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Alfred Bekker

Henry Rohmer - N.Y.D. - Ein Sarg für den Prediger (New York Detectives)

Cassiopeiapress Thriller





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Ein Sarg für den Prediger

Kriminalroman von Alfred Bekker

 

Der Umfang dieses Buchs entspricht 105 Taschenbuchseiten.

 

Moss Gardner, der Leiter einer wohltätigen Stiftung, ist als populärer Fernseh-Prediger der Liebling von Millionen. Und doch scheint es jemanden zu geben, der ihn so sehr hasst, dass er ihm die Halsschlagader durchschneidet. Nachdem Gardner nach einem seiner Kamera-Auftritte in seiner Garderobe aufgefunden wird, schlägt der Fall bald hohe Wellen, zumal der Mord auf das Konto eines Serienmörders zu gehen scheint, der es auf Prominente abgesehen hat. Der Sender beauftragt Bount Reiniger mit den Ermittlungen, da die Polizei offenbar auf der Stelle tritt. Schon bald muss Bount Reiniger dann erkennen, dass nicht alle Spuren zu dem sogenannten Prominenten-Killer führen, auf den sich die Polizei fixiert hat. Bount ermittelt schließlich hinter der sauberen Barmherzigkeitskulisse im Dunstkreis von Gardners Stiftung und trifft auf eine ganze Reihe von Verdächtigen.

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Ein CassiopeiaPress Buch

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© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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postmaster@alfredbekker.de



1

„Jesus lebt!“, rief die sonore, angenehm klingende Stimme von Moss Gardner durch das Mikrofon, während im Hintergrund der Gospel-Chor summte. Gardner wandte sich jetzt ein paar Grad von seinem Publikum ab, das sich zum Teil in einem tranceartigen Zustand der Verzückung zu befinden schien. Zufriedene, entspannte Gesichter, vielfach geschlossene Augen und erhobene Hände. Indessen blickte Gardner direkt in die Kamera. Der hochgewachsene und etwas zum Übergewicht neigende Prediger mit dem angegrauten Bart und der sympathischen Stimme war in diesem Moment in einigen Millionen Wohnzimmern und Küchen zu sehen.

Gardner schloss ein paar Sekunden lang die Augen, ehe er wiederholte: „Jesus lebt! Und er ist jetzt mitten unter uns! Er ist mitten unter uns, aber er will nicht, dass wir die Hände einfach nur in den Schoß legen.“ Eine kleine, rhetorische Pause folgte. Ein Muskel zuckte in Gardners Gesicht und er öffnete wieder die Augen. „Er will, dass wir Barmherzigkeit üben! Jeder einzelne von uns! An jeden von uns geht die Frage: Was kannst du tun, um das Leid deines Nächsten mitzutragen!“ Und dabei war sein rechter Zeigefinger direkt in die Kamera gerichtet. „Was kannst du tun, damit Alten und Kranken geholfen wird?“, fuhr Gardner fort. „Wir brauchen Krankenhäuser und Altenheime, wir brauchen Schulen, an denen unsere Kinder nicht nur den Umgang mit Drogen und Schlagringen lernen, um dann als Analphabeten ins Leben zu gehen - als Menschen, die nicht einmal in der Lage sind, Gottes Wort zu lesen!“ Eine weitere Pause folgte. „Aber das alles kostet Geld, sehr viel Geld. Mehr Geld, als die meisten von euch in ihrem ganzen Leben verdienen werden! Doch wenn jeder von euch, jeder, der in diesem Augenblick am Bildschirm sitzt und mich hier stehen sieht, nur einen Dollar spendet, dann kämen schon mehrere Millionen zusammen!“

Auf Millionen Bildschirmen wurde jetzt eine Kontonummer eingeblendet. „Nur einen Dollar! Überlegen Sie sich, wie oft Sie einen Dollar für etwas Sinnloses verschwenden!“

Der Gospel-Chor wurde jetzt lauter und schließlich setzte das Playback für den Abspann ein.



2

Moss Gardner ging den Flur zu seiner Garderobe entlang. Er fühlte sich müde und war froh, die wöchentliche Sendung hinter sich gebracht zu haben. Irgendjemand klopfte ihm auf die Schulter.

„Du warst großartig, Moss!“, rief ihm einer ins Ohr und war dann auch schon wieder weg. Am Zigarrengeruch erkannte Gardner, dass es Jay Raines gewesen sein musste, der Aufnahmeleiter.

Einen Augenblick später stand Gardner dann vor seiner Garderobentür. Er hatte die Klinke schon heruntergedrückt, da packte ihn plötzlich jemand an der Schulter.

„Hey, Moss! Einen Moment!“

Gardner drehte sich missmutig zu Saul Enright herum, der einen ganzen Kopf kleiner war als der Prediger. Enright war ein schmächtig wirkender Mann mit ungesunder Gesichtsfarbe. Und Kettenraucher. Auch jetzt steckte wieder so ein Glimmstängel zwischen seinen Fingern. Gardner konnte den Geruch nicht ausstehen. Und im Augenblick wollte er nichts anderes, als einfach allein zu sein. In der Sendung hatte er sich mental völlig verausgabt.

Gardner seufzte genervt. „Was gibt es denn so Wichtiges, Saul?“

„Eine Unterschrift!“

„Hätte das nicht bis morgen Zeit?“

„Nein, Moss, das muss heute noch raus!“

Saul Enright hielt dem Prediger einen Kugelschreiber unter die Nase. Gardner knurrte etwas Unverständliches in seinen Vollbart hinein, nahm den Stift und ließ sich die Papiere geben, auf denen seine Unterschrift vonnöten war.

Gardner drückte die Dokumente lustlos gegen den breiten Türrahmen und kritzelte nachlässig seinen Namen - oder das, was andere dafür halten sollten. „War das alles?“

„Ja“, nickte Enright. „Mach's gut, Moss! Sehen wir uns morgen?“

„Auf jeden Fall! Ich habe nämlich noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen!“

Enright hob die Augenbrauen. „Ach, ja?“

„Nicht jetzt. Morgen, Saul, morgen...“, er rieb sich die müde wirkenden Augen und wandte sich zur Tür. „Grüß Carrie von mir!“

Enrights Gesicht veränderte sich ein wenig. In seinen blassblauen Augen blitzte es auf einmal. Aber das dauerte nur einen Augenblick lang. Enright grinste schwach und sah, wie Moss Gardner in seiner Garderobe verschwand. Sekunden später ließ Gardner sich in seinen Sessel fallen und schloss die Augen. Er versuchte nichts anderes, als einfach abzuschalten, aber auch bei geschlossenen Augen sah er die Menschenmenge vor sich, die zu ihm aufblickte und wie hypnotisiert an seinen Lippen hing. Es dauerte immer eine Weile, bis er diese Bilder loswurde und normal denken konnte.

Moss Gardner hatte keine Ahnung, wie lange er so in seinem Sessel gesessen hatte, als es plötzlich an seiner Garderobentür klopfte. Das ließ ihn aus seiner Versenkung hochschrecken.

„Ja?“

Gardner stand auf und öffnete.

Dann ging es blitzschnell und ehe Gardner begriffen hatte, was vor sich ging, war er schon so gut wie tot. Ein rasierklingenscharfes Messer hatte ihm im Bruchteil einer Sekunde die Halsschlagader geöffnet. Gardners Gesicht wurde starr, seine Augen traten vor Schrecken unnatürlich weit aus ihren Höhlen heraus.

Mit beiden Händen fasste er sich an den Hals, aber das Blut rann ihm in Strömen zwischen den Fingern hindurch. Panik erfasste Gardner. Er wollte schreien, aber es kam nicht ein einziger Laut über seine Lippen. Er wusste, dass es aus war, wenn nicht noch ein Wunder geschah. Er röchelte und blickte dabei seinem Mörder in die Augen, der einige schrecklich lange Sekunden damit verbrachte, seinem Opfer beim Sterben zuzusehen.

Dann wandte der Mörder sich ab, schloss die Tür und machte sich davon.



3

Ihr Kostüm saß knapp, aber korrekt. Und an ihrer Frisur schien jedes einzelne Haar ihrer brünetten Mähne exakt gestylt worden zu sein. Vermutlich gehörte sie zu denjenigen, die in ihrem Job wie eine gut geölte Uhr funktionierten und die Karriereleiter unaufhaltsam nach oben rutschten. Wenn sie überhaupt einen Fehler hatte, dann vielleicht den, dass sie sehr schnell sprach.

„Wie bitte?“, unterbrach sie daher der Mann auf der anderen Seite des Schreibtischs stirnrunzelnd.

Sie hieß Lorraine Conrad und war bei einem Kabel-TVSender angestellt, der in letzter Zeit durch sprunghaft gestiegene Einschaltquoten innerhalb der Branche von sich reden gemacht hatte.

„Ich bin wegen des Mordes an Moss Gardner bei Ihnen, Mister Reiniger! Ich nehme an, Sie haben davon gehört!“

Bount Reiniger, der bekannte New Yorker Privatdetektiv ließ die Zigarette kurz zwischen seinen Lippen aufglimmen und nickte dann.

„Ich habe flüchtig in der Zeitung davon gelesen. Moss Gardner? Das ist doch dieser TV-Prediger, oder?“

„Ja. Mister Gardner hatte bei uns eine wöchentliche Sendung, die überaus erfolgreich war. Wir bekommen Waschkörbe voll Briefe, in denen die Leute fordern, dass der Schuldige endlich zur Rechenschaft gezogen wird.“

„Und?“, fragte Bount. „Gibt es schon Hinweise?“

„Das ist es ja eben!“, meinte Lorraine Conrad. „Unserem Eindruck nach tritt die Polizei auf der Stelle. Der Mord war am Dreizehnten dieses Monats...“

„Das ist mehr als eine Woche her!“

„Ja, sehr richtig! Und bis jetzt scheint man noch kein Stück weiter zu sein! Die machen zwar immer einen Nebel aus schönen Worten um die Sache, aber es läuft darauf hinaus, dass sie nichts in der Hand haben. Nicht das Geringste!“ Sie zuckte mit den zierlichen Schultern. „Und genau aus diesem Grund sitze ich ja nun auch hier in Ihrem Büro, Mister Reiniger! Sie sollen sehr gut in Ihrem Job sein...“

„Danke. Aber meine Dienste kosten auch 'ne Kleinigkeit.“

„Kein Problem. Ich bin autorisiert, Ihnen einen Vorschuss anzubieten. Ansonsten versichere ich Ihnen, dass unser Unternehmen sich nicht kleinlich zeigen wird.“ Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, das aber kalt und geschäftsmäßig wirkte.

Sie öffnete Ihre Handtasche und zog einen Scheck hervor, den sie dann vor Reiniger auf den Tisch legte.

„Moment! Ich habe noch nicht gesagt, dass ich den Auftrag an...“ Bount brach abrupt ab, als er die Summe gesehen hatte, die auf dem Formular eingetragen war. Er sah seiner Auftraggeberin offen ins Gesicht. „Ich brauche ein paar Informationen“, meinte er knapp.

Sie nickte. „Ich habe ein Dossier für Sie zusammengestellt, das Ihnen sicher hilfreich sein wird...“

Sie legte eine graue Mappe auf den Tisch, die Bount an sich nahm. Der Privatdetektiv blätterte ein wenig darin herum. Unterdessen ging die Tür auf und June March, Reinigers bildhübsche Assistentin, betrat den Raum. Sie brachte Kaffee und den hatte besonders Bount auch dringend nötig, denn den Großteil der vergangenen Nacht war er mit einer Observation beschäftigt gewesen.

Lorraine Conrad hob nur kurz die Augenbrauen, als June ihr einschenkte. Dann blickte sie zu Bount, der gerade an seiner Tasse schlürfte. „Ich hoffe, Sie sind zufrieden.“

Bount nickte beifällig.

„Ich sehe, dass Moss Gardner Vorsitzender einer Stiftung ist...“

„War“, verbesserte Miss Conrad. „Er war Vorsitzender der Mercy Foundation. Und zwar schon seit Jahren.“

„Sein Fernseh-Job war als mehr oder weniger eine Nebentätigkeit.“

„Ja, so kann man es sagen. Aber Gardner hatte außergewöhnliches Talent. Wir hatten vorher schon eine ähnliche Sendung, aber Gardner war besser! Und zwar um Längen!“

„Woran lag das?“, fragte Bount.

„An Gardner. Ganz allein an ihm. Sagen Sie bloß, Sie haben die Sendung nie gesehen, Mister Reiniger!“

Bount lächelte dünn.

„Nun, in meinem Job hat man keinen geregelten Feierabend. Wenn andere Leute vor der Glotze sitzen, habe ich oft noch was zu tun.“

„Ich verstehe.“

„Und was war nun so besonders an Gardner? Er ist ja schließlich nicht der einzige Prediger auf dem Schirm.“

„Ja, und außerdem knöpfte er den Leuten noch Geld ab“, nickte Miss Conrad. „Aber das nahm einem Mann wie Moss Gardner niemand übel. Er hatte einfach das gewisse Etwas. Persönlichkeit, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sein Tod stürzt unseren Sender natürlich in erhebliche Schwierigkeiten. Aber das ist nicht Ihr Problem, Mister Reiniger.“

„Glücklicherweise. Ich frage mich, weshalb ein so beliebter Mann umgebracht wird. Hatte er vielleicht Feinde?“

„Nein. Er wurde von einer breiten Sympathiewelle getragen. Natürlich gibt es da immer die üblichen Rivalitäten.“ Sie machte eine Pause und meinte dann: „Wenn Sie keine Fragen mehr haben.“

Sie erhob sich und Bount brachte sie noch zur Tür. Als er zurückkam, sah er June in den Unterlagen blättern, die Miss Conrad zurückgelassen hatte.

„Die Halsschlagader aufgeschnitten. Kling ja ziemlich schlimm, Bount! Was hältst du davon?“

Bount Reiniger zuckte die Achseln.

„Ich weiß es noch nicht. Die Sache ist eine Woche her.“

June strich sich die blonde Mähne zurück. „Zu lang, denkst du?“

„Ich will's nicht hoffen!“