Schmutztitel

Henriette Wich

Titel

Hochzeitsfieber

Kosmos

Umschlagillustration von Ina Biber, München

Umschlaggestaltung von Friedhelm Steinen-Broo, eSTUDIO CALAMAR

Grundlayout: Doppelpunkt, Stuttgart

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© 2015, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

ISBN 978-3-440-14712-2

eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Feuerzauber

Das Papier knisterte geheimnisvoll zwischen Maries Fingern. Mit jeder neuen Seite, die sie umblätterte, klopfte ihr Herz schneller. Es war alles so aufregend, wie Weihnachten und Ostern zusammen!

»Das ist wunderschön«, schwärmte sie. »Nein, das hier ist noch besser. Stopp! Vergiss alles, was ich vorher gesagt habe. Jetzt hab ich dein Traumkleid gefunden. Schau mal, Tessa!« Marie schob die Hochzeits-Zeitschrift, die schon oft durchgeblättert worden war, über den Esstisch der Wohnküche. Es war Freitagabend und draußen senkte sich langsam die Dämmerung über die alten Buchen im Garten.

Tessa blickte von ihren Stoffproben auf. »Ja, das ist toll! Der weite Rock mit der langen Schleppe, der Tüll und die Stickereien. Ein richtiges Prinzessinnenkleid, aber das bin nicht ich. Das ist mir viel zu auffällig.« Maries Stiefmutter fuhr sich durch die kurzen braunen Haare. Sie trug eine abgewetzte Jeans und ein grünes T-Shirt aus ihrer eigenen Kleider-Kollektion Think Nature.

»Du hast recht, Schatz«, sagte Helmut Grevenbroich. »Das Kleid erinnert mich übrigens verdächtig an ein Sahne-Baiser.«

Tessas Tochter Lina kicherte. »Hihi, das stimmt!«

Alle mussten lachen. Marie ließ ihren Blick zwischen Tessa und ihrem Vater hin- und herwandern. Wie glücklich und verliebt sie waren! Marie freute sich so, dass die beiden bald heiraten würden. Seit Monaten fieberte sie der Hochzeit entgegen und freute sich auf den wunderbaren Tag. Ein Tag, an dem die Patchworkfamilie noch enger zusammenwachsen würde: Tessa, Maries Vater, Lina und der kleine Finn, das gemeinsame Kind des Brautpaars. Der Umzug in die alte Villa im Ostviertel war genau die richtige Entscheidung gewesen. Dort hatte jeder genug Freiraum für sich. Auch mit Lina verstand sich Marie inzwischen richtig gut.

Tessa hielt ein Stück schimmernde Seide unter das Licht der silbernen Designerlampe. »Ich glaube, ich hab mich entschieden. Die Schneiderin soll mir ein Kleid aus elfenbeinfarbener Seide nähen – schmal und gerade geschnitten, mit kleinen Ärmeln und weißen Knöpfen auf dem Rücken. Wo war doch noch gleich der Schnitt, der mir so gut gefallen hat?« Tessa zog eine Zeitschrift ganz unten aus dem Stapel hervor. »Ah, da ist er ja.« Sie tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto.

»Zeig mal.« Marie stand auf und beugte sich neugierig über den Tisch.

Im ersten Augenblick war sie enttäuscht. Das Brautkleid war wirklich sehr schlicht. Aber dann blendete Marie das Model auf dem Foto aus und stellte sich Tessa in dem Kleid vor. Es würde ihre natürliche Schönheit erst richtig zur Geltung bringen. »Das ist absolut perfekt.« Marie nickte.

»Total schön!«, stimmte Lina zu. In Sachen Mode hatte sie normalerweise einen ganz anderen Geschmack als Marie. Was sie nicht daran hinderte, sich manchmal heimlich Sachen aus dem Kleiderschrank ihrer älteren Stiefschwester auszuleihen – zum großen Ärger von Marie.

Herr Grevenbroich nickte. »Super Entscheidung.«

»Danke«, sagte Tessa. Ihre Wangen waren inzwischen vor Aufregung und Vorfreude gerötet. »Für Finn hab ich übrigens auch schon eine Idee. Ich möchte ihm einen Matrosenanzug nähen. Den kann ich dann später in meine Kinderkollektion aufnehmen.«

Marie dachte an ihren 18 Monate alten kleinen Stiefbruder. Finn war vor einer Stunde selig eingeschlafen, nachdem das Au-pair-Mädchen Natascha ihm ein russisches Gute-Nacht-Lied vorgesungen hatte. »Au ja!«, rief Marie. »Ein Matrosenanzug und ein blaues Mützchen dazu, wie süß!«

»Und dann drücken wir ihm noch ein Körbchen mit Blumen in die Hand«, fiel Lina ein. »Er darf uns beim Blumenstreuen helfen.«

Es sollte insgesamt vier Blumenmädchen bei der Hochzeit geben. Neben Lina und Marie würden auch Kim und Franzi dabei sein, Maries Freundinnen und Kolleginnen vom Detektivclub Die drei !!!.

»Ja, so machen wir es«, sagte Tessa. »Die Kleider für euch Blumenmädchen müssen wir übrigens noch auf mein Hochzeitskleid abstimmen. Lasst uns am besten gleich Ideen sammeln, die ich an die Schneiderin weitergeben kann. Welche Farbe hättet ihr denn gerne?«

Marie dachte nach. »Altrosa sieht bestimmt edel aus.«

»Oder hellblau«, meinte Lina.

Marie schüttelte entschieden den Kopf. »Hellblau ist eine schwierige Farbe, besonders zu deinen rotblonden Haaren und hellgrünen Augen.«

»Finde ich gar nicht!«, widersprach Lina trotzig.

»Vertrau mir«, seufzte Marie geduldig. »Ich kenne mich mit Mode besser aus als du.«

»Angeberin!«

»Blöde Kuh!«

Helmut Grevenbroich versuchte zu vermitteln. »Bitte streitet euch nicht. Ihr müsst ja nicht alle dieselbe Farbe tragen.«

»Das sehe ich auch entspannt«, sagte Tessa. »Zwei verschiedene Farben bringen Abwechslung, das ist hübsch. Wie wäre es mit Altrosa und Flieder?«

Lina schmollte. »Hm … weiß nicht.«

Marie verdrehte die Augen. Sie mochte Lina wirklich gern, aber an manchen Tagen hätte sie ihre Stiefschwester am liebsten zum Mond geschossen. »Können wir das nicht ein andermal besprechen?«, schlug Marie vor. »Kim und Franzi sind heute nicht da, die sollten wir auch noch fragen.«

Tessa machte sich eine Notiz auf ihrer Hochzeits-Checkliste. »Kim und Franzi einladen, Blumenkleider-Besprechung«, murmelte sie halblaut. »Oje! Die Liste wird immer länger und die Zeit langsam knapp. Heute ist der 15. April, und die Hochzeit findet schon in sechs Wochen statt. Wie sollen wir das bloß alles schaffen?«

Tessa wirkte nicht mehr ganz so entspannt wie vorher. Dabei hatten Helmut und sie bereits frühzeitig mit der Planung begonnen und Tessa hatte extra ihre Elternzeit verlängert, um in Ruhe die Hochzeit vorbereiten zu können. Doch dann war bei Maries Vater ein wichtiger Dreh dazwischengekommen, eine Extrafolge der Vorabendserie Vorstadtwache, in der er den Hauptkommissar Brockmeier spielte. Außerdem war Tessa ein Großauftrag für ihre T-Shirt-Kollektion angeboten worden, den sie unmöglich ablehnen konnte.

»Ich fürchte, wir haben den Aufwand für die Planung ein bisschen unterschätzt«, sagte Helmut Grevenbroich zerknirscht. »Ich möchte nicht, dass die Vorbereitung in Hektik und Stress ausartet. Wir wollen doch unsere Hochzeit rundum genießen.« Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Wir könnten jemanden engagieren, der uns bei den letzten Vorbereitungen hilft. Was haltet ihr von einem Hochzeits-Planer?«

Tessa zögerte. »Ich fand die Idee, dass wir alles selbst machen und gestalten, so schön.«

Herr Grevenbroich versuchte sie zu überzeugen: »Aber ein Hochzeits-Planer könnte uns ein paar Dinge abnehmen. Vorausgesetzt, wir finden jemanden, der unsere Wünsche gut umsetzen kann.«

Marie hatte sofort einen ihrer Lieblingsfilme vor Augen, eine romantische Liebeskomödie mit einem Hochzeits-Planer. »Das ist cool!«

Lina war auch begeistert.

»Einverstanden«, sagte Tessa und gab Helmut einen Kuss auf die Wange.

Helmut Grevenbroich lächelte. »Ich kümmere mich morgen darum und suche im Internet nach einer Agentur.«

»Danke, du bist der Beste!« Tessa schob die Stoffproben zu einem ordentlichen kleinen Stapel zusammen. »Dann lass uns doch gleich jetzt mit dem Genießen anfangen! Machen wir es uns auf dem Sofa gemütlich?«

»Ein sehr guter Plan.« Helmut Grevenbroich stand auf und reichte seiner zukünftigen Frau lächelnd die Hand. »Darf ich bitten?«

Marie zwinkerte Lina zu. Den kleinen Streit vorhin hatte sie schon wieder vergessen. »Ich glaube, wir stören hier nur. Komm, wir gehen in unsere Zimmer.«

Marie liebte den Freitagabend. Das lange Wochenende lag verheißungsvoll vor ihr, sie konnte länger aufbleiben und am nächsten Tag ausschlafen. Oft nutzte sie den Freitag, um sich ein ausgiebiges Wellness-Programm in ihrem eigenen Bad zu gönnen. Auch heute hatte sie ein Schaumbad genommen und sich anschließend mit duftender Aprikosen-Lotion eingecremt.

Wohlig durchwärmt, in ihren flauschigen Bademantel gehüllt, kehrte sie in ihr Zimmer zurück und ging zum Regal, um sich ein Buch auszusuchen. Ihr Blick wanderte an den Buchrücken entlang und blieb bei einem Band hängen, den sie schon lange nicht mehr in der Hand gehabt hatte. Marie nahm ihn heraus und lächelte. Zaubern leicht gemacht. Das war genau das Richtige für heute Abend!

In dem Buch standen Anleitungen für verschiedene Liebeszauber. Ein paar davon hatte Marie bereits erfolgreich angewandt. Auch Kim und Franzi hatten es schon ausprobiert, obwohl sie bei Dingen wie Kerzenorakeln oder Tarotkartenlegen grundsätzlich erst mal misstrauisch waren.

Ob es auch einen Zauber gab, bei dem es ums Heiraten ging? Seit Tessa und Helmut ihre Hochzeit planten, schwirrten so viele Fragen in Maries Kopf herum.

Wollte sie später auch mal heiraten? Wurde man noch glücklicher als Paar, wenn man heiratete? Wann war der beste Zeitpunkt für eine Hochzeit? Was war romantischer: Wenn der Mann den Heiratsantrag machte oder wenn die Frau ihren Freund fragte? Und woran merkte man, dass der Freund der Richtige war?

Eine Welle von Zärtlichkeit durchflutete Marie. Sie dachte an Holger, ihren Freund, mit dem sie schon länger zusammen war. Im letzten Herbst hatte er wenig Zeit für sie gehabt, weil er für einen Parkouring-Wettkampf trainiert hatte. Beim Parkouring ging es darum, möglichst direkt von einem Ort zum anderen zu kommen und Hindernisse wie Mauern oder Zäune zu überklettern. Holger war fit und richtig gut in seinem Lieblingssport, doch leider hatte er sich beim Wettkampf am Knie leicht verletzt. Seither reduzierte er sein Trainingspensum und sie konnten wieder mehr zu zweit unternehmen, was Marie sehr schön fand.

Marie durchforstete das Inhaltsverzeichnis von Zaubern leicht gemacht. Auf der zweiten Seite entdeckte sie tatsächlich etwas: Feuerzauber. So findest du heraus, ob dein Liebster der Richtige ist.

Die Durchführung dieses Zaubers war im Gegensatz zu anderen Anleitungen im Buch einfach. Man musste dazu nicht um Mitternacht in den Garten gehen oder bis hoch hinauf in die Krone eines Baumes klettern.

Marie beschloss, den Liebeszauber jetzt sofort auszuprobieren. In ihrem Zimmer fand sie die Dinge, die sie dazu brauchte: einen Zettel, Stift, Streichhölzer und eine feuerfeste Schale. Marie breitete alles in der Sitzecke beim Erker aus und ließ sich im Schneidersitz auf einem orangefarbenen Kissen nieder. Dann machte sie die Augen zu und atmete dreimal tief aus und wieder ein. Als sie ganz ruhig und konzentriert geworden war, öffnete sie die Augen wieder, nahm den Stift in die Hand und zeichnete eine Tabelle mit zwei Spalten auf den Zettel. Über die linke Spalte schrieb sie: Was ich alles an Holger mag. Über die rechte Spalte kam die Überschrift Was ich alles an Holger nicht mag.

Ohne nachzudenken, schrieb Marie einfach drauflos. Bei der linken Spalte fielen ihr sofort ganz viele Dinge ein. Holgers Lächeln, seine pechschwarzen Haare, die tolle sportliche Figur. Seine Herzlichkeit, Großzügigkeit und sein Humor, der genau auf ihrer Wellenlänge lag. Dass er für sie da war, wenn sie ihn brauchte, und über sich selbst lachen konnte.

Bald füllte sich auch die rechte Spalte. Was Marie nicht an Holger mochte, waren seine Ungeduld und der manchmal zu große Ehrgeiz beim Parkouring. Auch dass er ab und zu eifersüchtig war auf ihren Detektivclub und auf andere Jungs, mit denen Marie – natürlich völlig harmlos – flirtete. Weiße Tennis-Socken in den Sandalen und dass er sich oft nicht erinnern konnte, was für ein tolles Outfit sie beim letzten Date angehabt hatte, schrieb Marie als letzte Punkte in die rechte Spalte.

Als sie fertig war, faltete sie den Zettel zusammen und legte ihn in die feuerfeste Schale. Dann holte sie eine lange Wolljacke aus ihrem Kleiderschrank und zog sie über den Bademantel. Mit der Schale in den Händen ging sie auf den kleinen Balkon hinaus, der zu ihrem Zimmer gehörte. Der Liebeszauber sollte ihr Geheimnis bleiben. Wahrscheinlich würde sie nicht mal Kim und Franzi davon erzählen. Und ihre Eltern und Lina sollten den Brandgeruch nicht riechen.

Es war eine kühle Aprilnacht, aber zum Glück trocken und fast windstill. Vom Garten herauf duftete es nach frischem Gras und Frühlingsblumen. Ein Käuzchen saß auf dem obersten Ast einer Tanne und schickte seinen Ruf in die Nacht hinaus. Am Himmel funkelten tausend Sterne.

Jetzt war es also so weit, der Feuerzauber konnte beginnen! Feierlich stellte Marie die Schale auf ihrem Klapptisch ab. Sie war so aufgeregt, dass ihre Finger zitterten. Sie verbrauchte drei Streichhölzer, bis sie endlich den Zettel angezündet hatte. Eine goldgelbe kleine Flamme leuchtete auf. Sie umhüllte das Papier und arbeitete sich zügig von den Papierrändern ins Zentrum vor. Während das Feuer geheimnisvoll knisterte und der Zettel langsam braun wurde und verkohlte, versuchte Marie ihre Gedanken loszulassen. Nur so würde der Zauber wirken, hieß es in dem Buch. Nach vier Wochen würde sie es spüren: Entweder hatten sich dann ihre Zweifel Holger gegenüber buchstäblich in Rauch aufgelöst und die positiven Gefühle waren durchs Feuer gegangen oder die Zweifel waren immer noch da.

Marie machte wieder die Augen zu. Verflixt, war das schwierig, nicht an Holger zu denken! Sobald sie ihre Gedanken auf ein anderes Thema lenkte, schmuggelte er sich durch eine Hintertür wieder in ihren Kopf hinein.

Nach mehreren Versuchen gelang es ihr schließlich. Der auffrischende Wind pustete ihren Kopf frei. Er strich über ihre Wangen, und auf einmal fühlte Marie sich wunderbar. Sie stand auf dem Balkon, atmete den Duft der Frühlingsblumen, hörte das Käuzchen und lebte im Hier und Jetzt. Es gab nur diesen einen Augenblick, in den Marie eintauchte.

»Uuuuiiih, uuuiiih!« Ein ohrenbetäubendes Geräusch durchbrach die stille Frühlingsnacht.

Marie erschrak und riss die Augen auf. Schlagartig war der schöne Augenblick vorbei. Was war denn jetzt los? Gab es irgendwo in der Straße einen Polizeieinsatz? Oder war es ein Feueralarm?

Marie starrte auf die Schale. Der Zettel hatte sich in ein graues Häufchen Asche verwandelt. Das Feuer war aus. Nur eine dünne, weiße Rauchfahne stieg kräuselnd zum Sternenhimmel auf.

Unbarmherzig schrillte die Sirene weiter. Dann hörte Marie trampelnde Schritte auf der Treppe und laute Rufe: »Marie!!« – »Was ist passiert?« – »Hörst du uns?«

Sekunden später wurde die Tür aufgerissen. Helmut Grevenbroich, Tessa, Lina und Natascha stürmten ins Zimmer und sahen sich suchend um.

Marie trat verwirrt vom Balkon herein.

»Geht es dir gut?«, brüllte Tessa gegen den Lärm der Sirene an.

Maries Vater schwenkte einen roten Feuerlöscher und sah aus wie ein Superheld. »Der neue Rauchmelder in deinem Zimmer ist losgegangen. Wo brennt es?«

Lina versteckte sich ängstlich hinter seinem Rücken.

»Du musst dich auf den Boden werfen!« Natascha fuchtelte energisch mit den Armen. »Sonst bekommst du eine Rauchvergiftung!«

Die ganze Zeit heulte die Sirene weiter. Die Situation war so unwirklich und absurd, dass Marie lachen musste. »Mir geht es gut. Es brennt nicht! Alles ist gut, nichts passiert!«

Vier Augenpaare waren immer noch entsetzt auf sie gerichtet.

»Ich hab nur auf dem Balkon in einer Schale einen Zettel verbrannt«, erklärte Marie. »Der ist längst verkohlt, ihr könnt euch selbst davon überzeugen.«

Tessa lief zum Balkon und inspizierte die Schale auf dem Klapptisch. »Bin ich froh, dass nichts passiert ist!« Sie atmete erleichtert auf. »Der Wind muss den Rauch ins Zimmer geweht haben.«

Lina wagte sich hinter dem schützenden Rücken von Helmut Grevenbroich hervor und der ließ den Feuerlöscher sinken. »Mensch, hast du uns einen Schrecken eingejagt. Mach so was bitte nie wieder!«

Marie musste es hoch und heilig versprechen. Dann wurde sie von der erleichterten Tessa umarmt.

Lina knuffte Marie mit dem Ellbogen in die Seite. »Hey, das war ja superaufregend!«

»Du übertreibst«, wehrte Marie ab und hielt sich die Ohren zu. »Könntest du jetzt bitte endlich den Rauchmelder abstellen, Papa?«

»Bin schon unterwegs«, rief Helmut Grevenbroich und sprintete los, um eine Trittleiter zu holen.

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Der geheimnisvolle Fremde

»Dreimal Frühstück Spezial für die Detektivinnen!« Die junge Bedienung im Café Lomo stellte drei große Teller auf den Tisch. »Lasst es euch schmecken.«

Marie lief das Wasser im Mund zusammen. »Vielen Dank. Sieht das lecker aus! Aber die Portion ist so riesig, das schaffe ich nie.«

»Kein Problem«, sagte Kim, die sich bereits einen Löffel Kräuter-Rührei in den Mund schob. »Ich helf dir gerne. Du weißt ja, ich brauche viel Nervennahrung, damit ich mich gut konzentrieren kann.«

Franzi lachte. »Ich glaube, den Satz hab ich schon mal gehört.« Sie nahm sich zuerst das Schälchen mit dem Obstsalat vor.

In den nächsten Minuten breitete sich genießerisches Schweigen am Tisch aus. Während Marie Butter und goldgelben Honig auf ein Mohnbrötchen strich, sah sie sich im Café Lomo um. Das gemütliche Café war mittlerweile zu ihrem zweiten Zuhause geworden. Hier traf sie sich oft mit Kim und Franzi auf einen Kakao Spezial mit Vanillearoma. In ihrer Sitzecke waren sie ungestört, konnten über private Dinge quatschen oder sie tauschten sich über den neuesten Stand ihrer Ermittlungen aus.

»Na, alles klar bei dir, Marie?«, erkundigte sich Kim. »Woran denkst du gerade? An die Hochzeit?«

Marie grinste. »Nein, an meinen Vater, der gestern wie Superman mit dem Feuerlöscher durch die Villa gedüst ist.«

Kim ließ vor Schreck ihre Gabel auf den Teller fallen. »Hilfe! Hat es bei euch etwa gebrannt?«

»Nein, nein«, beruhigte Marie ihre Freundin. »Es war alles harmlos, aber meine Familie hat ganz schön verrücktgespielt.«

Franzi zog fragend die Augenbrauen hoch. »Was ist passiert? Jetzt erzähl schon!«

Marie schilderte mit lebhaften Worten den aufregenden Abend, ihre Zeremonie, den Brandgeruch und die Folgen. Nur worum es genau bei dem Zauber ging, verriet sie nicht. Alles mussten ihre Freundinnen schließlich auch nicht wissen.

Kims Augen wurden im Laufe der Erzählung immer größer. »Deine arme Familie! Die müssen alle große Angst gehabt haben.«

»Ja, aber nur kurz«, schränkte Marie ein. »Umso länger hat es gedauert, bis mein Vater endlich den Schalter gefunden hat, mit dem er die Sirene des Rauchmelders abschalten konnte.«

Franzi kicherte. »Schade, dass ich nicht dabei war! Das erinnert mich an einen unserer Fälle, bei dem ich mal eine Alarmanlage ausgelöst habe.«

Kim hatte nur mit halbem Ohr zugehört. »Und was war mit Finn? Ist er aufgewacht und hat geschrien?«

»Stellt euch vor, Finn hat die Sirene und den ganzen Lärm verschlafen!«, erzählte Marie amüsiert. »Hinterher sind wir zu seinem Bettchen gegangen, und da lag er mit rosigen Wangen und hat ganz tief und ruhig geatmet.«

Franzi schüttelte ungläubig den Kopf. »Dein kleiner Bruder verblüfft mich immer wieder. Ich würde ihn übrigens total gern mal wieder sehen.«

»Jederzeit«, sagte Marie. »Ihr seid immer willkommen.«

Franzi seufzte. »Bei uns ist das zurzeit leider schwierig. Meine Eltern sind nicht gut drauf. Sie streiten sich wegen jeder Kleinigkeit.«

Kim wurde hellhörig. »Warum das denn?«

»Meine Mutter ist mit ihrem Kuchenservice voll eingespannt und kann meinem Vater nicht mehr so oft in der Tierarztpraxis aushelfen. Daran muss sich mein Vater erst gewöhnen. Wahrscheinlich braucht er eine neue Sprechstundenhilfe, aber er hat momentan keine Zeit, um eine zu suchen. Die schlechte Stimmung nervt ganz schön. Und meine Schwester zickt auch mal wieder rum.«

»Tut mir leid für dich«, sagte Marie mitfühlend.

Früher, als sie noch Einzelkind gewesen war, hätte sie das nicht so nachvollziehen können. Aber seit sie Mitglied einer Patchworkfamilie war, wusste sie, wie chaotisch und nervenaufreibend das Familienleben manchmal sein konnte.

Kim lächelte Franzi aufmunternd zu. »Ich wünsch dir, dass dein Vater bald jemanden für seine Praxis findet.«

»Danke, das ist lieb von euch«, sagte Franzi. »Aber lasst uns lieber von was anderem reden. Wie läuft es denn bei dir und Michi?«

Kims Augen fingen an zu strahlen. »Sehr gut!«

Sie und Michi kannten sich schon ewig und verstanden sich super. Michi hatte meistens Verständnis, wenn Kim wegen des Detektivclubs eine Verabredung verschieben musste. Und Kim motivierte ihn bei seiner Ausbildung zum chemisch-technischen Assistenten. Erst kürzlich hatte er seine Prüfungen mit »Sehr gut« abgeschlossen.

»Michi freut sich schon riesig auf die Zeugnis-Übergabe«, erzählte Kim stolz. »Ich bin natürlich dabei und werde mit ihm feiern.«

»Das sind ja super Neuigkeiten.« Marie nahm ihren Kakaobecher in die Hände. Die bunten Armreife, die sie zu ihrem dunkelblauen Kleid trug, klimperten. »Bei mir und Holger ist auch alles im grünen Bereich.«

»Wie schön für euch«, sagte Franzi. Ihr Lächeln war ein bisschen traurig, aber es schwang keinerlei Neid in ihrer Stimme mit, obwohl die Trennung von ihrem Freund Felipe noch gar nicht so lange her war. Franzi zog energisch an den Haargummis, um ihre zwei kleinen Zöpfe fester zu binden. »Ich habe beschlossen, dass ich mein Leben als Single ab sofort genieße!«

Kim griff nach ihrem Glas. »Das klingt gut. Darauf sollten wir trinken.«

Die Freundinnen stießen mit Orangensaft an.

Marie trank den Saft in einem Zug aus und stellte seufzend das Glas ab. »So, jetzt bin ich aber wirklich satt. Ich würde übrigens gern mal wieder auf einen erfolgreich gelösten Fall anstoßen.«

Franzi nickte. »Ich auch. Unser letzter Fall ist Monate her. Langsam wird es Zeit, sonst komme ich noch aus der Übung.«