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Alfred Bekker

Alfred Bekker schrieb als Robert Gruber: Die schöne Erbin

Cassiopeiapress Bergroman





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Die schöne Erbin

von Alfred Bekker

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 90 Taschenbuchseiten.

 

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Ein CassiopeiaPress Buch

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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

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1

"Mei, da kommt ja eine ganze Gruppe von Bergtouristen!", stieß Maria Hinzberg, die bereits etwas in die Jahre gekommene Wirtin des HINZBERGER HOFS aus. Sie stand am Fenster und blickte hinaus, direkt auf das imposante Panorama der schneebedeckten Berggipfel.

Ihre junge Gehilfin Claudia trat hinzu und warf ebenfalls einen Blick hinaus.

Das junge Madl machte eilig seine Frisur zurecht.

Maria Hinzberg bemerkte dies mit einem Lächeln - und das, obwohl ihr im Moment eigentlich gar nicht zum Lächeln zu Mute war. Mit Schrecken dachte sie daran, dass all die hungrigen Bergtouristen versorgt werden wollten, die auf den HINZBERGER HOF zusteuerten.

"Das wird der Rieder-Markus mit seiner Gruppe sein", sagte Maria. "Kein anderer Bergführer in der Gegend hat so viel Zulauf wie der Markus..." Und während sie dies sagte, blickte die Wirtin auf das junge, fesche Madl an ihrer Seite. Mit sanftem Tonfall fügte sie dann hinzu: "...und wie's scheint, gilt das net allein für Bergtouristen..."

Claudias himmelblaue Augen sahen verträumt in Richtung der Ankömmlinge. Jetzt rissen die Worte der Wirtin sie aus ihren Gedanken. "Geh, Tante Maria, was red'st denn da!" stieß sie hervor.

"Vielleicht kannst deinen Eltern etwas vormachen, Claudia - mir aber net!", erwiderte die Wirtin wohlwollend. "Meinst, ich hätte net bemerkt, wie du den Rieder-Markus angesehen hast?"

"Ja, ist er denn net auch ein fescher Bursche, der junge Rieder?", fragte Claudia zurück.

Die Wirtin nickte. "Freilich ist er das! Und wenn ich selbst das passende Alter hätte..." Maria Hinzberg seufzte.

"Der Markus erinnert mich immer an meinen verstorbenen Franzl." Einen Augenblick lang wirkte die Wirtin etwas in sich gekehrt.

Ihre Gedanken schienen zurück in die Vergangenheit zu wandern. Dann ging ein Ruck durch Maria Hinzberg. Sie atmete tief durch. "Mei, wie soll ich das nur schaffen!" Nicht, dass die Wirtin etwas dagegen hatte, wenn der HINZBERGER HOF gut frequentiert wurde, aber gerade heute hatte sie Claudia den Rest des Tages frei gegeben.

Und das Madl hatte sich den freien Abend mehr als redlich verdient. Schon seit Wochen war sie kaum noch aus der Gaststätte herausgekommen. Im Moment war Hochsaison und Vertretungen waren schwer zu bekommen.

Außerdem spürte Maria Hinzberg in letzter Zeit mehr als deutlich, dass sie nicht mehr ganz so leistungsfähig war wie in früheren Jahren. Wenn sie den HINZBERGER HOF auch immer noch gerne und voller Elan führte, so ermüdete sie doch schneller und hatte eher das Gefühl, dass die Dinge ihr über den Kopf wuchsen.

"Keine Sorge", sagte Claudia. "Ich bleibe hier - und zusammen werden wir ja wohl mit den Bergtouristen fertig werden!"

"Ist das dein Ernst, Madl?"

"Ja, freilich." Über Claudias Gesicht glitt ein Lächeln.

"Oder glaubst vielleicht, dass ich dich im Stich lassen tät, wenn's eng wird?"

Maria war sehr erleichtert, hatte aber auch schlechtes Gewissen ihrer Nichte gegenüber.

"Mei, du hast bei mir schon so viel Extra-Stunden gemacht, dass..."

"Ist schon gut, Tante Maria. Ich hätte heute Abend sowieso nix besonderes vor..." Sie sah in Richtung der Bergtouristen-Gruppe, die sich in der Zwischenzeit ein ganzes Stück genähert hatte.

Ihr Blick suchte den Rieder-Markus.

Und tatsächlich!

Sie fand ihn ganz am Anfang der Gruppe. Auf diese Entfernung war er bereits deutlich zu erkennen.

Keine Viertelstunde mehr und sie sind hier!, ging es dem Madl durch den Kopf. Ihr Herz klopfte wie wild.

"Ohne dich wüsst ich gar net, was ich machen sollte", bekannte indessen die Wirtin. "Ich glaub, hier würd' buchstäblich alles drunter und drüber gehen!"

Das war keineswegs übertrieben.

Selbst die Buchhaltung hatte Claudia zuletzt schon übernommen und endlich Ordnung in die Finanzen des HINZBERGER HOFS gebracht. Das war auch dringend nötig gewesen, denn das Rechnen war nicht unbedingt die Stärke der Wirtin.

"Gelernt ist halt gelernt", meinte die Claudia etwas geistesabwesend. Schließlich war sie mit ihren Gedanken bei dem feschen Markus.

"Ja", gestand Maria zu, "es hat sich schon gelohnt, dass dein Vater dich auf die Hotelfachschule geschickt hat! Mir ist das leider nie vergönnt gewesen - und so habe ich mir alles selbst beibringen müssen. Vor allem nach dem Tod vom Franzl war das net einfach..."

"Geh, Tante Maria, jetzt lass uns net davon zu reden anfangen", sagte Claudia. "Lass uns lieber alles zurechtmachen, bis die Bergtouristen hier sind. Du weißt ja... Dann muss immer alles auf einmal passieren - und wer vorher stundenlang im Schweiße seines Angesichts auf einen Gipfel hinaufgekraxelt ist, der wird auch net mehr so ganz die rechte Geduld aufbringen!"

Claudia wandte sich in Richtung Küche herum.

Aber Maria Hinzberg hielt ihre Nichte beim Arm.

"Warte einen Moment", forderte sie.

Claudia blieb stehen und blickte ihre Tante etwas verwundert an. "Tante Maria, die Zeit rennt uns davon! Du hast selbst immer gesagt, dass..."

"Hör mir einen Augenblick zu!", schnitt ihr die Hinzbergerin etwas schroffer das Wort ab, als sie es eigentlch beabsichtigt hatte. Ihr Gesicht wurde ernst und Claudia begriff sogleich, dass Tante Maria ihr etwas wirklich wichtiges zu sagen hatte. "Niemand lebt ewig", sagte die Wirtin dann. "Das ist eine Binsenweisheit und mir wird es da net anders ergehen, als allen anderen."

"Tante Maria, bist net doch noch etwas zu jung, um dir derart trübe Gedanken zu machen?"

"Es sind keine trüben Gedanken", korrigierte die Wirtin.

"Jetzt net mehr. Denn zum Herrn Jesus gehen müssen wir alle mal - aber es hat mir lange keine Ruhe gelassen, dass mein Haus net bestellt war. Und das habe ich letzte Woche geändert. Du weißt, als ich einen Nachmittag in die Stadt, zum Notar war..."

"Ja, ich erinnere mich", nickte Claudia.

"Ich habe an jenem Nachmittag meine letzten Angelegenheiten geregelt. Du weißt, dass dem Franzl und mir leider keine Kinder vergönnt waren. Also möchte ich, dass du den HINZBERGER HOF dereinst weiterführst."

"Ich?", fragte Claudia etwas überrascht. Sie hatte nie darüber nachgedacht.

Sie war froh gewesen, nach dem Ende der Hotelfachschule, gleich eine gute Anstellung gefunden zu haben. Und das noch in der Nähe des elterlichen Hofs - und nicht irgendwo in der Stadt. Denn in den Jahren, in denen sie das Hotelfach gelernt hatte, hatte sie auch festgestellt, wie wichtig ihr die vertraute Umgebung der Bergwelt war.

"Ja , du!", bekräftigte Maria Hinzberg. "Ich weiß, dass das Wirtshaus, das der Franzl und ich so viele Jahre lang durch gute und weniger gute Zeiten geführt haben, bei dir in den besten Händen wäre."

Das Madl atmete tief durch.

"Mei, ich weiß wirklich net, was ich dazu sagen soll", bekannte Claudia.

"Sag bloß net, dass du das Erbe ausschlagen würdest! Dann wüsst' ich nämlich net, was ich tun soll." Die Wirtin machte eine kurze Pause, ehe sie dann fortfuhr: "Es wäre nämlich auch der größte Wunsch vom Franzl gewesen, dass es für den HINZBERGER HOF eine Zukunft gibt. Du würdest den HOF doch weiterführen, gell?"

Claudia nickte.

"Natürlich!", versprach sie. "Aber eigentlich gehe ich davon aus, dass wir noch viele Jahre zusammen den HINZBERGER HOF betreiben..."

Die Wirtin lächelte mild.

"Wenn ich eine Tochter gehabt hätte - dann hätte sie so sein sollen wie du, Claudia!", meinte sie dann mit belegter Stimme.

Wenig später traf die Touristengruppe ein und machten sich an den rustikalen Holztischen der zünftig eingerichteten Gastwirtschaft breit. Sie waren guter Laune, wenn auch von der anstrengenden Bergtour etwas erschöpft.

"Grüß dich, Claudia!", sagte der junge Bergführer Markus Rieder freundlich an das Madl gewandt.

"Servus, Markus", flüsterte sie.

"Ich denk, die Leut werden recht hungrig sein!", vermutete der Bergführer. "Und ich bin's auch..."

Ihrer beider Blicke begegneten sich.

Claudia wurde es dabei ganz warm ums Herz. Wie er mich ansieht!, dachte Claudia. Sympathisch waren sie sich immer schon gewesen. Und Claudia hoffte nun, dass Markus vielleicht sogar mehr als nur Sympathie empfand.

Bis über beide Ohren hast dich verliebt!, sagte eine Stimme in ihrem Inneren. Net einmal einen einzigen klaren Gedanken kannst noch fassen, wenn diese Augen dich so ansehen!

Der Markus sah an Claudia hinunter und meinte dann anerkennend. "Gut steht dir das neue Dirndl!"

"Mei, dass du das bemerkt hast!"

"Das ist mir sofort aufgefallen."

Einer der Touristen rief jetzt ungeduldig nach der Bedienung.

Es fiel Claudia schwer, sich von Markus loszureißen. Aber spätestens der zweite, noch ungeduldigere Ruf holte sie aus der Traumwelt ihrer Verliebtheit in die Wirklichkeit zurück.

"Ich komm ja schon!", rief das Madl an den Gast gewandt zurück. Dann sah sie Markus an. "Tut mir leid, aber du siehst ja, was hier los ist!"

"Freilich..."

Claudia hatte bereits einen Schritt gemacht, da hielt Markus sie am Arm. "Warte einen Moment noch!", forderte er.

"Ich möchte dich noch etwas fragen..."

"Später!", antwortete Claudia und schenkte dem jungen Mann ein bezauberndes Lächeln.