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Titelseite

 

Für Christiane.
Das nächste Weihnachtsfest wird besinnlicher!

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Bœuf Stroganoff, die Polizei und ein sehr hungriger Kater.

Babuschkas Laune wird zusehends schlechter. Sie steht in der Küche, wirft immer wieder einen Blick durch das Fenster und schüttelt dann so empört den Kopf, dass ihre imposante Hochsteckfrisur bedrohlich hin und her schwankt.

»Wo bleibt Anna mit Kind?«, schimpft sie laut vor sich hin, während sie die Töpfe vom Herd nimmt und neben die Spüle stellt. »Wenn noch lange warten, dann Essen nichts mehr gut!«

Essen nichts mehr gut? Das wäre aber schade, denn tatsächlich riecht das, was Babuschka da gekocht hat, ausgesprochen lecker, und ich habe mir schon große Hoffnungen gemacht, etwas davon abzubekommen. Das Gericht scheint überwiegend aus feinstem Rindfleisch zu bestehen, mir läuft schon das Wasser im Maul zusammen, wenn ich nur daran denke. Man nennt es Bœuf Stroganoff, was zwar ein seltsamer Name ist, aber Babuschka hat es schon mal gekocht, und es schmeckte ganz ausgezeichnet. Babuschka ist überhaupt eine ausgezeichnete Köchin, und die Tatsache, dass sie in letzter Zeit so oft durch unsere Küche wirbelt, kann ich als Mitglied dieser Familie nur begrüßen.

Ich, Winston Churchill, meines Zeichens sehr vornehmer und sehr schwarzer Britisch-Kurzhaar-Kater, habe nämlich einen äußerst verwöhnten Gaumen. Es empfiehlt sich also, frisch für mich zu kochen. Jedenfalls, wenn man mich bei Laune halten will. Und das gelingt Babuschka immer ganz vorzüglich. Aus diesem Grund genießt die alte Dame bei mir höchstes Ansehen.

Meine anderen menschlichen Mitbewohner sind da allerdings nicht unbedingt derselben Meinung. Da wäre zum einen der einzige Mann neben mir, Professor Werner Hagedorn. Wenn Babuschka ihn böse anguckt, weil er schon wieder seine Bücher überall rumliegen gelassen hat, dann seufzt er manchmal ganz tief. Ich glaube, er denkt dann an die Zeiten, als er noch allein mit mir in seiner schönen großen Wohnung lebte und seine Sachen einfach hinlegen konnte, wo er wollte. War das immer ruhig bei uns – herrlich!

Das änderte sich dramatisch, als Werner eine neue Haushälterin einstellte: Anna. Die zog gemeinsam mit ihrer Tochter Kira bei uns ein, und durch dieses dreizehnjährige Mädchen kam auf einmal richtig Leben in die Bude. Erst fand ich das total doof, aber nach und nach sah ich ein, dass mein bisheriges Leben eigentlich ziemlich langweilig gewesen war. Kira wurde meine beste Freundin, und gemeinsam haben wir sogar schon echte Kriminalfälle gelöst. Kinder und Katzen sind nämlich ganz hervorragende Detektive – zusammen einfach unschlagbar!

Was jetzt Babuschka mit alldem zu tun hat? Ganz einfach – sie ist die russische Großmutter von Kira und wohnt seit geraumer Zeit ebenfalls bei uns. Eigentlich wollte sie uns nur für ein paar Tage besuchen. Aber dann kam sie zu der Erkenntnis, dass ihre Hilfe in Sachen Kindererziehung und allgemeiner Lebensführung bei uns dringend benötigt würde. Also ist sie einfach geblieben.

Anna ist davon noch weniger begeistert als Werner – sie will nicht mehr mit ihrer Mutter zusammen wohnen. Ich weiß zwar nicht warum, aber Menschen sind offenbar nicht mehr so gern mit ihren Eltern zusammen, wenn sie erst mal groß sind. Gut, wir Katzen müssen unsere Familie zwar meist auch verlassen, wenn wir noch klein sind. Aber grundsätzlich hätte ich überhaupt nichts dagegen, wenn meine Mutter auch durch Werners Wohnung schnurren würde. Auch wenn sie im Gegensatz zu Babuschka überhaupt nicht kochen kann.

Mit entschlossenen Schritten stapft Babuschka jetzt an mir vorbei in den Flur. Ob sie runter auf die Straße will, um nach Anna und Kira zu suchen? Nein, sie holt sich nur das Telefon, das auf der Kommode neben der Wohnungstür steht. Energisch tippt sie darauf herum, dann hält sie es an ihr Ohr.

»Nedodniza takaja, gdjezhe ty? Pachemie nje padkhodish k tjeljefonu?«

Wenn Babuschka auf Russisch flucht, ist sie wirklich sauer. Normalerweise bemüht sie sich, Deutsch zu sprechen. Für mich ist das aber kein Problem, denn mein Russisch ist ausgezeichnet, und so weiß ich, dass sich Babuschka gerade darüber ärgert, dass Anna nicht an ihr Telefon geht. Woher ich Russisch kann? Tja, das ist wirklich eine lange Geschichte und liegt im Wesentlichen daran, dass Kira und ich einmal die Körper getauscht haben, als wir beide in ein Gewitter geraten sind. Klingt unglaublich, ist aber wahr. Gott sei Dank konnten wir nach einiger Zeit wieder zurücktauschen, aber ein paar menschliche Fähigkeiten habe ich noch behalten. Seitdem kann ich nämlich nicht nur Russisch, sondern auch lesen und schreiben.

Babuschka dreht sich zu mir um. »Komm, Katerrr«, sagt sie mit rollendem R. »Wenn Anna und Kira zu spät, wir essen schon. Sollst du auch kriegen etwas von Stroganoff. Ist sähr leckerrr!«

Ich schnurre begeistert. Ein ausgezeichneter Plan! Und wenn die beiden das Mittagessen verpassen, bleibt bestimmt viel mehr für mich übrig! Normalerweise gibt’s von Babuschka immer nur ein Häppchen für mich, aber nun scheint sie entschlossen, meinen Napf mit einer ordentlichen Portion zu füllen. Ganz nach meinem Geschmack.

Babuschka läuft wieder in Richtung Küche, ich stromere hinterher. Dort angekommen, stellt sie meinen Napf auf die Arbeitsplatte, greift nach einer großen Kelle und …

In diesem Moment höre ich, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wird. Anna und Kira kommen nach Hause! Babuschka legt sofort die Kelle zur Seite und läuft in den Flur zurück. Oh nein! Heißt das etwa kein Stroganoff mehr für mich? Warum müssen die denn ausgerechnet jetzt kommen? Trödeln erst stundenlang rum, um dann im völlig falschen Moment hier aufzukreuzen. Frechheit!

»Oma, Oma! Stell dir vor, die Polizei war heute in der Schule!« Kira kommt in die Wohnung gestürmt und pfeffert ihre Schultasche auf den Boden, was ihr gleich hochgezogene Augenbrauen von ihrer Großmutter einbringt. Babuschka schätzt es überhaupt nicht, wenn Sachen nicht sofort an ihren Platz gebracht werden, und die Schultasche gehört eindeutig nicht in den Flur, sondern ins Kinderzimmer.

Kira kümmert sich allerdings nicht um die Augenbrauen ihrer Großmutter, sondern erzählt aufgeregt weiter: »Im Sophie Scholl ist gestern Nacht eingebrochen worden! Den gesamten Tresor haben die Diebe gestohlen! Sie sind ins Zimmer vom Direx und haben den Panzerschrank aus der Wand gerissen. Und dann sind sie mit dem ganzen Teil abgehauen. Wahnsinn, oder?«

Maunz! Das klingt in der Tat ziemlich aufregend, und für einen klitzekleinen Moment vergesse ich sogar, dass ich Hunger habe. Die Sophie-Scholl-Schule liegt direkt neben dem Wilhelminen-Gymnasium, das Kira besucht. Während das Wilhelminen-Gymnasium mit seiner weißen Fassade und dem Türmchen fast wie ein Schloss aussieht, ist das Sophie Scholl ein imposanter roter Backsteinbau. Ein paarmal habe ich schon davor gewartet, weil die beiden Schulen einige Kurse und Arbeitsgemeinschaften zusammen veranstalten. Es fällt mir offen gestanden schwer, mir vorzustellen, wie Verbrecher einen ganzen Tresor aus diesem Haus tragen, das fast wie eine Festung wirkt – so riesig und uneinnehmbar.

Babuschka hingegen ist von Kiras Schilderungen überhaupt nicht beeindruckt. »Komm, setz dich in Kuche. Essen wird sonst kalt!«

»Oma, hast du überhaupt verstanden, was ich gerade erzählt habe? Da waren Verbrecher in der Schule!«

Dimitra Kovalenko gibt ein unwilliges Geräusch von sich und schüttelt den Kopf. »Da, da«, sagt sie schließlich, was auf Russisch ja, ja heißt, »hab ich schon verstanden. Aber verstehe nicht, warum ihr so spät? Braucht Polizei etwa deine Hilfe, Kind?«

Bevor Kira dazu noch etwas sagen kann, antwortet Anna, die mittlerweile auch im Wohnungsflur angekommen ist. »Nein, Mamuschka, aber meine! Kira hat nur auf mich gewartet.«

»Wie das? Du hilfst Polizei?«

»Genau. Die Polizei hat heute Mittag alle Personen befragt, die einen Schlüssel zur Eingangstür der Sophie-Scholl-Schule haben. Denn die Täter müssen ja irgendwie in die Schule gekommen sein. Und ins Direktorenzimmer.«

»Und du hast Schlussel?«

»Genau. Ich leite doch donnerstagnachmittags immer das gemeinsame Unterstufenorchester in der Aula vom Scholl. Da brauche ich natürlich einen Schlüssel, um danach abzuschließen.«

Stimmt. Am Donnerstag kommt Anna immer spät nach Hause. Überhaupt ist sie mittlerweile mehr Musiklehrerin als Haushälterin. Das war sie schon in Russland, dem Land, aus dem sie vor fünf Jahren mit Kira ausgewandert ist. Dort, genauer gesagt in der Stadt Omsk, hat sie die Kinder in Klavier und Gesang unterrichtet. Und seit Kira zusammen mit mir und meinen Freunden von der Hofkatzenbande dafür gesorgt hat, dass der alte Musiklehrer des Wilhelminen-Gymnasiums ins Gefängnis gewandert ist, unterrichtet Anna dort Musik. Erst ab und zu, jetzt immer öfter. Für Werners Haushalt bleibt da nicht mehr viel Zeit.

Aber dafür haben wir ja nun Gott sei Dank Babuschka! Wenn Anna an der Schule arbeitet, schwingt Babuschka hier Putzlappen und Kochlöffel. Und wenn sie gerade keins von beidem tut, dann überwacht sie mit strengem Blick, dass Kira auch wirklich ihre Hausaufgaben macht oder brav Klavier übt. Eigentlich ist sie immer zur Stelle, wenn es etwas zu tun gibt. Wie praktisch, dass sie mittlerweile Werners kleines Arbeitszimmer bewohnt. Da hat sie es nie weit zu ihrem nächsten Einsatzort. Nur der arme Werner musste all seine Bücher, Akten und sonstigen Krimskrams mitsamt seinem Schreibtisch in eine Ecke des Wohnzimmers hinüberschaffen. Allerdings erträgt mein Werner das sehr tapfer und sagt, das sei nur ein Provisorium, bis Babuschka endlich eine eigene Wohnung gefunden habe. Ich finde, das klingt nach einem guten Plan. Auch wenn ich überhaupt nicht weiß, was ein Provisorium ist.

Was ich auch nicht weiß: Wann bekomme ich nun endlich etwas von dem Bœuf Stroganoff? Mittlerweile habe ich einen wirklichen, ausgewachsenen Riesenhunger. Meine Menschen sollen sich bloß nicht einbilden, dass ich gerade schnurre! Es ist mein Magen, der knurrt!

Leider beachtet mich niemand. Stattdessen fährt Anna mit ihrer Schilderung der Polizeiaktion fort und bleibt dabei einfach im Flur stehen. »Wir wurden alle einzeln befragt, das hat natürlich ganz schön lange gedauert. Sie wollten wissen, ob uns etwas aufgefallen sei oder ob wir in letzter Zeit unseren Schlüssel mal verliehen oder verloren hätten.«

»Und, hast du?«, will Babuschka wissen.

Anna schüttelt den Kopf. »Nein. Das ist ja ein Generalschlüssel. Der passt auf alle Türen der Schule – den hüte ich wie meinen Augapfel!«

»Dann gut. Dann jetzt essen wir!«, verkündet Babuschka mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. Aber von wem sollte der bei einem so köstlichen Gericht auch kommen? Von mir bestimmt nicht!

Kira rollt mit den Augen, macht sich dann aber auf in Richtung Küche und setzt sich an den Tisch. Als ihre Großmutter ihr eine sehr ordentliche Portion auf ihren Teller häuft, ist sie gedanklich aber schon wieder bei dem Einbruch. »Weißt du, Oma, dass das schon der dritte Tresorraub innerhalb von nur vier Wochen war?«

»Woher soll ich wissen?«, fragt Babuschka. Sehr berechtigter Weise, wie ich finde. Ich wusste davon zum Beispiel auch nichts. Rein gar nichts! Und ich übertreibe nicht, wenn ich mich für einen ungewöhnlich gut informierten Kater halte.

»Ist aber so!«, erklärt Kira mit ernster Miene. »Eine Riesensumme Geld haben die Diebe schon erbeutet. Allein im Sophie Scholl sollen fünftausend Euro im Tresor gewesen sein – die gesamten Wocheneinnahmen der Schulkantine!«

Anna nickt und Babuschka reißt die Augen auf.

»Ja, der Koch ist völlig verzweifelt«, erzählt Kira weiter. »Wovon soll er bloß in den nächsten Tagen die Lebensmittel kaufen, um für uns zu kochen?«

Ach du heilige Ölsardine! Die Lage ist ernst! Nicht auszudenken, wenn es in der Kantine auf einmal kein Essen mehr gäbe! Sicher hat nicht jedes Kind so ein Glück wie Kira und eine Oma, die fast jeden Tag tolles Essen kocht. Hektisch schlage ich mit meinem Schwanz hin und her.

Anna lacht. »Guckt mal, Winston sieht ganz unglücklich aus. Sobald es ums Essen geht, hört bei ihm der Spaß auf. Komm, füll ihm ein bisschen Fleisch in sein Schälchen, Kira.«

Endlich! So bedauernswert das Schicksal des armen Schulkochs auch ist, bin ich doch froh, dass nun endlich mal jemand an mich denkt. Kira hantiert mit einem Löffel herum, dann stellt sie das Schälchen mitsamt seines köstlich duftenden Inhalts neben meinen Trinknapf. Gierig stürze ich mich darauf, es ist einfach zu lecker!

»Katerrr immer Hunger!«, stellt Babuschka fest. »Hat er guten Geschmack, aber wenn er zu dick wird, muss er halten Diät!«

Was heißt denn hier zu dick? Ich bin rank und schlank und wahrscheinlich in der Form meines Lebens!

Kira kichert. »Winston auf Diät? Da hätte unser Mitbewohner aber bestimmt ziemlich schlechte Laune. Andererseits: Ob es Odette egal ist, wenn er irgendwann eine richtige Plauze mit sich rumschleppt? Was meinst du, Winston? Findet sie dich auch mit Bäuchlein gut? Dann friss ruhig weiter.«

Was, bitte, hat denn Odette jetzt damit zu tun? Bei ihr handelt es sich zum einen um die schönste weiße Katze, die man sich vorstellen kann, zum anderen um meine beste Freundin. Sie bewohnt den Hinterhof unseres Hauses. Mit niemandem verstehe ich mich so gut wie mit ihr. Also, abgesehen von Kira. Und wenn es also jemandem völlig egal sein dürfte, ob ich ein bisschen fülliger um die Hüften geworden bin, dann doch wohl einer guten Freundin. Für die zählen nur meine inneren Werte. Und von denen habe ich reichlich! Ich bin schlau, freundlich, hilfsbereit, scharfsinnig und … äh, was habe ich noch vergessen? Ach ja, bescheiden bin ich natürlich auch noch. Und ungeheuer mutig. Sonst hätte ich nicht schon zwei echte Verbrecher dingfest gemacht. Und außerdem sehe ich auch noch sehr gut aus. Bauch hin oder her. Oder etwa nicht?

Verstohlen blicke ich an mir entlang. Bin ich wirklich ein wenig dicker geworden? Hm, vielleicht einen Hauch. Und sollte das Odette tatsächlich stören? Ich meine, ich bin noch lange nicht so dick wie Spike, der Kater, der sich ebenfalls in unserem Hof rumtreibt. Und natürlich sehe ich viel gepflegter aus als Karamell, Spikes Kumpel, der zwar dünn, aber struppig ist. Aber was, wenn Odette mich nicht mehr so schön findet, wie ich sie?

Bei diesem Gedanken bleibt mir das letzte Stück Bœuf Stroganoff glatt im Halse stecken, nur mühsam kann ich es herunterschlucken. Ich beschließe, in nächster Zeit mehr auf meine Ernährung zu achten und mich mehr zu bewegen. Laufen ist bestimmt gut für die Figur, und wenn ich ehrlich bin, war ich in den letzten Wochen relativ faul. Immer nur auf dem Sofa herumzuliegen oder höchstens eine Runde im Hof herumzustromern, ist einfach nicht das Richtige, wenn man in Form bleiben will.

Allerdings habe ich gar keine Lust, allein durch Hamburg zu rennen. Dabei wäre das kein Problem, wir haben nämlich seit ein paar Wochen eine Katzenklappe in unserer Wohnungstür und der Haustür. Das war Babuschkas Idee. Aus unerklärlichen Gründen war sie der Meinung, die Kratzspuren, die ich unserer Tür schon zugefügt hatte, wenn ich nach Ausflügen wieder in die Wohnung wollte, seien auf Dauer nicht so schön. Trotzdem beschließe ich, mit meinen sportlichen Ambitionen lieber zu warten, bis Kira mal wieder in der Stadt unterwegs ist. Es macht einfach viel mehr Spaß, wenn man Gesellschaft hat.

Ich straffe meinen Körper und werfe Kira einen Blick zu, der hoffentlich pure Unternehmungslust signalisiert. Also, meine Liebe: Wenn du heute Nachmittag losziehst – ich bin dabei! Wäre doch gelacht, wenn ich nicht binnen kürzester Zeit wieder ein Top-Figur hätte …

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Viele Fragen und das Gesetz der Serie.

»Barmbek, Lurup, Billstedt – und jetzt Harvestehude! Vier Hamburger Stadtteile, alle in völlig unterschiedlichen Ecken! Was sagt uns das?« Tom schaut fragend in die Runde.

Ich schaue fragend zurück. Mir sagt das nämlich überhaupt nichts. Aber ich bin sowieso nicht im Schweinsgalopp hinter Kira hergehetzt, um irgendwelche Rätsel zu lösen, sondern um mir meinen nichtvorhandenen Bauch abzutrainieren! Stattdessen sitze ich nun hier, auf dem Bett im Kinderzimmer von Kiras Schulfreund Tom, und soll mir den Kopf über Hamburger Stadtteile zerbrechen. Da wäre ich doch lieber zu Hause geblieben.

Pauli, der Dritten im Bunde, scheint es gerade ähnlich zu gehen wie mir. Denn anstatt Toms Frage zu beantworten, gähnt sie herzhaft. »Echt jetzt, Tom! Ist mir völlig egal, wo die Tresorräuber schon zugeschlagen haben. Ich verstehe nicht, warum dich das so beschäftigt. War doch nicht unsere Schule, die es getroffen hat.«

Tom schnaubt. »Also wirklich, Pauli! Wie kann man nur so gleichgültig sein? Hamburger Schulen werden Opfer einer richtigen Serie von Verbrechen, und das interessiert dich nicht? Willst du denn nicht wissen, wer dahintersteckt?«

Pauli schüttelt energisch den Kopf. »Nee. Solange die mir nichts geklaut haben, ist mir das egal. Und außerdem: Wozu gibt’s eigentlich die Polizei? Die wird sich schon darum kümmern und die Täter fassen. Das sind schließlich Profis.«

Tom rollt mit den Augen. »Die Polizei! Du weißt doch mittlerweile selbst, dass man denen ab und zu unter die Arme greifen muss! Stell dir bloß mal vor, dass noch etwas Schreckliches passiert. Etwas, das wir hätten verhindern können. Dann wirst du dich ärgern, dass wir nichts unternommen haben!«

Wo er recht hat, hat er recht. Als vor ein paar Monaten Kiras Schulfreundin Emilia entführt wurde, haben Kira, Tom, Pauli und sogar wir Katzen mit vereinten Kräften dafür gesorgt, dass Emilia wieder wohlbehalten zu Hause ankam. Und auch Annas verbrecherischer Exfreund Vadim ist letztlich von mir und den Kindern überführt worden. Aber das ist eine andere Geschichte und ich persönlich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn mein Leben in Zukunft in ruhigeren Bahnen verlaufen würde.

Auch Pauli schaut noch sehr zweifelnd. »Ich weiß nicht … Ich dachte, wir wollten Mathe üben. Da passiert mir sonst nämlich garantiert etwas Schreckliches, was wir hätten verhindern können!«

Kira kichert. »Schon klar«, sagt sie grinsend, »da kann dir dann natürlich auch die Polizei nicht mehr helfen. Reale Zahlen und Dezimalbrüche – das haut den stärksten Kommissar aus den Latschen!«

Jetzt prustet auch Pauli los, und schließlich können sich Kira und Pauli vor Lachen gar nicht mehr halten. Sie wiehern geradezu, während Tom sehr säuerlich guckt. Verstehe ich. Ist nicht gerade schön, so lauthals verlacht zu werden.

Die Zimmertür öffnet sich und ein etwas älterer Junge schaut herein. Er hat kurze braune Haare und trägt eine Brille wie Tom. Allerdings ist er bestimmt zwei Köpfe größer und noch dünner als der schlanke Tom. Offenbar wird er sehr schlecht gefüttert, der Arme! Ich habe ihn schon ein paarmal gesehen – es ist Nico, Toms älterer Bruder.

»Sagt mal, geht’s vielleicht etwas leiser?« Er klingt sehr vorwurfsvoll. »Ich sitze nebenan und muss lernen. Außerdem dachte ich, ihr wolltet das auch tun. Wenn Tom mir erzählt hätte, dass er hier eine Party plant, hätte ich gleich gesagt, dass das heute nicht geht. Falls du es vergessen hast, Bruderherz: Ich schreibe nächste Woche meine Mathe-Abi-Klausur und brauche Ruhe!«

Tom schiebt sich mit einer schnellen Handbewegung die Brille ein Stück höher und seufzt. »Tut mir leid, Nico. Wir sind jetzt ruhiger.«

Ohne ein weiteres Wort zieht Nico seinen Kopf wieder aus dem Türspalt zurück und schließt die Tür mit einem energischen Ruck. Tom wendet sich Kira und Pauli zu, die sich mittlerweile wieder beruhigt haben. Besonders schuldbewusst wirken sie aber nicht.

»Spaßbremse«, murmelt Pauli leise. Ich hingegen weiß nicht so recht, was ich über Nicos Auftritt denken soll. Liegt vor allem daran, dass mir nicht ganz klar ist, was eine Mathe-Abi-Klausur ist. Genau genommen habe ich den Begriff noch nie zuvor gehört. Scheint aber irgendetwas enorm Wichtiges zu sein.

»Okay, dann üben wir jetzt eben auch Mathe«, beschließt Tom. »Aber dass ihr so gar nicht neugierig seid, zu welchen Erkenntnissen ich schon über die Tresorräuber gelangt bin, finde ich wirklich enttäuschend.«

Gut, Tom drückt sich für seine dreizehn Jahre immer ein bisschen geschwollen aus und klingt dann fast so wie mein Professor, aber auch ich wundere mich ein bisschen darüber, dass die beiden Mädchen nicht wissen wollen, was sich Tom Schlaues überlegt hat. In meiner Katzengestalt kann ich ihn leider nicht fragen, sonst hätte ich es tatsächlich schon getan.

»Na gut«, zeigt sich Kira endlich gnädig, »erzähl schon. Was sagt uns denn die Tatsache, dass die Täter schon überall in Hamburg aktiv waren?«

Ein Strahlen geht über Toms Gesicht. Ganz offensichtlich unterhält er sich lieber über Verbrecher als über Dezimalbrüche. Was auch immer Letzteres sein mag. »Ist doch völlig klar: Das sind echte Profis. Berufsverbrecher!«

Pauli und Kira gucken ihn fragend an. »Wieso? Wie kommst du darauf?«

Tom seufzt, als wäre diese Frage ziemlich dumm. Allerdings kann ich mir auch nicht erklären, wie Tom zu diesem Schluss kommt. Und ich bin nun anerkanntermaßen ein ziemlich schlauer Kater, wenn nicht gar der schlauste weit und breit!

»Ist doch logisch: Diese Verbrecher haben einen richtigen Plan. Sie scheinen genau zu wissen, in welchen Hamburger Schulen Tresore mit lohnendem Inhalt, sprich: viel Geld stehen und wie man am besten an sie rankommt. Das sind keine Gelegenheitsdiebe, die mal eben die nächste Schule überfallen. Nein, ich bin mir sicher: Das sind Vollprofis.«

»Und wennschon. Dann sind es eben Vollprofis«, entgegnet Pauli und klingt dabei gelangweilt. »Ein Grund mehr, die Sache der Polizei zu überlassen. Die haben bestimmt nicht auf drei Siebtklässler gewartet, die ihnen schlaue Tipps geben. Und überhaupt – welche Tipps sollten das auch sein? Willst du bei der Polizei anrufen und sagen: ›Entschuldigen Sie bitte, aber ich glaube, die Schultresorräuber sind Berufsverbrecher‹? Die lachen sich doch schlapp. Das wissen die nämlich garantiert schon selbst.«

Trotzig schüttelt Tom den Kopf. »Quatsch, ich habe garantiert nicht vor, schlaue Ratschläge zu erteilen. Aber ich glaube, hinter dieser Verbrechensserie steckt ein Muster. Und wenn es uns gelingt, zu erkennen, welches Muster das ist, dann können wir vielleicht vorhersagen, welche Schule es als Nächstes treffen wird. Wenn wir dann die Polizei informieren, müssen die sich doch nur auf die Lauer legen und können die Verbrecher dann auf frischer Tat erwischen und einbuchten. Ich bin mir sicher, es gibt ein Gesetz der Serie. Wir müssen es nur finden.«

Kira lacht. Diesmal allerdings deutlich leiser. »Echt jetzt, Tom! Wie soll das denn gehen? Wir haben doch keine Kristallkugel, durch die wir mal schnell einen Blick in die Zukunft werfen können.«

Verwundert schaue ich zwischen Kira und Tom hin und her. Was hat denn das mit einer Kristallkugel zu tun? In die kann man reingucken und etwas sehen? Funktioniert das so ähnlich wie der Fernseher? In dem kann man schließlich auch Sachen sehen, die an einem ganz anderen Ort auf der Welt stattfinden. Allerdings wohl kaum, wenn sie in der Zukunft liegen. Falls das mit einer Kristallkugel wirklich funktioniert, wäre das natürlich eine tolle Sache.

Ich überlege, wo ich zuletzt so eine Kugel gesehen habe. Wahrscheinlich bei Frau Hagedorn, Werners Mutter. Allerdings schwamm da noch ein Goldfisch drin herum. Ob das dann mit der Zukunft auch noch funktioniert? Falls nicht, hätte ich schon eine Idee. Ich müsste ja nur mal kurz mit der Tatze in die Kugel hineinlangen und dann … dürfte mich allerdings nicht dabei erwischen lassen. Menschen sind meist furchtbar zimperlich, wenn es um Zierfische und andere unsinnige Haustiere geht. Die schlecht erzogenen Nichten und Neffen von Werner hatten mal einen kleinen Hamster, und als ich ein bisschen mit dem spielen wollte, habe ich furchtbaren Ärger bekommen – unglaublich! Also, ich hätte ihm wirklich nichts getan und außerdem war das Geräusch, was der mit seinem blöden Laufrad verursacht hat, auch echt nervtötend.

Aber ich schweife ab. Wo bekommen wir nun schnellstmöglich eine Kristallkugel her, um der Polizei den passenden Hinweis liefern zu können?

Ein schnaubendes Geräusch reißt mich aus meinen Gedanken. Es ist Tom, der sich offenbar über Kiras Bemerkung ärgert. »Ha, ha, Kristallkugel, sehr witzig … Aber mach dich nur lustig über mich, ich weiß, dass ich recht habe. Kommt schon, Mädels – lasst uns wieder das geniale Ermittlerteam sein, das wir schon mal waren! Wenn wir die Fakten genau analysieren, können wir bestimmt herausfinden, wo der nächste Einbruch stattfinden wird. Ich weiß, wir kriegen das hin! Und zwar garantiert ohne Kristallkugel.«

Ach so, das mit der Kugel war ein Scherz? Wann Menschen einen Witz machen und wann sie es ernst meinen, ist für mich als Kater nicht immer leicht auseinanderzuhalten.

Kira zuckt mit den Schultern. »Klar, Tom, natürlich könnten wir das. Das Gesetz der Serie – ich hab’s schon verstanden. Was ich hingegen noch nicht verstanden habe, ist das Distributivgesetz. Und das kommt in der Mathearbeit morgen bestimmt dran. Deswegen sind wir doch eigentlich alle hier. Also, was besagt das noch mal?«

Tom guckt sehr ernst. »Kira, ich habe es recherchiert – alle diese Schulen haben eines gemeinsam: Schulkantinen, in denen man mit Bargeld bezahlen kann. Da werden also garantiert jede Woche große Mengen von Geld eingenommen.«

»Das besagt das Distributivgesetz? Also, wenn in der Arbeit morgen danach gefragt wird, dann schreibe ich, dass man in der Kantine bar zahlen kann«, kichert Pauli.

Tom stöhnt und lässt sich von seinem Bett auf den Fußboden kippen, wo er liegen bleibt und mit Armen und Beinen zuckt. Das sieht zugegebenermaßen sehr lustig aus, und wenn ich es könnte, würde ich nun auch lachen. So gebe ich nur einen Laut von mir, der entfernt einem Prusten ähnelt. Hat immerhin den Vorteil, dass Nico das im Nebenzimmer kaum hören wird!

Kira streckt ihre Hand nach mir aus und krault mich hinter den Ohren. »Du findest das auch komisch, richtig, Winston?«

Ich schnurre zur Bestätigung.

Tom rappelt sich vom Teppich auf. »Also, wenn ich jetzt hier sogar schon vom Kater ausgelacht werde, dann spare ich mir weitere Ausführungen zu meinen genialen Erkenntnissen. Ihr Ignoranten wisst es offenbar sowieso nicht zu würdigen. Aber keine Sorge, ich komme auch ohne euch bestens klar. Dann kümmern wir uns eben gemeinsam um das Distributivgesetz, und die Verbrecher bringe ich allein zur Strecke.«

Moment mal, was heißt denn hier sogar schon vom Kater und Ignoranten? Frechheit! Ich bin schließlich hochbegabt! Beleidigt hüpfe ich vom Bett herunter und mache mich auf in Richtung Tür. Wenn Tom nicht erkennt, welche Bereicherung ich für sein Ermittlerteam wäre, ist er selbst schuld. Ich werde ihm nicht hinterherlaufen. Da schaue ich doch lieber bei uns im Hof nach, was meine Katzenfreunde im Allgemeinen und Odette im Besonderen machen. An der Zimmertür angekommen, kratze ich mit meinen Krallen am Türrahmen auf und ab.

Kira schaut zu mir. »Ich glaube, Winston will mal raus. Mathelernen ist ihm wahrscheinlich zu langweilig. Ich habe mich sowieso schon gewundert, warum er vorhin unbedingt mitkommen wollte.«

Könnte Kira noch meine Gedanken lesen, wüsste sie, dass es nicht mein Interesse an der Mathematik, sondern nur die Sorge um meine Figur war, die mich vor die Tür getrieben hat. Tatsächlich konnten wir uns in Gedanken unterhalten, als wir die Körper miteinander getauscht hatten. Seitdem jeder von uns wieder in seiner eigenen Haut – beziehungsweise seinem eigenen Fell – steckt, geht das aber nicht mehr. Trotzdem können Kira und ich uns meist ziemlich gut miteinander verständigen – echte Freunde brauchen eben keine großen Worte! Und deswegen steht Kira jetzt auch von ihrem Stuhl auf, öffnet mir erst die Zimmertür, dann die Wohnungstür und begleitet mich dann ein Stockwerk nach unten, um mir schließlich noch die Haustür zu öffnen.

Zum Abschied geht sie in die Hocke und krault mich hinter den Ohren. »Du hast es gut, Winston! Kannst noch ein bisschen spazieren gehen, während ich lernen muss. Manchmal ist es wirklich blöd, ein Kind zu sein. Also, viel Spaß!«

Ich schnurre und schlecke kurz über Kiras Finger, dann stromere ich zurück in Richtung Heimat. Kira hat recht: Lieber hänge ich mit meinen Freunden Odette, Spike und Karamell ab, als mir von Tom das Distributivgesetz erklären zu lassen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man das als Kater niemals nie braucht!

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Die vier Muskeltiere reloaded. Jedenfalls beinahe.

»Es gab einen Überfall auf die Schule und Tom will ihn aufklären?«