Gunter Pirntke

Abriss zur Hegelschen Philosophie

mit zusammengefassten Beiträgen und dem Werk „Zur Kritik der Hegel’schen Rechts-Philosophie“ von Karl Marx


Impressum

Covergestaltung:      Johannes Krüger

Bearbeitung:             Johannes Krüger

Digitalisierung:      Gunter Pirntke

Herausgeber:      BROKATBOOK Verlag Gunter Pirntke & Partner

ISBN: 9783955016975


© 2014 andersseitig.de


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Einleitung

Die Philosophie hat es mit Gedanken, d. h. mit den Verallgemeinerungen des Denkens zu tun. Sie hat die Einzelheit der natürlichen Gegenstände, die im sinnlichen Bewusstsein sind, zu ihrem Ausgangspunkt, die sie, und hierin besteht wesentlich die Abstraktionsleistung des Denkens, in Form allgemeiner Verstandesbestimmungen einer Erklärung zuzuführen sucht.

Ausschließlich nämlich in der Allgemeinheit des Wissens der Gegenstände ist die ihnen zunächst anhaftende Fremdheit, die sie z. B. für die Unmittelbarkeit der sinnlichen Anschauung besitzen, aufgehoben worden.

Die Naturphilosophen der Antike kamen als erste dem Geheimnis des denkenden Erkennens auf die Spur, als sie ihre aus der sinnlichen Wahrnehmung entnommenen Bestimmungen als allgemeine Prinzipien von Welterklärung verstanden. In den mythologischen Formen vorrationaler Auseinandersetzung mit der Welt hingegen wurden die im Umgang mit der Natur anfallenden Fragen nicht per denkender Verallgemeinerung beantwortet, sondern das unmittelbar Wahrgenommene und nach wie vor unverstandene Naturphänomen wurde in eine dem bornierten menschlichen Vorstellungsvermögen adäquate, nämlich sinnliche Form gefasst, die einen Schein von Vertrautheit und Sicherheit in das in der Regel als nicht geheuer Erfahrene brachte.

Selbst noch der Verallgemeinerung des Thales z. B., dass das Wasser der Urgrund alles Seienden sei, sah man ihren Ursprung aus der empirisch wahrnehmbaren Welt, die somit gerade nicht erklärt, sondern lediglich verdoppelt worden war, noch ganz deutlich an; es handelte sich um Formen der unmittelbaren Anschauung und der sinnlichen Vorstellung, in denen der Gegenstand ein dem Intellekt nach wie vor äußerlich gegebener und folglich gänzlich unbegriffen war.

Bei Thales tritt der Gedanke in natürlicher oder sinnlicher Gestalt auf; das Allgemeine wird als eine Naturbestimmung aufgefasst, als Wasser. Das Prinzip aller Dinge, ihr Allgemeines, nimmt die Form einer bestimmten Materie an, die die Substanz von allem ist. Damit ist zwar einerseits eine Abstraktionsleistung vollbracht, da es sich ja gerade nicht um eine bestimmte Flüssigkeit, sondern um ein einfaches Allgemeines, das Flüssige schlechthin, handeln soll, in dem alle wirklichen Dinge aufgehoben sind. Andererseits ist jedoch das Wasser, so sehr in ihm die Natur in ein einfaches Wesen zusammengefasst und damit ein Produkt der Abstraktion ist, eben doch nicht mehr als eine besondere, natürliche Existenz.

Anaximander zeichnet sich gegenüber Thales durch aus, dass er nicht mehr ein bestimmtes Element annimmt, sondern so etwas wie eine allgemeine, unendliche Materie, aus der, wie auch immer, alles entstehen und in die alles vergehen soll.

Anaximenes Allgemeines ist wiederum ein besonderes Naturelement, die Luft, die jedoch, ihrer größeren Formlosigkeit halber, besser als das Thaletische Wasser dazu geeignet ist, der ungegenständlichen Weise des Allgemeinen zum Ausdruck zu verhelfen.

 

Für diese erste - naturphilosophische – Periode bleibt also festzuhalten, dass einerseits zwar ein jeweils allgemeines, den einzelnen Gegenstand negierendes Prinzip denkenden Erkennens ausfindig gemacht worden war, weswegen es sich ja überhaupt um für Philosophie charakteristische Abstraktionsleistungen handelte. Mehr als ein Anfang allerdings war damit nicht gemacht, denn das Allgemeine war eben andererseits doch nie über die sinnliche Einzelheit hinausgekommen. Die ionischen Naturphilosophen haben also zwar gedacht, das Ergebnis ihres Nachdenkens jedoch nicht als Denken bestimmt. Bei Pythagoras findet diese Trennung des Sinnlichen vom Gedanken erstmals wirklich statt; der Übergang von der natürlichen Sicht zu derjenigen des Intellekts ist vollzogen.

Bei dem Prinzip der Pythagoräer handelt es sich nicht mehr um eine bloße Naturbestimmung. Nach ihnen ist die Zahl das Wesen der Dinge, und das gesamte Universum ist nichts weiter als ein harmonisches System von Zahlen. Die Zahl hat zwar einerseits nichts unmittelbar Sinnliches mehr an sich, andererseits jedoch ist sie ein auf die Anschauung an gewiesener und deswegen der Form der Verallgemeinerung noch nicht wirklich genügender Gedanke: sie ist, und hierbei handelt es sich um eine von Platon vorgenommene Einordnung, die in gewisser Hinsicht dann auch noch in dem Schematismuskapitel von Kants »Kritik der reinen Vernunft« Gültigkeit besitzt, weder auf die Seite der Sinne noch auf diejenige des Verstandes zu schlagen, weswegen sie dann bei Kant - umgekehrt - zur Vermittlung der beiden Aspekte von Erkenntnis taugen soll. Darüber hinaus wird bei dem Prinzip der Zahl von den diversen Bestimmtheiten der Dinge ganz einfach abstrahiert, bzw. ein lediglich äußerliches Verhältnis zwischen ihnen hergestellt.

Das Prinzip des Denkens, die Form des von allem Sinnlichen getrennten Allgemeinen selbst, machten die Eleaten, vorzüglich Parmenides, in dem »Sein« oder dem »Einen« ausfindig. Insofern nämlich der als vergänglich angesehenen sinnlichen Welt auf Grund

ihrer Veränderlichkeit die Wahrheit abgesprochen wurde, sollte nur in der Abstraktionsleistung des reinen Gedankens, dem bewegungslosen reinen Sein, Wahrheit zu finden sein. Damit haben die Eleaten einer Wertschätzung des wenngleich abstrakten Gedankens einfacher Identität Ausdruck gegeben, die in der neueren Philosophie, nicht allein bei Kant, einer ausführlichen Kritik unterzogen worden ist. War dieser vorsokratischen Schule noch das verallgemeinernde Denken fürs Erkennen unverzichtbar, dann sollten nach Kant gerade die Formen der Erkenntnis der Erkenntnis der Wahrheit im Wege stehen und zu mehr als einer Erkenntnis von Erscheinungen nicht taugen. - Von Interesse sind in diesem Zusammenhang noch die Bewegungsaporien Zenons, in denen er, auf der Grundlage der vorausgesetzten Annahme, dass das Nichtsein nicht denkbar sein sollte, den Nachweis der Denkunmöglichkeit von Bewegung zu führen unternahm. Sie nämlich sei nicht anders zu denken denn als in sich widersprüchlich, unter Einbeziehung der doch als denkunmöglich bewiesenen Negation.

Von Heraklit wird das Absolute als das Bewegte bestimmt. Nicht nur das Sein und auch nicht das von den Eleaten negierte Nichts ist, sondern nur die Einheit beider, insofern sie Entgegengesetzte sind, ist: das Werden. Von großer Bedeutung ist diese Bestimmung, weil in ihr die pure Identität des parmenideischen Seins konkret geworden, d. h. mit ihrem Entgegengesetzten zusammengegangen ist. War das Sein der erste unmittelbare Gedanke, worin alles Bestimmte negiert ist, dann ist das Werden der erste in sich bestimmte Gedanke, als in ihm die Einheit Unterschiedener gedacht ist.

Nach Empedokles sind die vier physikalischen Elemente Feuer, Luft, Wasser und Erde die Grundprinzipien aller Dinge, so dass mit ihm das Erkennen der Natur eine größere Ausbreitung gewonnen hat. Die beiden anderen Atomisten Leukipp und Demokrit unterscheiden sich von Empedokles darin, dass sie nicht mehr materielle, sondern ideelle Bestimmungen als das Wesen des Wirklichen ansehen; das Atom als das Eins und das Nichts sind die die Gegenstände erklärenden Abstraktionen des Gedankens.

Anaxagoras schließlich deklarierte den Verstand selbst zum Prinzip der Erklärung der Welt, die er somit der Intellektualansicht unterstellte. Mit ihm ist das Bewusstsein darüber aufgegangen, dass nur in der denkenden Verallgemeinerung die wahrgenommene Erscheinung begriffen ist. Wenn also auch alle Philosophen vor ihm die Dinge in die Formen eines jeweils bestimmten oder unbestimmten Gedankens (des Seins nämlich) überführten, dann ist er es gewesen, der das allen Gedanken Gemeinsame, das Allgemeine, als das Substantielle verkündete; es ist das somit objektive Wesen der Gegenstände selbst und nichts, was etwa einen nur dem subjektiven Bewusstsein angehörigen Inhalt hat und folglich von ganz anderer Beschaffenheit als die Realität ist. Ist bei Anaxagoras das Allgemeine des Verstandes der Natur immanent, dann wird es bei den Sophisten zu einer Bestimmung, die ausschließlich dem Bewusstsein angehört. Der Gedanke ist das Produkt einer als lediglich subjektiv angesehenen Tätigkeit des Intellekts. In diesem Zusammenhang steht der sogenannte Homo-mensura-Satz des Protagoras, der nach der Übersetzung von Diels wie folgt lautet: »Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der seienden, dass (wie) sie sind, der nichtseienden, dass (wie) sie nicht sind.« Wenn in diesem Satz der auch und gerade heute noch weit verbreitete Idealismus in seiner alles relativierenden Variante vertreten wird, dass das Gedachte stets subjektiv und folglich nicht das Seiende sei und durch das Denken das Seiende in ein bloß Gedachtes verwandelt werde, dann war doch jedenfalls die von Gorgias geäußerte Kritik an einer Form des Realismus begründet, dessen Vertreter, umgekehrt, in der bloß sinnlichen Vorstellung bereits die Sache selbst zu haben meinen. Dabei waren die Sophisten Lehrer der Wissenschaften überhaupt, indem sie durchs Denken, das in der Form eines beweisenden und begründenden, aufs Überzeugen der Zuhörer angelegten Unterrichts stattfand, zur allgemeinen Bildung beitrugen. Sie sind insofern die unmittelbaren Vorgänger des Sokrates.

Das Charakteristische der Philosophie Platons besteht in der Erhebung des Bewusstseins in die Allgemeinheit des Gedankens. Das Allgemeine, von Platon »Idee« genannt, ist das Ergebnis der Tätigkeit des Denkens. Dabei unterläuft es ihm immer wieder, die Verallgemeinerungen des Denkens in Mythologeme, d. h. in die sinnliche Form der Vorstellung, zu kleiden, was mit einer Unvermögenheit des Denkens zu tun hat, das Gedachte auch in der Form des Gedankens zur Darstellung zu bringen. Der Mythos bringt stets sinnliche, der Vorstellung näher liegende Bilder ins Spiel, worin sich die Ohnmacht des Gedankens ausdrückt, seinen Verallgemeinerungen die ihnen entsprechende Form zu geben. - Da Platon nun die Philosophie nichts anderes ist als die Wissenschaft des Allgemeinen, kontrastiert ihr die an der Vergänglichkeit des Sinnlichen orientierte Vorstellung eines stets lediglich meinenden Bewusstseins. Um nämlich das Wahre der Dinge zu erkennen, muss von ihrer zunächst äußerlichen Mannigfaltigkeit abstrahiert werden, muss der sinnliche Einzelfall in die Allgemeinheit des Gedankens verwandelt werden, wobei diese notwendige Abstraktionsleistung des Gedankens dann allerdings bei Platon dazu führt, dass in ihrem Ergebnis, der einfachen Identität, jede Bestimmtheit ganz einfach als das Unwesentliche negiert ist. Das führt dann umgekehrt zu der Schwierigkeit, dass aus dem isolierten Gedanken auch kein Übergang zu den konkreten Dingen gefunden werden kann. Ist also das Allgemeine die Idee, dann kontrastiert die Wahrheit dieses Allgemeinen der Einzelheit der Sinnlichkeit.

Da ihm also die Realität fehlt, ist es nichts weiter als eine leere Abstraktion.

Dass die Empfindung auf das Einzelne, das Denken hingegen auf das Allgemeine geht, ist auch Aristoteles eigentümlich. Darüber hinaus aber charakterisiert er das Allgemeine als dasjenige, das in sich bestimmt, real als besondere Art, ist; es ist das in sich selbst Unterschiedene und als solches konkret. Die Unzulänglichkeit der das Besondere nicht erklärenden, sondern ausschließenden Verallgemeinerung der Ideen Platons kritisierte Aristoteles in Gestalt der die Bestimmtheiten über die Reihe der spezifischen Differenzen in sich aufnehmenden »Art«, d.i. der bestimmten Gattung, dem Eidos. Dadurch war mit Aristoteles die wirklich ihren Gegenstand erklärende, mithin in sich bestimmte, objektive Verallgemeinerung auf den Begriff gebracht worden; er hat die unendliche Mannigfaltigkeit des Konkreten auf ihre jeweils allgemeinen Gedanken zurückgeführt und damit erstmals einen wirklichen Beitrag zur systematischen wissenschaftlichen Begriffsbildung geleistet. Diese Tat wurde in der Folge jedoch immer wieder deswegen kritisiert, weil auf diese Weise das konkrete Einzelding als vernachlässigende Größe unberücksichtigt geblieben und eben keiner Erklärung zugeführt worden sei. Dieser Einwand allerdings vergisst, dass in der Tat das Einzelne als solches nicht gewusst, sondern nur per Verallgemeinerung dem Begreifen zugeführt werden kann. Im Wissen, als dem Ergebnis von Nachdenken, ist das zunächst unbegriffene vereinzelte Sinnliche in die Allgemeinheit des Seins überführt worden. Das jedoch heißt umgekehrt auch, dass es sich bei diesem Wissen um das Allgemeine des Seins handelt. Nur im Denken wird das Wesen der diversen Gegenstände, das mit ihrer unmittelbaren Erscheinung eben nicht identisch ist, geschweige denn einfach wahrgenommen werden kann, zur Kenntnis gebracht.

Für die neuere Philosophie von Descartes und Bacon bis Hegel handelt es sich um die Beantwortung der Frage, wie und ob der Gegensatz zwischen Denken und Sein aufgelöst werden kann. Die empiristische Richtung geht von der auf die einzelne Äußerlichkeit gerichteten Wahrnehmung aus und versucht, sie in die Form der Allgemeinheit zu verwandeln. Die beobachtete physische Natur bildet die Voraussetzung für das Verallgemeinern, das darauf angelegt ist, ihre Gesetze zu erkennen. Die idealistische dagegen geht von der Allgemeinheit des Denkens aus und deduziert aus demselben allen Inhalt. So sehr es sich bei beiden Richtungen auch um Gegensätze handelt, in einer Hinsicht berühren sie sich doch: in dem Bedürfnis, ihren jeweiligen Ausgangspunkt zu negieren und mit seinem Gegenteil zu vermitteln. Die Erfahrungsphilosophen wollen aus ihren Beobachtungen allgemeine Gesetze ableiten, und die Idealisten wollen der zu nächst abstrakten Allgemeinheit des Denkens einen bestimmten Inhalt geben. Eine dritte Variante, diejenige des skeptischen Idealisten Berkeley, besteht allerdings darin, sowohl an den denkend zustandegebrachten Verallgemeinerungen der Idealisten als auch an dem Allgemeinen des Empirismus Kritik zu üben: esse est percipi, Sein ist nichts anderes als die jeweilige Subjektivität der individuellen Wahrnehmung, womit, und hierin bestand für Kant das Skandalöse dieser Äußerung, jede Form von Wissenschaft als unmöglich behauptet ist. Wissenschaft nämlich liegt dann vor, wenn das Denken als mit dem Gegenstand identisch nachgewiesen ist, wenn also objektive und allgemeine Urteile gefällt werden, die gerade nicht in das Belieben jedes Einzelnen fallen.

Hegel war sowohl der objektive und damit wissenschaftliche Charakter von Erkenntnisurteilen geläufig, wie ihm in seiner Logik auch daran gelegen war, die logische (und historische) Entwicklung der objektiven Gedanken in ihrer systematischen Ordnung darzustellen. Das aber bedeutete u.a. auch, dass sich wechselseitig scheinbar ausschließende Prinzipien in ihrem Auseinanderhervor- und Ineinander übergehen begriffen wurden. Dabei übte er vor allem Kritik an der Abstraktheit eines Denkens, in dem lediglich die reine Identität mit sich festgehalten wird.

Der von Kant vertretene Verstand brachte eine Ordnung in den Dingen hervor, die nicht an und für sich, sondern nur subjektiv sein sollte. So blieb für die Vernunft nichts übrig als die Form der Identität, und diese reichte zu nichts, als die mannigfaltigen Verstandesgesetze und -verhältnisse zu systematisieren.

Da jedoch, wie vor allem der Vorrede der »Phänomenologie des Geistes« zu entnehmen ist, Hegel an verwirklichter Wissenschaft gelegen war, folgte aus dieser programmatischen Feststellung für das Denken notwendig dies, dass es gerade nicht subjektiv bleiben, sondern das Subjektive aufheben und sich als objektiv beweisen soll. Wenn nämlich die Existenz nicht begriffen wird, so ist sie nichts weiter als das begrifflose, sinnlich Wahrgenommene. - In der »Phänomenologie des Geistes« aber war es Hegel um den Nachweis gegangen, dass es sich bei den sämtliche Bereiche des Wissens abdeckenden acht Stufen des Bewusstseins immer schon um solche des Wissens handelt, also darum, dass im Wissen der Gegenstände deren Differenz zum Bewusstsein allenthalben bereits aufgehoben ist, und folglich - umgekehrt - das objektive Wissen dieser Gegenstände selbst vorliegt. In der sich an die Phänomenologie unmittelbar anschließenden »Wissenschaft der Logik« geht es um den vollständig zu entwickelnden Begriff der als objektiv in der Phänomenologie bewiesenen Gedanken.

Den kleinsten gemeinsamen Nenner des sogenannten Jung- oder Linkshegelianismus - die Fraktion der sogenannten Rechts- oder Althegelianer besteht aus orthodoxen Hegelanhängern - bildet die Religionskritik. Dabei soll in der Regel an die Stelle entfremdeter eine wie auch immer näher bestimmte wahre Religiosität treten, so dass auch hier, ähnlich wie zuvor schon bei den französischen Aufklärern, von einer letztlich affirmativen Haltung der Protagonisten dieser Kritik gesprochen werden muss.

Die zentrale Figur des Linkshegelianismus ist Ludwig Feuerbach, der, als Begründer des Anthropologismus, an die Stelle einer Verehrung transzendenter Wesenheiten die Hochachtung vor der menschlichen Natur setzt. Das einzig Wirkliche ist ihm nicht die Abstraktheit eines Übersinnlichen, sondern das konkrete, sowohl innerlich wie äußerlich wahrnehmbare Sein. Vor diesem materialistischen Hintergrund geht es Feuerbach um den Nachweis, dass alle Theologie Anthropologie ist. Die Religion ist »das Bewusstsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen Wesen«. »Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen«, und das göttliche Wesen ist nichts weiter als »das Wesen des Menschen, abgesondert von den Schranken des individuellen, d. h. wirklichen, leiblichen Menschen, vergegenständlicht, d. h. angeschaut und verehrt als ein anderes, von ihm unterschiedenes, eigenes Wesen« oder kurz: Gott ist die Projektion des menschlichen Wesens in eine ihm folglich nur schein bar fremde, übermenschliche Form, das in Gestalt des Anthropologismus dem Menschen deswegen zugeeignet werden kann, weil es sowieso schon sein nur noch nicht bewusst gewordenes eigenes Wesen ist. Dieser an der Natur des wirklichen Menschen ausgerichtete Humanismus - »nur ein sinnliches Wesen ist ein wahres, ein wirkliches Wesen« -, ist Feuerbachs »letzter Gedanke«.

Die Variante eines an Fichte und Feuerbach geschulten extrem idealistischen Subjektivismus und Individualismus vertritt Max Stirner (Pseudonym für Caspar Schmidt). Nach ihm ist alles Allgemeine, Abstrakte, Ideale nichtig, eine vom Ich gesetzte Macht, vor der es sich widersinnigerweise, da sie doch nichts weiter als sein Geschöpf ist, beugt. Das einzig Reale ist das Ich, und Wert hat nur dasjenige, das zu seiner Befriedigung beiträgt: »Mir geht nichts über mich«.

Der junge Marx richtete seine Kritik vor allem gegen die idealistische Staatslehre Hegels, gegen den unhistorischen Materialismus Feuerbachs und gegen den Subjektivismus der Junghegelianer, deren sogenannte Kritik als affirmativ insofern abgetan wurde, als sie nicht an einer praktischen Veränderung der Wirklichkeit interessiert war, sondern die Wirklichkeit lediglich in der Theorie überwinden, d.h. an die

Stelle der einen Interpretation eine genauso unpraktische andere setzen wollte und so der Meinung anhing, dass eine veränderte Sichtweise auf eine Sache auch schon etwas an dieser geändert habe, wo doch in Wahrheit dadurch gerade alles beim alten gelassen werde. Den Marx des »Kapitals« der Philosophie zu zuordnen, ist gleich in mehrerlei Hinsicht problematisch: Zum einen hat der in diesem Buch verhandelte Gegenstand so gar nichts Philosophisches an sich; es geht um die Erklärung und Kritik der bürgerlichen Eigentumsordnung und ihres sie funktional verwalten den Klassenstaates oder kurz, wie der Untertitel dieser Publikation schon sagt, um die »Kritik der politischen Ökonomie«. Zum anderen befindet sich Marx mit dieser Veröffentlichung außerhalb jeglichen philosophischen Diskussionszusammenhangs der damaligen Zeit. Nicht allein nämlich, dass philosophischen Fragen hier keine oder allenfalls eine marginale Bedeutung zukommt, verhält es sich darüber hinaus umgekehrt auch so, dass Marx von den Fachphilosophen, mit einer Ausnahme, einfach nicht zur Kenntnis genommen wurde. Die Ausnahme ist Friedrich Albert Lange, der in seiner »Arbeiterfrage« das »Kapital« - dieses »treffliche Werk« - »seitenweise zitiert« (Köhnke), was ganz eindeutig politisch motiviert ist, woraus umgekehrt der Schluss jedenfalls nicht von der Hand zu weisen ist, dass die Nichtbeachtung von Marx seitens der Philosophie gleichfalls politischen Motiven entstammt.

Die Geschichte der Philosophie hat die Entwicklung des theoretischen Nachdenkens über die Welt und die in ihr herrschenden Prinzipien vom Beginn der europäischen Philosophie im antiken Griechenland des 6. Jahrhunderts v.u.Z. bis zur Gegenwart zum Gegenstand. Als philosophische Disziplin nimmt die Philosophiegeschichtsschreibung interpretierend zu den historischen Entwürfen Stellung, versucht diese in ihrem jeweiligen Zusammenhang zu verstehen und untersucht, ob und inwiefern sich hieraus Lehren für die Gegenwart ziehen lassen. Die Theorie der Philosophiegeschichte untersucht Methoden, Kategorien und Bedeutsamkeit des historischen Zugangs zur Philosophie.

Es gehört zu den Eigentümlichkeiten der Philosophie, dass sie im Lauf ihrer Geschichte immer wieder grundsätzlich neue Erklärungsmodelle zu den ihr eigenen immerwährenden Fragen nach dem Erkennbaren, nach dem richtigen Handeln oder nach dem Sinn des Lebens hervorgebracht hat. Dabei müssen Philosophen sich jeweils mit ihren Antworten an die Erkenntnisse der Sachwissenschaften anpassen und deren aktuellen Wissensstand zur Erklärung der Welt heranziehen. Die Geschichte der Antworten fließt somit stets in die aktuellen Erklärungen mit ein. Aus diesem systematischen Unterschied zu den Wissenschaften erklärt sich das besondere Interesse der Philosophie an der eigenen Ideengeschichte.

Hegel ist ein Hauptvertreter der Philosophie des deutschen Idealismus. "Das Geistige allein ist das Wirkliche" ist ein zentraler Satz in Hegels Denken, der diese idealistische Position auf den Begriff bringt. Die gesamte Wirklichkeit, alles das, was wir sehen, die Menschen, die Tiere, die Natur, die Welt sind letztlich geistigen Charakters. Der Logos ist vor allem, ist in allem. In dieser Gemeinsamkeit liegt auch die Einheit alles Getrennten, aller Dinge in der Welt. Dieses Alleben des Geistes wird von Hegel als Gottheit bezeichnet und führt ihn zur philosophischen Theologie. "Gott ist der absolute Geist", hören wir ihn sagen, jedoch nicht im Sinne eines transzendenten Schöpfergottes, sondern als "Gott der Welt".

Dieses geistige Prinzip, der Weltgeist, liegt auch der historischen Entwicklung zugrunde, denn die historische Entwicklung ist nicht zufällig, sondern ist Manifestation des objektiven Geistes. Der Einzelne handelt nicht wie bei Kant als sittliche Einzelpersönlichkeit, sondern der Weltgeist handelt durch den Einzelnen als sein Werkzeug. Die handelnde Persönlichkeit – z.B. der Heerführer oder Fürst – mag glauben, er fördere durch seine Handlung nur rein persönliche Zwecke – wie die Machterweiterung - , aber dies ist nur eine "List der Vernunft", die über diese vorgestellten Zwecke hinweg durch den Handelnden das historisch Notwendige bewirkt. Auch eine moralische Beurteilung der Handlungen wird durch diese Betrachtungsweise uneindeutiger, denn Kriege und Gräueltaten können auch im Einzelfall als vom Individuum unabhängige Objektivierungen des Weltgeistes interpretiert werden. Individuen, Völker, Epochen sind für Hegel nur notwendige Durchgangsstadien für den großen weltgeschichtlichen Prozess.

Diese Auffassung der Geschichte führte Hegel zu einer sehr positiven Bewertung des preußischen Staates, in dessen rationaler Verwaltung er ein hoch entwickeltes geistiges Prinzip am Werke sah. Als Philosophieprofessor in Berlin verlieh er dem Staat, dem er diente, damit höhere geistige Weihen. Ganz anders waren die politischen Schlüsse, die ein berühmter Hegel-Schüler, nämlich Karl Marx, aus der Lehre des Meisters zog: bei Marx wird der Idealismus zum Materialismus gewendet, und aus den dialektischen Bewegungsgesetzen der Geschichte wird eine Abfolge von Klassenkämpfen, an deren Ende nicht der zu sich selbst gekommene Geist, sondern die befreite sozialistische Gesellschaft steht.

Kunst, Religion und Philosophie stehen bei Hegel über dem weltgeschichtlichen Prozess, d.h. über den konkreten historisch-politischen Entwicklungen. Zwar sind sie unabhängig von der politisch-gesellschaftlichen Realität, aber trotzdem einer geschichtlichen Entwicklung unterworfen, denn in ihnen findet die Selbstreflexion des absoluten Geistes statt. Der gestalterische Wandel im Bereich der Kunst ist dabei für Hegel nur von sekundärem Interesse. Obwohl er die Entwicklung vom antiken Epos zum modernen Roman seiner Zeit beschreibt und analysiert, interessiert ihn die Kunst vor allem in ihrer Funktion, Anschauung des absoluten Geistes zu sein. Dies gelingt ihr in der Antike, im Mittelalter hat sie ihre Stellung an die Religion verloren, die schon einen Schritt weiter geht und Anschauung und Denken (Begriffe) miteinander verbindet. Aber erst in der Philosophie seit der Aufklärung begreift der Weltgeist sich selber, kommt er zu sich selbst. Die moderne Kunst ist für Hegel nicht auf der Höhe des Weltgeistes, sie ist nur subjektivistische "faule Existenz", die nicht auf die objektiven Strukturen der Welt verweist.


Die Darstellung Hegels

Vorbemerkung

Der Anfang der Bildung...wird immer damit gemacht werden müssen, Kenntnisse allgemeiner Grundsätze und Gesichtspunkte zu erwerben, sich nur erst zu dem Gedanken der Sache überhaupt heraufzuarbeiten,...

Wenn dieser Satz im Allgemeinen gilt, so gilt er auch für die Philosophie.

Nun besteht aber gerade bei der Philosophie in unserer Zeit am wenigsten Einigkeit darüber, was denn überhaupt die allgemeinen Grundsätze und Gesichtspunkte dieser Disziplin seien.

Dieser Missstand, dass sich die heutige Philosophie nicht einmal über die Antworten auf grundlegende Fragen wie, was der Gegenstand, das Ziel, die Methode usw., geschweige denn, was das Resultat der Philosophie sei, einig ist, trägt sicherlich nicht zum guten Ruf der Philosophie als Wissenschaft bei.

Am wenigsten wohl die Auffassung, man müsse sich überhaupt nicht über solche Fragen verständigen und einigen und könne mit einer Untersuchung über irgendetwas auf irgendeine Weise sogleich anfangen.

Diese Arbeit ist ein Auszug aus dem, was Hegel auf einige dieser grundlegenden, und damit auch für das Studium der Philosophie Hegels, ersten und wichtigsten Fragen geantwortet hat.

Es ist ein sehr begrenzter Auszug, denn Hegel hat uns, nicht zuletzt wegen der Priorität solcher Fragen, in den Vorreden, Einleitungen sowie in etlichen Anmerkungen und Zusätzen seines eigentlichen systematischen Werks, eine sehr Ausführliche Vorstellung nicht nur darüber gegeben, was er unter Philosophie versteht, sondern ist auch weitläufig auf mögliche Gegenreden eingegangen, die man von vornherein gegen das, was er im allgemeinen sagt, haben könnte.

All das aber, wie Hegel selber häufig betont, was er in diesen einführenden Schriften vorab sagt und damit auch in dieser Arbeit gesagt wird, hat für sich keinen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, ist nicht für sich bewiesen, sondern ist nur Versicherung, deren gegenteilige Versicherung gleiches Recht hätte.

Der eigentliche wissenschaftliche Beweis dessen, was dort einleitend behauptet wird, findet sich allein im systematischen Werk Hegels.

Es mag ungewohnt scheinen, so häufig den Namen Gott in dieser Arbeit zu finden. Denn es soll sich schließlich um eine philosophische und keine theologische Arbeit handeln.

Es ist aber einerseits gerade ein Bestreben dieser Arbeit, die enge Verwandtschaft von Philosophie und Theologie zu zeigen.

 

Auf der anderen Seite führt die Verwendung des Ausdrucks Gott wiederum den Nachteil herbei, dass damit sogleich eine konkrete fromm-religiöse Vorstellung unterstellt wird, wie etwa die Vorstellung eines gütigen Vaters im Himmel.

Hegel verwendet diese Ausdrücke in seinen einführenden Schriften, in denen es, wie gesagt, zunächst darum geht, die Bedeutung des Ganzen zu gewinnen, häufig erst einmal synonym.

"Wenn also im Ausdrucke des Absoluten oder Ewigen oder Gottes (und das unbestrittenste Recht hätte Gott, dass mit ihm der Anfang gemacht werde), wenn in deren Anschauung oder Gedanken mehr liegt als im reinen Sein, so soll das, was darin liegt, ins Wissen als denkendes, nicht vorstellendes, erst [später] hervortreten." (Logik)

 

1. Gegenstand und Aufgabe der Philosophie

Die Frage also ist: was versteht Hegel unter Philosophie? oder, genauer gefragt: womit hat sie sich, laut Hegel, zu beschäftigen?

Hegel fragt dies und antwortet darauf sehr bestimmt:

"Die erste Frage ist: was ist der Gegenstand unserer Wissenschaft? Die einfachste und verständlichste Antwort auf diese Frage ist die, dass die Wahrheit dieser Gegenstand ist. Wahrheit ist ein hohes Wort und die noch höhere Sache. Wenn der Geist und das Gemüt des Menschen noch gesund sind, so muss diesem dabei sogleich die Brust höher schlagen."

Dass die Religion Gott oder die Wahrheit zum Gegenstande ihrer Beschäftigung hat, ist unmittelbar einzusehen. Dass Gott aber das Interesse der Philosophie sein soll, wird nicht so unmittelbar angenommen und versteht sich nicht von selbst.

Eher wird gerade das Gegenteil vermutet, nämlich dass die Philosophie Gott zu bezweifeln habe oder davon ausgehen müsse oder es gar bewiesen habe, dass Gott, die absolute, endgültige Wahrheit nicht zu finden sei.

Man meint, wenn nun aber dennoch die Philosophie Gott oder die Wahrheit zum Inhalt ihrer Beschäftigung mache, so sei sie keine Wissenschaft, denn die Wissenschaft habe sich nur mit Realem, tatsächlich Existierendem, wirklich Seiendem, nicht mit Vagem, vielleicht existierenden, vielleicht aber auch nicht existierenden zu beschäftigen.

So betrachtet sind der Glaube an Gott, die Religion einerseits und die Philosophie, die Wissenschaft und Erkenntnis andererseits strikt voneinander getrennt, denn sie sind nicht nur nach der Art und Weise der Behandlung ihres Inhalts, d. h. nach der Form, sondern auch nach ihrem Inhalt selbst voneinander unterschieden.

Für Hegel ist Gott oder die Wahrheit nicht nur nichts Vages, vielleicht Existierendes.

So heißt es:

"Jede Philosophie und die Religion ist wesentlich Idealismus und der Idealismus der Philosophie besteht darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen.

Eine Philosophie, welche dem endlichen Dasein als solchem wahrhaftes, letztes, absolutes Sein zuschriebe," wie z. B. die Physik, "verdiente den Namen Philosophie nicht." (Logik)


2. Glaube und Wissen

Wenn so für Hegel Philosophie und Religion zwar denselben Inhalt haben, so sind sie doch der Form nach unterschieden. Ihre Frage ist zwar dieselbe aber ihre Antworten sind verschieden.

Worin liegt diese Verschiedenheit näher?

Die Religion geht aus von Gott als im Sinne eines Gegenstandes. Ein Gegenstand ist etwas unmittelbar Vorhandenes und steht gegen etwas anderes.

So gilt für die Religion oder besser für den religiöse Menschen zunächst Gott als unmittelbar vorhanden und dem Menschen äußerlich gegenüberstehend.

Die Stellung der Religion ist diese:

Die Wahrheit, die durch sie, die Religion, an uns kommt, ist äußerlich gegeben. Man behauptet, die Offenbarung des Wahren sei eine dem Menschen gegebene, er habe sich darin in Demut zu bescheiden; die menschliche Vernunft könne für sich selbst nicht darauf kommen.

Die Wahrheiten der Religion sind; man weiß nicht, woher sie gekommen; der Inhalt ist als gegebener, der über und jenseits der Vernunft sei. Dies ist positive Religion. Irgend durch einen Propheten, göttlichen Abgesandten ist die Wahrheit verkündet."

Wenn unser auf die Autorität der Kirche gestütztes religiöses Bewusstsein uns darüber belehrt, dass Gott es ist, welcher durch seinen allmächtigen Willen die Welt erschaffen hat, und dass er es ist, der die Gestirne in ihren Bahnen lenkt und aller Kreatur ihr Bestehen und Gedeihen verleiht, so bleibt dabei doch auch das Warum zu beantworten, und die Beantwortung dieser Frage ist es überhaupt, welche die gemeinschaftliche Aufgabe der Wissenschaft, sowohl der empirischen als auch der philosophischen, bildet."

Somit stehen sich Religion und Philosophie, Glauben und Wissen aber nicht entgegen, sondern die Philosophie geht nur weiter als die Religion. So Hegel in seiner Schrift.

"Die Wissenschaft versteht das Gefühl und den Glauben".

Solche Gestalt der Fantasie oder geschichtlicher Inhalt (wie Christus) soll für den Geist ein Geistiges werden; so hört er auf, ein Äußerliches zu sein, denn die äußerliche Weise ist die geistlose.

Der Unterschied von Glauben und Wissen ist darum kein absoluter, so als sei Glauben nicht Wissen und Wissen nicht Glauben.

Der Unterschied von Glauben und Wissen fällt vielmehr in das Wissen selbst, d. h. in den Unterschied, ob das Wissen ein unmittelbares ist oder ein vermitteltes. Der Glaube ist nur unmittelbares, gefühltes Wissen.

Er soll durch das Denken vermitteltes, d. h. gesichertes, gerechtfertigtes, reflektiertes Wissen werden.

 

Alles, was überhaupt für den Menschen ist, ist Wissen und im Wissen. Sich etwas vorzustellen, was außerhalb des Wissens läge, wäre eine abstrakte leere Vorstellung und unmöglich, denn als Vorgestelltes wird es gewusst. Worauf es aber wesentlich ankommt ist die Art und Weise, wie ein bestimmter Inhalt gewusst wird.

Man kann viele einzelne und auch richtige Kenntnisse über die verschiedensten Gegenstände der Wirklichkeit haben und sich dabei sehr gelehrt und gebildet zeigen.

Diese bloße Gelehrsamkeit bleibt etwas Unbefriedigendes, denn: "Das Bekannte überhaupt ist darum, weil es bekannt ist, nicht erkannt." (Phän)

Das Bekannte erkennen heißt, die einzelnen Kenntnisse in ihrem notwendigen Zusammenhang zu begreifen, und darauf kommt es an.

„Wie Kepler nur deshalb die Gesetze der Himmelsmechanik gefunden hat, weil er überzeugt war, dass in der Bewegung der Himmelskörper ein ewiges Gesetz Gottes waltet. Nur diese Überzeugung hat ihn motiviert, nach diesen Gesetzen sein halbes Leben lang zu suchen.“ (Hegel)

Es ist der innere Trieb des Menschen, seine eigene innere Überzeugung beweisen und rechtfertigen zu wollen.

Sokrates sagt, es ist keine Schande, nicht zu wissen aber es ist eine Schande, nicht lernen zu wollen.

So ist es keine Schande, nicht erkannt oder gerechtfertigt zu haben aber es ist wohl eine, nicht erkennen, nicht Rechenschaft ablegen zu wollen, denn das, was den Menschen vom Tier unterscheidet, ist das Denken, nicht das bloße Fühlen.

Häufig wird aber das Gefühl für das wahrhaftigere innere des Menschen angesehen, obwohl doch das Denken das eigentlich menschliche ist.

 

3. Die erste Bedingung des philosophischen Studiums

Dass die Wahrheit nicht nur erkannt werden kann, sondern dass sie von der Philosophie erkannt und dargestellt wird heißt auch, dass die Philosophie nicht nur das Ziel hat, die Wahrheit zu finden, sondern dass sie die Wahrheit auch gefunden hat.

"Die Wissenschaft sucht nicht die Wahrheit, sondern ist in der Wahrheit und die Wahrheit selbst."

So sagt Hegel in seiner Antrittsrede zum Lehramt in Berlin zu seinen Studenten:

"Ich darf wünschen und hoffen, dass es mir gelingen werde, auf dem Wege, den wir betreten, Ihr Vertrauen zu gewinnen und zu verdienen; zunächst aber darf ich nichts in Anspruch nehmen als dies, dass Sie Vertrauen zu der Wissenschaft, Glauben an die Vernunft, Vertrauen und Glauben zu sich selbst mitbringen.

Der Mut der Wahrheit, Glauben an die Macht des Geistes ist die erste Bedingung des philosophischen Studiums; der Mensch soll sich selbst ehren und sich des Höchsten würdig achten.

Von der Größe und Macht des Geistes kann er nicht groß genug denken; das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte; es muss sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genuss bringen."

Wenn es heißt, dass man zur Wissenschaft Glauben und Vertrauen mitbringen soll, so heißt dies nicht, man dürfe keinen Zweifel haben oder man solle nicht kritisch denken.

Hegel fordert wohl Zweifel und Kritik, nur sollen sie nicht das Erste sein, wenn man an eine Sache herantritt.

Erst soll ich die Sache, sei es nun die Philosophie oder irgendeine andere, kennen und sie richtig aufgefasst haben, bevor ich sie kritisiere oder bezweifle.

Gehe ich von Anfang an mit einer negativen Haltung oder mit einem schlechten Willen an die Sache, wird es mir nicht gelingen, sie, wie sie ist, kennenzulernen.

Aber weil es "das leichteste ist, was Gehalt und Gediegenheit hat, zu beurteilen," aber "schwerer, es zu fassen," ist man mit seiner Beurteilung und der Aburteilung schneller und ist dann damit fertig, bevor man es eigentlich gefasst hat.

Das schwerste, aber ist, heißt es noch abschließend, was beides vereinigt, seine Darstellung hervorzubringen.“

Die Reihenfolge für die Entwicklung der Sache und ihrer Erkenntnis muss also lauten: zuerst auffassen; dann beurteilen, kritisieren, bezweifeln; als Drittes ist dann aber auch wieder die Kritik zu kritisieren und den Zweifel zu bezweifeln.

 

"Die Pflicht, das Geschwätz zurückzuhalten, ist eine wesentliche Bedingung für jede Bildung. Man muss damit anfangen, Gedanken anderer auffassen zu können; es ist das Verzichtleisten auf eigene Vorstellung, und dies ist überhaupt die Bedingung zum Lernen, Studieren."

Wenn somit die Kritik nicht von vornherein gegen die Sache zu richten ist, so ist wohl aber zunächst Kritik an sich selbst, an das eigene Denken und Vorurteile zu üben.

Die Kritik muss dann, wenn sie zuerst auftritt, darin bestehen, mit den falschen Vorurteilen seiner Zeit aufzuräumen. Und da man die Vorurteile der öffentlichen Meinung seiner Zeit, weil man damit groß geworden ist, verinnerlicht und sich zu eigen gemacht hat und selber damit operiert, ist die Kritik zunächst wesentlich gegen sich selbst zu richten.

"In der öffentlichen Meinung ist alles Falsche und Wahre,... die Unabhängigkeit von der öffentlichen Meinung ist die erste formelle Bedingung zu etwas Großem und Vernünftigem (in der Wirklichkeit wie in der Wissenschaft)."