in die selbstbestimmte Entscheidung des Patienten einfließen sollte, aber darüber hinaus nicht die Priorität der Patientenautonomie als oberstes Entscheidungskriterium in Zweifel ziehe.

Ein konkretes Fallbeispiel für eine Behandlungsentscheidung auf Basis der Patientenselbstbestimmung schildert Wolfgang Putz in seinem folgenden Beitrag. Er berichtet als Anwalt über den sehr bekannt gewordenen Fall der Frau K., die im Wachkoma lag und auf Grund ihres mutmaßlichen Willens durch eine Einstellung der lebenserhaltenden Maßnahmen starb. Der Autor war selbst angeklagt, da er den Kindern der Patientin anwaltlich dazu geraten hatte, die PEG-Sonde durchzuschneiden, und wurde vom Bundesgerichtshof in einer richtungsweisenden Entscheidung freigesprochen (Bundesgerichtshof 2010). Der Autor beschreibt ausführlich das Schicksal der betroffenen Patientin und die Entwicklung des Rechtsstreits. Ausgehend von diesem Fall erläutert Putz die aktuelle Rechtslage und berücksichtigt dabei auch das Dritte Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts (Deutscher Bundestag 2009).

Schließlich greift Thomas Kammerer in seinem Beitrag diese ethischen und rechtlichen Diskussionen auf und diskutiert sie aus der Sichtweise eines katholischen Seelsorgers und Theologen. Ausgehend vom christlichen Menschenbild charakterisiert er, was Leben und Sterben, Leiden und Behinderung für ihn bedeuten. Der Selbstbestimmung des individuellen Menschen wird seine Verortung in einer sozialen Gemeinschaft an die Seite gestellt, weshalb betont wird, wie wichtig es ist, mit Menschen im Wachkoma eine Kontaktaufnahme und Kommunikation zu versuchen. Abschließend stellt er Thesen auf, wie eine Kultur der Kommunikation im Umgang mit Wachkomapatienten, aber auch im Umgang mit Angehörigen und Gesundheitsberufen in der Praxis aussehen kann.

Damit sind die Beiträge kurz skizziert, die eine Spanne von der Hirnforschung bis zur Theologie beschreiben. Gewiss ist das Thema damit nicht erschöpfend behandelt. Viele ebenfalls relevante Perspektiven wie etwa die der Physiotherapie, der Musiktherapie, aber auch der Politik oder Ökonomie, konnten nicht in den Band mit aufgenommen werden. Zudem gibt es natürlich innerhalb der verschiedenen Disziplinen und Berufsgruppen vielfältige und teils konträre Sichtweisen. Bei Ethikern und Juristen ist diese Meinungsvielfalt hinlänglich bekannt und fast schon konstitutiv, aber sie tritt genauso bei Ärzten und Pflegenden auf, wie verschiedene Umfragen zeigten (Payne et al. 1996; Yaguchi et al. 2005; Böttger-Kessler and Beine 2007). Wie auch immer die Meinungen ausfallen mögen: Solange dieses Buch dazu beiträgt, dass die Meinungen fundierter und differenzierter werden und Impulse für einen sachlichen, ergebnisoffenen und fairen Dialog wahrgenommen werden, ist sein Zweck erfüllt.

Literatur

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Böttger-Kessler G, Beine KH (2007) Aktive Sterbehilfe bei Menschen im Wachkoma? Ergebnisse einer Einstellungsuntersuchung bei Ärzten und Pflegenden. Nervenarzt 78(7):802–808.

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1 Anonym (2010b) Four years on, Sharon still comatose and without a clear legacy. Sydney Morning Herald: 6.1.2010.

Wachkoma: medizinische Grundlagen und neurowissenschaftliche Revolution

Athena Demertzi, Manuel Schabus, Katharina Weilhart, Dietmar Roehm, Marie-Aurélie Bruno und Steven Laureys

1 Definitionen

Bewusstsein ist ein facettenreicher Begriff mit unterschiedlichsten Konnotationen (Zeman 2001). Die Art und Weise, wie wir Bewusstsein definieren, ist insofern von großer Bedeutung, da sie möglicherweise unsere Einstellungen hinsichtlich der medizinischen Betreuung von neurologischen Patienten beeinflussen kann. In einer groß angelegten, aktuellen Umfrage unter Ärzten und Komplementärmedizinern (n = 1.858) konnten wir im Vergleich zu Studenten (n = 250) zeigen, dass – obwohl die Mehrheit der im Gesundheitswesen Tätigen eine Unterscheidung zwischen Bewusstsein und dem Gehirn verneinten – mehr als ein Drittel der Ärzte und Komplementärmediziner noch immer Geist und Gehirn als voneinander getrennte Entitäten ansehen. Derartige dualistische Ansichten prägen jedoch nicht nur die Formulierung wissenschaftlicher Fragestellungen über die Beschaffenheit des Bewusstseins, sondern beeinflussen auch den klinischen und öffentlichen Umgang mit Zuständen veränderten Bewusstseins (Demertzi et al. 2009b). Wir vertreten die Auffassung, dass Bewusstsein klinisch durch zwei Komponenten definiert werden sollte: Wachheit (engl.: arousal) und „Bewusstheit“ (engl.: awareness) (Posner et al. 2007). Wachheit bezieht sich auf den Grad von Aufmerksamkeit, wird durch die Funktion der subkortikalen Erregungssysteme (engl.: „arousal systems“) im Hirnstamm, dem Mittelhirn sowie dem Thalamus unterstützt und wird klinisch durch das simple Öffnen der Augen angezeigt. Bewusstheit bezieht sich auf die Inhalte des Bewusstseins. Es wird angenommen, dass Bewusstheit auf der funktionellen Unversehrtheit des zerebralen Kortex sowie dessen subkortikalen Verbindungen beruht. Klinisch drückt sich Bewusstheit durch die Fähigkeit, Handlungsanweisungen befolgen zu können, sowie durch nicht reflexartige, motorische Verhaltensweisen (z. B. Blickfolgebewegungen und lokalisieren von Schmerzreizen) aus. Ein illustratives Beispiel des Zusammenhangs dieser beiden Komponenten des Bewusstseins ist der Übergang von vollständiger Wachheit zu Tiefschlaf: Je mehr unsere Wachheit nachlässt, desto weniger bewusst sind wir uns unserer Umgebung (Demertzi et al. 2009a; Abb. 1). Patienten im Koma können nicht aufgeweckt werden und sind sich daher auch nicht ihrer Umwelt (Außenwelt) oder ihrer selbst (Selbstbewusstsein) bewusst (Posner et al. 2007).

Der vegetative Zustand (VS) wird Patienten zugeschrieben, bei denen eine Dissoziation zwischen Wachheit, die wiedererlangt wird, und Bewusstheit, die weiterhin fehlt, vorliegt (Jennett und Plum 1972). Auf Grund der stark negativen klinischen Konnotationen, die dieser Begriff nach über 35 Jahren der Verwendung trägt, sowie der unvermeidlichen Assoziation mit dem Zustand des „Dahinvegetierens“ und der damit verbundenen Implikation einer Unwiderruflichkeit der Diagnose, wurde vor kurzem der Begriff „unresponsive wakefulness syndrome“ (UWS), zu Deutsch „Syndrom der teilnahmslosen Wachheit“, als Alternative zu VS bzw. „apallischem Syndrom“ vorgeschlagen (Laureys et al. 2010). Der minimal-bewusste Zustand (engl.: minimally conscious state, MCS) beschreibt Patienten, die inkonsistente aber reproduzierbare, verhaltensbasierte Anzeichen von Bewusstheit ihrer selbst oder ihrer Umwelt aufweisen, die jedoch nicht in der Lage sind, ihre Gedanken und Gefühle in gewohnter Weise mitzuteilen (Giacino et al. 2002). Das Locked-in-Syndrom (LIS) umfasst jene Patienten, die wach und bei Bewusstsein sind, aber nur mittels minimaler Augenbewegungen kommunizieren können; in diesem Sinne ist das LIS keine Störung des Bewusstseins, wird jedoch hier mit angeführt, da es oft fälschlicherweise als solche diagnostiziert wird (Abb. 1).

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Abbildung 1: Vereinfachte Darstellung der verschiedenen physiologischen, pharmakologischen und pathologischen Bewusstseinsmodulationen, definiert durch die beiden Komponenten des Bewusstseins, Wachheit (engl.: arousal) und Bewusstheit (engl.: awareness) (angepasst aus Laureys 2005a)

2 Wissenschaftliche Gesichtspunkte